Urteil des LAG Hamm vom 13.06.2008

LArbG Hamm: haftung des arbeitgebers, arbeitsunfall, berufskrankheit, schmerzensgeld, arbeitsgericht, unfallversicherung, personenschaden, kausalität, verordnung, virus

Landesarbeitsgericht Hamm, 12 Sa 1851/07
Datum:
13.06.2008
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
12. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
12 Sa 1851/07
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Paderborn, 1 Ca 500/07
Schlagworte:
Schmerzensgeld; Haftungsprivilegierung, Vorsatz
Normen:
§§ 636, 638, 551 RVO, §§ 104, 108 SGB VII
Leitsätze:
Vorsätzliches Handeln des Arbeitgebers im Sinne des § 636 RVO liegt
nur dann vor, wenn auch der Verletzungserfolg - hier ein
Personenschaden, der zu einer Berufskrankheit geführt hat - vorsätzlich
verwirklicht und damit mindestens billigend in Kauf genommen wurde.
Der lediglich vorsätzliche Verstoß gegen Unfallverhütungsvorschriften
oder die Gefahrstoffverordnung reicht dazu nicht aus.
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Teil-Urteil des Arbeitsgerichts
Paderborn vom 23.08.2007 - 1 Ca 500/07 - wird auf Kosten der Klägerin
zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d :
1
Die Parteien streiten um Schmerzensgeldansprüche.
2
Nach § 69 Abs. 2 ArbGG wird von der Darstellung des Vorbringens der Parteien erster
Instanz abgesehen und auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 317 bis 303)
Bezug genommen. Ergänzend ist Folgendes auszuführen:
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In Vollzug eines vor dem Landessozialgericht Essen am 21.08.2006 geschlossenen
Vergleichs bewilligte die Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gaststätten mit
Bescheid vom 01.02.2007 eine "Rente auf unbestimmte Zeit nach §§ 56 und 62 Abs. 2
SGB VII in Verbindung mit der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) für die Zeit vom
06.12.1986 bis zum 30.11.1996 und stellte dazu den Versicherungsfalltag für den
05.12.1986 fest. Wegen der Einzelheiten dieses Bescheids wird auf Bl. 302 bis 305 d. A.
Bezug genommen. Nach vorheriger Erkrankung vom 05.12.1986 bis zum 31.01.1987
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war die Klägerin beginnend mit dem 17.02.1987 dauerhaft arbeitsunfähig erkrankt.
In ihrer Klageschrift gab die Klägerin zunächst an, das von ihr eingeforderte
Schmerzensgeld solle angesichts der Schwere der Erkrankung und der Dauer der
Behandlung 100.000 DM nicht unterschreiten. Diesen Betrag reduzierte sie später auf
60.000 DM.
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Mit Teil-Urteil vom 23.08.2007, dessen Streitgegenstand das mit dem Klageantrag zu 1)
geltend gemachtes Schmerzensgeld ist, hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen,
im Wesentlichen mit der Begründung, dem Schmerzensgeldanspruch stünde die
Bestimmung des § 636 RVO entgegen. Ein vorsätzliches Verhalten der Beklagten sei
nicht ersichtlich. Dem Vortrag der Klägerin lasse sich nicht entnehmen, dass der
Beklagten die Gefährlichkeit des P-Toluidins bekannt gewesen sei.
6
Gegen das der Klägerin am 17.09.2007 und sodann nach Aufnahme eines
Berichtigungsbeschlusses erneut am 28.09.2007 zugestellte Urteil richtet sich deren am
16.09.2008 eingelegte Berufung, die sie nach Verlängerung der
Berufungsbegründungsfrist rechtzeitig am 28.12.2008 begründet hat.
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Die Klägerin weist darauf hin, sie habe bereits erstinstanzlich vorgetragen und unter
Beweis gestellt, dass die Beklagte die im Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. W1
vom 24.05.1988 genannten und vorgeschriebenen Gesundheitsmaßnahmen nicht
durchgeführt habe. Insbesondere habe sie vorgetragen, dass die Absaugvorrichtung
defekt gewesen sei, eine Untersuchung ihres Blutbildes unterblieben sei und sie zu
keinem Zeitpunkt darauf hingewiesen worden sei, dass die von ihr verrichteten Arbeiten
nur unter einem Abzug hätten durchgeführt werden dürfen und Schutzhandschuhe zu
tragen gewesen seien. Sämtliche Vorsorgemaßnahmen seien durch die
Gefahrstoffverordnung vorgeschrieben. Damit habe die Beklagte gegen die
Gefahrstoffverordnung verstoßen, indem sie die Vorsorgemaßnahmen unterlassen
habe. Da der Beklagten die Gefahrstoffverordnung bekannt gewesen sei, habe sie
vorsätzlich gehandelt.
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Die Klägerin behauptet, bereits 1977 habe Isopropanol einen Grenzwert von 400 ppm
gehabt, der sodann 1996 halbiert worden sei. Der Beklagten hätte daher die
Gefährlichkeit der Stoffe, denen sie - die Klägerin - ausgesetzt gewesen sei, bekannt
sein müssen.
9
Die Klägerin beantragt,
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unter Abänderung des Teil-Urteils des Arbeitsgerichts Paderborn vom 23.08.2007,
1 Ca 500/07, die Beklagte zu verurteilen, an sie ein angemessenes
Schmerzensgeld zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen,
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und bestreitet mit Nichtwissen, dass die Berufsgenossenschaft die Berufskrankheit in
einem vor dem Sozialgericht Dortmund abgeschlossenen Vergleich anerkannt habe,
ebenso wie die Behauptung, der Sachverständige Dr. K1 habe in dem Verfahren vor
dem Landessozialgericht festgestellt, dass die Klägerin P-Toluidin und Isopropanol
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ausgesetzt gewesen sei. Sie weist darauf hin, dass es sich bei dem Gutachten des
Sachverständigen Prof. Dr. W1, dessen Gutachten auch aus anderen Gründen nicht
verwertet werden könne, lediglich um Parteivortrag handele.
Sie ist der Auffassung, die Haftungsprivilegierung des § 636 RVO greife nur dann nicht
zu ihren Gunsten, wenn ihr der Vorwurf gemacht werden könne, sie hätte sowohl
hinsichtlich der haftungsbegründenden Kausalität als auch hinsichtlich der konkreten
Verletzungsfolge vorsätzlich gehandelt. Dies – so ihre Behauptung – sei hingegen nicht
der Fall. Ihr sei in den Jahren 1986 und 1987 nicht bekannt gewesen, dass von P-
Toluidin und Isopropanol eine gesundheitsgefährdende Wirkung habe ausgehen könne.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die Berufung ist an sich statthaft (§ 64 Abs. 1 ArbGG), nach dem Wert des
Beschwerdegegenstandes zulässig (§ 64 Abs. 2 Buchst. b ArbGG) sowie in gesetzlicher
Form und Frist eingelegt (§ 519 ZPO i.V.m. § 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, § 66 Abs. 1 S. 1
ArbGG) und innerhalb der Frist (§ 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG) ordnungsgemäß (§ 520 Abs. 3
i.V.m. § 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG) begründet worden. Sie hat in der Sache keinen Erfolg. Zu
Recht hat das Arbeitsgericht die Klage mit dem im Rahmen des Teil-Urteils alleine
streitgegenständlichen Klageantrag zu 1) abgewiesen.
17
I.
18
Die Klage ist hinsichtlich des vom Teilurteil umfassten Streitgegenstandes zulässig.
Insbesondere steht dem Antrag, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ein
angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, die Bestimmung des § 253 Abs. 2 Nr. 2
ZPO nicht entgegen. Danach muss die Klageschrift die bestimmte Angabe des
Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs sowie einen bestimmten
Antrag enthalten. Für einen Zahlungsantrag ist daher grundsätzlich zu verlangen, die
geforderte Summe anzugeben (Zöller-Greger, ZPO, 26. Aufl., § 253 Rdnr. 13a). Zwar hat
die Klägerin in ihren Antrag keine Bezifferung des Schmerzensgeldbetrages
vorgenommen. Doch steht ein unbezifferter Klageantrag der Zulässigkeit der Klage nicht
entgegen, wenn zugleich die tatsächlichen Grundlagen für die Ermessensausübung des
Gerichts mitgeteilt und zumindest auch ein Mindestbetrag für das Schmerzensgeld
angegeben wird (vgl. BGH 10.10.2002 - III ZR 205/01, NJW 2002, 3769; Zöller-Greger,
ZPO, 26. Aufl., § 253 Rdnr. 14). Dies ist hier der Fall. Bereits in der Klageschrift vom
26.09.1989 hat die Klägerin angeführt, das Schmerzensgeld solle angesichts der
Schwere der Erkrankung und der Dauer des Verfahrens 100.000 DM nicht
unterschreiten. Diesen Betrag hat sie sodann im Laufe des Klageverfahrens auf 60.000
DM reduziert.
19
II.
20
Die Klage ist nicht begründet. Zu Recht hat das Arbeitsgericht die Klage daher
abgewiesen. Der Klägerin steht gegen die Beklagte unter keinem rechtlichen
Gesichtspunkt ein Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes zu.
21
1.
22
Einen solchen Anspruch kann die Klägerin insbesondere nicht aus §§ 618 Abs. 3, 278
23
BGB i.V.m. § 253 Abs. 2 BGB verlangen. Dabei mag es an dieser Stelle offen bleiben,
ob und in welchem Umfang die Beklagte ihren in Ansehung des Lebens und der
Gesundheit des Arbeitnehmers obliegenden Verpflichtungen aus § 618 BGB nicht
nachgekommen ist. Der Versicherungsfalltag ist mit dem 05.12.1986 angegeben. Die
Zahlung eines Schmerzensgeldes war von den Rechtsfolgen des § 618 BGB in der im
anspruchsbegründenden Zeitraum vor dem Versicherungsfalltag gültigen Fassung nicht
umfasst. § 253 Abs.2 BGB in nunmehr geltenden Fassung wurde erst durch das Zweite
Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften neu in das BGB
aufgenommen (Art.2 Nr. 2 Buchst. b vom 19.07.2002, BGBl.I 2674). Die Regelung greift
nach Art. 229 § 8 EGBGB mit Wirkung vom 01.08.2002 und ersetzt § 847 BGB a.F., also
die Bestimmung, die vormals den Geldersatz für immaterielle Schäden regelte.
Abzustellen ist dabei auf den Zeitpunkt, in dem die schädigende Handlung
vorgenommen worden ist (Palandt-Grüneberg, 67. Aufl., Art. 229 § 8 EGBGB Rdnr. 2).
Dies ist jedenfalls vor dem 01.08.2002 der Fall gewesen.
Anders als vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher
Vorschriften sieht § 253 Abs. 2 BGB nun auch bei vertraglicher Haftung einen Ersatz
immaterieller Schäden vor, sofern eines der Lebensgüter in § 253 Abs. 2 BGB betroffen
ist. Dies hingegen galt für § 618 Abs. 3 BGB in dem für die Beurteilung dieses Falles
maßgeblichen Zeitraum nicht. § 618 Abs.3 BGB verwies hinsichtlich der Rechtsfolgen
auf die §§ 842 bis 846 BGB. § 847 BGB war indes von der Rechtsfolgenverweisung
nicht erfasst. Mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist daher anzunehmen, dass
dem Arbeitnehmer bei einer vor dem 01.08.2002 erfolgten Verletzung der Pflichten aus
§ 618 Abs.1 BGB kein Schmerzensgeldanspruch als Rechtsfolge zustehen kann (BAG
14.12.2006 - 8 AZR 628/05, NZA2007, 262; BGH 15.06.1971 -VI ZR 262/69, BGHZ56,
269; LAG Baden-Württemberg 05.03.2001 -15 Sa 106/00- AP BGB § 611 Mobbing Nr.
2).
24
2.
25
Die Klägerin kann einen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes auch nicht auf
die §§ 823 Abs. 1, 831, 847 BGB wegen einer Verletzung des Körpers stützen. Einer
Haftung steht § 636 Abs. 1 S. 1 RVO entgegen. Nach dieser Bestimmung ist der
Arbeitgeber dem Arbeitnehmer zum Ersatz des Personenschadens, den ein
Arbeitsunfall verursacht hat, nach anderen Vorschriften nur dann verpflichtet, wenn er
den Arbeitsunfall vorsätzlich herbeigeführt hat.
26
a)
27
Auf das Arbeitsverhältnis findet § 636 RVO in der bis zum 31.12.1996 greifenden
Fassung Anwendung. Gemäß §§ 212, 214 SGB VII sind vorliegend die Vorschriften der
Reichsversicherungsordnung (RVO) und nicht die Regelungen der §§ 104 ff SGB VII
anzuwenden, denn die Klägerin macht Ansprüchen gegen die Beklagte für Zeiten vor
dem 01.01.1997 - dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des SGB VII - geltend.
28
b)
29
Die von der Klägerin zur Begründung ihrer Schmerzensgeldforderung behaupteten
Verletzungen stellen einen Personenschaden im Sinne des § 636 Abs. 1 RVO dar. Die
Klägerin beklagt eine durch fehlende Arbeitsschutzmaßnahmen erfolgte Exposition mit
P-Toluidin, worauf sie eine neurotoxische Allgemeinschädigung, ein hirnorganisches
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P-Toluidin, worauf sie eine neurotoxische Allgemeinschädigung, ein hirnorganisches
Syndrom, eine toxische Schleimhautschädigung im Nasen-, Rachen- und Bronchien-
Bereich, eine toxische Leberschädigung und eine Herpes-simplex-Virus-Infektion
zurückführt. Damit ist der Anwendungsbereich des Haftungsausschlusses nach § 636
RVO eröffnet, der auch für die Haftung des Arbeitgebers für Arbeitnehmer als
Verrichtungsgehilfen nach § 823 Abs. 1, § 831 BGB greift (BAG 24.02.2000 - 8 AZR
163/99; BGH 03.11.1981 - VI ZR 119/80 - NJW 1982, 699).
c)
31
Der Personenschaden der Klägerin ist auf einen Arbeitsunfall zurückzuführen. Dabei ist
das erkennende Gericht nach § 638 Abs. 1 Nr. 1 RVO an die endgültige Entscheidung
eines Unfallversicherungsträgers darüber gebunden, ob ein Arbeitsunfall vorliegt, sofern
der angenommene Schädiger als Drittbeteiligter nach § 12 SGB X ordnungsgemäß am
Verwaltungsverfahren beteiligt wurde.
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Mit Bescheid vom 01.02.2007 hat die Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und
Gaststätten der Klägerin für die Zeit vom 06.12.1986 bis zum 30.11.1996 eine
Verletztenrente nach den §§ 56 und 62 Abs. 2 SGB VII in Verbindung mit der
Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) in Höhe von 20 % einer Vollrente bewilligt und
dazu ausgeführt, als Folgen der Berufskrankheit würden eine mäiggradig erhöhte
Anzahl von Transaminasen in der Leber, Belastungsapnoe und Schwindel anerkannt.
Als Arbeitsunfall im Sinne des § 636 Abs. 1 RVO gilt nach § 551 Abs. 1 S. 1 RVO auch
eine Berufskrankheit. Nach § 551 Abs. 3 S. 1 RVO gelten für die Berufskrankheiten die
für Arbeitsunfälle maßgeblichen Bestimmungen entsprechend. Dazu gehören auch die
Vorschriften über die Haftung von Unternehmen und anderen Personen in den §§ 636
bis 642 RVO (Lauterbach, Unfallversicherung, 3. Aufl., § 551 RVO Anm. 23). Die
Kammer kann damit unter Berücksichtigung der Regelung in § 638 Abs. 1 Nr. 1 RVO
davon ausgehen, dass ein Arbeitsunfall vorliegt. Unerheblich ist es, dass die
Anerkennung als Berufskrankheit unter der Geltung der derzeit greifenden Bestimmung
des SGB VII ergangen ist, weil der jetzige § 108 Abs. 1 SGB VII inhaltlich dem § 638
RVO entspricht (Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, 4. Aufl., § 108 Rdnr. 1).
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Offen lassen kann die Kammer, ob die Beklagte als angenommene Schädigerin und
Drittbeteiligte im Rahmen des sozialversicherungsrechtlichen Verwaltungsverfahrens
nach § 12 Abs. 2 SGB X beteiligt worden ist. Nur in diesem Fall greift die
Bindungswirkung des § 638 RVO (vgl. BGH, 04.04.1995 – VI ZR 327/93, NJW1995,
2038; Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, 4. Aufl., § 108 Rdnr. 4). Denn eine
Haftung der Beklagten für weitergehende Personenschäden kommt angesichts des
Haftungsausschlusses nach § 636 Abs. 1 S. 1 RVO nur dann in Betracht, wenn der
Arbeitsunfall vorsätzlich herbeigeführt worden ist. Dies ist hingegen nicht der Fall.
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Mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vergleiche zuletzt BAG 10.10.2002
- 8 AZR 103/02, AP Nr. 1 zu § 104 SGB VII) ist davon auszugehen, dass die
Haftungsbeschränkungen der §§ 636, 637 RVO nur dann wegen Vorsatzes entfallen,
wenn der Schädiger den Arbeitsunfall gewollt oder für den Fall seines Eintritts gebilligt
hat. Es genügt damit nicht, dass ein bestimmtes, für den Unfall ursächliches Handeln
gewollt und gebilligt wurde, wenn dies für den Unfall selbst nicht gilt. Der Vorsatz des
Schädigers muss demgemäß nicht nur die Verletzungshandlung, sondern auch den
Verletzungserfolg umfassen (BAG 10.10.2002 - 8 AZR 103/02, AP Nr. 1 zu § 104 SGB
VII; 27.06.1975 - 3 AZR 457/74 - AP RVO § 636 Nr. 9). In gleichem Maße ist es
anerkannt, dass die bloße vorsätzliche Missachtung von Unfallverhütungsvorschriften,
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auf die der Arbeitsunfall zurückzuführen ist, nicht dazu führt, dass der
Haftungsausschluss entfällt (BAG 02.03.1989 - 8 AZR 416/87). Bei eingetretener
Berufskrankheit bedeutet dies, dass sich der Vorsatz des Arbeitgebers auf die Handlung
und den Erfolg, also den Eintritt der Berufskrankheit beziehen muss. Den Arbeitgeber
muss der qualifizierte Schuldvorwurf damit nicht nur hinsichtlich der
haftungsausfüllenden Kausalität treffen. Auch die Verletzungsfolge muss er bewusst
und gewollt herbeigeführt haben (vgl. auch ErfKom-Rolfs, 8. Aufl., § 104 SGB VII Rdnr.
24; Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, 4. Aufl., § 104 Rdnr. 18 ff).
Die Klägerin hat nicht vortragen können, dass der Beklagten oder einem für sie
handelnden Verrichtungsgehilfen i.S.d. § 831 BGB ein solcher qualifizierter
Schuldvorwurf gemacht werden kann. Ihr Sachvortrag in erster Instanz bezieht sich im
Wesentlichen auf Darlegungen zum Verstoß gegen die Gefahrstoffverordnung, zur
Verletzung von Hinweis- und Aufklärungspflichten der Beklagten, zur fehlenden bzw.
defekten Absaugvorrichtung und zur fehlenden Ausgabe von Gesichtsschutzmasken
und Schutzhandschuhen. Auch in zweiter Instanz stellt dies den wesentlichen
Sachvortrag der Klägerin dar, wobei sie darüber hinaus vorträgt, die mit dem Umgang
mit P-Toluidin verbundenen Gefahren seien nicht ermittelt worden, Messungen seien
nicht durchgeführt worden, Betriebsanleitungen zum Umgang mit diesem Stoff seien
nicht ausgegeben worden, ihr Blutbild sei nicht untersucht und überwacht worden und
es sei nicht überprüft worden, ob bei ihr eine erhöhte Empfindlichkeit gegen P-Toluidin
vorliege.
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Es mag dahinstehen, ob die Beklagte diese Handlungen bzw. Unterlassungen
vorsätzlich verwirklicht hat. In jedem Fall fehlt hinreichend substantiierter Sachvortrag,
dass der Vorsatz der Beklagten bzw. deren Verrichtungsgehilfen sich nicht nur auf die
haftungsbegründende Kausalität bezieht, sondern darüber hinaus auch der
Verletzungserfolg, also die bei der Klägerin eingetretene körperlichen Beeinträchtigung,
mit Wissen und Wollen und damit vorsätzlich oder aber zumindest bedingt vorsätzlich
verwirklicht wurde. Darauf hat die Beklagte zu Recht hingewiesen. Für die erkennende
Kammer waren keine Umstände erkennbar, die auf ein den Verletzungserfolg
umfassenden Vorsatz der Beklagten haben schließen lassen.
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3.
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Weitere Anspruchsgrundlagen sind nicht ersichtlich. Insbesondere konnte offen bleiben,
ob die Klägerin Ansprüche auf die §§ 823 Abs. 2, 831 BGB i.V.m. § 618 BGB stützen
kann. Es kann daher dahinstehen, ob und unter welchen Voraussetzungen § 618 BGB
als Schutzgesetz im Sinne des § 823 abs. 2 BGB anzusehen ist. Dies dürfte jedenfalls
nicht ohne weiteres der Falls sein (vgl. näher BAG 14.12.2006 - 8 AZR 628/05, NZA
2007, 262). Denn auch hier greift der Haftungsausschluss nach § 636 Abs. 1 S. 1 RVO.
39
III.
40
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 91 Abs. 1 S. 1, 97 ZPO. Der Klägerin fallen
die Kosten der von ihr ohne Erfolg eingelegten Berufung zur Last. Gründe für die
Zulassung der Revision im Sinne des § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht gegeben. Keine der
entscheidungserheblichen Rechtsfragen hat grundsätzliche Bedeutung. Die
Rechtsfragen berühren auch nicht wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen die
Interessen der Allgemeinheit oder eines größeren Teils der Allgemeinheit. Ferner lagen
keine Gründe vor, die die Zulassung wegen einer Abweichung von der Rechtsprechung
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eines der in § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG angesprochenen Gerichte rechtfertigen würde.
Dr. Schrade
Dr. Böhmer
Tölle
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