Urteil des LAG Hamm vom 19.04.2006
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Landesarbeitsgericht Hamm, 13 Sa 2171/05
Datum:
19.04.2006
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
13. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 Sa 2171/05
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Bocholt, 1 Ca 1162/05
Schlagworte:
Kündigung; betriebsbedingt; Umsatzrückgang;
Unternehmerentscheidung; Umorganisation; Fremdvergabe;
Sozialauswahl; Vergleichbarkeit; Austauschbarkeit
Normen:
§ 1 KSchG
Rechtskraft:
Die Revision wird nicht zugelassen
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bocholt
vom 20.10.2005 - 1 Ca 1162/05 - wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen
T a t b e s t a n d
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Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen, betriebsbedingten
Kündigung.
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Der am 17.06.1949 geborene, verheiratete Kläger trat mit Wirkung ab 02.01.1981 als
Zahntechniker in die Dienste der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgänger; er erhielt
zuletzt eine Bruttomonatsvergütung in Höhe von 2.732,35 €.
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Der Kläger war, bevor er ab dem 08.08.2005 durchgehend bis heute arbeitsunfähig
erkrankte, fasst ausschließlich innerhalb der Modellgussabteilung mit der Fertigung
partieller Prothetik einschließlich Reparaturen einfacherer Art beschäftigt.
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Ausweislich des entsprechenden Protokolls fassten die Gesellschafter der Beklagten,
bei der zu diesem Zeitpunkt 11 Mitarbeiter tätig waren, am 20.04.2005 folgenden
Beschluss:
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TOP 1: Bereich Modellguss
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Es wird einstimmig die Entscheidung getroffen, den Bereich Modellguss zu
schließen, weil dieser kostendeckend nicht mehr geführt werden kann. Der
Geschäftsführer A1xxxx wird beauftragt, das Arbeitsverhältnis mit dem dort
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beschäftigten Mitarbeiter W1xxxxx T1xxxx zu beenden.
Die Gesellschaft soll zukünftig nach dem Auslauf der Kündigungsfrist von Herrn
T1xxxx in der Form organisiert werden, dass die dort bisher angefallenen
Tätigkeiten – soweit zeitlich möglich – von den Zahntechnikern ausgeübt werden.
Sofern in diesem Bereich Arbeiten in einem Umfang anfallen, die über den
zeitlichen Rahmen der Zahntechniker hinausgehen, werden diese Arbeiten extern
vergeben. Dabei soll insbesondere die sehr kostengünstige Vergabe an
Dentallabore im südost-asiatischen Raum bevorzugt umgesetzt werden.
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TOP 2: Neue Struktur
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Ziel der Neustruktur der Gesellschaft ist die Ausrichtung im Schwerpunkt auf
hochwertige und qualitativ anspruchsvolle Laborleistungen. Die Gesellschaft wird
deshalb in die Bereiche "Prothetik (Kunststoff)/ Reparaturen/ Modellerstellung/
Arbeitsvorbereitung", "Kieferorthopädie" und " Keramik/ Edelmetall" organisiert.
Dabei ist der Bereich "Prothetik" nicht mit Mitarbeitern besetzt. Dort anfallende
Arbeiten werden von den verbleibenden Mitarbeitern der anderen Bereiche
ausgeführt, soweit und solange entsprechende Zeitanteile vorhanden sind.
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Daraufhin wurde dem Kläger mit Schreiben vom 26.04.2005, zugegangen am selben
Tag, die ordentliche Kündigung zum 30.11.2005 ausgesprochen.
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Der Kläger hat das Vorliegen betriebsbedingter Gründe bestritten und die unrichtige
Sozialauswahl gerügt.
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Der Kläger hat beantragt,
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festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien aufgrund
ordnungsgemäßer Kündigung vom 26.04.2005 nicht zum 30.11.2005 beendet
ist, sondern über das letztgenannte Datum weiter hinaus fortbesteht.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat behauptet, ihre Umsätze seien im Vergleich zu den Jahren 2003 und 2004 um
25 Prozent zurückgegangen. Deshalb habe man reagieren und zwei Mitarbeiter
einschließlich des Klägers entlassen müssen. Die bislang im Modellgussbereich
angefallenen Arbeiten würden, soweit noch vorhanden, zukünftig von den anderen
Arbeitnehmern miterledigt oder extern, zum Beispiel nach Südostasien, vergeben. Man
konzentriere sich zukünftig auf qualitativ anspruchsvolle Laborleistungen, die der Kläger
nicht erbringen könne.
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Soweit hier noch von Interesse, hat die Beklagte weiterhin behauptet, die Mitarbeiter
G1xxxxxx und L1xxxxx verfügten über ein in langjähriger Tätigkeit erworbenes
Spezialwissen in den Bereich "Keramik/ Edelmetall", so dass der Kläger mit ihnen nicht
vergleichbar sei. Abgesehen davon habe man die Sozialauswahlkriterien ausreichend
berücksichtigt.
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Insoweit ist unstreitig, dass der am 09.03.1953 geborene, seit dem 01.08.1984 bei der
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Beklagten beschäftigte Arbeitnehmer G1xxxxxx verheiratet ist und zwei Kinder ist, wobei
seine Ehefrau als Beamtin tätig ist. Der 56-jährige, schwerbehinderte Arbeitnehmer
L1xxxxx kommt seit dem 01.07.1984 bei der Beklagten zum Einsatz; und er ist
geschieden und hat ein erwachsenes Kind.
Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen B4xxxxxxxxx
und S5xxxxxx. Hinsichtlich des Ergebnisses wird verwiesen auf die
Sitzungsniederschrift vom 25.08.2005 (Bl. 47 f. d. A.).
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Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 20.10.2005 die Klage abgewiesen. Zur
Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, aufgrund der Aussage des Zeugen
B4xxxxxxxxx ergebe sich ein Umsatzrückgang von ca. 25 Prozent, weshalb das
Bedürfnis unter anderem für die Fortbeschäftigung des Klägers entfalle.
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Im Vergleich zu den verbliebenen Mitarbeitern G1xxxxxx und L1xxxxx habe die
Beklagte die maßgeblichen Sozialauswahlkriterien ausreichend gewahrt.
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Gegen dieses ihm am 27.10.2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 21.11.2005
Berufung eingelegt und diese am 22.12.2005 begründet.
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Er ist der Auffassung, dass sich allein aus einem behaupteten Umsatzrückgang nicht
das Bedürfnis für seine Entlassung ergeben könne. Im Übrigen müsse die bloße
Behauptung, es würden Arbeiten ins Ausland verlagert, bestritten werden.
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Auch sei die Sozialauswahl namentlich im Verhältnis zu den Arbeitnehmern G1xxxxxx
und L1xxxxx, deren Aufgaben er nach ca. einem halben Jahr übernehmen könne,
unzutreffend. So sei der Mitarbeiter G1xxxxxx 4 Jahre jünger, weise fast 4 Jahre weniger
Betriebszugehörigkeitszeit auf und die Ehefrau sei berufstätig. Der Mitarbeiter L1xxxxx
sei erst 3 ½ Jahre nach ihm eingestellt worden.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Bocholt vom 20.10.2005 – 1 Ca 1162/05 –
abzuändern und festzustellen, dass das zwischen den Parteien begründete
Arbeitsverhältnis nicht durch die ordentliche, fristgerechte Kündigung der
Beklagten vom 26.04.2005 mit Ablauf des 30.11.2005 aufgelöst worden ist.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie behauptet, die mit dem Umsatzrückgang verbundene reduzierte Auslastung des
Laborpersonals habe dazu geführt, dass die verbliebenen Arbeitnehmer die bislang vom
Kläger erledigten einfachen Tätigkeiten hätten miterledigen können, wie sich namentlich
in der Zeit ab dessen krankheitsbedingtem Ausfall im August 2005 gezeigt habe. Sollten
zukünftig Umsatzsteigerungen eintreten mit einer entsprechenden vollen Auslastung
des vorhandenen Personals, dann würden die "einfachen" Arbeiten an externe Labors,
z. B. in Südostasien, vergeben.
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Im Zusammenhang mit der Sozialauswahl bestehe schon keine Vergleichbarkeit mit
den beiden Arbeitnehmern G1xxxxxx und L1xxxxx; im Übrigen liege eine ausreichende
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Bewertung der einschlägigen Sozialdaten vor.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.
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Zu Recht hat das Arbeitsgericht entschieden, dass die streitbefangene ordentliche
Kündigung vom 26.04.2005 durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des §
1 Abs. 2 S. 1 3. Fall KSchG bedingt ist und dabei den Gesichtspunkten einer
ordnungsgemäßen Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 KSchG) ausreichend Rechnung getragen
wurde.
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I.
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Dringende betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 S. 1 3. Fall
KSchG können sich aus außer- und innerbetrieblichen Gründen ergeben, wobei externe
Faktoren, wie z. B. ein Umsatzrückgang, zu innerbetrieblichen Maßnahmen führen
können und erst diese Auswirkungen auf den Beschäftigungsbedarf haben. So kann
eine Kündigung aus innerbetrieblichen Gründen sozial gerechtfertigt sein, wenn der
Arbeitgeber mit Rücksicht auf eine rückläufige Marktlage die Entscheidung trifft,
bestimmte Arbeiten entweder innerhalb seines Unternehmens umzuorganisieren oder
fremd zu vergeben, sofern dadurch das Beschäftigungsbedürfnis für einzelne
Arbeitnehmer entfällt (vgl. zuletzt z.B. BAG DB 2006, 341 m.w.N.).
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Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
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Die vom Zeugen B5xxxxxxxxx bestätigten Umsatzrückgänge um ca. 25 Prozent hat die
Beklagte zum Anlass genommen, in der Gesellschafterversammlung am 20.04.2005
den einstimmigen Beschluss zu fassen, den Bereich Modellguss zu schließen. Diese
unter Kostendeckungsgesichtspunkten nachvollziehbare Unternehmerentscheidung hat
dazu geführt, dass im maßgeblichen Zeitpunkt des Zugangs der streitbefangenen
Kündigung am 26.04.2005 vom Wegfall des Beschäftigungsbedarfs für den Kläger nach
Ablauf der Kündigungsfrist am 30.11.2005 auszugehen war. In dem Zusammenhang ist
von ihm auch nicht mehr substanziiert die Darstellung bestritten worden, dass
verbleibende Arbeiten nach dem 30.11.2005 bei einer fortbestehenden,
umsatzbedingten Minderauslastung durch das verbleibende Personal miterledigt oder
andernfalls an kostengünstiger arbeitende Dentallabore z. B. im südostasiatischen
Raum fremd vergeben werden sollen.
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Die darin zum Ausdruck kommende Prognose für den Wegfall des vom Kläger bislang
eingenommenen Arbeitsplatzes wird auch dadurch bestätigt, dass die bislang von
diesem verrichteten Tätigkeiten schon seit dem 08.08.2005 bis heute durch das
verbliebene Personal miterledigt werden.
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II.
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Die von der Beklagten vorgenommene Sozialauswahl wird den Anforderungen des § 1
Abs. 3 KSchG gerecht.
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Nach der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (zuletzt z. B. AP
KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 60, 46) bestimmt sich der Kreis der in die soziale
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KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 60, 46) bestimmt sich der Kreis der in die soziale
Auswahl einzubeziehenden vergleichbaren Arbeitnehmer in erster Linie nach
arbeitsplatzbezogenen Merkmalen, also zunächst nach der ausgeübten Tätigkeit. Dies
gilt nicht nur bei einer Identität der Arbeitsplätze, sondern auch dann, wenn der
Arbeitnehmer aufgrund seiner Tätigkeit und Ausbildung eine andersartige, aber
gleichwertige Tätigkeit ausführen kann. Die Notwendigkeit einer kurzen
Einarbeitungszeit steht der Vergleichbarkeit nicht entgegen. Es muss aber eine
alsbaldige Substituierbarkeit gewährleistet sein, weil nur dann die in § 1 Abs. 3 S. 1
KSchG genannte "Auswahl" mit dem daraus abgeleiteten Begriff der Austauschbarkeit
gegeben ist (BAG KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 23). So hat das
Bundesarbeitsgericht in der zuletzt zitierten Entscheidung eine Einarbeitungszeit von
drei Monaten für zu lang gehalten.
Hier hat der Kläger selbst in der mündlichen Verhandlung am 24.02.2006 auf eine
gerichtlichen Nachfrage hin erklärt, er benötige ca. sechs Monate, um die Aufgaben der
Arbeitnehmer G1xxxxxx oder L1xxxxx übernehmen zu können. Dieser an der üblichen
Probezeit orientierte Zeitraum ist in jedem Fall zu lang, um im Rahmen der
Sozialauswahl noch von einer alsbaldigen Austauschbarkeit ausgehen zu können.
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Abgesehen davon hält sich die von der Beklagten vorgenommene Gewichtung der vier
maßgeblichen Sozialauswahlkriterien auch im Rahmen des ihr durch § 1 Abs. 3 S. 1
KSchG eingeräumten Beurteilungsspielraums.
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So ist der Arbeitnehmer G1xxxxxx zwar jünger als der Kläger und erst gut 3 ½ Jahre
später bei der Beklagten angefangen; aber selbst wenn man seine berufstätige Ehefrau
unberücksichtigt lassen würde, hat er für 2 Kinder Unterhaltspflichten, sodass die
Sozialauswahl nicht zu beanstanden ist (vgl. die Punktetabelle von Etzel, Blick durch
die Wirtschaft Nr. 203 vom 21.10.1996, S. 10).
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Entsprechendes gilt für den Arbeitnehmer L1xxxxx. Er ist zwar auch erst 3 ½ Jahre nach
dem Kläger in den Betrieb eingetreten und hat keine Unterhaltspflichten; dafür ist er aber
etwas älter als der Kläger und weist eine Schwerbehinderung auf, die dazu führt, dass
die zu seinen Gunsten vorgenommene Sozialauswahl rechtlich nicht angreifbar ist.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.
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Dr. Müller
Kohlstadt
Petersen
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