Urteil des LAG Hamm vom 04.11.2004

LArbG Hamm: fristlose kündigung, ordentliche kündigung, einstweilige verfügung, arbeitsgericht, kündigungsfrist, wiederaufnahme, rechtskraft, unterlassen, rücknahme, anschluss

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Vorinstanz:
Schlagworte:
Normen:
Leitsätze:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Rechtskraft:
Landesarbeitsgericht Hamm, 8 Sa 1322/04
04.11.2004
Landesarbeitsgericht Hamm
8. Kammer
Urteil
8 Sa 1322/04
Arbeitsgericht Bocholt, 1 Ca 2550/02
Annahmeverzug / Leistungsbereitschaft / böswilliges Unterlassen
BGB § 615, KSchG § 11 Satz 1 Ziffer 2
Beantragt der Arbeitnehmer im Zusammenhang mit einem Antrag nach §
8 TzBfG eine einstweilige Verfügung zur Regelung seiner Arbeitszeit,
worauf ihm wegen Fehlens entspre-chender
Beschäftigungsmöglichkeiten gekündigt wird (Sachverhalt der BAG-
Entscheidung vom 16.03.2004 - 9 AZR 323/03 - NZA 2004,1047) und
beschäftigt ihn der Arbeitgeber ent-sprechend der gerichtlichen
Entscheidung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unter Andro-hung von
Schadensersatzansprüchen weiter, so stellt es kein (böswilliges
Unterlassen) anderweitigen Erwerbs dar, wenn sich der Arbeitnehmer
nach Ablauf der Kündigungsfrist arbeitslos meldet, anstatt der
Aufforderung nachzukommen, seiner (Schadensminderungspflicht) durch
Weiterarbeit zu genügen.
Die Revision wird nicht zugelassen
Die Berufung der Beklagten gegen das Schlussurteil des Arbeitsgerichts
Bocholt vom 27.05.2004 - 1 Ca 2550/02 - wird auf Kosten der Beklagten
zurückgewiesen.
T a t b e s t a n d
Mit ihrer Klage nimmt die Klägerin im Anschluss an einen erfolgreich geführten
Kündigungsrechtsstreit die Beklagte auf Zahlung von Verzugslohn in Anspruch. Dem hält
die Beklagte entgegen, ein Verzugslohnanspruch sei wegen "böswilligen Unterlassens
anderweitigen Erwerbs" ausgeschlossen, da die Klägerin nach Ablauf der Kündigungsfrist
trotz Aufforderung nicht zur Arbeit erschienen sei, sondern sich arbeitslos gemeldet habe.
Wie unstreitig ist, hatte die Beklagte mit Schreiben vom 25.06.2002 gegenüber der Klägerin
eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.09.2002 ausgesprochen,
gegen welche sich die Klägerin im Verfahren Arbeitsgericht Bocholt – 1 Ca 1659/02 – zur
Wehr setzte. Anlass für die Kündigung war die Tatsache, dass die bislang als Vollzeitkraft
tätige Klägerin im Anschluss an ihre Elternzeit eine Reduzierung ihrer Arbeitszeit mit einem
Arbeitsbeginn ab 8.00 Uhr – abweichend vom betriebsüblichen Arbeitsbeginn um 6.00 Uhr
– begehrte und die Beklagte den Standpunkt vertrat, ein solcher Arbeitsplatz könne der
Klägerin nicht zur Verfügung gestellt werden. Durch Urteil vom 08.08.2002 stellte das
Arbeitsgericht die Unwirksamkeit dieser Kündigung fest und entsprach zugleich dem
Begehren der Klägerin auf Festlegung der Arbeitszeit auf die Zeit von 8.00 bis 12.15 Uhr.
Berufung (LAG Hamm 2 Sa 1393/02) und Revision (BAG 9 AZR 323/04) der Beklagten
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blieben erfolglos. Zugleich mit der klagestattgebenden Entscheidung im Kündigungs-
schutzverfahren erließ das Arbeitsgericht durch Urteil vom selben Tage unter dem
Aktenzeichen 1 Ga 20/02 eine einstweilige Verfügung, durch welche für die Zeit bis zum
Ablauf der Kündigungsfrist (30.09.2002) der Arbeitsbeginn der Klägerin auf 8.00 Uhr
festgelegt wurde Das hiergegen gerichtete Berufungsverfahren endete nach
übereinstimmender Erledigungserklärung der Parteien im Hinblick auf den eingetretenen
Zeitablauf mit einem Kostenbeschluss zu Lasten der Beklagten.
Im Anschluss an die vorgenannten arbeitsgerichtlichen Entscheidungen vom 08.08.2002
wandte sich die Beklagte unter dem 13.08.2002 an die Klägerin mit folgendem Schreiben
(Bl. 201 d.A.):
"...
Sehr geehrte Frau B3xxxx,
der guten Ordnung halber weisen wir Sie daraufhin, dass wir den Betriebsrat mit
Schreiben vom heutigen Tage wegen der geplanten Kündigung des "Vertragskonstruktes"
des Arbeitsgerichtes Bocholt vom 08.08.2002 angehört haben.
Wir sehen uns durch Ihre Handlungen und Initiativen in einem unerträglichen
Umfang in unserer unternehmerischen Freiheit beschränkt, gegen diese Einschnitte
werden wir uns mit allen rechtlichen Mitteln zur Wehr setzen.
Wir sind der festen Überzeugung, dass das vom Arbeitsgericht Bocholt erschaffene
"Vertragskonstrukt" gegen die geltende Betriebsvereinbarung, gegen das BGB, gegen das
BetrVG und nicht zuletzt gegen unsere Verfassung verstößt (Vertragsfreiheit).
Sollte uns zukünftig der gerichtliche Nachweis gelingen, dass diese
Gesetzesverstöße vorliegen, werden wir den uns hier im Hause entstandenen Schaden
geltend machen (sog. Arbeitnehmerhaftung).
Wir melden hiermit unseren Schaden dem Grunde nach an, wir planen diesen
zivilrechtlich durchzusetzen.
..."
Weiter wandte sich die Beklagte an die Klägerin mit Schreiben vom 15.08.2002 (Bl. 202
d.A.):
"...
Sehr geehrte Frau B3xxxx,
wir haben heute die Urteile erhalten.
Wir weisen nochmals ausdrücklich daraufhin, das gemäß Urteil die
Vertragsannahme durch uns erst im Falle der Rechtskraft erfolgt (eine sogenannte
Annahmefiktion).
Es gilt damit der ursprüngliche Arbeitsvertrag mit einer 38-Stunden-Woche bis zur
Rechtskraft sämtlicher Urteile.
Arbeitszeit gemäß geltender Betriebsvereinbarung: 6 Uhr – 14:45 Uhr
Arbeitsbeginn: 19.08.2002 6 Uhr.
Sie können sicher sein, dass wir es nicht zulassen werden, dass Sie oder ein
Arbeitsgericht hier im Hause Verträge macht.
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Bei Zuwiderhandlungen müssen Sie mit einer sofortigen fristlosen Kündigung
rechnen.
Auf unser Schreiben vom 13.08.2002 wird verwiesen.
..."
Mit weiterem Schreiben vom 19.08.2002 (Bl. 203 d.A.) sprach die Beklagte gegenüber der
Klägerin sodann eine fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit der Begründung
aus, nach wie vor gelte eine 38,5-Stunden-Woche bis zur Rechtskraft sämtlicher Urteile, die
Arbeitszeit beginne gemäß geltender Betriebsvereinbarung täglich um 6.00 Uhr. Auf das
Schreiben vom 13.08.2002 werde Bezug genommen.
Infolge der ausgesprochenen fristlosen Kündigung blieb die Klägerin zunächst der Arbeit
fern. Hierauf bot die Beklagte der Klägerin zu Händen ihres Prozessbevollmächtigten mit
Schreiben vom 23.08.2002 (Bl. 20 f. der beigezogenen Akte Arbeitsgericht Bocholt – 1 Ca
2157/02) den Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrages an, was die Klägerin ablehnte.
Im Gegenzuge bot die Klägerin der Beklagten die Wiederaufnahme der Arbeit mit Wirkung
ab dem 28.08.2002 ab 8.00 Uhr an. Hierauf nahm die Beklagte unter dem 27.08.2002 die
fristlose Kündigung vom 19.08.2002 zurück, verweigerte jedoch für die Zeit vom 19.08. bis
27.08.2002 die Zahlung von Arbeitsvergütung, welche die Klägerin sodann erfolgreich
durch Urteil vom 26.09.2002 vor dem Arbeitsgericht Bocholt (1 Ca 2157/02) erstritt. Weiter
sprach die Beklagte mit Schreiben vom 02.09.2002 eine erneute ordentliche Kündigung
des Arbeitsverhältnisses zum 31.03.2003 aus, welche sie später unter dem 08.05.2003
wieder zurücknahm.
Nach Wiederaufnahme der Arbeit ab dem 28.08.2002 war die Klägerin sodann bis Freitag,
dem 27.09.2002, bei der Beklagten tätig. Am Montag, dem 30.09.2002, blieb die Klägerin
der Arbeit fern. Hierzu behauptet sie, ihr sei für diesen Tag Resturlaub erteilt worden. Die
Beklagte kündigte hierauf erneut das Arbeitsverhältnis fristlos mit Schreiben vom
30.09.2002 (Bl. 4 d.A.), welches folgenden Wortlaut hat:
"....
Sehr geehrte Frau B3xxxx,
wir kündigen hiermit fristlos den bestehenden Arbeitsvertrag.
Grund: Verletzung der Arbeitszeit.
Wir weisen nochmals ausdrücklich daraufhin, dass gemäß Urteil die
Vertragsannahme durch uns erst im Falle der Rechtskraft erfolgt (eine sogenannte
Annahmefiktion).
Es galt damit der
ursprüngliche Arbeitsvertrag
zur Rechtkraft sämtlicher Urteile.
Darüber hinaus haben Sie im Monat September nicht nur die Arbeitszeit unserer
Betriebsvereinbarung, sondern auch die vom Arbeitsgericht Bocholt festgesetzte Arbeitszeit
8 – 12.15 Uhr verletzt. Es liegen insgesamt 14 Arbeitszeitverletzungen vor.
Wir kündigen daher das Arbeitsverhältnis fristlos per sofort, hilfsweise zum
nächstmöglichen Termin.
Arbeitszeit gemäß geltender Betriebsvereinbarung: 6 Uhr – 14:45 Uhr.
Arbeitsbeginn am jedem Tag 6 Uhr.
..."
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Ebenfalls mit Schreiben vom 30.09.2002 (Bl. 22 d.A.) forderte die Beklagte die Klägerin zur
Schadensminderung auf. Das Schreiben hat folgenden Wortlaut:
"...
Sehr geehrte Frau B3xxxx,
wir haben Sie aufzufordern, der gesetzlichen Schadensminderungspflicht mit
sofortiger Wirkung
nachzukommen.
..."
Ob die Klägerin zuvor, und zwar durch den Mitunterzeichner der Schreiben vom
30.09.2002, Herrn S3xxxxxx, am 27.09.2002 aufgefordert worden war, auch über den
30.09.2002 hinaus zur Vermeidung der Verzugsfolgen zu arbeiten, ist unter den Parteien
streitig. Ihre weitere Behauptung, die Klägerin habe am 30.09.2002 erklärt, nach dem
30.09.2002 werde sie nicht mehr zur Arbeit erscheinen, hat die Beklagte zuletzt nicht
aufrecht erhalten.
In der Lohnabrechnung für den Monat September 2002 nahm die Beklagte sodann einen
Abzug in Höhe von 300,00 € brutto unter der Bezeichnung "Wg. § 254 BGB" vor, welchen
die Klägerin klageweise geltend gemacht hat. Insoweit hat sich die Beklagte durch
Teilvergleich vom 26.06.2003 zur Zahlung verpflichtet. Die Arbeitsvergütung für die Monate
Oktober 2002 bis einschließlich 26. Januar 2003 macht die Klägerin mit der vorliegenden
Klage unter Berücksichtigung bezogenen Arbeitslosengeldes geltend. Ab dem 27.01.2003
hat die Klägerin die Arbeit wieder aufgenommen, nachdem das Landesarbeitsgericht die
Berufung der Beklagten gegen das klagestattgebende Urteil des Arbeitsgerichts wegen der
Kündigung vom 25.06.2002 zurückgewiesen hat.
Die Klägerin hat – soweit für das Berufungsverfahren von Belang – im ersten Rechtszuge
beantragt,
die Beklagte zu verurteilen,
1. an die Klägerin 300,-- € brutto nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz
seit dem 01.10.2002 zu zahlen,
2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin
1.000,-- € brutto als Oktoberlohn 2002 zu zahlen abzüglich erhaltenen
Arbeitslosengeldes in Höhe von 422,81 € netto nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz
seit dem 31.10.2002,
weitere 1.000,-- € brutto als Novemberlohn 2002 zu zahlen abzüglich
Arbeitslosengeld in Höhe von 431,70 € netto nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit
dem 30.11.2002,
weitere 1.000,-- € brutto als Dezemberlohn 2002 zu zahlen abzüglich 440,49
€ netto Arbeitslosengeld nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 31.12.2002,
weitere 1.000,-- € brutto als Januarlohn 2003 zu zahlen abzüglich 230,-- €
brutto, gezahlt durch die Beklagte und abzüglich 88,87 € netto Arbeitslosengeld nebst 5%
Zinsen über dem Basiszinssatz auf den Restbetrag seit dem 01.02.2003.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Nach Erledigung weiterer Streitpunkte durch gerichtlichen Teilvergleich vom 26.06.2003
hat das Arbeitsgericht durch Schlussurteil vom 27.05.2004 (Bl. 133 ff.), auf welches wegen
des weiteren erstinstanzlichen Parteivorbringens Bezug genommen wird, nach dem
Klageantrag erkannt. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt worden, nachdem die
Beklagte die fristlose Kündigung vom 30.09.2002 später mit Schriftsatz vom 24.01.2003
zurückgenommen habe, seien die Voraussetzungen des Annahmeverzuges gemäß § 615
Satz 1 BGB gegeben. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesarbeits-
gerichts bedürfe es unter diesen Umständen keines erneuten Arbeitsangebots der Klägerin.
Ersichtlich sei die Beklagte nicht bereit gewesen, die Klägerin weiter in der Zeit von 8.00
bis 12.15 Uhr arbeitstäglich zu beschäftigen. Soweit die Beklagte im Kündigungsschreiben
vom 30.09.2002 den Arbeitsbeginn mit 6.00 Uhr angegeben habe, habe sie
möglicherweise der Klägerin eine Beschäftigung zu diesen Bedingungen anbieten wollen.
Zur Annahme eines solchen Angebots sei die Klägerin jedoch nicht verpflichtet gewesen.
Mit ihrer rechtzeitig eingelegten und begründeten Berufung vertritt die Beklagte den
Standpunkt, die Voraussetzungen des Annahmeverzuges seien vorliegend nicht gegeben.
Noch am 27.09.2002 sei die Klägerin ausdrücklich auf ihre Verpflichtung zum weiteren
Erscheinen über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus hingewiesen worden; dies habe
sich ausdrücklich auch auf den Zeitpunkt des Arbeitsbeginns um 8.00 Uhr bezogen
(Beweis: Seggewiß). Entgegen der Behauptung der Klägerin sei ihr – der Klägerin – für
den 30.09.2002 auch kein Urlaub erteilt worden (Beweis: Enk). Darüber hinaus sei die
Klägerin nach Ausspruch der fristlosen Kündigung vom 30.09.2002 mit Schreiben vom
selben Tage ausdrücklich zur Schadensminderung aufgefordert worden, was den
Umständen nach selbstverständlich die Wiederaufnahme der Arbeit bei der Beklagten, und
zwar um 8.00 Uhr, bedeutet habe. Indem die Klägerin gleichwohl der Arbeit ferngeblieben
sei, habe es ihr ersichtlich an der Leistungsbereitschaft i.S. des § 297 BGB gefehlt. Darüber
hinaus seien jedenfalls die Voraussetzungen des "böswilligen Unterlassens" gemäß § 615
Satz 2 BGB, § 11 Satz 1 Nr. 2 KSchG erfüllt. Von einer Unzumutbarkeit der
Arbeitsaufnahme im Betrieb der Beklagten könne keine Rede sein. Allein die Tatsache,
dass die Beklagte mit Nachdruck an ihrem Rechtsstandpunkt zur Wirksamkeit der
Kündigung vom 25.06. zum 30.09.2002 festgehalten habe und weiter – wie aus der
nunmehr eingelegten Verfassungsbeschwerde ersichtlich – in der Regelung des Teilzeit-
und Befristungsgesetzes einen unzulässigen Eingriff in die unternehmerische Freiheit
sehe, bedeute nicht, dass schon aus diesem Grunde der Klägerin die Fortführung der
Arbeit unzumutbar sei.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die arbeitsgerichtliche Entscheidung als zutreffend und tritt insbesondere dem
Standpunkt der Beklagten entgegen, sie habe den Erwerb anderweitigen Verdienstes
böswillig unterlassen. Zum einen habe die Beklagte durch die fristlose Kündigung vom
30.09.2002 und die hierin enthaltenen weiteren Ausführungen deutlich gemacht, dass sie
nicht bereit sei, die Klägerin künftig weiter ab 8.00 Uhr zu beschäftigen; dementsprechend
könne das weitere Schreiben der Beklagten vom 30.09.2002 zur "Schadensminderungs-
pflicht" der Klägerin nur in dem Sinne verstanden werden, die Klägerin solle sich arbeitslos
melden. Zum anderen könne unter Berücksichtigung des gesamten Prozessverhaltens der
Beklagten ohnehin nicht von einem böswilligen Unterlassen ausgegangen werden.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Die Berufung der Beklagten bleibt ohne Erfolg.
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I
Der Klägerin steht die begehrte Arbeitsvergütung, wie das Arbeitsgericht zu Recht erkannt
hat, unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges zu. Die Beklagte befand sich infolge
der unwirksamen Kündigung während der Anspruchsdauer mit der Annahme der Dienste in
Verzug (1), ohne dass Leistungswille und Leistungsbereitschaft der Klägerin in Zweifel ge-
zogen werden können (2). Ebenso wenig liegen die Voraussetzungen des "böswilligen
Unterlassens" vor (3). Weder hat nämlich die Beklagte mit der Aufforderung zur
"Schadensminderung" eine Beschäftigung zur vorangehend vereinbarten Arbeitszeit von
8.00 bis 12.15 Uhr angeboten, noch war der Klägerin die Annahme eines solchen
Angebots unter den vorliegenden Umständen überhaupt zumutbar.
1. Sowohl durch den Ausspruch der ordentlichen Kündigung vom 25.06. zum 30.09.2002
wie auch durch die weitere fristlose Kündigung vom 30.09.2002 hat die Beklagte zum
Ausdruck gebracht, dass sie das zwischen den Parteien begründete Arbeitsverhältnis für
beendet hielt und dementsprechend zur Annahme der Arbeit als vertragsgemäßer Leistung
nicht bereit sei. Unabhängig davon, ob und zu welchen Bedingungen die Beklagte unter
Aufrechterhaltung ihres Rechtsstandpunktes zur vorläufigen Beschäftigung für die Dauer
des Prozesses bereit war, geriet die Beklagte damit in Annahmeverzug im Sinne des § 615
Satz 1 BGB (BAG AP § 615 BGB Nr. 34, 39,79 m.w.N.).
2. Entgegen dem Standpunkt der Beklagten scheidet ein Annahmeverzug vorliegend auch
nicht deshalb aus, weil die Klägerin ohnehin nicht leistungsbereit und arbeitswillig
gewesen wäre.
a) Allein die Tatsache, dass die Klägerin am 30.09.2002 der Arbeit ferngeblieben ist, um
Resturlaub zu nehmen, lässt keinen Schluss auf einen fehlenden Arbeitswillen zu. Dies gilt
auch dann, wenn die Klägerin – der Behauptung der Beklagten folgend – keinen Urlaub
erteilt erhalten hatte. Allenfalls läge ein unentschuldigtes Fehlen am fraglichen Tage vor.
b) Soweit die Beklagte des Weiteren vorgetragen hat, die Klägerin habe am 30.09.2002
erklärt, sie werde danach nicht mehr zur Arbeit erscheinen – so der erstinstanzliche Schrift-
satz der Beklagten vom 19.04.2004 (Bl. 126 d.A.) sowie Seite 10 der Berufungsbegründung
(Bl. 161 d.A.) –, hat die Beklagte an diesem Vortrag zuletzt nicht mehr festgehalten.
Vielmehr hat der zugleich als Zeuge benannte Herr S3xxxxxx in der mündlichen
Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht als Parteivertreter erklärt, in seinem Beisein sei
eine solche Äußerung – weder am 27.09.2002 noch gar am 30.09.2004 – nicht gefallen, er
habe zuletzt am 27.09.2002 mit der Klägerin gesprochen und ihr erklärt, es gehe nicht an,
dass die Klä- gerin Geld erhalte ohne zu arbeiten; dass die Klägerin erklärt habe, sie
komme nach dem 30.09.2002 sowieso nicht wieder, treffe jedoch nicht zu. Hieraus ergibt
sich aber allein die
Bereitschaft und Erwartung der Beklagten, die Klägerin werde auch nach Ablauf der
Kündigungsfrist die Arbeit fortführen. Dass die Klägerin ohnehin – selbst bei Rücknahme
der Kündigung – nicht mehr arbeiten wollte, trifft hingegen nicht zu.
3. Entgegen dem Standpunkt der Beklagten ist der Anspruch der Klägerin auf Zahlung von
Verzugslohn auch nicht unter dem Gesichtspunkt "böswilligen Unterlassens"
ausgeschlossen.
Unstreitig hat sich die Klägerin ab dem 01.10.2002 arbeitslos gemeldet und das bezogene
Arbeitslosengeld von der Vergütungsforderung in Abzug gebracht. Demgegenüber war die
Klägerin unter den vorliegenden Umständen nicht verpflichtet, ihre Arbeitskraft nach dem
30.09.2002 der Beklagten zur Verfügung zu stellen, um die Folgen "böswilligen
Unterlassens" zu vermeiden.
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a) Zum einen hatte die Beklagte im Kündigungsschreiben vom 30.09.2002 ausdrücklich
erklärt, die maßgebliche Arbeitszeit gelte gemäß der Betriebsvereinbarung von 6.00 bis
14.45 Uhr, Arbeitsbeginn sei täglich 6.00 Uhr. Auf dieser Grundlage konnte die im weiterem
Schreiben vom 30.09.2002 enthaltene Aufforderung zur Schadensminderung kaum anders
verstanden werden, als dass die Klägerin künftig ihre Arbeit wieder um 6.00 Uhr beginnen
sollte. Eben dieses Verständnis liegt auch dem eigenen Anwaltsschriftsatz der
Beklagtenseite vom 19.04.2004 (Bl. 126 d.A.) zugrunde. Hierin heißt es, indem die Klägerin
am 30.09.2003 erklärt habe, sie nehme jetzt ihren Resturlaub und werde nicht mehr zur
Arbeit erscheinen, habe
"die Klägerin die gerichtlich festgelegte Arbeitszeit selbst abgelehnt. Folgerichtig hat
der Zeuge S3xxxxxx auch deshalb wieder die Arbeitszeit auf die Zeit zurückgeführt, die laut
Arbeitsvertrag/ Betriebsvereinbarung ursprünglich festgelegt worden war, nämlich von 6.00
bis 14.45 Uhr."
Auch wenn also der Klägerin durch Herrn S3xxxxxx am 27.09.2002 noch erklärt worden
war, sie solle auch über den 30.09.2002, und zwar ab 8.00 Uhr, tätig sein, war diese Auf-
forderung infolge der fristlosen Kündigung vom 30.09.2002 und der im Kündigungsschrei-
ben enthaltenen Neufestlegung der Arbeitszeit gegenstandslos. Selbst wenn man dies an-
ders sieht, wäre es jedenfalls Sache des Beklagten gewesen, die entstandenen Unklarhei-
ten auszuräumen und der Klägerin förmlich – wie dies im Anschluss an die fristlose Kündi-
gung vom 19.08.2002 geschehen war –, eine Prozessbeschäftigung unter Festlegung der
maßgeblichen Arbeitszeit anzubieten. Sollte es – wegen Fehlens einer eindeutigen
Regelung – zu einem Missverständnis unter den Parteien gekommen sein, rechtfertigt dies
jedenfalls nicht die Annahme einer "Böswilligkeit" der Klägerin.
b) Zum anderen muss unter den vorliegenden Umständen ohnehin davon ausgegangen
werden, dass der Klägerin die Wiederaufnahme der Arbeit unter den vorliegenden
Umständen unzumutbar war, solange die Beklagte an der fristlosen Kündigung vom
30.09.2002 festhielt. Nachdem die Beklagte erst mit Wirkung vom 26.01.2003 die fristlose
Kündigung vom 30.09.2002 zurückgenommen und die Klägerin ihre Arbeit am 27.01.2003
wieder aufgenommen hat, lagen damit im Anspruchszeitraum die Voraussetzungen des
Annahmeverzuges vor.
(1) Richtig ist zwar, dass grundsätzlich dem Arbeitnehmer, der sich mit der
Kündigungsschutzklage gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses wendet und
dessen Fortführung er erstrebt, in aller Regel zumutbar ist, sich auf ein entsprechendes
Angebot des Arbeitgebers einzulassen, für die Dauer des Prozesses die Arbeit zu den
bisherigen Bedingungen im Betrieb wieder aufzunehmen. Dies gilt unabhängig davon, ob
der Arbeitnehmer seinerseits einen Weiterbeschäftigungstitel erstritten hat, mit dessen Hilfe
er gegebenenfalls auch zwangsweise die Beschäftigung durchsetzen könnte oder ob etwa
der Arbeitgeber noch vor Erlass eines erstinstanzlichen Urteils die vorläufige
Weiterbeschäftigung anbietet. Dementsprechend bedarf es besonderer Gründe, wenn der
Arbeitnehmer eine angebotene Prozessbeschäftigung ablehnt, gleichwohl aber die
Zahlung von Arbeitsvergütung unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges begehrt.
(2) Auch der Umstand, dass der Arbeitgeber die von ihm ausgesprochene Kündigung mit
Nachdruck verteidigt, macht als solcher die Durchführung einer Prozessbeschäftigung nicht
unzumutbar. Die Klägerin trägt auch selbst nicht vor, dass sie während der Dauer ihrer
Beschäftigung bis zum 30.09.2002 und seit Wiederaufnahme der Arbeit ab dem 27.01.2003
gezielten Schikanen am Arbeitsplatz ausgesetzt gewesen sei. Soweit die der Klägerin
zugewiesenen Tätigkeiten nicht vertragsgerecht gewesen sein sollten, hat die Klägerin
hierin jedenfalls selbst keinen Unzumutbarkeitsgrund gesehen.
(3) Vorliegend ist allerdings die Besonderheit zu beachten, dass die Beklagte der Klägerin
mit Schreiben vom 13.08. und 15.08.2002 angedroht hatte, den ihr entstehenden Schaden
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in Form der "sog. Arbeitnehmerhaftung" zivilrechtlich durchzusetzen. Die vom
Arbeitsgericht durch Urteil vom 08.08.2002 festgelegte Arbeitszeit von 8.00 bis 12.15 Uhr
stellte nach dem erklärten Standpunkt des Arbeitgebers ein gesetz- und
verfassungswidriges Vorgehen dar, für dessen Folgen die Klägerin bei Aufrechterhaltung
ihres Standpunkts sollte einstehen müssen. Nachdem die Klägerin der Aufforderung, die
Arbeit um 6.00 Uhr zu beginnen, in der Folgezeit nicht nachkam, hatte die Beklagte mit
Schreiben vom 19.08.2002 das Arbeitsverhältnis fristlos gekündigt und hierbei erneut auf
den Inhalt ihres Schreibens vom 13.08.2002 verwiesen. Nach Rücknahme dieser
Kündigung und Wiederaufnahme der Arbeit aufgrund der zwischen den Parteien
getroffenen Absprache zum 28.08.2002 hat die Beklagte in konsequenter Fortführung ihrer
Haltung die Zahlung von Arbeitsvergütung für die Dauer der Nichtbeschäftigung abgelehnt
und darüber hinaus – wie aus der Lohnabrechnung für den Monat September ersichtlich -
der Klägerin tatsächlich einen Betrag von 300,00 € "wegen Mitverschuldens" vom Lohn
abgezogen.
Wenn die Klägerin unter diesen Umständen allein bis zum Ablauf der Kündigungsfrist
(30.09.2002) zur Arbeit bereit war – andernfalls hätte ihr nach Rücknahme der fristlosen
Kündigung vom 19.08.2002 u.U. der Vorwurf einer Arbeitsverweigerung gedroht –, für die
Folgezeit hingegen in Anbetracht der ersichtlich ernst gemeinten Schadensersatz-
forderungen der Beklagten eine Tätigkeit über den 30.09.2003 für unzumutbar erachtete,
erscheint dies bei objektiver Betrachtung durchaus als nachvollziehbar. Mit der fristlosen
Kündigung vom 30.09.2003 hatte die Beklagte wiederum einen neuen Streit entfacht,
indem sie der Klägerin – zumal ohne vorangehende Abmahnung – nicht nur einen
verspäteten Arbeitsbeginn in 14 Fällen mit der Begründung vorhielt, ein Abstempeln kurz
vor 8.00 Uhr entspreche nicht dem vom Arbeitsgericht festgelegten Arbeitsbeginn; darüber
hinaus enthielt das Kündigungsschreiben den erneuten Vorwurf, die Klägerin verletze die
nach wie vor maßgebliche Arbeitszeit, welche gemäß der Betriebsvereinbarung um 6.00
Uhr beginne. Unabhängig von der Vereinbarung der Parteien über die Wiederaufnahme
der Arbeit nach Rücknahme der fristlosen Kündigung vom 19.08.2002 und die
Beschäftigung der Klägerin zu den von ihr gewünschten Zeiten ließ nach dem Standpunkt
der Beklagten die tatsächliche Beschäftigung der Klägerin ab 8.00 Uhr – nicht anders als
eine durch Zwangsvollstreckung erzwungene Beschäftigung – den Vorwurf
vertragswidrigen Handeln unberührt. Unter diesen Umständen war es für die Klägerin aber
unzumutbar, sich über den Ablauf der Kündigungsfrist (30.09.) hinaus dem Vorwurf einer
permanenten Pflichtverletzung und der bereits angedrohten "Arbeitnehmerhaftung"
auszusetzen.
(4) Etwas anderes folgt auch nicht aus der Tatsache, dass die Klägerin zu einem späteren
Zeitpunkt – ab dem 27.01.2003 – ihre Beschäftigung bei der Beklagten wieder
aufgenommen hat. Dieser Umstand findet seine Erklärung ersichtlich in der Tatsache, dass
das Landesarbeitsgericht im Kündigungsrechtsstreit durch Urteil vom 15.01.2003 die
Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die vom Arbeitsgericht ausgeurteilte
Verpflichtung der Beklagten, die zeitliche Lage der Arbeitszeit nach Antrag der Klägerin
festzulegen, bestätigt hatte. In diesem Zusammenhang hatte die Beklagte zunächst in
Aussicht gestellt, die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts hinzunehmen und auf die
Durchführung des Revisionsverfahrens zu verzichten. Wenn die Klägerin sich unter diesen
Umständen in ihrer Rechtsauffassung bestätigt sah und sich dazu entschloss, wieder im
Betrieb tätig zu werden, so steht dies nicht in Widerspruch zu der vorstehenden
Feststellung, dass jedenfalls im vorangehenden Zeitraum, auf welchen sich die verfolgten
Verzugslohnansprüche beziehen, der Klägerin die vorläufige Weiterarbeit im Betrieb aus
den dargestellten Gründen nicht zuzumuten war.
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Die Kosten der erfolglosen Berufung hat die Beklagte zu tragen.
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Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Soweit die Beklagte
in der mündlichen Verhandlung bereits die Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde in
Aussicht gestellt hat, wird auf die Rechtsmittelbelehrung am Ende des Urteils verwiesen.
Dr. Dudenbostel
Menzel
Taschner
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