Urteil des LAG Hamm vom 13.08.2009
LArbG Hamm (krankenhaus, kläger, zeitlich befristet, arbeitsverhältnis, bundesrepublik deutschland, kirchliche stiftung, ambulante behandlung, allgemeine bedingungen, behandlung, bag)
Landesarbeitsgericht Hamm, 16 Sa 1684/08
Datum:
13.08.2009
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
16. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
16 Sa 1684/08
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Bielefeld, 3 Ca 1583/08
Nachinstanz:
Bundesarbeitsgericht, 4 AZR 753/09
Leitsätze:
Für die Charakterisierung einer stationären Einrichtung der
Behindertenhilfe als "Kranken-haus" im Sinne des § 1 I TV-Ärzte-KF ist
auf die Begriffsdefinition in § 2 I KHG abzustellen.
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts
Bielefeld vom 01.10.2008 – 3 Ca 1583/08 – wird kostenpflichtig
zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Streitwert: 18.600,-- €
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über die Frage, welche Arbeitsvertragsbedingungen, ob der BAT-
KF neu oder TV-Ärzte-KF, auf ihr Arbeitsverhältnis Anwendung finden.
2
Der am 15.12.1955 geborene Kläger ist seit dem 16.12.1985 bei der Beklagten
beschäftigt. Er ist Facharzt für Psychiatrie und Neurologie und im Stiftungsbereich
Behindertenhilfe eingesetzt. Seit dem 01.09.1993 ist er als Oberarzt tätig und dem
Leitenden Arzt des Fachbereichs unterstellt. Das Arbeitsverhältnis richtet sich nach dem
in diesem Zusammenhang abgeschlossenen schriftlichen Arbeitsvertrag vom
17.06.1993. Nach dessen § 1 Abs. 3 gelten für das Arbeitsverhältnis die Bestimmungen
des Bundes-Angestelltentarifvertrages in der für die Angestellten im Bereich der
Evangelischen Kirche von Westfalen jeweils geltenden Fassung sowie die sonstigen für
diese Angestellten beschlossenen arbeitsrechtlichen Bestimmungen, wie sie aufgrund
des Kirchengesetzes über das Verfahren zur Regelung der Arbeitsverhältnisse der
Mitarbeiter im Kirchlichen Dienst vom 25.10.1979 und seinen Änderungen geregelt sind.
Zu den weiteren Einzelheiten der arbeitsvertraglichen Bestimmungen wird auf Bl. 6 – 9
d.A. Bezug genommen.
3
Die Beklagte ist eine kirchliche Stiftung privaten Rechts mit etwa 10.000
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Ihr breit gefächertes Aufgabengebiet hat sie in
verschiedene Stiftungsbereiche aufgeteilt. Der Stiftungsbereich Behindertenhilfe, in dem
der Kläger tätig ist, verfügte im Jahre 2008 über insgesamt 1.608 Plätze. Neben den
Heimen, in denen 1.204 Bewohner untergebracht werden können, gibt es im Bereich
der Behindertenhilfe ein Fachkrankenhaus, das 404 Plätze hat. Der Kläger ist
überwiegend im Bereich des Fachkrankenhauses eingesetzt. Dieses ist in den
Krankenhausbedarfsplan des Landes Nordrhein-Westfalen aufgenommen.
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Im Stiftungsbereich Behindertenhilfe sind etwa 2.000 Beschäftigte tätig. Es ist eine
Mitarbeitervertretung gebildet. Nach den Angaben der Beklagten – vom Kläger im
Einzelnen mit Nichtwissen bestritten – sind in den Fachkrankenhäusern insgesamt 457
Mitarbeitende eingesetzt. Neben dem Leitenden Arzt gehören zum Ärztlichen Dienst fünf
Ärzte und Ärztinnen. Daneben gibt es 235 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die die
Beklagte dem Pädagogischen Bereich zuordnet, 65 Mitarbeitende beim pflegerischen
Personal, 147 unterstützende Hilfskräfte, 32 im Bereich der Fachdienste Beschäftigte
und 39 im hauswirtschaftlichen Bereich eingesetzte Mitarbeitende. Weiteres Personal ist
in der Verwaltung tätig bzw. als Auszubildende und Praktikanten. Zu der Aufgliederung
im Einzelnen wird auf Bl. 252 bis 253 d.A. Bezug genommen. Die im Fachkrankenhaus
tätigen Ärzte sind berechtigt, Arzneimittel und andere Heilmittel zu verordnen.
5
Nachdem in der Arbeitsrechtlichen Kommission eine Einigung über die Neufassung des
BAT-KF nicht zustande gekommen war, beschloss die Arbeitsrechtliche
Schiedskommission für Rheinland-Westfalen-Lippe in ihrer Sitzung am 22.10.2007 den
BAT-KF/MTArb-KF gemäß der Vorlage 13/2007 einschließlich der
Übergangsregelungen zu ändern. Die Änderungen und die Übergangsregelungen
sollten am 01.07.2007 in Kraft treten. Ob und inwieweit durch die Arbeitsrechtliche
Kommission am 21.11.2007 eine redaktionelle Überarbeitung bzw. eine Änderung der
Vorlage Nr. 13/2007 beschlossen worden ist, ist zwischen den Parteien streitig. Im
Kirchlichen Amtsblatt vom 14.12.2007 wurde sowohl der Beschluss der
Arbeitsrechtlichen Schiedskommission veröffentlicht als auch der Text einer
redaktionellen Anpassung der Arbeitsrechtsregelung zur Neufassung des BAT-KF, des
MTA-KF und der Übergangsregelungen.
6
Mit der Neufassung des BAT-KF wurde für Ärzte als Anlage 6 eine besondere Regelung
beschlossen, den TV-Ärzte-KF neu. Die Überleitungsregelung für Ärzte, der TVÜ-Ärzte-
KF, ist in Anlage 7 zum BAT-KF enthalten. Mit einem an alle Ärzte und Ärztinnen des
Stiftungsbereichs gerichteten Schreiben des Leitenden Arztes Prof. Dr. S2 vom
08.11.2007 (Bl. 241 d.A.) informierte dieser die Ärztinnen und Ärzte über die
wesentlichen Inhalte der neuen Bestimmungen. Zugleich heißt es in diesem Schreiben,
dass noch keine Aussagen möglich seien, zu welchem Zeitpunkt und in welcher Form
die rückwirkende Abwicklung der neuen Regelungen in der Lohn- und
Gehaltsabrechnung umgesetzt werden könne. Mit weiterem Schreiben vom 12.11.2007
(Bl. 244 d.A.) teilte der Leitende Arzt des Weiteren mit, dass ab sofort alle Ärztinnen und
Ärzte, die eine Vollzeitstelle hätten, 42 Wochenstunden arbeiten sollten. Mit einem
Schreiben vom 20.12.2007 (Bl. 246 d.A.) informierte die Beklagte die Ärztinnen und
Ärzte darüber, dass hinsichtlich der zukünftigen Eingruppierung der Ärztinnen und Ärzte
in den Heim- und Fachkrankenhausbereichen der Anstalt B1 noch Unklarheiten
auszuräumen seien. Mit E-Mail vom 16.01.2008 (Bl. 164 d.A.) widerrief der Leitende Arzt
die Anweisung, 42 Wochenstunden zu arbeiten. Die Eingruppierung des Klägers nahm
7
die Beklagte in die Entgeltgruppe 15 der Berufsgruppe 6 – Mitarbeiterinnen mit
abgeschlossener wissenschaftlicher Hochschulausbildung – des Allgemeinen
Entgeltgruppenplans zum BAT-KF neu vor. Hierfür beläuft sich das Tabellenentgelt auf
5.276,07 €. Zusätzlich erhält der Kläger eine Arztzulage in Höhe von 409,03 €.
Nachdem der Kläger mit Schreiben vom 22.03.2008 (Bl. 23 – 24 d.A.) geltend gemacht
hatte, dass der TV-Ärzte-KF auf sein Arbeitsverhältnis Anwendung finde, und die
Beklagte ihm mit Schreiben vom 01.04.2008 (Bl. 25 d.A.) mitgeteilt hatte, dass der
Ärztliche Dienst im Stiftungsbereich Behindertenhilfe kein Ärztlicher Dienst eines
Krankenhauses sei, verfolgt der Kläger mit seiner am 10.06.2008 beim Arbeitsgerichts
eingegangenen Klage die Feststellung, dass der TV-Ärzte-KF seit dem 01.07.2007 auf
sein Arbeitsverhältnis Anwendung finde.
Der Kläger hat sich darauf berufen, dass aus dem eindeutigen und zweifelsfreien
Wortlaut des § 2 in Verbindung mit § 1 Abs. 1 TVÜ-Ärzte-KF folge, dass alle Ärzte, die
am 30.06.2007 im Arbeitsverhältnis gestanden hätten und dem BAT-KF unterlegen
seien, unabhängig vom konkreten Tätigkeitsbereich, am 01.07.2007 in den TVÜ-Ärzte-
KF übergeleitet worden seien. Darüber hinaus handele es sich bei dem
Fachkrankenhaus um ein Krankenhaus. Im Übrigen verweist er darauf, dass sich seine
Tätigkeit nicht wesentlich von der eines Arztes an einem "normalen" Krankenhaus
unterscheide, was sich auch aus dem Konzept der Beklagten für den Ärztlichen Dienst
des Stiftungsbereiches Behindertenhilfe (Bl. 71 bis 75 d.A.) ergebe.
8
Der Kläger hat beantragt,
9
festzustellen, dass auf das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis
mit Wirkung zum 01.07.2007 der TV-Ärzte-KF (Anlage 6 zum BAT-KF)
Anwendung findet.
10
Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
12
Sie hat sich darauf bezogen, dass der Kläger nicht an einem Krankenhaus im Sinne der
tariflichen Regelungen beschäftigt sei. Bei dem Fachkrankenhaus handele es sich nicht
um ein gewöhnliches Krankenhaus, da es kein A2 sei. Es unterscheide sich nicht
wesentlich von den Heimen im Bereich der Behindertenhilfe. Die Verweildauer der
Patienten sei im Fachkrankenhaus gleichzusetzen mit denen im Heimbereich. Die
Tätigkeit des Klägers sei eher mit der eines Hausarztes zu vergleichen als mit der eines
Arztes an einem Krankenhaus. Im Übrigen hat sie die Auffassung vertreten, dass nach
den tariflichen Vorschriften eine Überleitung des Arbeitsverhältnisses der Parteien in
den TV-Ärzte-KF nicht stattgefunden habe.
13
Durch Urteil vom 01.10.2008, auf das wegen der weiteren Einzelheiten des
erstinstanzlichen Sach- und Streitstands Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht
nach dem Klageantrag entschieden. Das Fachkrankenhaus, in dem der Kläger
überwiegend tätig sei, sei ein Krankenhaus im Sinne des § 1 TV-Ärzte-KF.
Entscheidend sei, dass die Patienten eine medizinische Behandlung erhielten, die über
die reine Heimunterbringung hinausgehe. So sei das Fachkrankenhaus auch im
Krankenhausplan NRW enthalten.
14
Gegen dieses, ihr am 08.10.2008 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 06.11.2008
15
Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum
09.01.2008 fristgerecht begründet.
Sie ist der Auffassung, dass die Tätigkeit am Fachkrankenhaus nicht die
Voraussetzungen des in § 1 geregelten Geltungsbereichs des TV-Ärzte-KF erfülle. Das
Fachkrankenhaus sei kein Krankenhaus im Sinne der tariflichen Vorschrift. Die
Fachkrankenhäuser seien für Menschen mit komplexer Mehrfachbehinderung und
chronischer Erkrankung eingerichtet. Sie böten den Bewohnern ein Leben in
Wohngruppen mit einem kombinierten Behandlungs- und Betreuungskonzept. Die
Arbeit des Ärztlichen Dienstes sei ein Teil des komplexen Hilfsangebots für diese
Menschen. Dabei liege der Schwerpunkt in der epileptologischen, psychiatrischen und
neurologischen Versorgung der betreuten Menschen. Es würden diagnostische und
therapeutische, präventive und rehabilitative, aber auch eine Vielzahl von
sozialmedizinischen Aufgaben wahrgenommen. Der Aufenthalt der betreuten Menschen
sei nicht zeitlich befristet und nicht an die Erreichung eines Therapieziels geknüpft. Die
Ärzte und Ärztinnen seien in den Fachkrankenhäusern und in den Heimen nicht
permanent persönlich präsent. Dies sei nicht notwendig. Gewährleistet werde eine
ständige Erreichbarkeit der Ärzte und Ärztinnen. Richtigerweise werde unter einem
Krankenhaus eine Einrichtung verstanden, deren Leistungen durch die Krankenkassen,
insbesondere die gesetzlichen Krankenkassen, nach dem SGB V finanziert würden.
Dies entspreche dem allgemeinen Sprachgebrauch. Demgegenüber finde die
Finanzierung der Fachkrankenhäuser der Beklagten auf der Grundlage des SGB XII
(Sozialhilfe) statt und dort wiederum nach den Vorschriften der §§ 53 ff.
(Eingliederungshilfe für behinderte Menschen). Dass die Fachkrankenhäuser im
Krankenhausplan NRW enthalten seien, sei nur eine Frage der politisch gewollten
staatlichen Investitionsförderung. Im Übrigen behauptet sie, die Arbeitsrechtliche
Kommission habe in ihrer Sitzung am 21.11.2007 rückwirkend zum 01.07.2007 den Text
der Vorlage 13/2007 redaktionell überarbeitet sowie, um die Rückwirkung der
Umstellung zu vereinfachen, Übergangsregelungen beschlossen.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 01.10.2008 (GZ.: 3 Ca 1583/08)
abzuändern und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er bestreitet, dass die Arbeitsrechtliche Kommission bzw. die Schiedskommission den
BAT-KF in der von der Beklagten behaupteten – sogenannten einschränkenden –
Fassung verabschiedet hätten. Im Übrigen verweist er darauf, dass die Verweildauer
eines Patienten über den Charakter einer Einrichtung als Krankenhaus oder Heim
nichts aussage. Die Besonderheit der Patienten im Fachkrankenhaus liege in der
Schwere und Vielfalt der Erkrankungen. Diese seien in der Regel nicht heilbar. Daraus
resultiere dann gegebenenfalls auch die Notwendigkeit einer jahrelangen
medizinischen Behandlung. Das Therapieziel bestehe in der Verbesserung und
Stabilisierung der im Fachkrankenhaus behandelten Erkrankungen. Dies mache
deutlich, dass eine vorwiegend medizinische Behandlung der Patienten stattfinde. Für
den Aufenthalt im Fachkrankenhaus werde in der Regel von den Kostenträgern keine
unbefristete, sondern nur eine befristete Kostenzusage erteilt. Könne das Ziel einer
21
Verbesserung bzw. Stabilisierung des Gesundheitszustandes nicht mehr erwartet
werden, verlange der Kostenträger die Unterbringung in einer kostengünstigeren
Betreuungseinrichtung. Im Fachkrankenhaus erfolge die Entlassung, die von heute auf
morgen geschehen könne, immer durch den zuständigen Arzt, während dies für die
Heime der Behindertenhilfe nicht der Fall sei. Im Übrigen wird zu der vom Kläger
vorgenommenen Darstellung der ärztlichen Arbeit im Fachkrankenhaus auf Bl. 212 –
217 d.A. verwiesen, deren Inhalt zwischen den Parteien in Teilen unstreitig ist.
Zum weiteren Sachvortrag der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die zwischen
ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
22
Entscheidungsgründe
23
Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.
24
Das Arbeitsgericht hat dem Feststellungsbegehren des Klägers zu Recht entsprochen.
25
I
26
Der Feststellungsantrag ist, wovon auch das Arbeitsgericht ausgegangen ist,
entsprechend der in der mündlichen Verhandlung am 30.04.2009 vorgenommen
Präzisierung nach § 256 Abs. 1 ZPO zulässig.
27
Zwar muss ein Feststellungsantrag im Sinne des § 256 ZPO auf das Bestehen oder
Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses gerichtet sein. Damit soll jedoch nur
ausgeschlossen werden, dass einzelne Vorfragen oder Elemente eines
Rechtsverhältnisses und abstrakte Rechtsfragen zum Gegenstand einer
Feststellungsklage gemacht werden. Als Rechtsverhältnis im Sinne des § 256 ZPO wird
deshalb auch der einzelne aus ihm entspringende Anspruch angesehen. Mit seinem
Antrag begehrt der Kläger die gerichtliche Entscheidung darüber, ob sein
Arbeitsverhältnis inhaltlich durch den TV-Ärzte-KF bestimmt ist. Die Parteien streiten
deshalb über das Bestehen einer konkreten Anspruchs- und Pflichtenbeziehung (vgl.
BAG vom 16.09.1998, 5 AZR 153/97, NZA 1999, 384).
28
II
29
Die Feststellungsklage ist auch begründet.
30
Dies folgt allerdings weder aus den Erklärungen, die die Beklagte nach dem Beschluss
der Arbeitsrechtlichen Schiedskommission gegenüber den bei ihr beschäftigten
Ärztinnen und Ärzte abgegeben hat, noch lässt sich das Ergebnis auf den TVÜ-Ärzte KF
stützen. Die Anwendung des TV-Ärzte-KF ergibt sich vielmehr originär daraus, dass der
Kläger Arzt an einem Krankenhaus im Sinne des Geltungsbereichs (§ 1 Abs. 1 TV-
Ärzte-KF) ist.
31
1) Auf das Arbeitsverhältnis findet der TV-Ärzte-KF Anwendung. Die Parteien haben im
Arbeitsvertrag vom 17.06.1993 nicht nur die Anwendung des BAT-KF in der jeweils
geltenden Fassung, sondern auch die Anwendung aller sonstigen für die Angestellten
im Bereich der Evangelischen Kirche von Westfalen beschlossenen arbeitsrechtlichen
Bestimmungen vereinbart.
32
2) Einen Anspruch auf umfassende Anwendung des TV-Ärzte-KF kann der Kläger
allerdings nicht aus den Schreiben des Leitenden Arztes Prof. Dr. S2 vom 08.11.2007
bzw. 12.11.2007 herleiten. Es handelt sich bei dem Schreiben vom 08.11.2007 um ein
bloßes Informationsschreiben, das keine Aussagen zu einer von der Beklagten
beabsichtigten umfassenden Anwendung der Anlage 6, des TV-Ärzte-KF, enthält. Mit
Schreiben vom 12.11.2007 ist zwar die Arbeitszeit für alle Ärztinnen und Ärzte auf eine
42-Stunden-Woche bzw. für Teilzeitbeschäftigte auf einen zeitanteiligen Umfang
heraufgesetzt worden. Dem Schreiben ist jedoch zu entnehmen, dass dies – vorsorglich
– geschehen ist, um einem eventuellen gehaltsschädlichen Auflaufen von
Minusstunden vorzubeugen. Zur Anwendbarkeit des TV-Ärzte-KF auf alle Ärztinnen und
Ärzte, unabhängig davon, ob sie an Krankenhäusern beschäftigt sind, verhält sich
dieses Schreiben nicht.
33
3) Ebenso wenig kann der Kläger sein Feststellungsbegehren auf den Tarifvertrag zur
Überleitung der Ärztinnen und Ärzte (TVÜ-Ärzte-KF) in den TV-Ärzte-KF stützen. Der
Regelungsgegenstand des TV-Ärzte-KF umfasst nicht die Anwendbarkeit des TV-Ärzte-
KF im Ganzen. Dies gibt weder der Wortlaut der getroffenen Regelung her, noch lässt es
sich aus den systematischen Zusammenhängen ableiten. Das Gericht hat dies in dem
Parallelverfahren der Kollegin des Klägers 16 Sa 1729/08 mit Urteil vom 13.08.2009
ausführlich begründet. Dem Kläger, der durch dieselbe Bevollmächtigte wie die dortige
Klägerin vertreten wird, sind diese Gründe im Einzelnen bekannt. Hierauf wird Bezug
genommen.
34
4) Indes wird das Arbeitsverhältnis des Klägers vom Geltungsbereich des § 1 Abs. 1 TV-
Ärzte-KF erfasst. Der Kläger ist Arzt an einem Krankenhaus. Dies ergibt die Auslegung
des auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findenden Kirchlichen Regelungswerks.
35
a) Bei diesem als "Tarifvertrag" bezeichneten Regelungswerk für kirchliche Beschäftigte
oder Beschäftigtengruppen handelt es sich um Kollektivvereinbarungen besonderer Art,
in denen allgemeine Bedingungen für die Vertragsverhältnisse der bei den Kirchen
beschäftigten Arbeitnehmer durch die paritätisch zusammengesetzte arbeitsrechtliche
Kommission festgesetzt werden (vgl. BAG vom 26.10.2006, 6 AZR 307/06, NZA 2007,
1179 m.w.N.). Diesen Regelungen kommt allerdings keine normative Wirkung zu. Sie
finden – wie vorliegend – auf das Arbeitsverhältnis kraft einzelvertraglicher
Bezugnahme Anwendung. Auch wenn das der Fall ist und die Auslegung von Normen
anderen Regeln als die Auslegung von Verträgen folgt, so findet jedenfalls in den
Fällen, in denen die kirchlichen Arbeitsvertragsregelungen Tarifverträgen nachgebildet
sind, die Auslegung dieser allgemeinen Vertragsregelungen nach den gleichen
Grundsätzen wie sie für die Tarifauslegung maßgeblich sind, statt (BAG vom
26.10.2006, 6 AZR 307/06, aaO.; vom 14.01.2004, 10 AZR 188/03, AP Nr. 3 zu AVR
Caritasverband Anlage 1). Danach ist vom Wortlaut der Regelung auszugehen und
anhand dessen der Sinn der Regelung zu erforschen, ohne am Wortlaut zu haften. Der
wirkliche Wille der Richtliniengeber und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und
Zweck der Bestimmungen ist mit zu berücksichtigen, soweit sie in den Vorschriften der
Regelung ihren Niederschlag gefunden haben. Verbleibende Zweifel können durch die
Heranziehung weiterer Auslegungskriterien wie der Entstehungsgeschichte der
Regelung oder einer praktischen Handhabbarkeit geklärt werden (BAG vom 23.09.2004,
6 AZR 430/03, EzA BGB 202 Kirchlicher Arbeitnehmer Nr. 11). Im Zweifel gebührt
derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten,
zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG vom 24.09.2008, 10
AZR 190/08, NZA-RR 2009, 107).
36
b) Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt. Das von der
Arbeitsrechtlichen Schiedskommission beschlossene Regelungswerk ist den
Tarifverträgen des Öffentlichen Dienstes nachempfunden. Erstmalig ist für Ärzte und
Ärztinnen an Krankenhäusern im Bereich der VKA ein eigenständiges Tarifwerk
geschaffen worden. Dem entsprechen die für kirchliche Arbeitgeber beschlossenen
Regelungen.
37
c) Im TV-Ärzte-KF ist selbst nicht geregelt, was unter "Krankenhaus" im Sinne dieses
Regelungswerkes zu verstehen ist.
38
In einem solchen Fall ist es gerechtfertigt, auf gesetzliche Begriffsdefinitionen
zurückzuführen. Dies entspricht der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur
Auslegung von Tarifverträgen (vgl. BAG vom 12.06.2003, 8 AZR 288/02, AP Nr. 2 zu § 1
TVG Tarifverträge: Krankenanstalten). Verwenden die Tarifvertragsparteien ohne
eigene Definition einen fest stehenden Rechtsbegriff bei der Regelung der
Rechtsverhältnisse für einen Personenkreis, für den ein solcher besteht, so ist davon
auszugehen, dass dies im Sinne der gesetzlichen Begriffsbestimmung geschieht.
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Diese Grundsätze gelten auch im vorliegenden Fall. Das kirchliche Regelungswerk
enthält einerseits keine Anhaltspunkte dafür, was unter "Krankenhaus" zu verstehen ist.
Andererseits ist dem Inhalt der im TV-Ärzte-KF getroffenen Regelungen zu entnehmen,
dass eine genaue Vorstellung von der Art der Einrichtungen vorlag.
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Eine gesetzliche Definition des Krankenhausbegriffes findet sich im § 107 Abs. 2 SGB V
und im § 2 Nr. 1 KHG. Nach § 2 Nr. 1 KHG sind Krankenhäuser Einrichtungen, in denen
durch ärztliche und pflegerische Hilfeleistung Krankheiten, Leiden oder Körperschäden
festgestellt, geheilt oder gelindert werden sollen und in denen die zu versorgenden
Personen untergebracht und verpflegt werden können. Ausgehend von dieser Definition
und auf ihr aufbauend enthält § 107 Abs. 1 SGB V für die Zwecke der gesetzlichen
Krankenversicherung eine Konkretisierung und Ergänzung des Krankenhausbegriffs
durch organisatorische und funktionelle Kriterien. Für das Leistungsrecht der
gesetzlichen Krankenversicherungen werden durch die Vorschrift die organisatorischen
und fachlichen Voraussetzungen, die an ein Krankenhaus zu stellen sind, konkretisiert
(vgl. hierzu Genzel, in Laufs/Uhlenbruch, Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl. § 83 Rdnr.
12; Rehborn, in Weth u.a., Arbeitsrecht im Krankenhaus, S. 2). Hierbei geht es jedoch
um den Versorgungsauftrag der gesetzlichen Krankenversicherungen. Insoweit werden
Mindestanforderungen an die Ausstattung gestellt.
41
Beiden gesetzlichen Vorschriften ist die Notwendigkeit einer Krankenhausbehandlung
und die Unterbringung in der Einrichtung gemeinsam. Hierbei handelt es sich um den
den Krankenhausbegriff prägenden Kern. Mit dem Merkmal der ärztlichen Behandlung
durch diagnostische und therapeutische Maßnahmen unterscheidet sich das
Krankenhaus von anderen stationären Einrichtungen (vgl. Rehborn, aaO., S. 1 Rdnr. 4;
Genzel, aaO., § 83 Rdnr. 10). Dem entspricht auch die Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts, das für die Abgrenzung nach den früheren Sonderregelungen 2
a und 2 b zum BAT bei der Eingruppierung von Angestellten des Pflegepersonals
darauf abgestellt hat, dass für Krankenanstalten kennzeichnend sei, dass sie der
Wiederherstellung der Gesundheit oder der Behandlung einer Krankheit der in ihnen
untergebrachten Personen dienen (BAG vom 20.06.1990, 4 AZR 91/90, AP Nr. 150 zu
§§ 22, 23 BAT 1975; vom 09.11.2005, 4 AZR 437/04, ZTR 2006, 654).
42
Mit der Begriffsdefinition des "Krankenhauses" in § 2 Nr. 1 KHG gibt es seit 1972 einen
im Medizinalrecht der Bundesrepublik Deutschland feststehenden Begriff. Er ist
Grundlage auch für die Krankenhausfinanzierung. Das Fachkrankenhaus der Beklagten
ist in den Krankenhausplan des Landes NRW aufgenommen. Nach den vorangehenden
Ausführungen stellt dies ein Indiz für das Vorliegen eines Krankenhauses dar.
43
Für den Krankenhausbegriff kommt es nicht darauf an, ob in einer Einrichtung akute
Erkrankungen behandelt werden. Art, Dauer und Stadium einer Behandlung spielen für
die Einordnung einer Einrichtung als Krankenhaus keine entscheidende Rolle (Genzel,
aaO., § 83 Rdnr. 9). In der Begriffsbestimmung des § 2 Nr. 1 KHG wird dies dadurch
deutlich, dass auch die Linderung von Leiden oder Körperschäden durch ärztliche
Hilfeleistungen zu den Aufgaben der Krankenhäuser gehört. Ob dies zeitlich befristet
geschieht oder, wie es im Fachkrankenhaus des Stiftungsbereichs Behindertenhilfe der
Fall ist, die dort betreuten Menschen teilweise unbefristet in ihm untergebracht sind, ist
nicht maßgeblich. Gleiches gilt für die Erreichung eines Therapieziels. Zwischen den
Parteien ist unstreitig, dass die im Fachkrankenhaus untergebrachten Personen neben
ihrer oft schweren geistigen Behinderung fast alle an Epilepsie leiden und dass bei
diesen Patienten schwere, bislang therapieresistente Epilepsien überwiegen, bei denen
eine Heilung und auch eine vollständige An-fallsunterdrückung oft nicht möglich ist.
Außerdem werden im Fachkrankenhaus psychiatrische Erkrankungen bei Menschen mit
geistiger Behinderung behandelt.
44
Allerdings leiden auch die im Heimbereich lebenden behinderten Bewohner an den
genannten Erkrankungen. Der im Stiftungsbereich Behindertenhilfe eingerichtete
ärztliche Dienst ist für diese Bewohner ebenfalls zuständig. Der Kläger selbst wird im
Heimbereich tätig, wenn auch die Arbeit im Fachkrankenhaus überwiegt. In der
Vergangenheit wurde für den Ärztlichen Dienst nicht danach unterschieden, ob die
Ärztinnen und Ärzte überwiegend im Heimbereich oder im Fachkrankenhaus tätig
waren. Auch wenn das so ist, so zeichnet sich das Fachkrankenhaus doch dadurch aus,
dass in ihm besonders schwer erkrankte Patienten untergebracht sind. Eine ambulante
Behandlung reicht aufgrund der Schwere der Erkrankungen nicht aus. Hierdurch
unterscheidet sich das Fachkrankenhaus von den Heimen. Die im Fachkrankenhaus
lebenden Patienten bedürfen einer intensiveren ärztlichen Betreuung als sie für die in
Heimen lebenden Bewohner notwendig ist. Hier werden Menschen mit komplexen und
mehrfachen Erkrankungen und Behinderungen behandelt und betreut.
45
Das Fachkrankenhaus weist schließlich das notwendige ärztliche und pflegerische
Personal auf, um die in § 2 Nr. 1 KHG genannten ärztlichen und pflegerischen
Hilfeleistungen zu erbringen. Es ist der Leitung eines Leitenden Arztes unterstellt, der
Ärztliche Dienst besteht aus fünf Ärztinnen und Ärzten. Das pflegerische Personal
umfasst insgesamt 65 Personen mit den Qualifikationen Altenpfleger,
Krankenschwester/-pfleger, Kinderkrankenschwester/-pfleger und Krankenpflegehelfer.
Allerdings überwiegt mit insgesamt 235 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern das
heilpädagogische und pädagogische Personal deutlich. Dies spricht jedoch nicht gegen
den Charakter eines Krankenhauses. Die umfangreiche Beschäftigung des (heil-
)pädagogischen Personals hat seinen Grund vielmehr darin, dass die in den
Fachkrankenhäusern lebenden schwerstbehinderten Menschen für Verrichtungen des
täglichen Lebens der Betreuung durch dieses Personal bedürfen. Daneben und darüber
hinaus benötigen sie aber auch die pflegerischen Hilfeleistungen des Pflegepersonals.
Für die Tätigkeit beider Berufsgruppen mag es durchaus Überschneidungen geben.
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Soweit im Fachkrankenhaus als weitere Dienste Fachdienste und hauswirtschaftliche
Dienste vorhanden sind, ist dies für die hier vorzunehmende Abgrenzung nicht
aussagekräftig. So gehören Bewegungs- und Sporttherapeuten auch zu den Funktions-
und Fachdiensten eines Krankenhauses wie den im Entgeltgruppenplan unter "3.
Gesundheitsdienst" aufgeführten verschiedenen Berufsgruppen zu entnehmen ist.
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Gegen den Charakter als Krankenhaus spricht es nicht, dass die Bewohner an
tagesstrukturierenden Maßnahmen teilnehmen, z.B. die Behindertenwerkstätten
aufsuchen. Zwar ist die Unterbringung der zu versorgenden Personen
Tatbestandsvoraussetzung für die Einordnung einer Einrichtung als Krankenhaus. Der
Patient ist deshalb in einem Krankenhaus, weil er so behandlungsbedürftig ist, dass
seine Aufnahme wegen der ständigen Rufbereitschaft eines Arztes bzw. des geschulten
Pflegepersonals erforderlich ist und die Behandlung gerade nicht im ambulanten Sektor
erbracht werden kann. Hält sich ein Patient jedoch zeitweise nicht im Krankenhaus auf,
so handelt es sich um eine teilstationäre Krankenhausbehandlung, die der Einordnung
als Krankenhaus nicht entgegensteht (vgl. auch BSG vom 28.01.2009, B 6 KA 61/07 R,
juris).
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Nach alledem kommt es auf die zwischen den Parteien streitige Frage, wie die Kosten
für die Bewohner des Fachkrankenhauses aufgebracht werden, nicht an. Auch wenn der
Landschaftsverband Westfalen-Lippe als Träger der Sozialhilfe nach den §§ 53 ff. SGB
XII die Kosten trägt, so steht dies der Einordnung der Einrichtung als Krankenhaus nicht
entgegen. § 48 Satz 2 SGB XII sieht im Übrigen die Übernahme der Kosten für eine
Krankenhausbehandlung unter den Voraussetzungen des § 264 SGB V vor.
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III
50
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
51
Die Revision war nach § 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen.
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