Urteil des LAG Hamm vom 25.01.2002

LArbG Hamm: reparatur, bvo, ersatzbeschaffung, ärztliche verordnung, beihilfe, begriff, brille, arbeitsgericht, firma, angestellter

Landesarbeitsgericht Hamm, 5 Sa 1051/01
Datum:
25.01.2002
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
5. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 Sa 1051/01
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Hamm, 2 Ca 749/01
Normen:
§ 4 Abs. 1 Ziff. 10 der Beihilfeordnung NRW
Leitsätze:
Seit der Neuregelung der Beihilfeverordnung NRW durch die 15.
Änderungsverordnung vom 30.09.1998 ist allein der Austausch der
Brillengläser keine beihilfefähige Reparatur mehr
Rechtskraft:
Die Revision wird nicht zugelassen
Tenor:
Auf die Berufung des beklagten L5xxxx wird das Urteil des
Arbeitsgerichts Hamm vom 15.06.2001, AZ. - 2 Ca 749/01 - teilweise
abgeändert.
Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zur tragen.
Der Kläger begehrt gegenüber dem beklagten L2xx die Gewährung einer Beihilfe für
den Austausch von zwei Brillengläsern.
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Der Kläger ist beim Landesinstitut für Schule und Weiterbildung des beklagten L5xxxx in
S2xxx als Angestellter beschäftigt. Er ist beihilfeberechtigt. Sein Beihilfeanspruch
beträgt 70 %.
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Der Kläger ist Brillenträger. Er ließ beide Brillengläser durch die Firma Augenoptik-
H4xxxxxxxx S4xxxxxx GmbH austauschen. Mit Schreiben vom 22. Mai 2000 erteilte die
Firma S4xxxxxx GmbH dem Kläger eine Gesamtrechnung wegen des Austausches der
Gläser in Höhe von 909,00 DM / 464,76 EUR. Der Kläger beantragte beim beklagten
L2xx insoweit die Gewährung einer Beihilfe. Mit Bescheid vom 05.07.2000 lehnte das
beklagte L2xx die Gewährung einer Beihilfe ab, da es sich beim Austausch der Gläser
nicht um eine Reparatur, sondern um eine Ersatzbeschaffung handele. Nach erneuter
Geltendmachung durch die Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom
05.07.2000 und 28.09.2000 lehnte das beklagte L2xx zuletzt mit Schreiben vom
04.10.2000 die Gewährung einer Beihilfe ab.
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Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Austausch der Brillengläser sei keine
Ersatzbeschaffung, sondern eine Reparatur. Die Gläser hätten ausgetauscht werden
müssen, da sie verkratzt gewesen seien. Es sei daher eine schadhafte Sache, nämlich
die Brille wieder gebrauchsfähig gemacht worden.
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Der Kläger hat unter Reduzierung seiner ursprünglichen Klageforderung in Höhe von
909,00 DM zuletzt beantragt,
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das beklagte L2xx zu verurteilen, an den Kläger 636,30 DM nebst 4 %
Zinsen seit dem 30.08.2000 zu zahlen.
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Das beklagte L2xx hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Es hat die Auffassung vertreten, die Kosten für die Brillengläser seien als
Ersatzbeschaffung nicht beihilfefähig. Die Beihilfefähigkeit einer Ersatzbeschaffung
setze bei Personen, die das 14. Lebensjahr vollendet hätten, eine Änderung der
Sehschärfe um mindestens 0,5 Dioptrien voraus. Der Austausch der beiden
Brillengläser sei keine Reparatur, da die Gläser vollständig ersetzt worden seien.
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Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 15.06.2001 in Höhe von 508,62 DM
stattgegeben. Es hat zur Begründung unter anderem ausgeführt, das Auswechseln von
zwei schadhaften Brillengläsern sei beihilferechtlich eine Reparatur. Dem stehe auch
nicht die 16. Änderungsverordnung zur BVO vom 16.12.1999 entgegen. Zwar seien
danach die Kosten für ein Brillengestell nicht beihilfefähig, wohl aber unter Umständen
die Kosten für die Ersatzbeschaffung von zwei Brillengläsern/Kontaktlinsen. Die 16.
Änderungsverordnung beziehe sich nur auf die Neubeschaffung, nicht aber auf die
Reparatur. Letztere bleibe beihilfefähig. Die Klage sei allerdings nur in Höhe von 508,62
DM begründet, da nur die Kosten für die Gläser (2 x 348,30 DM) zuzüglich der Kosten
für das Einschleifen (30,00 DM) in Höhe von 70 % beihilfefähig seien.
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Wegen der weiteren Einzelheiten der Entscheidungsgründe und des erstinstanzlichen
Vorbringens der Parteien wird auf das Urteil des Arbeitsgerichts, das dem beklagten
L2xx am 25.06.2001 zugestellt worden ist, ergänzend Bezug genommen. Hiergegen
richtet sich die vom beklagten L2xx am 16.07.2001 eingelegte und am 01.08.2001
begründete Berufung.
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Es hält an seiner Auffassung fest, der Austausch von zwei Brillengläsern sei keine
Reparatur, sondern eine Ersatzbeschaffung. Der Gesetzgeber habe mit der 16.
Änderungsverordnung vom 16.12.1999 durch den Klammerzusatz den Begriff der
Ersatzbeschaffung in Abgrenzung zur Reparatur in § 4 Nr. 10 Satz 7 BVO legal definiert.
Diese Ersatzbeschaffung sei jedoch nur erstattungsfähig, wenn und soweit der Kläger
jünger als 14 Jahre wäre oder wenn sich die Sehschärfe um mindestens 0,5 Dioptrien
verändert hätte.
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Das beklagte L2xx beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Hamm vom 15.06.2001 - 2 Ca 749/01 -
teilweise abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung des beklagten L5xxxx zurückzuweisen.
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Er wiederholt seine Auffassung, dass das Auswechseln schadhafter Brillengläser eine
Reparatur darstelle und keine Neuanschaffung. Der Begriff der "Neuanschaffung"
beinhalte bereits begrifflich den Erwerb einer Sache, die mit der beschädigten nicht
identisch sei. Der Ersatz schadhafter Brillengläser durch andere Gläser in dieselbe
Fassung stelle jedoch eine Reparatur dar.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug
genommen auf die in der zweiten Instanz zwischen den Parteien gewechselten
Schriftsätze, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
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ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
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I.
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Die Berufung des beklagten L5xxxx ist zulässig. Sie war aufgrund der Zulassung im
erstinstanzlichen Urteil statthaft (§§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, 2 ArbGG) und wurde auch form-
und fristgereicht eingelegt und begründet (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 516, 518, 519
ZPO a. F.).
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II.
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Die Berufung ist in der Sache auch begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf
Gewährung einer Beihilfe für die durch den Austausch der Brillengläser entstandenen
Aufwendungen.
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1. Der Kläger ist als Angestellter des beklagten L5xxxx gemäß § 40 BAT nach § 1 Abs.
1 der Verordnung über die Gewährung von Beihilfen in Krankheits-, Geburts- und
Todesfällen an Angestellte, Arbeiter und Auszubildende - BVO - beihilfeberechtigt in
entsprechender Anwendung der für Beamte geltenden Bestimmungen.
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2. Sein Anspruch richtet sich nach § 4 Abs. 1 Ziff. 10 der Beihilfeverordnung (BVO) in
der Fassung der 16. Verordnung zur Änderung der Beihilfeverordnung - BVO - vom 16.
Dezember 1999 (GVBl NRW 1999, S. 673), da die Aufwendungen nach dem 31.
Dezember 1999 entstanden waren. Hierzu heißt es in § 4 Abs. 1 Ziff. 10 Unterabs. 1
Satz 1 und 2 zur Auflistung der beihilfefähigen Aufwendungen:
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"... vom Arzt schriftlich verordnete Hilfsmittel, zu denen auch Körperersatzstücke,
Kontrollgeräte sowie Apparate zur Selbstbehandlung rechnen. Beihilfefähig
sind die Aufwendungen für Anschaffung und Reparatur; ..."
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In § 4 Abs. 1 Ziff. 10 Unterabs. 2 heißt es weiter:
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"... Kosten für ein Brillengestell sind nicht beihilfefähig; Kosten für eine
Ersatzbeschaffung von Sehhilfen (2 Brillengläser/Kontaktlinsen) sind bei
Personen, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, bei einer Änderung der
Sehschärfe um mindestens 0,5 Dioptrien (sphärischer Wert) beihilfefähig."
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Eine beihilfefähige Anschaffung der Sehhilfe wird vom Kläger nicht behauptet. Schon
aus dem eindeutigen Wortlaut ergibt sich, dass damit die Erstanschaffung der Sehhilfe
gemeint ist. Ein Austausch dieser Sehhilfe stellt demgegenüber in der Begrifflichkeit der
BVO eine Ersatzbeschaffung dar. Entgegen der Auffassung des Klägers liegt nach der
BVO beim Austausch beider Brillengläser nicht eine beihilfefähige Reparatur, sondern
eine nur unter beschränkten Voraussetzungen beihilfefähige Ersatzbeschaffung vor. Die
in der Beihilfeverordnung vorgeschriebenen Voraussetzungen für die Gewährung einer
Beihilfe bei Ersatzbeschaffung einer Sehhilfe liegen unstreitig nicht vor. Der Kläger hat
nicht behauptet, dass sich seine Sehschärfe verändert habe.
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Es kann dahinstehen, ob vor der Neuregelung der BVO durch die 15.
Änderungsverordnung vom 30.09.1998 allein der Austausch der Brillengläser als
Reparatur beihilfefähig gewesen ist. Zumindest seit der Neuregelung kann bei
verständiger Auslegung dies nicht mehr angenommen werden. Dabei hat die Auslegung
der BVO nach den für Gesetze im formellen Sinne entwickelten Grundsätzen zu
erfolgen. Die BVO des Landes NRW ist keine Verwaltungsordnung, sondern eine
Rechtsverordnung, die aufgrund der Ermächtigung in § 88 Abs. 1. des
Landesbeamtengesetzes NRW erlassen wurde (BVerwG vom 27.01.1972 - II C 35.70 -
DÖD 1972, 137, 138). Es sind daher die für Gesetze maßgeblichen
Auslegungsgrundsätze anzuwenden. Hierfür gilt der Grundsatz, dass der im Wortlaut
und Sinnzusammenhang der Vorschrift objektivierte Wille des Gesetzgebers
maßgeblich ist (BVerwG vom 11.07.1962 - V C 5.62 - NJW 1962, 1978, 1979).
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Die BVO unterscheidet bereits nach dem Wortlaut zwischen Anschaffung, Reparatur
und Ersatzbeschaffung. Während in § 4 Abs. 1 Ziff. 10 Unterabs. 1 Satz 1 für die
Anschaffung eine ärztliche Verordnung verlangt wird, ist für die Ersatzbeschaffung nach
§ 4 Abs. 1 Ziff. 10 Unterabs. 2 eine Refraktionsbestimmung durch einen Optiker
ausreichend. Diese muss eine Änderung der Sehschärfe um mindestens 0,5 Dioptrien
bescheinigen. Anschaffung bedeutet daher die Erstbeschaffung der Sehhilfe, während
die Ersatzbeschaffung den Austausch einer bereits vorhandenen Sehhilfe beschreibt.
Durch den Klammerzusatz "(2 Brillengläser/Kontaktlinsen)" hinter dem Begriff Sehhilfen
definiert die BVO dabei ausdrücklich, was unter einer Ersatzbeschaffung zu verstehen
ist, nämlich der Austausch der zwei Brillengläser. Damit ist es ausgeschlossen, den
Austausch beider Brillengläser noch als Reparatur im Sinne der BVO zu bewerten. Für
die BVO besteht eine Brille damit ausschließlich aus den Gläsern. Dies ist auch im
Zusammenhang zur gestrichenen Beihilfefähigkeit des Brillengestells konsequent. Nach
der Neuregelung sind Kosten für ein Brillengestell nicht mehr beihilfefähig. Die BVO hat
daher das Brillengestell bei der Definition der Sehhilfe ausgenommen. Ein
Materialaustausch hat nur so lange den Charakter einer Reparatur, als lediglich partielle
Einbußen der Verwertbarkeit des Hilfsmittels beseitigt werden (z. B. den Austausch
eines Brillenglases). Dies setzt aber voraus, dass überhaupt noch solche Bestandteile
vorhanden sind, welche die dem Hilfsmittel zukommende Funktion gewährleisten.
Existieren nach der Wiederherstellungsmaßnahme keine Funktionsteile mehr, ist das
Hilfsmittel nicht repariert, sondern nur hergestellt bzw. in der Begrifflichkeit der BVO
ausgetauscht worden. Dabei ist es unbeachtlich, dass das nicht beihilfefähige
Brillengestell nicht ausgewechselt worden ist. Es kann daher auch nicht mehr auf die
Rechtsprechung des OVG NW (Urteil vom 14.09.1981 - 12 (6) A 387/81 - nicht amtlich
veröffentlicht) zurückgegriffen werden. Danach liegt immer dann eine Reparatur vor,
wenn eine schadhafte Sache wieder gebrauchsfähig gemacht wird. Diese aus dem
allgemeinen Sprachgebrauch hergeleitete Auslegung kann nicht mehr vertreten werden,
da die BVO durch die Neuregelung abweichend vom allgemeinen Sprachgebrauch den
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Austausch beider Brillengläser nur noch als Ersatzbeschaffung definiert.
3. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Klage ohnehin nicht schlüssig ist. Selbst
wenn der Austausch der Brillengläser eine Reparatur im Sinne der BVO wäre, hat der
Kläger nicht dargelegt, dass sich die Gläser in einem Zustand befanden, die eine
Reparatur notwendig gemacht hätten. Allein der Vortrag, die Gläser seien zerkratzt,
reicht hierzu nicht aus. Der Austausch wäre aber nur erforderlich gewesen, wenn
aufgrund von Kratzspuren der bestimmungsgemäße Gebrauch der Sehhilfe
eingeschränkt oder weggefallen war.
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III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Danach hat der Kläger als unterliegende
Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
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Gründe, die Revision zuzulassen, sind weder ersichtlich noch vorgetragen. Es handelt
sich um eine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung, zumal die Klage
auch wegen fehlender Substantiiertheit unschlüssig gewesen ist.
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Krasshöfer
Rump
Löchtermann
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