Urteil des LAG Hamm vom 18.06.2003

LArbG Hamm: betriebsrat, niederlassung, frachtführer, arbeitsgericht, beschwerdekammer, anfechtung, wahlergebnis, zahl, inhaber, wählbarkeit

Landesarbeitsgericht Hamm, 10 TaBV 4/03
Datum:
18.06.2003
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
10. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
10 TaBV 4/03
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Dortmund, 1 BV 54/02
Nachinstanz:
Bundesarbeitsgericht, 7 ABR 38/03 Rechtsbeschwerde zurückgewiesen
21.07.2004
Schlagworte:
Anfechtung einer BetriebsratswahlBetriebsratsgrößeBerücksichtigung
von Fahrern, die bei Frachtführern des Arbeitgebers angestellt sind
Normen:
§§ 7, 9 BetrVG n.F
Leitsätze:
Kraftfahrer, die bei Frachtführern eines Speditionsbetriebes angestellt
sind, werden bei der Ermittlung der Zahl der im Speditionsbetrieb zu
wählenden Betriebsratsmitglieder nach § 9 BetrVG nicht berücksichtigt.
Rechtskraft:
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen
Tenor:
Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des
Arbeitsgerichts Dortmund vom 04.10.2002 - 1 BV 54/02 - wird
zurückgewiesen
Gründe
1
A
2
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl.
3
Der antragstellende Arbeitgeber betreibt ein Transportunternehmen (Schnelllieferdienst)
und unterhält u.a. eine Niederlassung in D2xxxxxx. In dieser Niederlassung wählte die
Belegschaft turnusgemäß am 29./30.04.2002 einen neuen Betriebsrat, den
Antragsgegner.
4
In der Niederlassung des Antragstellers in D2xxxxxx waren zum Zeitpunkt des Erlasses
des Wahlausschreibens durch den Wahlvorstand am 18.02.2002 33 Frauen und 98
Männer als Arbeitnehmer/innen beschäftigt. Unter den Beschäftigten waren zahlreiche
Frachtführer tätig, die ihrerseits selbst Kraftfahrer angestellt hatten. Ob die bei den
Frachtführern angestellten Fahrer wahlberechtigt waren und bei der Zahl der zu
wählenden Betriebsratsmitglieder mitzuzählen sind, ist unter den Beteiligten streitig.
5
Am 18.02.2002 erließ der Wahlvorstand ein erstes Wahlausschreiben (Bl. 24 f.d.A.) und
hängte es am Informationsbrett des Betriebsrates (vgl. Foto Bl. 54 d.A.) aus. In diesem
Wahlausschreiben war bestimmt, dass nach § 9 BetrVG der Betriebsrat aus sieben
Mitgliedern zu bestehen habe. Ferner hieß es unter Ziffer 6, dass im Betrieb 33 Frauen
und 98 Männer als Arbeitnehmer/innen im Sinne des § 5 Abs. 1 BetrVG beschäftigt
seien.
6
Nach Erlass des Wahlausschreibens wurden innerhalb der Zweiwochenfrist des § 6
Abs. 1 WO 2001 zwei Vorschlagslisten eingereicht, nämlich eine Liste unter dem
Kennwort "ver.di Kollegenliste" sowie eine zweite Liste unter dem Kennwort "Die
Neuen". Der Bewerber K3xxx C1xxxxxx kandidierte gleichzeitig auf beiden Listen. Nach
entsprechender Rückfrage des Wahlvorstandes erklärte der Bewerber schriftlich, dass
er auf der gewerkschaftlichen Liste kandidieren wolle. Weiterhin wechselte die
Kandidatin D4xxxx W3xxx von der "ver.di Kollegenliste" zu der Liste "Die Neuen".
7
Am 04.03.2002 erließ der Wahlvorstand - nach Teilnahme an einer Schulung - ein
neues zweites Wahlausschreiben (Bl. 29 f.d.A.), welches an die Stelle des ersten
Ausschreibens am Informationsbrett (Bl. 54 d.A.) ausgehängt wurde. In diesem
Wahlausschreiben war im dritten Absatz bestimmt, dass der Betriebsrat aus neun
Mitgliedern zu bestehen habe. Unter Ziffer 6 hieß es, dass im Betrieb 45 Frauen und 173
Männer als Arbeitnehmer/innen im Sinne von § 5 Abs. 1 BetrVG beschäftigt seien.
Insoweit hatte der Wahlvorstand bei der Bestimmung der Arbeitnehmerzahl und der
Betriebsratsgröße die bei den selbständigen Frachtführern angestellten Fahrer
berücksichtigt.
8
Nach Erlass des zweiten Wahlausschreibens wurden keine neuen Vorschlagslisten
eingereicht. Es verblieb bei den Vorschlagslisten, die schon aufgrund des Erlasses des
ersten Wahlausschreibens eingereicht worden waren.
9
Am 20.04.2002 fand in der Niederlassung des Arbeitgebers in D2xxxxxx eine
Betriebsversammlung statt. Auf dieser Betriebsversammlung wurden Hinweise im
Hinblick auf die anstehende Betriebsratswahl erteilt. Ob der Wahlvorstand auf dieser
Belegschaftsversammlung auch über den Austausch der Wahlausschreiben informierte
oder ob die Belegschaft und die Listenführer schon zuvor über den Inhalt des neuen
Wahlausschreibens vom 04.03.2002 informiert worden waren, ist zwischen den
Beteiligten streitig.
10
Am 29./30.04.2002 fanden die Wahlen zum Betriebsrat statt. Entsprechend dem Inhalt
des zweiten Wahlausschreibens vom 04.03.2002 wurde ein Betriebsrat mit neun
Mitgliedern gewählt. Das Wahlergebnis wurde am 30.04.2002 bekannt gemacht (Bl. 31
f.d.A.).
11
Mit dem am 13.05.2002 beim Arbeitsgericht eingeleiteten Beschlussverfahren machte
der Arbeitgeber die Unwirksamkeit der Betriebsratswahl vom 29./30.04.2002 geltend.
12
Der Arbeitgeber hat die Auffassung vertreten, die Betriebsratswahl sei allein schon
wegen des stillschweigenden Austausches des Wahlausschreibens anfechtbar. Der
Austausch des Wahlausschreibens sei weder von der Niederlassungsleitung noch von
der Belegschaft wahrgenommen worden. Zwangsläufig kämen nicht sämtliche
Belegschaftsmitglieder an dem Aushang am Informationsbrett des Betriebsrates vorbei.
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Es habe auch ansonsten kein Anlass bestanden, dort nachzuschauen. Erstmals sei auf
das Wahlausschreiben in der Belegschaftsversammlung vom 20.04.2002 verwiesen
worden. Es sei auch dort keinerlei Hinweis darauf erfolgt, dass nunmehr neun statt
sieben Betriebsratsmitglieder zu wählen seien oder dass sich die Frist zur Einreichung
von Wahlvorschlägen um zwei Wochen verlängert habe. Auch die Listenbewerber seien
nicht vom Austausch des Wahlausschreibens in Kenntnis gesetzt worden. Bei Kenntnis
vom Austausch seien für diese Listen noch weitere Wahlvorschläge gemacht worden.
So habe sich die Disponentin T2xxx H4xx gemeldet und Interesse an einer Kandidatur
bekundet. Nach dem Ausscheiden des Arbeitnehmers C1xxxxxx habe es für diese Liste
noch einen weiteren Bedarf an gewerblichen Arbeitnehmern gegeben. Die verlängerte
Liste wäre genutzt worden, um noch weitere Wahlbewerber für die Liste "Die Neuen" zu
gewinnen.
Die Betriebsratswahl sei auch deshalb anfechtbar, weil die Betriebsgröße und die
Anzahl der zu wählenden Betriebsratsmitglieder falsch berechnet worden seien. In der
Niederlassung in D2xxxxxx seien zum Zeitpunkt der Betriebsratswahl lediglich 129
Arbeitnehmer/innen beschäftigt gewesen. Die bei den Frachtführern angestellten Fahrer
hätten nicht berücksichtigt werden dürfen, weil sie nicht in die betrieblichen Abläufe
integriert seien. Sie hätten lediglich den Anweisungen ihrer jeweiligen Arbeitgeber zu
folgen. Namentlich beim Abgreifen von den Transportbändern seien keinerlei
Weisungen erfolgt. Es sei Verpflichtung der Frachtführer, zeitgerecht auszuliefern. Wie
dies organisiert werde, obliege ihnen selbst. Den Frachtführern werde lediglich
Mitteilung gemacht, wenn ein Fahrer wiederholt und erheblich verspätet beginne, weil
sich hierdurch die gesamte Auslieferung verzögere. Unmittelbare Anweisungen an die
Fahrer ergingen nicht. Es sei vielmehr umgekehrt so, dass die Nachtschichtmitarbeiter
die Arbeit derjenigen der Frachtführer und ihrer Angestellten anpassen müssten. Sofern
Anweisungen erteilt würden, würden sich diese lediglich auf den Bereich Sicherheit und
Ordnung des Betriebes des antragstellenden Arbeitgebers beziehen. Die Tourenpläne
der Auslieferungsfahrer würden nicht von ihm bestimmt, sondern den
Auslieferungsfahrern selbst überlassen. Lediglich durch bestimmte Sendungsoptionen
werde die Tourenplanung in gewisser Weise beeinflusst. Soweit die Fahrer in einem
festen Gebiet telefonisch zusätzliche Aufträge übernähmen, handele es sich um eine im
Speditionsgewerbe absolut üblichen Vorgang.
14
Den Fahrern stünden auch die sozialen Einrichtungen des antragstellenden
Arbeitgebers, wie Duschen, Pausenräume und Umkleideräume, nicht zur Verfügung. Es
bestehe lediglich die Möglichkeit, die Raucherecke und die Toilettenanlage zu
benutzen.
15
Der Arbeitgeber hat beantragt,
16
die Betriebsratswahl in der Niederlassung des Arbeitgebers H3xxxxxxxxxxxx.
21, 41xxx D2xxxxxx (Niederlassung D2xxxxxx) für unwirksam zu erklären.
17
Der Betriebsrat hat beantragt,
18
den Antrag zurückzuweisen.
19
Er hat die Auffassung vertreten, dass die Fahrer der Frachtführer vollständig in den
Betrieb des antragstellenden Arbeitgebers integriert seien und faktisch der
Leitungsmacht des Arbeitgebers unterlägen. So werde das pünktliche Erscheinen
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geprüft und Verspätungen festgehalten. Anschließend würden die Arbeiten der
Nachtschichtarbeiter fortgesetzt. Pakete würden eingescannt, bevor sie auf den LKW
verladen würden. Fehlten Lieferungen, werde Meldung an die Mitarbeiter des
antragstellenden Arbeitgebers gemacht. Die Fahrer müssten unterwegs telefonisch
erreichbar sein und würden im Einzelfall angewiesen, ihre Tourenpläne zu ändern. Die
Scannerdaten müssten nach Rückkehr in Erfassungsgeräte des Arbeitgebers
eingegeben werden.
Auch nähmen die Fahrer an Weihnachtsfeiern des antragstellenden Arbeitgebers teil.
21
Die Betriebsratswahl sei auch nicht deshalb anfechtbar, weil am 04.03.2002 ein neues
Wahlausschreiben ausgehängt worden sei. Dieses neue Wahlausschreiben sei als
solches zu identifizieren gewesen, da ein optischer Unterschied bestanden habe. Im
ersten Wahlausschreiben seien handschriftliche Eintragungen vorgenommen worden,
das neue Wahlausschreiben sei mit dem Computer angefertigt worden. Insoweit sei es
unrichtig, dass die Niederlassungsleitung oder die Belegschaft den Erlass des neuen
Wahlausschreibens nicht wahrgenommen habe. Im Betrieb sei allgemein bekannt
gewesen, dass die Betriebsratsgröße im neuen Wahlausschreiben geändert worden sei.
Im Übrigen kämen normalerweise alle Beschäftigten zwangsläufig am Informationsbrett
des Betriebsrates vorbei. Auf der Betriebsversammlung vom 20.04.2002 sei darüber
hinaus das Wahlverfahren noch einmal dargestellt worden. Insbesondere sei auf die
Unterschiede zur Verfahrensweise bei den früheren Wahlen hingewiesen worden.
Ausdrücklich sei auch darauf hingewiesen worden, dass entgegen dem ersten
Wahlausschreiben nunmehr neun Sitze zu besetzen seien. Auch die Listenführer und
die Bewerber der einzelnen Listen seien über den Inhalt des neuen Wahlausschreibens
informiert worden.
22
Durch Beschluss vom 04.10.2002 hat das Arbeitsgericht die Betriebsratswahl für
unwirksam erklärt und zur Begründung ausgeführt, ein Anfechtungsgrund ergebe sich
schon aus dem Austausch des Wahlausschreibens, der nicht ordnungsgemäß bekannt
gemacht worden sei. Die inhaltliche Änderung gegenüber dem ersten
Wahlausschreiben sei nicht deutlich gemacht worden. Darüber hinaus sei die
Betriebsratswahl anfechtbar, weil in der Niederlassung des Arbeitgebers in D2xxxxxx
lediglich ein aus sieben Mitgliedern bestehender Betriebsrat zu wählen gewesen sei.
Die bei den Frachtführern angestellten Fahrer gehörten nicht zur Belegschaft des
antragstellenden Arbeitgebers. Diese Fahrer würden im Rahmen eines
Fremdfirmeneinsatzes aufgrund eines Dienstvertrages zwischen den Frachtführern und
des antragstellenden Arbeitgebers tätig. Sie seien Arbeitnehmer der beim Arbeitgeber
angestellten Frachtführer und zählten deshalb nicht mit.
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Gegen den dem Betriebsrat am 17.12.2002 zugestellten Beschluss, auf dessen Gründe
im Übrigen Bezug genommen wird, hat der Betriebsrat am 13.01.2003 Beschwerde zum
Landesarbeitsgericht eingelegt und diese nach Verlängerung der
Beschwerdebegründungsfrist bis zum 17.03.2003 mit dem am 11.03.2003 beim
Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.
24
Unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens ist der
Betriebsrat nach wie vor der Auffassung, dass ein Grund für die Anfechtung der
Betriebsratswahl vom 29./30.04.2002 nicht bestehe. Die Wahl sei nicht wegen
Aushanges eines zweiten Wahlausschreibens anfechtbar. Beide Wahlausschreiben
hätten sich in der äußeren Form und im Schriftbild unterschieden. Das zweite
25
Wahlausschreiben sei ordnungsgemäß bekannt gemacht worden.
Ferner seien die Fahrer der selbständigen Frachtführer bei der Größe des Betriebsrates
zu berücksichtigen. Diese Fahrer seien in den Betriebsablauf vollständig eingegliedert,
sie erhielten Anweisungen von Mitarbeitern des antragstellenden Arbeitgebers, sie
müssten pünktlich erscheinen und telefonisch erreichbar sein.
26
Der Betriebsrat beantragt,
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den Beschluss des Arbeitsgerichts Dortmund vom 04.10.2002 - 1 BV 54/02 -
abzuändern und den Antrag des Arbeitgebers zurückzuweisen.
28
Der Arbeitgeber beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Er verteidigt den angefochtenen Beschluss und ist nach wie vor der Auffassung, die
Betriebsratswahl sei anfechtbar, weil das zweite Wahlausschreiben vom 04.03.2002
nicht ordnungsgemäß bekannt gemacht, sondern vom Wahlvorstand stillschweigend
ausgetauscht worden sei. Im Betrieb sei der Austausch nicht bemerkt worden.
31
Ferner habe der Wahlvorstand bei der Bestimmung der Betriebsratsgröße eine falsche
Arbeitnehmeranzahl zugrunde gelegt. Ebenso wie Leiharbeitnehmer zählten auch die
bei den Frachtführern angestellten Fahrer nicht bei der Bestimmung der Anzahl der zu
wählenden Betriebsratsmitglieder mit. Diese Fahrer stünden nicht in einem
Arbeitsverhältnis zum antragstellenden Arbeitgeber, sondern in einem Arbeitsverhältnis
zu den bei der Antragstellerin beschäftigten Frachtführer. Im Übrigen unterlägen diese
Fahrer auch nicht faktisch der Leitungsmacht des antragstellenden Arbeitgebers.
32
Im Übrigen wird auf den weiteren Inhalt der von den Beteiligten gewechselten
Schriftsätze ergänzend Bezug genommen.
33
B
34
Die zulässige Beschwerde des Betriebsrates ist nicht begründet.
35
I
36
Der vom Arbeitgeber gestellte Antrag ist zulässig.
37
1. Das Beschlussverfahren ist für den vorliegenden Antrag die zutreffende
Verfahrensart, §§ 2 a, 80 Abs. 1, 81 ArbGG. Zwischen den Beteiligten ist eine
betriebsverfassungsrechtliche Angelegenheit streitig, nämlich die Wirksamkeit der am
29./30.04.2002 in der Niederlassung des Arbeitgebers durchgeführten Betriebsratswahl,
§ 19 BetrVG.
38
2. Die Antrags- und Beteiligungsbefugnis des Arbeitgebers und des gewählten
Betriebsrates als Antragsteller und Antragsgegner ergeben sich aus den §§ 10, 83 Abs.
3 ArbGG.
39
II
40
Die Beschwerde des Betriebsrates ist nicht begründet.
41
Die am 29./30.04.2002 in der Niederlassung des Arbeitgebers in D2xxxxxx
durchgeführte Betriebsratswahl ist nach § 19 BetrVG anfechtbar und damit unwirksam.
42
1. Die Anfechtung der in der Niederlassung D2xxxxxx durchgeführten Betriebsratswahl
vom 29./30.04.2002 durch den Arbeitgeber ist form- und fristgerecht erfolgt.
43
Der Arbeitgeber gehört zu dem nach § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG
anfechtungsberechtigten Personenkreis.
44
Der Arbeitgeber hat mit seiner Anfechtung auch die Zweiwochenfrist des § 19 Abs. 2
Satz 2 BetrVG eingehalten. Das Ergebnis der Betriebsratswahl ist am 30.04.2002 durch
den Wahlvorstand bekannt gegeben worden. Mit dem am 13.05.2002 beim
Arbeitsgericht eingeleiteten Beschlussverfahren hat der Arbeitgeber die Wahl
angefochten.
45
2. Die in der Niederlassung des Arbeitgebers in D2xxxxxx am 29./30.04.2002
durchgeführte Betriebsratswahl ist nach § 19 Abs. 1 BetrVG unwirksam, dem
Arbeitgeber steht ein Anfechtungsgrund nach § 19 Abs. 1 BetrVG zur Seite.
46
Gemäß § 19 Abs. 1 BetrVG kann eine Wahl beim Arbeitsgericht angefochten werden,
wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das
Wahlverfahren verstoßen worden ist und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn,
dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden
konnte.
47
a) In der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte ist anerkannt, dass die vom Arbeitgeber
gerügte Verkennung der Anzahl der in der Niederlassung D2xxxxxx wahlberechtigten
Arbeitnehmer (§ 7 BetrVG) und die Rüge der Wahl einer unrichtigen Anzahl von
Betriebsratsmitgliedern nach § 9 BetrVG zwar nicht zur Nichtigkeit, aber zur
Anfechtbarkeit einer Betriebsratswahl führen kann (BAG, Beschluss vom 14.01.1972 -
AP Nr. 2 zu § 20 BetrVG Jugendvertreter; BAG, Beschluss vom 12.10.1976 - AP Nr. 5 zu
§ 19 BetrVG 1972; BAG, Beschluss vom 29.06.1991 - AP Nr. 2 zu § 9 BetrVG 1972;
LAG Köln, Beschluss vom 17.04.1998 - NZA-RR 1999, 247;
Fitting/Kaiser/Heither/Engels/Schmidt, BetrVG, 21. Aufl., § 19 Rz. 12 und 22 sowie § 9
Rz. 52; Däubler/Kittner/Klebe/Schneider, BetrVG, 8. Aufl., § 19 Rz. 5; Kreutz, GK-
BetrVG, 7. Aufl., § 19 Rz. 138).
48
b) Zu Recht ist das Arbeitsgericht in dem angefochtenen Beschluss davon
ausgegangen, dass bei der Betriebsratswahl vom 29./30.04.2002 gegen wesentliche
Vorschriften über die Wählbarkeit verstoßen worden ist. Der Wahlvorstand ist zu
Unrecht davon ausgegangen, dass in der Niederlassung D2xxxxxx 45 Frauen und 173
Männer als Arbeitnehmer/innen beschäftigt sind und der Betriebsrat demzufolge aus
neun Mitgliedern zu bestehen hat. Die bei den Frachtführern angestellten Fahrer sind
nämlich - unabhängig von ihrer Wahlberechtigung nach § 7 S. 2 BetrVG - und bei der
Ermittlung der Anzahl der zu wählenden Betriebsratsmitglieder gemäß § 9 BetrVG nicht
zu berücksichtigen.
49
Nach § 7 Satz 1 BetrVG sind wahlberechtigt alle Arbeitnehmer des Betriebs, die das 18.
50
Lebensjahr vollendet haben. Nach § 9 Satz 1 BetrVG besteht ein Betriebsrat in
Betrieben mit 101 bis 200 Arbeitnehmern aus sieben Mitgliedern; erst bei einer Anzahl
von mehr als 201 Arbeitnehmern ist ein neunköpfiger Betriebsrat zu wählen.
Die bei den Frachtführern angestellten Fahrer gehören nach § 9 BetrVG nicht zur
Belegschaft des antragstellenden Arbeitgebers. Dies gilt auch dann, wenn die bei den
Frachtführern angestellten Fahrer als wahlberechtigt im Sinne des § 7 BetrVG
angesehen werden.
51
Arbeitnehmer im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes sind diejenigen Arbeitnehmer,
die in einem Arbeitsverhältnis zum Inhaber des Betriebs stehen und innerhalb der
Betriebsorganisation des Arbeitgebers abhängige Arbeitsleistungen erbringen. Zu den
konstitutiven Merkmalen der Betriebszugehörigkeit nach den §§ 7, 9 BetrVG gehören
grundsätzlich einerseits ein Arbeitsverhältnis zu dem Inhaber, das regelmäßig durch
einen Arbeitsvertrag zustande kommt, andererseits eine tatsächliche Eingliederung des
Arbeitnehmers in die Organisation des Betriebes des Arbeitgebers. Dies entspricht der
ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der sich auch die
Beschwerdekammer angeschlossen hat (BAG, Beschluss vom 18.01.1989 - AP Nr. 1 zu
§ 9 BetrVG 1972 - unter B. II. 1. b) der Gründe; BAG, Beschluss vom 29.01.1992 - AP Nr.
1 zu § 7 BetrVG 1972 - unter B. III. 1. a) der Gründe; BAG, Beschluss vom 22.03.2000 -
AP Nr. 8 zu § 14 AÜG - unter B. II. 2. a) aa) der Gründe; BAG, Beschluss vom
19.06.2001 - AP Nr. 1 zu § 87 BetrVG 1972 Leiharbeitnehmer - unter B. II. 1. a) der
Gründe; LAG Hamm, Beschluss vom 15.11.2002 - 10 TaBV 92/02 - DB 2003, 342;
Fitting, a.a.O., § 9 Rz. 14 und § 7 Rz. 16; Eisemann, ErfK, 3. Aufl., § 7 BetrVG Rz. 2
m.w.N.).
52
Im vorliegenden Fall fehlt es schon an der ersten Voraussetzung für eine
Betriebszugehörigkeit nach § 9 BetrVG, nämlich an einem Arbeitsvertrag zwischen den
vom Wahlvorstand berücksichtigten Fahrern der Frachtführer und dem antragstellenden
Arbeitgeber. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass zwischen diesen Fahrern und
dem antragstellenden Arbeitgeber kein Arbeitsverhältnis besteht. Die Fahrer, die der
Betriebsrat bei der Berechnung der Betriebsgröße mitberücksichtigt hat, sind nicht bei
dem antragstellenden Arbeitgeber, sondern bei den vom antragstellenden Arbeitgeber
beschäftigten Frachtführern angestellt. Ein Arbeitsverhältnis besteht lediglich zwischen
den Fahrern und den vom Arbeitgeber beschäftigten Frachtführern.
53
Da es bereits an einem Arbeitsverhältnis zwischen den Fahrern und den
antragstellenden Arbeitgeber fehlt, sind sie nicht dem Betrieb des antragstellenden
Arbeitgebers zugehörig und können demzufolge bei der Bemessung der Anzahl der zu
wählenden Betriebsratsmitglieder nicht berücksichtigt werden.
54
Auf die zwischen den Beteiligten streitige Frage, ob diese Fahrer in die
Betriebsorganisation des antragstellenden Arbeitgebers eingegliedert sind, kommt es
danach schon nicht mehr an.
55
Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass nach § 7 Satz 2 BetrVG n.F.
Arbeitnehmer, die einem anderen Arbeitgeber zur Arbeitsleistung überlassen werden,
wahlberechtigt sind, wenn sie länger als drei Monate im Betrieb eingesetzt werden.
Insoweit konnte die Beschwerdekammer offen lassen, ob die bei den Frachtführern
angestellten Fahrer dem antragstellenden Arbeitgeber zur Arbeitsleistung überlassen
sind. Selbst wenn dies der Fall wäre, wären sie bei der Anzahl der zu wählenden
56
Betriebsratsmitglieder nach § 9 BetrVG nicht mitzuberücksichtigen. Das
Beschwerdegericht hat inzwischen in mehreren Entscheidungen erkannt, dass
Leiharbeitnehmer bei der Ermittlung der Zahl der Betriebsratsmitglieder nach den §§ 9,
38 BetrVG keine Berücksichtigung finden können. Etwas anderes ergibt sich auch nicht
durch die Einräumung des aktiven Wahlrechts für Leiharbeitnehmer durch § 7 Satz 2
BetrVG n.F., weil der Arbeitnehmerbegriff des § 5 Abs. 1 BetrVG n.F. nicht geändert
worden ist (LAG Hamm, Beschluss vom 15.11.2002 - 10 TaBV 92/02 - DB 2003, 342 =
LAG Report 2003, 110; LAG Hamm, Beschluss vom 14.01.2003 - 13 TaBV 90/02 -).
Auch das Bundesarbeitsgericht hat inzwischen durch Beschluss vom 16.04.2003 - 7
ABR 53/02 - (Pressemitteilung Nr. 35/03) erkannt, dass Leiharbeitnehmer nicht zu den
Arbeitnehmern im Sinne des § 9 BetrVG zählen und bei der Ermittlung der
Betriebsratsgröße nicht zu berücksichtigen sind. Die erkennende Beschwerdekammer
schließt sich ausdrücklich den Gründen des Beschlusses vom 15.11.2002 - 10 TaBV
92/02 - an.
Für die bei den Frachtführern angestellten Fahrer, die vom Wahlvorstand als
wahlberechtigte Arbeitnehmer mitberücksichtigt worden sind, gilt nichts anderes.
57
c) Unter den Beteiligten ist unstreitig, dass durch die Mitberücksichtigung der bei den
Frachtführern angestellten Fahrer das Wahlergebnis beeinflusst worden ist. Ohne
Berücksichtigung dieser Fahrer sind in der Niederlassung des Arbeitgebers in D2xxxxxx
lediglich unter 200 Arbeitnehmer beschäftigt. Dies hat zur Folge, dass in der
Niederlassung D2xxxxxx nach § 9 Satz 1 BetrVG lediglich ein aus sieben Mitgliedern
bestehender Betriebsrat gewählt werden konnte.
58
Eine nachträgliche Korrektur des Wahlergebnisses kam nicht in Betracht. Da das
Wahlverfahren auf einem wesentlichen Mangel im Sinne des § 19 Abs. 1 BetrVG beruht,
muss die Betriebsratswahl im Ganzen wiederholt werden (BAG, Beschluss vom
12.10.1976 - AP Nr. 5 zu § 19 BetrVG; BAG, Beschluss vom 29.06.1991 - AP Nr. 2 zu §
9 BetrVG 1972; LAG Berlin, Beschluss vom 01.02.1988 - LAGE § 9 BetrVG 1972 Nr. 1;
Kreutz, a.a.O., § 19 Rz. 120; Däubler/Kittner/Klebe/Schneider, a.a.O., § 19 Rz. 37
m.w.N.).
59
3. Auf die Frage, ob die Betriebsratswahl vom 29./30.04.2002 darüber hinaus auch
wegen des Austausches des Wahlausschreibens durch den Wahlvorstand anfechtbar
gewesen ist, kam es nach alledem nicht mehr an.
60
III
61
Wegen der besonderen Bedeutung der Rechtssache hat die Beschwerdekammer die
Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht zugelassen, §§ 92 Abs. 1, 72 Abs. 2
ArbGG.
62
Schierbaum Luther Mantwill
63
/N.
64