Urteil des LAG Hamm vom 26.01.2006

LArbG Hamm: reisepass, arbeitsgericht, personalakte, amnesty international, abmahnung, firma, verfügung, jordanien, zukunft, amt

Landesarbeitsgericht Hamm, 15 Sa 1905/05
Datum:
26.01.2006
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
15. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
15 Sa 1905/05
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Bonn, 2 Ca 561/05
Nachinstanz:
Bundesarbeitsgericht, 3 AZN 293/06 Beschwerde verlustig 14.06.2006
Schlagworte:
Unbillige einseitige Leistungsbestimmung durch den Arbeitgeber;
Weigerung des Arbeitnehmers, der unbilligen Leistungsbestimmung
Folge zu leisten, berechtigt grundsätzlich nicht zur Kündigung
Normen:
§ 315 BGB; § 1 KSchG
Rechtskraft:
Die Revision wird nicht zugelassen
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts
Detmold vom 31.08.2005 - 2 Ca 561/05 - abgeändert und festgestellt,
dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom
01.03.2005 nicht aufgelöst worden ist.
Die Beklagte wird verurteilt, die Abmahnungen vom 04.02.2005 und
15.02.2005 aus der Personalakte des Klägers zu entfernen. Die
Beklagte wird weiter verurteilt, den Kläger über den 31.10.2005 hinaus
weiter zu beschäftigen. Der Auflösungsantrag des Klägers wird
zurückgewiesen.
Die Kosten der 1. Instanz trägt die Beklagte. Von den Kosten der 2.
Instanz trägt die Beklagte 8/10, der Kläger 2/10.
T a t b e s t a n d
1
Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit einer arbeitgeberseitigen Kündigung
und zweier Abmahnungen sowie um einen vom Kläger zweitinstanzlich gestellten
Auflösungsantrag.
2
Der am 16.01.1952 geborene Kläger ist seit dem 13.06.1977 als Feuerungsmaurer bei
der Beklagten beschäftigt, in deren Betrieb in L1xxx ca. 50 Arbeitnehmer tätig sind. Er
erhielt zuletzt ein monatliches Bruttoentgelt von ca. 4.800,00 €. Der Kläger ist verheiratet
und hat drei Kinder; das jüngste Kind ist 14 Jahre alt. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag
besteht zwischen den Parteien nicht. Ein Betriebsrat ist bei der Beklagten nicht gewählt.
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Die Beklagte ist als Spezialunternehmen im Feuerungsbau weltweit tätig und generiert
einen Großteil ihres Umsatzes im Auslandsgeschäft. Während der Zeit seiner Tätigkeit
für die Beklagte war der Kläger auch im Ausland eingesetzt, so u.a. 1985 in Jordanien
und 1986 in Ägypten. Auch in Saudi-Arabien war der Kläger für die Beklagte tätig. In
den letzten Jahren war der Kläger allerdings ausschließlich in Deutschland und im
europäischen Ausland eingesetzt.
4
Für einen vorgesehenen Einsatz in Saudi-Arabien forderte die Beklagte den Kläger mit
Schreiben vom 28.01.2005 auf, seinen Reisepass zwecks Beantragung eines Visums
zur Verfügung zu stellen. Hierzu war der Kläger nicht bereit und erklärte hierzu in einem
persönlichen Gespräch, er sei zum einen regelmäßig in Europa eingesetzt worden; zum
anderen sei es unzumutbar, einen Arbeitnehmer ohne dessen Einverständnis in dieses
Land zu senden. Es gebe genügend Kollegen, die gleichqualifiziert seien und freiwillig
den Einsatz in Saudi-Arabien akzeptierten.
5
Mit Schreiben vom 04.02.2005 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Abmahnung, die
folgenden Inhalt hat:
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"Sehr geehrter Herr A1xxxxxx,
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wir haben Sie mit Schreiben vom 28.01.2005 aufgefordert, Ihren Reisepass für
die Visa-Beantragung für den Arbeitseinsatz in Saudi-Arabien beizubringen.
8
Sie verweigern die Herausgabe Ihres Reisepasses und haben mitgeteilt, dass
Sie für einen Einsatz in Saudi-Arabien nicht zur Verfügung stehen.
9
Diese Weigerung stellt eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung dar.
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Sie wissen, dass die Firma auch im Auslandsgeschäft tätig ist. In der
Vergangenheit haben Sie ebenfalls an Auslandseinsätzen teilgenommen. Um
den visarechtlichen Bestimmungen in den Einsatzländern nachzukommen, ist
es erforderlich, dass die Arbeitnehmer der Firma mitwirken und ggf. Ihren
Reisepass vor einem Einsatz zur Verfügung stellen, damit alle weiteren
behördlichen Vorgänge erledigt werden können.
11
Ihre Weigerung stellt einen Verstoß dar und damit eine arbeitsvertragliche
Pflichtverletzung.
12
Wir mahnen Sie hiermit ab.
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Sollten Sie sich auch in Zukunft weigern, Ihren Reisepass zur Verfügung zu
stellen, wenn Auslandseinsätze erforderlich werden, dann müssen Sie mit einer
Weigerung rechnen.
14
Wir fordern Sie noch einmal auf, Ihren Reisepass vorzulegen bis zum
15
14.02.2005.
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Wir weisen Sie noch einmal ausdrücklich darauf hin, dass Sie für den
Arbeitseinsatz in Saudi-Arabien vorgesehen sind. Sollten Sie sich auch in
Zukunft der Mitwirkung widersetzen, dann müssen Sie damit rechnen, dass
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unter Umständen Ihr Arbeitsverhältnis arbeitgeberseits gekündigt wird."
Trotz dieser Abmahnung war der Kläger weiterhin nicht bereit, seinen Reisepass
vorzulegen. Mit Schreiben vom 15.02.2005 erteilte die Beklagte dem Kläger eine
weitere Abmahnung, die folgenden Inhalt hat:
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"Sehr geehrter Herr A1xxxxxx,
19
wir haben Sie mit Schreiben vom 28.01.2005 und dann noch einmal mit
Schreiben vom 04.02.2005 aufgefordert, Ihren Reisepass für die Visa-
Beantragung für den Arbeitseinsatz in Saudi-Arabien beizubringen.
20
Sie verweigern nach wie vor die Herausgabe Ihres Reisepasses.
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Wir weisen noch einmal darauf hin, dass diese Weigerung eine
arbeitsvertragliche Pflichtverletzung darstellt. Auf die Ausführungen aus
unserem Schreiben vom 04.02.2005 nehmen wir Bezug.
22
Wir mahnen Sie hiermit letztmalig ab.
23
Wir fordern Sie auch letztmalig auf, Ihren Reisepass bis zum
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22.02.2005
25
vorzulegen.
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Sollten Sie sich weiterhin Ihrer Mitwirkungspflicht widersetzen und den
Reisepass nicht innerhalb der vorbenannten Frist vorlegen, bzw. keine Gründe
vortragen, warum Sie den Reisepass nicht vorlegen können, dann werden wir
das mit Ihnen bestehende Arbeitsverhältnis arbeitgeberseits kündigen.
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Wir hatten Sie bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass Ihr Arbeitseinsatz in
Saudi-Arabien vorgesehen ist. Gründe in Ihrer Person, die einen Einsatz in
Saudi-Arabien ausschließen, sind nicht bekannt."
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Mit Schreiben vom 01.03.2005, das dem Kläger am 02.03.2005 zuging, erklärte die
Beklagte die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.10.2005. Hiergegen richtet
sich die am 17.03.2005 beim Arbeitsgericht Detmold eingegangene Feststellungsklage,
mit der der Kläger sich auch gegen die ihm gegenüber ausgesprochenen
Abmahnungen zur Wehr setzt.
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Der Kläger hat vorgetragen, er sei in den letzten Jahren seiner Beschäftigung bei der
Beklagten ausschließlich in Europa eingesetzt gewesen. Das Arbeitsverhältnis habe
sich auf solche Arbeitseinsätze konkretisiert. Auch wenn die Beklagte einen Großteil
ihres Umsatzes mit dem Auslandsgeschäft generiere, habe sie gleichwohl genügend
Aufträge im In- und benachbarten Ausland, bei denen er, der Kläger, eingesetzt werden
könne. Die Tatsache, dass die Beklagte ihn nunmehr nach Saudi-Arabien senden
möchte, stelle eine reine Schikane dar. Bislang sei es immer möglich gewesen, ihn auf
deutsche oder europäische Baustellen zu entsenden. Dies sei auch weiterhin möglich.
Es gebe genügend Kollegen, die sich für einen solchen Einsatz in Saudi-Arabien bereit
erklärten. So seien die Mitarbeiter K1xxxx, C1xxxx, J3xxx und J1xxxxxx bereit, nach
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Saudi-Arabien zu fliegen. Die Beklagte habe nicht dargelegt, weshalb sie ausgerechnet
ihn, den Kläger, nach Saudi-Arabien entsenden wolle und nicht die vorgenannten
Kollegen. Es sei ohne weiteres möglich, diese Arbeitnehmer nach Saudi-Arabien zu
entsenden, die diese Arbeit sogar gerne und freiwillig übernehmen würden. Er, der
Kläger, könne wiederum auf den Baustellen eingesetzt werden, auf denen die Beklagte
die oben genannten Arbeitnehmer derzeit einsetze. Bei Vorlage der Einsatzpläne durch
die Beklagte werde sich zeigen, dass eine Umsetzung bzw. Umplanung des Personals
ohne weiteres möglich sei, um auf seine, des Klägers, Interessen Rücksicht zu nehmen.
Diese Verpflichtung des Arbeitgebers folge schon aus dem Rücksichtnamegebot und
der allgemeinen Fürsorgepflicht. Zu berücksichtigen sei in diesem Zusammenhang
auch, dass das Auswärtige Amt derzeit Sicherheitshinweise erteile und von Reisen
nach Saudi-Arabien abrate.
Soweit die Beklagte geltend mache, es gebe immer weniger Baustellen, auf denen er,
der Kläger, eingesetzt werden könne, verweise er auf die Liste seiner Arbeitseinsätze in
den Jahren 2003 und 2004. Hieraus ergebe sich, dass er ohne Unterbrechung
eingesetzt gewesen sei. Auch in Zukunft sei auf den genannten Baustellen noch Arbeit
vorhanden, die er, der Kläger, ausführen könne. Er habe sich auch nicht geweigert,
neuere Arbeitstechniken, wie Shotcasten und Dens-Gunning zu erlernen.
Dahingehende Fortbildungsmaßnahmen seien ihm nicht angeboten worden. Falsch sei
auch die Behauptung der Beklagten, Kunden würden es ablehnen, mit ihm, dem Kläger,
zusammenzuarbeiten. Bestritten werde auch, dass er keine Führungsqualitäten habe
und den Materialbedarf nicht vorausschauend kalkulieren könne.
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Er, der Kläger, sei nach alledem berechtigt gewesen, die Vorlage des Reisepasses
zwecks Beantragung eines Visums für Saudi-Arabien zu verweigern. Denn die Beklagte
sei nicht berechtigt gewesen, ihn nach Saudi-Arabien zu entsenden. Deswegen seien
die Abmahnungen vom 04.02.2005 und 15.02.2005 rechtswidrig und müssten aus
seiner Personalakte entfernt werden.
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Der Kläger hat beantragt,
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1. festzustellen, dass die Kündigung vom 01.03.2005 unwirksam ist;
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2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger über den 31.10.2005
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hinaus weiter zu beschäftigen;
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3. die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnung vom 04.02.2005 aus
37
der Personalakte zu entfernen;
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4. die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnung vom 15.02.2005 aus
39
der Personalakte zu entfernen.
40
Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat vorgetragen, der Kläger sei zwar ein hervorragender Handwerker, jedoch nicht
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bereit, sich der Entwicklung im Feuerungsbau anzupassen. Über die klassische
Mauerung und Schalung hinaus sei mittlerweile eine Vielzahl von weiteren Techniken
erforderlich, um im Feuerungsbau als Spezialunternehmen bestehen zu können. Der
Kläger sei nicht bereit, diese weitergehenden Qualifikationen zu erlernen.
Fortbildungsangebote habe der Kläger in der Vergangenheit ausgeschlagen.
Baustellen, auf denen der Kläger mit seiner Qualifikation eingesetzt werden könne,
würden immer weniger. Hinzu komme, dass der Kläger über keine Führungsqualitäten
verfüge und den Materialbedarf nicht vorausschauend kalkulieren könne. Ein Einsatz
über die reine Feuerungsmauerung hinaus sei für den Kläger nicht denkbar.
Im Laufe seiner Tätigkeit sei der Kläger, für sie, die Beklagte, weltweit tätig gewesen. Er
sei auch in Saudi-Arabien eingesetzt gewesen. Dies sei auch erforderlich, da sie, die
Beklagte, weltweit agiere und der Markt im Feuerungsbau in Deutschland allein nicht
groß genug sei. Aufgrund der Tatsache, dass sie den Großteil ihres Umsatzes mit dem
Auslandsgeschäft generiere, aber auch aufgrund der Tatsache, dass eine Vielzahl von
Auftraggebern nicht mehr bereit sei, den Kläger als Feuerungsmaurer zu akzeptieren,
sei es erforderlich, dass der Kläger sich in das Auslandsgeschäft eingliedere. Zu diesem
Zweck sei der Kläger gebeten worden, für seinen vorgesehenen Einsatz in Saudi-
Arabien seinen Reisepass beizubringen. Dazu sei der Kläger nicht bereit gewesen,
ohne hierfür nachvollziehbare Gründe zu nennen. Diese Weigerung stelle eine
Pflichtverletzung dar, die von ihr, der Beklagten, zu Recht abgemahnt worden sei. Da
der Kläger auch nach den Abmahnungen nicht bereit gewesen sei, seinen Reisepass
beizubringen, habe sie letztlich die Kündigung des Arbeitsverhältnisses ausgesprochen.
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Entgegen der Auffassung des Klägers sei er verpflichtet gewesen, den Reisepass für
den avisierten Arbeitseinsatz in Saudi-Arabien vorzulegen. Eine Reisewarnung des
Auswärtigen Amtes liege nicht vor. Saudi-Arabien sei als Land zur Durchführung von
Feuerungsbauarbeiten nicht gefährlicher als andere innereuropäische Einsatzorte. Der
Kläger habe auch nicht deutlich gemacht, warum er aus ethischen, kulturellen und
sonstigen religiösen Gründen den Einsatz in Saudi-Arabien ablehne.
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Zu berücksichtigen sei auch, dass sich die Einsatzorte für den Kläger aufgrund seiner
eingeschränkten Einsatzmöglichkeit immer mehr verringert hätten. Er sei deshalb
gehalten, ihrem Direktionsrecht Folge zu leisten und auf denjenigen Baustellen tätig zu
werden, die sie, die Beklagte, für seinen Einsatz als geeignet erachte. Bei dem
Bauvorhaben in Saudi-Arabien, für das der Kläger eingeteilt gewesen sei, handele es
sich um Mehrkammeröfen. Bei der Firma Breckweg in Rheine befänden sich baugleiche
Öfen, die vom Kläger in der Vergangenheit repariert worden seien. Es habe sich hierbei
um einfache Maurerarbeiten gehandelt, so dass der Kläger für dieses Bauvorhaben in
Saudi-Arabien prädestiniert gewesen sei. Die Einsatzorte für den Kläger hätten sich in
der Vergangenheit auch deshalb reduziert, weil der Kläger nicht bereit gewesen sei,
teamorientiert zu arbeiten und einzelne Kunden es ausdrücklich abgelehnt hätten, dass
der Kläger dort für Reparaturarbeiten abgestellt werde. Der Kläger sei auch nicht in der
Lage, Materialbedarf für seine Baustellen angemessen zu kalkulieren. Aufgrund dieser
Umstände sei es zwingend erforderlich gewesen, den Kläger nach Saudi-Arabien zu
entsenden. Sie, die Beklagte, könne in ihrem Betriebsablauf nicht auf einzelne
Interessen von Mitarbeitern Rücksicht nehmen. Sie müsse in der Lage sein, die
Mitarbeiter dort einzusetzen, wo sie gebraucht würden. Dies werde von allen
Mitarbeitern akzeptiert, nur nicht vom Kläger.
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Unerheblich sei, ob in ihrem Unternehmen Kollegen des Klägers bereit gewesen seien,
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nach Saudi-Arabien zu fliegen. Der Zeuge B4xxx, der die Einsätze der Mitarbeiter plane,
habe zeitweise über 20 Baustellen zu koordinieren. Er könne deshalb keine Rücksicht
darauf nehmen, welcher Mitarbeiter in welchem Land nicht arbeiten wolle. Der Kläger
könne nicht erwarten, dass auf seine Person besondere Rücksicht genommen werde.
Aufgrund seiner eingeschränkten Qualifikation sei das Einsatzgebiet für ihn ohnehin
beschränkt. Ihr, der Beklagten, könne nicht zugemutet werden, noch innerhalb der
beschränkten Möglichkeiten entsprechend den Vorlieben des Klägers zu disponieren.
Die Tatsache, dass es ihr gelungen sei, in der Vergangenheit trotz eingeschränkter
Einsatzmöglichkeiten für den Kläger Arbeit auf geeigneten Baustellen zu finden, könne
ihr nicht zum Nachteil gereichen.
Durch Urteil vom 31.08.2005 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Gegen
dieses Urteil, das dem Kläger am 29.09.2005 zugestellt worden ist, richtet sich die
Berufung des Klägers, die am 05.10.2005 beim Landesarbeitsgericht eingegangen und
am 29.11.2005 begründet worden ist.
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Der Kläger vertritt weiter die Auffassung, die Kündigung vom 01.03.2005 sowie die
Abmahnungen vom 04.02.05 und 15.02.2005 seien unwirksam. Richtig sei zwar, dass
die Beklagte weltweit tätig sei. Er, der Kläger, sei jedoch seit 1986 ausschließlich im
europäischen Binnenmarkt eingesetzt gewesen. 1985 sei er für zweieinhalb Monate in
Jordanien eingesetzt gewesen und habe dort einen Arbeitsunfall erlitten. 1986 sei er im
Rahmen seines letzten Auslandsaufenthalts für die Beklagte in Ägypten tätig gewesen.
Dort habe er bei der Ausübung seiner Tätigkeit einen Bandscheibenvorfall erlitten.
Diese Arbeitsunfälle hätten bei ihm ein Trauma hinterlassen, das zu Angstzuständen
führe, wenn er an Einsätze in Ländern wie Ägypten, Saudi-Arabien oder Jordanien
denke.
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Darüber hinaus sei er inzwischen 53 Jahre alt und habe ein Familie, wobei die jüngste
Tochter 14 Jahre alt sei. Er, der Kläger, habe seine familiären Wurzeln in Bayern und sei
mit der katholischen Kirche sehr verbunden. Menschenrechtsverletzungen jeglicher Art
berührten ihn sehr und belasteten ihn psychisch. So sei Saudi-Arabien ein Land,
dessen politische, kulturelle und religiöse Ausrichtung nicht mit seinen religiösen,
ethischen und kulturellen Grundsätzen in Einklang zu bringen sei. Er, der Kläger,
verweise auf den Jahresbericht von Amnesty International Deutschland aus dem
Berichtszeitraum 01.01. bis 31.12.2004 (Bl. 91 ff. d.A.). Nicht umsonst erteile das
Auswärtige Amt Sicherheitshinweise mit dem Ratschlag, Reisen nach Saudi-Arabien zu
unterlassen. Von Bedeutung sei in diesem Zusammenhang, dass mehrere
gleichausgebildete und gleichfähige Kollegen bereit seien, freiwillig nach Saudi-
Arabien zu gehen. Es handele sich um die von ihm bereits erstinstanzlich genannten
Mitarbeiter der Beklagten, die jünger als er, der Kläger, und bereit seien, in Saudi-
Arabien zu arbeiten.
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Das Arbeitsgericht habe bei seiner Entscheidung den Gesichtspunkt der
Religionsfreiheit außer acht gelassen. Ihm, der Kläger, wäre es in Saudi-Arabien weder
möglich gewesen, seinen christlichen Glauben auszuüben, sonntags an katholischen
Messen teilzunehmen, seinen katholischen Glauben öffentlich zu bekennen und sich für
andere im Rahmen seines christlichen Glaubens einzusetzen. Diesen Gesichtspunkt
hätte das Arbeitsgericht im Rahmen der Billigkeitsabwägung berücksichtigen müssen.
Das Arbeitsgericht habe weiterhin nicht ausreichend berücksichtigt, dass mindestens
vier weitere, von ihm benannte Kollegen bereit gewesen seien, nach Saudi-Arabien zu
fahren. Die von ihm benannten Kollegen seien schon mehrfach zu Auslandseinsätzen in
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Saudi-Arabien oder vergleichbaren Ländern entsandt worden. Was bisher in fast
zwanzigjähriger Tätigkeit der Beklagten im Ausland gegangen sei – nämlich ihn, den
Kläger, nicht in Saudi-Arabien oder in ähnlichen Ländern einzusetzen – müsse auch
nunmehr gehen. Die Beklagte habe nicht weiter dargelegt, weshalb sie gerade jetzt auf
ihn, den Kläger, keine Rücksicht zu nehmen gedenke. Bereits erstinstanzlich habe er
mehrfach ausgeführt, dass genügend Baustellen in Deutschland und Europa vorhanden
seien. Es sei der Beklagten ohne weiteres möglich gewesen, ihn, den Kläger, auf
diesen Baustellen einzusetzen und andere Kollegen nach Saudi-Arabien zu entsenden.
Letztlich sei er, der Kläger, durch die Kündigung wegen seiner Haltung gegenüber
Saudi-Arabien abgestraft worden. Er habe von Beginn an erklärt, dass er einen Einsatz
in Saudi-Arabien aus kulturellen, religiösen und ethischen Gesichtspunkten ablehne. Er
habe ohne Rücksicht auf sein Gewissen dem arbeitgeberseitigen Einsatz folgen sollen,
obwohl dies auch jeder andere hätte tun können. Seine Weigerung, dem
arbeitgeberseitigen Aufruf zum Arbeitseinsatz in Saudi-Arabien nachzukommen, den er,
der Kläger, nur als willkürlich habe empfinden können, habe die Beklagte mit den
beiden Abmahnungen und der nachfolgenden Kündigung "abgestraft". Er, der Kläger,
habe sich hierdurch diskriminiert gefühlt.
52
Der Kläger beantragt,
53
I. Das Urteil des Arbeitsgerichts Detmold vom 31.08.2005 auf-
54
zu heben und
55
56
1. festzustellen, dass die Kündigung vom 01.03.2005 unwirksam
57
ist;
58
2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger über den 31.10.2005
59
hinaus weiter zu beschäftigen;
60
3. die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnung vom 04.02.2005
61
aus der Personalakte zu entfernen,
62
4. die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnung vom 15.02.2005
63
aus der Personalakte zu entfernen.
64
II. Das Arbeitsverhältnis gemäß §§ 9, 10 KSchG aufzulösen und
65
dem Kläger eine angemessene Abfindung zuzusprechen.
66
Die Beklagte beantragt,
67
I. Die Berufung des Klägers zurückzuweisen,
68
II. den Auflösungsantrag des Klägers zurückzuweisen.
69
Sie verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil trägt vor, soweit der Kläger erstmals in der
Berufungsinstanz vortragen lasse, es sei ihm in Saudi-Arabien nicht möglich, seinen
christlichen Glauben auszuüben, an katholischen Messen teilzunehmen, seinen
katholischen Glauben offen zu bekennen und sich für andere im Rahmen seines
christlichen Glaubens einzusetzen, sei dies nicht mehr zu berücksichtigen, da
erstinstanzlich hätte vorgetragen werden können. Das Arbeitsgericht habe in seinem
Urteil darauf hingewiesen, dass auch nach mehrmaligen Nachfragen im Termin zur
mündlichen Verhandlung nicht nachvollziehbar gewesen sei, welche ethischen,
kulturellen und sonstigen religiösen Gründe den Kläger vom Arbeitseinsatz in Saudi-
Arabien abgehalten hätten. Auf Nachfragen habe der Kläger insoweit keine Gründe
angeben können. Auch ihr, der Beklagten, gegenüber habe der Beklagte zu keinem
Zeitpunkt deutlich gemacht, dass er den Arbeitseinsatz aus ethischen, kulturellen oder
religiösen Gründen ablehne. Der Kläger sei in der Vergangenheit auf einer Vielzahl von
Auslandsbaustellen eingesetzt gewesen. Zu keinem Zeitpunkt habe er deutlich
gemacht, dass besondere ethische, kulturelle oder sonstige religiöse Gründe solche
Arbeitseinsätze für ihn beeinflussten. Er habe auch keinem Vorgesetzten oder
Mitarbeiter deutlich gemacht, dass er ein besonders religiöser Mensch sei und Wert
darauf lege, sonntags in die katholische Messe zu gehen. Im Gegenteil sei der Kläger
stets bereit gewesen, auch an Sonntagen und Feiertagen zu arbeiten, um sein Gehalt
aufzubessern.
70
Sie, die Beklagte, weise nochmals darauf hin, dass die Entscheidung, den Kläger in
Saudi-Arabien einzusetzen, sachlich motiviert gewesen sei. Der Kläger sei für das
Bauvorhaben in Saudi-Arabien deshalb besonders geeignet gewesen, weil dort
Mehrkammeröfen vorhanden seien, die baugleich seien mit denen bei der Firma
Breckweg in Rheine, die der Kläger in der Vergangenheit repariert habe. Der Einsatz
des Klägers in Saudi-Arabien habe somit genau seinen fachlichen Voraussetzungen
entsprochen. Die vom Kläger benannten Zeugen K1xxxx, C1xxxx, J3xxx und J1xxxxxx
seien für andere Einsätze bereits verplant und damit nicht verfügbar gewesen. Im
Übrigen seien sie im Hinblick auf ihre Qualifikation mit dem Kläger nicht vergleichbar.
Natürlich seien die vom Kläger benannten Zeugen bereit, in Saudi-Arabien zu arbeiten.
Alle Mitarbeiter, die sie, die Beklagte, beschäftige, seien bereit, weltweit tätig zu sein.
Diese Bereitschaft sei Voraussetzung für eine Beschäftigung in ihrem Unternehmen.
Auch der Kläger sei in der Vergangenheit im europäischen, aber auch im
außereuropäischen Ausland für sie tätig gewesen. Da der Kläger ihrem Einsatzleiter zu
keinem Zeitpunkt seine Motivation deutlich gemacht habe, warum er in Saudi-Arabien
nicht arbeiten wolle, sei sie auch nicht gehalten gewesen, zu prüfen, ob andere
Arbeitnehmer den Arbeitseinsatz hätten übernehmen können.
71
Entgegen der Darstellung des Klägers setze sie, die Beklagte, ihre Mitarbeiter weltweit
sehr verantwortlich ein. Sie berücksichtige durchaus, ob Einsätze den Mitarbeitern
zugemutet werden könnten oder ob Bedingungen im Einsatzland gegen einen Einsatz
sprächen. Das Arbeitsgericht habe zutreffend ausgeführt, dass eine Reisewarnung des
Auswärtigen Amtes hinsichtlich eines Einsatzes in Saudi-Arabien nicht vorliege. Zum
Zeitpunkt des streitigen Einsatzes in Saudi-Arabien habe es weder Bedenken gegen die
Sicherheit im Lande selbst noch gegen die Arbeitssicherheit gegeben.
72
Trotz intensiver Recherche könne nicht nachvollzogen werden, dass der Kläger im
Jahre 1986 in Ägypten einen Bandscheibenvorfall sowie im Jahre 1985 in Jordanien
73
einen Arbeitsunfall erlitten habe. Dass der Kläger deswegen ein Trauma erlitten habe,
habe er zu keinem Zeitpunkt mitgeteilt. Der dahingehende Vortrag sei erst
zweitinstanzlich erfolgt und könne daher nicht berücksichtigt werden.
74
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den
vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
75
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
76
I.
77
Die Berufung des Klägers ist an sich statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und
begründet worden.
78
II.
79
Der Sache nach hat die Berufung insoweit Erfolg, als das Arbeitsgericht die Klage
abgewiesen hat. Denn das Arbeitsverhältnis ist durch die Kündigung der Beklagten vom
01.03.2005 nicht aufgelöst worden. Dementsprechend ist die Beklagte auch verpflichtet,
den Kläger über den 31.10.2005 hinaus zu beschäftigen. Sie ist weiter verpflichtet, die
Abmahnungen vom 04.02.2005 und 15.02.2005 aus der Personalakte des Klägers zu
entfernen.
80
Dagegen war der Auflösungsantrag des Klägers, der gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 KSchG
bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz gestellt
werden kann, zurückzuweisen.
81
1. Die Kündigung der Beklagten vom 01.03.2005 ist gemäß § 1 Abs. 1 KSchG, das
streitlos auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung findet, sozial ungerechtfertigt
und damit rechtsunwirksam. Denn die Kündigung ist nicht durch Gründe, die in der
Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende
betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem
Betrieb entgegenstehen, bedingt. Dies hat der Kläger rechtzeitig innerhalb der
dreiwöchigen Klagefrist des § 4 KSchG gerichtlich geltend gemacht.
82
a) Allerdings hat der Kläger sich geweigert, der Beklagten seinen Reisepass zwecks
Beantragung eines Visums für den vorgesehenen Arbeitseinsatz in Saudi-Arabien zur
Verfügung zu stellen, obwohl er deswegen bereits abgemahnt worden war.
83
aa) Der Beklagten ist zuzugeben, dass die Arbeitspflicht des Klägers sich grundsätzlich
auch auf Einsätze im Ausland erstreckt, die der Beklagten im Rahmen ihrer
unternehmerischen Tätigkeit übertragen werden. Der Kläger ist allgemein als
Feuerungsmaurer eingestellt worden, wobei ein schriftlicher Arbeitsvertrag nicht
geschlossen worden ist. Dementsprechend sind Beschränkungen nach Art, Ort und Zeit
der zu leistenden Arbeit nicht getroffen worden, so dass sich die Arbeitspflicht des
Klägers grundsätzlich auch auf Arbeitseinsätze in Saudi-Arabien erstreckt. Wird die
Tätigkeit des Arbeitnehmers bei seiner Einstellung lediglich fachlich umschrieben, so
können ihm sämtliche Arbeiten zugewiesen werden, die diesem Berufsbild entsprechen
(vgl. Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht – Preis, 6. Aufl., § 611 BGB Rn. 799 m.w.N.).
84
bb) Mangels eines vereinbarten Vorbehalts, der die örtliche Einsetzbarkeit des Klägers
in irgendeiner Weise beschränkt, war der Kläger grundsätzlich verpflichtet, sämtliche
ihm von der Beklagten zugewiesenen Auslandseinsätze zu übernehmen. Auch wenn
der Kläger in den letzten Jahren ausschließlich in Deutschland und im europäischen
Ausland eingesetzt worden ist, hat sich die örtliche Einsetzbarkeit hierdurch allein nicht
auf diesen Bereich beschränkt. Eine Konkretisierung hinsichtlich Ort, Art und Zeit der zu
leistenden Arbeit tritt allein durch Zeitablauf auch bei langjähriger Tätigkeit in einer
bestimmten Weise nicht ein. Es bedarf vielmehr zusätzlicher qualifizierter Umstände, die
den Schluss zulassen, das Direktionsrecht des Arbeitgebers sei in dieser Weise
beschränkt worden (vgl. Erfurter Kommentar – Preis, a.a.O., Rn. 801, 808 f. m.w.N.).
Dahingehende Anhaltspunkte sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
85
b) Ist die Beklagte mangels entgegenstehender Umstände grundsätzlich berechtigt, den
Kläger im Rahmen seiner Beschäftigung als Feuerungsmaurer durch einseitige
Leistungsbestimmung weltweit auf Baustellen zu entsenden, die sie im Rahmen ihrer
unternehmerischen Tätigkeit angenommen hat, so muss die Leistungsbestimmung im
Einzelfall dennoch gemäß § 315 BGB nach billigem Ermessen erfolgen. Entspricht die
einseitige Leistungsbestimmung nicht der Billigkeit, so ist sie gemäß § 315 Abs. 3 BGB
unverbindlich. Ob die konkrete Leistungsbestimmung im Einzelfall billigem Ermessen
entspricht, ist unter Abwägung der Interessenlage beider Vertragsparteien zu ermitteln
(vgl. Erfurter Kommentar – Preis, a.a.O., Rn. 810 m.w.N.).
86
aa) Im Rahmen der Interessenabwägung ist zu Gunsten der Beklagten insbesondere zu
berücksichtigen, dass sie weltweit im Ofenbau tätig ist und deshalb auf einen flexiblen
Einsatz ihrer Arbeitnehmer angewiesen ist. Da im Verhältnis zum Kläger
Beschränkungen im Hinblick auf die örtliche Einsetzbarkeit nicht ersichtlich sind, muss
sie grundsätzlich darauf vertrauen können, dass er jedem ihm zugewiesenen
Auslandseinsatz – ohne Rücksicht auf den konkreten Einsatzort – Folge leistet.
Andernfalls können sich Probleme bei der Koordination der zahlreichen parallel zu
besetzenden Baustellen ergeben.
87
Zu Gunsten der Beklagten ist weiter zu berücksichtigen, dass der Einsatz in Saudi-
Arabien den fachlichen Voraussetzungen des Klägers entsprach. Der Kläger hat nicht in
Abrede gestellt, dass bei dem Bauvorhaben in Saudi-Arabien, für das er eingeteilt
werden sollte, Mehrkammeröfen aufzumauern waren, die sich baugleich bei der Firma
Breckweg in Rheine befinden und die vom Kläger in der Vergangenheit bereits repariert
worden waren.
88
bb) Auf der anderen Seite ist zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass er
bereits 53 Jahre alt und seit 28 Jahren bei der Beklagten beschäftigt ist. Zu
berücksichtigen ist weiter, dass der Kläger unstreitig seit 1986 nur noch auf Baustellen
der Beklagten in Deutschland bzw. im europäischen Ausland eingesetzt worden ist. Es
ist nachvollziehbar, dass es für einen langjährig beschäftigten Arbeitnehmer in diesem
Alter, der seit fast 20 Jahren nicht mehr in einem Land wie Saudi-Arabien eingesetzt
worden ist, eine größere Belastung als für einen jüngeren Arbeitnehmer darstellt, wenn
er zur Arbeit in ein solches Land entsandt wird. Auch wenn die vom Kläger erst
zweitinstanzlich geltend gemachten religiösen, ethischen und kulturellen Grundsätze,
die einem Einsatz in Saudi-Arabien entgegenstünden, unberücksichtigt bleiben, sind in
diesem Zusammenhang die allgemein bekannten Sicherheitsrisiken einer Reise nach
Saudi-Arabien in die Interessenabwägung einzubeziehen. Hierauf hatte der Kläger
bereits erstinstanzlich hingewiesen und die vom Auswärtigen Amt
89
veröffentlichen Sicherheitshinweise zu den Akten gereicht. In diesen Hinweisen nach
dem Stand vom 07.12.2004 heißt es wörtlich:
90
"Reisen nach und der Aufenthalt in Saudi-Arabien bedeuten daher ein erhöhtes
Risiko. Deutschen, die nach Saudi-Arabien reisen oder sich bereits dort
aufhalten, wird empfohlen, kritisch zu prüfen, ob die eigene Reise bzw. der
eigene Aufenthalt und der von Familienangehörigen dringend notwendig ist.
Andernfalls sollte ein Verzicht auf die Reise bzw. die Ausreise in Betracht
gezogen werden."
91
Vor diesem Hintergrund erscheint es verständlich, dass ein 53jähriger Familienvater mit
drei Kindern einem Aufenthalt in Saudi-Arabien mit größeren Bedenken begegnet als
ein jüngerer lediger Arbeitnehmer.
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Angesichts der Tatsache, dass vier namentlich vom Kläger genannte Kollegen bereit
waren, an seiner Stelle den Einsatz in Saudi-Arabien zu übernehmen, konnte die
Kammer nicht nachvollziehen, weshalb die Beklagte darauf bestanden hat, dass gerade
der Kläger den Auftrag in Saudi-Arabien übernehmen sollte. Unter Berücksichtigung der
weiteren Tatsache, dass die Beklagte ca. 50 Ofenbauer beschäftigt und der Auftrag in
Saudi-Arabien nach dem Sachvortrag der Beklagten weniger qualifizierte Aufgaben
beinhaltete, hätte es nach Auffassung der Kammer nahegelegen, im Wege des
Tausches der Einsätze dem Kläger eine andere Tätigkeit zuzuweisen, die den
Sicherheitsbedenken des Klägers Rechnung trug. Dass dies auch unter
Berücksichtigung der nach Darstellung der Beklagten eingeschränkten
Einsatzmöglichkeiten für den Kläger nicht möglich gewesen sein soll, war für die
Kammer nicht ersichtlich. Der Geschäftsführer der Beklagten hat im Termin vom
26.01.2006 auf Nachfrage der Kammer eingeräumt, dass ein anderer Arbeitnehmer
letztlich den Auftrag in Saudi-Arabien erledigt hat, während der Kläger im Rahmen
seiner Beschäftigung während der Kündigungsfrist auf anderen Baustellen eingesetzt
war. Dass es hierdurch zu irgendwelchen Betriebsstörungen gekommen ist, hat die
Beklagte nicht dargelegt.
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War es damit letztlich ohne erkennbare Schwierigkeiten möglich, den Kläger trotz seiner
eingeschränkten Einsatzmöglichkeiten – wie in den früheren Jahren auch – auf einer
Baustelle in Deutschland bzw. im europäischen Ausland einzusetzen und den Auftrag in
Saudi-Arabien einem anderen Arbeitnehmer zuzuweisen, so erscheint es unter
Berücksichtigung sämtlicher Gesichtspunkte unbillig, wenn die Beklagte darauf besteht,
dass der Kläger ent-sprechend der von ihr getroffenen einseitigen Leistungsbestimmung
den Auftrag in Saudi-Arabien erledigen und deshalb zwecks Beantragung eines Visums
seinen Pass vorlegen sollte. Ist die durch die Beklagte vorgenommene
Leistungsbestimmung unbillig und damit gemäß § 315 BGB unverbindlich, hat der
Kläger durch seine Weigerung, seinen Pass zwecks Beantragung eines Visums für
Saudi-Arabien vorzulegen, keine Pflichtverletzung begangen, so dass die deswegen
ausgesprochene Kündigung vom 01.03.2005 rechtsunwirksam ist.
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2. Der Kläger hat auch einen Anspruch auf Entfernung der Abmahnungen vom
04.02.2005 und 15.02.2005 aus seiner Personalakte. Wie oben aufgezeigt wurde, hat
der Kläger durch seine Weigerung, der Beklagten seinen Reisepass zwecks
Beantragung eines Visums vorzulegen, damit er den für ihn vorgesehenen
Arbeitseinsatz in Saudi-Arabien erfüllen konnte, keine Pflichtverletzung begangen.
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Denn die einseitige Leistungsbestimmung der Beklagten erscheint unter den hier
gegebenen besonderen Umständen als unbillig und ist damit gemäß § 315 BGB
unverbindlich. Sind die Abmahnungen damit ungerechtfertigt, so hat der Kläger in
entsprechender Anwendung der §§ 242, 1004 BGB einen Anspruch auf Entfernung
dieser Abmahnungen aus seinen Personalakten (vgl. Schaub–Linck,
Arbeitsrechtshandbuch, 11. Aufl., § 61 Rn. 68 f. m.w.N.).
3. Ist das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 01.03.2005 nicht
aufgelöst worden, so ist auch über den vom Kläger im Termin vom 26.01.2006 gestellten
Auflösungsantrag zu entscheiden. Dieser Antrag ist zurückzuweisen. Denn der Kläger
hat Auflösungsgründe im Sinne des § 9 KSchG nicht dargelegt. Darlegungs- und
beweispflichtig für die Gründe, die die Unzumutbarkeit der Fortführung des
Arbeitsverhältnisses rechtfertigen sollen, ist der den Auflösungsantrag stellende
Arbeitnehmer. Das Gericht darf Tatsachen, die von ihm zur Begründung seines
Auflösungsantrages nicht vorgetragen worden sind, selbst dann nicht verwerten, wenn
sie offenkundig sind (vgl. BAG, Urteil vom 30.09.1976, EzA § 9 KSchG n.F. Nr. 3). Dies
folgt aus dem auch im Verfahren vor den Arbeitsgerichten geltenden
Verhandlungsgrundsatz, wonach das Gericht nur von solchen Tatsachen ausgehen
darf, die von der jeweils darlegungspflichtigen Partei vorgebracht worden sind. Da nicht
ersichtlich ist, auf welche Tatsachen der vom Kläger im Termin vom 26.01.2006
gestellte Auflösungsantrag gestützt werden soll, konnte der Antrag keinen Erfolg haben.
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4. Besteht das Arbeitsverhältnis der Parteien demnach über den 31.10.2005 fort, so ist
die Beklagte verpflichtet, den Kläger über diesen Zeitpunkt hinaus
weiterzubeschäftigen.
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III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91, 92 ZPO.
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Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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Dr. Wendling
Witt
Menke
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/Bu.
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