Urteil des LAG Hamm vom 10.10.2003

LArbG Hamm: betriebsrat, unabhängigkeit des rechtsanwalts, arbeitsgericht, abstraktes gefährdungsdelikt, fristlose kündigung, beschwerdekammer, anwaltsgemeinschaft, kündigungsschutz, rechtspflege

Landesarbeitsgericht Hamm, 10 TaBV 94/03
Datum:
10.10.2003
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
10. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
10 TaBV 94/03
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Dortmund, 6 BV 97/02
Nachinstanz:
Bundesarbeitsgericht, 7 ABR 60/03 Rechtsbeschwerde teilweise
aufgehoben 25.08.2004
Schlagworte:
Kosten der Prozessvertretung des Betriebsrats im Beschlussverfahren
Honorarforderung eines Rechtsanwalts Nichtigkeit von
Anwaltsverträgen bei Interessenkollisionen Verbot der Vertretung
widerstreitender Interessen
Normen:
§ 40 Abs. 1 BetrVG§ 43 a Abs. 4 BRAO
Leitsätze:
Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, die Kosten eines vom Betriebsrat
mit der Prozessver-tretung beauftragten Rechtsanwalts zu tragen, wenn
der Rechtsanwalt in einem Verfahren nach § 103 BetrVG gleichzeitig
den Betriebsrat und das betroffene Betriebsratsmitglied ver-tritt, weil
darin ein Verstoß gegen das Verbot der Vertretung widerstreitenden
Interessen nach § 43 a Abs. 4 BRAO liegt.
Rechtskraft:
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen
Tenor:
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des
Arbeitsgerichts Dortmund vom 05.12.2002 - 6 BV 97/02 - wird
zurückgewiesen.
Gründe
1
A
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Die Beteiligten streiten darüber, ob die Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrates
die Zahlung von den in einem Beschlussverfahren entstandenen Rechtsanwaltskosten
verlangen können.
3
Der Arbeitgeber betreibt, u.a. in R2xxxxxxxxxxxx, Lebensmittelmärkte.
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Mit der Mitarbeiterin S4xxxxx, die seit dem 01.08.1991 beim Arbeitgeber bzw. dessen
Rechtsvorgänger tätig war, kam es bereits im Jahre 1999 zu einem Rechtsstreit über die
Wirksamkeit einer Versetzungsmaßnahme 4(7) Ca 6017/99 Arbeitsgericht Dortmund =
10 (17) Sa 941/01 Landesarbeitsgericht Hamm).
5
Im Laufe dieses Rechtsstreits wurde die Mitarbeiterin S4xxxxx am 07.12.1999 zum
Betriebsratsmitglied der Filiale D1xxxxxx-L1xxxxxxxxxxxx gewählt.
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Wegen eines Streites mit einer Kundin der Filiale R2xxxxxxxxxxxx, in der die
Mitarbeiterin S4xxxxx inzwischen tätig war, beabsichtigte der Arbeitgeber im Juli 2001
die außerordentliche Kündigung der Mitarbeiterin S4xxxxx. Nachdem der Betriebsrat der
beabsichtigten außerordentlichen Kündigung nicht zugestimmt hatte, leitete der
Arbeitgeber am 02.08.2001 ein Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 103 BetrVG
beim Arbeitsgericht ein. Nach Verweisung an das Arbeitsgericht Dortmund - 8 BV 98/01
- bestellten sich mit Schriftsatz vom 10.09.2001 (Bl. 32 d.A. 8 BV 98/01 Arbeitsgericht
Dortmund) die Rechtsanwälte S5xxxxx-A2xxx, P1xxxxxxx und H1xxxxxxx zu
Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrates und der Beteiligten S4xxxxx. Mit
Schriftsatz vom 11.10.2001 nahmen die Verfahrensbevollmächtigten zur Antragsschrift
des Arbeitgebers im Einzelnen Stellung. Nachdem das Arbeitsgericht einen
Anhörungstermin vor der Kammer am 19.12.2001 anberaumt hatte, nahm der
Arbeitgeber mit Schriftsatz vom 18.12.2001 den Antrag auf Zustimmungsersetzung
zurück. Das Zustimmungsersetzungsverfahren wurde durch Beschluss vom 04.01.2001
eingestellt. Der Gegenstandswert für das Verfahren 8 BV 98/01 wurde auf 5.100,00 €
festgesetzt.
7
Mit Schreiben vom 30.01.2002 (Bl. 9 ff.d.A.) übermittelten die Rechtsanwälte S5xxxxx-
A2xxx, P1xxxxxxx und H1xxxxxxx ihre an den Arbeitgeber gerichtete
Gebührenrechnung vom gleichen Tage den Verfahrensbevollmächtigten des
Arbeitgebers und machten insgesamt 811,45 € geltend. Die Verfahrensbevollmächtigten
des Arbeitgebers lehnten eine Kostenübernahme mit Schreiben vom 31.01.2002 (Bl. 12
d.A.) ab.
8
Daraufhin trat der Betriebsrat seinen Anspruch auf Freistellung von der
Gebührenforderung gegen den Arbeitgeber an die Anwaltsgemeinschaft S5xxxxx-
A2xxx, P1xxxxxxx und H1xxxxxxx ab (Bl. 13 f.d.A.).
9
Mit weiterer Abtretungsvereinbarung vom 23.07.2002 (Bl. 15 d.A.) trat die
Anwaltsgemeinschaft S5xxxxx-A2xxx, P1xxxxxxx und H1xxxxxxx ihre
Honoraransprüche an die Anwaltsgemeinschaft P1xxxxxxx und H1xxxxxxx ab,
nachdem sich die erstgenannte Anwaltsgemeinschaft zum 31.03.2002 getrennt hatte.
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Mit dem am 31.07.2002 beim Arbeitsgericht eingeleiteten Beschlussverfahren machten
die Antragsteller daraufhin die Zahlung ihrer Gebühren gegenüber dem Arbeitgeber
geltend.
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Die Antragsteller haben die Auffassung vertreten, der Arbeitgeber habe die
Honorarforderung aus abgetretenem Recht nach § 40 Abs. 1 BetrVG zu erstatten. Die
mit dem Betriebsrat und der Beteiligten S4xxxxx geschlossenen Anwaltsverträge seien
nicht nach § 43 a Abs. 4 BRAO unwirksam.
12
Die Antragsteller haben beantragt,
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dem Arbeitgeber aufzugeben, an die Antragsteller 811,45 € nebst Zinsen in
Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2002 zu zahlen.
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Der Arbeitgeber hat beantragt,
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den Antrag zurückzuweisen.
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Er hat die Auffassung vertreten, dass die Antragsteller im Beschlussverfahren 8 BV
98/01 Arbeitsgericht Dortmund widerstreitende Interessen im Sinne des § 43 a Abs. 4
BRAO vertreten hätten, die Anwaltsverträge seien danach nichtig. In einem Verfahren
nach § 103 BetrVG könne ein Rechtsanwalt nicht gleichzeitig die Interessen des
Betriebsrates als Organ und die Interessen des zu kündigenden Betriebsratsmitglied
wahrnehmen. Insoweit bestehe ein struktureller Interessengegensatz.
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Durch Beschluss vom 05.12.2001 hat das Arbeitsgericht den Antrag der Antragsteller
wegen Verstoßes gegen das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen nach §
43 a Abs. 4 BRAO zurückgewiesen.
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Gegen den den Antragstellern am 07.05.2003 zugestellten Beschluss, auf dessen
Gründe im Einzelnen Bezug genommen wird, haben die Antragsteller am 06.06.2003
Beschwerde zum Landesarbeitsgericht eingelegt und diese nach Verlängerung der
Beschwerdebegründungsfrist bis zum 11.08.2003 mit dem am 06.08.2003 beim
Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.
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Die Antragsteller sind nach wie vor der Auffassung, in der Übernahme der Vertretung
des Betriebsrates und des zu kündigenden Betriebsratsmitglieds in einem Verfahren
nach § 103 Abs. 2 BetrVG liege kein Verstoß gegen das Verbot der Vertretung
widerstreitender Interessen nach § 43 a Abs. 4 BRAO. Ein struktureller
Interessengegensatz zwischen dem Betriebsrat und dem beteiligten Betriebsratsmitglied
sei in einem Verfahren nach § 103 BRAO nicht erkennbar. Das Interesse des zu
kündigenden Betriebsratsmitglieds, eine ungerechtfertigte Kündigung abzuwehren,
stehe nicht in einem strukturellen Gegensatz zur Interessenlage des die Belegschaft
vertretenden Betriebsrates. Auch das Interesse der Belegschaft bzw. des Betriebsrates
gehe nur dahin, ungerechtfertigte Kündigungen eines von ihnen gewählten
Interessenvertreters abzuwehren. Selbst wenn im Einzelfall unterschiedliche Interessen
bestünden, begründe dies noch keinen strukturellen Interessengegensatz. Komme der
Betriebsrat bei Prüfung eines Zustimmungsantrages zur fristlosen Kündigung eines
Betriebsratsmitglieds zu dem Ergebnis, dass ein fristloser Kündigungsgrund nicht
vorhanden sei, müsse er die Zustimmung zum Kündigungsantrag verweigern. Nur durch
eine Zustimmungsverweigerung erfülle der Betriebsrat in einem derartigen Fall seine
Verpflichtung, nicht nur die Amtsführung des Betriebsrates, sondern auch das
Betriebsratsmitglied von seiner Ausschaltung und Repressalien des Arbeitgebers zu
schützen. Das Individualinteresse des Betriebsratsmitglieds decke sich mit dem
Interesse und der Verpflichtung des Gesamtgremiums, eine unberechtigte fristlose
Kündigung zu verhindern. Insoweit seien die Interessen des Betriebsrates und des
Betriebsratsmitglieds in jeder Hinsicht gleichgelagert. Wenn zwei Antragsgegner einen
Rechtsanwalt in demselben Verfahren mit der Verteidigung gegenüber Anträgen des
Antragstellers beauftragten, wollten sie gemeinsam den für unbegründet gehaltenen
Antrag des Antragstellers zu Fall bringen. Insoweit liege in der gemeinsamen
Beauftragung desselben Rechtsanwalts auch ein konkludenter Verzicht auf die
Verschwiegenheitspflicht, die der Rechtsanwalt gegenüber dem jeweiligen
Auftraggeber erfüllen müsse. Sollten sich im Laufe des Verfahrens gegensätzliche
Interessen herausstellen, könnte dies im Einzelfall die Pflicht zur Mandatsniederlegung
zur Folge haben, strukturelle Interessengegensätze seien jedoch in einem Verfahren
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nach § 103 BetrVG generell nicht zu erkennen.
Die Antragsteller beantragen,
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unter Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Dortmund vom
05.12.2002 - 6 BV 97/02 - dem Arbeitgeber aufzugeben, an die Antragsteller
811,45 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem
01.02.2002 zu zahlen.
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Der Arbeitgeber beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Er verteidigt den erstinstanzlichen Beschluss des Arbeitsgerichts und ist nach wie vor
der Auffassung, aufgrund der Interessenwahrnehmung sowohl für den Betriebsrat als
auch für das einzelne Betriebsratsmitglied in einem Verfahren nach § 103 BetrVG liege
ein struktureller Interessengegensatz vor, welcher eine gemeinsame Vertretung durch
einen Bevollmächtigten ausschließe. Während das beteiligte Betriebsratsmitglied
schlicht und einfach nur seine ureigenen individuellen Interessen in Beschlussverfahren
nach § 103 BetrVG mit präjudizieller Wirkung für den individualrechtlichen
Kündigungsschutz verfolge, müsse der Betriebsrat im gleichen Verfahren die objektiven
Interessen der Belegschaft vertreten und sich gleichzeitig auch an einer längerfristigen
vertrauensvollen Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber orientieren. Gerade bei
Aufnahme des Mandats zu Beginn des Beschlussverfahrens nach § 103 BetrVG sei
nicht generell erkennbar, dass die Interessenlage von Betriebsrat und
Betriebsratsmitglied im Laufe des Beschlussverfahrens identisch blieben.
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Die Beschwerdekammer hat die Akten 8 BV 98/01 Arbeitsgericht Dortmund
informationshalber beigezogen. Auf den Inhalt dieser Akten wird ebenso Bezug
genommen wie auf den weiteren Inhalt der von den Beteiligten gewechselten
Schriftsätze.
26
B
27
Die zulässige Beschwerde der Antragsteller ist nicht begründet.
28
I
29
Der von den Antragstellern geltend gemachte Zahlungsanspruch ist zulässig.
30
1. Das gewählte Beschlussverfahren ist nach den §§ 2 a, 80 Abs. 1 ArbGG die richtige
Verfahrensart, da zwischen den Beteiligten ein Kostenerstattungsanspruch im Sinne
des § 40 Abs. 1 BetrVG streitig ist.
31
2. Die Antrags- und Beteiligungsbefugnis ergibt sich aus den §§ 10, 81, 83 Abs. 3
ArbGG.
32
Nachdem der Betriebsrat seinen etwaigen, sich aus § 40 Abs. 1 BetrVG ergebenden
Kostenerstattungsanspruch gegenüber dem Arbeitgeber an seine ehemaligen
Verfahrensbevollmächtigten, die Antragsteller, abgetreten hat, war der Betriebsrat am
vorliegenden Verfahren auch nicht mehr zu beteiligen (BAG, Beschluss vom 15.01.1992
33
- AP BetrVG 1972 § 40 Nr. 41; Fitting/Kaiser/Heither/Engels/Schmidt, BetrVG, 21. Aufl.,
§ 40 Rz. 147).
II
34
Der geltend gemachte Zahlungsanspruch ist jedoch nicht begründet.
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Ein derartiger Anspruch ergibt sich nicht aus abgetretenem Recht in Verbindung mit §
40 Abs. 1 BetrVG. Dies hat das Arbeitsgericht in der angefochtenen Entscheidung
zutreffend festgestellt.
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1. Nach § 40 Abs. 1 BetrVG ist zwar der Arbeitgeber verpflichtet, die durch die Tätigkeit
des Betriebsrates entstehenden Kosten zu tragen.
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Hierunter fallen nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch
solche Kosten, die im Zusammenhang mit der gerichtlichen Inanspruchnahme von
Rechten des Betriebsrates fallen. Dazu gehören auch die Einleitung und Durchführung
arbeitsgerichtlicher Beschlussverfahren, die geeignet sind, das vom Betriebsrat geltend
gemachte Recht durchzusetzen oder eine nicht auf andere Weise zu klärende
Streitigkeit betriebsverfassungsrechtlichen Inhalts zu beseitigen. Die
Kostentragungspflicht des Arbeitgebers für die dem Betriebsrat entstehenden Auslagen
entfällt nur dann, wenn die Rechtsverfolgung offensichtlich aussichtslos war (BAG,
Beschluss vom 03.10.1978 - AP BetrVG 1972 § 40 Nr. 14; BAG, Beschluss vom
16.10.1986 - AP BetrVG 1972 § 40 Nr. 31; BAG, Beschluss vom 20.10.1999 - AP
BetrVG 1972 § 40 Nr. 67 m.w.N.). Zu den vom Arbeitgeber zu tragenden Auslagen des
Betriebsrates zählen grundsätzlich auch die Kosten einer Prozessvertretung des
Betriebsrates und seiner Mitglieder durch einen Rechtsanwalt, wenn der Betriebsrat bei
pflichtgemäßer Abwägung der zu berücksichtigenden Umstände die Zuziehung eines
Rechtsanwaltes für erforderlich erachten konnte (BAG, Beschluss vom 03.10.1978 - AP
BetrVG 1972 § 40 Nr. 14; BAG, Beschluss vom 04.12.1979 - AP BetrVG 1972 § 40 Nr.
18; BAG, Beschluss vom 20.10.1999 - AP BetrVG 1972 § 40 Nr. 67). Auch im Verfahren
nach § 103 Abs. 2 BetrVG hat der Arbeitgeber die Kosten eines vom Betriebsrat
hinzugezogenen Anwalts nach § 40 Abs. 1 BetrVG zu tragen, wenn dessen
Hinzuziehung erforderlich war.
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2. Dennoch ist ein erstattungsfähiger Anspruch im vorliegenden Fall nicht entstanden,
weil die der Honorarforderung der Antragsteller zugrunde liegenden
Geschäftsbesorgungsverträge zwischen dem Betriebsrat und den Rechtsvorgängern der
Antragsteller nach den §§ 134 BGB, 43 a Abs. 4 BRAO nichtig sind.
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Nach § 43 a Abs. 4 BRAO darf ein Rechtsanwalt keine widerstreitenden Interessen
vertreten. § 3 Abs. 1 BO verbietet dem Rechtsanwalt eine Tätigkeit, wenn er, gleich in
welcher Funktion, eine andere Partei in derselben Rechtssache mit widerstreitenden
Interessen bereits beraten oder vertreten hat. Diese Voraussetzungen sind im
vorliegenden Fall auch nach Auffassung der Beschwerdekammer gegeben.
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Unstreitig ist zwischen den Beteiligten, dass die Antragsteller im Verfahren 8 BV 98/01
Arbeitsgericht Dortmund sowohl vom Betriebsrat als auch von dem beteiligten
Betriebsratsmitglied S4xxxxx seinerzeit gleichzeitig mandatiert worden sind. Dem
Verfahren 8 BV 98/01 lag der gleiche Sachverhalt zugrunde, es bestand
Sachverhaltsidentität.
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Mit der angefochtenen Entscheidung und mit dem Landesarbeitsgericht Köln ist auch
die Beschwerdekammer der Auffassung, dass ein Rechtsanwalt widerstreitende
Interessen im Sinne des § 43 a Abs. 4 BRAO vertritt, wenn er gleichzeitig die Vertretung
des Betriebsrates in einem Verfahren nach § 103 BetrVG und das Mandat für das zu
kündigende Betriebsratsmitglied übernimmt (LAG Köln, Beschluss vom 15.11.2000 -
LAGE BetrVG 1972 § 40 Nr. 66 = NZA-RR 2001, 253; ebenso: Fitting, a.a.O., § 40 Rz.
29; Wiese/Weber, GK-BetrVG, 7. Aufl., § 40 Rz. 96).
42
§ 43 a BRAO umfasst alle Fallgestaltungen, in denen es zu Interessenkollisionen
kommen kann. Es sollen potentielle Interessenkonflikte vermieden werden. Das Verbot
der Vertretung widerstreitender Interessen zielt darauf ab, den Anwalt nicht in eine Lage
kommen zu lassen, die Gefährdungen für seine Unabhängigkeit und die gradlinige
Berufsausübung mit sich bringen könnte. Auch das Einverständnis der Beteiligten mit
dem Vorgehen eines Rechtsanwalts kann einen bestehenden Interessengegensatz
nicht aufheben (Henssler/Prütting/Eylmann, BRAO, 1977, § 43 a Rz. 108, 113, 119;
Feuerich/Braun, BRAO, 5. Aufl., § 43 a Rz. 66, 68; BGH, Urteil vom 24.06.1960 - BGHSt,
15, 332, 336 = NJW 1961, 929). § 43 a Abs. 4 BRAO dient - ebenso wie § 356 StGB -
dem Schutz des Vertrauensverhältnisses zum Mandanten, der Wahrung der
Unabhängigkeit des Rechtsanwalts und der im Interesse der Rechtspflege gebotenen
Gradlinigkeit der anwaltlichen Berufsausübung (Henssler/Prütting/Eylmann, a.a.O., § 43
a Rz. 112). Da § 356 ZPO ein abstraktes Gefährdungsdelikt enthält (BayObLG, Urteil
vom 26.07.1989 - NJW 1989, 2903; Schöncke/Schröder/Cramer, StGB, 26. Aufl., § 356
Rz. 3) und die Schutzrichtungen des § 356 StGB und des § 43 a Abs. 4 BRAO nicht
differieren (Henssler/Prütting/Eylmann, a.a.O., § 43 a Rz. 112), kommt es auch für den
vorliegend zu beurteilenden Interessengegensatz nach Auffassung der
Beschwerdekammer nicht darauf an, ob widerstreitende Interessen im konkreten
Einzelfall vorgelegen haben.
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Richtig ist zwar, dass auch in einem Verfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG regelmäßig
die Interessen des Betriebsrats und des beteiligten Betriebsratsmitglieds gleichlaufend
sind; beide wollen eine vom Arbeitgeber beabsichtigte Kündigung abwehren.
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Dennoch kann nicht unberücksichtigt bleiben, die Beteiligungsrechte des Betriebsrates,
seine Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte allein im Interesse der Arbeitnehmer des
Betriebes bestehen; das Zusammenwirken von Arbeitgeber und Betriebsrat dient
gemeinsamen Zielen, nämlich dem Wohl des Betriebes und der Belegschaft, § 2 Abs. 1
BetrVG. Der Betriebsrat hat im Verfahren nach § 103 BetrVG kollektive Interessen
wahrzunehmen. Demgegenüber soll mit der Beteiligung des von einem Antrag des
Arbeitgebers nach § 103 BetrVG betroffenen Betriebsratsmitglieds lediglich dessen
individualrechtlicher Kündigungsschutz gewährleistet werden (vgl. BAG, Beschluss vom
03.04.1979 - AP BetrVG 1972 § 40 Nr. 16). Im Gegensatz zum Betriebsrat kann das
beteiligte Betriebsratsmitglied kollektive Gesichtspunkte, die der Betriebsrat zu beachten
hat, außer Acht lassen und ausschließlich seine individuellen eigenen Interessen und
seinen persönlichen Kündigungsschutz geltend machen. Hieraus entsteht, wie das
Landesarbeitsgericht Köln und auch die angefochtene Entscheidung zu Recht
angenommen haben, ein jedenfalls möglicher Interessengegensatz, der die
gleichzeitige Vertretung des Betriebsrates und des beteiligten Betriebsratsmitglieds im
Verfahren nach § 103 BetrVG ausschließt. Ein Interessengegensatz wird nicht dadurch
ausgeschlossen, dass die Parteien - neben gegenläufigen Interessen - auch
gleichgerichtete Interessen haben (Tröndle/Fischer, StGB, 51. Aufl., § 356 Rz. 7).
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Auch das Einverständnis des Betriebsrates und des beteiligten Betriebsratsmitglieds mit
der gleichzeitigen Vertretung für beide Beteiligte schließt einen möglichen
Interessengegensatz nicht aus. Das Verbot der Doppelvertretung unterliegt nämlich
grundsätzlich nicht der Verfügungsmacht der Parteien, weil es nicht nur ihrem Schutz,
sondern daneben auch dem Vertrauen in die Anwaltschaft und in die Funktion der
Rechtspflege dient (LAG Köln, Beschluss vom 15.11.2000 - LAGE BetrVG 1972 § 40 Nr.
66; Feuerich/Braun, a.a.O., § 43 a Rz. 68; Henssler/Prütting/Eylmann, a.a.O., § 43 a Rz.
149 m.w.N.).
46
Unerheblich ist auch, ob die Interessen der jeweils vertretenden Partei tatsächlich
beeinträchtigt sind oder nicht (Tröndle/Fischer, a.a.O., § 356 Rz. 6). Insoweit hat bereits
das Arbeitsgericht in dem angefochtenen Beschluss darauf verwiesen, dass sich ein
Interessengegensatz auch erst im Laufe eines Zustimmungsersetzungsverfahrens
ergeben kann, etwa wenn der Betriebsrat im Laufe des Verfahrens zu dem Ergebnis
gelangt, die beabsichtigte Kündigung sei - entgegen der zunächst geäußerten
Auffassung - doch gerechtfertigt. Diesen möglichen Interessengegensatz verkennen
auch die Antragsteller mit der Beschwerde nicht. Ein Rechtsanwalt kann auch nach
Auffassung der Beschwerdekammer nicht solange zuwarten, bis ein möglicher
Interessengegensatz tatsächlich eintritt. Sein Gebührenanspruch gegenüber dem
Betriebsrat bzw. der Kostenerstattungsanspruch nach § 40 Abs. 1 BetrVG wäre in einem
derartigen Fall nämlich bereits entstanden.
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Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 03.07.2003 (NJW 2003, 2520 =
MDR 2003, 1081 = BB 2003, 2199), der Beschwerdekammer erst nach Durchführung
des Anhörungstermins vom 10.10.2003 nachträglich bekannt geworden, gibt zu keiner
anderen Beurteilung Anlass. Während der Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts vom 03.07.2003 ein Fall zugrunde lag, bei dem eine
Anwaltssozietät zur Niederlegung von Mandaten verpflichtet wurde, nachdem sie einen
Rechtsanwalt angestellt hatte, der zuvor bei einer anderen Kanzlei beschäftigt war, die
in Bezug auf diese Mandate die Gegenseite vertreten hatte, besteht die Besonderheit
des vorliegenden Falles darin, dass ein Rechtsanwalt in demselben Verfahren
gleichzeitig zwei Mandanten mit möglicherweise auftretenden Interessenkollisionen
vertritt. Dies macht den entscheidenden Unterschied aus, im vorliegenden Fall in der
Einschränkung der Berufsausübungsfreiheit keinen Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG zu
sehen. Der - verhältnismäßig geringfügige - Eingriff in die Berufsausübung eines
Rechtsanwalts erscheint im vorliegenden Fall durch überwiegende Gründe des
Gemeinwohls, der Wahrung der Unabhängigkeit des Rechtsanwalts und der im
Interesse der Rechtspflege gebotenen Gradlinigkeit der anwaltlichen Berufsausübung,
gerechtfertigt.
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Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache hat die Beschwerdekammer
die Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht zugelassen, §§ 92 Abs. 1, 72 Abs. 2
ArbGG.
49
Schierbaum Freiling Stach
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/N.
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