Urteil des LAG Hamm vom 17.05.2002
LArbG Hamm: beendigung, karenzentschädigung, einvernehmliche regelung, versuch, zusammenarbeit, arbeitsgericht, verzicht, aufhebungsvertrag, vergleich, zukunft
Landesarbeitsgericht Hamm, 7 Sa 356/02
Datum:
17.05.2002
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 Sa 356/02
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Bochum, 3 Ca 1387/01
Nachinstanz:
Bundesarbeitsgericht, 10 AZR 386/02 Verfahren ruht
Schlagworte:
nachvertragliches Wettbewerbsverbot, Karenzentschädigung,
Aufhebungsvertrag und Aus-gleichsklausel
Normen:
§§ 74 Abs. 1, 2, 74 b HGB; § 397 BGB
Leitsätze:
Wird durch einen vom Arbeitgeber veranlassten Aufhebungsvertrag der
Sonderkündigungs-schutz des § 15 Abs. 1 KSchG aufgehoben und eine
vertragliche Kündigungsfrist von 12 Monaten zum Jahresende auf 0
reduziert, so ist für die Frage, ob durch eine umfassende
Ausgleichsklausel auch Ansprüche aus dem nachvertraglichen
Wettbewerbsverbot miterle-digt sind, auch die Höhe der versprochenen
Kündigungsschutzabfindung entscheidend.
Rechtskraft:
Die Revision wird zugelassen
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts
Bochum vom 17.01.2002 - 3 Ca 1387/01 - abgeändert und wie folgt neu
gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 86.084,95 EUR nebst 5 %
Zinsen über dem Basiszinssatz aus 6.391,15 EUR ab dem 01.04.2001,
aus weiteren 6.391,15 EUR seit dem 01.05.2001, aus weiteren 6.391,15
EUR seit dem 01.06.2001, aus weiteren 6.391,15 EUR seit dem
01.07.2001, aus weiteren 6.391,15 EUR seit dem 01.08.2001, aus
weiteren 6.391,15 EUR seit dem 01.09.2001, aus weiteren 6.391,15
EUR seit dem 01.10.2001, aus weiteren 6.391,15 EUR seit dem
01.11.2001, aus weiteren 6.391,15 EUR seit dem 01.12.2001, aus
weiteren 6.391,15 EUR seit dem 01.01.2002, aus weiteren 6.391,15
EUR seit dem 01.02.2002, aus weiteren 6.391,15 EUR seit dem
01.03.2002 und aus weiteren 6.391,15 EUR seit dem 01.04.2002 zu
zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger bis
zum 31.08.2002 Karenzentschädigung unter Anrechnung anderweitigen
Erwerbs gemäß § 74 c HGB in Höhe von monatlich 6.391,15 EUR zu
zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger eine Arbeitsbescheinigung
gemäß § 312 SGB III des Inhalts zu erteilen, dass das gemäß § 20 des
Arbeitsvertrages vom 28.10.1996 vereinbarte Wettbewerbsverbot für den
Kläger bis zum 31.08.2002 besteht.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
T a t b e s t a n d
1
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger für die Zeit
vom 01.03.2001 bis 31.08.2002 eine Karenzentschädigung zu zahlen.
2
Der am 25.12.1960 geborene Kläger wurde von der Beklagten bzw. ihrer
Rechtsvorgängerin am 28.10.1996 als Leiter des Trade Marketings/Stellvertreter des
Marketingdirektors angestellt. Die Zusammenarbeit der Parteien begann am gleichen
Tage. Für diese Tätigkeit versprach die Beklagte ihm ein Jahresgehalt von zunächst
240.000,00 DM brutto, ab September 1997 von 300.000,00 DM brutto. Daneben sagte
die Beklagte ihm eine Tantiemezahlung zu. Gemäß § 20 dieses Vertrages verpflichtete
er sich, für die Dauer von 18 Monaten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht
bei einem Unternehmen tätig zu sein/tätig zu werden, das auf Arbeitsgebieten der
Beklagten tätig ist sowie auf diesen Arbeitsgebieten keine Geschäfte für eigene oder
fremde Rechnung zu machen, keine Beteiligung an einem Konkurrenzunternehmen
unmittelbar oder mittelbar zu erwerben, noch ein solches Unternehmen zu errichten. Im
Falle der Arbeitgeberkündigung sollte dieses Wettbewerbsverbot für 18 Monate nach
Zugang der Kündigungserklärung gelten. Gemäß § 21 des Anstellungsvertrages sagte
ihm die Beklagte für die Dauer des Wettbewerbsverbotes eine Entschädigung in Höhe
von 50 Prozent der zuletzt bezogenen Vergütung zu.
3
Dieser Vertrag war zunächst für die Zeit bis 31.12.1999 "fest abgeschlossen". Danach
konnte der Vertrag mit einer Frist von 12 Monaten zum Jahresende gekündigt werden.
Die Kündigungsmöglichkeit aus wichtigem Grund blieb hiervon unberührt.
4
Während dieser Zusammenarbeit traten zwischen den Parteien, insbesondere zwischen
der Rechtsvorgängerin der Beklagten und dem Kläger, Differenzen auf. Der Versuch der
Beklagten, den Kläger in die Zentrale nach H3xxxxx zu versetzen, scheiterte
(Arbeitsgericht Bochum - 2 Ca 1199/98 -). Im Rahmen der ersten Betriebsratswahlen
kandidierte der Kläger. Er wurde auch in den Betriebsrat gewählt. Während dieser
Amtszeit war er nicht nur stellvertretender Betriebsratsvorsitzender und Vorsitzender des
Gesamtbetriebsrats sondern auch Mitglied des Konzernbetriebsrats. Der Versuch der
Beklagten, den Kläger mit Zustimmung des Betriebsrats gemäß § 103 Abs. 1 und 2
BetrVG fristlos zu entlassen, scheiterte (Arbeitsgericht Hamburg - 9 BV 16/98 -). Nach
rechtskräftigem Abschluss dieses Verfahrens versuchten die Parteien noch in 1999, ihr
Arbeitsverhältnis einvernehmlich zu lösen. Diese Bemühungen scheiterten ebenso wie
der Versuch der Beklagten, sich vom Wettbewerbsverbot zu lösen.
5
Nach erfolgtem Betriebsübergang auf die jetzige Beklagte schlossen die Parteien am
16.02.2002 eine Vergleichs-/Abfindungsvereinbarung. Der Kläger schied auf
arbeitgeberseitige Veranlassung aus betriebsbedingten Gründen zum 28.02.2001 aus.
Die Beklagte versprach ihm hierfür neben der Gehaltszahlung für Februar 2001 sowie
einer Urlaubsabgeltung eine Kündigungsschutzabfindung in Höhe von 725.000,00 DM
brutto. Sie verpflichtete sich außerdem, dem Kläger ein qualifiziertes, berufsförderndes
Zeugnis zu erteilen, an ihn das Dienstfahrzeug entschädigungslos zu übereignen und
Rechnungen der O2xx B5xxx GmbH & Co., H3xxxxx auszugleichen. Im Gegenzug
sagte der Kläger zu, Rechnungen der A2xx A3xxxxx B6xxxxx GmbH & Co., O3xxxxxxx
zu zahlen und der Beklagten sämtliche, in seinem Besitz befindlichen
Arbeitsunterlagen/Arbeitsmaterialien herauszugeben (wegen weiterer Einzelheiten wird
auf Blatt 66 - 69 der Akten verwiesen).
6
Abschließend stellten die Parteien in dieser Vereinbarung fest:
7
XI.
8
Mit Abschluss und Erfüllung dieser Vereinbarung sind sämtliche gegenseitigen
Ansprüche der Parteien aus und in Verbindung mit dem Arbeitsverhältnis und
seiner Beendigung, gleichgültig ob bekannt oder unbekannt, erledigt. Erledigt
ist damit insbesondere auch der Rechtsstreit, 2 Ca 3235/00, des
Arbeitsgerichts Bochum. Arbeitnehmer verpflichtet sich, die zu vorgenanntem
Aktenzeichen erhobene Klage zum Arbeitsgericht Bochum bis spätestens zum
15.03.2001 zurückzunehmen.
9
XII.
10
Der vorstehende Vergleich wird seinem gesamten Inhalt nach erst dann
wirksam, wenn Arbeitgeber seine Verpflichtung zur Zahlung des vereinbarten
Vergütungsanspruchs, der Urlaubsabgeltungsansprüche und der Abfindung
fristgerecht durch Zahlungseingang auf Konto des Arbeitnehmers bei
D4xxxxxxxx V2xxxxxxx, BLZ 44x 61x 12, Konto-Nr. 23x 45x 46xx, vollständig
erfüllt hat und ebenso fristgerecht - eingehend bis spätestens zum 28.02. 2001
- Arbeitgeber seine Verpflichtung zur Erteilung des Zeugnisses in der oben
angegebenen Form entsprechend Anlage erfüllt hat.
11
Wird auch nur eine der vorgenannten Verpflichtungen nicht fristgerecht
und/oder unvollständig erfüllt, setzt sich das Arbeitsverhältnis gem.
Anstellungsvertrag vom 28.10.1996 i. V. mit dem Urteil des Arbeitsgerichts
Bochum, 2 Ca 1199/98, auch über den 28.02.2001 unverändert fort.
12
Die Beklagte hat ihre Verpflichtungen aus dem Vergleich erfüllt. In der am 05.03.2001
erstellen Arbeitsbescheinigung gemäß § 312 SGB III hat sie das vertraglich vereinbarte
nachvertragliche Wettbewerbsverbot nicht erwähnt. Zu einer vom Kläger erwarteten
Korrektur sah sie sich nicht veranlasst, zumal aus ihrer Sicht unter dem 16.12.1999 der
Verzicht erklärt worden sei bzw. dieser Verzicht wiederholt werde (Blatt 31 und 32 d.
Akten). Schließlich vertrat sie die Auffassung, Rechte und Pflichten aus der
Wettbewerbsvereinbarung seien mit der umfassenden Generalquittung des
Aufhebungsvertrages erledigt.
13
Die Empfangsbestätigung des Klägers zum Schreiben der Rechtsvorgängerin der
14
Beklagten vom 16.12.1999 (Blatt 33 d. Akten) konnte nicht beigebracht werden.
Mit der beim Arbeitsgericht Bochum am 29.05.2001 erhobenen Klage verlangt der
Kläger, der sich mit Wirkung vom 01.03.2001 arbeitslos gemeldet und zum 15.09.2001
eine neue Anstellung aufgenommen hat, von der Beklagten eine Karenzentschädigung
von monatlich 12.500,00 DM brutto. Zur Begründung hat er die Auffassung vertreten, §
20 des Anstellungsvertrages vom 28.10.1996 sei nicht einvernehmlich aufgehoben
worden. Hierfür fehle - im Gegensatz zur vorausgehend angedachten Formulierung -
eine ausdrückliche Regelung. Die Ausgleichsklausel sei nicht dazu geeignet, diese
Ansprüche mit einzubeziehen, zumal der Karenzanspruch erst durch die
Beendigungsvereinbarung begründet worden sei.
15
Nachdem die Beklagte unter Hinweis auf 16 Sa 1719/00 LAG Hamm = 10 AZR 558/01
BAG eine hiervon abweichende Auffassung vertreten hatte, hat das Arbeitsgericht mit
Urteil vom 17.01.2002 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es u. a. ausgeführt,
obwohl die Beklagte während des bestehenden Arbeitsverhältnisses nicht
rechtswirksam auf die Einhaltung des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots verzichtet
habe und die Parteien mit der Vereinbarung vom 16.02.2001 dieses nicht ausdrücklich
einvernehmlich aufgehoben hätten, habe der Kläger mit der Ausgleichsklausel auf die
grundsätzlich noch bestehenden Ansprüche auf Karenzentschädigung verzichtet. Mit
der Formulierung "aus und in Verbindung mit dem Arbeitsverhältnis und seiner
Beendigung" sei deutlich herausgestellt, dass auch zugunsten des Klägers für die
Zukunft keine weiteren Ansprüche bestünden. Dass dies gewollt sei, zeigten die
vorausgehenden Vertragsverhandlungen auf, im Rahmen der Auseinandersetzung
bezüglich eines Tantiemeanspruchs einen Schlussstrich unter das Vertragsverhältnis
ziehen zu wollen. Hierüber seien auch zeitlich nach formeller Beendigung des
Arbeitsverhältnisses entstehende Ansprüche mitgeregelt worden. Aus den gleichen
Gründen sei die Beklagte nicht verpflichtet, dem Kläger mit der Arbeitsbescheinigung
eine Verpflichtung aus § 20 des Anstellungsvertrages zu bestätigen.
16
Gegen dieses ihm am 04.02.2002 zugestellte, vorgetragene und wegen der sonstigen
Einzelheiten in Bezug genommene Urteil, hat der Kläger am 04.03.2002 Berufung
eingelegt, die am 21.03.2002 begründet worden ist. Der Kläger greift das angefochtene
Urteil in vollem Umfang an. Zur Begründung weist er darauf hin, dieses habe bei der
Auslegung der Ausgleichsklausel nicht genügend differenziert zwischen den beiden
Versuchen der Parteien, das Vertragsverhältnis einvernehmlich zu beendeten. Im März
1999 sei er durchaus damit einverstanden gewesen, auf Ansprüche aus dem
Wettbewerbsverbot zu verzichten, zumal er die Chance einer angemessenen
Anschlussbeschäftigung gehabt habe. Allein aus diesem Grunde habe er in seinem, der
Beklagten unterbreiteten Vorschlag, die ausdrückliche Aufhebung des § 20 des
Anstellungsvertrages vorformuliert. Diese Chance habe bei dem zweiten Versuch der
einvernehmlichen Beendigung gefehlt. Er habe deshalb kein Interesse daran gehabt,
die Beklagte aus der Verpflichtung gemäß § 21 des Anstellungsvertrages zu entlassen.
Hieran habe schließlich auch die Beklagte nicht gedacht. Mit der Erklärung zur Ziffer XI
der Abfindungsvereinbarung vom 16.02.2001 sei deshalb kein abschließender Verzicht
erklärt worden. Es sei folglich nicht die Rechtsfolge angestrebt worden, auch
Ansprüche, die erst nach Wirksamwerden dieser Vereinbarung hätten entstehen
können, aufzuheben. Eine derartige Auslegung der Abfindungsvereinbarung werde der
Interessenlage nicht gerecht. Er habe keine Aussicht auf eine angemessene
Anschlussbeschäftigung gehabt. Die Beklagte habe ihn zuvor "kalt gestellt" und in
Anbetracht der bevorstehenden Betriebsratswahlen herausdrängen wollen.
17
Der Kläger beantragt,
18
1. unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu
verurteilen, an ihn 81.084,95 EUR nebst 5 % Zinsen über Basiszinssatz
aus 6.391,15 EUR ab dem 01.04.2001, aus weiteren 6.391,15 EUR seit
dem 01.05.2001, aus weiteren 6.391,15 EUR seit dem 01.06.2001, aus
weiteren 6.391,15 EUR seit dem 01.07.2001, aus weiteren 6.391,15 EUR
seit dem 01.08.2001, aus weiteren 6.391,15 EUR seit dem 01.09.2001,
aus weiteren 6.391,15 EUR seit dem 01.10.2001, aus weiteren 6.391,15
EUR seit dem 01.11.2001, aus weiteren 6.391,15 EUR seit dem
01.12.2001, aus weiteren 6.391,15 EUR seit dem 01.01.2002, aus
weiteren 6.391,15 EUR seit dem 01.02.2002, aus weiteren 6.391,15 EUR
seit dem 01.03.2002 und aus weiteren 6.391,15 EUR seit dem 01.04.2002
zu zahlen;
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2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger bis zum
31.08.2002 Karenzentschädigung unter Anrechnung anderweitigen
Erwerbs gemäß § 74 c HGB in Höhe von monatlich 6.391,15 EUR zu
zahlen;
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3. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Arbeitsbescheinigung gemäß §
312 SGB III des Inhalts zu erteilen, dass das gemäß § 20 des zwischen
den Parteien ehemals bestehenden Arbeitsvertrages vereinbarte
Wettbewerbsverbot für den Kläger bis zum 31.08.2002 besteht.
21
Die Beklagte beantragt,
22
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
23
Sie verteidigt das angefochtene Urteil und gibt erneut zu bedenken, dass die Parteien
gerade mit der ausführlichen Formulierung einen Schlussstrich unter das zu beendende
Arbeitsverhältnis hätten ziehen wollen. Allein aus diesem Grunde sei auch der nunmehr
klageweise verfolgte Anspruch auf Karenzentschädigung abgegolten worden, obwohl
dieser Anspruch erst mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses begründet worden
sei.
24
Wegen der sonstigen Einzelheiten im Vorbringen der Parteien wird auf den
vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze - einschließlich des zur Akte
gereichten Anstellungsvertrages vom 28.10.1996 (Blatt 14 - 22 d. Akten) und der
Vergleichs-/Abfindungsvereinbarung vom 16.02.2001 (Blatt 66 - 69 d. Akten) -
verwiesen.
25
Mit Beschluss des Amtsgerichts Hamburg vom 30.04.2002 wurde auf Antrag der
Beklagten das Insolvenzverfahren eröffnet.
26
Entscheidungsgründe
27
Die nach der Beschwer statthafte (§ 64 Abs. 2 ArbGG), form- sowie fristgerecht
eingelegte und begründete Berufung des Klägers (§§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6
ArbGG, §§ 519, 520 ZPO) hat auch Erfolg.
28
I.
29
1. Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger gemäß den §§ 74, 74 b HGB in
Verbindung mit den §§ 20, 21 des Anstellungsvertrages vom 28.10.1996 für die
Zeit vom 01.03.2001 - 31.08.2002 die begehrte Karenzentschädigung zu zahlen.
Diese Verpflichtung wurde mit dem Anstellungsvertrag vom 28.10.1996
rechtswirksam begründet. Die §§ 20 und 21 dieses Anstellungsvertrages werden
den gesetzlichen Anforderungen des § 74 Abs. 1 und 2 HGB gerecht. Diese
Verpflichtung ist auch nicht entfallen. Der Versuch der Rechtsvorgängerin der
Beklagten, sich mit Schreiben vom 16.12.1999 von diesem nachvertraglichen
Wettbewerbsverbot zu lösen, ist gescheitert. Dies wäre durchaus auf der
Grundlage des § 75 a HGB möglich gewesen. Erforderlich ist jedoch für eine
rechtswirksame Lossagung vom nachvertraglichen Wettbewerbsverbot, dass diese
dem Arbeitnehmer zugeht. Dies nachzuweisen ist der Beklagten nicht gelungen.
Ein vom Kläger unterschriebenes Empfangsbekenntnis kann nicht vorgelegt
werden. Auch steht nicht fest, ob dieses Schreiben überhaupt zur Post gegeben
wurde. Eine spätere Lossagung während des bestehenden Arbeitsverhältnisses
hat die Beklagte nicht vorgetragen. Mit anwaltlichem Schreiben vom 26.03.2001
konnten die Rechtswirkungen des § 75 a HGB nicht mehr erzielt werden.
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2. Die Parteien haben dieses Wettbewerbsverbot auch nicht einvernehmlich
aufgehoben. Die Vereinbarung vom 16.02.2001 weist ausdrücklich eine derartige
einvernehmliche Regelung nicht auf. Dass eine ausdrückliche einvernehmliche
Aufhebung nicht gewollt war, verdeutlichen die sonstigen Absprachen der Parteien
zur Urlaubsabgeltung, Übereignung des Firmenfahrzeugs an den Kläger,
Übernahme der durch die Inanspruchnahme der AVIS entstandenen Kosten,
Übernahme der durch Inanspruchnahme der O2xx B5xxx GmbH & Co., H3xxxxx
entstandenen Reparaturkosten und Nebenkosten, Erteilung eines qualifizierten
Zeugnisses sowie die Herausgabe betrieblicher Unterlagen. Zwar haben die
Parteien durchaus das Recht, das formbedürftige nachvertragliche
Wettbewerbsverbot jederzeit durch mündliche Vereinbarung aufzuheben. Eine
derartige Abrede folgt jedoch nicht ohne weiteres aus der einvernehmlichen
Auflösung des Arbeitsverhältnisses. In dieser Bewertung stimmt die erkennende
Berufungskammer mit dem LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 22.09.1995 - 5 Sa
28/95 - Der Betrieb 1996, 434) und der 16. Kammer des LAG Hamm (Urteil vom
17.05.2001 - 16 Sa 1719/00 - Revision: 10 AZR 558/01) überein. Sie ist auch nicht
erkennbar aus der ausführlichen und umfassenden Regelung aller, das
Arbeitsverhältnis berührenden Fragen. Diese Erklärung der Parteien war nicht
darauf ausgerichtet, den ursprünglichen Arbeitsvertrag abzuändern sondern ihn im
Hinblick auf die bevorstehende Beendigung des Arbeitsverhältnisses abzuwickeln.
Schließlich ist davon auszugehen, dass die Parteien aufgrund der sonstigen
umfassenden Regelung auch hierüber eine Absprache getroffen hätten.
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3. Der Kläger hat auf diesen, mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum
28.02.2001 erstmals begründeten Anspruch nicht mittels Ausgleichsklausel gemäß
XI der Aufhebungsvereinbarung vom 16.02.2001 verzichtet. In diesem
Aufhebungsvertrag haben die Parteien verabredet, dass der Vertrag erst mit
fristgerechter Zahlung seitens der Beklagten rechtswirksam wird und dass dann
erst sämtliche gegenseitigen Ansprüche der Parteien aus und in Verbindung mit
dem Arbeitsverhältnis sowie seiner Beendigung - ob bekannt oder unbekannt -
32
erledigt sind. Trotz dieser umfassenden Erklärung haben die Parteien zur
Überzeugung der erkennenden Berufungskammer nicht zum Ausdruck gebracht,
dass zwischen ihnen für die Zukunft keinerlei Rechte und Pflichten mehr bestehen
sollen. Dabei verkennt die erkennende Berufungskammer nicht, dass mit einer
Ausgleichsklausel durchaus auch erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses
entstehende und fällig werdende Ansprüche erfasst werden können. Insoweit
stimmt die erkennende Berufungskammer mit der 16. Kammer des hiesigen LAG
und der 15. Kammer des hiesigen LAG (Urteil vom 23.09.1992 - 15 Sa 462/92 - n.
v.) sowie mit dem LAG Köln (Urteil vom 17.01.1990 - 7 Sa 1052/89 - n. v.) als auch
mit Bauer/Diller (Wettbewerbsverbote, 2. Auflage, Rdnr. 497 a) überein. Denn eine
derartige, von den Parteien erarbeitete Ausgleichsklausel ist rechtlich anders zu
bewerten und enthält einen anderen Erklärungsinhalt als eine vom Arbeitgeber
einseitig vorformulierte sogenannte Ausgleichsquittung. Dass letztere, die die
Aushändigung von Arbeitspapieren und Zahlung konkreter Lohnbeträge im Sinne
des 308 BGB bestätigen lässt, keinen darüber hinausgehenden Erklärungsinhalt
hat, hat das BAG am 20.10.1981 überzeugend abgeleitet (3 AZR 1013/78 - AP Nr.
39 zu § 74 HGB mit Anmerkung von Stumpf).
Dennoch sieht die erkennende Berufungskammer abweichend zu den zitierten
Entscheidungen wesentliche fallbezogene Umstände, die im Rahmen der
Auslegung gemäß den §§ 133, 157 BGB gegen einen Verzicht des Klägers auf
diese Karenzentschädigung sprechen. Die Ausgleichsklausel ist wie jede andere
Vertragsgestaltung nach den allgemeinen Grundsätzen anhand des erklärten
Willens auszulegen. Ausgleichsklauseln in Aufhebungsverträgen mögen darüber
hinaus im Interesse klarer Verhältnisse grundsätzlich weit auszulegen sein (BAG,
Urteil vom 15.12.1994 - 8 AZR 250/93 - n. v.). Dennoch sprechen die
Gesamtumstände gegen einen Verzicht auf die Karenzentschädigung. Die Parteien
haben in diesem Vertrag die Modalitäten der Abwicklung des Vertragsverhältnisses
bis zum Beendigungszeitpunkt detailliert geregelt. Dies könnte die Absicht
erkennen lassen, im beiderseitigen Interesse einen Schlussstrich ziehen zu wollen.
Beide Parteien waren hierbei arbeitsrechtlich fachkundig beraten. Sie hatten
schließlich Gelegenheit, ihre Rechtspositionen zu überprüfen und in die
Vergleichsverhandlungen einzubringen. Dennoch ist die Formulierung "sämtliche
gegenseitige Ansprüche in Verbindung mit der Beendigung des
Arbeitsverhältnisses erledigt" nicht dazu geeignet, diesen Anspruch zu kassieren.
Für die Auslegung dieser Vertragsklausel ist zur Überzeugung der erkennenden
Berufungskammer auch der Verlauf des Arbeitsverhältnisses, insbesondere ein
früherer Versuch zur einvernehmlichen Beendigung einzubeziehen. Als der Kläger
seinerseits bestrebt war, das aus seiner Sicht erheblich gestörte Arbeitsverhältnis
zu beenden, war er aufgrund einer in Aussicht gestellten Anschlusstätigkeit daran
interessiert, sich vom nachvertraglichen Wettbewerbsverbot zu lösen. Deshalb
hatte er eine klare Regelung in den vom ihm vorformulierten Vertragstext
aufgenommen, um der Rechtsvorgängerin der Beklagten deutlich vor Augen zu
halten, dass die Verwertung der erworbenen Kenntnisse nicht verhindert werden
könnte. Hieran war sie wohl nicht interessiert. Sie verfolgte für sich das Ziel der
außerordentlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit den Rechtsfolgen des
§ 75 Abs. 2 HGB. Nachdem dieser Versuch gescheitert war und in Anbetracht der
kurz bevorstehenden Betriebsratswahl eine Verlängerung des besonderen
Kündigungsschutzes gemäß § 15 Abs. 1 KSchG nicht ausgeschlossen werden
konnte, erstarkte ihr Interesse an einer kurzfristigen Beendigung des
Arbeitsverhältnisses. Dass diese vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses
33
mit erheblichem finanziellen Aufwand "erkauft" werden musste, beschreibt der
individuelle Kündigungsschutz des Klägers gemäß § 15 Abs. 1 KSchG -
einschließlich des nachwirkenden Kündigungsschutzes -, die Kündigungsfrist des
§ 2 des Anstellungsvertrages vom 28.10.1996 - 12 Monate zum Jahresende - und
der Ruhenstatbestand des § 143 a Abs. 1 SGB III. Hieraus folgt zur Überzeugung
der erkennenden Berufungskammer, dass auch die Höhe der vereinbarten
Kündigungsschutzabfindung in die erforderliche Auslegung einbezogen werden
muss. Über die Höhe der verabredeten Kündigungsschutzabfindung muss folglich
erkennbar werden, dass nicht nur die erheblich vorzeitige Beendigung der
Zusammenarbeit wirtschaftlich abgekauft wurde - auf der Basis von zwei bis drei
Jahresgehältern - der Tantiemerechtsstreit der Parteien beendet werden sollte und
der Verlust des Arbeitsplatzes nach gut vierjähriger Zusammenarbeit honoriert
würde. Um gleichzeitig das nachvertragliche Wettbewerbsverbot abkaufen zu
können, hätte die Beklagte mindestens ein weiteres Dreivierteljahresgehalt
hinzurechen müssen. Hierauf lässt die verabredete Kündigungsschutzabfindung
nicht schließen. Da das nachvertragliche Wettbewerbsverbot nicht ausdrücklich
Inhalt der Vertragsverhandlungen geworden ist, wird trotz verwandter Formulierung
in der Ausgleichsklausel erkennbar, dass auch die Beklagte primär an der
Beendigung der Zusammenarbeit mit dem Kläger interessiert war. Es wird deshalb
nicht erkennbar, dass auch Ansprüche aus dem für 18 Monate verabredeten
Wettbewerbsverbot in diese Regelung mit einbezogen werden sollten. Gerade weil
der Kläger nicht erneut die Aufhebung dieses Vertragsteils thematisiert hat, war für
die Beklagte deutlich erkennbar, dass er sie an der hier beschriebenen
Verpflichtung festhalten wollte. Trotz ausführlich abgefasster Ausgleichsklausel
sollte offensichtlich dieser Vertragsbestandteil nicht nachträglich geändert werden.
Die Interessenlage der Beklagten mag nach Beendigung der Zusammenarbeit mit
dem Kläger eine andere sein. Sie war in dieser Deutlichkeit für ihn jedoch nicht
erkennbar.
4. Da der Kläger mit dem Aufhebungsvertrag vom 16.02.2001 nicht auf die Rechte
und Pflichten aus den §§ 20, 21 des Anstellungsvertrages vom 28.10.1996
verzichtet hat, ist die Beklagte nicht nur zur Zahlung der Karenzentschädigung
gemäß § 74 b HGB verpflichtet. Sie ist auch gehalten, diesen Umstand in der
Arbeitsbescheinigung gemäß § 312 SGB III zu vermerken.
34
II.
35
Nachdem die erkennende Berufungskammer zu einer vom angefochtenen Urteil
abweichenden Auslegung der Ausgleichsklausel gelangt ist, war unter Abänderung
dieses klageabweisenden Urteils dem Klagebegehren des Klägers im begehrten
Umfang stattzugeben.
36
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte gemäß § 91 Abs. 1 ZPO zu tragen.
Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache wurde die Revision ausdrücklich
zugelassen (§ 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG).
37
Schulte
Lehmann
Opdenacker
38