Urteil des LAG Hamm vom 20.07.2006

LArbG Hamm: rechtskräftiges urteil, ordentliche kündigung, arbeitsgericht, erfüllung, arbeitsbedingungen, hinterlegung, sicherheitsleistung, ermessen, form, zuschuss

Landesarbeitsgericht Hamm, 15 Sa 49/06
Datum:
20.07.2006
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
15. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
15 Sa 49/06
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Hagen, 4 (1) Ca 1005/05
Nachinstanz:
Bundesarbeitsgericht, 3 AZN 882/06 Beschwerde zurückgewiesen
23.01.2007
Schlagworte:
Nicht rechtskräftiges Urteil des Verwaltungsgerichts, welches das
Integrationsamt zur Erteilung der Zustimmung zur Kündigung eines
schwerbehinderten Menschen verpflichtet; Kündigung durch den
Arbeitgeber vor Erteilung der Zustimmung des Integrationsamtes in
Erfüllung des verwaltungsgerichtlichen Urteils
Leitsätze:
Nicht rechtskräftiges Urteil des Verwaltungsgerichts, welches das
Integrationsamt zur
Erteilung der Zustimmung zur Kündigung eines schwerbehinderten
Menschen verpflichtet;
Kün-digung durch den Arbeitgeber vor Erteilung der Zustimmung des
Integrationsamtes in Erfüllung des verwaltungsgerichtlichen Urteils
Rechtskraft:
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hagen
vom 14.12.2005 - 4 (1) Ca 1005/05 - wird auf ihre Kosten
zurückgewiesen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 4.124,75 €
festgesetzt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d
1
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung vom 12.04.2005
und um Weiterbeschäftigung des Klägers.
2
Der am 09.12.1945 geborene Kläger ist schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der
Behinderung von 80. Durch Vertrag vom 02.01.2001 stellte die Beklagte den Kläger mit
Wirkung zum 01.01.2001 als technischen Betriebsleiter zu einem monatlichen
Bruttoverdienst von 1.200,00 DM und einem Zuschuss zur privaten
Krankenversicherung von 440,44 DM ein. Wegen der weiteren Einzelheiten des
Anstellungsvertrages vom 02.01.2001 wird auf Bl. 41 ff. der Akten Bezug genommen.
3
Im März 2003 beantragte die Beklagte beim Integrationsamt des Landschaftsverbandes
Westfalen-Lippe die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Klägers. Dieser
Antrag wurde mit Bescheid vom 28.07.2003 vom Integrationsamt zurückgewiesen.
Nachdem der Widerspruch der Beklagten hiergegen mit Bescheid vom 16.04.2004
zurückgewiesen worden war, erhob die Beklagte Verpflichtungsklage beim
Verwaltungsgericht Arnsberg, die unter dem Aktenzeichen 11 K 2032/04 geführt wurde.
Aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 08.03.2005 hat das Verwaltungsgericht
Arnsberg folgendes Urteil verkündet:
4
"Der Beklagte wird unter Aufhebung seines Bescheides vom 28. Juli 2003 in der
Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27. April 2004 verpflichtet, die
Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Beigeladenen zu erteilen.
5
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht
erhoben werden. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht
erstattungsfähig.
6
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des
Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in
gleicher Höhe leistet."
7
Mit Schreiben vom 12.04.2005, welches dem Kläger am 13.04.2005 zuging, erklärte die
Beklagte die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Hiergegen richtet sich die
am 25.04.2005 beim Arbeitsgericht Hagen eingegangene Kündigungsschutzklage.
8
Durch Zulassungsbeschluss vom 03.02.2006 hat das Oberverwaltungsgericht NRW
unter dem Geschäftszeichen 12 A 1474/05 die Berufung des Klägers gegen das Urteil
des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 08.03.2005 zugelassen. Über die Berufung des
Klägers ist vom Oberverwaltungsgericht NRW noch nicht entschieden worden.
9
Der Kläger hat vorgetragen, die Kündigung sei schon wegen der fehlenden Zustimmung
des Integrationsamtes unwirksam.
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Er hat beantragt,
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1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die
Kündigung der Beklagten vom 12.04.2005 nicht aufgelöst worden ist,
12
2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger zu den bisherigen Bedingungen
als betriebswirtschaftlichen und technischen Leiter sowie Disponent
weiterzubeschäftigen, bei Meidung eines in das Ermessen des Gerichts
gestellten Zwangsgeldes für jeden Tag der Zuwiderhandlung,
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3. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ein Zwischenzeugnis zu erteilen,
das sich auf Führung und Leistung bezieht.
14
Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
16
Sie hat vorgetragen, die Kündigung sei nicht wegen fehlender Zustimmung des
Integrationsamtes als unwirksam anzusehen. Denn das Verwaltungsgericht habe die
Verpflichtung des Integrationsamtes zur Erteilung der Zustimmung ausgesprochen.
17
Durch Urteil vom 14.12.2005 hat das Arbeitsgericht der Klage antragsgemäß
stattgegeben. Gegen dieses Urteil, das der Beklagten am 16.12.2005 zugestellt worden
ist, richtet sich die Berufung der Beklagten, die am 10.01.2006 beim
Landesarbeitsgericht eingegangen und am 09.02.2006 begründet worden ist.
18
Die Beklagte vertritt weiter die Auffassung, aus Gründen des Vertrauensschutzes sei es
ausreichend, dass das Verwaltungsgericht - wenn auch noch nicht rechtskräftig - die
Verpflichtung des Integrationsamtes ausgesprochen habe, der begehrten Kündigung
des bestehenden Arbeitsverhältnisses zuzustimmen.
19
Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Hagen vom 14.12.2005 - 4 (1) Ca 1005/05 -
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
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Er verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil und trägt vor, ein schutzwürdiges Vertrauen
der Beklagten auf den Bestand des verwaltungsgerichtlichen Urteils sei nicht erkennbar.
Das Oberverwaltungsgericht NRW habe in seinem Zulassungsbeschluss die Berufung
wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung
zugelassen. Mit den zutreffenden Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts NRW sei
davon auszugehen, dass das Urteil des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 08.03.2005
rechtsfehlerhaft ergangen sei. Für die Annahme einer Ermessensreduzierung auf Null
gebe es keine hinreichenden Anhaltspunkte.
24
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den
vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
26
I.
27
Die Berufung der Beklagten ist an sich statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt
und begründet worden.
28
II.
29
Der Sache nach hat die Berufung keinen Erfolg. Zutreffend hat das Arbeitsgericht
festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten
vom 12.04.2005 nicht aufgelöst worden ist. Besteht das Arbeitsverhältnis damit
ungekündigt fort, so ist die Beklagte auch verpflichtet, den Kläger zu unveränderten
Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen, falls dieser arbeitsfähig sein sollte. Die
erkennende Kammer folgt den Gründen der angefochtenen Entscheidung und sieht
gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG von einer Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Das
zweitinstanzliche Vorbringen kann zu keiner anderweitigen Beurteilung der Rechtslage
führen. Es gibt lediglich Anlass zu folgenden ergänzenden Bemerkungen:
30
1.
schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des
Integrationsamtes. Eine dahingehende Zustimmungsentscheidung des
Integrationsamtes lag bis zum Ausspruch der Kündigung vom 12.04.2005 unstreitig
nicht vor. Gegeben war lediglich das Urteil des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom
08.03.2005, durch welches das Integrationsamt verpflichtet wurde, unter Aufhebung
seines Bescheides vom 28.07.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom
27.04.2004 die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Klägers zu erteilen. Die
Erteilung der Zustimmung durch das Integrationsamt in Erfüllung der
verwaltungsgerichtlichen Entscheidung vom 08.03.2005 ist bisher nicht erfolgt. Vielmehr
hat das Oberverwaltungsgericht NRW inzwischen durch Zulassungsbeschluss vom
03.02.2006 die Berufung des Klägers gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil
zugelassen. Da über die Berufung des Klägers vor dem Oberverwaltungsgericht NRW
noch nicht entschieden ist, das Urteil des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom
08.03.2005 damit nicht rechtskräftig ist, ist derzeit noch offen, ob es bei der
Entscheidung des Integrationsamtes bleibt, die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung
des Klägers zu versagen, oder ob das Integrationsamt verpflichtet ist, die Zustimmung
zu erteilen. Solange eine Zustimmungsentscheidung des Integrationsamtes nicht erfolgt,
ist die Beklagte gehalten, den Ausgang des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens
abzuwarten. Eine vorher ausgesprochene Kündigung ist ohne weiteres gemäß §§ 85
SGB IV, 134 BGB unwirksam. Für Vertrauensschutzgesichtspunkte ist angesichts der
klaren gesetzlichen Regelung kein Raum.
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2.
12.04.2005 aufgelöst worden, so besteht nach allgemeinen Regeln ein
Weiterbeschäftigungsanspruch des schwerbehinderten Arbeitnehmers (vgl. ErfK/Rolfs,
6. Aufl., § 85 SGB IX Rn. 14 m.w.N.). Sollte der Kläger arbeitsfähig sein, was zwischen
den Parteien streitig ist, so ist die Beklagte verpflichtet, den Kläger zu unveränderten
Arbeitsbedingungen bis zum rechtskräftigen Abschluss dieses Rechtsstreits
weiterzubeschäftigen.
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III.
33
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
34
Der Streitwert hat sich im Berufungsverfahren auf 4.124,75 € reduziert, da der Streit über
die Erteilung eines Zwischenzeugnisses nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens
war.
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Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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Dr. Wendling
Meermann
Schäfers
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Ri.
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