Urteil des LAG Hamm vom 09.11.2010

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Landesarbeitsgericht Hamm, 12 Sa 1376/10
Datum:
09.11.2010
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
12. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
12 Sa 1376/10
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Iserlohn, 5 Ca 3486/09
Nachinstanz:
Bundesarbeitsgericht, 9 AZN 1382/10
Schlagworte:
außerordentliche Kündigung, Dienstfahrzeug, Herausgabe
Normen:
§ 626 BGB, § 868 BGB
Leitsätze:
Nach einer fristlosen Kündigung muss der Arbeitnehmer den ihm auch
zur privaten Nutzung überlassenen Dienstwagen ausnahmsweise nicht
herausgeben, wenn die außerordentliche Kündigung offensichtlich
unwirksam.
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts
Iserlohn vom 27.07.2010 - 5 Ca 3486/09 - wird teils als unzulässig
verworfen und im Übrigen zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten im Wesentlichen um den Bestand des Arbeitsverhältnisses sowie
um die Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte des Klägers.
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Der am 12.01.1959 geborene, verheiratete und 2 Kindern zum Unterhalt verpflichtete
Kläger nahm am 01.10.1995 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der Firma K1 B2
GmbH, die Tätigkeit auf. Seit dem 01.04.2010 ist er nach einem Betriebsübergang auf
die Beklagte als technischer Leiter bei dieser für ein Bruttomonatsgehalt von zuletzt
4.178,00 € tätig. Den ihm überlassenen Dienstwagen der Marke VW Eos durfte er auch
privat nutzen und wurde deshalb als Sachbezug behandelt.
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Unter dem 26.10.2009 übersandte die Beklagte, vertreten durch ihren
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Prozessbevollmächtigten, ein Schreiben an den Kläger, in dem das Verhalten des
Klägers gegenüber der Geschäftsleitung sowie gegenüber den übrigen Mitarbeitern der
Beklagten kritisiert wurde.
Am 27.10.2009 kam es gegen 13.30 Uhr nach einem Gespräch zwischen dem Kläger
und der Geschäftsführerin L1 der Beklagten zu einer Auseinandersetzung zwischen
dem Kläger und der weiteren Geschäftsführerin L2. Zum Ende der Auseinandersetzung
äußerte der Kläger sich gegenüber der Geschäftsführerin L2: "Mit Ihnen unterhalte ich
mich überhaupt nicht mehr".
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Deswegen erteilte die Beklagte dem Kläger unter dem 27.10.2009 eine Abmahnung.
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Mit Schreiben vom 29.10.2009, dem Kläger zugegangen am 30.10.2009, sprach die
Beklagte dem Kläger eine außerordentliche Kündigung aus, verbunden mit dem
Angebot nur noch für Reparatur- und Schlosserarbeiten für ein Bruttogehalt von
3.000,00 € tätig zu werden unter Herausgabe des dem Kläger überlassenen
Firmenfahrzeugs Marke VW Eos. Sämtliche Überstunden sollten mit Gehalt abgegolten
sein. Darüber hinaus wurde der Kläger bis zum 30.10.2009 beurlaubt und sollte seine
Arbeit am 02.11.2009 wieder aufnehmen. Das Angebot lehnte der Kläger ab. Am
02.11.2009 trat der Kläger um 6.00 Uhr seine Arbeit bei der Beklagten an und wurde
aufgefordert, die fristlose Änderungskündigung vom 29.10.2009 zu akzeptieren, da er
sich ansonsten eine neue Arbeit suchen müsse. Der Kläger beendete sodann seine
Tätigkeit und suchte seinen Prozessbevollmächtigten auf, der ihm mitteilte, er betrachte
die außerordentliche Kündigung der Beklagten als unwirksam. Am 02.11.2009 fand
zwischen dem Kläger und der Geschäftsführerin L1 ein Telefongespräch statt, dessen
Inhalt ebenfalls zwischen den Parteien streitig ist.
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Eine weitere Abmahnung erteilte die Beklagte dem Kläger unter dem 02.11.2009 in dem
sie ihm vorwarf, am 02.11.2009 um 11.15 Uhr den Betrieb ohne Abmeldung verlassen
zu haben. Danach forderte die Geschäftsführerin L1 den Kläger in einem
Telefongespräch am 02.11.2009 auf, den überlassenen Firmenwagen WV Eos
herauszugeben. Die gleiche Aufforderung erhielt der Kläger mit Schreiben vom
03.11.2009.
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Mit Schreiben vom 04.11.2009, dem Kläger am nächsten Tag zugegangen, sprach die
Beklagte eine weitere außerordentliche Kündigung aus, die sie ausweislich des
Kündigungsschreibens auf das Verlassen des Arbeitsplatzes am 02.11.2009 stützte.
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Da der Kläger den Dienstwagen nicht herausgab, erstattete die Beklagte am 06.11.2009
Strafanzeige gegen den Kläger. Als die Polizei den Kläger aufsuchte, gab dieser die
Schlüssel für das Dienstfahrzeug an die Polizisten heraus, nicht aber das Kraftfahrzeug
selbst, dies wurde erst am 13.11.2009 herausgegeben.
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Mit beim Arbeitsgericht am 04.11.2009 eingegangener Klage wehrte sich der Kläger
zunächst gegen die Änderungskündigung vom 29.10.2009 und begehrte die Entfernung
der Abmahnungen vom 26.10. und 27.10.2009 aus seiner Personalakte. Am 13.11.2009
erweiterte der Kläger die Klage auf die Kündigung vom 04.11.2009 sowie auf die
Entfernung der Abmahnung vom 02.11.2009.
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Der Kläger hat beide Kündigungen für unwirksam und die Abmahnungen für unrichtig
gehalten.
12
Er hat beantragt,
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1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die schriftliche Kündigung der
Beklagten vom 29.10.2009, ihm zugegangen am 30.10.2009, nicht fristlos
aufgelöst worden ist;
2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere
Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Bedingungen
fortbesteht;
3. die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnung vom 26.10.2009 aus seiner
Personalakte zu entfernen;
4. die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnung vom 27.10.2009 aus seiner
Personalakte zu entfernen;
5. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die schriftliche Kündigung der
Beklagten vom 04.11.2009, zugegangen am 05.11.2009, nicht fristlos aufgelöst
worden ist;
6. die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnung vom 02.11.2009 aus seiner
Personalakte zu entfernen.
14
15
Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die außerordentliche Änderungskündigung hat sie auf das Verhalten des Klägers am
27.10.2009 gestützt. Die außerordentliche Kündigung vom 04.11.2009 sei wegen der
Nichtherausgabe des Firmenfahrzeugs ausgesprochen worden, die eine
Unterschlagung darstelle. Darüber hinaus hätten sich im Zeitraum vom 14.09. bis zum
30.09.2009 mehrere merkwürdige Vorfälle und Störungen im Betrieb ereignet, nachdem
dem Kläger mitgeteilt worden ist, dass auch für ihn Kurzarbeit angeordnet werde.
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Mit Urteil vom 27.07.2010 hat das Arbeitsgericht der Klage im Wesentlichen
stattgegeben und nur die Klage hinsichtlich des Schreibens vom 26.10.2009 mangels
Rechtsschutzbedürfnis abgewiesen. Die außerordentliche Änderungskündigung vom
29.10.2009 hat es als unwirksam angesehen, weil die Beklagte durch die Abmahnung
vom 27.09.2009 auf ihr Kündigungsrecht verzichtet habe. Die Kündigung vom
04.11.2009 sei unwirksam, weil der Kläger zuvor nicht abgemahnt worden sei. Die
Abmahnungen seien aus der Personalakte zu entfernen, da sie dem
Bestimmtheitserfordernis nicht genügten.
19
Gegen das ihr am 04.08.2010 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 11.08.2010
Berufung eingelegt und diese am 06.09.2010 begründet.
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Sie ist der Ansicht, einer Abmahnung vor der Kündigung vom 04.11.2009 habe es nicht
bedurft, da die Nichtherausgabe des PKWs eine Straftat dargestellt habe. Entgegen der
Ansicht des Arbeitsgerichts sei auch die Abmahnung vom 27.10.2009 bestimmt genug.
Die Rechtsauffassung des Arbeitsgerichts zur fristlosen Kündigung vom 20.10.2010
21
werde nicht angegriffen. Die Berufung richte sich nicht gegen die erstinstanzlichen
Ausführungen zur Abmahnung vom 02.11.2009.
Sie beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 27.07.2010 - 5 Ca 3486/09 - aufzuheben
und die Klage abzuweisen.
23
Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
25
Er verteidigt das angefochtene Urteil. Das Fahrzeug sei dem Kläger auch zur privaten
Nutzung überlassen worden, deswegen habe keine Herausgabepflicht bestanden.
Deswegen sei die Kündigung vom 04.11.2009 unwirksam.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt
der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Protokolle Bezug
genommen.
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Entscheidungsgründe
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Die Berufung ist zum Teil unzulässig, im zulässigen Teil aber unbegründet.
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I.
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Soweit die Berufung sich gegen die Entscheidung zur Kündigung vom 04.11.2009 und
zur Abmahnung vom 27.10.2009 richtet, ist die Berufung ordnungsgemäß begründet
worden und damit zulässig. In Bezug auf die Kündigung vom 29.10.2009 ist die
Berufung mangels ausreichender Begründung unzulässig.
31
1. Mit Schriftsatz vom 10.08.2010 hat die Beklagte Berufung gegen das Urteil des
Arbeitsgerichts Iserlohn eingelegt. In der Berufungsbegründung vom 06.09.2010 hat sie
einen unbeschränkten Antrag angekündigt, jedoch im Text ausgeführt, dass sie die
Rechtsauffassung des erstinstanzlichen Gerichts zur fristlosen Kündigung vom
29.10.2009 und zur Abmahnung vom 02.11.2009 nicht angreife. In der mündlichen
Verhandlung hat die Beklagte klargestellt, dass sich die Berufung auch gegen die
Klageabweisung betreffend die Kündigung vom 29.10.2009 richte.
32
2. Unabhängig davon, wie das Vorbringen der Beklagten in der mündlichen
Verhandlung zu qualifizieren ist, sind unzweifelhaft Gegenstand der Berufung die
Kündigung vom 04.11.2009 sowie die Abmahnung vom 27.10.2009. Gegenstand der
Berufung ist jedenfalls nicht die Entscheidung über die Abmahnung vom 02.11.2009.
Aus der Berufungsbegründung folgt, dass die Entscheidung des Arbeitsgerichts insofern
nicht angefochten werden soll. Ob die Kündigung vom 29.10.2009 tatsächlich
Gegenstand der Berufung geworden ist, ist zweifelhaft. Trotz des unumschränkten
Antrags hat die Beklagte mitgeteilt, dass sie die Rechtsauffassung des erstinstanzlichen
Gerichtes zu dieser Kündigung nicht angreife. Auch auf den rechtlichen Hinweis des
Gerichts vom 29.09.2010, der deutlich macht, dass nur teilweise Berufung eingelegt
worden sei, hat die Beklagte nicht reagiert. Ob durch die Erklärung in der mündlichen
Verhandlung vom 09.11.2010 auch die Kündigung vom 29.10.2009 wirksam
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Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden ist, mag aber im Ergebnis offen
bleiben, da die Berufung jedenfalls insoweit unzulässig ist.
4. Nach § 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die
Berufungsbegründung die Bezeichnung der Umstände enthalten, aus denen sich die
Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt.
Damit soll gewährleistet sein, dass der Rechtsstreit für die Berufungsinstanz
ausreichend vorbereitet wird, indem sie den Berufungsführer anhält, die Beurteilung des
Streitfalls durch das Arbeitsgericht zu überprüfen und darauf hinzuweisen, in welchen
Punkten und aus welchen das angefochtene Urteil für unrichtig gehalten wird. Damit
wird bloß formelhaften Berufungsbegründungen entgegengewirkt und eine
Beschränkung des Rechtsstreits im Berufungsverfahren erreicht. Die
Berufungsbegründung muss auf den jeweiligen Streitfall zugeschnitten sein und im
Einzelnen erkennen lassen, in welchen Punkten tatsächlicher oder rechtlicher Art sowie
aus welchen Gründen der Berufungskläger das angefochtene Urteil für unrichtig hält.
Eine schlüssige, rechtlich haltbare Begründung ist jedoch nicht erforderlich. Die
Berufungsbegründung muss sich also mit den rechtlichen oder tatsächlichen
Argumenten des angefochtenen Urteils befassen, wenn es diese bekämpfen will (vgl.
zuletzt BAG Urteil vom 08.10.2008 5 AZR 526/07 NZA 2008, S. 1429, 1430).
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Diesen Anforderungen wird die Berufungsbegründung in Bezug auf die Kündigung vom
29.10.2009 schon deswegen nicht gerecht, weil die Rechtsauffassung des
erstinstanzlichen Gerichts ausdrücklich nicht angegriffen wird.
35
II.
36
In dem zulässigen Teil ist die Berufung unbegründet.
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1. Das Arbeitsverhältnis ist auch durch die Kündigung vom 04.11.2009 weder fristlos
noch fristgerecht aufgelöst worden. Dies hat das Arbeitsgericht zu Recht entschieden.
38
a) Die Kündigung ist nicht als außerordentliche wirksam. Das zwischen den Parteien
bestehende Arbeitsverhältnis ist deswegen nicht beendet.
39
aa) Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne
Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen,
aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls
und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des
Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.
Der wichtige Grund ist dabei nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts
zweistufig zu prüfen (vgl. nur BAG Urteil vom 10.12.2009 2 AZR 534/08 NZA 2010, S.
698 ff.). Daher ist zunächst zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die
besonderen Umstände des Einzelfalls als wichtiger Kündigungsgrund an sich geeignet
ist. Liegt ein solcher Sachverhalt vor, bedarf es der weiteren Prüfung, ob die Fortsetzung
des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des
Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar ist oder
nicht.
40
bb) Entgegen dem Wortlaut des Kündigungsschreibens stützt die Beklagte die
Kündigung darauf, dass der Kläger das Firmenfahrzeug trotz Aufforderung nicht
herausgegeben hat.
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(1) Zum Zeitpunkt der Aufforderung und zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung vom
04.11.2009 war das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht beendet, da
mittlerweile (mangels zulässiger Berufung) rechtskräftig feststeht, dass die Kündigung
vom 29.10.2009 unwirksam war. Zwischen den Parteien steht nicht im Streit, dass der
Firmenwagen dem Kläger auch zur privaten Nutzung überlassen war. Daher stellt der
Firmenwagen einen geldwerten Vorteil und einen Sachbezug dar, so dass er zum
gemäß § 611 Abs. 1 letzter Halbsatz BGB geschuldeten Arbeitsentgelt und damit zur
Hauptleistungspflicht des Arbeitgebers gehört (ständige Rechtsprechung des BAG Urteil
vom 05.09.2002 8 AZR 702/01 AP BGB § 280 n. F. Nr. 1; Urteil vom 09.12.2006 9 AZR
294/06 AP BGB § 611 Sachbezüge Nr. 21). Damit war der Kläger objektiv zur
Herausgabe nicht verpflichtet, da auch nicht ersichtlich ist, dass die Parteien ein
wirksames Widerrufsrecht vereinbart hätten.
42
(2) Ob das Herausgabeverlangen der Beklagten allerdings berechtigt war, ist nicht
retrospektiv zu betrachten, sondern aus Sicht der damaligen Situation, dem Zugang der
Kündigung.
43
Zum Zeitpunkt des Herausgabeverlangens war das Arbeitsverhältnis durch die
Kündigung vom 29.10.2010 fristlos gekündigt. Die geänderten Bedingungen hat der
Kläger nicht akzeptiert, so dass nur der Bestand des Arbeitsverhältnisses, nicht aber der
geänderte Fortbestand (ohne Dienstwagen) in Rede stand.
44
Grundsätzlich ist der Arbeitnehmer verpflichtet, bei Beendigung des
Arbeitsverhältnisses die dem Arbeitgeber zustehenden Gegenstände, sei es nun
Eigentum oder Leasinggut, also auch das Dienstfahrzug herauszugeben. Jedoch steht
zum Zeitpunkt der außerordentlichen Kündigung nicht mit Sicherheit fest, ob das
Arbeitsverhältnis durch die Kündigung aufgelöst werden wird. Es entsteht mithin mit
Ausspruch der Kündigung ein Schwebezustand, in dem tatsächlich unklar ist, ob das
Arbeitsverhältnis beendet worden ist oder nicht beendet worden ist und damit eine
Herausgabepflicht besteht oder nicht. Da dem Kläger das Recht auf Privatnutzung des
Firmenfahrzeugs eingeräumt war, ist es als mittelbarer Besitzer gemäß § 868 BGB
anzusehen, so dass er dem Herausgabeverlangen der Beklagten das Recht zum Besitz
entgegenhalten kann. Aufgrund der Ungewissheit über den Fortbestand des
Arbeitsverhältnisses, die durch die außerordentliche Kündigung begründet wird, besteht
zunächst grundsätzlich ein Herausgabeanspruch des Arbeitgebers an dem
Firmenfahrzeug ungeachtet der Frage, ob die Kündigung wirksam ist oder nicht. (vgl.
Rolfs/ u.A. – Joussen, Arbeitsrecht, 2008, § 611 BGB Rn 154; Schaub, Arbeitsrechts-
Handbuch, 12. Aufl. 2007, § 113 Rn 8; Münchener Handbuch Arbeitsrecht – Krause, 3.
Aufl. 2009, § 60 Rn. 10; HWK-Thüsing, 4. Auflage 2010, § 611 BGB Rn 89; ErfK-Preis,
10. Aufl. 2011, § 611 BGB Rn. 523). Auch die Frage, ob das Entgelt fortzuzahlen ist,
wird man während des Schwebezustands zunächst verneinen müssen. Grundsätzlich
werden die Grundsätze gelten müssen, die das Bundesarbeitsgericht (Beschluss vom
27.02.1985 GS 1/84 BAGE 48, 122ff) zum Weiterbeschäftigungsanspruch während des
Kündigungsschutzprozesses entwickelt hat
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Ausnahmsweise kann eine Herausgabepflicht aber daran scheitern, dass bereits jetzt
erkennbar ist, dass die Kündigung offensichtlich unwirksam ist (vgl. Arbeitsgericht
Wetzlar, Beschluss vom 01.08.2986 2 GA 1/86 NJW 1987, 163; Rolfs/ u.A. – Joussen,
Arbeitsrecht, 2008, § 611 BGB Rn 154; Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 12. Aufl. 2007,
§ 113 Rn 8; Münchener Handbuch Arbeitsrecht – Krause, 3. Aufl. 2009, § 60 Rn. 10;
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HWK-Thüsing, 4. Auflage 2010, § 611 BGB Rn 89; ErfK-Preis, 10. Aufl. 2011, § 611
BGB Rn. 523; zur Weiterbeschäftigungsverpflichtung vgl. LAG Baden-Württemberg
Beschluss vom 30.06.2010 19 Sa 22/10 Beck-RS 2010, 71928). Ist die Kündigung
offensichtlich unwirksam, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger
im Prozess obsiegt und er deswegen Anspruch auf die weitere Zurverfügungstellung
des Fahrzeugs hat. In diesem Falle wäre es unbillig, dem Kläger lediglich einen
finanziellen Ausgleich für den Zeitraum des Entzugs des Fahrzeugs zuzuerkennen.
Ein solcher Ausnahmefall liegt hier vor. Die Beklagte hat unter dem 29.10.2009 eine
fristlose Änderungskündigung ausgesprochen, die sie auf den gleichen Vorfall stützt,
den sie mit Schreiben vom 27.10.2009 bereits abgemahnt hatte. Dieses Fehlverhalten
konnte nicht mehr zur Begründung einer außerordentlichen Kündigung herangezogen
werden (vgl. BAG Urteil vom 13.12.2007 6 AZR 145/07 NZA 2008, S. 403). Zu dem war
dem Kläger auch die Annahme des fristlosen Änderungsangebotes nicht zumutbar.
Denn auch bei der verhaltensbedingten fristlosen Änderungskündigung muss der
Arbeitgeber sich darauf beschränken, nur solche Änderungen vorzuschlagen, die der
Arbeitnehmer billigerweise hinnehmen muss. Dazu gehört jedenfalls nicht die
Vereinbarung, alle Überstunden seien mit der festgelegten Vergütung abgegolten. Da
der Kläger jedenfalls bis zum Zugang der weiteren Kündigung keine Herausgabepflicht
für das Fahrzeug hatte, lag schon auf der ersten Stufe kein wichtiger Grund vor, der die
Beklagte zur außerordentlichen Kündigung berechtigte. Dies war dem Kläger auch
erkennbar. Nach anwaltlicher Beratung konnte er davon ausgehen, dass die Kündigung
keinen Bestand haben würde und er das Fahrzeug behalten kann. Damit fehlt es auch
an einer schuldhaften Pflichtverletzung.
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cc) Selbst wenn man mit der Beklagten die Nichtherausgabe des Firmenfahrzeugs als
wichtigen Grund ansähe, wäre die Kündigung auf der zweiten Stufe unwirksam. Denn
der Beklagten ist die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der
konkreten Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider
Vertragsteile hier zumutbar.
48
Bei der Kündigung handelt es sich nach dem Prognoseprinzip nicht um eine Sanktion
für Vertragspflichtverletzungen, sondern sie soll für die Zukunft Risiken weiterer
Pflichtverletzungen vermeiden. Deswegen muss sich die Pflichtverletzung auch noch in
der Zukunft belastend auswirken (vgl. BAG Urteil vom 12.01.2006 2 AZR 179/05 AP
KSchG 1969, § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54; Urteil vom 21.11.1996 2 AZR
397/95 AP BGB § 626 Nr. 130). Von einer negativen Prognose kann ausgegangen
werden, wenn aus der konkreten Vertragspflichtverletzung und der daraus
resultierenden Vertragsstörung geschlossen werden kann, der Arbeitnehmer könne den
Arbeitsvertrag auch nach einer Kündigungsandrohung erneut oder in gleicher oder in
ähnlicher Weise verletzen (vgl. BAG Urteil vom 12.01.2006 2 AZR 192/05 AP KSchG §
1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 154; Urteil vom 12.01.2006 2 AZR 179/05 AP
KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 154). Deshalb setzt eine Kündigung
wegen einer Vertragspflichtverletzung regelmäßig eine Abmahnung voraus (vgl. § 314
Abs. 2 BGB), die der Objektivierung der negativen Prognose dient. Liegt eine
ordnungsgemäße Abmahnung vor und verletzt der Arbeitnehmer erneut seine
vertraglichen Pflichten, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch in
Zukunft zu weiteren Vertragsstörungen kommen. Damit ist die Abmahnung nicht nur
Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, sondern zugleich ein notwendiger
Bestandteil der Anwendung des Prognoseprinzips. Daher hätte die Beklagte hier auch
zunächst eine Abmahnung aussprechen müssen, um ihre Prognose zu stützen (vgl.
49
LAG München Urteil vom 21.09.2007 7 Sa 1255/06 Beck-RS 2009, 61609). Wegen des
Kläger gemachten Vorwurfs war er jedenfalls vorher nicht in Erscheinung getreten. Er
konnte auch nicht damit rechnen, die Beklagte werde wegen der Nichtherausgabe des
Firmenfahrzeugs fristlos kündigen.
b) Die Kündigung ist auch als ordentliche Kündigung unwirksam. Die mangelnde
soziale Rechtfertigung nach § 1 Abs. 1 KSchG folgt aus den obigen Erörterungen.
50
2) Der Kläger hat auch Anspruch auf Entfernung der Abmahnung vom 27.10.2009 aus
seiner Personalakte, wie das Arbeitsgericht zu Recht festgestellt hat.
51
a) Dieser Anspruch ergibt sich in entsprechender Anwendung der §§ 242, 1004 BGB
(Vgl. BAG Urteil vom 23.06.2009 2 AZR 606/08 NZA 2009, S. 1011ff; m.w.N.). Mit der
Abmahnung übt der Arbeitgeber sein arbeitsvertragliches Gläubigerrecht aus. Als
Gläubiger der Arbeitsleistung weist er den Arbeitnehmer als seinen Schuldner auf
dessen vertragliche Pflichten hin und macht ihn auf die Verletzung dieser Pflichten
aufmerksam. Zugleich fordert er ihn für die Zukunft zu einem vertragstreuen Verhalten
auf und kündigt individualrechtliche Konsequenzen für den Fall einer erneuten
Pflichtverletzung an (vgl. BAG Urteil vom 23.06.2009 2 AZR 606/08 NZA 2009 S. 1011
ff.). Eine solche missbilligende Äußerung des Arbeitgebers in Form einer Abmahnung
kann den Arbeitnehmer in seinem beruflichen Fortkommen und seinem
Persönlichkeitsrecht beeinträchtigen. Darin liegt der Grund, warum der Arbeitnehmer die
Beseitigung dieser Abmahnung verlangen kann, wenn die Abmahnung formell nicht
ordnungsgemäß zustande gekommen ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält,
auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers
beruht, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt oder kein schutzwürdiges
Interesse des Arbeitgebers am Verbleib der Abmahnung in der Personalakte mehr
besteht (vgl. zum Ganzen BAG Urteil vom 23.06.2009 2 AZR 606/08 NZA 2009, S.
1011ff.).
52
b) Die Abmahnung vom 27.10.2009 entspricht hier nicht dem Bestimmtheitsgebot, wie
auch das Arbeitsgericht bereits im Einzelnen zutreffend dargelegt hat. Denn anders als
die Beklagte meint, dokumentiert die Abmahnung nicht nur den Vorfall vom 27.10.2009,
sondern bezieht sich allgemein auf das Verhalten des Klägers. Denn in ihr wird
mitgeteilt, dass sein "schlechtes Benehmen" und sein "unmögliches Verhalten
gegenüber der Geschäftsleitung und Mitarbeitern" nicht mehr geduldet werde. Der
Vorfall vom 27.10.2009 betrifft aber allein das Verhältnis zwischen dem Kläger und der
Geschäftsleitung. Damit wird dem Kläger in der Abmahnung auch vorgeworfen, dass
sein Verhalten gegenüber den Mitarbeitern nicht hinzunehmen sei. Damit wird ein
weiterer Vorwurf erhoben, der jedoch nicht näher erläutert wird. Aus der Abmahnung
muss daher der Leser entnehmen, dass der Kläger sich nicht nur konkret am 27.10.2009
falsch verhalten hat, sondern dieses sein Verhalten prägend sei für sein Auftreten im
Betrieb. Was damit genau gemeint ist, ergibt sich aus der Abmahnung nicht, und macht
sie daher zu unbestimmt.
53
III.
54
Die Beklagte hat gemäß § 97 ZPO die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.
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Ein Anlass, die Revision zuzulassen, ist nicht ersichtlich.
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