Urteil des LAG Hamm vom 13.09.2004

LArbG Hamm: treu und glauben, era, arbeitsgericht, arbeitsentgelt, abrechnung, tarifvertrag, kopie, anstellungsvertrag, auszahlung, gehaltserhöhung

Landesarbeitsgericht Hamm, 11 Sa 2146/03
Datum:
13.09.2004
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
11. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 Sa 2146/03
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Dortmund, 6 Ca 2560/03
Nachinstanz:
Bundesarbeitsgericht, 5 AZR 516/04 Rücknahme 04.04.2006
Leitsätze:
ERA-Strukturkomponente (Tarifvereinbarung über Löhne, Gehälter und
Ausbildungsvergü-tungen v. 24.05.2002 Metallindustrie Bayern):
Ein AT-Angestellter, mit dem die Erhöhung seiner Bezüge entsprechend
den Anhebungen des Tarifvertrages vereinbart ist, hat Anspruch auf
Einmalzahlungen entsprechend den tarif-lichen Regelungen des
Entgelttarifvertrages 2002 über die Auszahlung der ERA-
Strukturkomponente an die Arbeitnehmer per Juli 2002 und April 2003.
Rechtskraft:
Die Revision wird zugelassen
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsge-richts
Dortmund vom 16.10.2003 - 6 Ca 2560/03 - wird auf Kosten der
Beklagten zurückgewiesen.
T a t b e s t a n d
1
Der Kläger beansprucht auf der Grundlage einer arbeitsvertraglichen Bezugnahme auf
tarifvertragliche Regelungen die Einmalzahlung der ERA-Strukturkomponente per Juli
2002 und April 2003 nach dem Tarifvertrag der Bayerischen Metallindustrie über das
Entgelt 2002 und 2003 (Tarifvereinbarung über Löhne, Gehälter und
Ausbildungsvergütungen für die gewerblichen Arbeitnehmer und für die Angestellten
der bayerischen Metall- und Elektro-Industrie, Kopie Bl. 143 ff d.A., fortan: ETV 2002).
2
Der Kläger ist seit dem 02.05.1997 als Leiter des technischen Büros
"Brückenausrüstung" in der Niederlassung der Beklagten in D1xxxxxx tätig. Der
Arbeitsvertrag vom 02.05.1997 enthält unter anderem folgende Regelungen:
3
"§ 3
4
Bezüge
5
1. Als Vergütung für seine Tätigkeit erhält Herr S3xxxxxxx ein monatliches
6
AT-Bruttogehalt von DM 10.000,-- ..., zahlbar jeweils am Ende des Monats
bargeldlos....
Die wöchentliche Arbeitszeit beträgt 40 Stunden, ...
7
2. Das monatliche Bruttogehalt erhöht bzw. vermindert sich jeweils zum
Zeitpunkt des Inkrafttretens des für die Firma gültigen Gehaltstarifvertrages
der Bayerischen Metallindustrie um den DM-Betrag, um den das Tarifgehalt
der höchsten Stufe (VII/4) angehoben bzw. gemindert wird.
8
...
9
§ 11
10
Schlußbestimmungen
11
1. ...
12
2. Alle hier nicht angesprochenen Punkte werden nach den gesetzlichen
bzw. tariflichen Bestimmungen geregelt.
13
14
..."
15
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vertrages wird auf die Kopie des
Anstellungsvertrages, Bl. 7 - 11 der Akte, Bezug genommen. Am 07.05.1997
unterzeichneten die Parteien einen "Zusatz zum Anstellungsvertrag" (Bl. 12 d.A.):
16
"1. § 3, Absatz 2 aus Vertrag vom 02.05.1997 wird folgendermaßen ersetzt:
17
Das monatliche Bruttogehalt erhöht bzw. vermindert sich jeweils zum
Zeitpunkt des Inkrafttretens des für die Firma gültigen Gehalts-Tarif-Vertrages
der Bayerischen Metallindustrie um den DM-Betrag, um den das Mindest-AT-
Gehalt auf 40-Stunden-Basis, derzeit DM 9.580,--, angehoben bzw.
gemindert wird.
18
... "
19
§ 1 Nr. 1 d des einschlägigen Tarifvertrages der Bayerischen Metallindustrie nimmt von
der Anwendbarkeit des Tarifvertrages aus: "Angestellte, deren Gehalt auf
außertariflicher Grundlage über den Rahmen des höchsten Tarifsatzes der Gruppe VII
um 25 % hinausgehend geregelt wird". Am 24.05.2002 vereinbarten die
Tarifvertragsparteien der Bayerischen Metallindustrie einen Tarifvertrag über die
Entgelte für 2002 und 2003. Dort ist unter anderem geregelt:
20
"
§ 1 Entgelt
21
1. Für die Monate März bis Mai 2002 gelten die seit 1. Mai 2001 geltenden
Lohn- und Gehaltstafeln weiter.
22
2. Mit Wirkung ab 1. Juni 2002 erhöht sich das Tarifvolumen um insgesamt
4%, mit Wirkung ab 1. Juli 2003 um weitere 3,1%. Diese Erhöhungen werden
jeweils wie folgt auf zwei Komponenten verteilt:
23
Die tariflichen Entgelte (Monatsgrundlöhne und Tarifgehälter) nach dem
Stand vom 28. Februar 2002 werden mit Wirkung ab 1. Juni 2002 um 3,1%
und mit Wirkung ab 1. Juni 2003 um weitere 2,6% erhöht.
24
Das restliche Erhöhungsvolumen von 0,9% bzw. 0,5% fließt in ERA-
Strukturkomponenten (vgl. § 3).
25
...
26
§ 3 ERA-Strukturkomponente
27
1. Die Arbeitnehmer (ohne Auszubildende) erhalten für die Zeit vom 1. Juni
2002 bis 31. Dezember 2003 ERA-Strukturkomponenten als Einmalzahlung
für
28
a) den Zeitraum vom 1. Juni 2002 bis 31. Dezember 2002 mit der
Abrechnung vom Juli 2002, die sich folgendermaßen berechnet:
29
8,24 x 0,9% : 1,031 multipliziert mit dem Monatsentgelt;
30
b) für den Zeitraum vom 1. Januar 2003 bis 31. Mai 2003 mit der
Abrechnung vom April 2003, die sich folgendermaßen berechnet:
31
5,00 x 0,9% : 1,031 multipliziert mit dem Monatsentgelt;
32
c) den Zeitraum vom 1. Juni 2003 bis 31. Dezember 2003 mit der
Abrechnung vom September 2003, die sich folgendermaßen berechnet:
33
8,24 x 0,5% : 1,026 multipliziert mit dem Monatsentgelt;
34
Monatsentgelt im Sinne a) bis c) ist das individuelle regelmäßige
Monatsentgelt (feste sowie leistungs- und zeitabhängige variable
Bestandteile ohne Mehrarbeitsvergütung) des Auszahlungsmonats, soweit
es Gegenstand der Erhöhung gemäß § 1 Ziff. 2 dieser Vereinbarung war.
35
Abweichende Auszahlungszeitpunkte für diese Einmalzahlungen können
betrieblich vereinbart werden.
36
...
37
3. Die ERA-Strukturkomponente geht nicht in Durchschnittsberechnungen
aller Art ein.
38
4. Wenn bis 31. Dezember 2003 der Gemeinsame Entgeltrahmentarifvertrag
(ERA-TV) weder in Baden-Württemberg noch in Bayern abgeschlossen ist,
werden die Tabellenwerte zur nächsten Tarifperiode um 1,3644% vorweg
erhöht und bilden die Basis für die nachfolgende Erhöhung der Entgelte.
39
Dasselbe gilt für Betriebe, in denen der ERA-TV tarifrechtlicht nicht wirksam
wird.
..."
40
Wegen des hierzu von der IG Metall erstellten Berechnungsbeispiels wird auf Blatt 41
der Akte verwiesen. Die ERA-Strukturkomponente wurde von den Tarifvertragsparteien
im Hinblick auf die zukünftige Vereinbarung eines Entgeltrahmenabkommens (ERA)
und die dabei erwarteten "systembedingten Mehrkosten" festgelegt. Im
Verhandlungsergebnis der Tarifvertragsparteien vom 24.05.2002 (Bl. 13 ff d.A.) ist zur
weiteren Handhabung der ERA-Strukturkomponente ausgeführt:
41
"....... Die ERA-Strukturkomponente wird jeweils im ersten Jahr an die
Beschäftigten ausgezahlt und in den folgenden Jahren dem ERA-
Anpassungsfonds zugeführt. Nach Erreichen von 2,79 % Strukturkomponente
im Rahmen allgemeiner Tariflohnerhöhungen wird der entsprechende Betrag
bis zur Einführung des ERA jährlich an jeden Beschäftigten ausgezahlt und
entfällt anschließend. ......
42
Der so genannte betriebliche ERA-Anpassungsfonds wird zur Kompensation
von eventuellen betrieblichen Mehrkosten in den ersten fünf Jahren nach der
betrieblichen Einführung des Entgeltrahmentarifvertrages verwendet........"
43
Mit "Bekanntmachung" vom 07.06.2002 informierte die Geschäftsleitung der Beklagten
ihre Mitarbeiter, die Tariferhöhung werde an die Mitarbeiter weitergegeben, die
Tariferhöhung werde in drei Stufen erfolgen (Bl. 73 d.A.). Weiter heißt es dort:
44
"...
45
2. Stufe
46
Die Löhne und Gehälter werden ab Juni 2002 um 3,1 %, mit Wirkung ab Juni
2003 um weitere 2,6 % erhöht. ...
47
3. Stufe
48
Zusätzlich erhalten die Arbeitnehmer (ohne Auszubildende) Einmalzahlungen,
die individuell entsprechend dem Verhandlungsergebnis berechnet werden.
Diese werden mit den Abrechnungen Juli 2002, April 2003 und September 2003
bezahlt. ... "
49
Mit einem Schreiben vom 17.06.2002 teilte die Beklagte dem Kläger unter anderem mit
(Bl. 42 d.A.):
50
"...
51
Ihr außertarifliches Gehalt wird entsprechend dem Anstellungsvertrag gesteigert
und beträgt ab o.g. Zeitpunkt
52
EUR 6.016,00
53
============
54
Für den Monat Mai 2002 wird eine Pauschale in Höhe von EUR 120,00 bezahlt,
welche mit der Juni-Abrechnung 2002 zur Auszahlung kommt. Die
Einmalzahlungen der ERA-Strukturkomponente (s. Aushang) berechnet sich
wie im Verhandlungsergebnis aufgezeigt multipliziert mit dem Tarifgehalt der
Tarifgruppe VII/4 unter Berücksichtigung der Arbeitszeit. ..."
55
Das tarifliche Bruttoentgelt der Lohngruppe VII/4 für eine Arbeitszeit von 35 Stunden in
der Woche betrug bis zum Mai 2002 3.814,24 €. Die Beklagte zahlte an den Kläger ab
Juni 2002 ein um 168,23 € erhöhtes Gehalt (Berechnung Bl. 5 d.A.: 3.814,24 €
umgerechnet auf 40 Stunden = 4359,13 €; Erhöhung des Grundbetrages um 3,1% =
3932,00 €; umgerechnet auf 40 Stunden = 4493,71 €; Differenz 134,58 € x 25 % AT-
Aufschlag = 168,23 €). Eine Einmalzahlung der ERA-Strukturkomponente per Juli 2002
leistete die Beklagte nicht. Mit Schreiben vom 24.09.2002 und weiterem Schreiben vom
21.10.2002 machte der Kläger einen Anspruch auf die Einmalzahlung der ERA-
Strukturkomponente geltend (Schreiben vom 21.10.2002: Bl. 79, 80 d.A.). Die Beklagte
antwortete unter dem 15.11.2002 abschlägig (Bl. 81, 82 d.A.). Die Klage betreffend die
Einmalzahlung mit der Abrechnung Juli 2002 ist am 16.04.2003 bei dem Arbeitsgericht
eingegangen und der Beklagten am 15.05.2003 zugestellt worden. Die
Klageerweiterung betreffend die Einmalzahlung mit der Abrechnung April 2003 ist am
18.06.2003 bei dem Arbeitsgericht eingegangen.
56
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Anspruch auf die Einmalzahlung folge aus
dem Arbeitsvertrag. Zudem sei die Zahlung im Schreiben vom 17.06.2002 zugesagt
worden.
57
Der Kläger hat beantragt,
58
1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 404,09 € brutto nebst Zinsen in
Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 01.08.2002 zu zahlen,
59
2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 245,20 € brutto nebst Zinsen in
Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 01.05.2003 zu zahlen.
60
Die Beklagte hat beantragt,
61
die Klage abzuweisen.
62
Die Beklagte hat den Standpunkt eingenommen, es komme nur auf den Tabellenwert
des Tarifvertrages an (VII/4 = 3932,00 €, Bl. 154 d.A.). Das Schreiben vom 17.06.2002
enthalte keine Zusage. Den Einwand, die Forderung sei verfallen, hat die Beklagte in
der mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht nicht aufrechterhalten.
63
Das Arbeitsgericht hat der Klage mit den Beträgen 404,04 € und 245,17 € jeweils nebst
den beantragten Zinsen stattgegeben und die Klage im Übrigen abgewiesen, die
Kosten des Rechtsstreits sind insgesamt der Beklagten auferlegt worden. Zur
Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, die Klage sei bis auf eine
Rechenkorrektur begründet. Der Anspruch folge bereits aus dem Schreiben der
Beklagten vom 17.06.2002. Hierbei handele es sich um ein verbindliches Angebot der
Beklagten. Dieses Angebot hab der Kläger in der Folgezeit gemäß § 151 BGB
64
akzeptiert.
Das Urteil des Arbeitsgerichts ist der Beklagten am 08.12.2003 zugestellt worden. Die
Berufung der Beklagten ist am 19.12.2003 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangen.
Sie ist nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 09.03.2004 am 17.02.2004
begründet worden.
65
Die Beklagte wendet ein, aus dem Schreiben vom 17.06.2002 könne eine vertragliche
Verpflichtung der Beklagten nicht hergeleitet werden. Den Rechtsausführungen des
Arbeitsgerichts zu § 151 BGB sei nicht zu folgen. Der Kläger könne nur die
tabellenwirksame Entgelterhöhung um 3,1 % beanspruchen, nicht aber die
Einmalzahlung der ERA-Strukturkomponente per Juli 2002 und April 2003. Da die so
genannte ERA-Strukturkomponente keine tabellenwirksame Erhöhung der Tarifgehälter
bewirke, habe sie keinen Einfluss auf die Abstandsklausel zur Ermittlung eines
außertariflichen Mitarbeiters. Bei den Verlautbarungen vom 07.06.2002 und 17.06.2002
habe es sich jeweils nur um informative Mitteilungen gehandelt, aus denen sich eine
Anspruchsgrundlage für den Kläger nicht ergebe. Da der Arbeitsvertrag in seinen
Schlussbestimmungen auf die tariflichen Bestimmungen verweise, müsse sich der
Kläger die Verfallfrist des § 17 MTV-Angestellte entgegenhalten lassen (schriftliche
Geltendmachung binnen drei Monaten, Klage sechs Monate nach Ablehnung - Kopie §
17 MTV-Angestellte: Bl. 74 d.A.).
66
Die Beklagte beantragt,
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das Endurteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 16.10.2003, AZ: 6 Ca 2560/03,
abzuändern und die Klage abzuweisen.
68
Der Kläger beantragt,
69
die Berufung zurückzuweisen.
70
Der Kläger verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts. Der Anspruch folge bereits aus dem
Anstellungsvertrag und der hierzu getroffenen Zusatzvereinbarung. Bei einer
tarifvertraglichen Gehaltserhöhung 4 % mit einer Erhöhung des laufenden Gehaltes um
3,1 % und der Auszahlung der restlichen 0,9 % durch Einmalzahlungen könne man
nicht zu dem Ergebnis gelangen, dass der Kläger die Einmalzahlungen überhaupt nicht
erhalte. Zutreffend habe das Arbeitsgericht entschieden, dass auch aus dem Schreiben
vom 17.06.2002 der Zahlungsanspruch des Klägers folge. Wenn die Beklagte dieses
Schreiben mit "Gehaltsfestsetzung" überschrieben habe, habe der Kläger dies nur als
verbindliches Angebot verstehen können. Bei Gehaltserhöhungen werde nach der
Verkehrssitte eine ausdrückliche Annahme des Arbeitnehmers nicht erwartet.
71
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
72
Die statthafte und zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg. Zu Recht hat das
Arbeitsgericht einen Anspruch des Klägers auf die tarifvertraglich vorgesehenen
Einmalauszahlungen der ERA-Strukturkomponente per Juli 2002 und April 2003 bejaht.
73
Der Anspruch folgt aus der arbeitsvertraglichen Entgeltvereinbarung vom 02.05.1997
i.d.F. vom 07.05.1997 in Verbindung mit dem ETV 2002 (Tarifvereinbarung über Löhne,
Gehälter und Ausbildungsvergütungen für die gewerblichen Arbeitnehmer und für die
74
Angestellten der bayerischen Metall- und Elektro-Industrie vom 24.05.2002, Kopie Bl.
143 ff d.A.). Im Arbeitsvertrag sind dem Kläger Gehaltserhöhungen entsprechend den
tarifvertraglichen Entgelterhöhungen versprochen. Der Fall, dass zukünftig eine
"Erhöhung" des "Tarifvolumens um 4%" unter "Verteilung" auf "zwei Komponenten"
vereinbart wird, haben die Parteien bei der Formulierung des Arbeitsvertrages nicht
bedacht. Die Frage, ob der Kläger nur die tabellenwirksame erste Komponente von 3,1
% beanspruchen kann oder daneben auch die zweite Komponente mit dem "restlichen
Erhöhungsvolumen" von 0,9 %, zahlbar in zwei Einmalbeträgen mit den Faktoren 8,24
und 5 per Juli 2002 und April 2003, ist durch eine ergänzende Auslegung des insoweit
lückenhaften Vertrages zu beantworten. Dabei sind gemäß §§ 133, 157 BGB der Inhalt
der getroffenen Vereinbarung und deren Rechtsfolge an objektiven Maßstäben orientiert
zu bewerten. Auf dieser Grundlage ist dann zu ermitteln, was die Parteien im Falle des
Erkennens der Regelungslücke bei einer angemessenen Abwägung ihrer Interessen
nach Treu und Glauben als redliche Vertragspartner vereinbart hätten (BAG 13.11.2002
AP Nr.27 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag). Dabei ergibt sich, dass es den
Parteien bei ihrer Entgeltvereinbarung vom Mai 1997 erkennbar darum ging, den Kläger
hinsichtlich seiner finanziellen Ansprüche im Verhältnis 1:1 an der zukünftigen
Tarifentwicklung teilhaben zu lassen. Für das Arbeitsentgelt i.e.S. ergibt sich dies aus
den Regelungen in § 3 Nr.1, 2 des ursprünglichen Vertrages und der hierzu getroffenen
(ersetzenden) Zusatzvereinbarung vom 07.05.1997. Für die zusätzlichen finanziellen
Leistungen des Urlaubsgeldes und der Weihnachtsgratifikation (Arbeitsentgelt i.w.S.)
folgt die Teilhabe an der Tarifentwicklung aus § 3 Nr. 3, 4 des Vertrages vom
02.05.1997. Die beiden streitgegenständlichen Einmalzahlungen der ERA-
Strukturkomponente per Juli 2002 und 2003 sind überwiegend als Arbeitsentgelt i.e.S.
und daneben zu einem geringen Teil als Arbeitsentgelt i.w.S zu qualifizieren.
Abgesehen vom atypischen Fälligkeitstermin, der dem zukünftig zu statuierenden
Anpassungsfonds geschuldet ist, unterscheiden sich die Einmalzahlungen in ihrer
Zwecksetzung im Synallagma des Vertrages nicht von dem monatlich gezahlten
Arbeitsentgelt, wie es der Arbeitgeber als Hauptleistung nach § 611 Abs.1 BGB
schuldet, und den tariflichen Sonderzahlungen, die in § 3 Nr. 3, 4 Arbeitsvertrag i.S.
einer Partizipation des Klägers an den Tariferhöhungen behandelt sind. So spricht der
Tarifvertrag einheitlich von einem Erhöhungsvolumen von 4 %. So findet sich im Faktor
der Berechnungsformel der Einmalzahlung die monatliche Sichtweise, die klassischer
Weise für das Arbeitsentgelt i.e.S gewählt wird (Faktor 7 für die 7 Monate des ersten
Zeitraumes von Juni 2002 bis Dezember 2002, Faktor 5 für die Monate Januar 2003 bis
Mai 2003; zuzüglich eines zusätzlichen Restfaktors von 1,24 in der ersten Zeitperiode,
die sich als anteilige Pauschalierung zu den Sonderzahlungen darstellt.). Da die
Einmalzahlungen für Juli 2002 und April 2003 ohne zusätzliche Zweckbestimmungen
oder Einschränkungen an die Arbeitnehmer ausgekehrt werden, teilen sie das Schicksal
der tabellenwirksamen Erhöhung des Monatsbetrages. Das an Treu und Glauben
orientierte Zu-Ende-Denken der arbeitsvertraglichen Vereinbarung (vgl. MK-Mayer-
Maly/Busche, BGB 4.Aufl.2001, § 157 Rz.38) für die nicht geregelte Fallgestaltung der
strittigen Einmalzahlungen führt zur Anspruchsbejahung. Die hier
streitgegenständlichen Einmalzahlungen sind deshalb als Teil der
Gehaltserhöhung/Sonderzahlungserhöhung zu qualifizieren, deren Weitergabe an den
Kläger die Beklagte vertraglich zugesagt hat (so auch: LAG Düsseldorf v. 17. Dezember
2003 in einem ähnlich gelagerten Fall eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses mit
zugesagter Teilnahme an der Tarifentwicklung – nicht rkr., Az.: BAG 9 AZR 97/04 -). Da
die Verfallfrist des Tarifvertrages– wie auch die Beklagte erstinstanzlich bereits einmal
eingeräumt hatte – gewahrt ist, schuldet die Beklagte den von dem Arbeitsgericht
75
ausgeurteilten Betrag (4493,71 € x 1,25 "AT-Abstand" = 5617,14; 5617,14 € x 0,9 % x
8,24 : 1,031 = 404,04 €; 5617,14 € x 0,9 x 5,00:1,031 = 245,17 €). Soweit die Kammer in
der mündlichen Verhandlung eine geringfügig andere Berechnung vorgestellt hatte, lag
ein Rechenfehler vor. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286, 288, 247 BGB i.V.m. § 3 Nr.1
des Arbeitsvertrages. Zu verzinsen ist der Bruttobetrag (BAG GS 07.03.2001 AP Nr. 4 zu
§ 288 BGB).
Bei dieser Rechtslage kann dahinstehen, ob dem Schreiben der Beklagten vom
17.06.2002 und dem anschließenden Verhalten des Klägers entsprechend den
Ausführungen des Arbeitsgerichts anspruchsbegründende Wirkung beizumessen ist. Es
bedarf auch keiner weiteren Erörterung der Frage, ob sich bei einem
Vertragsverständnis im Sinne der Beklagten der streitgegenständliche Anspruch nicht
aus der Bezugnahme auf die tariflichen Bestimmungen für alle nichtvertraglich
geregelten Punkte in § 11 Ziff. 2 des Arbeitsvertrages ergibt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Revision wurde gemäß § 72
Abs. 2 Nr. 1 ArbGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der behandelten Rechtsfrage
zugelassen.
77
Limberg
Beeking
Palsbröker
78
Ri.
79