Urteil des LAG Hamm vom 08.11.2007

LArbG Hamm: sonntagsarbeit, ordentliche kündigung, grundsatz der gleichbehandlung, gottesdienst, persönliche freiheit, grundrecht, genehmigung, anfang, glaubensfreiheit, arbeitsgericht

Landesarbeitsgericht Hamm, 15 Sa 271/07
Datum:
08.11.2007
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
15. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
15 Sa 271/07
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Iserlohn, 2 Ca 2078/06
Schlagworte:
Kündigung aus verhaltens- oder personenbedingten Gründen wegen der
Weigerung des Arbeitnehmers, aus religiösen Gründen an sich
zulässige Sonntagsarbeit auszuführen.
Normen:
§ 1 KSchG; § 315 BGB; Art. 4, 12, 14 GG
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts
Iserlohn vom 23.01.2007 - 2 Ca 2078/06 - wird auf ihre Kosten
zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung der Beklagten.
2
Der am 21.01.1959 geborene Kläger ist verheiratet und hat 11 Kinder, von denen 9 noch
in seinem Haushalt leben. Er ist seit dem 11.10.1994 als Pressereimitarbeiter bei der
Beklagten tätig, die ca. 2000 Arbeitnehmer beschäftigt. Bei der Beklagten ist ein
Betriebsrat gewählt. Der Kläger war zuletzt in der Abteilung Großpresserei tätig und
erhielt ein Bruttomonatsentgelt von ca. 2.960,00 EUR. Wegen des schriftlichen
Arbeitsvertrages der Parteien vom 10.10.1994 wird auf Bl. 6 f. d.A. Bezug genommen.
3
In der Großpresserei der Beklagten wurde bis zum Frühjahr 2006 dreischichtig von
montags bis einschließlich samstags gearbeitet. Die Frühschicht dauert dabei von 5.00
Uhr morgens bis 13.00 Uhr, die Spätschicht von 13.00 Uhr bis 21.00 Uhr und die
Nachtschicht von 21.00 Uhr bis 5.00 Uhr morgens am folgenden Tage. Mit Bescheid
vom 16.02.2006 bewilligte die Bezirksregierung Arnsberg für die Großpresserei der
Beklagten unter bestimmten Bedingungen abweichend von § 9 Arbeitszeitgesetz die
Beschäftigung von insgesamt bis zu 39 Arbeitnehmern je Sonn- und Feiertag an den
großen Pressen und der Titanbearbeitung. Wegen der Einzelheiten des Bescheides
vom 15.02.2006 wird auf Bl. 88 ff. d.A. verwiesen. Der Kläger war zur damaligen Zeit in
einem Bereich der Großpresserei B 4 eingesetzt, in dem noch keine Sonntagsarbeit
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geleistet wurde. Mit weiterem Bescheid vom 31.03.2006 bewilligte die Bezirksregierung
Arnsberg an allen Sonn- und Feiertagen vom 02.04.2006 bis zum 31.12.2006 die
Beschäftigung von insgesamt bis zu 30 über 18 Jahre alten Arbeitnehmern je Sonn- und
Feiertag in der Großpresserei B 4 an den Serienteil- und Räderpressen mit
Produktionsarbeiten. Wegen der weiteren Einzelheiten dieses Bescheides wird auf Bl.
93 ff. d. A. Bezug genommen.
Auf der Grundlage der bewilligten Sonntagsarbeit erstellte die Beklagte einen
Schichtenplan, der vorsieht, dass die Schichtbesetzung, der der Kläger angehört, an
drei Sonntagen im Monat zur Arbeit eingeteilt ist. Wegen der Einzelheiten des
Schichtenplans wird auf Bl. 97 d.A. verwiesen. Dementsprechend war der Kläger an
folgenden Tagen für Schichten eingeteilt, die in den Sonntag hineinreichten bzw. am
Sonntag begannen:
5
- 08.04.2006, samstags, Nachtschicht, 21.00 Uhr bis 5.00 Uhr (5 Stunden am
Sonntag),
6
- 06.05.2006, samstags, Nachtschicht, 21.00 Uhr bis 5.00 Uhr (5 Stunden am
Sonntag),
7
- 14.05.2006, sonntags, Nachtschicht, 21.00 Uhr bis 5.00 Uhr (3 Stunden am
Sonntag),
8
- 01.07.2006, samstags, Nachtschicht, 21.00 Uhr bis 5.00 Uhr) 5 Stunden am
Sonntag).
9
Diese Schichten hat der Kläger geleistet.
10
Anfang Juli 2006 erklärte der Kläger der Beklagten, er werde künftig nicht mehr am
Sonntag arbeiten. In Gesprächen mit der Abteilungsleitung und der Personalabteilung
berief der Kläger sich dabei auf die Glaubensfreiheit und erklärte, seine religiöse
Überzeugung als Baptist ließe es nicht zu, dass er am Sonntag arbeite.
11
Am Sonntag, den 02.07.2006 war der Kläger zu der um 21.00 Uhr beginnenden
Nachtschicht eingeteilt, zu der er nicht erschien. Anlässlich des wegen des
Nichterscheinens am 02.07.2006 geführten Gesprächs am 06.07.2006 erklärte der
Kläger, er werde auch am Sonntag, den 09.07.2006 nicht zur Spätschicht von 13.00 Uhr
bis 21.00 Uhr erscheinen, zu der er eingeteilt war. Wegen des Fehlens am 09.07.2006
erteilte die Beklagte dem Kläger am 14.07.2006 eine Abmahnung.
12
Am Sonntag, den 06.08.2006 erschien der Kläger nicht zur Spätschicht von 13.00 Uhr
bis 21.00 Uhr, obwohl er zur Arbeit eingeteilt war. Bereits im Vorfeld hatte er den
zuständigen Meister darauf hingewiesen, dass er diese erste Sonntagsschicht nach
seinem Urlaub, der vom 24.07.2006 bis zum 05.08.2006 erteilt war, nicht leisten werde.
13
Mit Schreiben vom 09.08.2006 hörte die Beklagte den Betriebsrat zur beabsichtigten
ordentlichen Kündigung des Klägers an. Wegen der Einzelheiten des
Anhörungsschreibens wird auf Bl. 22 ff. d.A. Bezug genommen. Unter dem 10.08.2006
teilte der Betriebsrat der Beklagten mit, aufgrund der ihm vorliegenden Informationen
sehe er bei der gegebenen Rechtslage keine Möglichkeit, gegen die beabsichtigte
ordentliche Kündigung Bedenken geltend zu machen. Daraufhin sprach die Beklagte
14
dem Kläger mit Schreiben vom 11.08.2006, welches ihm am 12.08.2006 zuging, die
fristgemäße Kündigung zum 31.12.2006 aus. Hiergegen richtet sich die am 25.08.2006
beim Arbeitsgericht Iserlohn eingegangene Feststellungsklage.
Der Kläger hat vorgetragen, die Kündigung vom 11.08.2006 sei rechtsunwirksam. Seine
religiöse Überzeugung als Baptist verbiete es ihm einerseits, sonntags überhaupt zu
arbeiten, und gebe ihm andererseits auf, an den Gottesdiensten teilzunehmen. Aus
diesem Grunde sei er gehindert gewesen, am 09.07.2006 zur Spätschicht zu
erscheinen. An diesem Tage habe er um 16.00 Uhr den Gottesdienst aufsuchen
müssen. Anlässlich des Personalgesprächs am 14.07.2006, in welchem die Beklagte
ihn darauf hingewiesen habe, dass er die Sonntagsschichten zu leisten habe, habe er
entgegnet, dies sei ihm aus Glaubensgründen und aufgrund der zu besuchenden
Gottesdienste nicht möglich. Auch am 06.08.2006 habe er um 16.00 Uhr an einem
Gottesdienst teilnehmen müssen und aus diesem Grunde nicht arbeiten können. Die
Anordnung der Sonntagsarbeit berücksichtige sein Grundrecht auf Glaubensfreiheit
gemäß Artikel 4 Grundgesetz nicht. Die Anordnung der Beklagten greife in nicht
gerechtfertigter Weise in sein Grundrecht auf ungestörte Religionsausübung ein. Er, der
Kläger, könne bei Befolgung der Anordnung die Gottesdienste am Sonntag nicht mehr
wahrnehmen.
15
Soweit er, der Kläger, zunächst Wochenendarbeit geleistet habe, sei dies aus Angst
erfolgt, den Arbeitsplatz zu verlieren. Schließlich habe er eine Familie mit neun Kindern
als Alleinverdiener zu versorgen. Die Glaubensfreiheit sei zudem höher zu bewerten als
das Gewinnstreben der Beklagten. Einschränkungen, welche die Beklagte durch eine
entsprechende Umorganisation in Kauf nehmen müsse, seien kaum vorhanden. Schon
aus Gründen der Fürsorgepflicht habe die Beklagte nach Möglichkeiten suchen müssen,
ihn von der Wochenendarbeit, insbesondere der Sonntagsarbeit, zu befreien. Hierzu
hätte die Beklagte auch eine Beschäftigung in einer anderen Abteilung in Betracht
ziehen müssen, was sie jedoch nicht getan habe. Er, der Kläger, hätte ohne Probleme in
der Abteilung B 2 eingesetzt werden können. In dieser Abteilung seien zahllose
Leiharbeitnehmer beschäftigt, so dass ein Tausch der Arbeitsplätze habe stattfinden
können.
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Der Kläger hat beantragt,
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1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die
Kündigung der Beklagten vom 11.08.2008 nicht aufgelöst worden ist oder
aufgelöst wird,
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2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere
Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Bedingungen über
den 31.12.2006 hinaus ungekündigt fortbesteht.
19
Die Beklagte hat beantragt,
20
die Klage abzuweisen.
21
Sie hat vorgetragen, die Kündigung vom 11.08.2006 sei aus verhaltensbedingten
Gründen sozial gerechtfertigt. Der Kläger sei am Sonntag, den 06.08.2006 nicht zur
Arbeit erschienen, obwohl er an diesem Tage laut Schichtplan für die Spätschicht von
13.00 Uhr bis 21.00 Uhr eingeplant gewesen sei. Wegen des gleichen Verhaltens sei er
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bereits am 14.07.2006 einschlägig abgemahnt worden, da er am Sonntag, den
09.07.2006 nicht zur Spätschicht erschienen sei, zu der er eingeteilt gewesen sei.
Soweit der Kläger als Baptist sich auf Artikel 4 GG berufe, rechtfertige dies das
unentschuldigte Fehlen und die Weigerung, überhaupt an Sonntagen zu arbeiten, nicht.
Sie, die Beklagte, bestreite, dass die Berufung auf Artikel 4 Grundgesetz tatsächlich von
einer religiösen Überzeugung getragen sei. Zum einen habe der Kläger in der
Vergangenheit seit Einführung der genehmigten Sonntagsarbeit bereits in Schichten
gearbeitet, die in den Sonntag hineinreichten bzw. am Sonntag begonnen hätten. Zum
anderen habe der Kläger im Gespräch mit seinen Vorgesetzten mehrfach angekündigt,
er wolle auch nicht mehr an Samstagsschichten eingesetzt werden, da er sich am
Wochenende um seine Familie kümmern müsse. Sie, die Beklagte, bestreite, dass es
den Angehörigen der Baptistenkirche untersagt sei, sonntags zu arbeiten. Sie
beschäftigte zahlreiche Mitarbeiter, die überzeugte Baptisten seien und keine Probleme
hätten, auch sonntags zu arbeiten.
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Zudem kollidiere die Berufung des Klägers auf die Glaubens- und Religionsfreiheit mit
ihrer durch Artikel 12 Grundgesetz geschützten Unternehmensfreiheit. Ihr Interesse, die
betrieblichen Abläufe störungsfrei zu organisieren, habe Vorrang vor den Interessen des
Klägers, am Sonntag aus religiöser Überzeugung nicht arbeiten zu wollen.
24
Eine generelle Befreiung des Klägers von der Sonntagsarbeit widerspreche auch dem
Grundsatz der Gleichbehandlung. Im Bereich der Großpresserei, in der der Kläger
arbeite, sei er in einer aus 11 Mitarbeitern bestehenden Pressenmannschaft integriert,
die nach einem festen Schichtplan für die verschiedenen ineinander greifenden
Tätigkeiten eingeteilt seien. Die Bevorzugung eines Mitarbeiters bringe nicht nur den
Schichtplan organisatorisch durcheinander, sondern führe auch zu
Betriebsablaufstörungen. Letzteres sei insbesondere an den Tagen der Fall gewesen,
an denen der Kläger unentschuldigt nicht zur Arbeit erschienen sei. Sie, die Beklagte,
könne sonntags auf den Kläger nicht verzichten. Der Kläger gehöre zu den drei
Mitarbeitern der Pressenmannschaft, die am qualifiziertesten seien und fast sämtliche in
diesem Bereich anfallenden Tätigkeiten beherrschten.
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Entgegen der Darstellung des Klägers sei die Genehmigung der 7-Tage-Woche nicht
aus Gewinnstreben beantragt worden, sondern aus der Notwendigkeit, Kundenaufträge
fristgemäß abzuarbeiten, um nicht in Lieferverzug zu geraten und unter Umständen
Schadensersatz bzw. Verzugsstrafen zahlen zu müssen.
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Unabhängig davon habe sie, die Beklagte, versucht, soweit dies möglich sei, den
Bedürfnissen der Mitarbeiter Rechnung zu tragen. Die Sonntagsarbeit werde nicht
generell, sondern nur in Ausnahmefällen und mit behördlicher Genehmigung sowie
Beachtung der Auflagen praktiziert. Die Sonntagsarbeit sei regelmäßig nur befristet.
Entsprechend den behördlichen Nebenbestimmungen befreie sie die betroffenen
Mitarbeiter von ihrer Arbeitspflicht, um ihnen Gelegenheit zum Besuch des
Gottesdienstes zu geben. Dies gelte auch für den Kläger. Im konkreten Fall habe sie
dem Kläger gestattet, im Falle der Frühschicht mit der Arbeit um 5.00 Uhr zu beginnen
und für die Teilnahme am Gottesdienst um 10.00 Uhr die Arbeit zu beenden. Auf dieses
Entgegenkommen sei der Kläger nicht eingegangen und wolle dies auch in Zukunft
nicht. Soweit der Kläger zur Spätschicht von 13.00 Uhr bis 21.00 Uhr eingeteilt sei, sei
ihm zumutbar, den um 10.00 Uhr beginnenden Frühgottesdienst zu besuchen und
anschließend seine Arbeit aufzunehmen. Wenn er für die Frühschicht von 5.00 Uhr bis
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13.00 Uhr eingeteilt sei, habe er Gelegenheit, am Nachmittag den um 16.00 Uhr
beginnenden Spätgottesdienst zu besuchen. Sie, die Beklagte, habe dem Kläger sogar
angeboten, ihn im Falle des Arbeitsbeginns um 5.00 Uhr für die Teilnahme am
Gottesdienst um 10.00 Uhr von der Arbeit zu befreien. Auf dieses Entgegenkommen sei
der Kläger nicht eingegangen und wolle dies auch in Zukunft nicht.
Auf einen anderen Arbeitsplatz könne der Kläger nicht versetzt werden. Zum einen sei
ein solcher im Zeitpunkt der Kündigung nicht frei gewesen und werde auch in
absehbarer Zeit nicht frei. Zum anderen komme eine Versetzung in eine andere
Abteilung nicht in Betracht, weil in den meisten Abteilungen zur Zeit ebenfalls die 7-
Tage-Woche gefahren werde. Für eine Versetzung in die Abteilung B 2 fehle es nicht
nur an der Benennung eines konkreten Arbeitsplatzes, sondern auch an der
entsprechenden Qualifikation des Klägers.
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Durch Urteil vom 23.01.2007 hat das Arbeitsgericht unter Abweisung der Klage im
übrigen festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der
Beklagten vom 11.08.2006 nicht beendet worden ist. Gegen diese Entscheidung, die
der Beklagten am 05.02.2007 zugestellt worden ist, richtet sich die Berufung der
Beklagten, die am 09.02.2007 beim Landesarbeitsgericht eingegangen und am
26.03.2007 begründet worden ist.
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Die Beklagte vertritt weiter die Auffassung, die Kündigung vom 11.08.2006 sei als sozial
gerechtfertigt anzusehen. Die Bewilligung der Sonntagsarbeit durch die
Bezirksregierung Arnsberg sei ausweislich des Bescheides vom 31.03.2006 nicht
wegen der guten Geschäftslage ihres Unternehmens oder Gewinnstrebens, sondern zur
Vermeidung von Lieferverzug notwendig gewesen. Bis Ende März 2006 habe der
Kläger noch in einem Bereich eingesetzt werden können, in dem keine Sonntagsarbeit
geleistet worden sei. Mit Wirkung ab dem 02.04.2006 sei dann auch an den Räder- und
Serienteilpressen Sonntagsarbeit eingeführt worden. Ab diesem Zeitpunkt habe der
Kläger in die Sonntagsarbeit einbezogen werden müssen. Dabei sei nicht nur der
Kläger, sondern die gesamte Schichtbesetzung entsprechend dem Schichtplan zur
Sonntagsarbeit eingeteilt worden. Der Kläger habe auch zunächst in Schichten
gearbeitet, die in den Sonntag hineingereicht bzw. am Sonntag begonnen hätten. Erst
Anfang Juli 2006 habe der Kläger erklärt, dass er künftig nicht mehr am Sonntag
arbeiten werde. Entsprechend seiner Ankündigung sei er am Sonntag, den 02.07.2006
der Arbeit ferngeblieben. Dies habe zu dem Gespräch am 06.07.2006 geführt. Dabei sei
der Kläger unter Hinweis auf die arbeitsrechtlichen Konsequenzen aufgefordert worden,
seine Arbeit am Sonntag, den 09.07.2006, wie schichtplanmäßig vorgesehen, in der
Spätschicht zu verrichten. Dies habe der Kläger abgelehnt. Wegen des
Nichterscheinens am 09.07.2006 sei der Kläger am 14.07.2006 abgemahnt worden.
Auch am Sonntag, den 06.08.2006, sei der Kläger nicht zur Spätschicht erschienen,
obwohl er zur Arbeit eingeteilt gewesen sei. An beiden Tagen sei es dem Kläger ohne
weiteres möglich gewesen, den Gottesdienst um 10.00 Uhr zu besuchen. In der
Gemeinde des Klägers würden sonntags Gottesdienste um 10.00 Uhr und um 16.00 Uhr
angeboten.
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Sie, die Beklagte, könne sonntags nicht auf den Kläger verzichten, da er zu den drei
qualifiziertesten Mitarbeitern der Pressenmannschaft gehöre. Im Falle des Fehlens des
Klägers komme es zu Beeinträchtigungen des Einsatzes der Pressenmannschaft. Durch
das Nichterscheinen des Klägers zu den eingeteilten Sonntagsschichten sei es auch zu
konkreten Störungen gekommen. Unter anderem durch den Ausfall des Klägers hätten
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die Räderpressen nicht voll besetzt werden können, weil die weiteren Mitarbeiter der
Gruppe entweder an den großen Pressen oder an anderen kleineren Pressen
eingesetzt worden seien. Bei einem Einsatz des Klägers an den fraglichen Tagen wären
die Stillstandszeiten an der 4000er- oder 8000er-Tonnenpresse jeweils um acht
Stunden geringer ausgefallen.
Für einen Einsatz des Klägers in der Abteilung B 2 fehle es an der entsprechenden
Qualifikation. Bei der Abteilung B 2 handele es sich um eine Strangpresserei, während
der Kläger in der Großpresserei eingesetzt sei. Hierbei handele es sich um zwei
grundsätzlich unterschiedliche Verfahren, die von den Mitarbeitern unterschiedliche
Qualifikationen abverlangten. Der Kläger kenne die Verfahren des "Gesenkschmiedens"
in der Großpresserei. Im Bereich des Strangpressens habe er keinerlei Kenntnisse.
Nach den Stellenbeschreibungen benötige ein qualifizierter Pressenfahrer in der
Strangpresserei eine Ausbildungszeit von mehr als einem Jahr und zusätzlich eine
Berufserfahrung von ein bis drei Jahren. Im Übrigen werde auch im Bereich der
Strangpresserei in vielen Bereichen ab und zu am Sonntag produziert. Eine
anderweitige geeignete Einsatzmöglichkeit ohne Sonntagsarbeit sei in ihrem Betrieb
nicht vorhanden.
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Sie, die Beklagte, bestreite weiter, dass es den Angehörigen der Baptistenkirche
untersagt sei, sonntags zu arbeiten. Nach ihren Informationen sei es jedem Mitglied
freigestellt, ob er am Sonntag überhaupt am Gottesdienst teilnehme. Anstelle der
Teilnahme an einem Gottesdienst an einem Sonntag könne der Gläubige an jedem
anderen Tag der Woche einen öffentlichen oder privaten Gottesdienst halten bzw. daran
teilnehmen. Sonntagsarbeit stelle jedenfalls keinen Verstoß gegen die Regelung dieser
Glaubensgemeinschaft dar. Im Übrigen habe bei jeder Schichteinteilung Gelegenheit für
den Kläger bestanden, den Gottesdienst zu besuchen.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 23.01.2007 abzuändern und die
Klage in vollem Umfang abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
37
Er verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil und trägt vor, die Regeln der
Religionsgemeinschaft der Baptisten und sein Gewissen verböten es ihm, sonntags zu
arbeiten. Die religiösen Regeln der Baptistengemeinde, der er, der Kläger, angehöre,
verlangten von ihm, dass er sonntags den Gottesdienst besuche und die Sonntagsruhe
einhalte. Unabhängig davon komme es nur darauf an, dass er selbst es seinem
Gewissen nach als zwingend ansehe, sonntags nicht zu arbeiten. Das Grundrecht nach
Artikel 4 Abs. 1 Grundgesetz stehe strenggläubigen oder orthodoxen Angehörigen einer
Religion, die derartige Regeln als verbindlich ansehen, ebenso zu wie weltlichen oder
weniger strenggläubigen Angehörigen dieser Religion, die diese Regel nicht als
verbindlich ansehen. Die Beklagte habe keinen Anspruch darauf, dass er sich einer
weniger strenggläubigen Strömung der Baptisten anschließe, damit er den
geschäftlichen Interessen der Beklagten und den betrieblichen Abläufen nicht in die
Quere komme.
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Er, der Kläger bestreite, dass bei einer Berücksichtigung seiner Weigerung, sonntags zu
arbeiten, mit Lieferverzug, Arbeitsplatzverlust oder Verlust von Aufträgen zu rechnen sei.
Unabhängig davon könne das Grundrecht aus Artikel 4 Abs. 1 Grundgesetz nicht schon
auf einen vagen Gefährdungsverdacht hin zurücktreten, sondern nur dann, wenn der
Arbeitgeber reale Gefährdungen konkret darlege. Dies habe die Beklagte nicht getan.
Sie habe nicht dargetan, welche Aufträge verlorengingen, aufgrund welcher Umstände
Arbeitsplätze in Gefahr seien, warum es nicht möglich sei, durch personale
Umorganisationsmaßnahmen eine Berücksichtigung seiner, des Klägers, Bedürfnisse
zu ermöglichen. Die Beklagte habe keine konkreten Aufträge benannt, die durch ein
anderes, ihm entgegenkommendes Verhalten gefährdet seien und keine konkreten
Ausführungen dahingehend gemacht, dass aufgrund des möglichen Verlustes von
Aufträgen konkrete Arbeitsplätze gefährdet seien.
39
Er, der Kläger, bestreite weiter, dass er im Betrieb der Beklagten nicht anders einsetzbar
sei und in Sonntagsarbeit habe einbezogen werden müssen. Unzutreffend sei, dass
keine organisatorischen Anpassungen möglich seien, die zu einer Respektierung seiner
religiös motivierten Weigerung, Sonntagsarbeit zu leisten, führe.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den
vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
41
Entscheidungsgründe
42
I.
43
Die Berufung ist an sich statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet
worden.
44
II.
45
Der Sache nach hat die Berufung der Beklagten keinen Erfolg. Denn das
Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung der Beklagten vom 11.08.2006
nicht aufgelöst worden.
46
1. Die Kündigung ist nicht aus Gründen im Verhalten des Klägers sozial gerechtfertigt.
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a) Die Weigerung eines Arbeitnehmers, eine vertraglich geschuldete Leistung zu
erbringen, ist, nach entsprechender Abmahnung, zwar an sich regelmäßig geeignet,
eine ordentliche Kündigung sozial zu rechtfertigen (vgl. BAG, Urteil vom 24.05.1989, 2
AZR 285/88, NZA 1990, 144 f. m.w.N.). Welche Leistungspflichten den Arbeitnehmer
treffen, ist im Arbeitsvertrag in der Regel nur rahmenmäßig umschrieben. Aufgrund
seines Weisungsrechts kann der Arbeitgeber einseitig die im Arbeitsvertrag nur
rahmenmäßig umschriebene Leistungspflicht nach Zeit, Ort und Art der Leistung
bestimmen. Das Weisungsrecht, das seine Grenzen in den gesetzlichen Regelungen
sowie im Kollektiv-und im Einzelvertragsrecht findet, darf gemäß § 315 Abs. 1 BGB nur
nach billigem Ermessen ausgeübt werden (vgl. BAG, Urteil vom 10.10.2002, 2 AZR
472/01). Die in § 315 Abs. 1 BGB geforderte Billigkeit wird inhaltlich durch die
Grundrechte und damit auch durch das Grundrecht der Glaubens- und
Bekenntnisfreiheit des Artikel 4 Abs. 1 GG und die Gewährleistung der ungestörten
Religionsausübung des Artikel 4 Abs. 2 GG mitbestimmt. Kollidiert das Recht des
Arbeitgebers, im Rahmen seiner gleichfalls grundrechtlich geschützten
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unternehmerischen Betätigungsfreiheit aus Artikel 12 Abs. 1 GG den Inhalt der
Arbeitsverpflichtung des Arbeitnehmers näher zu konkretisieren, mit grundrechtlich
geschützten Positionen des Arbeitnehmers, so ist das Spannungsverhältnis im Rahmen
der Konkretisierung und Anwendung der Generalklausel des § 315 BGB einem
grundrechtskonformen Ausgleich der Rechtspositionen zuzuführen. Dabei sind die
kollidierenden Grundrechte in ihrer Wechselwirkung zu sehen und so zu begrenzen,
dass die geschützten Rechtspositionen für alle Beteiligten möglichst weitgehend
wirksam werden (sogenannte praktische Konkordanz; vgl. BAG, Urteil vom 10.10.2002 –
2 AZR 472/01 – m.w.N.). Bei der Abwägung ist die Intensität der umstrittenen
Freiheitsbeschränkung genauso zu berücksichtigen wie die von den Vertragspartnern
durch den Abschluss des Vertrags selbst eingeräumte Begrenzung ihrer
grundrechtlichen Freiheiten, der Rang und das Gewicht des mit dem Eingriff verfolgten
Ziels sowie die spezifische Bedeutung und der spezielle Gehalt des betroffenen
Grundrechts bzw. der kollidierenden Grundrechtspositionen in Bezug auf den
umstrittenen Regelungskonflikt. Die kollidierenden Grundrechtspositionen sind in ihrer
Wechselwirkung zu erfassen und so zu begrenzen, dass sie für alle Beteiligten
möglichst weitgehend wirksam werden.
aa) Das vom Kläger in Anspruch genommene Grundrecht aus Artikel 4 Abs. 1 und 2 GG
umfasst die Freiheit, nach eigenen Glaubensüberzeugungen zu leben und zu handeln.
Die Glaubensfreiheit gewährleistet dabei nicht nur die persönliche Freiheit, nach
Maßgabe einer autoritativen oder allgemein anerkannten Lehre einer
Religionsgemeinschaft zu leben, sondern auch die individuelle Religionsfreiheit als
Recht des Einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den Lehren seines Glaubens
auszurichten und seiner inneren Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln. Vielmehr
fallen in den Schutzbereich von Artikel 4 GG auch Verhaltensweisen, die nicht
allgemein von den Gläubigen geteilt werden. Für eine zulässige Berufung auf Artikel 4
GG kommt es nur darauf an, dass es überhaupt von einer wirklichen religiösen
Überzeugung getragen und nicht anders motiviert ist. Andernfalls würde den Gerichten
eine Bewertung von Glaubenshaltungen oder die Prüfung von theologischen Lehren
aufgebürdet, die sie nicht leisten können und nicht leisten dürfen (BAG, Urteil vom
10.10.2002 – 2 AZR 472/01 – m.w.N.).
49
bb) Als konkurrierende Rechtsposition kommt die durch Artikel 12 Abs. 1 GG ebenfalls
grundrechtlich geschützte Unternehmerfreiheit der Beklagten in Betracht, die auch in
dem berechtigten Anliegen Ausdruck findet, entsprechend den Bewilligungsbescheiden
der Bezirksregierung Arnsberg Sonn- und Feiertagsarbeit leisten zu lassen.
50
b) Ausgehend von diesen rechtlichen Grundlagen kann die Kündigung vom 11.08.2006
nicht aus verhaltensbedingten Gründen als sozial gerechtfertigt angesehen werden.
51
aa) Das Verlangen der Beklagten, der Kläger möge entsprechend der von ihr
getroffenen Schichteneinteilung an bestimmten Sonn- und Feiertagen, hier konkret am
Sonntag, den 06.08.2006 seine Arbeitspflicht erbringen, kollidiert unmittelbar mit dem
Grundrecht des Klägers aus Artikel 4 Abs. 1 und 2 GG. Der Kläger leitet das von ihm als
verpflichtend angesehene Gebot, am Sonntag nicht zu arbeiten, aus seinem Glauben
als Baptist her. Auch wenn der Kläger zunächst nach Einführung der Sonntagsarbeit in
Schichten gearbeitet hat, die in den Sonntag hereinreichten bzw. am Sonntag
begannen, hat die Kammer keinen Zweifel, dass die Einstellung des Klägers zur
Sonntagsarbeit, die er der Beklagten Anfang Juli 2006 offenbart hat, einer wirklichen
religiösen Überzeugung entspricht und nicht anders motiviert ist. Hiervon konnte die
52
erkennende Kammer sich im Termin vom 30.08.2007 überzeugen. Der Kläger hat bei
dieser Gelegenheit darauf hingewiesen, er könne über den Sonntag nicht verfügen, da
er Gott gehöre. Ob dieses Gebot für alle Baptisten verpflichtend ist, kann dahinstehen.
Jedenfalls für den Kläger besteht insoweit ein Gebot, das er für sich als verpflichtend
ansieht. Wegen der Pflicht zur Erfüllung dieses aus seiner religiösen Überzeugung
folgenden Gebotes hat der Kläger sich auf einen ernsthaften Konflikt mit seinem
Arbeitgeber eingelassen und damit den Bestand seines Arbeitsverhältnisses gefährdet.
Dies belegt, dass der Kläger sich wegen seiner religiösen Überzeugungen und der sich
daraus für ihn ergebenden Handlungspflichten in einer Zwangslage befindet.
bb) Angesichts der durch Artikel 4 GG geschützten Überzeugung des Klägers, dass der
Sonntag Gott gehört, kann seine Weigerung, am Sonntag, den 06.08.2006 während der
Spätschicht von 13.00 Uhr bis 21.00 Uhr entsprechend dem Schichtenplan seiner Arbeit
nachzukommen, die Beklagte nicht zur Kündigung berechtigen.
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(1) Von Bedeutung erscheint in diesem Zusammenhang zunächst, dass der Kläger bei
Arbeitsvertragsschluss nicht damit rechnen konnte, dass die Beklagte ihn an Sonntagen
zur Arbeit heranziehen würde. Unstreitig wurde im Betrieb der Beklagten zunächst an
Sonn- und Feiertagen nicht gearbeitet. Erst mit Genehmigung der Bezirksregierung
Arnsberg vom 15.02.2006 wurde Sonn- und Feiertagsarbeit für den Bereich der großen
Pressen und der Titanbearbeitung eingeführt. Auch dies betraf den Kläger zunächst
noch nicht, da er in einem Bereich der Presserei B 4 eingesetzt war, in dem keine
Sonntagsarbeit zu leisten war. Erst durch weitere Genehmigung der Bezirksregierung
Arnsberg vom 31.03.2006 wurde auch im Bereich der Räder- und Serienpressen
beginnend mit dem 02.04.2006 Sonntagsarbeit eingeführt (vgl. hierzu: BAG, Urteil vom
24.05.1989 – 2 AZR 285/88 -, NZA 1990, 144, 146 m.w.N.).
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(2) Darüber hinaus hatte der Kläger den bei ihm bestehenden Gewissenskonflikt der
Beklagten bereits Anfang Juli 2006 offenbart und erklärt, er werde zukünftig nicht mehr
an Sonntagen arbeiten. Die Beklagte war damit grundsätzlich in der Lage, im Rahmen
der einseitigen Leistungsbestimmung gemäß § 315 BGB den hier offenbarten
Gewissenskonflikt zu beachten. Kollidiert das Recht des Arbeitgebers, im Rahmen
seiner unternehmerischen Betätigungsfreiheit den Inhalt der
Arbeitsvertragsverpflichtung des Arbeitnehmers zu konkretisieren, mit der nach Artikel 4
GG geschützten Gewissensbetätigung des Arbeitnehmers, so ist diese Spannungslage
nach § 315 BGB unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalles aufzulösen, und zwar
aufgrund einer wertenden Abwägung der Umstände des Einzelfalles (so BAG, Urteil
vom 04.05.1989 – 2 AZR 285/88 -, NZA 1990, 144, 145 m.w.N.). Da der Kläger jeweils
vor den im Dienstplan angeordneten Einsätzen an Sonntagen der Beklagten mitgeteilt
hat, er werde die Sonntagsarbeit nicht ableisten, war das Nichterscheinen des Klägers
am 06.08.2006 nicht überraschend. Angesichts der vorherigen Ankündigung des
Klägers war die Beklagte grundsätzlich in der Lage, bereits im Vorfeld hierauf planend
zu reagieren.
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(3) Zu beachten ist weiter, dass die Gewissensentscheidung des Klägers die Beklagte
im Rahmen der durch die Schichteneinteilung erfolgten einseitigen
Leistungsbestimmung nicht umfassend daran hindert, ihm eine an sich geschuldete
Arbeit zuzuweisen. Vielmehr ist der Kläger durchaus willens und in der Lage, die ihm
von der Beklagten zugewiesene Arbeit zu leisten. Lediglich an drei Sonntagen im
Monat, an denen der Kläger laut Schichtplan zur Arbeit eingeteilt wird, hindert ihn seine
religiöse Überzeugung daran, die an sich geschuldete Leistung zu erbringen.
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Angesichts dessen kommt eine Kündigung wegen der Weigerung des Klägers, am
Sonntag, den 06.08.2006 nicht zu arbeiten, unter Berücksichtigung des Ultima-Ratio-
Prinzips nur dann in Betracht, wenn andere Möglichkeiten, den Kläger unter Beachtung
seiner religiösen Überzeugungen zu beschäftigen, nicht mehr bestehen. In Erwägung zu
ziehen war hierbei zum Beispiel eine andere Schichteinteilung, bei der der Kläger nicht
zur Sonntagsarbeit herangezogen werden muss. Wenn die Beklagte in der
Betriebsratsanhörung vom 09.08.2006 ausführt, in der Presserei B 4 werde "in vielen
Bereichen" regelmäßig am Sonntag gearbeitet, so folgt hieraus, dass es auch Bereiche
gibt, in denen nicht an Sonntagen gearbeitet wird. Sollte die Zuweisung von Arbeit in
Bereichen der Presserei, in denen keine Sonntagsarbeit geleistet wird, nicht möglich
sein, so hätte die Beklagte auch die Versetzung des Klägers in andere Abteilungen in
Betracht ziehen können, in denen ebenfalls keine Sonntagsarbeit geleistet wird. Nach
Ziffer 1 des Arbeitsvertrages vom 10.10.1994 war die Beklagte berechtigt, den Kläger
unter Beachtung tarifvertraglicher Bestimmungen auch mit anderen Arbeiten und/oder in
einer anderen Abteilung zu beschäftigen. Zu berücksichtigen ist hierbei auch, dass die
Genehmigung der Sonntagsarbeit nur befristet erfolgt war, so dass der anderweitige
Einsatz des Klägers in Bereichen, in denen keine Sonntagsarbeit zu leisten war, nur
vorübergehend in Betracht zu ziehen war.
Sollten Möglichkeiten, den Kläger vorübergehend für die Dauer der genehmigten
Sonntagsarbeit in Bereichen einzusetzen, in denen er an Sonntagen nicht zu arbeiten
hatte, nicht bestanden haben, so war auch zu erwägen, den Kläger angesichts des von
ihm offenbarten Gewissenskonfliktes an den drei Sonntagen pro Monat, an denen er laut
Schichtplan an sich zur Sonntagsarbeit herangezogen werden sollte, unbezahlt von der
Arbeit freizustellen. Die Gewissensentscheidung des Arbeitnehmers schränkt die
unternehmerische Freiheit, Inhalt und Ablauf der Produktion zu bestimmen, nicht ein;
vielmehr ist der Arbeitnehmer in diesem Fall nach § 297 BGB außerstande, die
geschuldete Leistung zu erbringen (vgl. BAG, Urteil vom 24.05.1989 – 2 AZR 255/88 -,
NZA 1990, 144).
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Für die erkennende Kammer war nicht nachvollziehbar, weshalb solche Alternativen,
die angesichts der Befristung der Sonntagsarbeit nur für einen relativ kurzen
überschaubaren Zeitraum in Frage standen, zur Auflösung des bestehenden
Grundrechtskonfliktes nicht erwogen worden sind. Erstinstanzlich hat die Beklagte
insoweit nur geltend gemacht, der Kläger lasse sich nicht auf einen anderen Arbeitsplatz
versetzen, da ein solcher zum Zeitpunkt der Kündigung bzw. in absehbarer Zeit nicht frei
gewesen sei; zum anderen werde aufgrund der guten Auftragslage auch in anderen
Abteilungen, die für den Kläger aufgrund seiner Qualifikation theoretisch in Betracht
gekommen seien, Sonntagsarbeit angesetzt.
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Auch zweitinstanzlich hat die Beklagte lediglich vorgetragen, dass ein Einsatz des
Klägers "in den meisten Abteilungen" wegen der dort ebenfalls verfahrenden
Sonntagsarbeit auf die gleichen Probleme stoße. Kon- kret dargelegt hat die Beklagte
allerdings nur, dass ein Einsatz des Klägers in der Strangpresserei der Abteilung B 2
nicht möglich sei. Ausführungen dazu, weshalb ein Einsatz des Klägers in anderen
Abteilungen, in denen keine Sonntagsarbeit verfahren wird, im Fall des Klägers nicht in
Betracht gezogen worden sind, finden sich nicht.
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(4) Für die erkennende Kammer war nicht ersichtlich, dass die Auflösung der hier
gegebenen Grundrechtskollision durch eine der oben aufgezeigten Maßnahmen zu
konkreten Betriebsstörungen geführt hätte. Soweit die Beklagte Ausführungen zu
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Betriebsstörungen macht, beziehen diese sich auf die Tage, an denen der Kläger trotz
Einteilung zur Sonntagsschicht nicht zur Arbeit erschienen war. Zu diesen Störungen ist
es gekommen, weil die Beklagte trotz vorheriger Ankündigung des Klägers, die
Sonntagsarbeit wegen seiner religiösen Überzeugungen nicht abzuleisten, die
Schichteinteilung nicht geändert hat, sondern auf einem Erscheinen des Klägers
bestanden hat. Die Betriebsstörungen hätten möglicherweise durch Besetzung der
fraglichen Sonntagsschichten anstelle des Klägers mit einem anderen Arbeitnehmer
vermieden werden können. Hierzu ist die Beklagte auch bei Urlaub oder
Arbeitsunfähigkeit des Klägers gezwungen. Dass dies in der Vergangenheit zu
Betriebsstörungen geführt hat, hat die Beklagte nicht vorgetragen. Auch die derzeitige
Beschäftigung des Klägers im Rahmen eines Prozessarbeitsverhältnisses belegt, dass
ein Einsatz des Klägers ohne Sonntagsarbeit organisatorisch durchaus möglich ist.
Inwieweit dies nur unter Inkaufnahme von Betriebsstörungen möglich ist, war für die
Kammer nicht erkennbar. In Anbetracht des besonders hohen Stellenwertes der
grundrechtlich und auch nach Art. 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention
gewährleisteten Glaubens- und Religionsfreiheit (vgl. BAG, Urteil vom 10.10.2002 – 2
AZR 472/01 -) bedarf es hierzu der Darlegung realer Gefährdungen; bloße Vermutungen
oder Befürchtungen können insoweit nicht genügen (vgl. LAG Schleswig-Holstein, Urteil
vom 22.06.2005 – 4 Sa 120/05 -).
(5) Unter Berücksichtigung sämtlicher Gesichtspunkte erschien der Kammer die
Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen des Nichterscheinens des Klägers am
Sonntag, den 06.08.2006, zur Spätschicht von 13.00 Uhr bis 21.00 Uhr als Verstoß
gegen das Ultima-Ratio-Prinzip. Für die erkennende Kammer war nicht ersichtlich, dass
es zu konkreten Betriebsstörungen gekommen wäre, wenn die Beklagte den
Grundrechtskonflikt durch eine der oben genannten Maßnahmen aufgelöst und den
Kläger dadurch von der Sonntagsarbeit befreit hätte. Dass die Beklagte nicht in Lage
gewesen wäre, die Sonntagsschichten auch ohne den Einsatz des Klägers mit einer
ausreichenden Anzahl von geeigneten Arbeitnehmern zu besetzen, ist weder
vorgetragen noch ersichtlich.
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2. Die Kündigung vom 11.08.2006 ist auch nicht durch einen in der Person des Klägers
liegenden Grund bedingt.
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a) Ein personenbedingter Kündigungsgrund im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG kommt in
Betracht, wenn der Arbeitnehmer die Fähigkeit oder Eignung zur Erfüllung der
geschuldeten Arbeitsleistung verloren hat. Die Erreichung des Vertragszwecks muss
durch diesen Umstand nicht nur vorübergehend zumindest teilweise unmöglich
geworden sein. Zu überprüfen ist dabei, ob dem Arbeitnehmer die Fähigkeit oder die
Eignung, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, im Kündigungszeitpunkt fehlt
oder ob sie erheblich eingeschränkt ist und ob mit ihrer baldigen Wiederherstellung
nicht gerechnet werden kann. Dies muss zu einer konkreten Störung des
Arbeitsverhältnisses führen, die im Zeitpunkt der Kündigung noch andauert, auch
zukünftig zu befürchten ist und die nicht durch eine Umsetzung des Arbeitnehmers zu
beseitigen ist. Schließlich muss eine umfassende Interessenabwägung vorgenommen
werden, wobei vor allem zu prüfen ist, ob der Arbeitgeber die aufgrund des
personenbedingten Kündigungsgrundes eingetretene Störung des Arbeitsverhältnisses
billigerweise noch hinnehmen muss oder ob die Kündigung bei verständiger Würdigung
und Abwägung der beiderseitigen Interessen der Vertragsparteien und des Betriebes
billigenswert und angemessen erscheint (vgl. BAG, Urteil vom 10.10.2002 – 2 AZR
472/01 – m.w.N.).
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b) Unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Gesichtspunkte kann nicht davon
ausgegangen werden, dass die Kündigung aus personenbedingten Gründen sozial
gerechtfertigt ist. Wie oben ausgeführt wurde, ist insbesondere nicht ersichtlich, dass die
Störung des Arbeitsverhältnisses durch andere geeignete Maßnahmen, insbesondere
durch eine Umsetzung des Klägers zu beseitigen gewesen wäre. Die erkennende
Kammer verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf die vorstehenden
Ausführungen.
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III.
65
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
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Die Kammer hat die Revision gem. § 72 Abs. 2 Ziff. 1 ArbGG zugelassen.
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Dr. Wendling
Bald
Bischoff /WR.
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