Urteil des LAG Hamm vom 10.12.2004

LArbG Hamm: freiwillige leistung, eisen, unternehmen, firma, kündigung, arbeitsgericht, tarifvertrag, zentralbank, rechtshängigkeit, verzicht

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Vorinstanz:
Schlagworte:
Normen:
Tenor:
1
2
3
4
5
6
7
8
9
Aktenzeichen:
Rechtskraft:
Landesarbeitsgericht Hamm, 15 Sa 959/04
10.12.2004
Landesarbeitsgericht Hamm
15. Kammer
Urteil
15 Sa 959/04
Arbeitsgericht Iserlohn, 4 Ca 4325/03
Geltung eines Firmentarifvertrages
§§ 3 und 4 TVG
Die Revision wird nicht zugelassen.
Parallelsache zu 15 Sa 958/04
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn
vom 22.04.2004 - 4 Ca 4325/03 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
T a t b e s t a n d
Die Parteien streiten um die Zahlung eines anteiligen 13. Monatseinkommens für das Jahr
2003.
Die Beklagte führt ein Unternehmen, welches grundsätzlich dem fachlichen
Geltungsbereich der Tarifverträge für die Eisen-, Metall-, Elektro- und
Zentralheizungsindustrie unterfällt. Sie ist nicht Mitglied des Verbandes der Metall- und
Elektroindustrie NRW e.V.. Sie hat ihren Hauptsitz in A1xxxx und unterhält zudem einen
Betrieb in W5xxxxxxxx. Der Kläger ist Mitglied der IG Metall. Sowohl im Betrieb in
W5xxxxxxxx als auch im Betrieb in A1xxxx ist jeweils ein Betriebsrat gewählt.
Der Kläger war seit 1984 zunächst bei der Firma J1. G2xxx B1xxxxxx beschäftigt, die im
Jahre 1994 in Konkurs ging. Im Anschluss daran wurde er für die Beklagte tätig und ist
derzeit als Presser im Betrieb A1xxxx beschäftigt. Grundlage des Arbeitsverhältnisses der
Parteien ist ein schriftlicher Arbeitsvertrag vom 01.08.2002, der unter anderem folgende
Bestimmungen enthält:
"§ 9 Urlaubs-/Weihnachtsgeld
Der Arbeitnehmer erhält gemäß den tariflichen Bestimmungen ein Urlaubs- und
Weihnachtsgeld.
Das Urteilsgeld wird im Monat des Urlaubs ausgezahlt.
Zusammen mit dem Novemberlohn erhält der Arbeitnehmer das Weihnachtsgeld.
Für den Fall, dass ein Weihnachtsgeld gezahlt wird, das über den tarifl-ichen
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
Anspruch hinausgeht, ist der Arbeitnehmer verpflichtet, den Teil des Weihnachtsgeldes
zurückzuzahlen, der den Tarifanspruch über-steigt, wenn er aufgrund eigener Kündigung
oder aufgrund ordentlicher oder verhaltensbedingter Kündigung der Firma aus einem von
ihm zu vertretenen Grunde bis zum 31.03. des auf die Zahlung folgenden Ka-lenderjahres
ausscheidet. Die Rückzahlungsverpflichtung gilt entspre-chend, wenn das
Arbeitsverhältnis innerhalb des folgenden Zeitraumes durch Aufhebungsvertrag beendet
wird und Anlass des Aufhebungsver-trages ein Recht zur außerordentlichen oder
verhaltensbedingten Kün-digung der Firma oder ein Aufhebungsbegehren des
Arbeitnehmers ist.
Die Firma ist berechtigt, mit ihrer Rückzahlungsforderung gegen die rückständigen
oder nach der Kündigung fällig werdenden Vergütungs-ansprüche unter Beachtung der
Pfändungsschutzbestimmungen aufzurechnen.
Der Arbeitnehmer erkennt an, dass das Weihnachtsgeld freiwillig gezahlt wird und
hierauf auch nach wiederholter Zahlung kein Rechtsanspruch erwächst.
...
§ 15 Nebenabreden
Für das Arbeitsverhältnis gelten in erster Linie die gesetzlichen Bestimmungen,
hilfsweise die Bestimmungen des Tarifvertrages.
Änderungen und/oder Ergänzungen dieses Vertrages sowie Nebenab-reden bedürfen
zu ihrer Wirksamkeit der schriftlichen Vereinbarung der Vertragsparteien.
Sollten gegenwärtige oder künftige Bestimmungen dieses Vertrages ganz oder
teilweise nicht rechtswirksam sein oder ihre Rechtswirksamkeit verlieren, so bleiben die
übrigen Vertragsbestimmungen hiervon unberührt. Die Parteien sind in einem solchen Fall
verpflichtet, die nicht rechtswirksame Bestimmung durch eine neue zu ersetzen, die dem
wirtschaftlichen Zweck der nicht rechtswirksamen Bestimmung am nächsten kommt."
Wegen der weiteren Einzelheiten des schriftlichen Arbeitsvertrages wird auf Bl. 27 ff. d.A.
Bezug genommen.
Bereits unter dem 15.08.1997 hatte die Beklagte mit der Industriegewerkschaft Metall,
Bezirksleitung NRW, einen sogenannten Anerkennungstarifvertrag geschlossen, der unter
anderem die Geltung des Tarifvertrages über die tarifliche Absicherung eines Teiles eines
13. Monatseinkommens in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie NRW vom 11.12.1996 in
der jeweils gültigen Fassung im Unternehmen der Beklagten vorsah. Wegen der
Einzelheiten des Anerkennungstarifvertrages nebst Anlage wird auf Bl. 40 ff. der Akte 15
Sa 982/04 – LAG Hamm – verwiesen. Zwischen den Parteien ist zweitinstanzlich unstreitig
geworden, dass der Zeuge K3xxxxxxx bevollmächtigt war, im Namen der IG Metall
Bezirksleitung NRW den Anerkennungstarifvertrag vom 15.08.1997 abzuschließen.
Die Beklagte zahlte dem Kläger im Jahre 2003 kein anteiliges 13. Monatseinkommen
entsprechend den Regelungen des genannten Tarifvertrages. Nach erfolgloser
außergerichtlicher Geltendmachung verfolgt der Kläger den von ihm geltend gemachten
Anspruch im vorliegenden Verfahren weiter.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei verpflichtet, ihm ein anteiliges 13.
Monatseinkommen zu zahlen. Dieser Anspruch ergebe sich bereits aus den Regelungen
des schriftlichen Arbeitsvertrages. Er folge aber auch aus dem Anerkennungstarifvertrag
vom 15.08.1997 in Verbindung mit dem Tarifvertrag über die tarifliche Absicherung eines
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
Teiles eines 13. Monatseinkommens in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie NRW. Der
Anerkennungstarifvertrag sei erst zum Jahresende 2003 gekündigt worden.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.333,75 EUR brutto nebst 5 % Zinsen über
dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat vorgetragen, ein Anspruch des Klägers auf Zahlung eines anteiligen 13.
Monatseinkommens ergebe sich nicht aus dem schriftlichen Arbeitsvertrag der Parteien, in
welchem das Weihnachtsgeld ausdrücklich als freiwillige Leistung eingestuft worden sei.
Ein dahingehender Anspruch des Klägers folge auch nicht aus dem genannten
Anerkennungstarifvertrag. Im übrigen sei die IG Metall hinsichtlich des Abschlusses des
Anerkennungstarifvertrages nicht tariffähig gewesen. Lediglich ca. 1/5 der Mitarbeiter in
ihrem Unternehmen seien gewerkschaftlich bei der IG Metall organisiert gewesen, so dass
die Durchsetzungsfähigkeit der IG Metall bestritten werde.
Durch Urteil vom 22.04.2004, das der Beklagten am 06.05.2004 zugestellt worden ist, hat
das Arbeitsgericht die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Wegen der Einzelheiten dieser
Entscheidung wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des arbeitsgerichtlichen
Urteils verwiesen. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die am 18.05.2004
beim Landesarbeitsgericht eingegangen und – nach Verlängerung der
Berufungsbegründungsfrist bis zum 06.08.2004 – am 03.08.2004 begründet worden ist.
Die Beklagte vertritt weiter die Auffassung, der Kläger habe keinen Anspruch auf Zahlung
eines anteiligen 13. Monatseinkommens für das Jahr 2003. Soweit der Kläger sich auf den
genannten Anerkennungstarifvertrag beziehe, werde die Durchsetzungsfähigkeit der IG
Metall als Vertragspartner des genannten Anerkennungstarifvertrages weiter bestritten.
Anspruchsgrundlage für das Begehren des Klägers könne allenfalls der schriftliche
Arbeitsvertrag sein, der allerdings in § 9 Abs. 4 eine Freiwilligkeitsklausel im Hinblick auf
das Weihnachtsgeld enthalte. Die Auslegung des Arbeitsvertrages ergebe zweifelsfrei,
dass sich die Klausel sowohl auf das Weihnachtsgeld beziehe, das gemäß den tariflichen
Bestimmungen gezahlt werde, als auch auf Weihnachtsgeldzahlungen über den tariflichen
Anspruch hinaus.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des Urteils des ArbG Iserlohn vom 22.04.2004 – 4 Ca 4327/03
– die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil und trägt vor, die Beklagte sei zur Zahlung des 13.
Monatseinkommens nach dem genannten Anerkennungstarifvertrag verpflichtet. Die
Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen der IG Metall sei satzungsgemäß zum Abschluss des
entsprechenden Tarifvertrages berechtigt gewesen. Sie sei durch den 1. Bevollmächtigten
der IG Metall – Verwaltungsstelle Werdohl-Iserlohn –, den Zeugen D3xxxx K3xxxxxxx
vertreten worden.
34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
44
Die Gegenmächtigkeit der IG Metall auch im Unternehmen der Beklagten könne nicht
ernsthaft bestritten werden. Der Organisationsgrad im Betrieb W5xxxxxxxx liege bei über
90 %, im Betrieb A1xxxx bei ca. 50 %.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen
Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I.
Die Berufung ist an sich statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet
worden.
II.
Der Sache nach bleibt die Berufung erfolglos. Denn das Arbeitsgericht hat zutreffend er-
kannt, dass der Kläger Anspruch auf Zahlung des anteiligen 13. Monatseinkommens für
das Jahr 2003 in zuerkannter Höhe hat. Dieser Anspruch ergibt sich aus den
Bestimmungen des Anerkennungstarifvertrages vom 15.08.1997 in Verbindung mit dem
Tarifvertrag über die tarifliche Absicherung eines Teiles eines 13. Monatseinkommens in
der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie NRW vom 11.12.1996.
1. Der Anerkennungstarifvertrag vom 15.08.1997 gilt gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 des Tarifver-
tragsgesetzes unmittelbar und zwingend zwischen den Parteien dieses Rechtsstreits. Der
Kläger ist Mitglied der IG Metall, die den Anerkennungstarifvertrag vom 15.08.1997 mit der
Beklagten geschlossen hat. Als Mitglied der IG Metall ist der Kläger gemäß § 3 Abs. 1 des
Tarifvertragsgesetzes tarifgebunden. Die Beklagte, die gemäß § 2 Abs. 1 des Tarifvertrags-
gesetzes tariffähig ist, ist ebenfalls gemäß § 3 Abs. 1 des Tarifvertragsgesetzes
tarifgebunden.
2. Der Anerkennungstarifvertrag vom 15.08.1997 ist nicht gemäß § 177 BGB unwirksam.
Denn der Zeuge K3xxxxxxx, der den genannten Anerkennungstarifvertrag im Namen der
Industriegewerkschaft Metall, Bezirksleitung NRW, abgeschlossen hat, war hierzu
bevollmächtigt. Die Beklagte hat ihr dahingehendes Bestreiten im Termin vom 10.12.2004
ausdrücklich aufgegeben.
3. Die Wirksamkeit des genannten Anerkennungstarifvertrages kann nicht unter Hinweis
auf die angeblich fehlende Durchsetzungsfähigkeit der IG Metall in Zweifel gezogen
werden. Selbst wenn lediglich 1/5 der Mitarbeiter der Beklagten in der IG Metall organisiert
sein sollten, wie die Beklagte behauptet, steht dies der Annahme der
Durchsetzungsfähigkeit und Mächtigkeit der IG Metall auch im Hinblick auf das
Unternehmen der Beklagten nicht entgegen. Für die Mächtigkeit der IG Metall im
Unternehmen der Beklagten spricht bereits der Umstand, dass sie den Abschluss des
Anerkennungstarifvertrages vom 15.08.1997 der Beklagten gegenüber durchsetzen konnte
und damit erreicht hat, dass das wesentliche Tarifwerk, welches die IG Metall mit den
Arbeitgeberverbänden der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie NRW vereinbart hat, auch im
Unternehmen der Beklagten zur Anwendung kommt, obwohl die Beklagte nicht Mitglied
eines Arbeitgeberverbandes ist.
4. Gelten danach gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 des Tarifvertragsgesetzes zwischen den Parteien
des Rechtsstreits die Rechtsnormen des Anerkennungstarifvertrages vom 15.08.1997
unmittelbar und zwingend, so hat der Kläger Anspruch auf Zahlung eines anteiligen 13.
Monatseinkommens. Dieser Anspruch folgt aus den Bestimmungen des Tarifvertrages über
45
46
47
48
49
50
die tarifliche Absicherung eines Teils eines 13. Monatseinkommens in der Eisen-, Metall-
und Elektroindustrie NRW vom 11.12.1996, der gem. § 2 Abs. 2 des genannten
Anerkennungstarifvertrages Teil dieses Tarifvertrages ist. Hieran kann der zwischen den
Parteien abgeschlossene Arbeitsvertrag nichts ändern. Ein Verzicht auf tarifliche Rechte ist
gemäß § 4 Abs. 4 des Tarifvertragsgesetzes nur in einem von den Tarifvertragsparteien
gebilligten Vergleich zulässig, der unstreitig nicht gegeben ist.
5. Die Höhe des nach den Bestimmungen des Tarifvertrages über die tarifliche
Absicherung eines Teiles eines 13. Monatseinkommens in der Eisen-, Metall- und
Elektroindustrie NRW vom 11.12.1996 zu berechnenden Anspruchs des Klägers auf
anteiliges 13. Monatseinkommen für das Jahr 2003 ist zwischen den Parteien nicht weiter
streitig.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
Der Streitwert hat sich im Berufungsverfahren nicht geändert.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Dr. Wendling
Vollenbröker
Vogel WR.