Urteil des LAG Hamm vom 13.06.2007

LArbG Hamm: probezeit, treu und glauben, kündigungsfrist, allgemeine geschäftsbedingungen, arbeitsgericht, unterzeichnung, absicht, wiedergabe, aussteller, urkunde

Landesarbeitsgericht Hamm, 3 Sa 514/07
Datum:
13.06.2007
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
3. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 Sa 514/07
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Bielefeld, 1 Ca 1781/06
Nachinstanz:
Bundesarbeitsgericht, 6 AZR 519/07 Urteil aufgehoben und abgeändert
24.01.2008
Schlagworte:
Zulässige Dauer einer Probezeit
Normen:
§ 622 Abs. 3 BGB
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts
Bielefeld vom 08.02.2007 - Az. 1 Ca 1781/06 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die
Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand :
1
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit zweier ordentlicher arbeitgeberseitiger
Kündigungen.
2
Der am 04.09.1969 geborene Kläger war seit dem 20.02.2006 als Transportarbeiter bei
der Beklagten beschäftigt.
3
Grundlage der Beschäftigung war ein schriftlicher befristeter Arbeitsvertrag, der unter
anderem folgende Regelungen vorsah:
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"§ 1 Dauer des Arbeitsverhältnisses/Probezeit/Kündigung
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Der Arbeitnehmer tritt am 20.02.2006 in die Dienste des Arbeitgebers ein. Der
Arbeitsvertrag ist befristet und endet, ohne dass es einer Kündigung bedarf, am
19.02.2007.
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Das Arbeitsverhältnis kann auch während der Befristung beiderseits gekündigt
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werden. Während der Probezeit; die für die ersten 6 Monate des
Arbeitsverhältnisses vereinbart wird, kann das Arbeitsverhältnis von beiden
Seiten mit einer Kündigungsfrist von 2 Wochen gekündigt werden. Außerhalb
der Probezeit kann das Arbeitsverhältnis von beiden Seiten unter Einhaltung
der gesetzlichen Kündigungsfrist gekündigt werden."
Ob der Kläger regelmäßig acht Stunden je Arbeitstag tätig war, wie die Beklagte
behauptet, oder regelmäßig zehn Stunden, wie er behauptet, ist unter den Parteien
streitig.
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Streitig ist daher auch, ob der durchschnittliche Verdienst des Klägers bei 1.750,00 €
brutto oder lediglich bei 1.393,00 € brutto lag.
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Die Beklagte beschäftigt regelmäßig ca. 2.000 Arbeitnehmer.
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Ein Betriebsrat besteht bei ihr nicht.
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Mit Schreiben vom 27.06.2006, das dem Kläger unter dem 30.06.2006 zuging, kündigte
die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 13.07.2006. Unterzeichnet war die Kündigung
vom Einzelprokuristen S6 der Beklagten.
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Darüber, ob die Unterzeichnung dem Schriftformerfordernis genügt, herrscht unter den
Parteien Streit.
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Mit weiterem Schreiben vom 28.07.2006, das dem Kläger unter dem 29.07.2006 zuging,
kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis vorsorglich und hilfsweise ordentlich
"innerhalb der Probezeit zum nächstmöglichen Termin".
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Gegen die Wirksamkeit der Kündigungen wendet sich der Kläger mit der unter dem
11.07.2006 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage und der am 08.02.2007 zu
Protokoll erklärten Klageerweiterung.
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Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Kündigung vom 27.06.2006 habe das
Arbeitsverhältnis nicht wirksam aufgelöst, da das Schriftformerfordernis nicht
eingehalten sei.
16
Eine Kündigung erfordere, dass das Kündigungsschreiben vom Aussteller eigenhändig
durch Namensunterschrift unterzeichnet sei.
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Eine Unterschrift setze ein aus Buchstaben einer üblichen Schrift bestehendes Gebilde
voraus, das allerdings nicht lesbar zu sein brauche. Erforderlich sei jedoch, dass es sich
um einen individuellen Schriftzug handele, der sich als Wiedergabe eines Namens
darstelle und die Absicht einer vollen Unterschriftsleistung erkennen lasse. Eine
Unterzeichnung mit einer Buchstabenfolge, die sich als bewusste und gewollte
Namensabkürzung darstelle, sei nicht als formgültige Unterschrift anzuerkennen.
18
Diesen Anforderungen genüge die Unterschrift unter der streitbefangenen
Kündigungserklärung nicht. Das Schriftbild lasse nicht die Identität des Unterzeichners
erkennen.
19
Hinsichtlich der zweiten Kündigung hat der Kläger die Auffassung vertreten, diese habe
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nicht mit einer verkürzten Kündigungsfrist von zwei Wochen während einer Probezeit
ausgesprochen werden können, da eine Probezeitvereinbarung von sechs Monaten bei
seiner einfachen Tätigkeit als gewerblicher Arbeitnehmer unzulässig sei.
Der Kläger hat beantragt,
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festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten
vom 27.06.2006 nicht zum 13.07.2006 aufgelöst worden ist, sondern bis
zum 30.08.2007 fortbestanden hat.
22
Die Beklagte hat beantragt,
23
die Klage abzuweisen.
24
Sie hat das Schriftformerfordernis für die Kündigung vom 27.06.2006 als erfüllt
angesehen. Bei der Unterschrift seien der Anfangsbuchstabe sowie ein angedeutetes
"d" und ein weiter angedeutetes "u" zu erkennen, wobei durch die Verlängerung der
rechten Linie zum Ausdruck gebracht werde, dass sich hieran noch ein weiterer
Buchstabe anschließe. Dem Betrachter werde daher verdeutlicht, dass nicht nur die
Anfangsbuchstaben eines Namens gesetzt worden seien, sondern ein vollständiger
Name. Der Schriftzug lasse auch eindeutig – zumindest andeutungsweise –
Buchstaben erkennen.
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Hinsichtlich der weiteren Kündigung hat die Beklagte die Auffassung vertreten, wirksam
mit einer Frist von zwei Wochen kündigen zu können.
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Mit Urteil vom 08.02.2007 hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis
durch die Kündigung der Beklagten vom 27.06.2006 nicht zum 13.07.2006 aufgelöst
worden ist, sondern bis zum 31.08.2006 fortbestanden hat.
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Zur Begründung hat es ausgeführt, das Schreiben der Beklagten vom 27.06.2006
enthalte keine wirksame Unterschrift, die den Anforderungen des § 126 BGB
entspreche.
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Die Unterschrift unter dem Kündigungsschreiben müsse einen kennzeichnenden
individuellen Schriftzug aufweisen, es müssten zumindest einzelne Buchstaben
erkennbar sein, die für eine Namensunterschrift und nicht für eine Paraphe sprächen.
Aus der Unterzeichnung des Kündigungsschreibens ließen sich jedoch keineswegs
deutlich einzelne Buchstaben erkennen, wenn überhaupt sei der Anfang der Unterschrift
ein bruchstückhaftes "S". Weitere Buchstaben seien nicht erkennbar.
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Das Arbeitsverhältnis sei rechtswirksam allerdings durch die zweite Kündigung vom
28.07.2006 aufgelöst worden, jedoch erst zum 31.08.2006. Die Vereinbarung einer
sechsmonatigen Probezeit für die relativ einfache Tätigkeit des Klägers sei unwirksam.
Die Dauer der Probezeit unterliege dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Im
Zeitpunkt der Kündigung sei der Kläger mehr als fünf Monate bereits tätig gewesen, eine
derartige Probezeit sei in jedem Fall zu lang, so dass die Beklagte die gesetzliche
Kündigungsfrist von vier Wochen zum Monatsende habe einhalten müssen.
30
Gegen das unter dem 28.02.2007 zugestellte Urteil, auf dessen Entscheidungsgründe
im Übrigen Bezug genommen wird, hat die Beklagte unter dem 20.03.2007 Berufung
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zum Landesarbeitsgericht eingelegt und diese zugleich begründet.
Sie rügt zum einen, das Arbeitsgericht verkenne die Anforderungen, die an eine
Unterschrift im Sinne des § 126 BGB zu stellen seien. Das Arbeitsgericht stelle
fehlerhaft darauf ab, dass nur dann eine Unterschrift vorliege, wenn mehrere
Buchstaben deutlich zu erkennen seien. Dieser Maßstab gehe deutlich über die
Anforderungen des § 126 BGB hinaus.
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Zudem verkenne das Arbeitsgericht die Bedeutung der Vorschrift des § 622 Abs. 3 BGB.
Nach dieser Vorschrift könne eine Probezeit längstens für die Dauer von sechs Monaten
vereinbart werden. Besondere Voraussetzungen für die Vereinbarung einer Probezeit,
insbesondere für deren Länge, schreibe das Gesetz nicht vor.
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Die richtige Anwendung des § 622 Abs. 3 BGB müsse dazu führen, dass die Parteien
des Arbeitsvertrages völlig frei seien bei der Vereinbarung einer vorgeschalteten
Probezeit bis zur Länge von sechs Monaten.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 08.02.2007 abzuändern und die
Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
38
Er verteidigt die Ausführungen des Arbeitsgerichts zu den Anforderungen an die
Schriftform.
39
Im Übrigen verbleibt der Kläger bei seiner Auffassung, die vereinbarte Probezeit sei
unwirksam; die Qualifikationen eines Transportmitarbeiters könne die Beklagte schon
nach einem Monat feststellen, jedenfalls benötige sie hierfür keine sechs Monate.
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Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten
Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
41
Entscheidungsgründe :
42
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet.
43
A.
44
Durchgreifende Bedenken gegen die Zulässigkeit der Berufung bestehen nicht.
45
Die Berufung ist statthaft gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, 2 c) ArbGG.
46
Die Berufung ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs.
1, 64 Abs. 6 ArbGG, §§ 517 ff. ZPO.
47
B.
48
Die Berufung der Beklagten ist jedoch nicht begründet.
49
Das Arbeitsgericht hat der Kündigung der Beklagten vom 27.06.2006 zu Recht wegen
Nichteinhaltung des Schriftformerfordernisses die Wirksamkeit versagt und im Übrigen
festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis bis zum 31.08.2006 fortbestanden hat.
50
I.
51
Die Kündigung der Beklagten vom 27.06.2006 konnte das Arbeitsverhältnis der Parteien
nicht auflösen, da die Kündigung nach § 623 BGB i.V.m. § 126 Abs. 1 BGB unwirksam
ist.
52
Die Beklagte hat die Schriftform bei der streitbefangenen Kündigungserklärung nicht
gewahrt.
53
1) Nach § 623 BGB bedarf die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses durch
Kündigung der Schriftform.
54
Nach § 126 Abs. 1 BGB muss die Kündigungserklärung daher vom Aussteller
eigenhändig durch Namensunterschrift unterzeichnet sein.
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Sinn und Zweck des § 126 Abs. 1 BGB ist die eindeutige Identifizierbarkeit des
Ausstellers einer privatschriftlichen Urkunde. Das gesetzliche
Schriftformerfordernis hat vor allem Klarstellungs- und Beweisfunktion. Es soll
Rechtsicherheit für die Vertragsparteien und eine Beweiserleichterung im
Rechtsstreit bewirken.
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Das Erfordernis der eigenhändigen Unterschrift erfüllt darüber hinaus zusätzliche
Zwecke: Durch die eigenhändige Unterschrift wird der Aussteller der Urkunde
erkennbar. Die Unterschrift stellt damit eine unzweideutige Verbindung zwischen
der Urkunde und dem Aussteller her und erfüllt damit eine Identitätsfunktion.
Außerdem wird durch die Verbindung zwischen Unterschrift und Erklärungstext
gewährleistet, dass die Erklärung inhaltlich vom Unterzeichner herrührt und hat
damit Echtheitsfunktion. Schließlich erhält der Empfänger der Erklärung die
Möglichkeit, zu überprüfen, wer die Erklärung abgegeben hat und ob die Erklärung
echt ist; dem Unterschriftserfordernis wird daher eine Verifikationsfunktion zuteil.
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Die Schriftform des § 623 BGB schützt damit vor allem dem Kündigungsempfänger,
der bei einem Zugang der Kündigung, die nicht in seiner Anwesenheit abgegeben
wird, hinsichtlich der Identität des Ausstellers, der Echtheit der Urkunde und der
Frage, wer die Erklärung abgegeben hat, regelmäßig nicht beim Erklärenden sofort
nachfragen kann (BAG, Urteil vom 21.04.2005, EzA § 623 BGB 2002 Nr. 4).
58
Was unter einer "Unterschrift" zu verstehen ist, ergibt sich aus dem
Sprachgebrauch und dem Zweck der Formvorschrift.
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Eine Unterschrift setzt danach ein aus Buchstaben einer üblichen Schrift
bestehendes Gebilde voraus, das allerdings nicht lesbar zu sein braucht.
Erforderlich, aber auch genügend, ist das Vorliegen eines die Identität des
Unterschreibenden ausreichend kennzeichnenden individuellen Schriftzuges, der
einmalig ist, entsprechende charakteristische Merkmale aufweist, der sich als
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Wiedergabe eines Namens darstellt und die Absicht einer vollen
Unterschriftsleistung erkennen lässt. Handzeichen, die allenfalls einen Buchstaben
verdeutlichen, sowie Unterzeichnungen mit einer Buchstabenfolge, die erkennbar
als bewusste und gewollte Namensabkürzung erscheint, stellen demgegenüber
keine formgültige Unterschrift dar (BGH, Urteil vom 22.10.1993, NJW 1994, S. 55
m.w.N.; BGH, Beschluss vom 29.10.1986, NJW 1987, S. 1333 m.w.N.).
Unterschiedlich beurteilt wird lediglich die Frage, ob es zu einer Unterschrift auch
gehört, dass mindestens einzelne Buchstaben erkennbar sind, weil es sonst an
dem Merkmal einer Schrift fehle (vgl. zum Streitstand die Urteile des BGH vom
22.10.1993 und 29.10.1986, aaO.).
61
Ob ein Schriftzeichen dabei eine Unterschrift oder eine lediglich eine Abkürzung
darstellt, beurteilt sich nach dem äußeren Erscheinungsbild. Der Wille des
Unterzeichnenden ist dabei nur insoweit von Bedeutung, als er in dem Schriftzug
auch seinen Ausdruck gefunden hat (BGH, Urteil vom 22.10.1993, aaO.).
62
An das Schriftbild einer wirksamen Unterschrift dürfen jedoch keine überhöhten
Anforderungen gestellt werden. Vereinfachungen, Undeutlichkeiten und
Verstümmelungen sind unschädlich. Es muss sich aber gleichwohl vom äußeren
Erscheinungsbild her um einen Schriftzug handeln, der erkennen lässt, dass der
Unterzeichner seinen vollen Namen und nicht nur eine Abkürzung hat
niederschreiben wollen. Die Unterschrift muss daher erkennen lassen, dass es sich
um eine endgültige Erklärung und nicht nur um die Abzeichnung eines Entwurfs mit
einer sogenannten Paraphe handelt (BAG, Urteil vom 29.07.1981, EzA § 518 ZPO
Nr. 28).
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3) Diesen Anforderungen genügt die Unterzeichnung des Kündigungsschreibens
vom 27.02.2006 durch den Einzelprokuristen S6 der Beklagten auch nach
Auffassung der Kammer nicht.
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Der Schriftzug unter der Kündigungserklärung stellt sich nicht als Wiedergabe
eines Namens dar und lässt nicht die Absicht einer vollen Unterschriftsleistung
erkennen.
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Es bestehen insoweit schon Bedenken, ob der Beginn der Unterzeichnung
überhaupt einen Buchstaben verdeutlicht.
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Die Unterzeichnung weist insoweit lediglich einen nach rechts ansteigenden
langen Strich auf, der in einem Bogen in einen waagerecht nach links verlaufenden
Strich mit einem weiteren nach rechts verlaufenden Haken ausläuft.
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Nur mit großem Wohlwollen kann daher nach Auffassung der Kammer bereits der
Beginn der Unterzeichnung als Andeutung eines Buchstabens verstanden werden.
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Jedenfalls aber stellt sich der weitere Schriftzug nicht als Wiedergabe eines
Namens mit der Absicht einer vollen Unterschriftsleistung dar. Der Rest der
Unterschrift besteht lediglich in einem langem, flach nach rechts gerichteten
Aufstrich mit einem kurzen Haken und einem weiteren schräg nach rechts oben
gerichteten Aufstrich.
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Selbst dann, wenn man nicht erfordern will, dass mindestens einzelne Buchstaben
erkennbar sein sollen, stellt sich der an den Anfangsbuchstaben angeknüpfte
Schriftzug nicht als ein solcher dar, der die Absicht voller Namensunterschrift
erkennen lässt.
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II.
71
Die Kammer teilt darüber hinaus die Auffassung des Arbeitsgerichts, dass die weitere
Kündigung der Beklagten vom 28.07.2006 das Arbeitsverhältnis der Parteien erst zum
31.08.2006 wirksam auflösen konnte.
72
1.) Die Vereinbarung der Parteien ist an den Maßstäben der §§ 305 ff. BGB zu
messen.
73
a) Die §§ 305 ff. BGB finden zum einen Anwendung auf Arbeitsverhältnisse, die ab
dem 01.01.2002 begründet worden sind.
74
Um ein solches Arbeitsverhältnis handelt es sich im Fall des Klägers.
75
b) Nach § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB sind allgemeine Geschäftsbedingungen alle für
eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingungen, die eine
Vertragspartei der anderen Vertragspartei bei Abschluss des Vertrages stellt.
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Vorliegend handelt es sich um solche allgemeinen Geschäftsbedingungen, da die
Beklagte Verträge der in Rede stehenden Art regelmäßig mit der in Rede
stehenden Probezeitvereinbarung Arbeitsverhältnissen zugrunde legt.
77
2) Die Vereinbarung einer Probezeit von 6 Monaten ist unwirksam, da sie den
Kläger unangemessen benachteiligt.
78
a) Unangemessen im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ist eine
Vertragsbestimmung, wenn der Verwender durch einseitige Vertragsgestaltung
missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners
durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend
zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen. Das
Interesse des Verwenders an der Aufrechterhaltung der Klausel ist mit dem
Interesse des Vertragspartners am Wegfall und deren Durchsetzung durch die
maßgebliche gesetzliche Bestimmung abzuwägen, wobei der gesamte
Vertragsinhalt zu berücksichtigen ist (BAG, Urteil vom 31.08.2005, EzA § 6 AZG Nr.
6).
79
Bei Verbraucherverträgen sind im Individualprozess nach § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB
bei der Beurteilung der unangemessenen Benachteiligung nach § 307 Abs. 1 und
2 BGB auch die den Vertragsschluss begleitenden Umstände zu berücksichtigen,
was auch für Arbeitsverträge gilt, da der Arbeitnehmer Verbraucher im Sinne von §
310 Abs. 3 BGB ist (BAG, Urteil vom 25.05.2005, EzA § 307 BGB 2002 Nr. 3).
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Zu den Begleitumständen gehören insbesondere persönliche Eigenschaften des
Vertragspartners, die sich auf seine Verhandlungsstärke auswirken,
Besonderheiten der konkreten Abschlusssituation und untypische
Sonderinteressen des Vertragspartners (BAG, Urteil vom 31.08.2005, aaO).
81
b) Die Vereinbarung einer Probezeit auch für einfach gelagerte Tätigkeiten
benachteiligt den Arbeitnehmer entgegen den Geboten von Treu und Glauben
auch nach Auffassung der Kammer in unangemessener Weise.
82
aa) Die Begründung eines Probearbeitsverhältnisses hat den Zweck aus der Sicht
des Arbeitgebers, ihm die Möglichkeit zu geben, sich ein Urteil darüber zu bilden,
ob der Arbeitnehmer für die ihm übertragene Tätigkeit und Stellung im Betrieb
geeignet ist.
83
Ausgehend von diesem Zweck muss auch die Dauer der vereinbarten Probezeit
verhältnismäßig sein. Sie darf dabei keinen längeren Zeitraum erfassen, als er zur
Erprobung für die vorgesehene Tätigkeit erforderlich ist. Dabei gibt es kein
einheitliches Maß (vgl. beispielsweise Ermann/Belling, BGB, § 622, Rz. 8;
Schaub/ArbRHdb, § 40, Rdnr. 13; APS/Linck, § 622 BGB, Rz. 86; Küttner/Kania,
Personalbuch 2007, Probearbeitsverhältnis, Rz. 3; KR-Spilger, § 622 BGB, Rz. 155
b; Muench ArbR/Richardi, § 44, Rdnr. 56; Hromadka, BB 1993, S. 2372; LAG
Hamm, Urteil vom 03.03.1995, LAGE § 611 BGB Probearbeitsverhältnis Nr. 3).
84
bb) § 622 Abs. 3 BGB geht zwar davon aus, dass regelmäßig sechs Monate hierfür
ausreichen; bei einfach gelagerten Tätigkeiten wird jedoch eine Höchstdauer von
drei bis vier Monaten für verhältnismäßig erachtet (vgl. beispielsweise Schaub,
aaO.; Küttner/Kania, aaO.).
85
cc) Als Orientierungshilfe kann dabei auch von Bedeutung sein, welche Dauer die
Tarifvertragsparteien für angemessen erachtet haben (so beispielsweise auch
Hromadka, aaO.).
86
Der einheitliche Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer in den Betrieben der
Fleischwarenindustrie Westfalen in der maßgeblichen Fassung sieht dabei in § 2
Ziff. 3 b) bei gewerblichen Arbeitnehmern eine Probezeit von längstens
zweiwöchiger Dauer vor.
87
Hiervon entfernt sich die von der Beklagten vorgenommene Regelung bei der als
einfach gelagert anzusehenden Tätigkeit des Klägers als Transportmitarbeiter in
deutlicher Weise.
88
Bei dieser Tätigkeit handelt es sich um eine solche, bei der in der Tat innerhalb
kurzer Zeit eine ausreichende Eignung oder Nichteignung für den Arbeitsplatz
festgestellt werden kann. Hierfür erscheinen allenfalls drei Monate als noch
verhältnismäßig. Jedenfalls ist eine sechsmonatige Probezeit für die in Rede
stehende Art der Tätigkeit unangemessen.
89
dd) Die Interessen des Arbeitgebers werden hierdurch auch nicht unangemessen
beeinträchtigt.
90
Er bleibt weiterhin auch ohne Rücksicht auf die Dauer einer vereinbarten Probezeit
berechtigt, innerhalb der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG das Arbeitsverhältnis
ohne Erfordernis sozialer Rechtfertigung zu kündigen.
91
Die Beeinträchtigung des Arbeitgebers besteht lediglich darin, eine längere
92
Kündigungsfrist wahren zu müssen, wobei die Einhaltung der gesetzlichen
Grundkündigungsfrist aus § 622 Abs. 1 BGB gegenüber der verkürzten
Kündigungsfrist von zwei Wochen in einer Probezeit keine erhebliche
Beeinträchtigung darstellt.
c) Der Anwendbarkeit des § 307 Abs. 1 steht nicht § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB
entgegen, wonach die Absätze 1 und 2 nur für Bestimmungen in allgemeinen
Geschäftsbedingungen gelten, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder
diese ergänzende Regelungen vereinbart werden.
93
aa) § 622 Abs. 3 BGB enthält keine Regelung dahingehend, dass eine Probezeit
generell für eine Dauer von sechs Monaten vereinbart werden kann.
94
bb) Die Auslegung von Gesetzen hat zunächst vom Wortlaut auszugehen.
95
Über den reinen Wortlaut hinaus ist der Wille des Gesetzgebers und der von ihm
beabsichtigte Sinn und Zweck dann mitzuberücksichtigen, sofern und soweit sie in
der gesetzlichen Bestimmung ihren Niederschlag gefunden haben. Dabei ist auch
auf den Gesamtzusammenhang abzustellen, der schon deswegen
mitberücksichtigt werden muss, weil nur daraus und nicht aus der einzelnen Norm
auf den wirklichen Willen geschlossen werden kann.
96
cc) Unter Berücksichtigung dieser Anforderungen lässt sich nach Auffassung der
Kammer dem § 622 Abs. 3 BGB nicht entnehmen, dass die Vereinbarung einer
Probezeit bis zur Dauer von sechs Monaten generell als Möglichkeit den
Arbeitsvertragsparteien zur Verfügung gestellt wird und einer gerichtlichen
Überprüfung entzogen ist.
97
Die in Rede stehende gesetzliche Bestimmung eröffnet den Vertragsparteien die
Kündigung des Arbeitsverhältnisses zwar während einer "vereinbarten" Probezeit,
lässt diese Kündigungsmöglichkeit mit verkürzter Frist allerdings lediglich
"längstens" für die Dauer von sechs Monaten zu.
98
Mit der Regelung, dass die verkürzte Kündigungsfrist längstens für einen
bestimmten Zeitraum gelten kann, wird in ausreichender Weise zum Ausdruck
gebracht, dass damit nicht generell die bloße Vereinbarung der Dauer der
Probezeit maßgeblich für die verkürzte Kündigungsfrist sein soll.
99
Dies führt zum Ergebnis, dass eine verkürzte Kündigungsfrist nur dann zur
Anwendung gelangt, wenn sie innerhalb solcher Dauer einer Probezeit erfolgt, die
zum Zwecke der Erprobung im Hinblick auf die vorgesehene Tätigkeit angemessen
und Verhältnismäßig ist (so ausdrücklich auch KR-Spilger, aaO.; Hromadka, aaO.).
100
Im Übrigen geht die Literatur, soweit ersichtlich, weitgehend übereinstimmend
davon aus, dass es keine gesetzliche Vorgabe für eine bestimmte Dauer einer
Probezeit gibt (anderer Auffassung MuenchKomm BGB/Hesse, § 622, Rdnr. 31).
101
3) Das Arbeitsverhältnis konnte daher lediglich mit der Grundkündigungsfrist des §
622 Abs. 1 BGB gekündigt werden, so dass eine Beendigung des
Arbeitsverhältnisses erst mit dem 31.08.2007 gegeben war.
102
4) Eine andere Beurteilung ergäbe sich auch nicht außerhalb des
Anwendungsbereichs der §§ 305 ff. BGB,
103
Schmidt
Lusmöller
Kleiböhmer /Spo.
104