Urteil des LAG Hamm vom 21.09.2004

LArbG Hamm: widerruf, treu und glauben, zulage, gegenleistung, feststellungsklage, vorbehaltsklausel, arbeitsbedingungen, vergütung, reduktion, lohnzuschlag

Landesarbeitsgericht Hamm, 19 Sa 575/04
Datum:
21.09.2004
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
19. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
19 Sa 575/04
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Dortmund, 3 Ca 4143/03
Nachinstanz:
Bundesarbeitsgericht, 5 AZR 575/04 - 6 Monate nicht betrieben
Schlagworte:
Vorbehaltsklausel im Formulararbeitsvertrag bezüglich übertariflicher
Leistungen;Auslegung und Wirksamkeitsvoraussetzungen nach dem
Schuldrechtsmodernisierungsge-setz
Normen:
§§ 305 ff BGB
Leitsätze:
1. Will sich ein Arbeitgeber in einem Formulararbeitsvertrag vorbehalten,
übertarifliche Leistungen einzustellen und nicht nur auf
Tariflohnerhöhungen anzurechnen, so wird dies nicht hinreichend
deutlich, wenn er den Vorbehalt mit einer Regelung darüber verbindet,
mit welchen Tariflohnerhöhungen eine Verrechnung möglich sein soll.
2. In diesen Fällen ist von einem wirksamen Anrechnungsvorbehalt
auszugehen. § 306 Abs. 2 BGB (Verbot einer geltungserhaltenden
Reduktion) steht dem nicht
entgegen.
Rechtskraft:
Die Revision wird für beide Parteien zugelassen.
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts
Dortmund vom 22.01.2004 – 3 Ca 4143/03 – wird zurückgewiesen.
Auf die Berufung des Klägers wird unter Zurückweisung der Berufung im
Übrigen das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 22.01.2004 – 3 Ca
4143/03 – abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Es wird festgestellt, dass der Widerruf der außertariflichen Zahlungen mit
Schreiben der Beklagten vom 11.04.2003 zum 01.05.2003
rechtsunwirksam ist.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.806,68 € brutto nebst
Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit
dem 01.12.2003 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu 5 % und die Beklagte zu
95 % zu tragen.
Der Streitwert wird auf 10.288,05 € festgesetzt.
T a t b e s t a n d
1
Der Kläger begehrt die Fortzahlung einer arbeitstäglichen Fahrtkostenerstattung in
Höhe von 19,01 € und eines Lohnzuschlags in Höhe von 13 %.
2
ten.
3
Die Beklagte stellte den Kläger am 13.03.1989 unter Verwendung eines
Vertragsformulars, das auf die Tarifverträge der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie
Bezug nimmt, "als Betriebsschlosser" zum 03.04.1989 "in der Betriebsstätte H7xx" ein. §
2 des Arbeitsvertrages lautet :
4
Entsprechend seiner Tätigkeit wird der Arbeitnehmer in die Stammlohngruppe 7
eingestuft.
5
Als Arbeitsentgelt erhält er für die Einarbeitszeit von einem Monat einen festen
Stundenlohn und 15 % Prämiengarantie.
6
Aufgrund eines Prämiensystems (Zeitersparnisprämie) kann der vereinbarte
Stundenlohn durch zusätzliche Leistung bereits im ersten Monat der Tätigkeit
überschritten werden.
7
Nach Ablauf der Einarbeitszeit bestimmt sich der Stundenlohn aus der Summe
von Prämienausgangslohn (Ecklohn) und Zeitersparnisprämie.
8
Darüberhinaus erhält der Arbeitnehmer einen Fahrkostenersatz in Höhe von DM
arbeitstäglich.
9
Die Firma behält sich vor, alle übertariflichen Bestandteile in seinem Lohn –
gleich, welcher Art – bei einem Aufrücken in eine höhere Altersstufe in der
Lohngruppe oder in eine höhere Tariflohngruppe teilweise oder ganz
anzurechnen. Abgesehen davon hat die Firma das Recht, diese übertariflichen
Lohnbestandteile jederzeit unbeschränkt zu widerrufen und mit etwaigen
Tariferhöhungen, oder anderen Tarifbestandteilen zu verrechnen.
10
Auch jede andere Leistung, die über die in den Tarifverträgen festgelegten
Leistungen hinausgeht, ist jederzeit unbeschränkt widerruflich und begründet
keinen Rechtsanspruch für die Zukunft."
11
Die Beklagte zahlte dem Kläger den monatlichen Tariflohn, einen Zuschlag in Höhe des
tariflichen Montagezuschlages, einen Prämienlohn und eine Fahrtkostenerstattung.
12
Am 27.11.1992 vereinbarte die Beklagte mit dem Kläger wiederum unter Verwendung
eines Vertragsformulars die Versetzung "zur Betriebsstätte H7xx – W4xxxx" und eine
Fahrtkostenpauschale in Höhe von 35,92 DM arbeitstäglich.
13
Mit der Lohnabrechnung für April 2003 rechnete die Beklagte als "Monatslohn" 2.137,73
€ (1.891,83 € Tariflohn zuzüglich eines Zuschlages in Höhe des tariflichen
Montagezuschlages von 13 % = 245,94 €) und als Prämienlohn 299,26 € ab. Das
Fahrgeld betrug für 17 Tage 323,17 €.
14
Mit Schreiben vom 11.04.2003 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie aufgrund der
wirtschaftlichen Situation von dem arbeitsvertraglich vereinbarten Widerrufsvorbehalt
Gebrauch mache und die freiwillig gewährte übertarifliche Zulage zum Monatsentgelt
sowie die arbeitstägliche Fahrtkostenerstattung zum 01.05.2003 widerrufe.
15
Ferner teilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 05.06.2003 mit, dass zum
01.05.2003 eine Umstellung von Prämienlohn auf Zeitlohn gemäß § 9
Lohnrahmenabkommen für die Metall- und Elektroindustrie erfolge und der Kläger ab
Mai neben dem Tariflohn in Höhe von 1.891,83 € eine tarifliche Leistungszulage von 18
% = 340,53 €, insgesamt also
16
2.232,36 € erhalte, die die Beklagte im Monat Mai als "Monatslohn" abrechnete. Mit
Wirkung vom 01.06.2003 zahlte die Beklagte dem Kläger aufgrund einer
Tariflohnerhöhung einen Monatslohn in Höhe von 2.290,39 € (1.971,01 € Tariflohn
zuzüglich 18 % tarifliche Leistungszulage von 349,38 €).
17
Mit seiner Klage vom 02.07.2003 und den Klageerweiterungen begehrt der Kläger für
die Zeit vom 01.05.2003 bis zum 30.11.2003 die Fortzahlung eines Lohnzuschlags in
Höhe von 13 % = 245,94 € für Mai bzw. je 252,33 € für die nachfolgenden Monate und
die Fahrtkostenpauschale in Höhe von je 19,01 € für 133 Tage, die in den
Lohnabrechnungen als Anwesenheitstage angegeben sind, insgesamt einen Betrag in
Höhe von 4.288,05 € brutto.
18
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, dass die Beklagte nicht berechtigt gewesen sei, die
Zahlung des Lohnzuschlags in Höhe von 13 % und des Fahrgeldes einzustellen, da er
Montagestammarbeiter im Sinne des Bundesmontagetarifvertrages sei und es sich
deshalb um tarifliche Leistungen handele. Im Übrigen könne die Beklagte gemäß § 2
des Arbeitsvertrages nur eine Verrechnung übertariflicher Bestandteile mit
Tariflohnerhöhungen vornehmen.
19
Der Kläger hat beantragt,
20
1. festzustellen, dass der Widerruf der freiwilligen außertariflichen
Zahlungen gemäß dem Schreiben der Beklagten vom 11.04.2003 zum
01.05.2003 rechtsunwirksam ist,
21
2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 4.288,05 € brutto nebst Zinsen in
Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz gestaffelt nach Fälligkeitsterminen
22
und bezüglich des zu-letzt fälligen Betrages ab dem 01.12.2003 zu
zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
23
die Klage abzuweisen.
24
Sie hat behauptet, aus wirtschaftlichen Gründen zum Widerruf aller übertariflichen
Leistungen gezwungen gewesen zu sein. Sie habe im Jahre 2002 einen Gesamtverlust
in Höhe von 839.900,-- € erlitten und die Verluste seien weiter gestiegen (Beweis:
Zeugnis ihres Personalleiters).
25
Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, dass der Kläger aufgrund der
arbeitsvertraglichen Vereinbarungen nicht Montagearbeiter sondern
Betriebsstättenmitarbeiter sei. Insofern habe es sich bei den widerrufenen Leistungen
um übertarifliche Leistungen gehandelt, die sie nach dem im Arbeitsvertrag vereinbarten
Vorbehalt nicht nur anrechnen, sondern auch habe widerrufen können.
26
Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass die durch den Widerruf verursachten
Einkommensverluste des Klägers sich dadurch reduzierten, dass sie gleichzeitig den
tariflichen Prämienlohn durch eine tarifliche Leistungszulage ersetzt habe, die höher
ausfalle als der Prämienlohn.
27
Sie behauptet, dass die in den Lohnabrechnungen angegebene Zahl der
Anwesenheitstage auch die Zahl der Feiertage enthielte, an denen der Kläger
gearbeitet hätte, wenn an diesen Tagen kein Feiertag gewesen wäre.
28
Das Arbeitsgericht Dortmund hat über die wirtschaftliche Situation der Beklagten
Beweis erhoben durch die Vernehmung des von der Beklagten benannten
Personalleiters. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die
Sitzungsniederschrift vom 22.01.2004 Bezug genommen.
29
Mit Urteil vom 22.01.2004 – 3 Ca 4143/03 – hat das Arbeitsgericht Dortmund der Klage
bezüglich der Fahrtkostenpauschale unter Zugrundelegung von 128 Arbeitstagen
anstelle der vom Kläger geltend gemachten 133 Arbeitstage im Hinblick auf die fünf in
die Zeit vom 01.05. bis zum 30.11.2003 auf Arbeitstage fallenden Feiertage
stattgegeben, weil die Parteien anlässlich der Versetzung des Klägers in das von
seinem Wohnort etwa 30 km weiter entfernte W4xxxx eigens eine Fahrtkostenerstattung
vereinbart hätten ohne Bezugnahme auf die im Arbeitsvertrag aufgenommene
Vorbehaltsklausel. Im Übrigen hat das Arbeitsgericht jedoch die Klage abgewiesen, weil
die Beklagte aufgrund des in § 2 vereinbarten Vorbehalts berechtigt gewesen sei, die
Zulage in Höhe von 13 % zu widerrufen. Es handele sich um eine übertarifliche Zulage,
weil der Kläger nicht Montagearbeiter sei. Der Widerruf entspreche aufgrund
eingetretener Verluste auch billigem Ermessen.
30
Gegen das ihm am 27.02.2004 zugestellte Urteil, auf das wegen seiner Einzelheiten
Bezug genommen wird, hat der Kläger am 24.03.2004 Berufung eingelegt und diese
zugleich begründet.
31
Die Beklagte, der das Urteil des Arbeitsgerichts am 01.03.2004 zugestellt worden ist, hat
am 29.03.2004 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der
32
Berufungsbegründungsfrist bis zum 01.06.2004 am 27.05.2004 begründet.
Der Kläger vertritt weiterhin die Ansicht, dass die Beklagte sich in § 2 des
Arbeitsvertrages nur das Recht vorbehalten habe, übertarifliche Lohnbestandteile zu
widerrufen und mit etwaigen Tariflohnerhöhungen zu verrechnen, also keinen Widerruf
ohne entsprechende Tariflohnerhöhung. Ein anderer Wille der Beklagten sei jedenfalls
nicht klar zum Ausdruck gekommen, so dass dies zu Lasten der Beklagten ginge. So
habe er - wie er behauptet - bei Abschluss des Arbeitsvertrages angenommen, dass
übertarifliche Lohnbestandteile nur mit Tariflohnerhöhungen verrechnet, also nur im
Umfang von Tariflohnerhöhungen abgebaut werden könnten.
33
Bezüglich der Fahrtkostenpauschale verteidigt er das Urteil und behauptet, dass er sich
keinesfalls nach W4xxxx habe versetzen lassen, wenn ihm nicht eine
Fahrtkostenerstattung zugesagt worden wäre.
34
Der Kläger beantragt,
35
das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 22.01.2004 – 3 Ca 4143/03 –
unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten teilweise abzuändern und
36
1. festzustellen, dass der Widerruf der freiwilligen außertariflichen
Zahlungen gemäß dem Schreiben der Beklagten vom 11.04.2003 zum
01.05.2003 rechtsunwirksam ist,
37
2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 4.288,05 € brutto nebst Zinsen in
Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem
01.12.2003 zu zahlen.
38
Im Übrigen hat er die Klage mit Zustimmung der Beklagten hinsichtlich der
weitergehenden Zinsforderung zurückgenommen.
39
Die Beklagte beantragt,
40
das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 22.01.2003 – 3 Ca 4143/03 –
unter Zurückweisung der Berufung des Klägers teilweise abzuändern und
die Klage insgesamt abzuweisen.
41
Die Beklagte vertritt die Ansicht, dass das Arbeitsgericht mit Recht die Auffassung
vertreten habe, dass sie sich im Arbeitsvertrag nicht nur den Widerruf übertariflicher
Leistungen im Umfang von Tariflohnerhöhungen vorbehalten habe.
42
In der Vereinbarung über die Versetzung des Klägers nach W4xxxx sei es auch nicht
erforderlich gewesen, nochmals auf den Arbeitsvertrag und die darin enthaltene
Vorbehaltsklausel Bezug zu nehmen. Es sei für den Kläger erkennbar gewesen, dass in
der Vereinbarung nur die Änderungen des Arbeitsvertrages aufgeführt seien.
43
Die Zulage in Höhe von 13 % und das Fahrgeld habe der Kläger lediglich aus Gründen
der Gleichbehandlung erhalten vor dem Hintergrund, dass sie zunächst nur
Arbeitnehmer als Montagearbeiter eingestellt habe, diese einen tariflichen Anspruch auf
einen Lohnzuschlag in Höhe von 13 % und Fahrgeld hätten und der Kläger mit diesen
Arbeitnehmern bei den gleichen Kunden teilweise zusammengearbeitet habe.
44
Der im Arbeitsvertrag vereinbarte Vorbehalt bezüglich der übertariflichen Leistungen sei
auch nicht gemäß den §§ 307 Abs. 1 und 308 Abs. 4 BGB unwirksam, weil im
Arbeitsvertrag nicht angegeben sei, aus welchen Gründen von dem Vorbehalt Gebrauch
gemacht werden könne. Insofern seien die Besonderheiten des Arbeitsrechts gemäß §
310 Abs. 4 BGB zu berücksichtigen, weil solche Klauseln bezüglich übertariflicher
Leistungsbestandteile im Arbeitsrecht üblich seien, zumindest aber üblich gewesen
seien zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses. Auf diesen Zeitpunkt sei jedoch
abzustellen.
45
Bei der unter Umständen sehr langen Dauer eines Arbeitsverhältnisses sei es kaum
möglich, schon beim Abschluss des Arbeitsvertrages die möglichen Gründe für einen
Widerruf anzugeben.
46
Die Vorbehaltsklausel beschränke sich auch auf die nach der Rechtsprechung
zulässigen Möglichkeiten zur Verringerung der übertariflichen Zulagen, nämlich die
Anrechnung bei Tariflohnerhöhungen, den Widerruf und den Hinweis, dass hinsichtlich
der übertariflichen Bestandteile auch in Zukunft kein Rechtsanspruch entsteht. Dies sei
nicht widersprüchlich, sondern eine äußerst genaue Darstellung dessen, was der
Arbeitnehmer möglicherweise zu erwarten habe.
47
Letztlich habe sie die übertariflichen Leistungen auch nicht im rechtstechnischen Sinne
widerrufen wollen, sondern lediglich die Zahlung einstellen wollen, so dass eine
Überprüfung nach den §§ 305 ff. BGB nicht in Betracht komme.
48
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf ihre Schriftsätze nebst Anlagen
Bezug genommen.
49
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
50
Sowohl die Berufung der Klägerin als auch die Berufung der Beklagten ist gemäß § 64
Abs. 2 ArbGG statthaft und gemäß den §§ 519, 520 ZPO fristgerecht eingelegt und
begründet worden.
51
Die Berufung der Beklagten ist unbegründet, die Berufung des Klägers überwiegend
begründet, im Übrigen unbegründet.
52
A
53
Die Feststellungsklage ist zulässig und begründet.
54
I
55
Die Feststellungsklage ist zulässig. Der Kläger hat an der begehrten Feststellung ein
rechtliches Interesse (§ 256 ZPO).
56
Die Feststellungsklage kann auf einzelne Beziehungen und Folgen aus einem
Rechtsverhältnis beschränkt werden. Streiten die Parteien darüber, ob der Arbeitgeber
eine Änderung der Arbeitsbedingungen durch einen Widerruf einzelner Leistungen
herbeiführen konnte, kann der Arbeitnehmer dies nach ständiger Rechtsprechung im
Wege der Feststellungsklage klären lassen, da dieser Streit zwar nicht den Bestand,
57
aber die Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses zwischen den Parteien betrifft und der
Arbeitnehmer ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat, welche Rechte sich für
ihn aus dem Rechtsverhältnis auch in Zukunft ergeben (vgl. BAG, Urteil vom 21.02.1998
– 5 AZR 472/97 – AP Nr. 54 zu § 611 BGB Direktionsrecht).
Im Übrigen ist die Feststellungsklage auch als Zwischenfeststellungsklage gemäß §
256 Abs. 2 ZPO zulässig, weil die Begründetheit der Zahlungsanträge von der
Wirksamkeit des Widerrufs der übertariflichen Zulage abhängt.
58
II
59
Die Feststellungsklage ist auch begründet.
60
Die Beklagte war aufgrund des in § 2 des Arbeitsvertrages vereinbarten Vorbehalts nicht
berechtigt, die Zahlung des Lohnzuschlages in Höhe von zuletzt 245,94 € und der
Fahrtkostenerstattung ab dem 01.05.2003 einzustellen.
61
1. In § 2 des Arbeitsvertrages hat die Beklagte sich nicht den Widerruf übertariflicher
Leistungen unabhängig von der Anhebung des Tariflohns durch Aufrücken in eine
höhere Altersstufe bzw. in eine höhere Lohngruppe oder durch Tariflohnerhöhungen
vorbehalten.
62
Es wird nicht deutlich, dass die Beklagte sich vorbehalten wollte, übertarifliche
Leistungen nicht nur im Umfang von zusätzlichen tariflichen Leistungen zu kürzen.
Vielmehr ist § 2 des Arbeitsvertrages so zu verstehen, dass sie sich nur vorbehalten
wollte, übertarifliche Leistungen zu kürzen durch Anrechnung und Verrechnung mit
tariflichen Zuwächsen.
63
Im ersten Satz der Klausel heißt es, dass die Beklagte sich vorbehält, alle tariflichen
Lohnbestandteile bei einem Aufrücken in eine höhere Altersstufe in der Lohngruppe
oder in eine höhere Tariflohngruppe teilweise oder ganz anzurechnen.
64
Erst im zweiten Satz erwähnt sie das Wort "widerrufen", fügt aber sofort "und mit
etwaigen Tariferhöhungen oder anderen Tarifbestandteilen zu verrechnen" hinzu, was
darauf hindeutet, dass mit dem zweiten Satz nur herausgestellt werden soll, dass selbst
Tariferhöhungen entfallen können. Hätte die Beklagte das Wort "widerrufen" in einem
von Anrechnungsmöglichkeiten losgelösten Sinne gebrauchen wollen, hätte es dieser
komplizierten Anrechnungsregelungen nicht bedurft, da der Widerruf mangels
zusätzlicher Regelungen bedeutet, dass der Arbeitgeber sich nicht auf eine Anrechnung
übertariflicher Bestandteile auf Tariferhöhungen beschränken will.
65
Der dritte Satz beginnt dann mit "auch jede andere Leistung", so dass schon zu Beginn
des Satzes der Eindruck entsteht, dass das bereits Gesagte auch für jede andere
übertarifliche Leistung gelten soll, im Übrigen der Satz aber eine Wiederholung des
bereits Gesagten enthält, wenn auch etwas anders verklausuliert (so z.B. statt
"übertariflich" ein ganzer Nebensatz "die über die in den Tarifverträgen festgelegten
Leistungen hinausgehen"). Nach den vorangegangenen Sätzen und der Einleitung des
dritten Satzes kann dem restlichen Teil nicht die gleiche Bedeutung beigemessen
werden, als wenn der Vorbehalt allein aus diesem restlichen Satz bestünde. Würde man
die ersten beiden Sätze und die Einleitung des dritten Satzes bei der Auslegung des
dritten Satzes nicht berücksichtigen, wären die ersten beiden Sätze und die Einleitung
66
des dritten Satzes sinnlos und irreführend und würden zudem die Aufmerksamkeit dem
letzten Satz entziehen. Gerade aber bei einem vom Arbeitgeber verwendeten
Formulararbeitsvertrag kann davon ausgegangen werden, dass der Arbeitgeber nicht im
Laufe seiner Formulierung sogar von Satz zu Satz seinen Willen immer wieder geändert
hat, ohne bisherige Formulierungen, die obsolet geworden sind, wieder zu streichen,
sondern darf man unterstellen, dass dem gesamten Text Bedeutung zukommen soll,
dass bezüglich eines Themenbereiches das Vorangestellte sogar vorrangig ist und dass
das Nachfolgende lediglich Einzelheiten ergänzt oder allenfalls einen Hinweis darauf
enthält, dass das zunächst Gesagte auch für andere ähnliche Sachverhalte gelten soll.
Bei der Auslegung eines Formulararbeitsvertrages ist auf den Empfängerhorizont eines
durchschnittlichen Arbeitnehmers abzustellen, der weder juristisch vorgebildet noch
argwöhnisch ist und nicht davon ausgeht, dass der Arbeitgeber einen Vorbehalt, dass
bisher im Betrieb übliche regelmäßige Zahlungen jederzeit unabhängig von
Tariferhöhungen entfallen können, hinter einer komplizierten Regelung verbergen will,
der es nur bedarf, wenn nur an die Kürzung übertariflicher Leistungen durch ihre
Anrechnung auf zusätzliche tarifliche Leistungen gedacht ist.
67
Im Zweifel sind Abreden, die wesentliche Rechte einer Partei einschränken, eng
auszulegen und ist davon auszugehen, dass insbesondere der Verwender eines
Formularvertrages bei der Formulierung des Vertrages nicht widersprüchlich vorgeht
(vgl. auch Palandt, BGB, 63. Aufl., § 133 Rdnr. 23 ff.).
68
Im Übrigen gehen gemäß § 305 c BGB, der ab dem 01.01.2003 auf das
Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung findet, bei der Auslegung von
Formulararbeitsverträgen Zweifel grundsätzlich zu Lasten des Verwenders, also hier der
Beklagten. Die Norm beruht auf dem Gedanken, dass es Sache derjenigen Partei ist,
welche die Vertragsgestaltung für sich in
69
Anspruch nimmt, sich klar und unmissverständlich auszudrücken. Diese
Unklarheitenregel des § 305 c Abs. 2 BGB stimmt mit der bisherigen Regelungen des §
5 AGBG überein, die als Rechtsgrundsatz schon seit langem in der arbeitsrechtlichen
Rechtsprechung anerkannt war (vgl. Erf.Komm. – Preis, 4. Aufl., §§ 305 – 310 BGB
Rdnr. 34 und BAG, Urteil vom 18.08.1998, NZA 1999 ,659).
70
2. Legt man aber die von der Beklagten in den Formulararbeitsvertrag aufgenommene
Vorbehaltsregelung trotz der in den ersten Sätzen geregelten Möglichkeiten der
teilweisen oder vollständigen Anrechnung bei einem Aufrücken in eine höhere
Altersstufe in der Lohngruppe oder in eine höhere Tariflohngruppe und der Verrechnung
mit etwaigen Tariferhöhungen oder anderen Tarifbestandteilen so aus, dass alle
übertariflichen Leistungen der Beklagten ersatzlos unabhängig von zusätzlichen
tariflichen Leistungen entfallen können, so wäre dies nach den vorangegangenen
Regelungen gemäß § 305 c Abs. 1 BGB eine überraschende Klausel, mit dem ein
durchschnittlicher Arbeitnehmer bereits nach dem ersten Satz der Vorbehaltsregelung
nicht mehr zu rechnen brauchte und wäre damit nicht Vertragsbestandteil geworden.
Auch das Verbot überraschender Klauseln in § 305 c Abs. 1 BGB war bereits vor der
Schuldrechtsreform im Arbeitsrecht anerkannt (vgl. Erf.Komm., a.a.O., Rdnr. 32; BAG,
Urteil vom 06.08.2003 – 7 AZR 9/03 – NZA 2004 ,96, 97 unter I 2 der
Entscheidungsgründe; BAG NZA 1996, 702).
71
3. Aber selbst wenn ein solch weitgehender Vorbehalt Vertragsbestandteil geworden
72
wäre, würde er einer Inhaltskontrolle gemäß den §§ 307, 308 Nr. 4 BGB nicht
standhalten. Hiernach sind Bestimmungen in vorformulierten Verträgen auch dann
unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von
Treu und Glauben unangemessen benachteiligen bzw. Änderungsvorbehalte für den
Vertragspartner unzumutbar oder die Bestimmungen nicht klar und verständlich sind
und damit gegen das Transparenzgebot verstoßen, was ebenfalls bereits vor Einführung
des § 307 BGB auch im Arbeitsrecht zugrundegelegt worden ist (vgl. Erf.Komm. – Preis,
a.a.O., Rdnr. 44; Gotthardt, Arbeitsrecht nach der Schuldrechtsreform, E II 6 c) dd) (2)).
a) Zunächst wäre zu prüfen, ob eine unangemessene Benachteiligung oder eine
Unzumutbarkeit bereits darin liegen kann, dass die Vorbehaltsklausel – legt man die
Rechtsansicht der Beklagten zugrunde - sowohl den Lohnzuschlag in Höhe von 13 %
des Tarifgrundlohns als auch das Fahrgeld in Höhe von zuletzt 323,17 € monatlich bei
17 Arbeitstagen im Monat gleich 17 % des Tarifgrundlohns erfasst, zumal bereits der
tarifliche Prämienlohn flexibel ist und im Arbeitsvertrag nur im ersten Monat in Höhe von
15 % des Tarifgrundlohns garantiert wird, danach aber auch bis gegen null Prozent
sinken kann.
73
Allerdings bestehen Bedenken, die Angemessenheit eines Vorbehalts der Einstellung
aller übertariflicher Leistungen danach zu bemessen, in welchem Umfang übertarifliche
Leistungen gezahlt werden. Es ist wenig überzeugend, dass der Vorbehalt umso
unangemessener sein soll, umso höher die übertarifliche Vergütung ist.
74
Auch wäre dann die Wirksamkeit des Vorbehalts nicht zu jeder Zeit des
Arbeitsverhältnisses gleich zu beurteilen. Der Vorbehalt könnte unwirksam werden,
wenn der Arbeitgeber die übertariflichen Leistungen anheben würde oder wirksam
werden, wenn die übertariflichen Leistungen bei Tariflohnanhebungen aufgesogen
würden.
75
Ferner wäre die Wirksamkeit bei den Arbeitnehmern eines Betriebes je nach Höhe der
individuellen übertariflichen Zulage unterschiedlich zu beurteilen.
76
In der Regel hat aber nicht nur der Arbeitgeber sondern auch die Mehrzahl der
Arbeitnehmer ein Interesse daran, bei schlechter Ertragslage die übertariflichen
Vergütungen möglichst aller im Betrieb Tätigen rechtzeitig und gleichzeitig aufgrund
eines vereinbarten Vorbehalts anpassen zu können, um dadurch möglichst viele
Arbeitsplätze zu erhalten und die Überlebensfähigkeit des Betriebes auch ohne
Zustimmung jedes einzelnen Arbeitnehmers sichern zu können.
77
Der Kündigungsschutz ist teilweise sehr umfassend und nicht vergleichbar mit dem
Kündigungsschutz bei anderen Dauerschuldverhältnissen, da wegen der Bedeutung
des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitnehmer sein Kernbereich möglichst umfassend
geschützt sein soll. Er erschwert allerdings erheblich eine schnelle und gleichzeitige
Anpassung der Arbeitsbedingungen bei einer Vielzahl von Arbeitnehmern.
78
Die Arbeitnehmer untereinander aber auch zusammen mit dem Arbeitgeber oder der
Unternehmensführung bilden anders als die Kunden und der Unternehmer bei anderen
Schuldverhältnissen eine (Gefahren-)Gemeinschaft. Sie sind aus tatsächlichen und
rechtlichen Gründen in vielfältiger Weise aufeinander angewiesen. Sie arbeiten
zusammen und sichern dadurch ihren Lebensunterhalt. Der Arbeitnehmer hat häufig
seinen Wohnsitz in der Nähe des Betriebssitzes, er hat eine Berufserfahrung gewonnen,
79
die auf den Betrieb und die Zusammenarbeit mit der Belegschaft zugeschnitten ist, es
sind persönliche Beziehungen zu Arbeitskollegen, Vorgesetzten und eventuell auch
zum Arbeitgeber gewachsen und er hat häufig einen Kündigungsschutz erworben. Für
den Arbeitgeber steht das materielle und immaterielle Betriebsvermögen, zu dem auch
die speziellen Erfahrungen seiner Arbeitnehmer und die eingespielte Zusammenarbeit
der Belegschaft gehören, vielleicht sogar sein weiteres Vermögen und wie auch für die
Arbeitnehmer seine berufliche Zukunft auf dem Spiel. Für sie beide ist deshalb in der
Regel der Erhalt des Betriebes vorrangig.
Es ist durchaus nicht immer im Interesse des Arbeitnehmers oder eines Verbrauchers,
dass das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung festgeschrieben wird. So können
Vermieter bereits aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen der §§ 556 ff BGB höhere
Betriebskosten auf die Mieter umlegen, bei erforderlichen besonderen Aufwendungen
für eine Modernisierung die Miete anheben oder sogar bereits eine höhere Miete
verlangen, wenn die örtliche Vergleichsmiete gestiegen ist, also sogar das Verhältnis
von Leistung und Gegenleistung der Marktlage anpassen, ohne dass die Ertragslage
sich für den Vermieter verschlechtert hat, während der Arbeitgeber die Vergütung nicht
allein deshalb ändern kann, weil sich die Arbeitsmarktlage geändert hat und soweit
ersichtlich schon nach bisheriger höchstrichterlicher Rechtsprechung auch nicht bei
wirksam vereinbartem Widerrufsvorbehalt.
80
Andererseits kann der Arbeitgeber sich bei guter Ertragslage kaum dem
Erwartungsdruck der Arbeitnehmer entziehen, die Arbeitsbedingungen einschließlich
der Vergütung zu verbessern, weil die Arbeitnehmer wissen, dass er nur mit Ihnen diese
gestiegenen Erträge erzielen kann.
81
Bei einer starren Festlegung des Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung muss
der Arbeitgeber ein erheblich höheres Risiko tragen, zusätzliche Rücklagen bilden, was
wiederum ungünstige Auswirkungen auf das Verhältnis von Leistung und
Gegenleistung und die Vermögensverteilung hat, und wahrscheinlich häufiger den
Betrieb ganz oder teilweise wegen Insolvenz einstellen, wodurch materielles und
immaterielles Betriebsvermögen nicht nur zu Lasten des Arbeitgebers sondern auch der
Arbeitnehmer des Betriebes vernichtet wird.
82
Insofern dürfte es im Hinblick auf die Interessenlage geboten sein, nicht schon wegen
des Umfangs der von einem Widerrufsvorbehalt erfassten übertariflichen Leistungen von
dessen Unangemessenheit oder Unzumutbarkeit auszugehen, sondern, wenn auch
andere Unwirksamkeitsgründe nicht vorliegen, lediglich bei jedem Widerruf zu
überprüfen, ob in angemessenem Umfang von dem Widerrufsvorbehalt Gebrauch
gemacht wurde und die für einen Widerruf vorliegenden Gründe den Umfang der
widerrufenen übertariflichen Leistungen rechtfertigten, also sich bezüglich der Höhe der
betroffenen übertariflichen Leistungen auf eine Ausübungskontrolle zu beschränken.
83
b) Aus ähnlichen Erwägungen ist zweifelhaft, ob ein Widerrufsvorbehalt, wenn er
Vertragsinhalt geworden wäre, deshalb unwirksam wäre, weil in ihm nicht die Gründe
benannt werden, aus denen ein Widerruf möglich sein soll. Die Angabe der möglichen
Widerrufsgründe im Arbeitsvertrag wird vielfach in der Literatur und nun teilweise auch
in der Rechtsprechung für erforderlich gehalten (vgl. Erf. Komm./ Preis, 4. Aufl., §§ 305 –
310 BGB Rdnr. 54 ff.; Preis, NZA 2004, 1014; Gotthardt, a.a.O., E II 6 c) ee) (2); Stoffels,
NZA Sonderbeilage 1/2004, 19, 25 und insbesondere LAG Hamm, Urteil vom
11.05.2004 – 19 Sa 90/04 – NZA-RR 2004, 515 in einem Parallelfall, dem eine Klage
84
eines Arbeitskollegen des Klägers gegen die Beklagte zugrunde liegt, Revision
anhängig unter - 5 AZR 364/04 -; ArbG Düsseldorf, Urteil vom 18.09.03 – 2 Ca 2548/03,
DB 2004, 81f , a.A.: LAG Berlin, Urteil vom 30.03.04 – 3 Sa 2206/03 – Revision
anhängig unter 10 AZR 331/04; Lingemann, NZA 2002,191 und Schnitker/Grau, BB
2002, 2124).
Ob die Vereinbarung eines Widerrufsvorbehalts dadurch an Transparenz gewinnt, dass
in der Vereinbarung die Gründe angegeben werden, aus denen widerrufen werden
kann, ist fraglich.
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Ist im Arbeitvertrag nicht angegeben, unter welchen Voraussetzungen in welcher Höhe
ein Widerruf übertariflicher Lohnbestandteile möglich sein soll, ist nach der bisherigen
höchstrichterlichen Rechtsprechung bei jedem Widerruf zu prüfen, ob er keine
Umgehung des Kündigungsschutzes darstellt und gemäß § 315 BGB billigem
Ermessen entspricht.
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Wären die für einen Widerruf erforderlichen Gründe im Arbeitsvertrag anzugeben, wäre
die Rechtslage je nach Formulierung der Gründe im Arbeitsvertrag und seinen
Ergänzungen unterschiedlich und könnte der Arbeitnehmer bei der Prüfung, ob ein
ausgesprochener Widerruf rechtmäßig ist, nicht mehr auf eine einheitliche
Rechtsprechung zurückgreifen. Es ist auch davon auszugehen, dass dann bei
Arbeitnehmern eines Betriebes je nach Einstellungszeitpunkt, vorangegangenen
Betriebsübernahmen, gezeigter Bereitschaft, Vertragsänderungen zuzustimmen und
evtl. je nach Zugang ergänzender Erklärungen des Arbeitgebers (vgl. zur möglichen
Vertragsanpassung die Vorschläge von Preis NZA 2003, Sonderbeilage zu Heft 16
Seite 19, 29) unterschiedliche Formulierungen maßgeblich wären, zumal wenn der
Arbeitgeber bemüht wäre, die Arbeitsverträge immer wieder der neuesten
Rechtsprechung zu möglichen Widerrufsgründen anzupassen, um die gegebenen
Möglichkeiten auszuschöpfen, andererseits aber auch nicht eine zu weitgehende oder
nicht ausreichend aussagefähige Formulierung zu gebrauchen, die die Wirksamkeit des
Widerrufsvorbehalts gefährden könnte. Dadurch würde die Vertragssituation
zunehmend unübersichtlich, es käme zu einer umfangreichen Kasuistik und einer
Ungleichbehandlung der Arbeitnehmer im Betrieb, insbesondere zwischen denen mit
wirksamen und denen mit unwirksamen Widerrufsvorbehalt, obwohl ein
Widerrufsvorbehalt auch dazu führen soll, dass im Falle notwendiger
Vergütungskürzungen die Gleichbehandlung erleichtert wird und nach Möglichkeit für
alle Arbeitnehmer die Frage gleich zu beurteilen ist, ob ein Widerruf wirksam ist.
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Ausführungen im Arbeitsvertrag zu Rechtsfragen, die nicht abweichend von
gesetzlichen Regelungen oder der Rechtsprechung geregelt werden sollen, sind in der
Regel nicht im Interesse des Arbeitnehmers, weil sie eher die Einschätzung der
Rechtslage erschweren und dazu zwingen, zu überprüfen, inwieweit die im
Arbeitsvertrag getroffenen Vereinbarungen von den gesetzlichen Regelungen und der
hierzu ergangenen Rechtsprechung und eventuell auch von der Vertragsgestaltung bei
Arbeitskollegen oder anderen Arbeitgebern abweichen und sich insoweit eine andere
Rechtslage mit anderen Vor- und Nachteilen ergibt. Die Vergleichbarkeit und
Transparenz der Arbeitsbedingungen würde darunter leiden. Auch ist das Bedürfnis
nach Rechtssicherheit und Gleichbehandlung gerade auch in Zeiten, in denen aus
wirtschaftlichen Gründen in zahlreichen Betrieben Einkommenseinbußen hinzunehmen
sind, im Arbeitsverhältnis besonders groß und vorrangig vor dem Interesse an einer
möglichst umfassenden Regelung aller Rechtsfragen im Arbeitsvertrag.
88
Möchte ein Arbeitnehmer wissen, unter welchen Voraussetzungen ein Widerruf welcher
Leistungen in welchem Umfang möglich ist, so reichen kurze Angaben im Arbeitsvertrag
nicht aus, zumal auch weitere Gesichtspunkte wie der Gleichbehandlungsgrundsatz und
das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates zu beachten sind und im Falle eines
Widerrufs neben der Rechtslage zusätzlich auch die für sie maßgeblichen tatsächlichen
Umstände aufzuklären sind, bevor die Frage der Wirksamkeit eines Widerrufs
beantwortet werden kann.
89
Insofern ist die Situation nicht anders, als wenn der Arbeitgeber unter Einhaltung einer
im Arbeitsvertrag vereinbarten Kündigungsregelung eine Kündigung ausspricht oder
das Arbeitsverhältnis mit Ablauf einer im Arbeitsvertrag vereinbarten Befristung
auslaufen lässt. Auch in diesen Fällen kann der Arbeitnehmer nicht aus dem
Arbeitsvertrag entnehmen, ob und welche Voraussetzungen für die Wirksamkeit der
Kündigung oder die Befristung vorliegen müssen, kann aber sogar nur innerhalb von
drei Wochen Klage erheben, wenn er die Unwirksamkeit geltend machen will. Die
verschiedenen gesetzlichen Kündigungs- und Befristungsschutzbestimmungen sind
zudem zumindest für einen durchschnittlichen Arbeitnehmer schwieriger zu überblicken
und kaum aussagefähiger als die Regelung des § 315 BGB, wonach der Widerruf nur
nach billigem Ermessen erfolgen darf, eine Regelung, die immer Anwendung findet und
einem allgemeinem Rechtsgrundsatz entspricht.
90
Es besteht nicht die Gefahr, dass ein Arbeitnehmer aufgrund der Nichtangabe möglicher
Gründe für einen Widerruf übertariflicher Leistungen zusätzlich verunsichert wird. Er
wird weit mehr eine Kündigung fürchten, selbst wenn er nicht wissen sollte, dass ein
Widerruf an Vorraussetzungen geknüpft ist. Vielmehr besteht die Gefahr, dass so länger
und komplizierter der Vertrag ist und umso mehr er allgemeine Rechtsbelehrungen
enthält, der Arbeitnehmer diesen nicht ausreichend liest und er dann auch den
Widerrufsvorbehalt nicht wahrnimmt.
91
c) Wäre ein Widerrufsvorbehalt Vertragsinhalt geworden, so würde er jedoch gegen das
Transparenzgebot des § 307 Abs 1 S 2 BGB insoweit verstoßen, als sich aus ihm nicht
klar ergibt, welche Leistungen jederzeit ersatzlos wegfallen können.
92
Der Hinweis auf übertarifliche Leistungen reicht für einen Widerrufsvorbehalt dann nicht
aus, wenn nicht offensichtlich ist, welche der im Arbeitsvertrag erwähnten und/oder im
Betrieb üblichen Leistungen übertariflich sind. Umso einschneidender der vorbehaltene
Widerruf ist, umso höhere Anforderungen sind an die Transparenz zu stellen (Stoffels,
NZA Sonderbeilage 1/2004, 25).
93
Aufgrund des Arbeitsvertrages war für den Kläger nicht ohne weiteres erkennbar,
welche der im Betrieb erbrachten Leistungen die Beklagte als übertariflich ansah und
jederzeit wegfallen konnten, zumal bereits bei der Beklagten beschäftigte Arbeitnehmer,
die für die gleichen Kunden eingesetzt wurden, eine Montagezulage und
Fahrtkostenerstattung als tarifliche Leistungen erhielten. Die Beklagte wäre zur
Klarstellung ohne weiteres in der Lage gewesen, diese Leistungen als übertariflich und
jederzeit widerrufbare Leistungen im Arbeitsvertrag zu kennzeichnen. Im Arbeitsvertrag
sowie in dem Änderungsvertrag wird die Fahrtkostenerstattung aufgeführt, ohne dass
auch nur mit einem Wort erwähnt wird, dass es sich um eine übertarifliche und
insbesondere jederzeit widerrufbare Leistung handeln soll. Bei einer solchen
ausdrücklichen Hervorhebung einer Leistung im Arbeitsvertrag erwartet ein
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Arbeitnehmer nicht, dass er erst an anderer Stelle ohne konkrete Bezugnahme
verklausuliert darauf hingewiesen wird, dass insofern keine Verpflichtung begründet
werden soll.
B
95
Die Zahlungsklage ist aufgrund der Unwirksamkeit des Widerrufs in Höhe von 2.433,28
€ brutto Fahrtkostenerstattung (128 Arbeitstage x 19,01 €) und in Höhe von 1.373,40 €
brutto Lohnzuschlag (245,94 € brutto für den Monat Mai 2003 und 6 x 187,91 € brutto für
die Monate Juni bis November 2003) begründet, im Übrigen unbegründet.
96
I
97
Bezüglich der Fahrtkostenerstattung in Höhe von 19,01 € brutto täglich ist nur die
unstreitige Zahl von 128 Arbeitstagen zugrunde zu legen, nämlich 133 Tage
entsprechend den Angaben in der Lohnabrechnung abzüglich der fünf Feiertage, die auf
einen Wochentag fallen, da die Beklagte behauptet hat, dass in den Lohnabrechnungen
die jeweilige Zahl der Anwesenheitstage auch die Feiertage erfasst, an denen der
Kläger sonst gearbeitet hätte. Der Kläger hat hierzu nicht Stellung genommen und
insbesondere nicht die einzelnen Arbeitstage dargelegt und unter Beweis gestellt. Bei
fünf freien Tagen in der Zeit von Mai bis November 2003, die auf einen Wochentag
fallen, verbleiben 128 Tage, die multipliziert mit 19,01 € 2.433,28 € ergeben.
98
II
99
Als Lohnzuschlag kann der Kläger für die Zeit von Mai bis November 2003 insgesamt
1.373,40 € beanspruchen.
100
1. Für Mai 2003 ergibt sich wie in den Vormonaten ein Betrag in Höhe von 245,94 €
brutto.
101
Die Differenz zwischen dem noch im April 2003 gezahlten Prämienlohn und der
Leistungszulage ab Mai 2003 muss der Kläger sich nicht auf den Lohnzuschlag
anrechnen lassen, da dadurch, dass an die Stelle des Prämienlohns die
Leistungszulage getreten ist, der Kläger keine zusätzliche tarifliche Leistung erhält. Es
bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger ab Juni 2003 nicht Anspruch auf
eine entsprechend hohe Prämie hätte haben können und Prämie und Leistungszulage
keine gleichwertigen tariflichen Leistungen darstellen, wenn ihre Bemessung auch nach
unterschiedlichen Kriterien vorgenommen wird.
102
2. Ab Juni muss der Kläger sich jedoch die Tariflohnerhöhung, mit der die Vergütung um
58,03 € von 1.891,83 € zuzüglich 340,53 € (18 % Leistungszulage) gleich 2.232,36 € auf
1.941,01 € zuzüglich 349,38 € (18 % Leistungszulage) gleich 2.290,39 € angehoben
wurde, auf den Zuschuss von 245,94 € aufgrund des vereinbarten Vorbehaltes
anrechnen lassen, so dass der monatliche Zuschuss nur noch 187,91 € beträgt und die
Vergütungsansprüche des Klägers im Monat Juni 2004 nicht steigen.
103
a) Der dem Kläger bisher gewährte Zuschlag in Höhe von zuletzt 245,94 € wird von dem
Anrechnungsvorbehalt erfasst.
104
Es handelt sich nicht um eine tarifliche Leistung.
105
Der Bundesmontagetarifvertrag, der für Montagearbeiter einen Montagezuschlag
vorsieht, findet auf das Arbeitsverhältnis keine Anwendung. Der Kläger ist nicht als
Montagestammarbeiter oder Montagezeitarbeiter eingestellt worden, sondern als
Betriebsschlosser in der Betriebsstätte H7xx und ist auch später nicht auf eine Montage
entsandt worden, sondern gemäß Vereinbarung vom 27.11.1992 lediglich zur
Betriebsstätte H7xx-W4xxxx versetzt worden. Er hat nicht dargelegt, dass er als
Betriebsschlosser auf einer gemäß § 2 des Bundestarifvertrages für die besonderen
Arbeitsbedingungen der Montagearbeiter außerbetrieblichen Arbeitsstelle eingesetzt
wurde. Gemäß § 2.1.1 des Tarifvertrages ist als Betrieb nicht nur der Hauptbetrieb,
sondern auch der Zweigbetrieb, Nebenbetrieb und ein Stützpunkt anzusehen.
106
Der Kläger ist aber für das Vorliegen der Voraussetzungen der Anwendbarkeit des
Bundestarifvertrages für die besonderen Arbeitsbedingungen der Montagearbeiter
darlegungs- und beweispflichtig, da er geltend macht, dass er nach dem Tarifvertrag
Anspruch auf einen Montagezuschlag habe.
107
b) Eine Anrechenbarkeit scheidet auch nicht deshalb aus, weil es sich bei der Zulage in
Höhe von 13 % des bisherigen Lohnes eventuell um eine selbständige Zulage mit
einem besonderen Zweck handelt, der dem Zweck der tariflichen Leistungen nicht
entspricht.
108
Ohne Vereinbarung ist nur die Anrechnung allgemeiner übertariflicher Zulagen, die
keinen besonderen Zweck verfolgen, möglich, weil die Anrechnungsmöglichkeit sich
bereits daraus ergibt, dass das Arbeitsentgelt nominal unverändert bleibt sowie die
bisherige Zulage und die Tariflohnerhöhung keinen unterschiedlichen Zweck verfolgen
(vgl. Erf. Komm. – Preis, 4. Aufl., Rdnr. 65 zu §§ 305 – 310 BGB; Stoffels, NZA
Sonderbeilage 1/2004, 19, 25).
109
Hier haben die Parteien aber einen Anrechnungsvorbehalt vereinbart, und zwar für alle
übertariflichen Leistungen unabhängig davon, ob eine Zweckidentität zwischen
bisheriger übertariflicher Leistung und Tariflohnanhebung bzw. Tariflohnerhöhung
vorliegt.
110
c) Dem Anrechnungsvorbehalt kann auch nicht wie einem Widerrufsvorbehalt entgegen
gehalten werden, dass er dem Transparenzgebot nicht genügt. Da der
Anrechnungsvorbehalt nicht dazu führen kann, dass das Arbeitsentgelt nominal sinkt,
sind an die Transparenz eines Anrechnungsvorbehalts nicht die gleichen
Anforderungen zu stellen, wie an einen Widerrufsvorbehalt (Stoffels a.a.O.) Auch dann,
wenn es für den Arbeitgeber ungewiss ist, inwieweit die vereinbarten Zahlungen auf
tariflichen Ansprüchen basieren, muss er die Möglichkeit haben, Lohnerhöhungen nur
für den Fall zuzusagen, dass tarifliche Ansprüche unterschritten werden. Es ist nicht
unangemessen, wenn für den Arbeitnehmer unklar bleibt, ob es zu Lohnerhöhungen
kommt. Er hat die klare Zusage, dass es bei der bisherigen Vergütung jedenfalls
verbleibt. Die Anrechnung führt nicht zu einer Leistungsänderung gemäß § 308 Nr. 4
BGB.
111
d) Sofern die Auslegung der Vorbehaltsklausel nicht bereits zur Annahme eines
ausschließlichen Anrechnungsvorbehalts führt, ergibt sich eine Unwirksamkeit des
Anrechnungsvorbehalts auch nicht gemäß § 306 Abs. 2 BGB (Verbot der
geltungserhaltenden Reduktion) daraus, dass der mit ihm verbundene
112
Widerrufsvorbehalt gemäß § 305 c BGB nicht Vertragsbestandteil geworden ist oder
zumindest gemäß den §§ 307 Abs. 1 und 308 Nr. 4 BGB unwirksam ist. Dann wäre von
zwei selbstständig voneinander vereinbarten Vorbehalten auszugehen, von denen nur
der Widerrufsvorbehalt unwirksam ist.
Im übrigen ist fraglich, ob im Hinblick auf § 310 Abs. 4 S. 2 BGB im Arbeitsrecht das
Verbot der geltungserhaltenen Reduktion auch für Vertragsklauseln gelten kann, die
dauerhaften Einfluss auf das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung haben können.
Der Sanktionszweck des § 306 Abs. 2 BGB dürfte kaum eine fortwährende
Beeinträchtigung betrieblicher Belange rechtfertigen, weil diese auch für die
Arbeitnehmer von Bedeutung sind, in deren Interesse die Sanktionierung erfolgen soll
und natürlich auch für ihre Arbeitskollegen.
113
Es kann den Betriebsfrieden beeinträchtigen, dass Arbeitnehmer, die sich z.B. den
Arbeitsvertrag durchgelesen und mit dem Arbeitgeber Änderungen vereinbart haben
oder unmittelbar einen Vertrag mit wirksamen Bestimmungen erhalten haben, unter
Umständen auf Dauer wesentlich schlechter gestellt sind.
114
Im Hinblick auf ein wünschenswertes Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitnehmer und
Arbeitgeber ist es unbefriedigend, dass ein Arbeitnehmer bei Unterzeichnung eines
Arbeitsvertrages, um keine Nachteile zu erleiden, auch bezüglich der zentralen Frage
der Vergütung mit dem Arbeitgeber hierüber nicht verhandeln darf, bevor er nicht soweit
wie möglich geklärt hat, welche Vereinbarungen durchsetzbar sind und ob der ihm
vorgelegte Formulararbeitsvertrag insoweit unwirksame Regelungen enthält, die für ihn
letztlich günstiger sind, als die eventuell durchsetzbaren verbesserten und damit
wirksamen Regelungen.
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Der Arbeitnehmer kann zudem nur schwer einschätzen, welche Klauseln unwirksam
sind, welche Vorteile sich daraus ergeben und vor Beginn der Verhandlungen auch
kaum beurteilen, ob er eine noch günstigere Vereinbarung durchsetzen kann wie z.B.
die generelle Nichtanrechenbarkeit übertariflicher Zulagen auf Tariflohnerhöhungen.
116
Diese Probleme sind allerdings, wie dieser Fall zeigt, nicht nur mit dem Verbot der
geltungserhaltenden Reduktion verbunden, sondern sie treten auch bei
Auslegungsschwierigkeiten, mehrdeutigen und überraschenden Klauseln auf, ohne
dass sie durch eine geltungserhaltende Reduktion vermieden werden können. Durch
ein Verbot der geltungserhaltenden Reduktion können sie aber insbesondere im
Bereich von Leistung und Gegenleistung auf eine für innerbetriebliche Verhältnisse
kaum zu rechtfertigende Weise verschärft werden, zumal das Verbot eine
undifferenzierte Strafe darstellt, deren Höhe sich nicht danach richtet, wie weit der
Verwender vorformulierter Verträge von einer wirksamen Vereinbarung abgewichen ist,
sondern von dem mit der bestraften Pflichtwidrigkeit in keinem Zusammenhang
stehenden Umstand abhängt, ob und wie weit eine in der vorformulierten Vereinbarung
enthaltene allen Anforderungen gerecht werdende Regelung sich von der gesetzlichen
Regelung unterscheidet.
117
Die Kosten des Rechtsstreits waren den Parteien entsprechend des Verhältnisses ihres
Obsiegens und Unterliegens gemäß § 92 ZPO aufzuerlegen.
118
Die Revision war zuzulassen im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung der dem
Rechtsstreit zu Grunde liegenden Rechtsfragen und im Hinblick auf die Zulassung der
119
Revision im Parallelverfahren 19 Sa 2132/03 = 5 AZR 364/04.
Wolffram
Sandbothe
Aust
120