Urteil des LAG Hamm vom 07.05.2009

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Landesarbeitsgericht Hamm, 8 Sa 1994/08
Datum:
07.05.2009
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
8. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
8 Sa 1994/08
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Iserlohn, 2 Ca 1015/08
Schlagworte:
Betriebsbedingte Kündigung / Kindergarten / Gruppenleiterin /
Sozialauswahl / Berechtigte betrieblicher Interessen / Altersstruktur
Normen:
KSchG § 1 Abs. 3
Leitsätze:
Das berechtigte betriebliche Interesse des Arbeitgebers an der
Aufrechterhaltung einer aus-gewogenen Altersstruktur in einer
pädagogischen Tageseinrichtung für Kinder rechtfertigt eine
Abweichung von den Regeln der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 Satz 1
KSchG allein für die Gruppe der Erzieher und Ergänzungskräfte, nicht
hingegen für den Kreis der Gruppenleiter.
Tenor:
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts
Iserlohn vom 25.11.2008 – 2 Ca 1015/08 – wird auf Kosten des
Beklagten zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass die Verpflichtung des
Beklagten zur Weiterbeschäftigung wie folgt gefasst wird:
Der beklagte Verein wird verurteilt, die Klägerin für die Dauer des
Rechtsstreits arbeitsvertragsgemäß als Gruppenleiterin in der
Tageseinrichtung für Kinder in H1 zu beschäftigen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Mit ihrer Klage wendet sich die Klägerin, welche seit dem 01.09.1996 bei dem beklagten
Verein zunächst als Ergänzungskraft und zuletzt seit dem Jahre 2004 als
Gruppenleiterin in der Tageseinrichtung für Kinder in H1 tätig ist, gegen die Beendigung
ihres Arbeitsverhältnisses durch ordentliche, betriebsbedingte Kündigung vom
28.04.2008.
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Diese Kündigung stützt der beklagte Verein auf den Vortrag, wegen Schließung der
"Maulwurfgruppe" entfalle der Bedarf für die Leitung der bislang von der Klägerin
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geführten Gruppe. Mangels anderer Beschäftigungsmöglichkeit sowie unter Abwägung
von sozialen Gesichtspunkten und betrieblicher Bedürfnisse scheide danach eine
Fortführung des Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin aus. Demgegenüber hat die
Klägerin insbesondere die getroffene Sozialauswahl beanstandet.
Die Klägerin hat im ersten Rechtszuge – soweit für das Berufungsverfahren von Belang
– beantragt:
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1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die
Kündigung des Beklagten vom 28.04 2008 nicht aufgelöst worden ist,
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2. die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin zu unveränderten
Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Durch Urteil vom 20.11.2008 (Bl. 85 ff. d.A.), auf welches wegen des weiteren
erstinstanzlichen Parteivorbringens Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht dem
Klagebegehren im Wesentlichen entsprochen und antragsgemäß festgestellt, dass das
Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des beklagten Vereins nicht
beendet worden ist. Ferner ist der beklagte Verein zur arbeitsvertragsgemäßen
Weiterbeschäftigung der Klägerin verurteilt worden. Zur Begründung ist im
Wesentlichen ausgeführt worden, die ausgesprochene Kündigung scheitere jedenfalls
am Gesichtspunkt der fehlerhaften Sozialauswahl. Unter Berücksichtigung der nach § 1
Abs. 3 Satz 1 KSchG maßgeblichen Auswahlgesichtspunkte könne die Klägerin –
geboren 1963, verheiratet, 1 Kind, beschäftigt seit 1996 – zumindest Vorrang
beanspruchen vor der Gruppenleiterin V1 – geboren 1977, ledig, beschäftigt seit 2001.
Soweit der beklagte Verein auf vorrangige betriebliche Belange im Sinne des § 1 Abs. 3
Satz 2 KSchG verweise, seien die angeführten Gesichtspunkte nicht geeignet, eine
Abweichung von den Grundsätzen der regulären Sozialauswahl zu begründen. Bei den
vorgetragenen positiven Eigenschaften der Mitarbeiterin V1 handele es sich um
unsubstantiiert vorgetragene Werturteile, ohne dass hieraus berechtigte betriebliche
Interessen im Sinne der gesetzlichen Regelung herzuleiten seien. Ebenso wenig
überzeuge der Vortrag des beklagten Vereins, die Weiterbeschäftigung der Mitarbeiterin
V1 sei zur Sicherung einer ausgewogenen Altersstruktur erforderlich. Mit den
Beschäftigten K3 (51 Jahre), der Klägerin (ca. 45 Jahre ), M1 (ca. 35 Jahre) sei auch
nach Entlassung der Mitarbeiterin V1 (31 Jahre) noch eine ausgewogene Altersstruktur
vorhanden, von einer drohenden "Vergreisung" der Belegschaft könne keine Rede sein.
Unter diesen Umständen erweise sich die Kündigung offensichtlich als sozialwidrig,
weswegen der beklagte Verein zugleich zur arbeitsvertragsgemäßen
Weiterbeschäftigung der Klägerin zu verurteilen sei.
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Mit seiner rechtzeitig eingelegten und begründeten Berufung hält der beklagte Verein an
seinem Standpunkt zur Rechtswirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung fest.
Abweichend von den Ausführungen des arbeitsgerichtlichen Urteils gehe es bei der
Herausnahme der Mitarbeiterin V1 aus der Sozialauswahl nicht um eine Bestenauslese,
sondern um die Berücksichtigung pädagogischer und zwischenmenschlicher
Kompetenzen, auf welche es gerade im Bereich der pädagogischen Berufe in hohem
Maße ankomme. Dementsprechend könne nicht beanstandet werden, dass der beklagte
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Verein bei seiner Auswahlentscheidung den Umstand berücksichtigt habe, dass sich
auch die übrigen Personen, welche mit Frau V1 zusammen arbeiteten, eindeutig für
deren Weiterbeschäftigung ausgesprochen hätten. Wie bereits im ersten Rechtszuge
vorgetragen, zeichne sich die Mitarbeiterin V1 insbesondere durch ihr Engagement und
ihren Ideenreichtum aus, auch die Tatsache, dass Eltern, Kinder wie auch die Leitung
des Kindergartens und die Kolleginnen unisono der Auffassung seien, die Mitarbeiterin
V1 sei gegenüber der Klägerin vorzugswürdig, mache deutlich, dass hier das Interesse
des beklagten Vereins am Erhalt einer funktionsfähigen und homogenen Belegschaft
mit einer vertrauensvollen Zusammenarbeit vorrangig berücksichtigt werden müsse.
Entsprechendes gelte für den Gesichtspunkt der ausgewogenen Altersstruktur. Gerade
im Bereich der Erziehung und Betreuung von Kindern müsse einer Zusammensetzung
der Belegschaft aus Großmüttern entgegengewirkt werden, darüber hinaus seien
gerade die jüngeren Mitarbeiterinnen in der Lage, sich den aktuellen Anforderungen und
der pädagogischen Arbeit zu stellen. Schließlich müsse bei der Auswahlentscheidung
auch die Tatsache berücksichtigt werden, dass die Mitarbeiterin Frau V1 seit Anbeginn
ihrer Tätigkeit (2001) in der Funktion einer Gruppenleiterin tätig gewesen sei,
wohingegen die Klägerin eine entsprechende Aufgabenstellung erst seit dem Jahre
2004 übertragen erhalten habe. Damit verfüge Frau V1 ersichtlich über einen deutlich
größeren Erfahrungsschatz auf dem Gebiet der Gruppenleitung, so dass insgesamt
jedenfalls von einer ausreichenden Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte
auszugehen sei.
Der beklagte Verein beantragt,
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die Klage unter Abänderung des angefochtenen Urteils abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt die arbeitsgerichtliche Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung
ihres Vorbringens als zutreffend und präzisiert ihren Weiterbeschäftigungsantrag wie
aus dem Tenor des Berufungsurteils ersichtlich.
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Entscheidungsgründe
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Die Berufung des beklagten Vereins bleibt ohne Erfolg.
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I
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Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis ist durch die angegriffene
Kündigung vom 28.04.2008 nicht beendet worden.
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1. Nachdem die Klägerin ursprünglich mit Arbeitsvertrag vom 30.07.1996 als
Ergänzungskraft der Tageseinrichtung für Kinder in H1 eingestellt worden ist, enthalten
die nachfolgend abgeschlossenen Arbeitsverträge eine entsprechende Beschränkung
auf eine bestimmte Einrichtung des beklagten Vereins nicht. Vielmehr heißt es insoweit,
dass die Klägerin als Angestellte im Dienste des D4-K5 beschäftigt ist. Im Arbeitsvertrag
vom 10.11.2004 behält sich der beklagte Verein des Weiteren ein außerordentliches
Kündigungsrecht für den Fall vor, dass wesentliche Aufgaben des D4-K5 im Bereich
Tageseinrichtungen für Kinder eingeschränkt werden oder gänzlich wegfallen. Schon
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die Verwendung des Begriffs Tageseinrichtungen in der Mehrzahl spricht damit gegen
eine Beschränkung der vertraglichen Aufgabenstellung im Zeitpunkt des
Vertragsschlusses auf einen Einsatz in der Einrichtung H1. Der Hinweis auf die tarifliche
Regelung des BAT und das dort vorgesehenen Direktionsrecht wie auch die in § 6
vorgesehene Schriftform für Nebenabreden sprechen ebenfalls dagegen, dass die
Klägerin arbeitsvertraglich – abweichend vom schriftlichen Arbeitsvertrag –
ausschließlich für die Tageseinrichtung H1 eingestellt ist.
Auch die Voraussetzungen einer nachträglichen Beschränkung des vertraglich
vereinbarten Arbeitsorts liegen nicht vor. Soweit die Beklagte in diesem Zusammenhang
auf die Möglichkeit einer nachträglichen "Konkretisierung" im Sinne einer
stillschweigend vereinbarten Beschränkung der vertraglichen Aufgabenstellung auf die
Einrichtung H1 verweist, spricht hiergegen zum einen bereits die arbeitsvertraglich
vereinbarte Schriftformklausel. Zum anderen genügt allein der Umstand, dass die
Klägerin durchgängig und ausnahmslos seit dem Jahre 1996 stets in der Einrichtung H1
beschäftigt worden ist, keinesfalls zur Annahme einer entsprechenden
Vertragsänderung. Gleich ob man für die sog. Konkretisierung auf die Grundsätze einer
stillschweigend getroffenen Vereinbarung oder die Voraussetzungen der "Erwirkung" (§
242 BGB) abstellt, sind keine Gesichtspunkte ersichtlich, aus welchen sich ein
entsprechender Erklärungs- oder Vertrauenstatbestand zu Gunsten einer der beiden
Vertragsparteien ergeben könnte. Allein die Tatsache, dass der Arbeitgeber den
Arbeitnehmer über einen langen Zeitraum an einen bestimmten Arbeitsort bzw. in einer
bestimmten Abteilung beschäftigt oder ihm durchgängig bestimmte Arbeitsaufgaben
zuweist, bietet für sich genommen keine Grundlage für die Annahme eines rechtlichen
Bindungswillens im Sinne einer Änderung des Arbeitsvertrages, sondern erklärt sich
ohne weiteres aus dem unveränderten Beschäftigungsbedarf. Allein für den Fall, dass
das Verhalten der Vertragsparteien beim Vollzug des Arbeitsverhältnisses erkennen
lässt, es solle trotz vorhandenen Anlasses – etwa auf entsprechend geäußerten und
akzeptierten Wunsch hin – von einer Änderung des Arbeitseinsatzes abgesehen
werden, kommt ein Verständnis dieses Verhaltens als stillschweigende
Vertragsänderung in Betracht.
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Folgt man diesem Ausgangspunkt, so sind die rechtlichen Anforderungen für die soziale
Rechtfertigung der Kündigung auf den Betrieb insgesamt und nicht allein auf die
Tageseinrichtung H1 zu beziehen. Dies gilt sowohl für die betriebsbedingten Gründe –
also das Fehlen von Beschäftigungsmöglichkeiten einschließlich freier bzw. frei
werdender Arbeitsplätze –, als auch für die betriebsweit durchzuführende
Sozialauswahl. Dass in keiner der Tageseinrichtungen des beklagten Vereins mit der
Klägerin vergleichbare Kräfte beschäftigt sind bzw. sämtliche im Betrieb tätigen
Gruppenleiterinnen unter sozialen Gesichtspunkten Vorrang vor der Person der Klägerin
beanspruchen können, trägt der beklagte Verein selbst nicht vor.
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2. Aber auch wenn man die rechtliche Überprüfung auf die Verhältnisse in der
Tageseinrichtung H1 beschränkt, scheitert die ausgesprochene Kündigung in
Übereinstimmung mit dem arbeitsgerichtlichen Urteil jedenfalls an den Erfordernissen
einer ausreichenden Sozialauswahl.
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a) Sowohl im Vergleich zu der jüngeren Gruppenleiterin V1 als auch im Vergleich zu der
Gruppenleiterin M1 kann die Klägerin auf der Grundlage der nach § 1 Abs. 3
Satz1KSchG maßgeblichen Gesichtspunkte einen höheren Schutz beanspruchen. Frau
M1 ist zwar ca. 14 Monate länger als die Klägerin beschäftigt, jedoch 10 Jahre jünger
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und ledig, wohingegen die Klägerin für ihre 15jährige Tochter unterhaltspflichtig ist. Erst
recht genießt die Klägerin einen deutlich höheren Schutz im Vergleich zur
Gruppenleiterin V1, welche nach sämtlichen für die Sozialauswahl maßgeblichen
Kriterien im Vergleich zur Klägerin als weniger schutzwürdig erscheint. Zutreffend hat
das Arbeitsgericht auf dieser Grundlage ausgeführt, dass soziale Gesichtspunkte nicht
ausreichend berücksichtigt worden sind.
b) In Übereinstimmung mit dem arbeitsgerichtlichen Urteil liegen auch keine
berechtigten betrieblichen Belange im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG vor.
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(1) Soweit es die vom beklagten Verein herausgestellten besonderen Kenntnisse,
Fähigkeiten und Leistungen der Frau V1 betrifft, kann hiermit allein belegt werden, dass
die Weiterbeschäftigung der Frau V1 aus Sicht des beklagten Vereins als
wünschenswert oder vorteilhaft erscheint, ohne dass die vorgetragenen Umstände
jedoch den Anforderungen eines "berechtigten betrieblichen Interesses" im Sinne des
Gesetztes genügen. Weder erlaubt der Sachvortrag des beklagten Vereins eine
Nachprüfung anhand konkreter Tatsachen, noch ist zu erkennen, dass den behaupteten
Vorzügen der Frau V1 gegenüber den an sich maßgeblichen sozialen Gesichtspunkten
ein solches Gewicht zukommt, dass sich hieraus eine Durchbrechung der
Sozialauswahl rechtfertigt. Die Feststellung eines berechtigten betrieblichen Interesses
an der Weiterbeschäftigung bestimmter Arbeitnehmer im Sinne des § 1 Abs.3 Satz 2
KSchG setzt eine Abwägung des Gewichts dieses Interesses mit den durch die
Wertungen von § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG belegten sozialen Interessen des
Arbeitnehmers voraus (vgl. KR-Griebeling, 8. Aufl., § 1 KSchG Rz. 627; BAG,
12.04.2002, AP Nr. 56 zu § 1 KSchG 1969). Inwiefern eine sinnvolle erzieherische
Arbeit in der Tageseinrichtung mit der Klägerin nur auf unterdurchschnittlichem Niveau
geleistet werden kann, hingegen den dargestellten Vorzügen der Frau V1 auf
pädagogischem Gebiet ein solches Gewicht beizumessen ist, dass die Entlassung der
sozial schutzwürdigeren Klägerin hingenommen und die Weiterbeschäftigung der Frau
V1 als gerechtfertigt erscheint, vermag die Kammer nicht nachzuvollziehen.
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(2) Entsprechendes gilt für die gesteigerte Akzeptanz der Frau V1 bei Kindern, im
Kollegenkreis und in der Elternschaft. Auch wenn nicht zu verkennen ist, dass die
genannten Gesichtspunkte für die erfolgreiche pädagogische Arbeit durchaus von
Belang sind, genügen die Ausführungen des beklagten Vereins nicht für die Annahme,
eine Zusammenarbeit mit der Klägerin anstelle der Frau V1 scheitere an konkreten
Unzuträglichkeiten. Dass es in der Vergangenheit konkrete Probleme mit der Klägerin
gegeben habe, als diese der "Maulwurfgruppe" vorstand, ist nicht ersichtlich. Auch der
Umstand, dass der Klägerin nach längerer Tätigkeit als Ergänzungskraft im Jahre 2004
die Position als Gruppenleiterin übertragen wurde, spricht deutlich gegen ernstliche
Störungen der Arbeitsbeziehungen zu Kindern, Arbeitskollegen und Elternschaft. Dass
es im Vorfeld der Kündigung im Hinblick auf die Auswahl eines zu entlassenden
Arbeitnehmers zu einer gewissen Beeinträchtigung des kollegialen Zusammenhalts
kommt, stellt keine Besonderheit des vorliegenden Falles dar. Entsprechendes gilt,
soweit sich in der Elternschaft der Wunsch zeigt, die Weiterbeschäftigung eines
besonders geschätzten Mitarbeiters unter Hintanstellung sozialer Gesichtspunkte zu
erreichen. Dass im Falle der Entlassung der Frau V1 Abmeldungen von Kindern drohen
oder sonstige greifbare Probleme zu erwarten seien, welche in Anlehnung an die
Grundsätze der Druckkündigung die Abweichung von den Grundsätzen des § 1 Abs. 3
Satz 1 KSchG begründen könnten, trägt der beklagte Verein selbst nicht vor. Vielmehr
handelt es sich bei den vorgetragenen Erwägungen um durchaus nachvollziehbare,
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aber in Anbetracht der gesetzlichen Regelung nicht ausreichend gewichtige
Gesichtspunkte. Bei der gebotenen Abwägung der Interessen muss es danach beim
Vorrang der sozialen Gesichtspunkte verbleiben.
(3) Entsprechende Überlegungen gelten auch für den Gesichtspunkt der längeren
Gruppenleitererfahrung der Frau V1. Inwiefern sich die geringere Erfahrung der Klägerin
in der Funktion der Gruppenleitung jemals nachteilig ausgewirkt hat, ist nicht ersichtlich,
die längere Erfahrungszeit der Frau V1 stellt danach allenfalls einen wünschenswerten
Vorzug dar, welcher zur Abweichung von der regulären Sozialauswahl nicht genügt.
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(4) Schließlich ergibt sich auch unter dem Gesichtspunkt der Sicherung einer
ausgewogenen Altersstruktur nichts anderes. Der bisherige Altersdurchschnitt der vier
beschäftigten Gruppenleiterinnen beträgt bislang etwa 40,5 Jahre, im Falle des
Ausscheidens der jüngsten Gruppenleiterin Frau V1 steigt er auf etwa 43,6 Jahre,
wohingegen bei Entlassung der Klägerin eine Absenkung des Altersdurchschnitts auf
etwa 39 Jahre zu erzielen wäre. Von einer "Vergreisung" oder auch nur von einer
Überalterung der Belegschaft kann auf dieser Grundlage aber keinesfalls ausgegangen
werden, auch von einer Erziehung durch "Großmütter" kann keine Rede sein.
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Darüber hinaus ist zu beachten, dass das Erfordernis einer "ausgewogenen"
Altersstruktur nur unter der Voraussetzung eine Abweichung von den an sich
maßgeblichen sozialen Gesichtspunkten rechtfertigen kann, wenn die Ausgewogenheit,
d.h. die gleichmäßige Verteilung verschiedener Altersgruppen in der Belegschaft, nach
der konkreten betrieblichen Arbeitsorganisation für die Erreichung des Betriebszwecks
von Belang ist. So mag es bei einem größeren Friseursalon sinnvoll erscheinen,
entsprechend dem unterschiedlichen Alter der Kunden auch Personal in
entsprechender Altersstaffelung zu beschäftigen, um entsprechende
Kundenerwartungen zu befriedigen. Auch in einem Produktionsbetrieb wird vielfach
eine Altersstaffelung der Belegschaft sinnvoll sein, um den Gesichtspunkten
körperlicher Leistungsfähigkeit einerseits und langjähriger Erfahrung andererseits
Rechnung zu tragen.
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Auch in Bezug auf die in pädagogischen Einrichtungen eingesetzten Erziehungskräfte
erscheint der Einsatz von Mitarbeitern unterschiedlichen Geschlechts und Alters ohne
weiteres als sinnvoll, so dass die Bildung von Altersgruppen nicht beanstandet werden
kann (vgl. BAG, 06.07.2006, 2 AZR 442/05, NZA 2007, 139 ff.). Demgegenüber geht es
bei dem hier in die Sozialauswahl einbezogenen Personenkreis um die Position der
Gruppenleiterinnen. Das nachvollziehbare Ziel des beklagten Vereins, zu vermeiden,
dass die in der Tageseinrichtung betreuten Kinder nicht nur von älteren Kräften, sondern
– der familiären Situation entsprechend – auch von jüngeren Kräften betreut werden,
kann nicht dadurch verwirklicht werden, dass einzelne Gruppenleiterinnen jünger,
andere hingegen deutlich älter sind. Diejenigen Kinder, welche etwa in der von Frau K3
geleiteten Gruppe betreut werden, erleben eine über 50 Jahre alte Gruppenleiterin,
diejenigen Kinder, die bislang in der von Frau V1 geleiteten Gruppe betreut wurden,
trafen auf eine Gruppenleiterin im Alter von etwas über 30 Jahren. Der Gesichtspunkt
der ausgewogenen Altersstruktur kann aber allein bedeuten, dass innerhalb einer
betreuten Gruppe jüngere wie auch ältere pädagogische Kräfte anzutreffen sind, welche
an den in der Gruppe betreuten Kindern eine gemeinsame Erziehungsaufgabe
vollziehen. Die Schaffung einer speziellen Altersstruktur für die Gruppenleiterinnen
macht demgegenüber keinen Sinn. So betraf die vom Bundesarbeitsgericht (a.a.O.)
gebilligte Altersgruppenbildung allein den Kreis der Erzieherinnen. Leiterinnen und
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Pädagogen waren demgegenüber hiervon ausgenommen.
Im Ergebnis können damit die vom beklagten Verein vorgetragenen Ausführungen zur
Frage der ausgewogenen Altersstruktur eine Abweichung von der Sozialauswahl nach
§ 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG nicht rechtfertigen.
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II
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Aus dem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses ergibt sich die Verpflichtung des
beklagten Vereins, die Klägerin bis zum Abschluss des Rechtsstreits
arbeitsvertragsgemäß weiter zu beschäftigen. Nachdem die Klägerin die nach der
ursprünglichen Antragsfassung verbleibenden Unklarheiten ausgeräumt und ihren
Weiterbeschäftigungsantrag konkreter gefasst hat, bestehen gegen die Bestimmtheit
des Klageantrages keine Bedenken. Allein der Umstand, dass die Klägerin – jedenfalls
nach ihrem Standpunkt – nicht allein für die Tageseinrichtung H1, sondern für den
gesamten Betrieb eingestellten ist, zwingt auch nicht etwa zu einer entsprechend weiten
Fassung des Weiterbeschäftigungsantrages. Nachdem der beklagte Verein der Klägerin
auf der Grundlage des arbeitsvertraglichen Direktionsrechts einen konkreten Einsatzort
zugewiesen hat, ist dieser bis zur Erteilung einer gegenteiligen Weisung für den Inhalt
des Weiterbeschäftigungsanspruchs maßgeblich. Dementsprechend ist die Klägerin bis
zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens in der Funktion der Gruppenleiterin in der
Tageseinrichtung H1 zu beschäftigen.
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III
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Die Kosten der erfolglosen Berufung hat der beklagte Verein zu tragen.
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IV
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Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 72 ArbGG liegen nicht
vor.
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