Urteil des LAG Hamm vom 14.12.2005

LArbG Hamm: arbeitsunfähigkeit, rechtskräftiges urteil, krankenkasse, arbeitsgericht, beweislast, schweigepflicht, krankheitsfall, auskunft, diagnose, unfallfolgen

Landesarbeitsgericht Hamm, 18 Sa 168/05
Datum:
14.12.2005
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
18. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
18 Sa 168/05
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Arnsberg, 2 (1) Ca 1067/04
Schlagworte:
Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Fortsetzungserkrankung, neue
Erkrankung, Verteilung der Darlegungs- und Beweislast bei der
Fortsetzungserkrankung
Normen:
§§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 EFZG
Leitsätze:
1. Ist ein Arbeitnehmer innerhalb der Zeiträume des § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr.
1 und 2 EFZG länger als sechs Wochen arbeitsunfähig krank, reicht die
Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht aus, um
das Vorliegen einer neuen Erkrankung nachzuweisen.
2. Bestreitet der Arbeitgeber das Vorliegen einer neuen Erkrankung, hat
der Arbeitnehmer Tatsachen darzulegen, die den Schluss erlauben, es
habe keine Fortsetzungserkrankung vorgelegen. Der Arbeitnehmer hat
dabei die Ärzte, die ihn behandelt haben, von der ärztli-chen
Schweigepflicht zu entbinden.
3. Die Folgen der Nichterweislichkeit einer Fortsetzungserkrankung trägt
der Arbeitgeber, den nach der sprachlichen Fassung des § 3 Abs. 1 Satz
2 Nr. 1 und 2 EFZG die Beweislast trifft.
Rechtskraft:
Die Revision wird nicht zugelassen
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts
Arnsberg vom 15.12.2004 - 2 (1) Ca 1067/04 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung werden der Beklagten auferlegt.
T a t b e s t a n d
1
Die Parteien streiten über Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für den Zeitraum vom
26.02.2004 bis zum 07.04.2004.
2
Die am 10.11.1964 geborene Klägerin ist seit dem 06.01.1992 bei der Beklagten als
Bäckergesellin tätig. Ihr monatliches Bruttoeinkommen beträgt 2.160,20 €.
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Am 06.01.2004 erlitt die Klägerin einen Wegeunfall. Aufgrund dieses Wegeunfalls war
sie in der Zeit vom 07.01.2004 bis zum 23.02.2004 arbeitsunfähig krank. Sie wurde
wegen des Wegeunfalls behandelt von dem Durchgangsarzt Dr. R. B4xxxxxxxx,
Chefarzt des Krankenhauses M2xxx H4xx in W1xxxxxx.
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Die Beklagte zahlte zunächst für diesen Zeitraum keine Entgeltfortzahlung. Durch
rechtskräftiges Urteil des Arbeitsgerichts Arnsberg vom 11.07.2004 wurde die Beklagte
verurteilt, als Entgeltfortzahlung für diesen Zeitraum an Klägerin 3.008,33 € zu leisten.
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Ab 26.02.2004 bis zum 27.04.2004 war die Klägerin erneut arbeitsunfähig krank.
Behandelt wurde sie in diesem Zeitraum von dem Facharzt für Orthopädie Dr. F.
T1xxxxxxx. Die Beklagte weigerte sich, für diesen Zeitraum Entgeltfortzahlung zu
leisten.
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Mit dieser am 26.07.2004 erhobenen Klage, die der Beklagten am 31.07.2004 zugestellt
worden ist, hat die Klägerin Entgeltfortzahlung für den Zeitraum vom 26.02.2004 bis zum
07.04.2004 von der Beklagten begehrt.
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Die Klägerin hat vorgetragen, sie sei in dem Zeitraum vom 26.02.2004 bis zum
07.04.2004 aufgrund eines Wirbelsäulenleidens arbeitsunfähig krank gewesen. Es habe
sich um keine Fortsetzungserkrankung gehandelt. Aufgrund der wirbelsäulenbedingten
Probleme habe sie sich ab 26.02.2004 in die Behandlung des Dr. T1xxxxxxx begeben
und sei erneut arbeitsunfähig krank geworden.
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Durch Versäumnisurteil vom 18.08.2004 hat das Arbeitsgericht die Beklagte verurteilt,
an die Klägerin 3008,33 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem
Basiszinssatz seit dem 31.07.2004 zu zahlen. Das Versäumnisurteil wurde der
Beklagten am 26.08.2004 zugestellt. Die Beklagte hat gegen das Versäumnisurteil am
27.08.2004 Einspruch eingelegt.
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Die Klägerin hat beantragt,
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das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Arnsberg vom 18.08.2004 aufrecht
zu erhalten.
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Die Beklagte hat beantragt,
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das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Arnsberg vom 18.08.2004
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, ein Anspruch der Klägerin auf
Entgeltfortzahlung für den Zeitraum vom 26.02.2004 bis zum 07.04.2004 bestehe nicht.
Sie hat behauptet, die Arbeitsunfähigkeit ab 26.02.2004 sei keine neue Erkrankung,
sondern handele sich um dieselbe Erkrankung, die Ursache der vorangegangenen
Arbeitsunfähigkeit gewesen sei. Der Arzt Dr. T1xxxxxxx habe der Krankenkasse
gegenüber bestätigt, dass es sich um eine Fortsetzungserkrankung gehandelt habe.
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Durch Urteil vom 15.12.2004 hat das Arbeitsgericht das Versäumnisurteil vom
18.08.2004 aufrecht erhalten. Die weiteren Kosten des Rechtsstreits sind der Beklagten
auferlegt worden.
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In den Entscheidungsgründen hat das Arbeitsgericht ausgeführt, eine
Fortsetzungserkrankung sei nicht bewiesen. Die schriftliche Auskunft des Dr. T1xxxxxxx
gegenüber der Krankenkasse sei nicht ausreichend. Sie beziehe sich lediglich auf den
Zeitraum 26.02.2004 bis zum 15.03.2004. Im Übrigen ergebe sich aus dem Schreiben
nicht, warum es sich eine Folgeerkrankung gehandelt habe.
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Gegen diese ihr am 04.01.2005 zugestellte und wegen der sonstigen Einzelheiten
hiermit in Bezug genommene Entscheidung hat die Beklagte am 27.01.2005 Berufung
eingelegt und diese ebenfalls am 27.01.2005 begründet.
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Die Beklagte greift das arbeitsgerichtliche Urteil insgesamt an. Sie stützt sich weiterhin
maßgeblich auf ihren erstinstanzlichen Vortrag.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Arnsberg vom 15.12.2004 – 2 (1) Ca 1067/04
– abzuändern und das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Arnsberg vom
18.08.2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Arnsberg
vom 15.12.2004 – 2 (1) Ca 1067/04 – zurückzuweisen.
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Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen den Parteien
gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen verwiesen.
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Das Berufungsgericht hat Beweis erhoben durch die Einholung von Auskünften nach §
377 Abs. 3 ZPO bei den sachverständigen Zeugen Dr. T1xxxxxxx und Dr. B4xxxxxxxx.
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die schriftlichen Aussagen des
Dr. T1xxxxxxx vom 24.06.2005 (Bl. 106 f d. A.) und vom 25.08.2005 (Bl. 117 f d.A.) und
auf die schriftlichen Aussagen des Dr. B4xxxxxxxx vom 08.06.2005 (Bl. 103 bis 105
d.A.) und vom 12.07.2005 (Bl. 111 f d.A.) verwiesen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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A. Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet.
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I. Der Klägerin steht für die Zeit vom 26.02.2004 bis zum 07.04.2004 der begehrte
Entgeltfortzahlungsanspruch im Krankheitsfalle gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 EFZG in
Verbindung mit dem Arbeitsvertrag in Höhe von 3.008,33 € zu.
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1. Nach § 3 Abs. 1 EFZG hat ein Arbeitnehmer einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung
im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer
von sechs Wochen, wenn er durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner
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Arbeitsleistung verhindert ist, ohne dass ihn ein Verschulden trifft.
Wird der Arbeitnehmer nach wiederhergestellter Arbeitsfähigkeit erneut
krankheitsbedingt arbeitsunfähig, so entsteht ein neuer Anspruch nach § 3 Abs. 1 EFZG
auf Entgeltfortzahlung für die Dauer von sechs Wochen, wenn die Arbeitsunfähigkeit auf
einer anderen Krankheit beruht.
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Ist dagegen dieselbe Krankheit Ursache für die erneute Arbeitsunfähigkeit, liegt eine
Fortsetzungserkrankung vor. In diesem Fall entsteht die Leistungspflicht des
Arbeitgebers nicht mit jeder einzelnen Erkrankung neu. Nach § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG
besteht bei Fortsetzungserkrankungen ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch nur, wenn
der Arbeitnehmer vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit mindestens sechs Monate nicht
infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig war (Nr. 1) oder seit Beginn der ersten
Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit eine Frist von zwölf Monaten abgelaufen
ist (Nr. 2).
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a) Wiederholte Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit und damit eine
Fortsetzungserkrankung liegt vor, wenn die Krankheit, auf der die frühere
Arbeitsunfähigkeit beruhte, in der Zeit zwischen dem Ende der vorausgegangenen und
dem Beginn der neuen Arbeitsunfähigkeit medizinisch nicht vollständig ausgeheilt war,
sondern als Grundleiden latent weiter bestanden hat, so dass die neue Erkrankung nur
eine Fortsetzung der früheren Erkrankung darstellt. Die wiederholte Arbeitsunfähigkeit
muss auf demselben nicht behobenen Grundleiden beruhen. Dieses kann auch
verschiedene Krankheitssymptome zur Folge haben (vgl. BAG, Urteil vom 13.07.2005 –
5 AZR 389/04 – DB 2005, 2359; BAG, Urteil vom 04.12.1985 – 5 AZR 656/84 – NZA
1986, 286; BAG, Urteil vom 14.11.1984 - 5 AZR 394/82 – DB 1985, 710;
Marienhagen/Künzl, EFZG, § 3 Rz. 54; Schmitt, EFZG, 5. Aufl., § 3 Rz. 221 ff.,
Geyer/Knorr/Grasney, EFZG, § 3 Rz. 194 ff.).
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b) Im Rahmen der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast muss zunächst der
Arbeitnehmer darlegen, dass eine neue Erkrankung und keine Fortsetzungserkrankung
vorliegt.
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Der Unkenntnis des Arbeitgebers von den Krankheitsursachen ist bei der Verteilung der
Darlegungslast zum Bestehen einer Fortsetzungserkrankung Rechnung zu tragen. Der
Arbeitgeber ist nicht in der Lage, das Bestehen einer Fortsetzungserkrankung
darzulegen, weil er über die Ursachen der Arbeitsunfähigkeit durch die
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht unterrichtet wird. Zwar kann er nach § 69
Abs. 4 SGB X bei der zuständigen Krankenkasse nachfragen, ob eine
Fortsetzungserkrankung vorliegt. Diese Vorschrift greift jedoch nicht bei Arbeitnehmern,
die nicht in einer gesetzlichen Krankenkasse versichert sind. Hinzu kommt, dass für den
Arbeitgeber keine Möglichkeit besteht, die wertende Mitteilung der Krankenkasse zu
überprüfen. Der Arbeitnehmer muss deshalb darlegen, dass keine
Fortsetzungserkrankung vorliegt. Hierzu kann er eine ärztliche Bescheinigung vorlegen.
Bestreitet der Arbeitgeber das Vorliegen einer neuen Krankheit, obliegt dem
Arbeitnehmer die Darlegung der Tatsachen, die den Schluss erlauben, es habe keine
Fortsetzungserkrankung vorgelegen. Dabei hat der Arbeitnehmer den Arzt von der
Schweigepflicht zu entbinden.
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c) Die Folgen der Nichterweislichkeit einer Fortsetzungserkrankung sind allerdings vom
Arbeitgeber zu tragen, denn nach der sprachlichen Fassung des § 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 1
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und 2 EFZG trifft den Arbeitgeber die objektive Beweislast (vgl. zur Änderung der
Rechtsprechung des BAG zur Darlegungslast des Arbeitnehmers bei einer
Fortsetzungserkrankung BAG, Urteil vom 13.07.2005 – 5 AZR 289/04 – DB 2005, 2359).
2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die Klägerin ihrer Darlegungslast für
das Vorliegen einer neuen Erkrankung nachgekommen.
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Sie hat sich auf den Nachschaubericht der sie behandelnden Durchgangsärzte Drs.
B4xxxxxxxx und S7xxxxxxx, Krankenhaus M2xxx H4xx in W1xxxxxx vom 18.02.2004
berufen und diese Ärzte sowie den Arzt Dr. T1xxxxxxx, der sie ab 26.02.2004 behandelt
hat, von der ärztlichen Schweigepflicht entbunden.
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3. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist nicht bewiesen, dass es sich bei der
Erkrankung der Klägerin ab 26.02.2004 um eine Fortsetzung der Erkrankung aufgrund
der Unfallverletzung vom 06.01.2005 handelt. Den Nachteil des nicht erbrachten
Beweises hat die Beklagte nach den oben aufgezeigten Grundsätzen zu tragen.
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a) Zwar hat der sachverständige Zeuge Dr. T1xxxxxxx in seiner Auskunft vom
24.06.2005 und vom 25.08.2005 bestätigt, dass die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin ab
26.02.2004 "absolut und eindeutig" auf die Verletzung vom 06.01.2004 beruhe.
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b) Diese Feststellung des Dr. T1xxxxxxx steht aber im Widerspruch zu den schriftlichen
Bekundungen des Durchgangsarztes Dr. B4xxxxxxxx vom 08.06.2005 und vom
12.07.2005. Dr. B4xxxxxxxx stimmt den Feststellungen des sachverständigen Zeugen
T1xxxxxxx weder bezüglich des Ursachenzusammenhangs noch bezüglich der
weiteren Behandlungsindikation zu. Nach den Feststellungen des Dr. B4xxxxxxxx war
die Arbeitunfähigkeit der Klägerin wegen der Unfallfolgen am 22.02.2004 beendet.
Unfallfolgen waren zum Zeitpunkt der Abschlussuntersuchung am 18.02.2004 nicht
mehr zu objektivieren.
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Angesichts der Feststellungen des Dr. B4xxxxxxxx kann auch unter Berücksichtigung
der Bekundungen des sachverständigen Zeugen T1xxxxxxx nicht ausgeschlossen
werden, dass es sich bei der Erkrankung ab 26.02.2004 um eine neue Erkrankung
handelt. Wie im Abschlussbericht des Dr. B4xxxxxxxx vom 18.02.2004 dargelegt,
wurden bei der Abschlussuntersuchung bei der Klägerin andere unfallunabhängige
wirbelsäulenbedingte gesundheitliche Probleme festgestellt. Auch Dr. T1xxxxxxx
erweitert die primäre Diagnose Schulterprellung um eine Verletzung der
Brustwirbelsäule und der angrenzenden Halswirbelsäule sowie des linken Armes. Es ist
nicht auszuschließen, dass ab 26.02.2004 Ursache der Erkrankung ein nicht
unfallbedingtes Wirbelsäulenleiden war. Dies gilt um so mehr, da zu berücksichtigen ist,
dass der sachverständige Zeuge Dr. T1xxxxxxx, im Gegensatz zu dem
sachverständigen Zeugen Dr. B4xxxxxxxx, seine Diagnose maßgeblich auf die
subjektive Darstellung der Beschwerden durch die Klägerin gestützt hat.
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II. Der Zinsanspruch ist gem. §§ 288 Abs. 1, 291 BGB gerechtfertigt.
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B. Nach alledem hat das Rechtsmittel keinen Erfolg.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
44
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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Knipp
Sikora
Bögershausen
46
/Gr.
47