Urteil des LAG Hamm vom 24.02.2010

LArbG Hamm (anwaltliche vertretung, partei, zpo, kläger, bedürftige partei, vertretung, erforderlichkeit, bag, erste instanz, höhe)

Landesarbeitsgericht Hamm, 14 Ta 518/09
Datum:
24.02.2010
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
14. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
14 Ta 518/09
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Bielefeld, 4 Ca 919/09
Nachinstanz:
Bundesarbeitsgericht, 3 AZB 9/10
Schlagworte:
Beiordnung, Erforderlichkeit, Prozesskostenhilfe
Normen:
§ 121 Abs. 2 ZPO
Leitsätze:
1. Die Beiordnung eines Rechtsanwalts im Sinne des § 121 Abs. 2 Alt. 1
ZPO ist erforderlich, wenn aus Gründen in dem der Rechtsverfolgung
zugrundeliegenden Anspruch oder in dem dafür erforderlichen Verfahren
(Sach- und Rechtslage) oder aus Gründen in der Person der Partei eine
anwaltliche Vertretung im Verfahren notwendig ist. Entscheidend ist, ob
eine Partei, welche nicht auf Prozesskostenhilfe angewiesen ist, unter
Abwägung ihrer Prozessrisiken und Berücksichtigung ihres
Kostenrisikos in einem vergleichbaren Fall vernünftigerweise einen
Rechtsanwalt hinzuziehen würde.
2. Die Annahme, der erste Rechtszug sei gerade in Arbeitssachen voller
materiell-rechtlicher und verfahrensrechtlicher Fallstricke, rechtfertigt
eine Beiordnung nicht (gegen LAG Sachsen, 23. Juni 1998, 2 Ta 99/98,
LAGE ZPO § 114 Nr. 31). Ebenso wenig reicht es aus, dass zum
Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfe- und
Beiordnungsgesuchs der weitere Verfahrensablauf nicht absehbar ist,
insbesondere ob, wie und wann der Arbeitgeber sich gegen die Klage
verteidigen wird (gegen LAG Niedersachsen, 4. Juni 2004, 10 Ta
241/04, LAGE ZPO 2002 § 114 Nr. 2).
3. Sind im Falle einer Zahlungsklage zum Zeitpunkt der Entscheidung
über eine Beiordnung die Ermittlung der tatsächlichen und rechtlichen
Voraussetzungen des Anspruchsgrundes sowie die Berechnung der
Höhe der Zahlungsforderung einfach und liegen Einwendungen der
Gegenseite nicht vor, so dass insgesamt Schwierigkeiten bei der
gerichtlichen Durchsetzung des Zahlungsanspruchs nicht zu erwarten
sind, hat die Partei - unter Inanspruchnahme der Hilfe der
Rechtsantragsstelle - ihre Zahlungsforderung zunächst selbst
klageweise zu verfolgen.
Tenor:
Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des
Arbeitsgerichts Bielefeld vom 18. Juni 2009 (4 Ca 919/09) wird auf seine
Kosten zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe:
1
Die gemäß § 46 Abs. 2, § 78 ArbGG, § 127 Abs. 2, §§ 567 ff. ZPO zulässige sofortige
Beschwerde des Klägers ist unbegründet. Zu Recht hat das Arbeitsgericht trotz
Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Zahlungsklage die Beiordnung eines
Rechtsanwalts abgelehnt.
2
Die Voraussetzungen einer Beiordnung nach § 121 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Eine
Beiordnung nach der zweiten Alternative dieser Vorschrift scheidet aus, weil die
Beklagte in dem Verfahren anwaltlich nicht vertreten war. Ebenso wenig war die
Beiordnung erforderlich im Sinne des § 121 Abs. 2 Alt. 1 ZPO. Die Voraussetzungen
hierfür sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt.
3
1. Die nach § 121 Abs. 2 Alt. 1 ZPO bestehende Voraussetzung, dass in Verfahren, in
denen eine anwaltliche Vertretung nicht vorgeschrieben ist, einer Partei ein zur
Vertretung bereiter Anwalt beigeordnet wird, wenn die Vertretung erforderlich erscheint,
ist nur dann erfüllt, wenn Art und Inhalt des durchzuführenden Rechtstreits und Gründe
in der Person der Partei eine anwaltliche Unterstützung im Verfahren notwendig
machen. Unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck sowohl der Prozesskostenhilfe
als auch der Beiordnung reicht es nicht, dass eine anwaltliche Vertretung nützlich oder
ratsam ist; sie muss andererseits aber auch nicht unerlässlich sein.
4
a) Die Prozesskostenhilfe dient dazu, unbemittelten Personen den Zugang zu den
staatlichen Gerichten zu eröffnen. Sie stellt als Leistung der staatlichen Daseinsfürsorge
und als Bestandteil der Rechtschutzgewährung eine Einrichtung der Sozialhilfe im
Bereich der Rechtspflege dar, die ihre verfassungsrechtliche Legitimation im Gebot des
sozialen Rechtsstaats und im allgemeinen Gleichheitssatz findet. Wegen des
Sozialhilfecharakters der Prozesskostenhilfe und der damit verbundenen Belastung der
Allgemeinheit mit den Kosten für die Rechtsdurchsetzung ergeben sich für die
Bewilligung von Prozesskostenhilfe Grenzen. Deshalb ist Voraussetzung, dass sich die
bedürftige Partei erst dann eines Rechtsanwalts bedient, wenn das im Einzelfall wirklich
notwendig ist. Nur dann ist es gerechtfertigt, die Staatskasse mit den hierdurch
entstehenden Kosten zu belasten (vgl. BAG, 15. Februar 2005, 5 AZN 781/04, NZA
2005, S. 431).
5
Eine Berücksichtigung der für die Allgemeinheit bestehenden Kostenbelastung durch
die Gewährung von Prozesskostenhilfe bei der Auslegung und Anwendung der dafür
maßgeblichen Vorschriften ist zulässig und stellt kein fiskalisches Denken der Justiz
dar, wie der Kläger meint. Zwar ist es richtig, dass ein Vorbehalt der günstigen
Kassenlage der öffentlichen Haushalte oder der Finanzierbarkeit der Folgen der
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gegenwärtigen gesetzlichen Bestimmungen in §§ 114 ff. ZPO nicht enthalten ist und
dieser auch nicht in die Bestimmungen durch die Gerichte hineininterpretiert werden
darf (vgl. LAG Niedersachsen, 4. Juni 2004, 10 Ta 241/04, LAGE ZPO 2002 § 114 Nr.
2). Das wäre in der Tat ein, wie der Kläger rügt, mit den Belangen der bedürftigen
Rechtsuchenden unvereinbares fiskalisches Denken. Daraus folgt aber nicht, dass der
sozialhilferechtliche Charakter der Prozesskostenhilfe bei der Auslegung der
Bestimmungen der §§ 114 ff. ZPO nicht berücksichtigt werden kann. Dies trägt dem
Umstand Rechnung, dass die Allgemeinheit mit den Kosten der Rechtsverfolgung
belastet wird. Für Sozialhilfeleistungen können aber rein tatsächlich keine unbegrenzten
Geldmengen vorhanden sein. Die von der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellenden,
jedoch faktisch nie unbegrenzt zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel erfordern
ihren Einsatz bezogen auf den damit verfolgten Zweck. Eine Belastung der
Allgemeinheit mit den Kosten der Rechtsverfolgung ist daher erst dann gerechtfertigt,
wenn der bedürftigen Partei andere oder weitere Anstrengungen, ohne diese Hilfe in
ihrer Lage zurecht zu kommen, nicht mehr zumutbar sind. Hier besteht nicht nur ein
Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, für welche staatlichen Leistungen er unter
welchen Voraussetzungen welche Finanzmittel bereit stellt. Vielmehr haben auch die
Gerichte die Subsidiarität von Leistungen der staatlichen Daseinsfürsorge bei der
Auslegung der dafür einschlägigen Regelungen zu berücksichtigen. Es geht nicht um
die Einführung eines Finanzierungsvorbehalts für gesetzlich vorgesehene Leistungen
im Wege gerichtlicher Interpretation, sondern um den bei einer Auslegung der einen
Leistungsanspruch gegen die Allgemeinheit begründenden Norm zu
berücksichtigenden Sinn und Zweck. Dies gilt auch bei der Bestimmung der
Voraussetzungen, wann die Beiordnung eines Rechtsanwalts in Verfahren erforderlich
ist, in denen eine anwaltliche Vertretung nicht vorgeschrieben ist.
b) Die Beiordnung eines Rechtsanwalts im Sinne des § 121 Abs. 2 Alt. 1 ZPO ist
erforderlich, wenn aus Gründen in dem der Rechtsverfolgung zugrundeliegenden
Anspruch oder in dem dafür erforderlichen Verfahren (Sach- und Rechtslage) oder aus
Gründen in der Person der Partei eine anwaltliche Vertretung im Verfahren notwendig
ist.
7
aa) Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip gebietet zwar keine
vollständige Gleichstellung, aber eine weitgehende Angleichung der Situation von
Bemittelten und weniger Bemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes.
Weniger Bemittelten darf die Rechtsverfolgung und -verteidigung im Vergleich zu
Bemittelten nicht unverhältnismäßig erschwert werden. Der weniger Bemittelte muss
grundsätzlich ebenso wirksamen Rechtsschutz in Anspruch nehmen können wie ein
Begüterter. Er braucht aber nur einem solchen Bemittelten gleichgestellt zu werden, der
seine Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko
berücksichtigt (vgl. BVerfG, 22. Januar 1959, 1 BvR 154/55, NJW 1959, 751; 12. April
1983, 2 BvR 1304/80, 2 BvR 432/81, NJW 1983, 159; 13. März 1990, 2 BvR 94/88, NJW
1991, 413; 14. Oktober 2008, 1 BvR 2310/06, NJW 2009, 209; 18. November 2009, 1
BvR 2455/08, FamRZ 2010, 188). Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG
steht einer Besserstellung desjenigen, der seine Prozessführung nicht aus eigenen
Mitteln bestreiten muss und daher von vorneherein kein Kostenrisiko trägt, gegenüber
dem Bemittelten, der sein Kostenrisiko wägen muss, entgegen. Dies haben die
Fachgerichte zu beachten, wenn sie beurteilen, ob gemäß § 114 ZPO eine
beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf
Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint und ob gemäß § 121 Abs. 2 Alt. 1 ZPO die
Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint (vgl. BVerfG, 18. November
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2009, a.a.O.)
bb) Die Erforderlichkeit im Sinne des § 121 Abs. 2 Alt. 1 ZPO beurteilt sich nach dem
Umfang und der Schwierigkeit der Sache sowie nach der Fähigkeit des Beteiligten, sich
mündlich und schriftlich auszudrücken (vgl. BVerfG, 12. April 1983, a.a.O.; 19. Januar
1994, 2 BvR 2003/93, NVwZ 1994, Beilage 3, 17; BAG, 7. Februar 2006, 3 AZB 41/05,
n.v.). Entscheidend ist, ob ein Bemittelter in der Lage des Unbemittelten
vernünftigerweise einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen
beauftragt hätte (vgl. BVerfG, 22. Juni 2007, 1 BvR 681/07, NJW-RR 2007, 1713; 6. Mai
2009, 1 BvR 439/08, juris; BAG, 7. Februar 2006, a.a.O.; LAG Hamm, 29. November
2004, 18 Ta 710/04, NZA 2005, 544; 23. Januar 2006, 18 Ta 909/05, AE 2006, 134), und
zwar unter Abwägung seiner Prozessrisiken und Berücksichtigung seines Kostenrisiko
(vgl. BVerfG, 18. November 2009, a.a.O). Daher ist es einer bedürftigen Partei
zuzumuten, wie eine vermögende Partei zu handeln. Diese wird unter vernünftiger
Abwägung des aus § 12a Abs. 1 ArbGG folgenden speziellen Kostenrisikos, wonach
eine Erstattung außergerichtlicher Kosten trotz eigenen Obsiegens bei den Gerichten für
Arbeitssachen in der ersten Instanz weitgehend ausgeschlossen ist, bei einfacher Sach-
und Rechtslage die Wahrnehmung ihrer Rechte selbst in die Hand nehmen, wenn sie
aufgrund ihrer persönlichen, insbesondere intellektuellen Fähigkeiten dazu in der Lage
ist. Im arbeitsgerichtlichen Verfahren hat aufgrund dieser für die erste Instanz geltenden
Kostenerstattungsregelung selbst die bedürftige Partei stets ein Interesse an einem
kostengünstigen Weg. Denn die Anordnung einer Einmal- oder Ratenzahlung als
Beitrag zu den Kosten der Prozessführung kommt immer in Betracht, entweder sofort mit
der Bewilligung der Prozesskostenhilfe oder nach einer Bewilligung ohne
Zahlungsanordnung innerhalb von vier Jahren im Rahmen des in dieser Zeit mehrfach
möglichen Überprüfungsverfahrens nach § 120 Abs. 4 ZPO (vgl. LAG Niedersachsen,
13. September 2004, 13 Ta 374/04, LAGE ZPO 2002 § 114 Nr. 4).
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cc) Eine mangelnde eigene Erfahrung der Partei bei der Formulierung und Erhebung
der Klage führt bei einfach gelagerten Sachen nicht generell zur Notwendigkeit einer
Anwaltsbeiordnung. Eine über hinreichende wirtschaftliche Mittel verfügende Partei
würde unter Berücksichtigung ihres aus § 12a Abs. 1 ArbGG folgenden Kostenrisikos in
einem solchen Fall die Möglichkeiten einer eigenständig wahrnehmbaren gerichtlichen
Rechtsverfolgung und die dafür bestehender Hilfestellungen in Erfahrung bringen und
nutzen. Die allgemeine Aufgabe des Rechtspflegers, Klagen und Klageerwiderungen
aufzunehmen (§ 24 Abs. 2 Nr. 2 RPflG), hat aber bei den Arbeitsgerichten in Form der
als Teil der Geschäftsstellen eingerichteten Rechtsantragstellen (§ 7 ArbGG) eine
Institutionalisierung erfahren. Diese leisten die für eine formal und inhaltlich richtige
Klageerhebung notwendige Hilfe. Sie sind dem rechtsuchenden Publikum entweder
bekannt und werden von ihm genutzt (vgl. BAG, 7. Februar 2006, a.a.O.; LAG Hamm, 9.
Juli 2007, 5 Ta 254/07, n.v.; 11. November 2009, 14 Ta 249/09, n.v.) oder sind mit
zumutbaren Aufwand (z.B. unter Nutzung eines Telefonbuchs und Erkundigung beim
Arbeitsgericht oder durch Nutzung des Internetauftritts der Arbeitsgerichte) in Erfahrung
zu bringen. Auf eine subjektiv aktuelle Kenntnis der bedürftigen Partei von dieser
Möglichkeit vor der Beauftragung eines Anwalts kommt es nicht an (anders wohl LAG
Niedersachsen, 4. Juni 2004, a.a.O.). Eine vermögende Partei, die aufgrund des
einfachen Sachverhalts und der nach § 12a Abs. 1 ArbGG entstehenden
Kostenbelastung zunächst die Wahrnehmung ihrer Rechte selbst in die Hand nimmt,
würde die erforderlichen Schritte unternehmen, diese Unterstützung bei der
Rechtsverfolgung in Erfahrung zu bringen.
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Entsprechendes gilt für die Durchführung des Verfahrens im Hinblick auf die durch §
139 ZPO geprägte Verfahrensleitung seitens des Gerichts. Eine solche den
gesetzlichen Anforderungen genügende richterliche Tätigkeit ist weder Ersatz für
anwaltlichen Beistand noch steht sie im Widerspruch zu der Verpflichtung, objektiv
Recht zu sprechen und unparteiisch zu sein. Sie führt aber dazu, dass ein tatsächlich
und materiellrechtlich einfach gelagerter Fall in der Regel auch verfahrensrechtlich für
den Laien einfach bleibt (a. A. wohl LAG Sachsen, 23. Juni 1998, 2 Ta 99/98, LAGE
ZPO § 114 Nr. 31; LAG Niedersachsen, 4. Juni 2004, a.a.O.).
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dd) Unzutreffend ist es, wenn regelmäßig die Beiordnung eines Rechtsanwalts für
erforderlich gehalten wird, weil kein Laie einen Rechtsstreit selbst führen könne, ohne
das Risiko materiellrechtlicher oder prozessualer Nachteile einzugehen (so
Schoreit/Groß, Prozesskostenhilfe/Beratungshilfe, 9. Auflage, 2008, § 121 ZPO Rn. 32;
Zöller/Geimer, ZPO, 28. Auflage, § 121 ZPO Rn. 4). Die Annahme, der erste Rechtszug
sei gerade in Arbeitssachen voller materiellrechtlicher und verfahrensrechtlicher
Fallstricke (so LAG Sachsen, 23. Juni 1998, a.a.O.), rechtfertigt ebenso wenig eine
regelmäßig vorzunehmende Beiordnung nach § 121 Abs. 2 Alt. 1 ZPO. Diesen für eine
weite Auslegung des Begriffs der Erforderlichkeit vorgetragenen Argumenten
einschließlich den dazu angeführten Beispielen möglicher materiellrechtlicher oder
prozessualer Schwierigkeiten (vgl. LAG Sachsen, a.a.O.) ist gemeinsam, dass es sich
lediglich um abstrakte Überlegungen handelt, die rechtlich für die Beurteilung der
Erforderlichkeit der Beiordnung im konkret zur Entscheidung anstehenden Fall in dieser
Allgemeinheit unerheblich sind. Die Bewertung der sachlichen und subjektiven
Voraussetzungen für die Erforderlichkeit der Anwaltsbeiordnung hat zwar nach einem
objektiven Maßstab zu erfolgen, nicht aus der Sicht des Anwalts oder einer Partei (vgl.
LAG Hamm, 25. Mai 2009, 14 Ta 844/08, juris; Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs,
Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 5. Auflage, 2010, Rn. 545). Dieser
objektive Maßstab erfordert die Anwendung von allgemeinen Grundsätzen, die von der
konkreten Person der Partei oder ihres Bevollmächtigten unabhängig sind, jedoch nicht
die Loslösung von den tatsächlichen Gegebenheiten des Einzelfalls durch den
pauschalen Verweis auf allgemein mögliche Probleme einer (arbeits)gerichtlichen
Prozessführung. Solange diese nicht konkret auftreten, wird eine im Hinblick auf § 12a
Abs. 1 ArbGG kostenbewusste und vermögende Partei in einem einfachen Fall sich
selbst vertreten, wenn sie es persönlich kann. Erst wenn ein solcher Fall durch das
Prozessverhalten der Gegenseite oder aufgrund anderer Gegebenheiten
materiellrechtlich oder prozessual seine Einfachheit verliert oder die Partei trotz
einfacher Sach- und Rechtslage zu einer eigenständigen Wahrnehmung ihrer Rechte
nicht in der Lage ist, können die sachlichen und persönlichen Voraussetzungen einer
Beiordnung erfüllt sein, weil in einem solchen Moment auch eine begüterte Partei ihre
Interessen nunmehr anwaltlich vertreten lassen würde.
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ee) Für die Annahme der Erforderlichkeit einer Beiordnung reicht es in diesem
Zusammenhang nicht, dass zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife des
Prozesskostenhilfe- und Beiordnungsgesuchs der weitere Verfahrensablauf nicht
absehbar ist, insbesondere ob, wie und wann der Arbeitgeber sich gegen die Klage
verteidigen wird (so aber LAG Niedersachsen, 4. Juni 2004, a.a.O.). Die Begründung,
arbeitsgerichtliche Verfahren seien selbst in einfach gelagerten Fällen zwischenzeitlich
so kompliziert und unübersichtlich geworden, dass diese Ungewissheit auch eine
vermögende Partei zur Beauftragung eines Rechtsanwalts veranlassen würde, sowie
die dazu angeführten Beispiele einer möglichen Entwicklung des Prozesses (vgl. LAG
Niedersachsen, 4. Juni 2004, a.a.O.) beruhen ebenfalls auf lediglich abstrakten und
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pauschalen Erwägungen. Wie sich der Gegner im Prozess verhalten wird, begründet
allenfalls eine allgemeine Ungewissheit, welche die im konkret zur Entscheidung
anstehenden Fall bestehende Einfachheit sowohl des Anspruchs als auch seiner
gerichtlichen Geltendmachung grundsätzlich nicht in Frage stellt. Das
arbeitsgerichtliche Verfahren ist sowohl bei der Einleitung unter Inanspruchnahme der
Hilfestellung der Rechtsantragsstelle für eine formal und inhaltlich richtige
Klageerhebung als auch in seiner Durchführung bei sachgerechter Ausübung der
richterlichen Verfahrensleitung nach § 139 ZPO weder kompliziert noch unübersichtlich.
Eine anwaltliche Vertretung mag für die Partei die Rechtsverfolgung noch mehr
vereinfachen und insoweit ratsam und nützlich sein, notwendig wird sie dadurch nicht
bzw. erst dann, wenn eine Einfachheit des Falles oder des Verfahrens konkret nicht
mehr besteht.
c) Für eine Beiordnung reicht es danach nicht aus, dass eine anwaltliche Vertretung
ratsam ist, weil sie wegen fehlender eigener Erfahrungen und Kenntnisse der Partei die
Führung eines Prozesses vereinfacht. Solche Nützlichkeitserwägungen rechtfertigen
eine Beiordnung nicht. Die Meinung des Klägers, in einem arbeitsgerichtlichen
Zivilprozess könne die Zuhilfenahme eines Rechtsanwalts niemals als Luxus betrachtet
werden, ist bereits im Ansatz verfehlt. Es geht nicht um Luxus, sondern um die
Gewährung eines für jede Partei ungehinderten Zugangs zu den Gerichten trotz im
konkreten Fall fehlender wirtschaftlicher Mittel für die üblicherweise damit verbundenen
Kosten, welche nunmehr die Allgemeinheit übernehmen soll. Das erfordert die
Notwendigkeit des damit finanzierten Mittels, nicht nur dessen Nützlichkeit.
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Die Vertretung durch einen Rechtsanwalt ist andererseits nicht erst dann erforderlich,
wenn sie nachgerade unerlässlich ist (so aber BAG, 28. April 2003, 2 AZB 78/02, ZIP
2003, 1947; 8. Mai 2003, 2 AZB 56/02, AP ArbGG 1979 § 9 Nr. 25). Eine
"Unerlässlichkeit" anwaltlicher Vertretung in dem Sinne, dass sie unbedingt notwendig
ist oder ohne sie eine Rechtsverfolgung gar nicht möglich erscheint, genügt nicht den
verfassungsrechtlichen Anforderungen, welche eine weitgehende Angleichung der
Situation von Bemittelten und Unbemittelten vorsehen (so auch BAG, 7. Februar 2006,
a.a.O). Aus der vom 2. Senat des Bundesarbeitsgerichts in Bezug genommenen
Entscheidung des OLG Naumburg (27. August 2001, 14 WF 125/01, OLGR Naumburg
2002, 186) ergibt sich denn auch nur, dass im dort entschiedenen Fall entgegen der
Auffassung der ersten Instanz angesichts der verfahrensrechtlichen Kompliziertheit des
sogenannten vereinfachten Verfahrens zur Änderung eines Unterhaltstitels die
Beiordnung "nachgerade unerlässlich" in dem Sinne war, dass sie sich aufdrängte.
Dann ist die anwaltliche Vertretung zwar (erst recht) erforderlich im Sinne des § 121
Abs. 2 Alt. 1 ZPO, jedoch ergibt sich hieraus nicht, dass sie nur dann erforderlich sein
soll.
15
d) Zusammengefasst beurteilt sich die Erforderlichkeit im Sinne des § 121 Abs. 2 Alt. 1
ZPO nach dem Umfang und der Schwierigkeit der Sache sowie nach der Fähigkeit des
Beteiligten, sich mündlich und schriftlich auszudrücken (vgl. BVerfG, 12. April 1983,
a.a.O.; 19. Januar 1994, 2 BvR 2003/93, NVwZ 1994, Beilage 3, 17; BAG, 7. Februar
2006, a.a.O.). Sie bestimmt sich objektiv nach der tatsächlichen oder rechtlichen
Schwierigkeit der Sache, deren Umfang sowie ihre wirtschaftliche und persönliche
Bedeutung für die Partei. Subjektiv kommt es auf das Vermögen des Antragstellers an,
nach Vorbildung, geistiger Fähigkeit, Schreib- und Redegewandtheit sein
Rechtsanliegen dem Gericht schriftlich und mündlich vorzutragen (vgl. LAG Hamm, 29.
November 2004, a.a.O.; 2. Juni 2005, 4 Ta 374/04, FA 2005, 324; 23. Januar 2006,
16
a.a.O.; 25. Mai 2009, a.a.O.; Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, a.a.O., Rn. 543 f.). Zu
berücksichtigen ist ein deutliches Ungleichgewicht in Kenntnisstand und Fähigkeiten
der Parteien (vgl. BVerfG, 22. Juni 2007, a.a.O; 6. Mai 2009, a.a.O.). Die Erforderlichkeit
anwaltlicher Vertretung ist - die Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung bzw.
Rechtsverteidigung vorausgesetzt - insbesondere dann zu bejahen, wenn es im
Rechtsstreit um nicht einfach zu überschauende Tat- und Rechtsfragen geht (vgl.
BVerfG, 19. Januar 1994, a.a.O.). Dies gilt auch dann, wenn ausschließlich oder
schwerpunktmäßig tatsächliche Fragen im Streit sind, die möglicherweise durch eine
Beweiserhebung im Wege der Einholung eines Sachverständigengutachtens geklärt
werden müssen (vgl. BVerfG, 18. Dezember 2001, 1 BvR 391/01, NZS 2002, 420).
Entscheidend ist, ob eine Partei, welche nicht auf Prozesskostenhilfe angewiesen ist, in
einem vergleichbaren Fall unter Abwägung ihrer Prozessrisiken und Berücksichtigung
ihres Kostenrisikos vernünftigerweise einen Rechtsanwalt hinzuziehen würde (vgl.
BVerfG, 22. Juni 2007, a.a.O; 6. Mai 2009, a.a.O.; 18. November 2009, a.a.O.; BAG, 7.
Februar 2006, a.a.O.; LAG Hamm, 29. November 2004, a.a.O; 23. Januar 2006, a.a.O.).
Die Anwaltsbeiordnung ist nicht erforderlich, wenn die Partei bei einfacher Sach- und
Rechtslage nach ihren intellektuellen Fähigkeiten ihre Rechte selbst wahrnehmen kann
(vgl. LAG Hamm, 9. Juli 2007, a.a.O.; 25. Mai 2009, a.a.O.). Die Bewertung der
sachlichen und subjektiven Voraussetzungen für die Erforderlichkeit der
Anwaltsbeiordnung hat nach einem objektiven Maßstab zu erfolgen, nicht aus der Sicht
des Anwalts oder einer Partei (vgl. LAG Hamm, 25. Mai 2009, a.a.O.;
Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, a.a.O., Rn. 545).
2. Bei Anwendung dieser Grundsätze im vorliegenden Fall scheidet die Beiordnung
eines Rechtsanwalts nach § 121 Abs. 2 Alt. 1 ZPO aus.
17
aa) Der Kläger hat eine Zahlungsklage erhoben. Sind im Falle einer Zahlungsklage zum
Zeitpunkt der Entscheidung über eine Beiordnung die Ermittlung der tatsächlichen und
rechtlichen Voraussetzungen des Anspruchsgrundes sowie die Berechnung der Höhe
der Zahlungsforderung einfach und liegen Einwendungen der Gegenseite nicht vor, so
dass insgesamt Schwierigkeiten bei der gerichtlichen Durchsetzung des
Zahlungsanspruchs nicht zu erwarten sind, hat die Partei - unter Inanspruchnahme der
Hilfe der Rechtsantragsstelle - ihre Zahlungsforderung zunächst selbst klageweise zu
verfolgen (vgl. LAG Hamm, 2. Juni 2005, 4 Ta 374/04, LAGReport 2005, 350, bestätigt
durch BAG, 7. Februar 2006, a.a.O.; Natter/Gross/Perschke, ArbGG, 2010, § 11a Rn.
126).
18
bb) Der Kläger hat im vorliegenden Fall die Praktikumsvergütung für die Monate Juni
und Juli 2008 in Höhe von 288,00 Euro brutto monatlich sowie die
Ausbildungsvergütung für die Monate September und Oktober 2008 in Höhe von jeweils
500,00 Euro brutto monatlich eingeklagt. Das Ausbleiben der Vergütung für vier Monate
hat eine erhebliche persönliche und wirtschaftliche Bedeutung für den Kläger, selbst
wenn das Entgelt gering war. Gerade weil der Kläger daraus allein seinen
Lebensunterhalt nicht bestreiten konnte, war er auf seine Vergütung angewiesen, um
nicht familiäre oder staatliche Hilfe in erheblich größerem Umfang als sonst notwendig
in Anspruch nehmen zu müssen.
19
cc) Diese Bedeutung der Angelegenheit für den Kläger kann die Notwendigkeit einer
anwaltlichen Vertretung jedoch nicht rechtfertigen. Sachliche Schwierigkeiten bei der
Erhebung einer Zahlungsklage bestanden nicht, da es lediglich um die
Geltendmachung einer monatlich in fester Höhe vereinbarten Vergütung ging. Zudem
20
ergab sich aus dem Klagevortrag, dass der Beklagte lediglich nicht zahlte, jedoch keine
sachlichen Einwendungen gegen die Forderung erhob. Vielmehr hatte er wegen der
Vergütungsrückstände in einer schriftlichen, vom Kläger formulierten Vereinbarung vom
9. Oktober 2008 sogar einer Freistellung bis zur Aufnahme der Gehaltszahlungen
zugestimmt. Darin kommt auch zum Ausdruck, dass von einem deutlichen
Ungleichgewicht in Kenntnisstand und Fähigkeiten der Prozessparteien unabhängig
davon, dass des sich bei dem Beklagten um den Ausbilder handelte, zulasten des
Klägers nicht ausgegangen werden kann.
In subjektiver Sicht war der Kläger in der Lage, das Klageverfahren selbst einzuleiten.
Wenn der Kläger auf sein Alter (21 Jahre) und seine fehlende Rechtskundigkeit
verweist, welche ihn zur Einschaltung eines Rechtsanwalts veranlasst hätten, folgt
daraus nicht die Erforderlichkeit einer Beiordnung. Auf fehlende Rechtskenntnisse des
Klägers kam es ebenso wenig an wie auf den Umstand, dass es sich bei der
Angelegenheit um keine "Fünf-Minuten-Sache" handelte. Die Verpflichtung zur Zahlung
von Praktikums- bzw. Ausbildungsvergütung ergab sich unmittelbar aus den getroffenen
Vereinbarungen. Für die Ermittlung der Klageforderung bedurfte es lediglich einer
Zusammenrechnung der ausstehenden monatlichen Löhne. Dies ist bei Beherrschung
der Grundrechenarten ohne Weiteres zu leisten. Bei einem Auszubildenden wie dem
Kläger für den Beruf des "Mediengestalter Bild und Ton" ist in einem Alter von 21 Jahren
die Beherrschung der Grundrechenarten zu erwarten. Die angeblichen Unklarheiten bei
den Brutto- und Nettozahlungen hat der Kläger nicht näher erläutert und sind auch nicht
ersichtlich. Die notwendige tatsächliche Feststellung, welche Zahlungen des Beklagten
innerhalb eines bestimmten Zeitraums geflossen und welche Monate noch zu vergüten
waren, ist für den Kläger trotz seines jungen Alters wegen seiner Vorbildung nicht mit
größeren Schwierigkeiten verbunden. Aufgrund der zeitlichen Reihenfolge von
Praktikantenverhältnis und Ausbildungsverhältnis waren nur unterschiedliche
Vergütungen für die verschiedenen Zeitabschnitte zu berücksichtigen. Das stellt keine
derart erhöhten intellektuellen Anforderungen, welche der Kläger - wenn auch nicht in
fünf Minuten - nicht bewältigen könnte.
21
Dem Kläger war es angesichts der einfachen Sach- und Rechtslage und seiner
persönlichen Fähigkeiten in einem solchen wenn auch für ihn bedeutenden Fall
zuzumuten, wie eine vermögende Partei die Klage zunächst selbst zu erheben und
dafür gegebenenfalls die beim Arbeitsgericht gebildete Rechtsantragstelle in Anspruch
zu nehmen. Deren Existenz konnte er ohne Weiteres in Erfahrung bringen. Aufgrund der
Ortsansässigkeit des Klägers am Sitz des zuständigen Arbeitsgerichts bestanden keine
tatsächlichen Hindernisse für eine Wahrnehmung dieser Möglichkeit.
22
dd) Der Verweis des Klägers auf die vom Amtsgericht Bielefeld gewährte Beratungshilfe
rechtfertigt nicht die Annahme, dass die Beiordnung eines Rechtsanwalts im Sinne des
§ 121 Abs. 2 Alt. 1 ZPO erforderlich ist. Beratungshilfe ist dafür da, eventuelle
Schwierigkeiten bei der Klärung von Grund und Höhe eines Anspruchs für den
mittellosen Antragsteller zu beseitigen, damit sodann im Mahnverfahren vorgegangen
(vgl. LAG Hamm, 25. Mai 2009, a.a.O.; LAG Rheinland-Pfalz, 16. Januar 2008, 7 Ta
251/07, juris) oder auch Klage erhoben werden kann. Es hätte also gerade Ergebnis der
Beratungshilfe sein können und müssen, den Kläger nach Klärung von Grund und Höhe
seines Anspruchs auf die Möglichkeit der Klageerhebung unter Inanspruchnahme der
Hilfe der Rechtsantragstelle zu verweisen. Das Aufzeigen dieser Möglichkeit ist
Bestandteil der Beratungshilfe. Es wird damit nicht von der Anwaltschaft verlangt,
kostenlos die Arbeit der Rechtsantragstelle zu übernehmen, sondern eine
23
Beratungshilfe durchzuführen, die auch auf die weiteren kostengünstigen Möglichkeiten
der Rechtsverfolgung hinweist.
3. Die Rechtsbeschwerde war im Hinblick auf die unterschiedliche
landesarbeitsgerichtliche Rechtsprechung zur Auslegung des Merkmals
"Erforderlichkeit" in § 121 Abs. 2 Alt. 1 ZPO wegen grundsätzlicher Bedeutung
zuzulassen (§ 72 Abs. 2, § 78 Satz 2 ArbGG).
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