Urteil des LAG Hamm vom 18.11.2010

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Landesarbeitsgericht Hamm, 17 Sa 1345/10
Datum:
18.11.2010
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
17. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
17 Sa 1345/10
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Rheine, 1 Ca 2005/09
Leitsätze:
Ist ein Arbeitsverhältnis zweckbefristet, muss die Zweckerreichung allein
nach objektiven Tatsachen zu bestimmen sein. Dem Arbeitgeber darf
kein Ermessensspielraum verbleiben.
Hier: Vereinbarung der Zweckerreichung mit Schließung des Betriebs
einer als Übergangseinrichtung geführten forensischen Klinik bei
sukzessiver Verlegung der Patienten und sukzessiver Entbehrlichkeit
des Pflegepersonals.
Tenor:
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts
Rheine vom 14.06.2010 – 1 Ca 2005/09 – wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis
zukünftig aufgrund einer Zweckbefristung enden wird.
2
Der Beklagte betreibt in Nordrhein-Westfalen forensische Fachkliniken zur
Unterbringung psychisch kranker Straftäter. Der Betrieb von
Maßregelvollzugseinrichtungen ist originäre Aufgabe des Landes Nordrhein-
Westfalens, die es teilweise auf den Beklagten, teilweise auf andere Träger übertrug.
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Im Hinblick auf den langjährigen Mangel an Plätzen in Maßregelvollzugseinrichtungen
beschloss das Land Nordrhein-Westfalen im Jahre 2000 den Neubau von sechs
forensischen Kliniken mit 470 neuen Plätzen für psychisch-kranke und suchtkranke
Straftäter. Bis zur vollständigen Inbetriebnahme der neuen Einrichtungen waren
übergangsweise Plätze für die Unterbringung von Straftätern im Maßregelvollzug
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erforderlich.
Am 27.12.2002 schlossen die Bundesrepublik Deutschland, das Land Nordrhein-
Westfalen und die Stadt R1 einen Grundstückskaufvertrag und Mietvertrag über ein
ehemaliges Kasernengelände. In § 3 des Vertrages wiesen die Vertragsparteien auf die
originäre Aufgabe des Landes Nordrhein-Westfalen zur Errichtung, Änderung und
Nutzungsänderung bauliche Anlagen für den Maßregelvollzug hin und stellten fest, dass
bis zur vollständigen Inbetriebnahme neu zu errichtende Einrichtungen des
Maßregelvollzuges an anderer Stelle übergangsweise Plätze für die Unterbringung von
Patientinnen und Patienten benötigt würden. In § 4 des Vertrages regelten sie eine
Nutzungsphase für eine forensische Übergangseinrichtung von 84 Monaten, nach ihren
Erwartungen in der Zeit vom 01.01.2004 bis zum 31.12.2010.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Grundstückskaufs und Mietvertrag wird auf die
von dem Beklagten mit Schriftsatz vom 03.03.2010 vorgelegte Kopie (Bl. 35 bis 44 d.A.)
Bezug genommen.
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Am 15.09.2008 vereinbarten das Land Nordrhein-Westfalen und die Stadt R1 eine
Verlängerung des Mietverhältnisses bis zum 30.06.2017, wobei die Nutzungsphase am
31.12.2016 enden soll.
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Wegen der Einzelheiten des Änderungsvertrags wird auf die von der Beklagten mit
Schriftsatz vom 03.03.2010 vorgelegte Kopie (Bl. 45, 46 d.A.) Bezug genommen.
8
Mit Wirkung zum 01.12.2004 schlossen die Parteien am 25.06.2004 einen sachgrundlos
befristeten Arbeitsvertrag für die Dauer bis zum 30.11.2006. Am 01.09.2006
vereinbarten sie einen weiteren Arbeitsvertrag (Bl. 9, 10 d.A.) mit Wirkung zum
01.12.2006. Der Kläger wurde befristet als vollzeitbeschäftigter Krankenpfleger
eingestellt.
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In § 1 des Arbeitsvertrages trafen die Parteien folgende Abrede:
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Bis zur vollständigen Inbetriebnahme neu zu errichtender Kliniken des
Maßregelvollzugs an anderer Stelle werden am Standort R1 übergangsweise Plätze für
die Unterbringung von Maßregelvollzugspatienten benötigt. Die Befristung des
Arbeitsverhältnisses erfolgt daher mit Vorliegen eines sachlichen Grundes nach § 14
Abs. 1 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) vom 21.12.2000 in der jeweils
geltenden Fassung i.V.m. § 30 Abs. 1 TVöD und zwar im Rahmen einer
Zweckbefristung wegen einem nur vorübergehenden Bedarf an der Arbeitsleistung
durch den Angestellten für die Dauer des Betriebs der Maßregelvollzugsklinik am
Standort R1 (Westfälische Maßregelvollzugsklinik R1).
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Das Arbeitsverhältnis endet gemäß § 15 Abs. 2 TzBfG mit dem Ende des Betriebs der
Westfälischen Maßregelvollzugsklinik R1, frühestens jedoch zwei Wochen nach
Zugang der schriftlichen Unterrichtung des Angestellten durch den Arbeitgeber über den
Zeitpunkt der Zweckerreichung.
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Gemäß § 2 erfolgte die Beschäftigung in der Westfälischen Maßregelvollzugsklinik R1.
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Gemäß § 3 des Arbeitsvertrages bestimmt sich das Arbeitsverhältnis nach dem
Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) und nach dem Besonderen Teil
14
Krankenhäuser (BT-K) und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden
Tarifverträgen in der für den Bereich der Vereinigung der Kommunalen
Arbeitgeberverbände (VKA) jeweils geltenden Fassung.
Der Kläger erzielt einen Bruttomonatsverdienst von 3.312,00 €.
15
Der Beklagte schloss mit insgesamt mehr als 70 Arbeitnehmern zweckbefristete
Arbeitsverträge für die Dauer des Betriebs der Westfälischen Maßregelvollzugsklinik
R1. Dort sind ca. 90 Patienten untergebracht.
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Mit seiner am 26.11.2009 bei dem Arbeitsgericht Rheine eingegangenen Klage wendet
sich der Kläger gegen die Befristung seines Arbeitsverhältnisses.
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Er hat die Auffassung vertreten:
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Zum Zeitpunkt der Vereinbarung des Arbeitsvertrages vom 01.09.2006 habe allenfalls
eine bloße Unsicherheit bzgl. des künftigen Arbeitsanfalls bestanden, da die Dauer der
Nutzung des Kasernengeländes für den Betrieb der Westfälischen
Maßregelvollzugsklinik R1 nicht absehbar gewesen sei.
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Auch nach Schließung dieser Klinik bestehe ein Bedarf für seine Arbeitsleistung, ggfls.
lediglich an anderen Forensik-Standorten des Beklagten.
20
Eine Einzelfallprognose sei für ihn nicht getroffen worden.
21
Im Übrigen umgehe der Beklagte mit der Vertragsgestaltung den gesetzlichen
Kündigungsschutz.
22
Der Kläger hat beantragt
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festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgrund der in dem
Arbeitsvertrag vom 01.09.2006 vereinbarten Befristung enden wird.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er hat die Zweckbefristung als wirksam verteidigt und vorgetragen:
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Bei Vertragsschluss habe er nur von einer vorübergehenden Nutzung der
Maßregelvollzugsklinik ausgehen können, da das Land Nordrhein-Westfalen diese als
bloße Übergangseinrichtung geschaffen habe. Eine Stilllegung des Betriebs sei
absehbar gewesen, so dass auch nur ein vorübergehender Bedarf an der
Arbeitsleistung des Klägers bestanden habe.
28
Ein anderweitiger Bedarf für die Arbeitskraft des Klägers sei bei Vertragsschluss nicht
absehbar gewesen, da neue forensische Kliniken nicht zwangsläufig in seiner
Trägerschaft betrieben würden. Das Land Nordrhein-Westfalen mache zunehmend von
der Möglichkeit Gebrauch, Einrichtungen in Trägerschaft Dritter (A1-B3 GmbH, V5-B4
A4 B5) zu errichten.
29
Mit Urteil vom 14.06.2010 hat das Arbeitsgericht Rheine der Klage stattgegeben.
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Es hat ausgeführt:
31
Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis bestehe unbefristet fort, da die
Befristungsabrede vom 01.09.2006 unwirksam sei.
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Es könne offen bleiben, ob § 30 Abs. 2 Satz 1 TVöD vorliegend die Befristung des
Arbeitsverhältnisses über einen Zeitraum von deutlich mehr als fünf Jahren zulasse.
Dem Wortlaut nach beziehe sich die Tarifvorschrift auf kalendermäßig befristete
Arbeitsverträge.
33
Die Befristungsabrede vom 01.09.2006 wahre die Schriftform nach § 14 Abs. 4 TzBfG.
Die Befristung sei jedoch nicht durch einen Sachgrund nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1
TzBfG gerechtfertigt.
34
Bei dem Beklagten bestehe kein vorübergehender betrieblicher Mehrbedarf an der
Arbeitsleistung des Klägers.
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Es sei mit dem Kläger davon auszugehen, dass eine auf seinen Einzelfall bezogene
Prognose nicht stattgefunden habe, da der Beklagte mit mehr als 70 Arbeitnehmern
befristete Arbeitsverträge für die Dauer des Betriebs der Übergangseinrichtung in R1
geschlossen habe.
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Letztlich könne diese Frage jedoch ebenso dahinstehen wie die Frage, ob der Beklagte
den dauerhaften Betrieb der Übergangseinrichtung anstrebe. Offen könne auch bleiben,
ob sich die Prognose des Beklagten hinsichtlich des vorübergehenden Bedarfes auf die
Dienststelle, mithin auf die Westfälischen Maßregelvollzugsklinik R1 beschränken
könne.
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Maßgeblich sei vielmehr, dass der Betrieb als solcher auch nach Wegfall des
vorübergehenden Mehrbedarfes weiterbestehe. Das ergebe sich schon aus dem
Wortlaut des § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG. Die im Streitfall gegebene Konstellation,
dass der gesamte Betrieb nur vorübergehend betrieben werde, sei von dem Wortlaut
des § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG nicht erfasst.
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Zudem führe die Befristungsabrede zur Umgehung zwingender
kündigungsschutzrechtlicher Bestimmungen und sei deshalb nicht mit dem
Schutzzweck des § 14 TzBfG vereinbar.
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Die Behauptung des Beklagten, neue forensische Kliniken würden nicht zwangsläufig in
seiner Trägerschaft errichtet, sei nicht geeignet, die Befristung zu rechtfertigen. Die
Übernahme der Patienten aus der Maßregelvollzugsklinik in R1 durch andere Träger
dürfte einen Betriebsübergang zur Folge haben.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Urteils wird auf Blatt 75 bis 89
d.A. Bezug genommen.
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Gegen das ihm am 12.07.2010 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 06.08.2010 bei
dem Landesarbeitsgericht eingehend Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung
der Berufungsbegründungsfrist bis zum 11.10.2010 am 20.09.2010 bei dem
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Landesarbeitsgericht eingehend begründet.
Er rügt das erstinstanzliche Urteil als fehlerhaft und trägt vor:
43
Nach der Beschlusslage des Landes Nordrhein-Westfalen sowie nach den
geschlossenen Mietverträgen sei die Westfälischen Maßregelvollzugsklinik R1 nur eine
Übergangseinrichtung. Entsprechend werde das Personal nur für die vorübergehende
Nutzungsphase benötigt. Die Personalbedarfsplanung sei ihm vorgegeben gewesen.
Es seien 90 Patientenplätze einzurichten gewesen.
44
Die sachgrundlose Einstellung des Klägers als Pflegekraft sei erfolgt, als der Beginn der
Nutzungsphase absehbar gewesen sei. Er sei zunächst im Monat Dezember 2004
geschult worden und habe zum 01.01.2005 seine Tätigkeit aufgenommen.
45
Bei Abschluss des zweckbefristeten Arbeitsvertrages seien die Parteien davon
ausgegangen, dass die Nutzungsmöglichkeit des ehemaligen Militärgeländes in R1 als
forensische Einrichtung spätestens mit Ablauf der vertraglichen Nutzungsphase enden
werde. Von dem Ablauf der Nutzungsphase sei der Zeitraum zu unterscheiden, zu dem
der forensische Betrieb tatsächlich eingestellt werde. Der tatsächliche
Beendigungszeitpunkt solle möglichst vor dem Ende der vertraglich eingeräumten
Nutzungsphase liegen und sei erreicht, wenn der letzte Patient aus der forensischen
Übergangseinrichtung in eine andere forensische Einrichtung des Landes Nordrhein-
Westfalen verlegt worden sei und sich damit kein Patient mehr am Standort R1 befinde.
Dieser tatsächliche Zweckerreichungszeitpunkt sei der Befristungszeitpunkt, der
arbeitsvertraglich vereinbart worden sei. Eine kalendarische Bestimmung dieses
Zeitpunktes sei bei Vertragsschluss nicht möglich gewesen. Die tatsächliche
Beendigung eines forensisch genutzten Betriebes ziehe sich nämlich naturgemäß über
einen längeren Zeitraum hin und sei davon abhängig, inwieweit in anderen
forensischen Einrichtungen freie und geeignete Plätze für die Patienten aus R1
vorhanden seien und inwieweit sie dort unter therapeutischen und unter
Sicherheitsgesichtspunkten tatsächlich untergebracht werden könnten.
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Bei Vertragsschluss am 01.09.2006 sei ungewiss gewesen, ob sich die Verlegung der
in R1 untergebrachten Patienten zum Ablauf der zunächst vereinbarten Nutzungsphase
schwierig oder nicht schwierig gestalten würde, weil die in Nordrhein-Westfalen
vorhandenen forensischen Einrichtungen bei steigender Tendenz stark überbelegt
gewesen seien. Auch der Zeitpunkt der Fertigstellung der sechs neuen forensischen
Kliniken sei ungewiss gewesen.
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Es bestehe ein vorübergehender Bedarf an der Arbeitsleistung des Klägers.
48
Die Stilllegung der Westfälischen Maßregelvollzugsklinik R1 sei beschlossen gewesen.
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Nichts anderes ergebe sich aus der Verlängerung des Mietvertrages zwischen dem
Land Nordrhein-Westfalen und der Stadt R1. Auch nach dieser Verlängerung werde die
Betriebsschließung zu einem ungewissen Zeitpunkt eintreten. Er werde eine gewisse
Zeit benötigen um die Patienten in anderen Einrichtungen unterzubringen und werde
schon lange vor dem 31.12.2016 mit der Verlegung von Patienten beginnen müssen.
50
Die Auffassung des erstinstanzlichen Gerichtes, der Sachgrund nach § 14 Abs. 1 Satz 2
Nr. 1 TzBfG müsse auch im Hinblick auf die Umgehung von zwingenden
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kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften geprüft werden, sei unzutreffend.
Seiner zutreffenden Prognose stehe auch nicht entgegen, dass mit mehr als 70
Arbeitnehmern befristete Arbeitsverträge für die Dauer des Betriebs der
Übergangseinrichtung geschlossen worden seien.
52
Der Beklagte beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts R1, Az.: 1 Ca 2005/09, zu ändern und die Klage
abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil und hält an seiner Auffassung fest, bei dem
Beklagten sei ein dauerhafter Bedarf für seine Arbeitskraft zum Zeitpunkt des
Vertragsschlusses absehbar gewesen.
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Er behauptet, der Beklagte habe einige befristete Verträge in unbefristete umgewandelt
und Teile des Personals in andere Einrichtungen versetzt.
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Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst
Anlagen sowie auf die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
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I.
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Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, 64 Abs. 2 c, 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520
ZPO an sich statthafte und form- sowie fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten
gegen das Urteil des Arbeitsgerichts R1 ist unbegründet.
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Die angesichts der Berufung des Beklagten auf die Beendigung des
Arbeitsverhältnisses aufgrund seiner Zweckbefristung zulässige Feststellungsklage ist
begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien wird nicht gemäß § 15 Abs. 2 TzBfG mit
dem Erreichen des Zwecks, frühestens jedoch zwei Wochen nach Zugang der
schriftlichen Unterrichtung des Klägers durch den Beklagten über den Zeitpunkt der
Zweckerreichung sein Ende finden. Das Arbeitsverhältnis gilt gemäß § 16 Satz 1 TzBfG
als auf unbestimmte Zeit geschlossen.
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1. Der Kläger hat die Klagefrist gemäß § 17 Satz 1 TzBfG gewahrt. Die Klage kann auch
bei einem zweckbefristeten Arbeitsvertrag vor dem vereinbarten Vertragsende erhoben
werden (BAG 21.12.2005 – 7 AZR 541/04, DB 2006, 564).
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2. Zur Überprüfung steht allein der Arbeitsvertrag vom 01.09.2006. Folgen mehrere
befristete Arbeitsverträge aufeinander (Kettenarbeitsverträge), unterliegt jeder befristete
Vertrag für sich der Kontrolle, soweit er innerhalb der Frist des § 17 TzBfG angegriffen
wurde. Gemäß §§ 17 Satz 2 TzBfG, 7 KSchG wird eine unwirksame Befristung wirksam,
wenn nicht fristgerecht Klage erhoben wird (vgl. Annuß/Thüßing/Maschmann, Teilzeit-
und Befristungsgesetz, 2. Aufl., § 17 TzBfG Rdn. 5).
65
Mit dem Abschluss eines weiteren befristeten Arbeitsvertrages haben die Parteien im
Übrigen ihr Arbeitsverhältnis auf eine neue Rechtsgrundlage gestellt, die zukünftig für
ihre Rechtsbeziehung allein maßgebend ist. Damit wird zugleich ein etwaiges
unbefristetes Arbeitsverhältnis aufgehoben.
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3. Gemäß § 30 Abs. 1 Satz 1 TVöD-VKA sind befristete Arbeitsverträge nach Maßgabe
des TzBfG zulässig.
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a. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 TzBfG liegt ein befristeter Arbeitsvertrag vor, wenn er mit
dem Arbeitnehmer auf unbestimmte Zeit geschlossen wurde. Nach § 3 Abs. 1 Satz 2
TzBfG ist ein Arbeitsvertrag auf unbestimmte Zeit auch dann geschlossen, wenn sich
aus Art, Zweck und Beschaffenheit der Arbeitsleistung seine begrenzte Dauer ergibt
(zweckbefristeter Arbeitsvertrag).
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Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist dann abhängig von dem Eintritt eines
zukünftigen Ereignisses, dessen Eintritt die Parteien für gewiss halten, dessen Zeitpunkt
für sie jedoch ungewiss ist (BAG 21.12.2005 a.a.O.; KR-Bader, 9. Aufl., § 3 TzBfG Rdn.
20). Ist der Eintritt des Beendigungsereignisses dagegen ungewiss, handelt es sich um
eine auflösende Bedingung im Sinne des § 21 TzBfG (KR-Bader a.a.O. § 3 TzBfG, Rdn.
20, 21).
69
Die Parteien haben eine Zweckbefristung vereinbart. Aus § 1 des Arbeitsvertrages
ergibt sich, dass sie als sicher davon ausgegangen sind, dass der Betrieb der
Westfälischen Maßregelvollzugsklinik R1 nicht auf Dauer, sondern nur vorübergehend
erfolgt, bis neu zu errichtende Kliniken ihren Betrieb vollständig aufgenommen haben.
Der Zeitpunkt war bei Vertragsschluss ungewiss. Als Zeitpunkt der Zweckerreichung
haben sie das Ende des Betriebs bestimmt.
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b. Gemäß § 14 Abs. 4 TzBfG bedarf die Befristung eines Arbeitsvertrags der Schriftform.
Das gilt auch für die Zweckbefristung gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 2. Alternative TzBfG. Da
die Vertragsdauer bei der Zweckbefristung von dem Vertragszweck abhängt, muss auch
dieser schriftlich vereinbart sein. Die Vereinbarung einer Zweckbefristung ist ohne
Vereinbarung eines Vertragszwecks nicht denkbar. Die Bezeichnung des
Vertragszwecks tritt an die Stelle der Datumsangabe (BAG 21.12.2005 a.a.O.).
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Hier haben die Parteien zwar den Vertragszweck im Arbeitsvertrag schriftlich
niedergelegt. Die Vereinbarung einer Zweckbefristung erfordert aber nicht nur eine
unmissverständliche Einigung über den Vertragszweck, die schriftlich erfolgt, sondern
der Zweck, mit dessen Erreichen das Arbeitsverhältnis enden soll, muss so genau
bezeichnet sein, dass hieraus das Ereignis, dessen Eintritt zur Beendigung des
Arbeitsverhältnisses führen soll, zweifelsfrei feststellbar ist (BAG 21.12.2005 a.a.O.;
16.03.2000 – 2 AZR 196/99, RzK I 9 i Nr. 72; 23.11.1988 – 7 AZR 12/88, RzK I 9 e Nr.
6). Die Zweckerreichung und damit der Zeitpunkt der Beendigung des
Arbeitsverhältnisses müssen sich für beide Parteien erkennbar nach objektiven
Merkmalen bestimmen lassen. Die Erreichung des Vertragszwecks muss "sinnlich
wahrnehmbar sein" (KR-Bader a.a.O. § 3 TzBfG Rdn. 25).
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Eine Bestimmung des Zeitpunkts des Zweckeintritts nach allein objektiven Merkmalen
ist jedoch dann nicht gegeben, wenn eine Ermessensentscheidung des Arbeitgebers
zur Bestimmung des Zeitpunktes führt. In diesem Fall ist die Dauer des
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Arbeitsverhältnisses gerade nicht der willkürlichen Bestimmung des Vertragspartners
oder eines Dritten entzogen (BAG 23.11.1988 a.a.O.; KR-Bader a.a.O. § 3 TzBfG Rdn.
26, 27).
Hier lässt sich der Zeitpunkt der Zweckerreichung durch das Ende des Betriebs der
Maßregelvollzugsklinik R1 nicht allein nach objektiven Maßstäben bestimmen. Vielmehr
ist dem Beklagten ein Ermessensspielraum eröffnet. Das ergibt sich aus seinem
eigenen Vorbringen.
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Der notarielle Vertrag vom 27.12.2002 über die Kaserne R1 ist bis zum 30.06.2011 unter
Einbeziehung einer sechsmonatigen Rückbauphase geschlossen worden. Die
Nutzungsphase sollte mit dem 31.12.2010 enden. Diese Vereinbarung könnte zunächst
die Annahme rechtfertigen, der Betrieb der Westfälischen Maßregelvollzugsklinik R1
werde mit Ablauf der Nutzungsphase eingestellt, der Zeitpunkt sei mit dem 31.12.2010
objektiv bestimmbar. Diese Betrachtung lässt aber außer Acht, dass die
Betriebsstilllegung ein sukzessiver Prozess ist. Die Zweckerreichung für das
Arbeitsverhältnis des Klägers ist nicht zwingend erst dann gegeben, wenn der letzte
Patient verlegt worden ist.
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Der Beklagte beschreibt die Betriebsbeendigung lebensnah als einen Prozess. Er weist
in der Berufungsbegründung darauf hin, dass der Zeitpunkt der tatsächlichen
Betriebseinstellung vor Ablauf der Nutzungsphase liegen werde und gegeben sei, wenn
der letzte Patient die forensische Übergangseinrichtung verlassen habe. Er räumt ein,
dass sich die tatsächliche Beendigung eines forensisch genutzten Betriebes
naturgemäß über einen längeren Zeitraum hinzieht und davon abhängig ist, inwieweit in
anderen forensischen Einrichtungen freie und geeignete Plätze für die Patienten aus R1
vorhanden und nach therapeutischen und Sicherheitsaspekten geeignet sind.
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Das bedeutet, dass nicht nur die Patientenverlegung über einen mehr oder weniger
langen Zeitraum erfolgt, sondern impliziert weiter, dass sich der Bedarf an der
Beschäftigung des zweckbefristet eingestellten Pflegepersonals, zu dem der Kläger
gehört, über diesen Zeitraum der Verlegung verringert. Es wird in zeitlichen Abständen
entbehrlich werden. Das bedeutet weiter, dass der Beklagte eine Auswahl treffen muss
und treffen wird, in welcher Reihenfolge die Pflegekräfte wegen Zweckerreichung
entlassen werden. Damit ist gerade nicht nach objektiven Merkmalen festzustellen, ob
für die betreffende Pflegekraft nicht trotz der teilweisen Erledigung der Arbeitsaufgabe
noch ein Beschäftigungsbedarf besteht. Diese Ungewissheit schließt den Streit darüber,
ob der Zweck des Arbeitsverhältnisses erreicht ist, gerade nicht aus. Diesen Streit soll
aber die Anforderung der objektiven Bestimmbarkeit der Zweckerreichung vermeiden
(vgl. zu einem ähnlich gelagerten Beispielsfall KR-Bader a.a.O. § 3 TzBfG Rdn. 27).
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Auf den diesbezüglichen gerichtlichen Hinweis hat der Beklagte keine weiteren Aspekte
vorgetragen.
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4. Auf die Frage, ob die Zweckbefristung durch einen Sachgrund nach § 14 Abs. 1 Satz
2 Nr. 1 TzBfG gerechtfertigt ist, kommt es demnach nicht entscheidungserheblich an,
wobei nach Auffassung der Kammer insbesondere die Ausgestaltung des Mietvertrags
zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen und der Stadt R1 dafür spricht, dass die
Westfälischen Maßregelvollzugsklinik R1 als forensische Übergangseinrichtung geführt
wird und der Beklagte für eine vorübergehende Zeit eine Sonderaufgabe von dem Land
Nordrhein-Westfalen übernommen hat, die nur einen vorübergehenden Bedarf an
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Pflegekräften begründet. Anhaltspunkte dafür, dass die Klinik zukünftig als
Dauereinrichtung geführt werden wird, bestanden bei Vertragsschluss nicht. Sie
ergeben sie sich nicht aus der Entwicklung der Vertragsgestaltung nach Abschluss des
Arbeitsvertrages. Insbesondere ist entgegen der Auffassung des Klägers nicht
absehbar, dass der Beklagte eine der neuen forensischen Dauereinrichtungen
betreiben wird.
Ist ein Sachgrund nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG zu bejahen, kommt es auf die
Frage der Umgehung des Kündigungsschutzes aus § 1 Abs. 2 KSchG nicht an (BAG
20.02.2008 – 7 AZR 950/06, ZTR 2008, 508)
80
II.
81
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO, die Entscheidung über die
Revisionszulassung aus § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.
82