Urteil des LAG Hamm vom 04.02.2004

LArbG Hamm: arbeitsunfähigkeit, arbeitsgericht, beweiswert, krankheitsfall, kündigung, krankenschein, verschulden, auszahlung, lebenserfahrung, arbeitslosigkeit

Landesarbeitsgericht Hamm, 18 Sa 1839/03
Datum:
04.02.2004
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
18. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
18 Sa 1839/03
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Herne, 2 Ca 1811/03
Schlagworte:
Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Erschütterung des Beweiswerts der
Arbeitsunfähig-keitsbescheinigung
Normen:
§§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1, 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG
Rechtskraft:
Die Revision wird nicht zugelassen
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Herne
vom 23.09.2003 - 2 Ca 1811/03 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung werden der Beklagten auferlegt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch über Ansprüche des Klägers auf
Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für den Zeitraum 24.04.2003 bis 05.06.2003.
2
Der am 06.01.1964 geborene Kläger war in der Zeit vom 15.09.2002 bis zum
15.07.2003 bei der Beklagten als Sicherheitsfachkraft tätig. Grundlage des
Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien war der schriftliche Arbeitsvertrag vom
15.09.2002 (Bl. 3 ff d.A.). Die regelmäßige Arbeitszeit des Klägers betrug 228 Stunden
monatlich bei einer Vergütung von 6,65 EUR pro Stunde nebst eines Lohnzuschlags
von 0,80 EUR und eines Leistungszuschlags von 0,17 EUR.
3
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien kommen die Tarifverträge für das Wach- und
Sicherheitsgewerbe in NRW zur Anwendung, soweit sie für allgemeinverbindlich erklärt
worden sind.
4
In der Zeit vom 24.04.2003 bis zum 24.06.2003 arbeitete der Kläger nicht. Er reichte der
Beklagten ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für diesen Zeitraum ein. In der
Zeit vom 05.06.2003 bis 24.06.2003 erhielt der Kläger von der Krankenkasse
Krankengeld.
5
Für den Monat April 2003 zahlte die Beklagte einen Betrag von 950,-.- EUR netto an
den Kläger aus.
6
Der Kläger hat behauptet, er sei in der Zeit vom 24.04.2003 bis zum 24.06.2003
tatsächlich arbeitsunfähig krank gewesen, wie sich aus den der Beklagten vorgelegten
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ergebe.
7
Der Kläger hat beantragt,
8
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.698,60 EUR brutto abzüglich gezahlter 950,--
EUR netto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 01.05.2003 zu
zahlen,
2. die Beklagte weiter zu verurteilen, an ihn 1.698,60 EUR brutto nebst 5 % Zinsen
über dem Basiszinssatz seit dem 01.06.2003 zu zahlen,
3. und weiter die Beklagte zu verurteilen, an ihn 357,60 EUR brutto nebst 5 % Zinsen
über dem Basiszinssatz seit dem 01.07.2003 zu zahlen.
9
Die Beklagte hat beantragt,
10
die Klage abzuweisen.
11
Die Beklagte behauptet, aus dem Verhalten des Klägers ergebe sich, dass er die
Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht habe.
12
So habe der Kläger bereits am Tag vor seiner Krankmeldung seinen im Objekt
befindlichen Spind vollständig leergeräumt. Dies sei völlig ungewöhnlich. Nachdem der
Kläger sich dann für den 24.04.2003 krank gemeldet habe, habe er bei der Beklagten
angerufen und um einen Gesprächstermin gebeten. Dieser Gesprächstermin habe am
30.04.2003 unter Beteiligung der Zeugen G2xxxxx und K1xxxxxx stattgefunden. In
diesem Gespräch habe der Kläger den Zeugen G2xxxxx und K1xxxxxx mitgeteilt, er sei
in Wirklichkeit gar nicht krank. Er habe sich vielmehr entschlossen, sich selbständig zu
machen, was aus der Arbeitslosigkeit heraus einfacher möglich sei. Er wolle daher aus
sozialversicherungsrechtlichen Gründen krankheitsbedingt gekündigt werden. Da beide
Gesprächspartner sich geweigert hätten, eine krankheitsbedingte Kündigung
auszusprechen, habe der Kläger erwidert, dann werde er sich eben weiterhin krank
schreiben lassen, wenn die Beklagte sich weigere, ihm wunschgemäß zu kündigen.
13
Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben durch die uneidliche Vernehmung der Zeugen
G2xxxxx und K1xxxxxx. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die
Sitzungsniederschrift der mündlichen Verhandlung des Arbeitsgerichts vom 23.09.2003
verwiesen.
14
Durch Urteil vom 23.09.2003 hat das Arbeitsgericht die Beklagte verurteilt, an den
Kläger als Entgelt für den Monat April 2003 1.698,60 EUR brutto abzüglich gezahlter
950,-- EUR netto, als Entgelt für den Monat Mai 2003 1.698,60 EUR brutto und als
Entgelt für die Zeit vom 01. bis 05.06.2003 357,60 EUR brutto nebst der jeweils
begehrten Zinsen zu zahlen. Die Kosten des Rechtsstreits sind der Beklagten auferlegt
worden. Der Streitwert ist auf 2.804,80 EUR festgesetzt worden.
15
In den Entscheidungsgründen hat das Arbeitsgericht ausgeführt, die Arbeitsunfähigkeit
16
des Klägers sei durch die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bewiesen. Auch nach
dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei der Beweiswert der
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht erschüttert.
Gegen dieses ihr am 20.10.2003 zugestellte und wegen der sonstigen Einzelheiten
hiermit in Bezug genommene Urteil hat die Beklagte am 05.11.2003 Berufung eingelegt
und diese am 15.12.2003 begründet.
17
Die Beklagte greift das arbeitsgerichtliche Urteil insgesamt an. Sie stützt sich
maßgeblich auf ihren erstinstanzlichen Vortrag. In der mündlichen Verhandlung vom
04.02.2004 hat sie weiter behauptet, der Kläger habe vor der Erkrankung dem Zeugen
A1xxxxxx mitgeteilt, er würde sich einen Krankenschein nehmen, wenn er nicht die
Kündigung bekomme.
18
Die Beklagte beantragt,
19
das Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom 23.09.2003 - 2 Ca 1811/03 -
abzuändern und die Klage abzuweisen.
20
Der Kläger beantragt,
21
die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom
23.09.2003 - 2 Ca 1811/03 - zurückzuweisen.
22
Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil.
23
Wegen der sonstigen Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen
den Parteien gewechselten Schriftsätze und auf die Erklärungen der Parteien in der
mündlichen Verhandlung verwiesen.
24
Entscheidungsgründe
25
A. Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet.
26
I. Dem Kläger steht für die Zeit vom 24.04.2003 bis 05.06.2003 der begehrte Anspruch
auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gemäß § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 EFZG zu.
27
Nach § 3 Abs. 1 EFZG hat ein Arbeitnehmer einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im
Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer
von sechs Wochen, wenn er durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner
Arbeitsleistung verhindert ist, ohne dass ihn ein Verschulden trifft.
28
Diese Voraussetzungen liegen vor.
29
1. Der Arbeitnehmer hat die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit nachzuweisen (vgl.
z.B. BAG, Urteil vom 01.10.1997 - 5 AZR 726/96 - NZA 1998, 370; BAG, Urteil vom
19.02.1997 - 5 AZR 83/96 - NZA 1997, 652).
30
a) In der Regel führt der Arbeitnehmer diesen Nachweis gegenüber dem Arbeitgeber,
wie auch vor dem Gericht, durch die Vorlage einer förmlichen ärztlichen
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG. Die
31
ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist der gesetzlich
ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweis für das Vorliegen
krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Einer solchen Bescheinigung kommt ein hoher
Beweiswert zu. Dies ergibt sich aus der Lebenserfahrung. Der Tatrichter kann
normalerweise den Beweis, dass eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vorliegt,
als erwiesen ansehen, wenn der Arbeitnehmer im Rechtsstreit eine solche
Bescheinigung vorlegt (vgl. BAG, Urteil vom 19.02.1997 - 5 AZR 83/96 - a.a.O.).
b) Bestreitet der Arbeitgeber trotz der vorgelegten ordnungsgemäß erteilten ärztlichen
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers, muss er
den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern. Dies ist dann der
Fall, wenn ernsthafte Zweifel am Bestehen der Arbeitsunfähigkeit dargelegt werden. Der
Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann erschüttert werden
durch Umstände im Zusammenhang mit der Bescheinigung selbst, durch das Verhalten
des Arbeitnehmers vor der Erkrankung und durch das Verhalten des Arbeitnehmers
während der bescheinigten Dauer der Arbeitsunfähigkeit.
32
2. Der Kläger hat das Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit durch die vorgelegten
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen im Wege des Urkundsbeweises bewiesen.
33
a) Soweit die Beklagte erstinstanzlich behauptet hat, der Kläger habe den Zeugen
G2xxxxx und K1xxxxxx mitgeteilt, er sei in Wirklichkeit nicht krank und habe eine
Krankheit für den Fall angedroht, dass die Beklagte ihm nicht kündigen würde, sind
diese Behauptungen in der Beweisaufnahme nicht bewiesen worden. Die Aussagen der
Zeugen G2xxxxx und K1xxxxxx waren zum Beweisthema unergiebig, wie das
Arbeitsgericht im Einzelnen dargelegt hat.
34
b) Die Vernehmung des Zeugen M3xxxx war entbehrlich. Auch wenn der Kläger den
Spind am 23.04.2003 geräumt hat und gegenüber dem Zeugen M3xxxx erklärt hat, mit
seiner Rückkehr sei nicht zu rechnen, reichen diese Indizien für die zwingende
Annahme, der Kläger habe die Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht, nicht aus.
35
c) Die erst in der mündlichen Verhandlung vorgetragene Behauptung, der Kläger habe
vor der Erkrankung dem Zeugen A1xxxxxx mitgeteilt, er würde sich einen
Krankenschein nehmen, wenn er nicht von der Beklagten eine Kündigung bekomme,
war als verspätet gemäß § 67 Abs. 3 ArbGG zurückzuweisen.
36
II. Die Frage, ob die Beklagte berechtigt war, vom Aprillohn 2003 178,92 EUR
abzuziehen, kann dahingestellt bleiben. Dieser Restvergütungsanspruch für April 2003
ist schon nicht Streitgegenstand des arbeitsgerichtlichen Urteils geworden. Wie sich aus
der Lohnabrechnung für April 2003 ergibt, hat der Kläger die Auszahlung von nur 950,--
EUR statt 1.128,92 EUR hingenommen.
37
B. Nach alledem hat die Berufung keinen Erfolg.
38
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
39
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.
40
Knipp
Schreckenberg
Piesendel
41