Urteil des LAG Hamm vom 27.09.2006

LArbG Hamm: treu und glauben, verzicht, arbeitsgericht, abfindung, abrechnung, vergleich, vertragsschluss, ezb, kündigung, begriff

Landesarbeitsgericht Hamm, 18 Sa 547/06
Datum:
27.09.2006
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
18. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
18 Sa 547/06
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Herford, 1 Ca 1124/05
Schlagworte:
Urlaubsgeld, Verzicht, Vergleich, Erledigungsklausel bezüglich aller
Urlaubsansprüche aus einem Urlaubsjahr, Auslegung der
Erledigungsklausel
Normen:
§§ 133, 157, 611 Abs. 1 BGB
Rechtskraft:
Die Revision wird nicht zugelassen
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Herford
vom 10.02.2006 - 1 Ca 1124/05 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung werden dem Kläger auferlegt.
T a t b e s t a n d
1
Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch über einen Anspruch des Klägers auf
Zahlung des zusätzlichen Urlaubsgeldes für das Jahr 2004.
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Der am 16.02.1962 geborene Kläger ist seit dem 02.04.2001 als Maschinenbediener bei
der Beklagten beschäftigt. Grundlage des Arbeitsverhältnisses ist der Arbeitsvertrag
vom 10.04./11.04.2001 (Bl. 6 f d.A.).
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Mit Wirkung zum 01.01.2003 wurde das zunächst befristete Arbeitsverhältnis in ein
unbefristetes Arbeitsverhältnis umgewandelt. Der Bruttomonatsverdienst des Klägers
betrug zuletzt cirka 2.500,-- €.
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Mit Schreiben vom 15.12.2003 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis aus
betriebsbedingten Gründen zum 31.01.2004. Gegen diese Kündigung wehrte sich der
Kläger mit der am 30.12.2003 erhobenen Kündigungsschutzklage (ArbG Herford 4 Ca
2320/03). Im Laufe des Kündigungsschutzverfahrens wurde der Kläger ab 13.07.2004
vorläufig weiterbeschäftigt. Im Rahmen der Weiterbeschäftigung begehrte der Kläger
von der Beklagten Urlaub für die Zeit vom 09.08. bis 03.09.2004. Die Beklagte lehnte
dieses Begehren ab. Gegen die Ablehnung wehrte sich der Kläger in dem einstweiligen
Verfügungsverfahren zwischen den Parteien (ArbG Herford 2 Ga 34/04), welches durch
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übereinstimmende Erledigungserklärung der Parteien beendet wurde.
Das Kündigungsschutzverfahren wurde im Berufungsverfahren (LAG Hamm 6 Sa
1489/04) durch Vergleich vom 15.02.2005 beendet. Der Vergleich hat folgenden
Wortlaut:
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1. Die Parteien sind sich darüber einig, dass das Arbeitsverhältnis zwischen
ihnen aufgrund ordentlicher arbeitgeberseitiger Kündigung vom 15.12.2003 aus
betriebsbedingten Gründen am 31.01.2004 sein Ende fand.
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2. Ferner sind sich die Parteien einig, dass seit dem 13.07.2004 ein neues
unbefristetes Arbeitsverhältnis begründet worden ist zu den bisherigen
Arbeitsbedingungen, wobei in jeglicher Hinsicht von einer Betriebszugehörigkeit
seit dem 02.04.2001 ausgegangen wird.
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3. Die Parteien bewerten die Freistellung des Klägers in der Zeit vom 09.08. bis
03.09.2004 als Freistellung zu Urlaubszwecken unter Anrechnung auf den
Jahresurlaub des Klägers für 2004. Das Urlaubsentgelt für diesen Zeitraum wird
ordnungsgemäß abgerechnet und unverzüglich an den Kläger ausbezahlt.
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Damit sind sämtliche Urlaubsansprüche des Klägers aus dem Kalenderjahr 2004
durch tatsächliche Gewährung erledigt.
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4. Die Beklagte zahlt an den Kläger eine Abfindung entsprechend den §§ 9, 10
KSchG i.V.m. § 3 Nr. 9 EStG in Höhe von 5.700,-- € (in Worten:
Fünftausendsiebenhundert Euro).
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5. Damit ist der vorliegende Rechtsstreit erledigt.
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6. Die Kosten des Rechtsstreits und des Vergleichs werden gegeneinander
aufgehoben.
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Auf der Basis der Vereinbarung in Ziffer 3 des Vergleichs zahlte die Beklagte an den
Kläger mit der Abrechnung für den Monat Februar 2005 im März 2005 ein
Urlaubsentgelt für die Zeit vom 09.08. bis zum 03.09.2004 in Höhe von 1.902,32 €
brutto. Wegen der Einzelheiten der diesbezüglichen Abrechnung wird auf die Anlage
zur Klageschrift (Bl. 9 d.A.) verwiesen.
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Ein zusätzliches Urlaubsgeld, das in den Vorjahren und auch für das Jahr 2005 in Höhe
eines Betrages von 50 % des Bruttomonatslohnes gezahlt wurde, zahlte die Beklagte für
das Jahr 2004 nicht. Das für das Jahr 2005 abgerechnete Urlaubsgeld belief sich für
223,20 Stunden auf 1.572,45 € brutto. Diesbezüglich wird auf die als Anlage 6 zur
Klageschrift überreichte Abrechnung für den Monat Juni 2005 (Bl. 20 d.A.) verwiesen.
Mit der am 26.08.2005 eingegangenen Klage begehrt der Kläger unter anderem die
Zahlung eines zusätzlichen Urlaubsgeldes für das Jahr 2004 in Höhe von 1.572,45 €
brutto (223,20 Stunden a` 14,09 €, davon 50 %).
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Die vorliegende Klage hat der Kläger am 26.08.2005 erhoben.
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Der Kläger hat die Ansicht vertreten, ihm stehe ein zusätzliches Urlaubsgeld auch für
das Jahr 2004 zu. Dies ergebe die Auslegung des Vergleichs. Er habe darin nicht auf
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die Zahlung eines zusätzlichen Urlaubsgeldes verzichtet. Ein fehlender Verzicht auf
Zahlung eines zusätzlichen Urlaubsgeldes ergebe sich insbesondere aus der
Berechnung der Abfindung. Gegen einen Verzicht spreche auch, dass das
Landesarbeitsgericht dem einstweiligen Verfügungsverfahren der in dem Urteil
vertretenen Ansicht des Arbeitsgerichts nicht gefolgt sei.
Der Kläger hat zuletzt erstinstanzlich beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.572,45 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5
% über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB gemäß § 1 DÜG ab dem
01.03.2005 zu zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, dem Kläger stehe ein Anspruch auf Zahlung
eines zusätzlichen Urlaubsgeldes für das Jahr 2004 nicht zu. Die Regelung des
Vergleichs vom 15.02.2005 enthalte eine abschließende Regelung der
Urlaubsansprüche für das Jahr 2004 und des entsprechenden Vergütungsanspruchs,
der die Zahlung eines zusätzlichen Urlaubsgeldes ausschließe. Insbesondere aus Ziffer
3 des Vergleichs ergebe sich, dass mit Zahlung der Urlaubsgrundvergütung für den
ausdrücklich festgelegten Zeitraum der Urlaubsanspruch und sämtliche
Urlaubsvergütungsansprüche für das Jahr 2004 abschließend erledigt sein sollten.
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Durch Urteil vom 10.02.2006 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Die Kosten
des Rechtsstreits hat es dem Kläger zu 99 % und der Beklagten zu 1% auferlegt. Der
Streitwert ist auf 1.572,45 € festgesetzt worden.
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In den Entscheidungsgründen hat das Arbeitsgericht ausgeführt, dem Kläger stehe der
begehrte Anspruch auf das zusätzliche Urlaubsgeld nicht zu, da dieser Anspruch von
der Erledigungsklausel in Ziffer 3 Satz 3 des gerichtlichen Vergleichs vom 15.04.2005
erfasst werde und erloschen sei.
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Gegen diese ihm am 27.02.2006 zugestellte und wegen der sonstigen Einzelheiten
hiermit in Bezug genommene Entscheidung hat der Kläger am 24.03.2006 Berufung
eingelegt und diese am 27.04.2006 begründet.
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Der Kläger greift die arbeitsgerichtliche Entscheidung insgesamt an. Der Kläger geht
weiterhin davon aus, dass im Rahmen der Auslegung die Erledigungserklärung in Ziffer
3 Satz 3 des gerichtlichen Vergleichs so zu verstehen sei, dass lediglich die Ansprüche
auf tatsächliche Gewährung des Urlaubs erledigt sein sollten.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Herford vom 10.02.2006 – 1 Ca 1124/05 –
abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.572,45 € brutto nebst
Zinsen in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB gemäß § 1
DÜG ab dem 01.03.2005 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Herford vom
10.02.2006 – 1 Ca 1124/05 – zurückzuweisen.
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Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen den Parteien
gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen verwiesen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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I. Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.
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Dem Kläger steht der begehrte Anspruch auf das zusätzliche Urlaubsgeld in Höhe von
50 % seiner Bruttomonatsvergütung nicht zu, wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt
hat.
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Ob der Anspruch auf ein zusätzliches Urlaubsgeld für das Jahr 2004 tatsächlich
entstanden ist - Tatsachen für eine konkrete Anspruchsgrundlage sind vom Kläger nicht
vorgetragen worden -, kann dahingestellt bleiben. Auch wenn ein solcher Anspruch
entstanden ist, so ist dieser Anspruch durch die Erledigungsklausel in Ziffer 3 Satz 3 des
gerichtlichen Vergleichs vom 15.04.2005 erloschen.
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Der Kläger hat in Ziffer 3 Satz 3 des Vergleichs im Wege des gegenseitigen
Nachgebens auf mögliche weitere Urlaubsansprüche aus dem Urlaubsjahr 2004, auch
soweit sie nicht Gegenstand des Vergleichs waren, verzichtet. Dieser Verzicht umfasst
auch, entgegen der Auffassung des Klägers, das zusätzliche Urlaubsgeld für das Jahr
2004, wie die Auslegung ergibt.
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1. Welche Rechtsqualität und welchen Umfang eine Ausgleichsklausel hat, ist durch
Auslegung nach den Regeln der §§ 133, 157 BGB zu ermitteln. Ausgleichsklauseln in
gerichtlichen Vergleichen sind im Interesse klarer Verhältnisse grundsätzlich weit
auszulegen (vgl. z.B. BAG, Urteil vom 28.07.2004 – 10 AZR 661/03 – NZA 2004, 1098;
BAG, Urteil vom 19.11.2003 – 10 AZR 174/03 – NZA 2004, 554; BAG, Urteil vom
31.07.2003 – 10 AZR 513/01 – NZA 2003, 100).
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Bei der Auslegung sind die jeweiligen Erklärungen der Vertragsparteien jeweils aus der
Sicht des Erklärungsempfängers so auszulegen, wie er sie nach Treu und Glauben und
unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen durfte und musste. Diese Auslegung
hat ausgehend vom Wortlaut, der nach dem Sprachgebrauch der jeweiligen
Verkehrskreise zu bewerten ist, sämtliche den Parteien erkennbaren Begleitumstände,
die für den Erklärungsinhalt von Bedeutung sein könnten, zu berücksichtigen. Hierzu
gehört die Entstehungsgeschichte, das Verhalten der Partei nach Vertragsschluss, der
Zweck des Vertrags und die bei Vertragsschluss vorliegende Interessenlage (vgl. z.B.
BAG, Urteil vom 31.07.2002 – 10 AZR 513/01 – a.a.O.).
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2. Der Wortlaut "damit sind sämtliche Urlaubsansprüche des Klägers aus dem
Kalenderjahr 2004 durch tatsächliche Gewährung erledigt" erfasst auch den Anspruch
des Klägers auf ein zusätzliches Urlaubsgeld für das Urlaubsjahr 2004.
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a) Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch erfasst der Begriff Urlaubsansprüche
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sämtliche urlaubsrechtliche Ansprüche des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber.
Hierzu zählt auch grundsätzlich das zusätzlich gezahlte Urlaubsgeld. Vom Begriff her ist
unter Urlaubsgeld die zusätzliche, über das Urlaubsentgelt hinaus gezahlte Vergütung
zu verstehen (vgl. z.B. Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 11. Aufl., § 102 A Rz. 98). Das
Urlaubsgeld soll die besonderen Aufwendungen des Arbeitnehmers, die während und
im Zusammenhang mit dem Urlaub entstehen, ausgleichen. Dass der vom Kläger
konkret geltend gemachte Urlaubsgeldanspruch Gratifikationscharakter hat und nicht
akzessorisch ist, ist dem Vortrag des Klägers nicht zu entnehmen, da jeglicher Vortrag
zur Anspruchsgrundlage fehlt.
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b) Aus dem Satzzusammenhang in Ziffer 3 des Vergleichs zwischen Satz 2 und Satz 3
ergibt sich, dass die Parteien mit der Erledigungsklausel in Satz 3 alle
Urlaubsansprüche erledigen wollten, die über den in Satz 2 geregelten
Urlaubsentgeltanspruch hinausgehen.
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In Satz 2 wird die Beklagte verpflichtet, das Urlaubsentgelt für die Zeit vom 09.08. bis
03.09.2004 ordnungsgemäß abzurechnen und an den Kläger auszuzahlen. Bei dieser
Verpflichtung handelt es sich um die Zahlung des Urlaubsentgelts nach § 11 BUrlG.
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Die in Satz 3 enthaltene Erledigungserklärung bezieht sich dagegen auf sämtliche
Urlaubsansprüche des Klägers aus dem Kalenderjahr 2004.
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c) Entgegen der Auffassung des Klägers beschränkt sich die Erledigungserklärung in
Ziffer 3 Satz 3 des Vergleichs nicht auf die Ansprüche des Klägers auf tatsächliche
Urlaubsgewährung des Urlaubs im Kalenderjahr 2004.
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Eine solche Auslegung lässt schon der Satzaufbau nicht zu. Erledigt werden sollen
sämtliche Urlaubsansprüche des Klägers. Die Erledigungserklärung beinhaltet nicht,
dass sämtliche Ansprüche des Klägers auf tatsächliche Gewährung des Urlaubs
erledigt sind, sondern erfasst sämtliche Urlaubsansprüche aus dem Kalenderjahr 2004.
Die Angabe "durch tatsächliche Gewährung" enthält lediglich einen Tatsachenvergleich
über die Art der Erledigung des Anspruchs auf Urlaubserteilung, der unverzichtbar ist.
Mit der Angabe sollte keine Begrenzung der Urlaubsansprüche erfolgen, sondern
lediglich klargestellt werden, dass eine tatsächliche Gewährung, die sämtliche
Urlaubsansprüche, die mit der Klausel erledigt werden sollten, ausgelöst hat, zugrunde
gelegen hat.
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d) Eine solche weite Auslegung entspricht auch dem Zweck der Erledigungserklärung.
Nach den Willen der Parteien sollten mit der Erledigungserklärung alle
Urlaubsansprüche des Klägers aus dem Urlaubsjahr 2004 endgültig erledigt sein,
darunter auch der Anspruch auf das Urlaubsgeld, gleichgültig ob die Vertragsparteien
bei Vergleichsschluss hieran gedacht haben oder nicht. Der beurkundete
Vergleichswille wäre wertlos, wenn die Vergleichsverhandlungen sogleich Quelle
neuer, über den beurkundeten Inhalt hinausgehender Ansprüche und damit eines neuen
Rechtsstreits sein könnten.
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e) Dies gilt auch, wenn die Parteien den eventuellen Verzicht des Klägers auf das
Urlaubsgeld bei der Höhe der Abfindung nicht berücksichtigt haben.
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II. Nach alledem hat das Rechtsmittel keinen Erfolg.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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Knipp
Rosenberger
Palsbröker
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