Urteil des LAG Hamm vom 30.11.2010

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Landesarbeitsgericht Hamm, 7 Ta 557/10
Datum:
30.11.2010
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
7 Ta 557/10
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Bielefeld, 1 Ca 531/09
Schlagworte:
Aussetzung, Tariffähigkeit, Einlegung der sofortigen Beschwerde
Normen:
§ 97 ArbGG, § 569 ZPO, § 252 ZPO, § 233 ZPO
Leitsätze:
Zu den Anforderungen an die Einreichnung einer Beschwerdeschrift
Tenor:
Unter Zurückweisung des Antrags der Beklagten auf Wiedereinsetzung
in die versäumte Beschwerdefrist wird die sofortige Beschwerde der
Beklagten gegen den Aussetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts
Bielefeld vom 17.05.2010 - 1 Ca 531/10 - als unzulässig verworfen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
G r ü n d e:
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I.
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Die Parteien streiten in der Hauptsache um Zahlungsansprüche. Die Klägerin war vom
11.06.2008 bis zum 30.11.2008 bei der Beklagten beschäftigt, die ein
Zeitarbeitsunternehmen betreibt. Sie stützt die mit ihrer seit dem 24.09.2009 anhängigen
Klage eingeforderten Ansprüche in Höhe von zuletzt 2.886,41 € (brutto) u.a. darauf, die
von der Beklagten die bei Abrechnung von Vergütungsansprüchen zugrundegelegten
Tarifverträge für die Zeitarbeitsbrache, die die Christliche Gewerkschaft Zeitarbeit und
PSA mit dem Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister (AMP)
abgeschlossen hätten, seien rechtsunwirksam. Das Landesarbeitsgericht Berlin-
Brandenburg habe - insoweit unstreitig - mit Beschluss vom 07.12.2009 - 23 TaBV
1016/09 - (noch nicht rechtskräftig) festgestellt, dass diese Vereinigung keine tariffähige
Gewerkschaft sei. Der arbeitsvertraglich zugrunde gelegte Entgelt-Tarifvertrag
Zeitarbeitsbranche sei daher unwirksam. Dies wiederum führe dazu, dass sie - die
Klägerin - nach § 10 Abs. 4 AÜG infolge der Unwirksamkeit der getroffenen
Vergütungsvereinbarung den im Betrieb der Beklagten an vergleichbare Arbeitnehmer
gezahlten Lohn beanspruchen könne. Dies sei ein Stundenlohn von 9,50 € anstelle der
von der Beklagten gezahlten 7,00 €, der bei der Berechnung von Lohn- und
Urlaubsabgeltungsansprüchen zugrunde gelegt werden müsse.
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Die Beklagte wendet gegen die von der Klägerin im Laufe des Verfahrens erweiterte
Klage prozessuale Bedenken ein, ist der Auffassung, die Christliche Gewerkschaft
Zeitarbeit und PSA sei tariffähig und meint, der Sachvortrag der Klägerin zu den
Voraussetzungen des § 10 Abs. 4 AÜG sei unsubstantiiert. Ferner seien die Ansprüche
bei angenommener Geltung des Manteltarifvertrages Zeitarbeitsbrache verfallen,
jedenfalls aber verwirkt. Die Ansprüche aus § 10 Abs. 4 AÜG seien erstmals im Rahmen
der Klageerweiterung vom 13.10.2009 geltend gemacht worden.
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Sie weist darauf hin, dass das Arbeitsgericht für den Fall, dem Verwirkungseinwand
nicht folgen zu wollen, das Verfahren jedenfalls nach § 97 Abs. 5 ArbGG von Amts
wegen auszusetzen habe, bis die Tariffähigkeit der Christlichen Gewerkschaft Zeitarbeit
und PSA rechtskräftig geklärt sei.
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Der Anregung der Beklagten folgend hat das Arbeitsgericht mit Beschluss vom
17.05.2005 - der Beklagten am 21.05.2010 zugestellt - den Rechtsstreit nach § 97 Abs.
5 ArbGG ausgesetzt, im Wesentlichen mit der Begründung, die Beklagte weise
zutreffend darauf hin, dass der Rechtsstreit nach § 97 Abs. 5 ArbGG auszusetzen sei.
Die Tariffähigkeit der Christlichen Gewerkschaft Zeitarbeit und PSA sei vorrangig zu
klären, weil die Entscheidung dieses Rechtsstreits davon abhängig sei.
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Mit Schriftsatz vom 02.06.2010 hat die Beklagte wörtlich ausgeführt, es solle
"grundsätzlich gegen den Aussetzungsbeschluss vom 17.05.2010 keine Beschwerde
eingelegt werden. Jedoch" enthalte "die Begründung des Beschlusses keine einzige
Ausführung zu der mit hiesigem Schriftsatz vom 24.03.2010 (…) vorgetragenen von
Amts wegen zu prüfenden Verwirkungsgründe." Sie hat die Auffassung geäußert, falls
der Einwand der Verwirkung greife, käme es auf die Tariffähigkeit nicht an. Das
Verfahren wäre dann nicht auszusetzen. Das Gericht, so die Beklagte wörtlich, habe
"daher diese Prüfung bereits jetzt vorzunehmen und den Beschluss in diesem Punkt zu
ergänzen bzw. einen richterlichen Hinweis zu erteilen."
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Mit Schriftsatz vom 12.07.2010, bei Gericht am 14.07.2010 eingegangen, hat die
Beklagte an die Beantwortung des Schriftsatzes vom 02.06.2010 erinnert und
ausgeführte, sofern das Gericht meine, keine Mitteilung abgeben zu wollen, solle das
Schreiben vom 02.06.2010 als Beschwerde verstanden werden.
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Das Arbeitsgericht hat dies als Beschwerde der Beklagten gegen den
Aussetzungsbeschluss vom 17.05.2010 gewertet und die sofortige Beschwerde mit der
Begründung vorgelegt, für eine - wie von der Beklagten in ihrem Schriftsatz vom
02.06.2010 angeregte - Ergänzung der Begründung des Beschlusses vom 17.05.2010
habe keine Veranlassung bestanden. Die Beschwerde sei nicht innerhalb der
Beschwerdefrist unbedingt erhoben worden und damit unzulässig.
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In der Beschwerdeinstanz wiederholt und vertieft die Beklagte ihre Ausführungen in den
Schriftsätzen vom 02.06.2010 sowie 12.07.2010 und beantragt hilfsweise im Hinblick
auf die seitens des Arbeitsgerichts angenommene Verfristung Wiedereinsetzung in den
vorherigen Stand. Dies begründet sie damit, das Arbeitsgericht habe nach Eingang des
Schriftsatzes vom 02.06.2010 keine Hinweise erteilt und sich mit den im Schriftsatz vom
24.03.2010 aufgeworfenen Rechtsfragen nicht auseinandergesetzt. Ferner hätte das
Arbeitsgericht den Schriftsatz vom 12.07.2010 als Anhörungsrüge nach § 78a Abs. 1 S.
1 ArbGG verstehen und auslegen müssen, weil in diesem Schreiben bereits die
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Verletzung rechtlichen Gehörs angesichts der unzureichenden Beschlussbegründung
gerügt worden sei. Das Beschwerdegericht möge für den Fall, dass die Beschwerde
trotz des Wiedereinsetzungsantrags von einer Verfristung der sofortigen Beschwerde
ausgehe, eine Stellungnahme zur Anhörungsrüge nach § 78a Abs. 1 S. 1 ArbGG trotz
der fehlenden Devolutivwirkung erteilen.
II.
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Die sofortige Beschwerde war als unzulässig zu verwerfen.
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1. Nach den §§ 78, 97 Abs. 5 ArbGG, 252, 567 ff ZPO ist gegen die gerichtlich
beschlossene Aussetzung gem. § 97 Abs. 5 ArbGG wegen einer vorrangig zu klärenden
Tariffähigkeit die sofortige Beschwerde statthaft.
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2. Nach § 569 Abs. 1 S. 1 ZPO ist die sofortige Beschwerde binnen einer Notfrist von 2
Wochen einzulegen. Die Notfrist, die nach § 569 Abs. 1 S. 2 ZPO mit Zustellung des
arbeitsgerichtlichen Beschlusses am 21.05.2010 begann, endete am 04.06.2010.
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a) Diese Frist wurde mit dem am 02.06.2010 eingegangenen Schriftsatz gleichen Datum
nicht gewahrt. Zutreffend hat das Arbeitsgericht darauf hingewiesen, dass im Schriftsatz
vom 02.06.2010 keine Beschwerdeeinlegung enthalten ist.
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Die Einlegung der Beschwerde geschieht - sofern sie nicht durch Erklärung zu Protokoll
der Geschäftsstelle erklärt wird - durch Hereingabe einer Beschwerdeschrift. Die
Beschwerdeschrift muss die angefochtene Entscheidung bezeichnen und die Erklärung
enthalten, dass gegen diese Entscheidung Beschwerde eingelegt wird (Zöller/Heßler,
ZPO, 28. Aufl. 2010 § 569 Rn 7). Entscheidend ist dabei nicht der Wortlaut im
Schriftsatz, solange der Wille zum Ausdruck kommt, dass die angefochtene
Entscheidung durch das Gericht sachlich überprüft werden soll. Dabei ist bei anwaltlich
nicht vertretenen Parteien ein großzügiger Maßstab anzulegen. Ist hingegen der
Anfechtungswille auch bei großzügiger Auslegung nicht erkennbar, so wird eine
Eingabe nicht dadurch zur Beschwerde, dass im Nachgang erklärt wird, sie möge als
Beschwerde verstanden werden (Zöller/Heßler, ZPO, 28. Aufl. 2010 § 569 Rn 7a
m.w.N.).
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Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs konnte der Inhalt des Schriftsatzes vom
02.06.2010 auch bei großzügiger Auslegung nicht dahingehend begriffen werden, dass
er eine sofortige Beschwerde gegen den Beschluss vom 17.05.2010 sein möge. So hat
die anwaltlich beklagte Partei erklärt, es solle gegen den Aussetzungsbeschluss vom
17.05.2010 grundsätzlich keine Beschwerde eingelegt werden, das Gericht möge
jedoch den erhobenen Verwirkungseinwand prüfen und den Beschluss in diesem Punkt
ergänzen bzw. einen richterlichen Hinweis erteilen. Damit hat die Beklagte deutlich
gemacht, dass zwar der Tenor des Beschlusses Einverständnis findet, dies jedoch nicht
für die Begründung gelte. Nur so konnte das Gericht unter Berücksichtigung des bei
einer Auslegung anzulegenden Blickwinkels eines objektiven Erklärungsempfängers
den Inhalt des Schriftsatzes verstehen. Dies muss insbesondere deshalb gelten, weil es
die Beklagte war, die die Aussetzung des Rechtsstreits angeregt und
Befangenheitsanträge für den Fall angekündigt hatte, dass sich eine solche
Entscheidung durch das Gericht verzögern würde. Das Gericht musste damit annehmen,
dass die Beklagte keine inhaltliche Änderung im Beschlusstenor erreichen wollte,
sondern lediglich die Beschlussbegründung für ergänzungsbedürftig hielt. Dies gilt
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umso mehr, als dass bei anwaltlichen Prozessbevollmächtigten die Kenntnis
vorauszusetzen ist, dass eine klare und eindeutige Bezeichnung des Rechtsmittels zu
erfolgen hat, das eingelegt werden soll, wie sich im Übrigen § 569 Abs. 2 S. 2 ZPO
entnehmen lässt.
b) Der Schriftsatz vom 12.07.2010 ging außerhalb der zweiwöchigen Beschwerdefrist
ein. Es kann damit offen bleiben, ob die dortige Erklärung, das Schreiben vom
02.06.2010 solle als Beschwerde gelten, selbst als eine am 14.07.2010 eingegangene
ordnungsgemäße Beschwerdeeinlegung hätte ausgelegt werden können, woran
Zweifel bestehen, weil die diese Beschwerdeeinlegung unter die auflösende Bedingung
gestellt gewesen wäre, dass das Gericht meine, "keine Mitteilung machen zu müssen".
Mit Übermittlung der vom Arbeitsgericht abgegebenen Stellungnahme im Rahmen des
Abhilfeverfahrens nach § 572 Abs. 1 ZPO dürfte diese Bedingung jedenfalls eingetreten
und damit die auflösend bedingte Beschwerdeeinlegung wiederum entfallen sein.
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c) Der Beklagten war auch keine Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdefrist zu
geben. Eine Wiedereinsetzung kommt nach § 233 ZPO in Betracht, wenn eine Partei
ohne ihr Verschulden gehindert war, eine Notfrist einzuhalten. Auch die Frist zur
Einlegung der sofortigen Beschwerde, auf die in der Rechtsmittelbelehrung im
angefochtenen Beschluss nach § 9 Abs. 5 ArbGG hingewiesen worden war, ist eine
solche Notfrist, § 569 Abs. 1 S. 1 ZPO. Doch sind Wiedereinsetzungsgründe nicht
erkennbar. Das gilt auch für den von der Beklagten vorgetragenen Gesichtspunkt der
Verletzung rechtlichen Gehörs, den die Beklagte darauf stützt, die Begründung des
angefochtenen Beschlusses sei unzureichend, weil das Gericht nicht auf den Einwand
der Verwirkung eingegangen sei. Dies ist nichts, was die Beklagte in rechtlicher oder
tatsächlicher Hinsicht davon hätte abhalten können, die Beschwerde innerhalb der
Beschwerdefrist einzulegen. Der Antrag auf Wiedereinsetzung war daher
zurückzuweisen.
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3. Das Beschwerdegericht geht davon aus, dass die Beklagte mit ihrer Anregung, es
möge eine Stellungnahme zur erhobenen Anhörungsrüge nach § 78a Abs. 1 S. 1
ArbGG erteilt werden, keine Anhörungsrüge bei dem Beschwerdegericht gegen die
Entscheidung des Arbeitsgerichts hat erheben wollen. Denn eine solche Rüge wäre
unzulässig, weil sie nach § 78a Abs. 2 S. 4 ZPO bei dem Gericht zu erheben ist, dessen
Entscheidung angefochten wird, hier also bei dem Arbeitsgericht Bielefeld. Da der
Zivilprozess von der Dispositionsbefugnis geprägt ist, sieht sich das Gericht vor dem
Hintergrund der Bestimmung in § 308 Abs. 1 ZPO nicht in der Lage, einen im
Beschwerdeverfahren nicht anhängigen Antrag zu bescheiden oder eine einer
Bescheidung vergleichbare Stellungnahme abzugeben.
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III.
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Nach alledem hat das Rechtsmittel keinen Erfolg. Einer Kostenentscheidung bedürfte es
nicht. Entstandene Kosten sind Teil der Prozesskosten und daher bei der
Hauptsachentscheidung zu behandeln (Zöller/Greger, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 252 Rn 3).
Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde i.S.d. §§ 78 Satz 2, 72 Abs. 2 ArbGG
lagen nicht vor.
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