Urteil des LAG Hamm vom 03.03.2010

LArbG Hamm (wesentliche veränderung, zpo, bewilligung, prüfung, partei, aufhebung, veränderung, ratenzahlung, arbeitsgericht, leistungsfähigkeit)

Landesarbeitsgericht Hamm, 14 Ta 649/09
Datum:
03.03.2010
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
14. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
14 Ta 649/09
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Herne, 2 Ca 409/09
Schlagworte:
Aufhebung, Belastungen, Bewilligungszeitpunkt,
Prozesskostenhilfebewilligung, Ratenrückstand, Verschulden
Normen:
§ 124 Nr. 4 ZPO
Leitsätze:
1. Bereits zum ursprünglichen Bewilligungszeitpunkt bestehende,
bislang von der bedürftigen Partei jedoch nicht angegebene
Belastungen sind vor der Entscheidung über eine Aufhebung nach §
124 Nr. 4 ZPO bei der Prüfung, ob der Rückstand mit der Zahlung einer
Monatsrate oder eines sonstigen Betrags verschuldet ist, zu
berücksichtigen. Das Gericht darf die Bewilligung nicht allein mit der
Begründung aufheben, der Bedürftige habe keine nachträgliche
Änderung der Verhältnisse dargetan.
2. Eine Abänderung der Prozesskostenhilfeentscheidung gemäß § 120
Abs. 4 ZPO nach Eintritt einer wesentlichen Veränderung darf nicht
isoliert nach dieser Veränderung vorgenommen werden, sondern nach
den bestehenden persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen ist zu
überprüfen, ob und in welcher Höhe die Anordnung von Raten- bzw.
Einmalzahlungen gerechtfertigt ist. Das umfasst auch die
Berücksichtigung von ursprünglich bei Bewilligung bereits bestehenden,
aber bislang nicht geltend gemachten Belastungen. Voraussetzung
bleibt aber, dass überhaupt eine wesentliche Veränderung vorliegt.
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des
Arbeitsgerichts Herne vom 22. September 2009 aufgehoben.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe :
1
Die gemäß § 11 Abs. 1 RPflG, § 46 Abs. 2, § 78 ArbGG, § 127 Abs. 2, §§ 567 ff ZPO
zulässige sofortige Beschwerde ist begründet. Der Rückstand der Klägerin mit der
Zahlung der Raten seit dem Monat Mai 2009 ist nicht verschuldet.
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1. Nach § 124 Nr. 4 ZPO kann das Gericht die Bewilligung der Prozesskostenhilfe
aufheben, wenn die Partei länger als drei Monate mit der Zahlung einer Monatsrate in
Rückstand ist. Nach ihrem Wortlaut setzt die Vorschrift nur einen "Rückstand" voraus.
Zwar ist streitig, ob damit ein – schuldhafter – Verzug gemeint ist oder das Gericht
lediglich im Rahmen der von ihm zu treffenden Ermessensentscheidung zu
berücksichtigen hat, ob der Rückstand unverschuldet ist (vgl. Nachweise bei BGH, 9.
Januar 1997, IX ZR 61/94, NJW 1997, 1077). Nach übereinstimmender Meinung darf
aber die Prozesskostenhilfebewilligung nicht aufgehoben werden, wenn die
unterbliebene Ratenzahlung nicht auf einem Verschulden der bedürftigen Partei beruht
(vgl. BGH, 9. Januar 1997, a.a.O.; LAG Hamm, 19. März 2003, 18 Ta 60/03, NZARR
2003, 382; Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe,
Beratungshilfe, 5. Aufl., 2010, Rn. 849; Zöller/Geimer, ZPO, 28. Aufl., 2010, § 124 Rn.
19; Natter/Groß/Perschke, ArbGG, 2010, § 11a Rn. 118). Eine Aufhebung der
Prozesskostenhilfe wegen Rückstands mit der Ratenzahlung ist unzulässig, wenn die
festgesetzten Raten der Leistungsfähigkeit der Partei nicht (mehr) entsprechen. Eine
Aufhebung nach § 124 Nr. 4 ZPO wegen der in diesen Zeitraum fallenden
rückständigen Beträge kommt in einem solchen Fall nicht in Betracht (vgl. LAG Hamm,
2. September 2004, 4 Ta 695/03; 22. September 2005, 4 Ta 395/04, FA 2006, 192; 12.
Oktober 2007, 4 Ta 221/07).
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Bereits zum ursprünglichen Bewilligungszeitpunkt bestehende, bislang von der
bedürftigen Partei jedoch nicht angegebene Belastungen sind vor der Entscheidung
über eine Aufhebung nach § 124 Nr. 4 ZPO bei der Prüfung, ob der Rückstand mit der
Zahlung einer Monatsrate oder eines sonstigen Betrags verschuldet ist, zu
berücksichtigen. Das Gericht ist nicht an die Feststellungen und Bewertungen im
Rahmen des ursprünglichen Bewilligungsbeschlusses gebunden. Für die Prüfung des
Verschuldens erwachsen die der früheren Zahlungsanordnung zugrunde liegenden
tatsächlichen Feststellungen nach allgemeinen Regeln nicht in Rechtskraft (vgl. BGH, 9.
Januar 1997, a.a.O.). Im Rahmen der Entscheidung nach § 124 Nr. 4 ZPO hat vielmehr
eine nochmalige Prüfung der Leistungsfähigkeit der Partei zu erfolgen (vgl.
Schoreit/Groß, Prozesskostenhilfe, Beratungshilfe, § 124 Rn. 22). Das Ausbleiben der
Zahlungen ist demnach unverschuldet, wenn das Einkommen der Partei so gering ist,
dass ihr Prozesskostenhilfe ohne Raten gewährt werden müsste, wenn sie erneut
Prozesskostenhilfe beantragen würde (vgl. Zöller/Geimer, a.a.O). Das Verschulden fehlt
auch dann, wenn die Ratenzahlung von Anfang an zu hoch festgesetzt wurde. Es
handelt sich nicht um eine Kontrolle der Richtigkeit der ursprünglichen Entscheidung
über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe, sondern um die Prüfung der
Aufhebungsvoraussetzung "verschuldeter Rückstand". Es verbleibt zwar, wenn eine
Beschwerde nicht erhoben wurde, bei den ursprünglich festgesetzten Raten, die auch
weiterhin eingezogen werden können. Mangels Verschuldens kommt es aber nicht zu
einer Aufhebung der Bewilligung mit der Folge, dass die Vergünstigungen insgesamt
entfallen (vgl. Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, a.a.O., Rn 850). Das Gericht darf die
Bewilligung nicht allein mit der Begründung aufheben, der Bedürftige habe keine
nachträgliche Änderung der Verhältnisse dargetan. Vielmehr hat das Gericht
grundsätzlich auch neuen Vortrag darüber zu berücksichtigen, dass die wirtschaftlichen
Verhältnisse des Bedürftigen von Anfang an ungünstiger waren, als von Gericht
angenommen (vgl. BGH, 9. Januar 1997, a.a.O.).
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2. Bei Anwendung dieser Grundsätze im vorliegenden Fall war die Klägerin nicht
verpflichtetet ab Mai 2009 eine monatliche Rate von 45,00 € zu zahlen. Zwar hatte sie
die bereits bestehende Kreditverbindlichkeit über monatlich 122,47 € nicht angegeben
und belegt. Im Rahmen der Prüfung des Verschuldens ergibt sich jedoch, dass nicht das
vom Arbeitsgericht ermittelte verfügbare Einkommen von 150,00 € bestand, sondern
lediglich ein solches von abgerundet (§ 115 Abs. 2 ZPO) 37,00 €. Zwar wären hieraus
nach der Tabelle des § 115 Abs. 2 ZPO bereits zum Zeitpunkt der
Bewilligungsentscheidung monatliche Raten von 15,00 € anzuordnen gewesen, daraus
ergibt sich aber zugleich die fehlende Leistungsfähigkeit bezüglich der angeordneten
Ratenzahlung von 45,00 €.
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Darüber hinaus hat das Arbeitsgericht - aufgrund der von ihm vertretenen
Rechtsauffassung zur Berücksichtigungsfähigkeit konsequent - im Rahmen der Prüfung
des Verschuldens nicht aufgeklärt, ob tatsächlich die von der Klägerin angegebene
Verbindlichkeiten von monatlich 150,00 € aus einem Vollstreckungsbescheid besteht
sowie ein Dispositionskredit mit monatlich 25,00 € zurückgezahlt wird. Zwar hat die
Klägerin Belege hierüber nicht vorgelegt. Auf diesen Mangel ist sie jedoch vom
Arbeitsgericht nicht hingewiesen worden. Eine Leistungsfähigkeit und damit ein
Verschulden ist mangels hinreichender Aufklärung des Sachverhalts nicht feststellbar.
Im Ergebnis ist die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung aus diesen Gründen
nicht gerechtfertigt.
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3. Das Arbeitsgericht wird nunmehr im Hinblick auf die Angaben der Klägerin im
Schriftsatz vom 6. Oktober 2009 bezüglich des Vollstreckungsbescheids und der
Rückzahlung des Dispositionskredits den Sachverhalt aufzuklären und eine etwaige
Abänderung des ursprünglichen Bewilligungsbeschlusses hinsichtlich der
Ratenzahlungsanordnung gemäß § 120 Abs. 4 ZPO zu prüfen haben. Eine
Berücksichtigungsfähigkeit scheidet nicht von vornherein aus, auch wenn diese
Belastungen erst nach der Bewilligung von Prozesskostenhilfe entstanden sein sollten
(vgl. LAG Hamm, 23. März 2009, 14 Ta 586/08; 21. Oktober 2009, 14 Ta 159/09). Dabei
wird es auch in Betracht zu ziehen haben, dass ausweislich des vorgelegten Bescheids
der Bundesagentur für Arbeit vom 30. Mai 2009 die Bewilligung von Arbeitslosengeld
nur bis zum 28. Februar 2010 erfolgt ist. Insoweit wird im Rahmen der Prüfung nach §
120 Abs. 4 ZPO auch aufzuklären sein, ob der Klägerin noch ein Einkommen danach ab
1. März 2010 zur Verfügung steht, welches die Anordnung einer Ratenzahlung
rechtfertigen kann. Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass eine Abänderung der
Prozesskostenhilfeentscheidung nach Eintritt einer wesentlichen Veränderung nicht
isoliert nach dieser Veränderung vorgenommen werden kann, sondern nach den jetzt
bestehenden persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zu überprüfen ist, ob und
in welcher Höhe die Anordnung von Raten- bzw. Einmalzahlungen gerechtfertigt ist,
was die Berücksichtigung von ursprünglich bei Bewilligung bereits bestehenden, aber
bislang nicht geltend gemachten Belastungen mit umfasst (vgl.
Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, a.a.O., Rn. 394). Voraussetzung bleibt aber, dass
überhaupt eine wesentliche Veränderung vorliegt. Hier gilt nichts anderes als bei einer
Abänderungsklage im Sinne des § 323 ZPO. Nicht im ursprünglichen Prozess
vorgetragene Alttatsachen können ein Abänderungsverlangen allein nicht begründen,
sind aber zu berücksichtigen, wenn eine Abänderung wegen anderer Tatsachen
erfolgen soll (vgl. BGH, 1. Oktober 1997, XII ZR 49/96, NJW 198, 162).
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4. Gründe für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde bestehen nicht.
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