Urteil des LAG Hamm vom 20.09.2005

LArbG Hamm: zulage, aufrechnung, arbeitsgericht, krankheitsfall, nettoeinkommen, erlöschen, arbeitsunfähigkeit, rückzahlung, verrechnung, nichtschuld

Landesarbeitsgericht Hamm, 19 Sa 1014/05
Datum:
20.09.2005
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
19. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
19 Sa 1014/05
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Detmold, 1 Ca 1719/04
Schlagworte:
Zur Zulässigkeit der Aufrechnung bei Geltendmachung der Vergütung
für mehrere Monate
Rechtskraft:
Die Revision wird nicht zugelassen
Tenor:
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsge-richts
Detmold vom 02.03.2005 - 1 Ca 1719/04 - teilweise ab-geändert und wie
folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger
a) für September 2004 408,04 € nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.10.2004,
b) für Oktober 2004 363,29 € nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.11.2004
c) für November 2004 484,84 € nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.12.2004
d) für Dezember 2004 484,84 € nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.01.2005
zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Im darüber hinausgehenden Umfang wird die Berufung zurück-
gewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger zu 7% und der
Beklagten zu 93% auferlegt
T a t b e s t a n d
1
Die Parteien streiten über die Zahlung einer außertariflichen Zulage für die Monate
September bis Dezember 2004.
2
Der am 21.01.15xx geborene, verheiratete und gegenüber 3 Kindern unterhaltspflichtige
Kläger ist seit dem 01.04.1980 bei der Beklagten auf der Grundlage des schriftlichen
Arbeitsvertrages vom 24.01.1980 als gewerblicher Arbeitnehmer tätig. Nach § 4 des
Arbeitsvertrages gelten u.a. hinsichtlich des Erlöschens von Ansprüchen die
Bestimmungen des jeweils gültigen Manteltarifvertrages "für gewerbliche Arbeitnehmer
im Groß- und Außenhandel des B6xxxxxxx Arbeitgeberverbandes im Groß- und
Außenhandel". Wegen der Einzelheiten des schriftlichen Arbeitsvertrages wird auf Bl. 3
bis 5 der Gerichtsakte Bezug genommen.
3
Bis einschließlich August 2004 zahlte die Beklagte an den Kläger ein monatliches
Bruttofestgehalt in Höhe von 2.496,-- €, in dem eine außertarifliche Zulage in Höhe von
448,84 € enthalten war. Ab September 2004 reduzierte die Beklagte das monatliche
Bruttofestgehalt um die außertarifliche Zulage auf 2.047,16 € im Hinblick auf eine am
23.07.2004 mit dem bei ihr bestehenden Gesamtbetriebsrat abgeschlossene
Betriebsvereinbarung. In der Präambel dieser Betriebsvereinbarung Nr. 25
(Prämiensystem im gewerblichen Bereich der Werke L1xxxxxxxxxx und G2xxxxxxx)
heißt es:
4
"Die Firma S1xxxx hat den gewerblichen Mitarbeitern in den
Produktionsstätten in L1xxxxxxxxxx und G2xxxxxxx bisher im erheblichen
Umfang leistungsunabhängige tarifliche Entgeltbestandteile gewährt
(sogenannte außertarifliche freiwillige Zulagen). Diese Entgeltbestandteile
sollen mit der vorliegenden
5
Gesamtbetriebsvereinbarung – soweit individual-rechtlich zulässig – durch ein
flexibilitäts- und qualifikations- und leistungsbezogenes Prämiensystem
abgelöst werden.
6
Gleichzeitig soll damit ein Beitrag zur Sicherung der Standorte in
L1xxxxxxxxxx und G2xxxxxxx geleistet werden.
7
..."
8
Darüber hinaus enthält diese Vereinbarung folgende Regelungen:
9
"
2. Geltungsbereich
10
...
11
Persönlich gilt diese Betriebsvereinbarung für alle gewerblichen
Arbeitnehmer/innen in der Produktion einschließlich der vor- und
12
nachgelagerten Bereiche unter Berücksichtigung der Einschränkung gemäß
Punkt 9.
...
13
9. Tarifliche und individualrechtliche Ansprüche
14
...
15
In einzelvertragliche Ansprüche wird mit dieser Vereinbarung ebenfalls nicht
eingegriffen. Sofern diese Vereinbarung - wie in der Präambel beschrieben -
bisher gezahlte übertarifliche Entgeltbestandteile ersetzen soll, setzt der
Wegfall dieser Entgeltbestandteile einen entsprechenden einzelvertraglichen
Verzicht voraus.
16
...
17
Die in dieser Gesamtbetriebsvereinbarung zugesagten Prämienansprüche
gelten ausschließlich für Mitarbeiter/innen, die keine freiwilligen
außertariflichen Zulagen erhalten oder auf diese durch einzelvertragliche
Regelung verzichtet haben. Mitarbeiter/innen, die weiterhin diese freiwilligen
außertariflichen Zulagen erhalten, können keinen Anspruch auf variable
Bestandteile aus dieser Betriebsvereinbarung herleiten.
18
..."
19
Hinsichtlich der weiteren Regelungen der Betriebsvereinbarung wird auf die von der
Beklagten zur Akte gereichte Kopie (Bl. 32 ff GA) Bezug genommen.
20
Von den 186 betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des W2xxxx L1xxxxxxxxxx
stimmten 140 Mitarbeiter der Regelung zu. Im Werk G2xxxxxxx erklärten sich alle 98
Mitarbeiter mit der Regelung einverstanden. Der Kläger, der in dem Werk L1xxxxxxxxxx
beschäftigt ist, lehnte die Zustimmung zu dem neuen Entlohnungsmodell ab.
21
Ab September 2004 wiesen die Gehaltsabrechnungen des Klägers neben dem auf
2.047,16 € reduzierten Bruttofestgehalt Prämien unter verschiedenen Bezeichnungen
(z.B. Qualifikationsprämie, Flexi-Prämie, Prämie, Prämienwerkabschlag) und in
unterschiedlicher Höhe aus. Hinsichtlich der einzelnen Beträge wird auf die
Gehaltsabrechnungen für die Monate September bis Dezember 2004 (Bl. 20 bis 26 d.
GA) Bezug genommen. Auf Bl. 2 dieser Abrechnungen ist jeweils vermerkt:
22
"Qualifikationsprämie, Flexibilitätsprämie und Leistungsprämie werden
anstelle der bisher freiwilligen außertariflichen Zulage gezahlt."
23
Nachdem der Kläger mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 13.10.2004
(Bl. 6 d. GA) ohne Erfolg die Unzulässigkeit der Kürzung des Festgehalts geltend
machte, hat er mit dem am 04.11.2004 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz
vom 02.11.2004 Klage auf Zahlung des monatlichen Differenzbetrages für September
2004 in Höhe von 484,84 € erhoben. Mit dem am 19.01.2005 beim Arbeitsgericht
eingegangenen und der Beklagten am 21.01.2005 zugestellten Schriftsatz hat der
Kläger die Klage um die monatliche Differenz von jeweils 448, 84 € für die Monate
24
Oktober bis Dezember 2004 erweitert.
Der Kläger hat beantragt,
25
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 448,84 € brutto nebst 5
Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 01.10.2004 zu
zahlen,
26
2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 1.346,52 € brutto nebst 5
Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz aus 448,84 € seit dem
01.11.2004, aus weiteren 448,84 € seit dem 01.12.2004 und aus weiteren
448,84 € seit dem 01.01.2005 zu zahlen.
27
Die Beklagte hat beantragt,
28
die Klage abzuweisen.
29
Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, dass der Kläger die jeweiligen
Vergütungsdifferenzen nicht zutreffend berechnet habe, weil er die gezahlten Prämien
nicht in Abzug gebracht habe. Wegen der Einzelheiten der Beanstandung der
Anspruchshöhe wird auf die mit Schriftsatz vom 14.02.2005 überreichte Anlage 2 (Bl. 94
d. GA) Bezug genommen.
30
Darüber hinaus hat die Beklagte die Ansicht vertreten, dass die bisherige außertarifliche
Zulage jedenfalls wegen der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit des Klägers in der
Zeit vom 29.09.2004 bis zum 06.10.2004 zu kürzen sei, weil der Kläger während dieser
Zeit – unstreitig – keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall erhalten habe.
31
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen
ausgeführt, die Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, die individualrechtlich
vereinbarte Zulage einseitig zu kürzen, zumal nach Ziffer 2 der abgeschlossenen
Betriebsvereinbarung die Kürzung nur bei einer Zustimmung des Arbeitnehmers
zulässig gewesen sei, die der Kläger unstreitig nicht erteilt habe. Eine Kürzung der
übertariflichen Zulage sei auch nicht für den Zeitraum vom 29.09.2004 bis zum
06.10.2004 möglich gewesen, weil die Beklagte nicht ausreichend dargelegt habe, dass
und gegebenenfalls inwieweit der Anspruch des Klägers auf Entgeltfortzahlung im
Krankheitsfall wegen Ablaufs des Sechswochenzeitraumes weggefallen sei, zumal die
Beklagte an den Kläger für die Monate September und Oktober 2004 ausweislich der
Lohnabrechnungen für diese Monate das ungekürzte Festgehalt von 2.047,16 € gezahlt
habe. Die Beklagte könne sich auch nicht mit Erfolg auf eine fehlerhafte Berechnung der
Restvergütungsansprüche unter Hinweis auf eine Aufrechnung berufen, weil die
Aufrechnung jedenfalls in entsprechender Anwendung des § 393 BGB ausgeschlossen
sei. Die entsprechende Anwendung des § 393 BGB, nach dem die Aufrechnung gegen
eine Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung nicht zulässig
sei, sei gerechtfertigt, weil die Beklagte in Kenntnis der fehlenden Zustimmung des
Klägers zur Kürzung der freiwilligen Zulage das neue Vergütungssystem angewendet
habe, obwohl ihr die fehlende Berechtigung dazu bekannt gewesen sei.
32
Gegen das am 28.04.2005 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat die Beklagte am
18.05.2005 Berufung eingelegt und diese – innerhalb der bis zum 12.07.2005
verlängerten Berufungsbegründungsfrist – am 01.07.2005 begründet.
33
Die Beklagte greift das Urteil des Arbeitsgerichts nur teilweise an. Sie vertieft ihr
erstinstanzliches Vorbringen und vertritt insbesondere weiterhin die Ansicht, dass die
gezahlten Prämien nach Maßgabe der Gesamtbetriebsvereinbarung in Höhe von
insgesamt 1.222,14 € brutto (September 2004: 239,22 €, Oktober 2004: 366,84 €,
November 2004: 333,95 € und Dezember 2004: 282,13 €) in Abzug zu bringen seien.
Denn das Arbeitsgericht habe zu Un-recht eine automatische Verrechnung der
gezahlten Prämien mit der übertariflichen Zulage verneint. Zumindest seien die
Ansprüche des Klägers aufgrund der von der Beklagten spätestens in der
Klageerwiderung vom 14.02.2005 konkludent erklärten Aufrechnung erloschen, weil sie
mit der mit diesem Schriftsatz überreichten Anlage 2, die eine Gegenüberstellung der
Forderungen enthalte, ihren Aufrechnungswillen unmissverständlich zum Ausdruck
gebracht habe. Jedenfalls seien die Restansprüche des Klägers in Höhe der gezahlten
Prämien aufgrund der in der Berufungsschrift vom 30.06.2005 ausdrücklich erklärten
Aufrechnung erloschen. § 393 BGB stehe entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts der
erklärten Aufrechnung nicht entgegen, weil diese eng auszulegende
Ausnahmevorschrift auf den vor-liegenden Sachverhalt nach ihrem Sinn und Zweck
auch nicht entsprechend anwendbar sei. Der Aufrechnung stehe auch die Bestimmung
des § 814 BGB nicht entgegen, nach der die Rückforderung des in Kenntnis der
Nichtschuld geleisteten Betrags ausgeschlossen sei, weil diese Vorschrift nicht
anwendbar sei, wenn die Leistung in der Hoffnung auf eine später ent-stehende
Verbindlichkeit erbracht werde. Darüber hinaus verhalte sich der Kläger rechts-
missbräuchlich, wenn er die Zahlung der übertariflichen Zulage verlange, gleichzeitig
aber die Rückzahlung der ihm nach der Betriebsvereinbarung nicht zustehenden
Prämien unter Hinweis auf § 814 BGB verweigere. Schließlich ist die Beklagte der
Ansicht, dass die vom Kläger geltend gemachten Restvergütungsansprüche jedenfalls
für den Zeitraum vom 29.09.2004 bis zum 06.10.2004 zu kürzen seien, weil dem Kläger
ausweislich der Bestätigung der A1x W3xxxxxxx-L2xxx vom 28.06.2005 (Bl. 143 d. GA)
für diesen Zeitraum kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zugestanden
habe.
34
Die Beklagte beantragt,
35
das Urteil des Arbeitsgerichts Detmold vom 02.03.2005 – 1 Ca 1719/04 –
teilweise abzuändern und die Klage auch insoweit abzuweisen, als sie
verurteilt worden ist, an den Kläger
36
a) für Oktober 2004 einen Betrag in Höhe von 448,04 € nebst Zinsen
37
b) für September einen über 168,82 €, für November einen über 114,89 €
und für Dezember 2004 einen über 166,71 €, jeweils nebst Zinsen,
hinausgehenden Betrag zu zahlen.
38
Der Kläger beantragt,
39
die Berufung zurückzuweisen.
40
Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil unter Vertiefung seines bisherigen
Vorbringens. Außerdem beruft sich der Kläger auf das Erlöschen der geltend gemachten
Rückzahlungsansprüche wegen des Ablaufs der tariflichen Verfallfrist sowie auf den
Wegfall der Bereicherung unter Hinweis darauf, dass er das Geld für den Unterhalt
41
seiner Familie verwendet habe.
Wegen des Parteivorbringens im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst
Anlagen Bezug genommen.
42
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
43
Die zulässige Berufung ist nur teilweise begründet.
44
I.
45
Die Berufung ist zulässig. Sie ist gemäß § 64 Abs. 1, Abs. 2 b ArbGG statthaft. Sie
wurde auch form- und fristgerecht eingelegt sowie ordnungsgemäß begründet, §§ 66
Abs. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO.
46
II.
47
Die Berufung ist nur insoweit begründet, als die Beklagte sich gegen die Zahlung einer
über-tariflichen Zulage wehrt, die im Monat September 2004 den Betrag von 408,04 €
und für Oktober den Betrag von 363,29 € übersteigt. Im darüber hinausgehenden
Umfang ist die Berufung dagegen unbegründet.
48
1. Es ist zwischen den Parteien jedenfalls in der Berufungsinstanz unstreitig geworden,
dass dem Kläger ein Anspruch auf Zahlung einer außertariflichen Zulage in Höhe von
448,84 € pro Monat aus § 611 BGB in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag zusteht.
49
2. Für die Monate September und Oktober 2004 steht dem Kläger allerdings kein
Anspruch auf Zahlung der vollen übertariflichen Zulage zu, weil er unstreitig in der Zeit
vom 29.09.2004 bis zum 06.10.2004 arbeitsunfähig krank war und in dieser Zeit wegen
des Ablaufs des sechswöchigen Entgeltfortzahlungszeitraums des § 3 EFZG keinen
Vergütungsanspruch gegen die Beklagte hatte, sondern Krankengeld bezog. Aus
diesem Grunde war die übertarifliche Zulage für den Monat September 2004 ausgehend
von 22 Arbeitstagen in diesem Monat und 2 Arbeitstagen krankheitsbedingter
Arbeitsunfähigkeit ohne Entgeltfortzahlungsanspruch um 40,80 € (448,84 € : 22
Arbeitstage x 2 Arbeitstage ohne Entgeltfortzahlung) zu kürzen. Für den Monat Oktober
2004 war ausgehend von 21 Arbeitstagen und 4 Arbeitstagen ohne Entgeltfortzahlung
eine Kürzung um insgesamt 85,55 € (448,84 € : 21 Arbeitstage x 4 Arbeitstage ohne
Entgeltfortzahlung) vorzunehmen. Dem Kläger steht somit für September 2004 eine
übertarifliche Zulage in Höhe von 408,04 € (448,84 € - 40,80 €) und für Oktober 2004 in
Höhe von 363,29 € (448,84 € - 85,55 €) zu. Dieses Ergebnis ist nach der Erörterung der
Problematik der Kürzung der übertariflichen Zulage wegen Nichtbestehens des
Anspruchs auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall in der Berufungsverhandlung
ebenfalls un-streitig geworden.
50
3. Darüber hinaus gehende Kürzungen der geltend gemachten Ansprüche scheiden
entgegen der Ansicht der Beklagten aus.
51
a. Das Arbeitsgericht hat zu Recht festgestellt, dass eine automatische Verrechnung der
von der Beklagten gezahlten Prämien nach Maßgabe der Betriebsvereinbarung Nr. 25
mit dem vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Zahlung der übertariflichen
Zulage für die Monate September 2004 bis Dezember 2004 ausscheidet, weil die
52
Beklagte eine andere Leistung als geschuldet erbracht hat. Ein anderes Ergebnis
rechtfertigt auch das Vorbringen der Beklagten in der Berufungsinstanz nicht.
Die Beklagte wusste, dass der Kläger der neuen Entgeltregelung nicht zugestimmt
hatte, so dass ihm kein Anspruch auf Zahlung der Prämien nach Maßgabe der
Betriebsvereinbarung zustand. Gleichwohl hat sie seit September nicht die dem Kläger
zustehende außertarifliche Zulage von 448,84 €, sondern verschiedene Prämien nach
Maßgabe der Betriebsvereinbarung Nr. 25 gezahlt und in den Lohnabrechnungen die in
unterschiedlicher Höhe gezahlten Beträge den verschiedenen Prämien auch
zugeordnet. Bereits damit hat die Beklagte eine eindeutige Leistungsbestimmung im
Sinne der §§ 362, 366 BGB getroffen, so dass sie eine andere Leistung als geschuldet
erbracht hat (vgl. dazu BAG, Urteil vom 03.03.1993 – 5 AZR 132/92, NJW 1993, 2397;
BGH, Urteil vom 03.12.1990 – II ZR 215/89, NJW 1991, 1294). Vorliegend kommt hinzu,
dass die Beklagte darüber hinaus auf der Seite 2 der jeweiligen Lohnabrechnung
ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass die Prämien "anstelle der bisherigen
freiwilligen außertariflichen Zulagen gezahlt werden", so dass sie aufgrund der
eindeutigen Leistungsbestimmung ohne Verrechnungsvorbehalt nicht nachträglich
geltend machen kann, dass die Zahlungen automatisch auf die außertarifliche Zulage
anzurechnen seien, die sie gerade nicht zahlen wollte. Denn dies würde im Ergebnis
auf eine unzulässige Umgehung des Aufrechnungsverbots des § 394 S. 1 BGB
hinauslaufen, nach dem die Aufrechnung gegen das Arbeitseinkommen mit einer
Gegenforderung des Arbeitgebers nur unter Beachtung der
Pfändbarkeitsschutzbestimmungen der §§ 850 ff. ZPO zulässig ist.
53
b. Das Arbeitsgericht ist im Ergebnis zu Recht auch davon ausgegangen, dass die
Restvergütungsansprüche des Klägers nicht durch Aufrechnung nach §§ 387, 389 BGB
erloschen sind.
54
aa. Ob die Beklagte sich zu Recht gegen die vom Arbeitsgericht angenommene
Unzulässigkeit der Aufrechnung nach § 393 BGB analog wehrt, kann offen bleiben.
Denn die von der Beklagten erklärte Aufrechnung ist bereits nach § 394 S. 1 BGB i.V.m.
§§ 850 ff. ZPO unzulässig.
55
(1) § 394 Satz 1 BGB schließt eine Aufrechnung gegen eine Forderung aus, soweit
diese nicht der Pfändung unterworfen ist. Bei Arbeitseinkommen bestimmt sich der
pfändbare Teil gemäß § 850 Abs. 1 ZPO nach Maßgabe der §§ 850 a bis 850 i ZPO. Zur
Sicherung des Existenzminimums des Arbeitnehmers und seiner unterhaltsberechtigten
Familienangehörigen regelt § 850 c Abs. 1 ZPO einen unpfändbaren Grundbetrag. Er ist
entsprechend den Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers gestaffelt und nach oben
begrenzt. Für den Teil des Arbeitseinkommens, der diesen Grundbetrag übersteigt,
gelten die weiteren Pfändungsbeschränkungen des § 850 c Abs. 2 ZPO. Danach ist bei
dem Kläger, der verheiratet und gegenüber drei Kindern, insgesamt also gegenüber 4
Personen unterhaltspflichtig ist, ein monatliches Nettoeinkommen bis zu einem
Nettobetrag von 1.869,99 € unpfändbar und damit auch der Aufrechnung nach § 394 S.
1 BGB entzogen.
56
(2) Die von der Beklagten mit den Bruttorückzahlungsansprüchen gegen die
Bruttorestzahlungsansprüche des Klägers erklärte Aufrechnung ist zwar grundsätzlich
möglich, weil der Rückzahlungsanspruch des Arbeitgebers bei einer Lohnüberzahlung
ebenfalls auf den Bruttobetrag gerichtet ist. Dies ändert aber nichts daran, dass auch in
diesem Fall die Aufrechnung nur insoweit zulässig ist, als ein nach §§ 850 ff. ZPO
57
pfändbarer Nettobetrag verbleibt, da anderenfalls der Schutzzweck der §§ 850 ff. ZPO
umgangen würde (BAG, Urteil vom 24.10.2000 – 9 AZR 610/99, NZA 2001, 663; LAG
Nürnberg, Urteil vom 02.03.1999 – 6 Sa 1137/96, BB 1999, 1818). Bei Geltendmachung
von Vergütungsrestansprüchen für mehrere Monate müssen die jeweiligen
Vergütungsdifferenzen den einzelnen Monaten hinzugerechnet werden mit der Folge,
dass der nach §§ 850 ff. ZPO unpfändbare Nettobetrag für jeden einzelnen Monat
festzulegen ist, weil nur dadurch der mit den
Pfändbarkeitsschutzbestimmungen bezweckten Sicherung des Lebensunterhalts in dem
Monat, in dem das Einkommen gezahlt wird, Rechnung getragen werden kann (BAG;
Urteil vom 28.08.2001 – 9 AZR 611/99, NZA 2002, 323; Urteil vom 04.04.1989 – 8 AZR
689/87, Juris). Die Darlegungslast dafür, dass die Aufrechnung gegen den gemäß § 850
Abs. 1 ZPO nur nach Maßgabe der §§ 850 a bis 850 i ZPO pfändbaren
Vergütungsanspruch des Klägers das Erlöschen oder den teilweisen Untergang dieser
Forderungen gemäß § 389 BGB bewirkt hat, trägt dabei der Arbeitgeber. Denn zur
Ermittlung der pfändbaren Teile des Nettoeinkommens sind die Gerichte für
Arbeitssachen im Urteilsverfahren, für das der Beibringungsgrundsatz gilt, nicht
verpflichtet (BAG, Urteil vom 05.12.2002 – 6 AZR 569/01, NZA 2003, 802). Unter
Zugrundelegung dieser Grundsätze ist die von der Beklagten erklärte Aufrechnung nach
§ 394 S.1 BGB i.V.m. §§ 850 ff. ZPO unzulässig.
58
(a) Der Kläger hat in den Monaten September und November 2004 bei Berücksichtigung
aller Vergütungsbestandteile einschließlich der nach Maßgabe der
Betriebsvereinbarung Nr. 25 gezahlten Prämien nach den von der Beklagten erstellten
Abrechnungen einen Nettoverdienst von 1.825,41 € bzw. 1.375,22 € erzielt. Diese
Beträge liegen unter dem nach § 850 c ZPO unpfändbaren Nettobetrag von 1.869,99 €,
so dass die insoweit erklärte Aufrechnung schon aus diesem Grunde unzulässig ist.
Eine andere Beurteilung würde sich in diesen Monaten auch dann nicht ergeben, wenn
bei der Festlegung der Höhe des Bruttoeinkommens des Klägers die übertariflichen
Zulagen für September in Höhe von 408,04 € und für November in Höhe von 448,84 €
berücksichtigt würden. Denn in diesem Fall wären die von der Beklagten
zurückverlangten Prämien für September 2004 in Höhe von 239,22 € und für
59
November in Höhe von 335,95 € in Abzug zu bringen, so dass sich die Vergütung des
Klägers für September 2004 nur um 168,82 € und im November um lediglich 114,89 €
erhöhen würde. Im Monat November 2004, in dem die Beklagte die wegen des Ablaufs
des sechswöchigen Entgeltfortzahlungszeitraums in den Monaten September und
Oktober versehentlich geleistete Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall in Höhe von
186,11 € brutto bzw. 389,94 € brutto in Abzug gebracht hat, verbliebe auch nach
Hinzurechnung des Differenzbetrages zwischen der außertariflichen Zulage und den
gezahlten Prämien in Höhe von 114,89 € kein pfändbares Nettoeinkommen. Das
gleiche gilt für den Monat September 2004, in dem zwar der Differenzbetrag von 168,82
€ brutto hinzuzurechnen, aber zum einen zu berücksichtigen wäre, dass die gezahlte
Überstundenvergütung in Höhe von mindestens 58,29 € nur zur Hälfte nach § 850 a Nr.
1 bzw. 3 ZPO pfändbar ist. Zum anderen wäre auch zu beachten, dass die
vermögenswirksame Leistung der Beklagten in Höhe von 26,59 € nach § 2 Abs. 7 S. 2
des 5. VermBG nicht übertragbar und deshalb bei der Ermittlung des pfändbaren Teils
des Nettoeinkommens entsprechend § 851 Abs. 1 ZPO außer Betracht zu bleiben hat
(Zöl-ler/Stöber, Kommentar zur ZPO, 25. Aufl., § 850 ZPO Rdnr. 13; Stein/Jonas,
Kommentar zur ZPO, Band. 8, 22. Aufl., § 850 ZPO Rdnr. 29; Stöber,
Forderungspfändung, 14. Aufl., Rdnr. 922; Boewer, Lohnpfändung, 1. Aufl., Rdnr. 454,
60
455)
(b) Im Oktober hat zwar der Kläger einen Nettoverdienst von 1.877,14 € erzielt, so dass
insoweit an sich ein Nettobetrag von 1 € nach § 850 c ZPO pfändbar wäre. Da jedoch in
dem Bruttobetrag eine Überstundenvergütung von mindestens 55,53 € brutto enthalten
ist, die nach § 850 a Nr. 1 ZPO nur zur Hälfte als Nettobetrag pfändbar ist, liegt auch in
diesem Monat kein nach §§ 850 ff. ZPO pfändbares Nettoeinkommen vor, ohne dass es
darauf ankommt, in welcher Höhe genau die Überstundenvergütung als Nettobetrag an
sich pfändbar wäre. Etwas anderes würde sich auch nicht bei einer Berücksichtigung
der übertariflichen Zulage von 363,29 € brutto ergeben, weil in diesem Fall die dem
Kläger nach der Betriebsvereinbarung Nr. 25 nicht zustehenden Prämien von 366,84 €
in Abzug zu bringen wären, so dass das Bruttoeinkommen sogar um 3,49 € niedriger
wäre.
61
(c) Der Nettoverdienst des Klägers in dem Monat Dezember betrug nach der von der
Beklagten erteilten Abrechnung 2.243,09 €, so dass bei ausschließlicher
Berücksichtigung der Unpfändbarkeitsschutzbestimmung des § 850 c ZPO ein Betrag in
Höhe von 75 € pfändbar wäre. Dabei bliebe aber unberücksichtigt, dass in der
Abrechnung für Dezember 2004 tarifliche und betriebliche Sonderzahlungen in Höhe
von insgesamt 830,60 € enthalten sind, die nach § 850 a Nr. 4 ZPO zur Hälfte,
höchstens bis zu einem Betrag von 500 € Euro unpfändbar sind. Darüber hinaus wäre
auch die nach § 851 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 2 Abs. 7 S. 2 des 5. VermBG unpfändbare
vermögenswirksame Leistung in Höhe von 26,59 € in Abzug zu bringen. Bei
Berücksichtigung auch dieser Pfändbarkeitsschutzbestimmungen steht fest, dass auch
im Dezember 2004 kein pfändbarer Teil des Nettoeinkommens verbleibt, ohne dass es
auf die genaue Höhe der pfändbaren Teile des Nettoeinkommens ankommt, die von der
Beklagten darzulegen wäre.
62
bb. Da die von der Beklagten erklärte Aufrechnung nach § 394 S. 1 BGB i.V.m. §§ 850 ff.
ZPO unzulässig ist, ist über das Bestehen der von der Beklagten geltend gemachten
Ansprüche aus § 812 Abs. 1 BGB auf Rückzahlung der nach Maßgabe der
Betriebsvereinbarung Nr. 25 in den Monaten September bis Dezember 2004 gezahlten
Prämien nicht mehr zu entscheiden, so dass Ausführungen dazu zu unterbleiben haben,
weil sie ohnehin als ungeschrieben gelten würden (BGH, Urteil vom 31.07.2001 – XI ZR
217/01, NJW 2001, 3616; Urteil vom 13.04.1983 – VIII ZR 320/80, NJW 1984, 128;
Zöller/Vollkommer, § 322 ZPO Rdnr. 19). Auf den in der Berufungsverhandlung
ebenfalls erörterten Ausschluss der Rückzahlungsansprüche nach § 814 BGB wegen
Leistung in Kenntnis der Nichtschuld oder den Untergang wegen Ablaufs der tariflichen
Verfallfrist des § 15 Nr. 2 des Manteltarifvertrages Groß- und Außenhandel kommt es
deshalb nicht mehr an.
63
III.
64
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97, 92 Abs. 1 ZPO.
65
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG
nicht vorliegen.
66
Marschollek
Schreckenberg
Roßhoff
67