Urteil des LAG Hamm vom 09.06.2005

LArbG Hamm: unwirksamkeit der kündigung, unterbrechung der verjährung, verjährungsfrist, vorzeitige kündigung, arbeitsgericht, beendigung, abschlussprüfung, verfall, fristwahrung, betriebsrat

Landesarbeitsgericht Hamm, 8 Sa 2270/04
Datum:
09.06.2005
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
8. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
8 Sa 2270/04
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Gelsenkirchen, 3 Ca 1367/04
Nachinstanz:
Bundesarbeitsgericht, 2 AZR 587/05 Revision zurückgewiesen
06.07.2006
Schlagworte:
Auszubildender / tarifliche Verpflichtung zur Übernahme /
Mindestvertragsdauer / Aus-schluss der ordentlichen Kündigung /
Verzugslohn / Ausschlussfrist / Verfall
Normen:
TV Beschäftigungsbrücke in der Metall- und Elektroindustrie NRW § 8;
MTV Metallindustrie NRW § 19
Leitsätze:
1. Die in § 8 TV Beschäftigungsbrücke Metallindustrie NRW geregelte
Verpflichtung des Arbeitgebers, den Auszubildenden nach bestandener
Abschlussprüfung für mindestens zwölf Monate in ein Arbeitsverhältnis
zu übernehmen, steht der Zulässigkeit einer arbeitsvertraglichen
Vereinbarung entgegen, welche während der vereinbarten
Befristungsdauer eine vorzeitige Kündigung des Arbeitsverhältnisses
erlaubt.
2. § 19 Ziff. 5 MTV Metallindustrie enthält mit dem Hinweis auf die
gesetzliche Verjährungsfrist keine zweijährige Ausschlussklausel, so
dass Verzugslohnansprüche bereits mit der Kündigungsschutzklage
geltend gemacht sind
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts
Gelsenkirchen vom 08.10.2004 3 Ca 1367/03 - wird auf Kosten der
Beklagten zurückgewiesen.
Die Revision gegen das Urteil wird zugelassen.
T a t b e s t a n d
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Mit seiner Klage wendet sich der Kläger, welcher im Anschluss an das vorangehende
Ausbildungsverhältnis von der Beklagten mit schriftlichem, bis zum 21.01.2004
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befristeten Arbeitsvertrag in ein Arbeitsverhältnis als Schlosser übernommen worden ist,
gegen die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch ordentliche
betriebsbedingte Kündigung vom 30.04.2003 zum 31.05.2003 (Bl. 4 d.A.).
Hierzu vertritt der Kläger den Standpunkt, das in Ziff. 8 des Arbeitsvertrages (Bl.14 d.A.)
vorbehaltene Recht des Arbeitgebers, den befristeten Arbeitsvertrag vorzeitig zu
kündigen, verstoße gegen die Regelung des § 8 des Tarifvertrages zur
Beschäftigungsbrücke in der Metall- und Elektroindustrie NRW vom 28.03.2000,
welcher unstreitig auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung findet. Indem die
tarifliche Regelung den Arbeitgeber verpflichte, Auszubildende nach erfolgreich
bestandener Abschlussprüfung im Grundsatz für mindestens zwölf Monate in ein
Arbeitsverhältnis zu übernehmen, soweit dem nicht betriebsbedingte Gründe
entgegenstünden oder der Betriebsrat einer Abweichung von dieser Verpflichtung
zustimme, sei die Vereinbarung eines Kündigungsrechts für die Dauer des befristeten
Arbeitsverhältnisses unzulässig. Mit Rücksicht auf die Unwirksamkeit der Kündigung
macht der Kläger weiter Verzugszinsenansprüche für die Zeit vom 01.06.2003 bis
21.01.2004 geltend.
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Der Kläger hat im ersten Rechtszuge beantragt,
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1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die
Kündigung der Beklagten vom 30.04.2003, dem Kläger am 02.05.2003
zugegangen, mit dem 31.05.2003 aufgelöst worden ist.
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2. Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 18.684,85 Euro brutto
abzüglich 2.888,34 Euro netto von dem Kläger bezogenen
Arbeitslosengeldes zuzüglich 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit
Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Nach ihrer Auffassung beschränkt sich der Regelungsgehalt des § 8 TV
Beschäftigungsbrücke allein auf die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Übernahme von
Auszubildenden nach erfolgreich bestandener Abschlussprüfung, ohne jedoch das
Recht zur Kündigung des so begründeten Arbeitsverhältnisses auszuschließen.
Hilfsweise hat sich die Beklagte gegenüber den verfolgten Zahlungsansprüchen auf den
Gesichtspunkt des tariflichen Verfalls berufen.
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Durch Urteil vom 08.10.2004 (Bl. 137 ff. d.A.), auf welches wegen des weiteren
erstinstanzlichen Parteivorbringens Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht nach
Einholung von Auskünften der Tarifparteien (Bl. 70, 71 d.A.) nach den Klageanträgen
erkannt. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt worden, das im Arbeitsvertrag
vorbehaltene Recht zur Kündigung des befristeten Arbeitsverhältnisses stehe mit Sinn
und Zweck der tariflichen Regelung nicht in Einklang. Dieser bestehe darin, dem
Auszubildenden durch Begründung eines mindestens zwölf Monate dauernden
Arbeitsverhältnisses die Möglichkeit einzuräumen, die Anwartschaft für den Anspruch
auf Arbeitslosengeld zu erlangen. Sofern sich tat-
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sächlich – wie die Beklagte behaupte – bereits in den Monaten Januar und Februar
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2003 ein erheblicher Auftragsrückgang abgezeichnet habe, habe der Beklagten die
Möglichkeit zur Verfügung gestanden, beim Betriebsrat die Zustimmung zur
Abweichung von der tariflichen Verpflichtung zu beantragen. Demgegenüber scheide
nach der tariflichen Regelung eine nachträgliche Berücksichtigung betriebsbedingter
Gründe aus. Wegen des bis zum 21.01.2004 fortbestehenden Arbeitsverhältnisses sei
die Beklagte zur Zahlung von Arbeitsvergütung unter dem Gesichtspunkt des
Annahmeverzuges verpflichtet, ohne dass sich die Beklagte erfolgreich auf den
Gesichtspunkt tariflichen Verfalls berufen könne. Durch die am 19.05.2003 bei Gericht
eingegangene und der Beklagten am 26.05.2003 zugestellte Kündigungsschutzklage
seien nämlich die vom Ausgang des Verfahren abhängigen Zahlungsansprüche
rechtzeitig im Sinne der tariflichen Regelung geltend gemacht worden.
Mit ihrer rechtzeitig eingelegten und begründeten Berufung begehrt die Beklagte unter
Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens die Abänderung der
arbeitsgerichtlichen Entscheidung. Entgegen dem Standpunkt des arbeitsgerichtlichen
Urteils umfasse die tarifliche Regelung allein ein entsprechendes Einstellungsgebot,
schließe hingegen die Vereinbarung einer Kündigungsmöglichkeit nicht aus. Die vom
Arbeitsgericht vertretene Auslegung führe insofern zu untragbaren Ergebnissen, als im
Falle betriebsbedingt notwendiger Kündigungen die Grundsätze der Sozialauswahl
nachhaltig gestört würden. Gehe man nämlich von der Unkündbarkeit der befristet
übernommenen Auszubildenden aus, so falle gegebenenfalls die Sozialauswahl auf
langjährig beschäftigte Mitarbeiter mit familiären Unterhaltspflichten.
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Zu Unrecht habe das Arbeitsgericht im Übrigen auch die Voraussetzungen des
tariflichen Verfalls verneint. Auch wenn die in § 19 MTV der Eisen- und Metallindustrie
NRW enthaltene Verfallklausel zunächst allein die "Geltendmachung" innerhalb von
zwei bzw. drei Monaten nach Fälligkeit fordere und nach dem Tarifvertrag – anders als
im Fall einer zweistufigen Klausel – eine gerichtliche Geltendmachung an sich
entbehrlich sei, ergebe sich ein entsprechendes Erfordernis letztlich doch aus der
Regelung des § 19 Ziff. 5 MTV. Die genannte Regelung lautet wie folgt:
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"Bleibt die Geltendmachung erfolglos, so tritt der Ausschluss nicht ein. Vielmehr
gilt dann die zweijährige Verjährungsfrist des § 196 Abs. 1 Nr. 9 BGB. Sie
beginnt mit dem Schluss des Kalenderjahres, in dem der Anspruch entstanden
ist."
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Im Ergebnis fordere danach auch die Regelung des § 19 Ziff. 5 MTV eine
Klageerhebung, um die gesetzliche Verjährungsfrist zu unterbrechen. Dann könne aber
durch Erhebung einer Kündigungsschutzklage die Verfallfrist hinsichtlich der vom
Ausgang des Verfahrens abhängigen Zahlungsansprüche nicht gewahrt werden.
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Die Beklagte beantragt,
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das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Klage in vollem Umfang
abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Berufung der Beklagten bleibt ohne Erfolg.
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I
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Das zwischen den Parteien begründete und bis zum 21.01.2004 befristete
Arbeitsverhältnis ist durch die ausgesprochene Kündigung nicht wirksam beendet
worden.
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Die Kammer folgt in vollem Umfang den zutreffenden Ausführungen der
arbeitsgerichtlichen Entscheidung. Die mit der Berufung vorgetragenen Gesichtspunkte
rechtfertigen keine andere Beurteilung.
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Insbesondere tritt die Kammer dem Standpunkt des Arbeitsgerichts bei, nach welchem
der Sinn der tariflichen Regelung darin liegt, dem Auszubildenden nach erfolgreich
abgelegter Abschlussprüfung eine Mindestbeschäftigungsdauer von zwölf Monaten zu
gewährleisten, um zum einen eine bessere soziale Absicherung für den Fall späterer
Arbeitslosigkeit zu
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erreichen und zum anderen, um durch den Erwerb von Berufspraxis die
Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Diese Ziele lassen sich nicht
schon durch den Abschluss eines auf zwölf Monate befristeten Arbeitsvertrages,
sondern allein durch eine entsprechende tatsächliche Vertragslaufzeit erreichen. Im
Wortlaut des Tarifvertrages findet dies durch die Formulierung "mindestens" einen
hinreichenden Anhaltspunkt. Hätten die Tarifparteien hiermit allein zum Ausdruck
bringen wollen, der im Arbeitsvertrag genannte Endtermin müsse allein rechnerisch eine
vorgesehene Mindestlaufzeit von 12 Monaten vorsehen, eine vorzeitige Beendigung
des Arbeitsverhältnisses durch zugelassene arbeitgeberseitige Kündigung bleibe aber
selbstverständlich möglich, so wäre der tariflich vorgesehene Zeitraum von zwölf
Monaten ohne jede Bedeutung. Gleich ob das Arbeitsverhältnis auf sechs Monate, zwölf
Monate oder einen noch längeren Zeitraum befristet ist, wäre jederzeit die vorzeitige
Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Kündigung möglich.
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Soweit die Beklagte demgegenüber auf die Problematik der Sozialauswahl verweist,
trifft es zwar zu, dass durch den Abschluss befristeter Arbeitsverträge ohne vorzeitige
Kündigungsmöglichkeit Einfluss auf die Auswahlentscheidung des Arbeitgebers gemäß
§ 1 Abs. 3 KSchG genommen wird, sofern betriebsbedingt Entlassungen nötig werden.
Hierin liegt indessen keine Besonderheit der in § 8 TV Beschäftigungsbrücke
getroffenen Regelung, vielmehr gilt dies grundsätzlich für sämtliche befristeten
Arbeitsverträge, welche – sofern nicht das Recht zur Kündigung vorbehalten wird – für
die Dauer der Befristung eine "Unkündbarkeit" begründen mit der Folge, dass diese
Arbeitnehmer nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen sind (KR-Etzel, 7. Aufl., § 1
KSchG Rz 664).
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II
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Zutreffend hat das Arbeitsgericht weiter dem Kläger Verzugslohnansprüche für die Zeit
vom 01.06.2003 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem 21.01.2004
zuerkannt. Auch insoweit wird auf die Gründe des arbeitsgerichtlichen Urteils Bezug
genommen.
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1. Insbesondere kann dem Standpunkt der Beklagten nicht gefolgt werden, die
manteltarifliche Regelung stehe einer zweistufigen Ausschlussklausel gleich und
fordere im Falle er-folgloser Geltendmachung eine Klageerhebung, weswegen die
Kündigungsschutzklage zur Fristwahrung nicht genüge. Die Vorschrift des § 19 Ziff. 5
MTV, nach welcher im Falle er-folgloser Geltendmachung der in § 19 Nr. 4 MTV
vorgesehene Verfall nicht eintritt, vielmehr für diesen Fall die zweijährige
Verjährungsfrist des § 196 BGB gelten soll, stellt allein einen Hinweis auf die ohnehin
geltende Rechtslage dar, ohne eigenständige Anforderungen an die tarifliche
Geltendmachung im Sinne einer erforderlichen Klageerhebung zu stellen. Die "Geltung"
der gesetzlichen Verjährungsfrist versteht sich – gleich ob tarifliche Ausschlussklauseln
einschlägig sind oder nicht – von selbst. Ob es zur Unterbrechung der Verjährung der
Klageerhebung bedarf, hängt von den weiteren Umständen ab. Mit dem Erfordernis der
Klageerhebung im Sinne einer zweiten Stufe einer tariflichen Verfallfrist hat dies nichts
zu tun. Im Übrigen wäre auch selbst im gegenwärtigen Zeitpunkt die zweijährige
Verjährungsfrist nicht abgelaufen.
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2. Soweit sich die Beklagte demgegenüber für ihren Standpunkt, die Forderung sei
gemäß § 19 MTV Metallindustrie verfallen, auf die Kommentierung bei Ziepke (§ 19
Anm. 7 Ziff. 2) bezieht, rechtfertigt dies keine andere Entscheidung. Wenn es dort heißt,
der Manteltarifvertrag enthalte zwar eine ausdrückliche sog. zweite Stufe nicht,
bestimme aber in § 19 Nr. 5 MTV im Ergebnis das Gleiche, indem er die zweijährige
Verjährungsfrist des § 196 Abs. 1 Nr. 9 BGB für anwendbar erkläre, welche regelmäßig
nur durch eine Klage unterbrochen werden könne; dementsprechend sei die Erhebung
der Kündigungsschutzklage hinsichtlich der Zahlungsansprüche zur Fristwahrung allein
nicht ausreichend, so überzeugt dies nicht. Weder ordnet § 19 Ziff. 5 eine eigenständige
Klagefrist im Sinne einer zweistufigen Verfallklausel an – vielmehr wird allein auf die
gesetzlichen Verjährungsregeln verwiesen –, noch könnte mit Hilfe der zweijährigen
Verjährungsfrist eine zeitnahe Klärung der Rechtslage erreicht werden. Wenn der
Tarifvertrag für die Geltendmachung von Ansprüchen eine Frist von zwei bzw. drei
Monaten vorsieht und insofern eine rechtzeitige Geltendmachung (auch durch
Kündigungsschutzklage) erfolgt ist, so muss der Arbeitnehmer zwar aus Gründen des
Verjährungsrechts ohnehin Klage erheben, mit einer zweistufigen tariflichen
Ausschlussfrist hat dies jedoch nichts zu tun.
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III
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Die Kosten der erfolglosen Berufung fallen der Beklagten zu Last.
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Die Kammer hat die Revision gegen das Urteil zugelassen.
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Dr. Dudenbostel
Stahlschmidt
Kerker
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/Go./En
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