Urteil des LAG Hamm vom 03.04.2009

LArbG Hamm: aufrechterhaltung der ordnung, wichtiger grund, fristlose kündigung, presse, betriebsrat, strafbare handlung, dringender tatverdacht, arbeitsgericht, entwendung, interessenabwägung

Landesarbeitsgericht Hamm, 10 Sa 1565/08
Datum:
03.04.2009
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
10. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 Sa 1565/08
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Iserlohn, 2 Ca 608/08
Schlagworte:
Außerordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitglieds; Kündigung
wegen Diebstahls; Ver-dachtskündigung; rechtswidrige Entwendung
von Arbeitgebereigentum; Altersteilzeit; Inter-essenabwägung
Normen:
§ 15 Abs. 1 KSchG, § 626 BGB, § 8 ATG
Leitsätze:
Die außerordentliche Kündigung eines Arbeitnehmers wegen
Diebstahls ist auch dann nicht ausgeschlossen, wenn sich der
Arbeitnehmer in oder kurz vor der Freistellungsphase der Altersteilzeit
befindet.
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts
Iserlohn vom 23.09.2008 - 2 Ca 608/08 – teilweise abgeändert.
Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
TATBESTAND:
1
Die Parteien streiten u. a. um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.
2
Der am 13.09.1946 geborene Kläger ist verheiratet.
3
Seit dem 04.04.1961 ist er bei der Beklagten, einem Betrieb der Metallindustrie mit über
2000 Mitarbeitern, zuletzt als Industriemechaniker in der Großpresserei B 4 zu einem
monatlichen Bruttoverdienst, der nach Angaben der Beklagten 4.662,00 Euro, nach
Angaben des Klägers ca. 5.000,00 Euro betrugt, beschäftigt.
4
Seit mehr als 15 Jahren ist der Kläger Mitglied des bei der Beklagten gewählten
Betriebsrates.
5
In der Vergangenheit machte der Kläger mehrere Verbesserungsvorschläge. Auf die von
der Beklagten insoweit gefertigte Aufstellung (Blatt 136, 231 der Akten) sowie die an
den Kläger gerichteten Schreiben (Blatt 220 ff. der Akten) wird Bezug genommen.
6
Nach dem bereits am 20.03.2003 zwischen den Parteien abgeschlossenen
Altersteilzeitvertrag vereinbarten die Parteien eine Altersteilzeit im Rahmen des
Blockmodells. Die Arbeitsphase begann am 01.02.2007, die Freistellungsphase ab
01.08.2008. Nach dem Altersteilzeitvertrag vom 20.03.2003 endet das Arbeitsverhältnis
ohne Ausspruch einer Kündigung am 30.09.2009. In § 13 des Altersteilzeitvertrages
vom 20.03.2003 war Folgendes geregelt:
7
"Im Übrigen bleibt das Recht zur Kündigung entsprechend der gesetzlichen,
tarifvertraglichen und vertraglichen Bestimmungen unberührt."
8
Vor Beginn der am 01.08.2008 beginnenden Freistellungsphase feierte der Kläger in
der Zeit vom 01.11.2007 bis zum 31.07.2008 sämtliche aufgelaufenen restlichen
Urlaubsansprüche und Ansprüche auf Arbeitszeitausgleich ab. An einer
Betriebsratssitzung nahm er letztmalig am 18.10.2007 teil.
9
Am 15.01.2008 erschien der Kläger im Betrieb und ließ sich gegen einen von ihm
unterschriebenen Materialschein (Blatt 39 der Akten) sechs Satz Dachmanschetten, die
für die Abdichtung in der Schwerhydraulik Verwendung finden (vgl. Blatt 216 ff. der
Akten) im Wert von insgesamt 119,18 Euro aushändigen. Diese Dachmanschetten
nahm der Kläger ohne eine erforderliche ausdrückliche Genehmigung durch die
Beklagte in Form eines Durchlass- oder Leihscheines mit zu sich nach Hause.
10
Auf die Betriebsmitteilung der Beklagten vom 06.12.2007 (Blatt 102 der Akten) wird
Bezug genommen. Zuletzt hatte die Beklagte in einer Betriebsversammlung vom
09.05.2007 aus gegebenem Anlass nochmals ausdrücklich auf die Konsequenzen für
Arbeitnehmer hingewiesen, die sich am Eigentum der Firma oder am Eigentum von
Mitarbeitern und Kollegen vergreifen. Auch der Betriebsrat hatte in derselben
Betriebsversammlung an die Mitarbeiter appelliert, insbesondere Diebstähle zu
unterlassen.
11
Anlässlich der Durchführung einer Kostenanalyse für die Instandhaltung B 4 im Februar
2008 fiel die Entnahme von sechs Dachmanschetten durch den Kläger auf. Die
Beklagte veranlasste daraufhin unter Informierung der Betriebsratsvorsitzenden eine
Überprüfung und versuchte mehrfach, mit dem Kläger einen Termin zwecks
Rücksprache und Klärung des Verbleibs der sechs Dachmanschetten zu vereinbaren.
Mit Schreiben vom 25.02.2008 (Blatt 41 der Akten) bat sie den Kläger, sich telefonisch
mit der Beklagten in Verbindung zu setzen, um einen Gesprächstermin vereinbaren zu
können. Der Kläger meldete sich jedoch bei der Beklagten nicht.
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Daraufhin setzte sich der stellvertretende Personalleiter der Beklagten, Herr R1, am
26.02.2008 mit dem Kläger telefonisch in Verbindung und erläuterte ihm, dass die
Personalleitung mit ihm über die Entnahme von sechs Dachmanschetten vom
15.01.2008 sprechen wolle. In diesem Telefonat äußerte sich der Kläger dahin, dass die
bezeichneten Dachmanschetten im Pumpenhaus liegen würden; er könne aber nicht
genau sagen, wo diese genau lägen. Im weiteren Verlauf des Telefonats wurde sodann
ein Gesprächstermin für Mittwoch, den 27.02.2008, 15.00 Uhr, vereinbart; der Kläger
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wurde darüber informiert, dass auch die Betriebsratsvorsitzende zu diesem Termin
eingeladen werde.
Eine von der Beklagten noch am 26.02.2008 veranlasste Überprüfung ergab, dass die
gesuchten sechs Dachmanschetten sich nicht im Pumpenhaus befanden.
14
Am Mittwoch, den 27.02.2008 sagte der Kläger gegen 13.00 Uhr den anberaumten
Besprechungstermin telefonisch mit der Begründung ab, er habe um 14.30 Uhr einen
Termin im Krankenhaus. Der stellvertretende Personalleiter R1 versuchte darauf am
27.02.2008 gegen 13.55 Uhr, den Kläger telefonisch zu erreichen. Von der Ehefrau des
Klägers erhielt er die Auskunft, dass ihr von einem Arzttermin ihres Ehemanns nichts
bekannt sei; ihr Ehemann sei nicht zu Hause, sondern nach H4 gefahren.
15
Im Hinblick auf den abgesagten Besprechungstermin vom 27.02.2008 forderte die
Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 27.02.2008 (Bl. 10, 42 d.A.), das dem Kläger
per Boten zugestellt wurde, auf, am 28.02.2008 um 8.00 Uhr zu einem Gespräch in der
Personalabteilung zu erscheinen. Das Schreiben vom 27.02.2008 wurde dem Kläger
persönlich am 27.02.2008 um 15.24 Uhr zugestellt.
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Gleichzeitig forderte die Beklagte den in ihrem Betrieb tätigen Werkschutz auf,
sicherzustellen, dass dem Kläger in jedem Fall der Zutritt auf das Werksgelände –
ausgenommen zu dem mit ihm vereinbarten Gesprächstermin – verwehrt werde.
17
Noch am 27.02.2008, etwa 1 Stunde nach Erhalt des Schreibens, erschien der Kläger
um 16.43 Uhr an der Hauptwache der Beklagten und wollte das Werk betreten. Dem
Kläger wurde der Zutritt durch einen Werkschutzmitarbeiter verweigert. Hierüber wurde
die Personalleitung informiert (Bl. 43 d.A.).
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Am 28.02.2008 fand um 8.00 Uhr das anberaumte Gespräch mit dem Kläger statt, an
dem neben dem Kläger der Personalleiter S7, der stellvertretende Personalleiter R1, der
Werkschutzleiter Szoo, der Abteilungsleiter B 4, Herr W4 sowie die
Betriebsratsvorsitzende G3 teilnahmen. Nachdem dem Kläger der Sachverhalt
vorgetragen worden war, gab der Kläger in diesem Gespräch zu, die Dachmanschetten
aus dem Lager entnommen zu haben, um sie bei einer späteren Reparatur zu
verwenden, er habe bei einer Reparatur im Pressenbereich mithelfen wollen; genauere
Angaben konnte er nicht machen.
19
Im weiteren Verlauf des Gesprächs gab der Kläger an, dass er am Vortage gegen 19.00
Uhr im Betrieb gewesen sei und die Dachmanschetten aus dem Pumpenhaus
herausgeholt hätte. Sodann entnahm der Kläger die Dachmanschetten seiner
mitgebrachten Tasche und legte sie auf den Tisch. Auf die Nachfrage, wieso er den
Betrieb vertreten habe, obwohl ihm ca. 2 Stunden zuvor vom Werkschutz am Eingang
der Hauptwache der Zutritt verboten worden sei, gab er an, dass er die
Dachmanschetten habe suchen wollen, um sie im Gespräch am 28.02.2008 vorlegen zu
können. Er führte weiter dazu aus, dass er den Betrieb durch ein anderes Tor, nämlich
das Tor S8 betreten habe; hierbei sei er vom Mitarbeiter des Werkschutzes nicht
angesprochen oder aufgehalten worden; ca. eine halbe Stunde danach habe er das
Werk durch das Tor am S8 wieder verlassen.
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Die Beklagte ließ daraufhin durch den Werkschutz überprüfen, ob der Kläger am
27.02.2008 in der Zeit von 18.30 Uhr bis 19.30 Uhr das Werksgelände durch das Tor S8
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betreten bzw. wieder verlassen habe. Aufgrund der Überprüfung der Videobänder der
Torüberwachungsanlage wurde festgestellt, dass der Kläger das Werksgelände in der
angegebenen Zeit weder betreten noch wieder verlassen hat.
Nachdem dem Kläger dies eröffnet worden war und ihm vorgeworfen wurde, dass er die
Dachmanschetten von zu Hause mitgebracht habe, erklärte der Kläger, dass er die
Unwahrheit gesagt habe, er habe den Betrieb am vorangegangenen Tage nicht
betreten, die Dachmanschetten habe er bereits am 15.01.2008 mit nach Hause
genommen.
22
Im Anschluss an das Gespräch vom 28.02.2008 wurde dem Kläger ein Zutrittsverbot für
den gesamten Betriebsbereich auferlegt.
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Die Beklagte hörte daraufhin mit Schreiben vom 29.02.2008 (Bl. 32 ff. d.A.) den bei ihr
bestehenden Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des
Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger wegen eines begangenen Diebstahls bzw. wegen
des Verdachts des Diebstahls an.
24
Mit Schreiben vom 03.03.2008 (Bl. 37 d.A.) stimmte der Betriebsrat der beabsichtigten
außerordentlichen Kündigung zu.
25
Mit Schreiben vom 04.03.2008 (Bl. 9 d.A.), dem Kläger noch am gleichen Tage
zugegangen, kündigte die Beklagte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis
fristlos aus wichtigem Grund zum 05.03.2008.
26
Mit anwaltlichem Schreiben vom 05.03.2008 (Bl. 11 ff. d.A.) widersprach der Kläger der
außerordentlichen Kündigung. Unter anderem wies er darauf hin, dass er die
Dachmanschetten nicht für sich persönlich zum eigenen Nutzen abgeholt habe; er habe
vielmehr zu Hause und unter Nutzung des Materials der Firma bei entsprechenden
Versuchen und Planungen Verbesserungsvorschläge erarbeiten wollen; die
Dachmanschetten habe er für eine Verbesserung für die Ventile der 20.000-Tonnen-
Presse benötigt. Ferner wies der Kläger darauf hin, dass er aufgrund des plötzlichen
Todes seiner Tochter am 01.05.2006 psychisch erkrankt sei und sich in
langandauernder psychiatrischer Behandlung befinde.
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Mit der am 07.03.2008 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage machte der Kläger die
Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 04.03.2008 geltend. Ferner
verlangte er den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses, seine Weiterbeschäftigung
sowie die Erteilung eines Zeugnisses.
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Mit Schreiben vom 17.03.2008 (Bl. 168 d.A.) übersandte die Beklagte dem Kläger ein
Zeugnis vom 14.03.2008, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 169 d.A.).
29
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die außerordentliche Kündigung vom
04.03.2008 sei wegen Fehlens eines wichtigen Grundes unwirksam. Er habe sich nichts
zuschulden kommen lassen. Zwar sei zutreffend, dass er die Dachmanschetten bereits
am 15.01.2008 mit zu sich nach Hause genommen habe. Dies habe er aber nicht getan,
um sie zu entwenden, sondern vielmehr, um mit den Dachmanschetten einen
Verbesserungsvorschlag für die 20.000-Tonnen-Presse zu entwickeln. Dies habe er im
Anhörungsgespräch zunächst nicht richtig erklärt, da er aufgrund einer psychischen
Erkrankung und Medikamentenkonsums "verwirrt" gewesen sei, und ihm zudem in dem
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Aufklärungsgespräch nicht die hinreichende Gelegenheit eingeräumt worden sei,
seinen Standpunkt ausreichend zu erklären. Ihm sei keine Chance eingeräumt worden,
sich in Ruhe zu erklären, stattdessen sei ihm immer wieder das Wort abgeschnitten
worden. Wäre ihm ausreichend Gelegenheit gegeben worden, hätte er bereits im
Gespräch vom 28.02.2008 erläutern können, dass er sich die Dachmanschetten zur
Erarbeitung von Verbesserungsvorschlägen in der Materialausgabe abgeholt habe. Er
habe einen Verbesserungsvorschlag für die 20.000-Tonnen-Presse erarbeiten wollen.
Nach seinen Experimenten habe er die von ihm beschafften Dachmanschetten wieder
zurückgeben wollen. Ihm könne lediglich vorgeworfen werden, dass er sich keinen
Durchlass- oder Leihschein, habe ausstellen lassen.
In jedem Fall sei die Kündigung vom 04.03.2008 unwirksam, da die erforderliche
Interessenabwägung zu seinen Gunsten ausfalle. Zu Gunsten des Klägers sprächen
zunächst seine außerordentliche lange Betriebszugehörigkeit und seine langjährige
Mitgliedschaft im Betriebsrat. Seit Oktober 2007 sei der Kläger nahezu fortlaufend
arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Seit Oktober 2007 feiere er seine ihm zustehenden
Freistellungsansprüche vor Beginn der Freistellungsphase ab. Diese Urlaubs- und
Arbeitszeitausgleichsansprüche hätten dem Kläger ohnehin zugestanden. Auch für die
Freistellungsphase habe er bereits Entgelteinbußen hingenommen. Der Ausspruch
einer außerordentlichen Kündigung mache wirtschaftlich für die Beklagte keinen Sinn
mehr. Eine Beeinträchtigung der Beklagten durch den Kläger hätte problemlos durch
Umsetzung des bereits erteilten Hausverbots ausgeschlossen werden können.
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Der Kläger hat beantragt,
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1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die am
04.03.2008 geschriebene und zugegangene Kündigung nicht aufgelöst worden
ist,
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2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien auch nicht
durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten
Bedingungen über den Kündigungstermin hinaus fortbesteht,
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3. hilfsweise – und nur für den Fall des Obsiegens mit dem Feststellungsantrag
nach Ziffer 1) – die beklagte Partei zu verurteilen, die klagende Partei zu den
bisherigen Arbeitsbedingungen bis zum rechtskräftigen Abschluss des
Kündigungsschutzrechtsstreits weiter zu beschäftigen,
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4. die beklagte Partei zu verurteilen, ihm ein Schlusszeugnis, hilfs-weise ein
Zwischenzeugnis zu erteilen, welches sich auf Führung und Leistung bezieht.
36
Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
38
Sie hat die Auffassung vertreten, die außerordentliche Kündigung sei wegen der
Entwendung von sechs Dachmanschetten durch den Kläger wirksam. Der Kläger habe
selbst zugegeben, die Dachmanschetten entwendet zu haben. Jedenfalls bestehe aber
ein dringender Tatverdacht, dass er diese habe entwenden wollen. Soweit der Kläger
darauf verweise, dass er die Dachmanschetten zur Entwicklung eines
Verbesserungsvorschlags benötigt habe, handele es sich um eine reine
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Schutzbehauptung. Ein entsprechender Auftrag durch die Beklagte sei zu keinem
Zeitpunkt erteilt worden. Der Kläger habe sich auch erst im Laufe des vorliegenden
Verfahrens darauf berufen, Versuche und Planungen für Verbesserungsvorschläge zu
erarbeiten. Auch am 15.01.2008 habe der Kläger, als er die Dachmanschetten sich bei
der Materialausgabe habe aushändigen lassen, nicht erklärt, dass er die
Dachmanschetten für heimische Experimente und für einen Verbesserungsvorschlag
benötige. Die Dachmanschetten habe der Kläger darüber hinaus nicht für
Verbesserungsvorschläge an einer 20.000-Tonnen-Presse benötigen können, weil er
eine derartige Presse nicht zu Hause vorhanden gehabt habe.
Ebenso wenig seien die Ausführungen des Klägers zu der von ihm behaupteten
psychischen Erkrankung nachvollziehbar. Derartige Erkrankungen hätten nichts mit dem
vorliegenden Sachverhalt zu tun.
40
Eine außerordentliche Kündigung sei auch nicht im Hinblick auf das bestehende
Altersteilzeitarbeitsverhältnis unwirksam. Selbst in der Freistellungsphase könne eine
außerordentliche Kündigung bei strafbarem Verhalten wirksam sein; wegen eines
Diebstahls bzw. des Verdachts des Diebstahls zu Lasten des Arbeitgebers werde der
Ausspruch eines Hausverbots der Interessenlage im Allgemeinen nicht gerecht.
41
Der Ausspruch der Kündigung sei auch im Hinblick auf die Einhaltung der Arbeits- und
Betriebsdisziplin und den Schutz der Belegschaft erforderlich. Allen Arbeitnehmern im
Betrieb der Beklagten sei bekannt, dass angesichts der Größenordnung der Beklagten
zur Aufrechterhaltung der Ordnung jeder Diebstahl bzw. jedes strafbare Verhalten
geahndet werde. Hieran müsse auch während eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses
festgehalten werden. Hätte die Beklagte lediglich ein Hausverbot ausgesprochen, hätte
dies den Eindruck erweckt, der Kläger werde als Betriebsratsmitglied bevorzugt.
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Im Übrigen müsse berücksichtigt werden, dass das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt des
Ausspruchs der außerordentlichen Kündigung noch für gut 1,5 Jahre Bestand gehabt
hätte. Bis zum 30.09.2009 sei die Beklagte zur Gehaltszahlung an den Kläger
verpflichtet. Diese Pflicht fiele bei einer berechtigten außerordentlichen Kündigung weg.
Auch wenn die Beklagte vom Kläger keine Arbeitsleistung mehr verlangen könne, sei
der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bis zum 30.09.2009 für die Beklagte
angesichts des vom Kläger begangenen Diebstahls bzw. des Verdachts einer strafbaren
Handlung zum Nachteil der Beklagten unzumutbar.
43
Durch Urteil vom 23.09.2008 hat das Arbeitsgericht der Feststellungsklage und dem
Zeugnisanspruch stattgegeben und sie im Übrigen wegen des Fortbestands- und des
Weiterbeschäftigungsantrags abgewiesen. Die außerordentliche Kündigung hat es für
unwirksam gehalten, weil zwar dem Kläger vorgeworfen werden müsse, dass er sechs
Satz Dachmanschetten entwendet und diese sich auch tatsächlich
unrechtmäßigerweise zugeeignet habe. Die Einlassung des Klägers, er habe diese für
die Entwicklung eines Verbesserungsvorschlags benötigt und anschließend wieder
zurückgeben wollen, sei unglaubhaft. Die auch im vorliegenden Fall erforderliche
Interessenabwägung gehe jedoch zu Gunsten des Klägers aus. Der Beklagten sei die
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für eine fiktive Kündigungsfrist von sieben
Monaten zumutbar. Bei dem Verhalten des Klägers handele es sich offenbar um ein
einmaliges Fehlverhalten innerhalb einer 46jährigen Betriebszugehörigkeit. Es seien
keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass ein solches Fehlverhalten in Zukunft wieder
auftreten werde, weil die Beklagte dem Kläger schlicht den Zugang zum Betrieb
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untersagen könne. Eine Wiederholungsgefahr bestehe daher nicht. Schließlich müsse
berücksichtigt werden, dass der Kläger sein Entgelt für die Freistellungsphase
weitgehend vorher während der Arbeitsphase erdient habe. Auch der Anspruch auf
Erteilung eines qualifizierten Zeugnisses sei zulässig und begründet, er ergebe sich aus
§ 109 GewO.
Gegen das der Beklagten am 01.10.2008 zugestellte Urteil, auf dessen Gründe
ergänzend Bezug genommen wird, hat die Beklagte am 14.10.2008 Berufung zum
Landesarbeitsgericht eingelegt und diese mit dem am 01.12.2008 beim
Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.
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Die Beklagte ist nach wie vor der Auffassung, die außerordentliche Kündigung vom
04.03.2008 sei wirksam. Dass die Entwendung von sechs Dachmanschetten durch den
Kläger grundsätzlich einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 BGB darstelle und
geeignet sei, die außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen, habe auch das
Arbeitsgericht herausgestellt. Auch das Arbeitsgericht sei zutreffend davon
ausgegangen, dass der Kläger sich die Dachmanschetten tatsächlich
unrechtmäßigerweise habe zueignen wollen.
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Entgegen der Rechtsauffassung des Arbeitsgerichts gehe aber die erforderliche
Interessenabwägung nicht zu Gunsten des Klägers aus. Eine außerordentliche
Kündigung sei grundsätzlich auch nicht wegen des Abschlusses eines
Altersteilzeitvertrages mit dem Kläger und des Umstandes, dass der Kläger sich bereits
kurz vor seiner Freistellungsphase befunden habe, ausgeschlossen. Immerhin würde
das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger noch ca. 1,5 Jahre andauern. Für diesen Zeitraum
müsse die Beklagte noch das Teilzeitentgelt für 17,5 Wochenstunden auf 82 % des
früheren monatlichen Nettoentgelts zuzüglich der Rentenversicherungsbeiträge auf 95
% aufstocken. Da das Altersteilzeitarbeitsverhältnis am 01.02.2007 begonnen habe,
betrage die durchschnittliche Monatsbelastung durch die Altersteilzeit, das heißt
Geldzahlungen ohne Entgeltleistungen, monatlich 1.337,01 €. Für den Zeitraum bis zum
30.09.2007 mache das immerhin noch einen Betrag von 24.734, 69 € aus.
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Der Hinweis des Arbeitsgerichts auf die Erteilung eines Hausverbots in Bezug auf eine
Wiederholungsgefahr betreffend weitere Eigentumsverletzungen sei unzureichend.
Insoweit müsse nämlich berücksichtigt werden, dass der Kläger zum Zeitpunkt des
Ausspruchs der Kündigung noch Betriebsratsmitglied gewesen sei. Angesichts der
Betriebsratseigenschaft des Klägers habe die Gefahr bestanden, dass bei
Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses der Kläger ein Hausverbot mit Hilfe des
Betriebsverfassungsgesetzes unterlaufen und sich so den Zugang zum Betrieb
verschaffen könne. Zum Zeitpunkt der Kündigung sei der Kläger noch ordentliches
Betriebsratsmitglied gewesen, sodass er jederzeit das Recht gehabt habe, an
Betriebsratssitzungen auf dem Betriebsgelände teilzunehmen.
48
Darüber hinaus habe die Beklagte ein erhebliches Interesse daran, durch eine
wirksame fristlose Kündigung zu signalisieren, dass Eigentumsdelikte zum Nachteil der
Beklagten nicht – auch nicht während eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses – geduldet
würden. Anderenfalls müsste bei den Mitarbeitern der Beklagten der Eindruck
entstehen, dass man als Betriebsratsmitglied bei strafrechtlich relevantem Verhalten nur
mit einer Abmahnung statt mit einer fristlosen Kündigung rechnen müsse. Insoweit
könne entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts auch nicht davon ausgegangen
werden, dass der Kläger mit dem Betriebszutrittsverbot ohne Weiteres einverstanden
49
gewesen sei. Der Kläger habe nämlich erstinstanzlich sogar einen Fortbestandsantrag
gestellt und auch den ursprünglich angekündigten Weiterbeschäftigungsanspruch
aufrechterhalten. Dies zeige, dass der Kläger eben nicht mit einem bloßen Hausverbot
ohne Weiteres einverstanden gewesen sei.
Schließlich sei zu berücksichtigen, dass der Kläger aufgrund seines Alters und des
bevor-stehenden Renteneintritts zu einem großen Teil trotz wirksamer außerordentlicher
Kündigung abgesichert sei. Aufgrund seines Alters habe er einen
Arbeitslosengeldanspruch für 24 Monate. Selbst bei Berücksichtigung einer Sperrfrist
und einer damit einhergehenden Verkürzung des Arbeitslosengeldanspruchs auf 18
Monate sei der Kläger bis zu seinem Renten-eintritt wirtschaftlich zum größten Teil
abgesichert.
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Auch dem Zeugnisanspruch habe das Arbeitsgericht zu Unrecht stattgegeben. Dieser
Anspruch sei durch Erteilung des Zeugnisses vom 14.03.2008 (Bl. 169 d.A.) bereits
erfüllt.
51
Die Beklagte beantragt,
52
das Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 23.09.2008 – 2 Ca 608/08 –
abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
53
Der Kläger beantragt,
54
die Berufung zurückzuweisen.
55
Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil, tritt der Annahme des Arbeitsgerichts, seine
Einlassung, er habe die Dachmanschetten zur Entwicklung eines
Verbesserungsvorschlags benötigt, sei unglaubhaft, allerdings entgegen. Hierzu
wiederholt er erneut, er habe für die 20.000-Tonnen-Presse, die er selbstverständlich
nicht zu Hause stehen habe, Verbesserungsvorschläge im Hinblick auf ein Detail an
dieser Presse entwickeln wollen. Hierzu habe er die Presse nicht benötigt, sondern
lediglich die Dachmanschetten für die Detailarbeit und die hierzu gehörigen
Zeichnungen.
56
Im Übrigen sei das Arbeitsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass die
Interessenabwägung letztlich zu seinen Gunsten ausgehe. Die Beklagte verkenne, dass
der Kläger bereits ab 01.08.2008 in einer Freistellungsphase gewesen sei, für die er
bereits in vollem Umfang gearbeitet habe.
57
Auch eine Wiederholungsgefahr hinsichtlich eines Eigentumsdeliktes sei
ausgeschlossen, weil die Beklagte auf die Möglichkeit des Hausverbotes verwiesen
werden könne. Dass dies möglich sei und umgesetzt werden könne, zeige bereits der
unstreitige Sachvortrag der Beklagten, wonach diese den Werkschutz angewiesen
habe, dem Kläger den Zutritt zum Werksgelände zu verweigern, der Kläger sei am
27.02.2008 erschienen, allerdings nicht eingelassen worden. Damit stehe fest, dass
eine Wiederholungsgefahr nicht existiere. Die Erteilung eines Hausverbots durch die
Beklagte sei eine hinreichende Reaktion, um die Beklagte zu schützen und im Betrieb
deutlich zu machen, dass man keine Eigentumsdelikte dulde. Insoweit sei die Erteilung
eines Hausverbots die geeignete Maßnahme gewesen. Eine außerordentliche
Kündigung zur Abschreckung und zur Aufrechterhaltung der betrieblichen Ordnung sei
58
nicht erforderlich. Dasselbe gelte für das Interesse der Beklagten, weiteren
Eigentumsdelikten gegen die Beklagte vorzubeugen. Insoweit vernachlässige die
Beklagte die nach § 626 BGB gebotene Einzelfallabwägung. Erhebliche Kosten würden
durch den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bis zum 30.09.2009 auf die Beklagte
nicht zukommen. Die dem Kläger zustehende Urlaubsabgeltung könne die Beklagte
ohnehin durch den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung nicht verhindern.
Im Übrigen wird auf den weiteren Inhalt der von den Parteien gewechselten Schriftsätze
nebst deren Anlagen ergänzend Bezug genommen.
59
Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.
61
Die zulässige Feststellungsklage sowie die Klage auf Erteilung eines qualifizierten
Zeugnisses waren als unbegründet abzuweisen.
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Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist durch die außerordentliche Kündigung
der Beklagten vom 04.03.2008 beendet worden.
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Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Erteilung eines qualifizierten
Schlusszeugnisses.
64
I.
65
Die außerordentliche Kündigung vom 04.03.2008 ist wirksam. Sie hat das
Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien mit Zugang des Kündigungsschreibens vom
04.03.2008 wirksam zum 05.03.2008 beendet.
66
1. Die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 04.03.2008 ergibt sich
nicht aus den §§ 15 Abs. 1 KSchG, 626 Abs. 1 BGB.
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Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG ist die Kündigung eines Betriebsratsmitglieds
unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung
aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen, und dass die
nach § 103 BetrVG erforderliche Zustimmung vorliegt oder durch gerichtliche
Entscheidung ersetzt ist.
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Der Kläger war zwar zum Zeitpunkt des Ausspruchs der außerordentlichen Kündigung
am 04.03.2008 – noch – Betriebsratsmitglied. Sein Betriebsratsamt hat der Kläger erst
mit dem Eintritt in die Freistellungsphase am 01.08.2008 wegen Wegfalls der
Wählbarkeitsvoraussetzung nach § 8 BetrVG verloren (BAG, 16.04.2003 – 7 ABR 53/02
– AP BetrVG 1972 § 9 Nr. 7; Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, 24.
Aufl., § 8 Rn. 17 und § 25 Rn. 13 m.w.N.).
69
Der bei der Beklagten bestehende Betriebsrat hat der beabsichtigten außerordentlichen
Kündigung auch mit Schreiben vom 03.03.2008 nach § 103 BetrVG zugestimmt.
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Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers liegt aber ein wichtiger Grund im Sinne
des § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG vor.
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In § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG sind ohne eigenständige Definition die in § 626 Abs. 1
BGB verwandten Formulierungen übernommen worden. Da der Gesetzgeber in § 626
BGB geregelt hat, unter welchen Voraussetzungen eine "Kündigung aus wichtigem
Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist" gerechtfertigt ist, sind die in § 626 BGB
enthaltenen und daraus abgeleiteten Regeln zur Zulässigkeit einer außerordentlichen
Kündigung auch im Rahmen des § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG anzuwenden (BAG,
18.02.1993 – 2 AZR 526792 – AP KSchG 1969 § 15 Nr. 35; BAG, 21.06.1995 – 2 ABR
28/94 – AP KSchG 1969 § 15 Nr. 36; BAG, 17.03.2005 – 2 ABR 2704 – AP KSchG 1969
§ 15 Nr. 58; ErfK/Ascheid, 9. Aufl., § 15 KSchG Rn. 26, KR/Etzel, 8. Aufl., § 15 KSchG
Rn. 21; APS/Linck, 3. Aufl., § 15 KSchG Rn. 126 m.w.N.).
72
Der Beklagten hat ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB für die sofortige
Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger zur Seite gestanden.
73
a) In der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte ist anerkannt, dass strafbare Handlungen
zu Lasten des Arbeitgebers ebenso wie grobe Vertrauensverstöße grundsätzlich eine
außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB rechtfertigen können (BAG, 26.11.1964 –
2 AZR 211/63 – AP BGB § 626 Nr. 53; BAG, 10.02.1999 – 2 ABR 31/98 – AP KSchG
1999 § 15 Nr. 42; BAG, 12.08.1999 – 2 AZR 923/98 – AP BGB § 626 Verdacht strafbarer
Handlung Nr. 28; BAG, 16.12.2004 – 2 ABR 7/04 – AP BGB § 626 Nr. 191; BAG,
27.04.2006 – 2 AZR 415/05 – AP BGB § 626 Nr. 203; BAG, 13.12.2007 – 2 AZR 537/06
– AP BGB § 626 Nr. 210; KR/Fischermeier, a.a.O., § 626 BGB Rn. 445; ErfK/Müller-
Glöge, a.a.O., § 626 BGB Rn. 148, 154 f.; APS/Dörner, a.a.O., § 626 BGB Rn. 275 ff.;
Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 9.
Aufl., Rn. 735 f. m.w.N.). Vom Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber begangene
Straftaten, insbesondere Diebstähle, Unterschlagungen oder sonstige
Vermögensdelikte zum Nachteil des Arbeitgebers oder der Belegschaft, rechtfertigen
regelmäßig eine außerordentliche Kündigung ohne vorherige Abmahnung.
74
Dies gilt auch bei einem bloßen Versuch. Auch der bloße Versuch eines Diebstahls
oder einer sonstigen strafbaren Handlung zu Lasten des Arbeitgebers kann
grundsätzlich eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen (LAG Hamm, 20.02.1986 –
4 Sa 1288/85 – DB 1986, 1338; LAG Köln, 22.01.1996 – 3 Sa 722/95 – AP BGB § 626
Nr. 127; KR/Fischermeier, a.a.O., § 626 BGB Rn. 445); ob und inwieweit sich der
Arbeitnehmer mit seinem Verhalten strafbar gemacht hat, ist für die Beurteilung eines
wichtigen Grundes im Sinne des § 626 BGB ebenso wenig entscheidend, wie der
Ausgang eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens (BAG, 20.04.1977 – 4
AZR 778/75 – AP BAT § 54 Nr. 1; BAG, 29.01.1997 – 2 AZR 292/96 – AP BGB § 626
Nr. 131).
75
Nach der ständigen Rechtsprechung der Arbeitsgerichte kann darüber hinaus nicht nur
eine erwiesene Vertragsverletzung, sondern auch schon der schwerwiegende Verdacht
einer strafbaren oder sonstigen Verfehlung einen wichtigen Grund zur
außerordentlichen Kündigung gegenüber einem verdächtigen Arbeitnehmer darstellen.
76
Eine Verdachtskündigung liegt dann vor, wenn und soweit der Arbeitgeber eine
Kündigung damit begründet, dass gerade der Verdacht eines strafbaren bzw.
vertragswidrigen Verhaltens das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses
erforderliche Vertrauen zerstört habe. Der Verdacht der strafbaren Handlung stellt
gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen
eigenständigen Kündigungsgrund dar, der in dem Tatvorwurf nicht enthalten ist. Bei der
77
Tatkündigung ist für den Kündigungsentschluss maßgebend, dass der Arbeitnehmer
nach der Überzeugung des Arbeitgebers die strafbare Handlung bzw. Pflichtverletzung
tatsächlich begangen hat und dem Arbeitnehmer aus diesem Grund die Fortsetzung des
Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist. § 626 Abs. 1 BGB lässt eine Verdachtskündigung
dann zu, wenn starke Verdachtsmomente auf objektiven Tatsachen gründen, wenn die
Verdachtsmomente geeignet sind, dass für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses
erforderliche Vertrauen zu zerstören und wenn der Arbeitgeber alle zumutbaren
Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem
Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (BAG, 14.09.1994 – 2 AZR
164/94 – AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 24; BAG, 18.11.1999 – 2 AZR
743/98 – AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 32; BAG, 05.04.2001 – 2 AZR
217/2000 – AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 34; BAG, 06.11.2003 – 2
AZR 631/02 – AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 39; BAG, 29.11.2007 – 2
AZR 724/06 – AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 40; BAG, 13.03.2008 – 2
AZR 961/06 – AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 43; ErfK/Müller-Glöge,
a.a.O., § 626 BGB Rn. 208 ff.; KR/Fischermeier, a.a.O., § 626 BGB Rn. 210 ff.;
APS/Dörner, a.a.O., § 626 BGB Rn. 345 f. m.w.N.).
b) Bereits aufgrund unstreitigen Sachverhalts musste angenommen werden, dass der
Kläger sich eines Diebstahls zu Lasten der Beklagten schuldig gemacht hat. Zwischen
den Parteien ist unstreitig, dass der Kläger am 15.01.2008 sich mit Hilfe eines von ihm
unterschriebenen Materialscheines sechs Dachmanschetten hat aushändigen lassen,
die er ohne die erforderliche ausdrückliche Genehmigung durch einen Durchlass- oder
Leihschein mit nach Hause genommen hat. Damit hat er nach Auffassung der
Berufungskammer einen vollendeten Diebstahl begangen.
78
aa) Dass die sechs Dachmanschetten, die der Kläger am 15.01.2008 an sich gebracht
hat, im Eigentum der Beklagten standen, ist zwischen den Parteien unstreitig. Der
Kläger hat dadurch, dass er die sechs Dachmanschetten unberechtigterweise mit nach
Hause genommen hat, den Gewahrsam der Beklagten an diesen Dachmanschetten
gebrochen und eigenen Gewahrsam begründet. Ein Einverständnis der Beklagten, die
sechs Dachmanschetten mit nach Hause zu nehmen, hat nicht vorgelegen. Zwischen
den Parteien ist unstreitig, dass die Mitnahme jeglicher Gegenstände, die sich auf dem
Firmengelände oder im Besitz der Beklagten befanden, einer ausdrücklichen
Genehmigung in Form eines Durchlass- oder Leihscheins bedurfte. Einen derartigen
Durchlass- oder Leihschein hat sich der Kläger nicht besorgt. Auch eine sonstige
Genehmigung durch einen berechtigten Mitarbeiter der Beklagten lag zum Zeitpunkt der
Wegnahme der Dachmanschetten durch den Kläger nicht vor. Der Kläger konnte auch
nicht von einer mutmaßlichen Einwilligung der Beklagten ausgehen. Die Beklagte hat
unwidersprochen vorgetragen, dass sie zu einer Mitnahme der Dachmanschetten durch
den Kläger ihr Einverständnis nicht erteilt hätte.
79
Der Kläger hat sich die Dachmanschetten auch in rechtswidriger Weise zugeeignet,
indem er die Dachmanschetten mit nach Hause genommen und sie seinem Vermögen -
zumindest vorübergehend - einverleibt hat. Auch die erforderliche Zueignungsabsicht ist
gegeben. Insoweit genügt jede Willensäußerung, die im Rahmen einer Würdigung aller
Tatumstände eine Zueignungsabsicht offenbart und betätigt (BGH, 07.12.1959 – BGHSt
14, 38). Rechtlich erheblich wird der Wille, sich eine Sache zu Eigen zu machen, erst,
wenn er sich in einer nach außen erkennbaren Handlung ausdrückt. Durch welche
Handlung diese Beurkundung geschieht, ist gleichgültig. Eine Sache eignet sich an, wer
wie ein Eigentümer über die Sache verfügt und damit das Recht des Eigentümers an der
80
Sache leugnet (BGH, 05.03.1971 – BGHSt 24, 115).
Im vorliegenden Fall hat der Kläger unstreitig dadurch, dass er die Besorgung einer
erforderlichen Genehmigung mit Hilfe eines Durchlass- oder Leihscheines unterlassen
hat, der Beklagten verheimlicht, dass er die sechs Dachmanschetten mit nach Hause
genommen hat. Damit hat er die Verfügungsgewalt der Beklagten über die
Dachmanschetten beseitigen und eine eigene eigentümergleiche Verfügungsmacht
errichten wollen. Darüber hinaus hat er gegenüber der Beklagten, nachdem er auf die
Dachmanschetten angesprochen worden ist, zunächst verheimlicht, dass sich die
Dachmanschetten bei ihm zu Hause befunden haben, und die Beklagte über den
tatsächlichen Aufenthalt der Dachmanschetten hartnäckig getäuscht. Auch hierin zeigt
sich, dass der Kläger sich die Dachmanschetten rechtswidrig angeeignet hat. Der
Umstand, dass er die Dachmanschetten am 28.02.2008 wieder zurückgegeben hat,
beseitigt die zuvor begangene rechtswidrige Zueignung nicht.
81
Damit steht fest, dass der Kläger am 15.01.2008 sechs Dachmanschetten rechtswidrig
aus dem Betrieb der Beklagten entwendet hat.
82
bb) Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, dass er die Dachmanschetten für
Heimarbeiten oder für die Entwicklung eines Verbesserungsvorschlags benötigt hat.
83
Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Kläger seit dem 01.11.2007 seinen
restlichen Urlaub und restliche Arbeitszeitausgleichsansprüche vor Beginn der
Freistellungsphase am 01.08.2008 abfeierte. In Heimarbeit hat er sich zu diesem
Zeitpunkt nicht befunden. Auch seine Einlassung, er habe die Dachmanschetten für die
Planung und Entwicklung eines Verbesserungsvorschlags zu Hause benötigt,
vermochte die Berufungskammer nicht zu folgen.
84
Richtig ist zwar, dass der Kläger in der Vergangenheit auch Verbesserungsvorschläge
gemacht hat und daran beteiligt war. Aus welchen Gründen er aber für einen
Verbesserungsvorschlag an einer 20.000-Tonnen-Presse sechs Dachmanschetten
benötigte, hat der Kläger nicht in ausreichender Weise dargelegt. Der Kläger besaß
unstreitig keinen entsprechenden Auftrag der Beklagten. Unstreitig ist auch, dass er eine
20.000-Tonnen-Presse nicht zu Hause hatte. An welchem Verbesserungsvorschlag der
Kläger im Hinblick auf eine 20.000-Tonnen-Presse arbeitete und für welche
Detailarbeiten er dazu die Dachmanschetten benötigte, ist vom Kläger jedoch nicht
substantiiert vorgetragen worden. Einen Zusammenhang zwischen den
Dachmanschetten, die er am 15.01.2008 aus dem Betrieb entwendet hat, und einem
Verbesserungsvorschlag an einer 20.000-Tonnen-Presse hat er nicht darzustellen
vermocht.
85
Hinzu kommt, dass der Kläger seine Einlassung, er habe die Dachmanschetten für
einen Verbesserungsvorschlag an einer 20.000-Tonnen-Presse benötigte, erst
vorgebracht hat, nachdem er die außerordentliche Kündigung vom 04.03.2008 erhalten
hat. Zuvor hatte der Kläger im Gesprächstermin vom 28.02.2008, in dem er auf den
Verbleib der Dachmanschetten angesprochen worden ist, sich dahin eingelassen, er
habe die Dachmanschetten aus dem Lager entnommen, um sie bei einer späteren
Reparatur zu verwenden. Eine genauere Angabe hat er anlässlich des Gesprächs vom
28.02.2008 nicht gemacht.
86
Auch aus dem weiteren Verhalten des Klägers, nachdem er auf den Verbleib der
87
Dachmanschetten angesprochen worden ist, muss gefolgert werden, dass seine
Einlassung, er habe die Dachmanschetten für die Entwicklung eines
Verbesserungsvorschlags zu Hause benötigt, unglaubwürdig ist. Der Kläger hat nämlich
mehrfach versucht, den Vorgang hinsichtlich der am 15.01.2008 entwendeten
Dachmanschetten zu verheimlichen und zu verschleiern. Die Beklagte hat er
insbesondere über den Verbleib der Dachmanschetten hartnäckig getäuscht.
Zunächst hat er nämlich in einem Telefonat vom 26.02.2008 gegenüber dem
stellvertretenden Personalleiter R1 angegeben, die Dachmanschetten befänden sich im
Pumpenhaus. Diese Angabe war unzutreffend. Des Weiteren hat er einen mit der
Beklagten vereinbarten Gesprächstermin am 27.02.2008 wegen eines angeblichen
Arzttermins abgesagt. Der Kläger hat aber am 27.02.2008 keinen Arzttermin
wahrgenommen. Aus der Absage des Gesprächstermins vom 27.02.2008 konnte nur
entnommen werden, dass der Kläger den Gesprächstermin umgehen wollte, um über
den Verbleib der Dachmanschetten keine weiteren Aussagen machen zu müssen.
Unstreitig ist der Kläger am 27.02.2008, statt einen Arzttermin wahrzunehmen, nach H4
gefahren.
88
Weiter hat der Kläger die Beklagte im Gesprächstermin vom 28.02.2008 darüber
getäuscht, dass er angeblich die Dachmanschetten am Vortage aus dem Pumpenhaus
geholt habe. Unstreitig haben sich aber die von ihm am 15.01.2008 entwendeten
Dachmanschetten zu keinem Zeitpunkt im Pumpenhaus befunden. Erst als dem Kläger
vorgehalten worden ist, dass er das Werksgelände am 27.02.2008 über das Tor S8 nicht
betreten und auch nicht wieder verlassen hat, hat der Kläger zugegeben und zugeben
müssen, dass sich die sechs Dachmanschetten bereits seit dem 15.01.2008 die
gesamte Zeit in seinem Besitz zu Hause befunden haben.
89
All diese Umstände führen dazu, dass der Kläger die Dachmanschetten tatsächlich mit
Zueignungsabsicht am 15.01.2008 rechtswidrig entwendet hat und auch seiner
Einlassung, er habe die Dachmanschetten für die Entwicklung eines
Verbesserungsvorschlags benötigt, nicht gefolgt werden kann.
90
c) Der Kläger kann auch nicht geltend machen, dass eine Abmahnung zu
vertragsgerechtem Verhalten ausreichend gewesen wäre, sein Fehlverhalten
entsprechend zu ahnden. Unter den vorliegenden Umständen war der vorherige
Ausspruch einer Abmahnung gegenüber dem Kläger entbehrlich.
91
Eine Abmahnung ist insbesondere - auch bei einer Störung im Vertrauensbereich - dann
entbehrlich, wenn es um schwere Pflichtverletzungen geht, deren Rechtswidrigkeit dem
Arbeitnehmer ohne Weiteres erkennbar ist und bei denen eine Hinnahme des
Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist (BAG, 12.07.1984 –
2 AZR 320/83 – AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 32; BAG, 31.03.1993 – 2 AZR 492/92 – AP
BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 32; BAG, 10.02.1999 – 2 ABR 31/98 – AP KSchG 1969 §
15 Nr. 42; BAG, 12.01.2006 – 2 AZR 179/05 – AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte
Kündigung Nr. 54; BAG, 19.04.2007 – 2 AZR 180/06 – NZA-RR 2007, 571;
KR/Fischermeier, a.a.O., § 626 BGB Rn. 262 ff., 268). Dies gilt insbesondere bei
strafbaren Handlungen (BAG, 10.02.1999 – 2 ABR 31/98 – AP KSchG 1969 § 15 Nr. 42;
BAG, 08.06.2000 – 2 AZR 638/99 – AP BGB § 626 Nr. 163). In einem solchen Fall kann
durch eine bloße Abmahnung als milderes Mittel die Wiederherstellung des für ein
Arbeitsverhältnis notwendigen Vertrauens nicht erwartet werden (BAG, 12.08.1999 – 2
AZR 923/98 – AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 28).
92
So liegt der vorliegende Fall. Der Kläger konnte nicht darauf vertrauen, dass die
Beklagte auch nur den Versuch des Diebstahls von Dachmanschetten hinnimmt. Er
konnte nicht davon ausgehen, dass die Mitnahme von Dachmanschetten nach Hause
und die Entwendung der Dachmanschetten aus dem Betrieb von der Beklagten gebilligt
oder geduldet werden würde. Er musste vielmehr wissen, dass ein derartiges Verhalten
den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährden würde. Auch dem Kläger war bekannt,
dass angesichts der Größenordnung der Beklagten zur Aufrechterhaltung der Ordnung
jeder Diebstahl bzw. jedes strafbare Verhalten geahndet wird. Noch in der
Betriebsversammlung vom 09.05.2007 ist auf die Konsequenzen für die Arbeitnehmer
ausdrücklich hingewiesen worden, die sich am Eigentum der Firma oder am Eigentum
von Mitarbeitern und Kollegen vergreifen. In der Betriebsmitteilung vom 06.12.2007, die
auch vom Betriebsrat unterzeichnet worden ist, ist ausdrücklich darauf hingewiesen
worden, dass es zur Mitnahme jeglicher Gegenstände, die sich auf dem Firmengelände
und im Besitz der Beklagten befinden, einer ausdrücklichen Genehmigung bedarf.
93
d) Nach Auffassung der Berufungskammer war auch bei Abwägung der beiderseitigen
Interessen dem Interesse der Beklagten einer sofortigen Auflösung des
Arbeitsverhältnisses der Vorzug zu geben.
94
Strafbare Handlungen zu Lasten des Arbeitgebers, auch der Versuch einer strafbaren
Handlung, stellen in aller Regel besonders schwerwiegende Vertragsverletzungen dar.
Dem Arbeitnehmer ist die Pflichtwidrigkeit in aller Regel ohne Weiteres erkennbar. Auch
der Kläger konnte nicht mit der Billigung seines Verhaltens durch den Arbeitgeber
rechnen.
95
aa) Zu Gunsten des Klägers fällt zwar seine mehr als 46jährige Betriebszugehörigkeit
ins Gewicht. Bei der Interessenabwägung war zu Gunsten des Klägers zu
berücksichtigen, dass er nahezu sein gesamtes Berufsleben im Betrieb der Beklagten
zugebracht hat. Dennoch führt auch eine derartig lange Betriebszugehörigkeit nicht
dazu, dass der Arbeitnehmer zur Begehung strafbarer Handlungen zu Lasten des
Arbeitgebers berechtigt wäre. Insoweit fällt zu Gunsten der Beklagten bereits ins
Gewicht, dass es sich bei den entwendeten Dachmanschetten nicht um Gegenstände
von äußerst geringem Wert gehandelt hat. Die Dachmanschetten hatten unstreitig einen
Wert von 119,18 €. Einem Arbeitgeber kann nicht zugemutet werden, bei einer
bestimmten Dauer einer Betriebszugehörigkeit gewisse Eigentumsdelikte zu dulden
(KR/Fischermeier, a.a.O., § 626 BGB Rn. 446; APS/Dörner, a.a.O., § 626 BGB Rn. 96).
Von einem Bagatelldelikt kann keine Rede sein.
96
bb) Zu Gunsten des Klägers fällt insoweit auch nicht entscheidend ins Gewicht, dass der
Kläger sich zum Zeitpunkt der Entwendung der Dachmanschetten bereits in
Altersteilzeit bzw. kurz vor der Altersteilzeit befunden hat.
97
Grundsätzlich ist zwar der Umstand, dass ein Arbeitnehmer sich in Altersteilzeit
befindet, bei der Beurteilung eines wichtigen Grundes im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB
im Rahmen der insoweit erforderlichen Interessenabwägung zu berücksichtigen. Ist ein
Arbeitnehmer bereits unwiderruflich von der Arbeitsleistung freigestellt, steht dies aber
dem Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung nicht grundsätzlich entgegen. Eine
fristlose Kündigung ist regelmäßig nicht schon deshalb unwirksam, weil für den
Arbeitgeber die Möglichkeit besteht, den Arbeitnehmer unter Fortzahlung seiner Bezüge
bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder der vereinbarten Beendigung freizustellen
98
(BAG, 05.04.2001 – 2 AZR 217/00 – AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr.
34; ErfK/Müller-Glöge, a.a.O., § 626 BGB Rn. 42). Selbst bei einem Arbeitnehmer, der
sich im Rahmen eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses bereits in einer
Freistellungsphase befindet, bleibt der Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung
möglich. Dies gilt regelmäßig dann, wenn sich ein in einer Freistellungsphase
befindlicher Arbeitnehmer eines Diebstahls schuldig macht; ein Hausverbot wird der
Interessenlage in solchen Fällen im Allgemeinen nicht gerecht (LAG Schleswig-
Holstein, 18.01.2005 – 2 Sa 413/04 – NZA-RR 2005, 367; ErfK/Rolfs, a.a.O., § 2 ATG
Rn. 2 f.; APS/Preis, a.a.O., § 8 ATG Rn. 4 und 6; Rittweger, ATG, § 8 Rn. 16 ff., 22;
Stück, NZA 2000, 749, 751; Henss-ler/Willemsen/Kalb/Stindt/Nimscholz, Arbeitsrecht
Kommentar, 3. Aufl., § 8 ATG Rn. 4; a.A.: Reichling/Wolf, NZA 1997, 427). Regelmäßig
wird allerdings eine außerordentliche Kündigung während einer Freistellungsphase
lediglich auf verhaltensbedingte Gründe gestützt werden können, die trotz der
Freistellung des Arbeitnehmers so schwerwiegend sind, dass sie die Kündigung nach §
1 KSchG sozial rechtfertigen bzw. einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1
BGB darstellen.
So liegt der vorliegende Fall. Obgleich sich der Kläger zum Zeitpunkt der Entwendung
der Dachmanschetten aus dem Betrieb der Beklagten in Urlaub befand und die
Freistellungsphase ab 01.08.2008 bevorstand, überwog das Interesse der Beklagten an
der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses das Interesse des Klägers an der
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum geplanten Ende des Arbeitsverhältnisses.
Die Beklagte hat zutreffend dargelegt, dass die Entwendung der Dachmanschetten das
Vertrauensverhältnis zum Kläger in erheblicher und nachhaltiger Weise zerstört hat.
Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass der Kläger anlässlich der Überprüfung des
Verbleibs der Dachmanschetten durch die Beklagte nicht davor zurückgeschreckt ist,
die Beklagte über den Verbleib zu täuschen, indem er der Beklagten mehrfach
vorgespiegelt hat, die Dachmanschetten befänden sich im Pumpenhaus, obgleich ihm
bewusst war, dass er sie schon seit längerer Zeit zu Hause in Besitz hatte. Gerade
dieser Umstand ist es, der dazu führt, dass der Einlassung des Klägers, er habe am
15.01.2008 es lediglich versehentlich unterlassen, sich einen Durchlass- oder
Leihschein zu besorgen, die Dachmanschetten habe er zur Entwicklung eines
Verbesserungsvorschlags benötigt, in keiner Weise gefolgt werden kann. Wäre dem
wirklich so gewesen, hätte nichts näher gelegen, die Beklagte bei den Nachforschungen
über den Verbleib der Dachmanschetten wahrheitsgemäß aufzuklären. Dies hat der
Kläger gerade nicht getan, sondern versucht, die Beklagte über den Verbleib der
Dachmanschetten zu täuschen. Hieraus kann nur gefolgert werden, dass dem Kläger
die Rechtswidrigkeit seines Tuns bewusst gewesen ist. Insoweit hat das Verhalten des
Klägers das Vertrauensverhältnis zur Beklagten in derart hohem Maße beeinträchtigt,
dass auch der bloße Ausspruch eines Hausverbots kein milderes Mittel gegenüber der
außerordentlichen Kündigung darstellt. Unter Berücksichtigung der Schwere des dem
Kläger zu machenden Vorwurfs führt dies dazu, dass seinem Interesse an der
Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses bis zum Rentenbezug nicht der Vorzug
gegeben werden kann. Angesichts der Schwere der Pflichtverletzung und des
anschließenden Verhaltens des Klägers kommt dem Umstand, dass das
Arbeitsverhältnis zum 30.09.2009 ohnehin sein Ende finden wird, nur eine geringere
Bedeutung zu.
99
Zu Recht hat die Beklagte in diesem Zusammenhang auch darauf hingewiesen, dass
auch in der Freistellungsphase ihre wirtschaftlichen Interessen Berücksichtigung finden
müssen. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien würde immerhin noch ca. 1,5
100
Jahre andauern. Die durchschnittliche Monatsbelastung, die durch die Altersteilzeit
entstehen, hat die Beklagte mit 1.337,01 € angegeben. Hieraus ergibt sich, dass die
Aufrechterhaltung des Altersteilzeit-arbeitsverhältnisses bis zum vereinbarten Ende am
30.09.2007 die Beklagte mit einem Betrag von knapp 25.000,00 € belasten würde. Dies
ist ihr angesichts der Schwere des vertragswidrigen Verhaltens des Klägers nicht
zumutbar.
Hinzu kommt, dass die Beklagte ein erhebliches Interesse am Schutz ihres Eigentums
hat. Selbst wenn nach den gegebenen Einzelfallumständen eine Wiederholungsgefahr
nicht als wahrscheinlich erscheint, weil mit Beginn der Freistellungsphase ab
01.08.2008 auch das Amt des Klägers als Betriebsratsmitglied endete, können
mindestens bis zu diesem Zeitpunkt auch generalpräventive Interessen der Beklagten
nicht unberücksichtigt bleiben. Allein der Umstand, dass der Kläger sich in Altersteilzeit
befand und/oder bis zum 31.07.2008 sein Amt als Betriebsratsmitglied wahrnahm,
konnte nicht dazu führen, dem Kläger statt einer außerordentlichen Kündigung lediglich
ein Hausverbot auszusprechen; dies hätte im Betrieb den Eindruck erwecken müssen,
der Kläger werde wegen der Altersteilzeit oder wegen seines Betriebsratsamts
bevorzugt.
101
cc) Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, anlässlich der Gespräche mit der
Beklagten über den Verbleib der entwendeten Dachmanschetten aufgrund seiner
psychischen Erkrankung und aufgrund von Tabletteneinnahme verwirrt und nicht in der
Lage gewesen zu sein, sich in Ruhe zu erklären.
102
Die Berufungskammer will nicht in Abrede stellen, dass der Kläger psychisch erkrankt
gewesen ist und dass er auch zum Zeitpunkt der Personalgespräche Ende Februar
2008 bestimmte Medikamente eingenommen hat. Inwieweit diese psychische
Erkrankung des Klägers und die Tabletteneinnahme jedoch den Kläger gehindert hat,
sich in den mit der Beklagten geführten Gespräche wahrheitsgemäß über den Verbleib
der von ihm bereits am 15.01.2008 mit nach Hause genommenen Dachmanschetten zu
äußern, bleibt unerfindlich. Dem unstreitigen Sachverhalt ist vielmehr zu entnehmen,
dass der Kläger es in den Gesprächen mit der Beklagten hartnäckig darauf angelegt hat,
die Beklagte zunächst über den Verbleib der sechs Dachmanschetten zu täuschen,
indem er der Beklagten zunächst wahrheitswidrig vorgespiegelt hat, die
Dachmanschetten befänden sich im Pumpenhaus; anschließend hat er – ebenso
wahrheitswidrig – darauf hingewiesen, er habe sie am Vorabend aus dem Pumpenhaus
herausgeholt. Inwieweit seine zunächst in die Tat umgesetzte Absicht, die Beklagte
über den Verbleib der Dachmanschetten zu täuschen, auf seine psychische Erkrankung
oder die Einnahme von bestimmten Medikamenten zurückzuführen ist, hat der Kläger
aber nicht erklären können.
103
Nach alledem war dem Interesse der Beklagten an der sofortigen Beendigung des
Arbeitsverhältnisses der Vorzug zu geben.
104
e) Auch die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB ist eingehalten. Nach Aufklärung
des Sachverhalts aufgrund der mit dem Kläger geführten Gespräche, zuletzt am
28.02.2008, hat die Beklagte bereits am 04.03.2008 die vorliegende außerordentliche
Kündigung ausgesprochen.
105
2. Die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 04.03.2008 ergibt sich
auch nicht aus den §§ 102, 103 BetrVG.
106
Die Beklagte hat das Zustimmungsverfahren beim Betriebsrat ordnungsgemäß nach §
102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG durch Schreiben an den Betriebsrat vom 29.02.2008
eingeleitet. In diesem Schreiben hat die Beklagte die Personalien des Klägers, sein
Geburtsdatum, Familienstand und die Dauer der Betriebszugehörigkeit in ausreichender
Weise mitgeteilt. Auch auf den Abschluss des Altersteilzeitvertrages ist hingewiesen
worden. Die Beklagte hat den Betriebsrat auch im Hinblick auf die Kündigungsgründe
durch das Schreiben vom 29.02.2008 ordnungsgemäß und vollständig unterrichtet.
107
II.
108
Die Berufung der Beklagten ist auch insoweit begründet, als sie verurteilt worden ist,
dem Kläger ein Zeugnis zu erteilen, das sich auf Führung und Leistung erstreckt.
109
Richtig ist zwar, dass sich ein derartiger Anspruch aus § 109 Abs. 1 GewO ergibt.
110
Die Beklagte hat diesen Anspruch des Klägers auf Erteilung eines qualifizierten
Zeugnisses jedoch bereits mit Schreiben vom 17.03.2008 erfüllt, § 362 BGB. Unter dem
14.03.2008 hat sie dem Kläger ein qualifiziertes Zeugnis erteilt. Die Klage war danach
auch insoweit abzuweisen.
111
III.
112
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO. Der Kläger hat die Kosten des
Rechtsstreits zu tragen, da er insgesamt unterlegen ist.
113
Der Streitwert war für das Berufungsverfahren neu festzusetzen, § 63 GKG. Er beträgt
20.000,00 €. Im Berufungsverfahren waren lediglich der Feststellungsantrag und der
Antrag auf Erteilung eines qualifizierten Zeugnisses anhängig.
114
Für die Zulassung der Revision zum Bundesarbeitsgericht bestand nach § 72 Abs. 2
ArbGG keine Veranlassung.
115