Urteil des LAG Hamm vom 11.11.2005

LArbG Hamm: produktion, unechte rückwirkung, unwirksamkeit der kündigung, eugh, gemeinschaftsrechtskonforme auslegung, tschechien, gesellschafter, massenentlassung, anfang, zeugenaussage

Landesarbeitsgericht Hamm, 7 Sa 1536/05
Datum:
11.11.2005
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 Sa 1536/05
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Iserlohn, 5 Ca 2701/04
Nachinstanz:
Bundesarbeitsgericht, 2 AZR 789/05 Rücknahme 09.05.2007
Schlagworte:
Massenentlassung, Anzeigepflicht, Kündigung, Vertrauensschutz,
Teilbetriebsübergang
Normen:
§§ 17, 18, 1 Abs. 2 KSchG, § 613 a Abs. 1 u. 4 BGB
Leitsätze:
Parallelsache zu 7 Sa 719/05 12.08.2005
Rechtskraft:
Die Revision wird zugelassen
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn
vom 05.07.2005 - 5 Ca 2701/04 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d
1
Die Parteien streiten darüber, ob das seit dem 01.02.2002 zur Beklagten zu 1)
bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund ordentlicher betriebsbedingter Kündigung der
Beklagten zu 1) vom 26.07.2004 mit dem 31.08.2004 beendet worden ist oder darüber
hinaus fortbesteht und ob zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 2) zum
01.09.2004 ein unbefristetes Arbeitsverhältnis begründet worden ist in dessen Rahmen
die Beklagte zu 2) verpflichtet ist, die Klägerin als angelernte Maschinenbedienerin im
Bereich Biegen und Schweißen zu beschäftigen.
2
Die Beklagte zu 1) war Zulieferer der Automobilindustrie. Ihre Kunden waren u. a. die
VW AG, Daimler-Chrysler, BOS, Fanrecea, Zauner, Lemförder etc.. Die Beklagte zu 1)
war für die Automobilindustrie zertifiziert. Sie belieferte diese Kunden weltweit. Von der
Automobilindustrie bzw. von Zulieferern der Automobilindustrie war sie eingebunden in
die Großserienproduktion von 100.000 bis 800.000 Stück pro Kalenderjahr. Produziert
wurden u. a. Schaltgestänge, Schalthebel und Halterungen für Auspuffanlagen.
Zulieferer der Automobilindustrie waren ebenfalls die D2xx C2 und die D2xx U3. Beide
Unternehmungen waren jedoch nicht zertifiziert. In 2002 hat in A3xxxx die D2xx
3
K3xxxxxxxxxxxxx GmbH eine eigenständige Produktion auf diesem besonderen
Fachgebiet aufgenommen. Die K3xxxxxxxxxxxxx beliefert u. a. die Fa. Bosch mit
hochwertigen Schrauben. Gesellschafter dieser GmbH sind neben U2xxxx H1xxxxx und
A4xxxxxx S1xxx der Sohn des Gesellschafters/Geschäftsführers der Beklagten,
M1xxxxxx D2xx, der zugleich Mitgeschäftsführer der Beklagten zu 1) war.
Geschäftsführer dieser Gesellschaft sind U2xxxx H1xxxxx, zugleich Prokurist der
Beklagten zu 1) und A4xxxxxx S1xxx.
Die Beklagte zu 1) produzierte in acht Hallen. In einer Halle – der Halle 7 – betrieb sie
ein Hochregallager. Für ihre kaufmännischen Aufgaben nutzte sie ein mehrstöckiges
Bürogebäude. Sie beschäftigte zeitweise bis zu 180 Mitarbeiter. Bedingt durch die
Absatzprobleme der Automobilindustrie verringerte sich ihre Belegschaft bis Mitte 2004
auf nahezu 100 Arbeitnehmer. Da in 2004 ein weiterer Umsatzrückgang von nahezu 20
% festgestellt wurde - verursacht durch die weiter fortbestehenden Absatzprobleme in
der Automobilindustrie, die Rückholung von Fremdvergaben in die Produktionsstätten
der Automobilindustrie und den Verlust von Aufträgen aufgrund technischer Probleme –
entschloss sich der Gesellschafter/Geschäftsführer R3xx D2xx zur Stilllegung der
Produktion der Beklagten zu 1). Diesen Beschluss formulierte er schriftlich am
22.07.2004. Nach seinen Vorstellungen sollte die Produktion endgültig zum 31.03.2005
eingestellt sein. Zugleich beauftragte er die Geschäftsführung, den Arbeitnehmern
zeitnah unter Beachtung der unterschiedlichen Kündigungsfristen zu kündigen und alle
darüber hinaus notwendigen Maßnahmen zu treffen. Aus diesem Anlass fertigte die
Beklagte zu 1) am 26.07.2004 63 Kündigungen. Hiervon war auch die Klägerin
betroffen. Am 27.07.2004 reichte der Prokurist U2xxxx H1xxxxx die erste
Massenentlassungsanzeige über 100 Entlassungen bei der Agentur für Arbeit Iserlohn,
Büro Werdohl, ein. Eine weitere Anzeige erfolgte am 28.10.2004.
4
Nach Zugang der Kündigung wurde am 06.08.2004 die A1x W5xxxxxxxxxxxxx GmbH,
N2xxxxxxx, die Beklagte zu 2) gegründet. Geschäftsgegenstand dieser Gesellschaft ist
die Konstruktion und Entwicklung von Einzelteilen (Prototypen) und die Fertigung von
Kleinserien. Gesellschafter sind zu gleichen Teilen die D2xx K3xxxxxxxxxxxxx GmbH
A3xxxx und M1xxxxxx D2xx. Zu Geschäftsführern wurden Antonius S1xxx und U2xxxx
H1xxxxx bestellt. Die A1x hat ihre Tätigkeit Anfang Oktober 2004 aufgenommen. Sie
setzt neun CNC-Pressen und –Biegemaschinen und fünf Schweißanlagen aus dem
früheren Maschinenpark der Beklagten zu 1) ein.
5
Mit der beim Arbeitsgericht Iserlohn am 16.08.2004 erhobenen Klage wehrt sich die am
02.10.1981 geborene, verheiratete und seit dem 01.02.2002 bei der Beklagten zu 1) als
Maschinenbedienerin zum monatlichen Bruttoentgelt von 1.550,00 € tätige Klägerin
gegen die ihr am 28.07.2004 als Einwurfeinschreiben zugegangene Kündigung. Zur
Begründung hat sie die Auffassung vertreten, diese Kündigung sei nicht geeignet, das
zur Beklagten zu 1) bestehende Arbeitsverhältnis zum 31.08.2004 zu beenden. Die
Kündigung sei nämlich
6
sozialwidrig i. S. des § 1 Abs. 1 KSchG. Entgegen ihrer Ankündigung sei die Beklagte
zu 1) nicht in der Lage, betriebsbedingte Gründe vorzutragen. In den Hallen der
Beklagten zu 1) befänden sich weiterhin Mehrstufenpressen, Bieger- und
Schweißautomaten, an denen auch gearbeitet werde. Dass die Beklagte zu 1) mit
diesen Maschinen produziere mache sie darüber deutlich, dass sie um die
Neuzertifizierung als B- bzw. A-Lieferant für ihren Standort Neuenrade nachgesucht
habe. Aus diesem Anlass sei im Oktober 2004 ein Zertifizierungsaudit durchgeführt
7
worden. Ihre Lieferbeziehungen zur Automobilindustrie setze sie folglich am Standort
Neuenrade fort. Aus diesem Grunde müsse sie bezweifeln, dass "angeblich" alle
Arbeitnehmer entlassen würden. Sie müsse auch einen Stilllegungsbeschluss der
Beklagten anzweifeln. Sollte ein solcher tatsächlich getroffen worden sein, so sei dieser
lediglich vor-geschoben für die Aufkündigung von Arbeitsverhältnissen. Denn sowohl
die VW AG als auch der Automobilzulieferer Zäuner erteilten unvermindert Aufträge. Um
diesen Verpflichtungen gerecht zu werden, habe sie durch Verlagerung von nahezu
schrottreifen Maschinen für neue Technologie Platz geschaffen. Noch im Juni 2004
habe sie eine ABB Robotec bestellt, die Ende September geliefert worden sei. An
dieser Maschine habe sie den Leiter der Schweißerei, D8 V3xxxx, eingearbeitet. Mit der
Gründung der A1x, der Beklagten zu 2), habe sie unter ihrer Regie eine
Umstrukturierung vorgenommen. Da die Beklagte zu 2) noch nicht zertifiziert sei,
produziere die Beklagte zu 1) in eigener Verantwortung unverändert weiter. Nur so sei
die Vereinbarung mit der Fa. F1xxxxxxxx & R4xx GmbH vom 29.10.2004 zu verstehen.
Anders sei auch nicht erklärlich, dass die VW AG fortdauernd mit Haltern für Plattformen
sowie mit der Lagerwelle für das Reserverad, die I4x W3xxxx mit Schubstangen für
Audi, die CTS Fahrzeugdachsysteme mit Schubstangen für den Saab Cabrio, die J1 &
S5 GmbH mit Haltebügel für den New Beetle Cabrio, die Fa. L1xxxxxxx mit Wahlhebel
für BMW und die Fa. Z1 B4xx mit Schalthebeln für den DC-Sprinter beliefert werde. Da
die Beklagte zu 1) weiterhin produziere sei sie auch in der Lage, die Klägerin
weiterzubeschäftigen.
Mit Klageerweiterung vom 28.02.2005 bittet die Klägerin zusätzlich um Feststellung,
dass ihr Arbeitsverhältnis aufgrund eines Betriebsübergangs zwischen der Beklagten zu
1) und Beklagten zu 2) auf letztere übergegangen und diese deshalb verpflichtet sei, sie
als Maschinenbedienerin zu beschäftigen. Hierzu hat sie die Auffassung vertreten,
zwischen den Beklagten sei zum 01.09.2004 ein Betriebsübergang vollzogen worden.
Die Beklagte zu 2) nutze alle in N2xxxxxxx verbliebenen Pressen, Biege- und
Schweißautomaten und produziere in deren Hallen die gleichen Artikel wie die Beklagte
zu 1) für deren Kunden. Auch aufgrund dieses Geschehensablaufs müsse sie die
dargestellte Stilllegungsabsicht bezweifeln. Ihrer Meinung nach sei ausschließlich von
einer Umstrukturierung auszugehen. Diese erfordere eine soziale Auswahl, die die
Beklagte zu 1) bewusst unterlassen habe. Die Beklagte zu 2) setze auch die frühere
Tätigkeit der Beklagten zu 1) fort. Sie beschäftige zudem frühere Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter der Beklagten zu 1), die an den CNC-Maschinen gearbeitet hätten. Sie
beschäftige außerdem Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den Bereichen
Werkzeugbau, Reparatur und Instandhaltung sowie aus den Bereichen Schweißen.
Dass die Beklagte zu 1) zur Sozialauswahl verpflichtet gewesen sei lasse sich auch
damit begründen, dass die Beklagten einen einheitlichen Betrieb führen. So produziere
die Beklagte zu 2) am Standort der Beklagten zu 1). Letztere erstelle die
Lohnabrechnungen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Beklagten zu 2) und
erledige Buchhaltungsaufgaben. Die Beklagte zu 1) bestelle Rohprodukte zur
Weiterverarbeitung durch die Beklagte zu 2) und liefere unter ihrem Namen die Produkte
aus.
8
Die Klägerin vertritt schließlich die Auffassung, dass die Kündigung wegen
Nichteinhaltung der Anzeigepflicht bei Massenentlassungen (§§ 17, 18 KSchG)
rechtsunwirksam sei.
9
Da die Klägerin im Kammertermin vom 15.02.2005 Anträge nicht gestellt hat, wurde auf
Antrag der Beklagten gegen sie ein klageabweisendes Versäumnisurteil verkündet.
10
Gegen dieses, ihr am 21.02.2005 zugestellte Versäumnisurteil hat sie am 28.02.2005
Einspruch eingelegt. Diesen Einspruch hat sie mit der Klageerweiterung verbunden.
Die Klägerin hat beantragt,
11
unter Aufhebung des Versäumnisurteils vom 15.02.2005
12
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht
durch die Kündigung der Beklagten zu 1) vom 26.07.2004 aufgelöst
worden ist;
13
2. die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner zu verurteilen, sie zu
den bisherigen bei der Beklagten zu 1) bestehenden Arbeitsbedingungen
weiterzubeschäftigen.
14
Hilfsweise beantragte die Klägerin,
15
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen ihr und der Beklagten
zu 1) nicht durch die Kündigung der Beklagten zu 1) vom 26.07.2004
aufgelöst worden ist, sondern auf die Beklagte zu 2) nach § 613 a BGB
übergegangen ist;
16
2. die Beklagte zu 2) zu verurteilen, sie zu den bisherigen bei der
Beklagten zu 1) bestehenden Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen.
17
Die Beklagten haben beantragt,
18
das Versäumnisurteil vom 15.02.2005 aufrecht zu erhalten und hinsichtlich der
Klageerweiterungen im Übrigen die Klage abzuweisen.
19
Die Beklagte zu 1) bewertet die Klage – soweit zulässig - als unbegründet. Hierzu hat
sie behauptet, in ihrer Gesellschaft bestehe für die Klägerin kein Beschäftigungsbedarf
mehr. Sie habe den Stilllegungsbeschluss vom 22.07.2004 unverzüglich umgesetzt,
indem sie die kündbaren Arbeitsverhältnisse am 26.07.2004 aufgekündigt, eine
Massenentlassung am 27.07.2004 angezeigt, ihre Kunden über den Beschluss vom
22.07.2004 in Kenntnis gesetzt und keine neuen Aufträge (Kunden) angenommen habe.
Sie habe zugleich damit begonnen, die Verlagerung von Doppeldruckpressen, Pressen,
Biegemaschinen und Schweißanlagen nach Tschechien und Großbritannien
vorzubereiten. Im Rahmen der bestehenden Aufträge habe sie vorproduziert und diese
Produktion im Hochregallager zwischengelagert. Die für die Produktion nicht mehr
benötigten Schweißanlagen (BT01/B11/B13/B17/B18) sowie Bieger und Pressen
(P1/P11/P25) habe sie nach Ausspruch der Kündigungen stillgelegt. Mit dem
Abtransport von Maschinen habe sie Ende September (28., 29. und 30.09.2004)
begonnen. Ihre Kundenbeziehungen sollten nach Einstellung der Produktion vor Ort
über die D2xx C2, die eine Zertifizierung im Automotiv-Bereich anstrebe, und über die
D2xx U3 fortgesetzt werden. Zu diesem Zweck seien nach Tschechien insgesamt acht
Pressen und Bieger und fünf Schweißanlagen sowie nach Großbritannien eine
Schweißanlage und drei Pressen bzw. Bieger sowie eine Großanlage OMCD verlagert
worden. Zwei Maschinen (D2 und P21) seien zur K3xxxxxxxxxxxxx GmbH, A3xxxx,
transportiert worden. Eine Maschine (P15) werde zum Hersteller zurückgebracht.
Zusätzlich seien zwei Maschinen verschrottet und drei Maschinen "endgültig" außer
20
Betrieb gesetzt worden. Die zu verlagernden Maschinen habe sie nach der
Vorproduktion demontieren und umfassend reinigen lassen. Diese Maßnahmen hätten
es ihr ermöglicht, schon im September 22 Mitarbeiter während der noch laufenden
Kündigungsfristen frei zu stellen. Parallel zu den Kündigungen und zur
Massenentlassungsanzeige habe sie beim Integrationsamt um Zustimmung zur
Entlassung von drei beschäftigten schwerbehinderten Menschen nachgesucht. Nach
erteilter Zustimmung habe sie auch diesen Mitarbeitern gekündigt. Die befristeten
Arbeitsverhältnisse habe sie auslaufen lassen. Entgegen früherer Handhabung habe sie
keine neuen Ausbildungsverhältnisse begründet. Ihre Produktion habe sie endgültig
eingestellt. Mit Ausnahme ihres Prokuristen und der im ruhenden Arbeitsverhältnis
befindlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftige sie keine Arbeitnehmer mehr.
21
Beide Beklagten haben die Auffassung vertreten, die Beklagte zu 2) sei nicht ihre
Rechtsnachfolgerin i. S. des § 613 a Abs. 1 BGB. Letztere führe weder den Betrieb der
Beklagten zu 1) fort. Sie habe auch keinen Betriebsteil, dem die Klägerin zuzuordnen
sei, übernommen. Hierzu haben sie behauptet, die Beklagte zu 2) nutze ausschließlich
die in N2xxxxxxx verbliebenen und nicht ergänzend verschrotteten bzw. endgültig
stillgelegten Maschinen der Beklagten zu 1) für ihre eigenen betrieblichen Zwecke.
Diese unterschieden sich erheblich von denjenigen der Beklagten zu 1). Ihr
Schwerpunkt liege auf dem Bereich der Konstruktion und Entwicklung. Daneben
produziere sie Kleinserien für die Automobilindustrie. Die Beklagte zu 1) sei in die
Massenproduktion eingebunden gewesen. Die Kleinserienfertigung sei für sie lediglich
ein Nebenprodukt gewesen. Die Beklagte zu 2) habe auch nicht deren betriebliche
Organisation übernommen. Bei der Beklagten zu 1) habe die sog. Inselfertigung
vorgeherrscht. Die Beklagte zu 2) habe eine Linienproduktion aufgebaut. Um dieses Ziel
zu erreichen habe sie Roboter hinzugekauft, die den Transport übernehmen. Während
die Beklagte zu 1) auf Lager produziert habe benötige die Beklagte zu 2) das
Hochregallager nicht. Während die Beklagte zu 1) einen hohen Anteil an ungelernten
bzw. angelernten Mitarbeitern beschäftigt habe, benötige die Beklagte zu 2) zur
Überwachung und Umrüstung der Maschinen ausschließlich qualifizierte Mitarbeiter.
Aufgrund der geringen Belegschaft benötige die Beklagte zu 2) auch nicht das
mehrstöckige Bürogebäude der Beklagten zu 1). Die Beklagte zu 2) habe auch keinen
Betriebsteil "Schweißen" übernommen. Einen solchen Betriebsteil habe die Beklagte zu
1) gar nicht vorgehalten. Ihr Betrieb sei vielmehr einheitlich strukturiert gewesen und
habe einem Gesamtbetriebsleiter unterstanden. Abteilungsleiter habe sie aufgrund des
erforderlichen Personalabbaus in der Vergangenheit weit vor dem
Stilllegungsbeschluss nicht mehr beschäftigt.
22
Mit Urteil vom 05.07.2005 hat das Arbeitsgericht das Versäumnisurteil vom 15.02.2005
bestätigt und die Klageerweiterung abgewiesen. Zur Begründung hat es u. a.
ausgeführt, die Kündigung sei durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt.
Hierfür genüge der Entschluss vom 22.07.2004, die Produktion befristet auslaufen zu
lassen um sie sodann endgültig einzustellen, zumal dieser Entschluss durch die
Beklagte tatsächlich umgesetzt worden sei. Hierfür sprächen die nachfolgenden
Umstände: Keine Annahme von Neuaufträgen, Kündigung aller Arbeitnehmer zum
nächst möglichen Termin, Anzeige einer Massenentlassung, Einsatz eigener
Arbeitnehmer zur Abproduktion, Bekanntgabe der Stilllegungsabsicht nach außen,
Einholung der Zustimmung des Integrationsamtes zur Entlassung schwerbehinderter
Arbeitnehmer, Freistellung von Arbeitnehmern während der Kündigungsfrist sowie die
Verlagerung erheblicher Teile des Maschinenparks nach Tschechien, Großbritannien
23
und an ein in N2xxxxxxx ansässiges Unternehmen. Die umfassende Umsetzung dieses
Stilllegungsentschlusses sei u. a. deshalb zu unterstellen, zumal die Klägerin das
Vorbringen der Beklagten nicht substantiiert bestritten habe. Die Kündigung sei auch
nicht aus anderen Gründen sozial ungerechtfertigt bzw. rechtsunwirksam. Aufgrund
endgültiger Produktionseinstellung und Entlassung aller Arbeitnehmer könne eine
Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten nicht verlangt werden. Eine Verletzung der
Bestimmungen zur Massenentlassung sei nicht erkennbar; ebenso wenig eine
Rechtsunwirksamkeit der Kündigung aus den Gründen des § 613 a Abs. 1 und 4 BGB.
Die Übertragung von Betriebsteilen sei weder in Bezug auf die D2xx C2 und die D2xx
U3 noch in Bezug auf die A1x W5xxxxxxxxxxxxx, N2xxxxxxx, zu erkennen. Die
Verlagerung jeweils eines Teils des früheren Maschinenparks bewirke nicht die
Wahrung der Identität des vorausgehenden Produktionsbetriebes. Hieraus folge
konsequent, dass eine Weiterbeschäftigung nicht durchgesetzt werden könne.
Gegen dieses, ihr am 18.07.2005 zugestellte, vorgetragene und wegen der sonstigen
Einzelheiten in Bezug genommene Urteil hat die Klägerin am 03.08.2005 Berufung
eingelegt, die am 10.08.2005 begründet worden ist. Die Klägerin greift das
angefochtene Urteil in vollem Umfang an. Zur Begründung vertritt sie die Auffassung,
die Kündigung sei nicht nur sozial ungerechtfertigt sondern auch wegen Nichteinhaltung
der Anzeigepflicht vor Ausspruch der Kündigung rechtsunwirksam. Zudem verkenne
das angefochtene Urteil, dass ihr Arbeitsverhältnis auf die Beklagte zu 2) übergegangen
sei. Hierzu trägt sie vor, die Beklagte habe nicht erkannt, dass nach Überzeugung des
EuGH die Anzeige vor der Kündigungserklärung zu erfolgen habe und dass die
Nichtbeachtung dieses Grundsatzes zur individual-rechtlichen Rechtsunwirksamkeit der
Kündigung führe. Entgegen der Bewertung im
24
angefochtenen Urteil sei auch festzuhalten, dass ihr Arbeitsplatz nicht weggefallen sei.
Das angefochtene Urteil habe zu Unrecht den Stilllegungsbeschluss und dessen
Umsetzung unterstellt. Dies müsse sie weiterhin bestreiten, zumal Ausführungen zur
Immobilienverwertung, zur Kundeninformation, zur Aufkündigung von Lieferverträgen
fehlten. Letzterem stehe die Fortsetzung der Kundenbeziehungen seitens der Beklagten
zu 2) und die Lieferverpflichtungen seitens der Beklagten zu 1) entgegen. Auch müsse
sie bezweifeln, dass nach den Behauptungen der Beklagten zu 1) alle Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter entlassen worden seien. Aus dem früheren Bereich Schweißen
beschäftigte die Beklagte zu 2) sechs Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Diese pflege
auch die Kundenbeziehungen zu den früheren Kunden der Beklagten zu 1) wie z. B.
VW AG, Daimler Chrysler, ET 3, Gillet etc. Da die Beklagte zu 2) in den Bereichen
manuelles Biegen und Schweißen die wesentlichen Betriebsmittel der Beklagten zu 1)
übernommen habe, sei ihr Arbeitsverhältnis auf diese übergegangen. Ihrer Meinung
nach führe die Beklagte zu 2) die gesamte Produktion der Beklagten zu 1) in deren
früheren Räumen weiter. Sie unterhalte zur Aufrechterhaltung der Produktion die
Bereiche Ein- und Verkauf, Verwaltung, Versand und Qualitätssicherung. Sie bestelle
auf dem Briefkopf der Beklagten zu 1) bei deren früheren Zulieferern. Sie beschäftige
zwischenzeitlich weit mehr über 50 % der früheren Mitarbeiterschaft der Beklagten zu 1).
Dass sich die Beklagte zu 1) nicht aus der Produktion zurückgezogen habe beweise
das Organisationspapier vom 21.09.2004. Hieraus gehe hervor, dass die Beklagte zu 1)
im Verbund eine Gesamtproduktion vorhalte. Produzenten seien neben der Beklagten
zu 2) die D2xx K3xxxxxxxxxxxx A3xxxx, die D2xx C2 und die D2xx U3. Die Beklagte zu
1) beliefere mit Hilfe der Beklagten zu 2) ihre früheren Kunden. Die Beklagte zu 1) habe
sich aus der Verantwortung für die Produktion nicht zurückziehen können, zumal die
Beklagte zu 2) noch nicht zertifiziert sei. Hieraus folge, dass die Beklagte zu 2)
25
Rechtsnachfolgerin der Beklagten zu 1) sei. Diese führe den früheren Betrieb der
Beklagten zu 1) mit nahezu unveränderter Betriebsorganisation, gleichen Zulieferern,
gleichen Kunden fort. Die Beklagte zu 2) habe auch die Aktiva der Beklagten zu 1) für
den Einkauf übernommen. Dass die Beklagte zu 1) weiterhin produziere beweise ihre
Bewerbung um die Teilnahme des Messestandes auf der IAA F2xxxxxxx des MWA NW.
Die Klägerin beantragt,
26
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen der Klägerin und der
Beklagten zu 1) durch die Kündigung vom 26.07.2004 nicht aufgelöst ist;
27
2. die Beklagte zu 2) zu verurteilen, die Klägerin zu unveränderten
Arbeitsbedingungen als gewerbliche Arbeitnehmerin in der Produktion zu
einem Stundenlohn von 8,71 € brutto in Vollzeit sowie ansonsten zu den
im Arbeitsvertrag mit der Beklagten zu 1) vom 21.12.2003 festgelegten
Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen.
28
Hilfsweise für den Fall des Unterlegens hinsichtlich des Hauptantrags zu 2.
29
1. festzustellen, dass zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 2) seit
dem 01.09.2004 ein unbefristetes Arbeitsverhältnis in Folge
Betriebsübergang gem. § 613 a BGB besteht;
30
2. die Beklagte zu 2) zu verurteilen, die Klägerin zu den bisherigen bei der
Beklagten zu 1) bestehenden Arbeitsbedingungen gemäß Arbeitsvertrag
vom 23.12.2003 zu einem Stundenlohn i. H. v. 8,71 € brutto als
gewerbliche Arbeitnehmerin weiterzubeschäftigen.
31
Die Beklagten beantragen,
32
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
33
Sie bewerten weiterhin die Kündigung als rechtswirksam. Zur Begründung führen sie
aus, mit der Auslegung: "Kündigung = Entlassung" wende sich der EuGH an den
nationalen Gesetzgeber und nicht an den privaten Arbeitgeber. Der Gesetzgeber sei
deshalb gehalten, die Bestimmungen zur Massenentlassung entsprechend anzupassen,
zumal eine richtlinienkonforme Auslegung mit dem Gesetz nicht in Einklang zu bringen
sei. Die Beklagte zu 1) genieße Vertrauensschutz. Sie habe in Anwendung der
gefestigten Rechtsprechung des BAG (trotz Kenntnis des Vorlagebeschlusses des
Arbeitsgerichts Berlin vom 30.04.2003) nach Gesetz gehandelt. Letztlich dürfte eine evtl.
Nichteinhaltung dieser Bestimmungen nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung führen.
Auch diesbezüglich berufe sie sich auf die gefestigte Rechtsprechung des BAG. Sie
bekräftigen zudem die Ausführungen des angefochtenen Urteils zur
Produktionseinstellung und tragen hierzu vor, die Beklagte zu 1) habe ihre Produktion
spätestens Ende Dezember 2004 beendet. Sie vertreten hierzu die Auffassung, der
Betrieb der Beklagten zu 1) sei nicht von der Beklagten zu 2) übernommen worden. Die
Beklagte zu 1) habe vielmehr ihren Maschinenpark aufgelöst, die Beklagte zu 2)
produziere lediglich in einer Halle, nutze weder das Hochregallager noch das
Bürogebäude. Die Beklagte zu 2) sehe ihr Schwergewicht der unternehmerischen
Tätigkeit auf dem Gebiet der Entwicklung und Konstruktion und produziere Auspuffhalter
bzw. Schaltgestänge lediglich in Kleinserien. Die Beklagte zu 2) unterscheide sich
34
insofern von ihrer Unternehmensform, zumal sie überwiegend im Rahmen von
Großserien beteiligt worden sei. Diese Großserien habe sie in der Form der
Inselfertigung abgearbeitet. Für die Kleinserienfertigung habe die A1x eine
automatische Linienfertigung aufgebaut. Kleinserien hätten ein Volumen von 150 bis
200 Stück. Dies erfordere ein ständiges Umrüsten der Maschinen. Für die
Linienfertigung habe die A1x zum Teil neue Maschinen, u. a. einen Cloosroboter
(Schweißmaschine B997) und einen Roboter mit TCP Vermessungseinheit, Drehtisch
und Werkzeugaufspannvorrichtung (Schweißanlage B19) beschafft. Diese Technik
habe die Beklagte zu keiner Zeit vor-gehalten. Zur Überwachung dieser automatischen
Maschinen benötige sie Fachpersonal. Ihrer Meinung nach habe die Beklagte zu 2)
auch keinen Betriebsteil aus ihrem Unternehmen übernommen. Ein solcher sei auch für
den Bereich Schweißen nicht vorgehalten worden. Die Beklagte zu 2) beschäftige
einschließlich der Fremdeinstellungen erheblich weniger Mitarbeiter als von der
Klägerin angegeben. Entgegen den Andeutungen der Klägerin produziere sie nicht
mittels der Beklagten zu 2). Das von der Klägerin angesprochene Organisationspapier
halte lediglich ein Gedankenmodell fest. Eine Holding existiere tatsächlich nicht. Eine
gesellschaftsrechtliche Verflechtung mit beherrschender Leitung der Beklagten zu 1)
bestünde unter den angesprochenen Gesellschaften nicht. Die Beklagte zu 1) wickle nur
bestehende Verträge ab. Dies u. a. über die Beklagte zu 2) und die D2xx C2 bzw. D2xx
U3. Neugeschäfte sei sie nicht eingegangen.
Die Beklagte zu 1) wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen, alle Arbeitnehmer
entlassen zu haben und keinen Arbeitnehmer mit Ausnahme ihres Prokuristen zu
beschäftigen. Auch die von der Klägerin im Einzelnen angeführten Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer seien am 26.07. bzw. 28.07.2004 entlassen worden. Im Übrigen habe
sie befristete
35
Arbeitsverhältnisse auslaufen lassen. Zu den gekündigten Arbeitnehmern gehöre auch
M. Reck, der zum 30.09.2004 ausgeschieden sei. In ihrem Betrieb habe die Beklagte zu
1) keine Abteilungen vorgehalten. Dem Mitarbeiter B7xxxxxxxx habe sie zwar für den
Werkzeugbau Vorgesetztenfunktionen übertragen. Dieser sei persönlich dem
Produktionsleiter direkt unterstellt
36
gewesen. Die mechanischen Pressen, seien überwiegend nach Tschechien verlagert
worden. Lediglich drei (von sieben) Pressen setze die Beklagte zu 2) ein. Die Beklagte
zu 1) habe zur Erfüllung der bestehenden Rahmenverträge (sog. Jahresverträge) für das
zweite Halbjahr 2004 vorproduziert. Bei den Großserien sei die Beklagte zu 1) aufgrund
qualitativer Mängel und Zuliefererprobleme mit Nachfolgeaufträgen nicht mehr bedacht
worden. Alle Großaufträge seien in 2004 ausgelaufen. Über ihre Entscheidung, die
Produktion einzustellen seien ihre Großkunden durch die Mitarbeiter P3xxxxxx und
L3xxxxxxx informiert worden. Da die Beklagte zu 2) noch nicht zertifiziert sei, trete die
Beklagte zu 1) bei den Kleinserienaufträgen weiterhin als Lieferant auf. Die Beklagte zu
2) sei in diesem Rahmen ihre Subunternehmerin. Diese Form habe sie gewählt, um
Schadenersatzansprüchen erfolgreich entgegentreten zu können. Die Beklagte zu 2)
habe nur einen geringen Anteil ihrer früheren Belegschaft eingestellt. Qualifiziertes
Personal habe sie zudem auf dem freien Arbeitsmarkt angeworben. Aufgrund des
geringen Personalbestandes benötige sie keine eigenständige Finanz- und
Lohnbuchhaltung. Die Beklagte zu 2) führe auch nicht den bei der Beklagten zu 1)
benötigten Einkauf, Vertrieb und Versand fort.
37
Wegen der sonstigen Einzelheiten im Vorbringen der Parteien wird auf den Inhalt der
38
gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Das Berufungsgericht hat im Berufungsverfahren 7 Sa 685/05 Beweis erhoben durch
uneidliche Vernehmung des 51-jährigen Betriebswirts und Prokuristen U2xxxx H1xxxxx
sowie des 32-jährigen Industriemechanikers M2xx L4xxx als Zeugen. Das
Berufungsgericht hat diese Beweisaufnahme im Berufungsverfahren 7 Sa 720/05 durch
ergänzende Vernehmung des 51-jährigen Betriebswirts und Prokuristen U2xxxx
H1xxxxx ergänzt. Es hat zudem im Berufungsverfahren 7 Sa 685/05 die
Beweisaufnahme fortgesetzt durch uneidliche Vernehmung der kaufmännischen
Angestellten J2xxxxxxx U2xxxx, des Industriemeisters Hxxxxx Rxxxxxx und des
Technikers Maschinenbau Cxxxxxxxx D8 V3xxxx als Zeugen. Das Berufungsgericht hat
schließlich im vorliegenden Verfahren Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung
des am 25.06.1960 geborenen Dipl.-Ing. FH Maschinenbau M3xxxxxx P3xxxxxx als
Zeugen. Dessen schriftliche Zeugenaussage vom 07.11.2005 (Bl. 305 und 306 der
Akten) war Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Die im Übrigen angesprochenen
vom Gericht protokollierten bzw. schriftlich eingereichten Zeugenaussagen wurden
durch den Vorsitzenden im Termin zur Berufungsverhandlung verlesen.
39
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
40
Die nach der Beschwer (§ 64 Abs. 2 ArbGG) statthafte, form- sowie fristgerecht
eingelegte und begründete Berufung der Klägerin (§§ 66 Abs. 1 S. 1 und 2, 64 Abs. 6
ArbGG, §§ 519, 520 Abs. 3 ZPO) hat keinen Erfolg.
41
A.
42
Die gem. § 256 ZPO allgemein zulässige und in der Frist des § 4 KSchG erhobene
Feststellungsklage der Klägerin ist nicht begründet. Die Kündigung der Beklagten zu 1)
vom 26.07.2004 ist nicht sozial ungerechtfertigt; sie ist vielmehr durch dringende
betriebliche Erfordernisse bedingt, die einer Weiterbeschäftigung der Klägerin auf Dauer
entgegenstehen (§ 1 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 KSchG (I)). Die Kündigung ist auch nicht aus
sonstigen Gründen wie z. B. wegen Verstoßes gegen § 613 a Abs. 1 und 4 BGB oder
wegen Nichtbeachtung der §§ 17, 18 KSchG rechtsunwirksam (II).
43
I.
44
Die Kündigung vom 26.07.2004 ist nicht sozial ungerechtfertigt i. S. des § 1 Abs. 1
KSchG. Sie ist vielmehr durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt, die der
Weiterbeschäftigung der Klägerin auf Dauer entgegenstehen (§ 1 Abs. 2 S. 1 KSchG).
Dringende betriebliche Erfordernisse können sich aus innerbetrieblichen Umständen
wie z. B. der Umstellung der Produktion oder Schließung einer Abteilung oder durch
außerbetriebliche Umstände wie z. B. Umsatzrückgänge ergeben. Dringend sind
betriebliche Erfordernisse dann, wenn sie eine Kündigung im Interesse des Betriebes
notwendig machen. Auftragsmangel kann eine betriebsbedingte Kündigung dann
rechtfertigen, wenn durch ihn die anfallende Arbeit soweit zurückgeht, dass für einen
oder mehrere Arbeitnehmer das Bedürfnis zur Weiterbeschäftigung entfällt und die
Kündigung nicht durch innerbetriebliche Maßnahmen vermieden werden kann. Das
Arbeitsgericht ist hierbei gehalten zu überprüfen, ob eine unternehmerische
Entscheidung vorliegt, die den endgültigen Verlust des Arbeitsplatzes bewirkt und ob
diese Entscheidung offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist. Auf ihre
sachliche Rechtfertigung oder Zweckmäßigkeit kann eine Unternehmerentscheidung
45
sachliche Rechtfertigung oder Zweckmäßigkeit kann eine Unternehmerentscheidung
nicht überprüft werden (BAG, Urteil vom 17.06.1999 – 2 AZR 522/98 –).
Zu den dringenden betrieblichen Erfordernissen gehört die Stilllegung des gesamten
Betriebes durch den Arbeitgeber. Die bloße Einstellung der Produktion bedeutet
allerdings noch keine Betriebsstilllegung. Unter Betriebsstilllegung ist vielmehr die
Auflösung der zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehenden Betriebs- und
Produktionsgemeinschaft zu verstehen, die ihre Veranlassung und zugleich ihren
unmittelbaren Ausdruck darin findet, dass der Unternehmer die bisherige wirtschaftliche
Betätigung in der ernstlichen Absicht einstellt, die Verfolgung des bisherigen
Betriebszwecks dauernd oder für eine ihrer Dauer nach unbestimmte, wirtschaftlich nicht
unerhebliche Zeitspanne nicht weiter zu verfolgen. Der Arbeitgeber muss endgültig
entschlossen sein, den Betrieb stillzulegen. Demgemäß ist von einer Stilllegung
auszugehen, wenn der Arbeitgeber seine Stilllegungsabsicht unmissverständlich
äußert, allen Arbeitnehmern kündigt, etwaige Mietverträge zum nächst möglichen
Zeitpunkt auflöst, die Betriebsmittel, über die er verfügen kann, veräußert und die
Betriebstätigkeit vollständig einstellt. Abgeschlossen ist die Stilllegung erst dann, wenn
die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer beendet sind (ständige Rechtsprechung des
BAG, vgl. hierzu z. B. Urteil vom 16.05.2002 – 8 AZR 319/01 – AP Nr. 237 zu § 613 a
BGB; Urteil vom 24.02.2005 – 2 AZR 214/04 –). Der Arbeitgeber ist allerdings nicht
gehalten, eine Kündigung erst nach Durchführung der Stilllegung auszusprechen. Es
kommt auch eine Kündigung wegen beabsichtigter Stilllegung in Betracht. Wird die
Kündigung auf die künftige Entwicklung der betrieblichen Verhältnisse gestützt, so kann
sie ausgesprochen werden, wenn die betreffenden betrieblichen Umstände greifbare
Formen angenommen haben. Solche greifbaren Formen liegen vor, wenn im Zeitpunkt
des Ausspruchs der Kündigung aufgrund einer vernünftigen, betriebswirtschaftlichen
Betrachtung davon auszugehen ist, zum Zeitpunkt des Kündigungstermins sei mit
einiger Sicherheit der Eintritt eines die Entlassung erforderlich machenden betrieblichen
Grundes gegeben (BAG, a. a. O., mit weiteren Hinweisen auf die ständige
Rechtsprechung des BAG).
46
1. Der Beklagten zu 1) ist es gelungen, diese Voraussetzungen nachzuweisen. Die
Beklagte zu 1) hat durch ihren Gesellschafter/Geschäftsführer letztendlich am
22.07.2004 den zuvor gereiften Entschluss formal fixiert, den Betrieb zum
31.03.2005 stillzulegen. Zugleich hat er mit diesem Beschluss die
Geschäftsführung beauftragt, alles Erforderliche zu veranlassen, um diesen
Entschluss so zeitnah als möglich umzusetzen. Die Arbeitsverhältnisse sollten
unter Berücksichtigung der Kündigungsfrist und unter Beachtung von
produktionstechnischen Gegebenheiten beendet werden. Dass dieser Beschluss
so gefasst wurde, hat der Prokurist der Beklagten, U2xxxx H1xxxxx, als Zeuge
bestätigt. Er war nach seiner Einlassung bei der Unterzeichnung zugegen. Er hat
die auszuführenden Hinweise entgegengenommen.
47
Dieser Entschluss wurde auch entsprechend den Vorstellungen des
Gesellschafter/Geschäftsführers zeitnah realisiert. Die Arbeitsverhältnisse der
kündbaren Arbeitnehmer wurden am 26.07.2004 aufgekündigt. Am 27.07.2004
wurde bei der Agentur für Arbeit I1xxxxxx, Büro W2xxxxx, die erste
Massenentlassungsanzeige eingereicht. Zeitgleich hat die Beklagte zu 1) bei dem
Integrationsamt um Zustimmung zur Entlassung der drei schwerbehinderten
Arbeitnehmer gebeten. Auch ihnen wurde nach erteilter Zustimmung gekündigt.
Diesen personellen Vollzug des Entschlusses hat der Zeuge H1xxxxx ebenfalls
aus eigener Kenntnis bestätigt. Als Personalleiter habe er die Kündigungen
48
unterschrieben und veranlasst, dass diese zur Post gegeben wurden. Persönlich
habe er am 27.07.2004 gegen 10 Uhr die Massenentlassungsanzeige bei der
Agentur für Arbeit eingereicht. Danach hätten in den Räumen der Beklagten
ausführliche Unterredungen zwischen Mitarbeitern der Agentur und den
betroffenen Arbeitnehmern stattgefunden. Er hat zudem bestätigt, dass das
Integrationsamt zur beabsichtigten Kündigung der Schwerbehinderten beteiligt
wurde. Dessen Zustimmung lag am 10.08.2004 vor.
Zur weiteren Ausführung dieses Beschlusses wurde die sog. Ausproduktion
eingeleitet. Die Beklagte zu 1) hat im Rahmen der bestehenden Verträge
vorproduziert, um Schweißmaschinen, Doppeldruckpressen, Pressen und Bieger
zur Verlagerung nach Tschechien, Großbritannien und Altena demontieren und
reinigen zu können. Zeit-gleich wurde von Fremdfirmen die hierfür notwendig
werdende Logistik vorbereitet. Maschinen wurden ab Ende September fortlaufend
abtransportiert. Auch diese Angaben hat der Zeuge H1xxxxx bestätigt. Er hat
ausgeführt, die Verlagerung der Maschinen und die damit verbundene
Vorproduktion sei Bestandteil des Entschlusses vom 22.07.2004 gewesen. Der
Maschinentransport habe der Erweiterung der in Tschechien und Großbritannien
vorhandenen Kapazität gedient. D2xx C2 habe, wie zur Akte gelangt, weitere
Flächen angemietet, um diese Maschinen in den bisherigen Maschinenpark
eingliedern zu können. Der Abtransport sei wie geplant erfolgt. Hierzu gehöre auch
die Verlagerung von zwei Maschinen zur K3xxxxxxxxxxx GmbH, A3-xxxx. Nach
seinen weiteren Begründungen habe diese Maßnahme dazu geführt, dass im
September 2004 insgesamt 22 Mitarbeiter hätten freigestellt werden können.
49
Diesen Entschluss unterstützend hat die Beklagte zu 1) alle befristeten Verträge
auslaufen lassen. Die Beklagte zu 1) hat darüber hinaus keine neuen Aufträge
angenommen. Sie hat sich darum bemüht, für den Auszubildenden einen anderen
Ausbildungsplatz zu finden. Entgegen ihrer früheren Handhabung hat sie im
Sommer 2004 kein neues Ausbildungsverhältnis begründet. Sie hat darüber
hinaus keinen neuen Auftrag angenommen. Dies alles ist entweder unstreitig oder
vom Zeugen H1xxxxx bestätigt worden. Hinzu kommt, dass die Beklagte zu 1)
ihren Entschluss u. a. durch den Zeugen H1xxxxx sowie den Mitarbeiter P3xxxxxx
und L3xxxxxxx den Kunden gegenüber bekannt gegeben hat.
50
Die Beklagte zu 1) beschäftigt – mit wenigen Ausnahmen – keine Arbeitnehmer
mehr. Der Zeuge H1xxxxx hat in diesem Zusammenhang in seiner
Zeugenaussage darauf hingewiesen, dass die Belegschaft entweder durch
auslaufende Befristung, durch Kündigung der Beklagten zu 1), durch
Aufhebungsvertrag oder durch Eigenkündigung der Arbeitnehmer ausgeschieden
seien. Auch dieser Teil der Aussage ist zur Überzeugung der erkennenden
Berufungskammer glaubhaft. Dieser Einschätzung steht nicht entgegen, dass der
Zeuge nicht in der Lage war, die Beendigungsart und den Beendigungszeitpunkt
derjenigen, von der Klägerin aus einer Liste benannten drei bis vier Arbeitnehmer
konkret darzustellen. Diese Zurückhaltung ist nachzuvollziehen. Der Zeuge
H1xxxxx hat diesen Prozess begleitet. Er ist verständlicherweise nicht in der Lage,
alle Einzelheiten im Gedächtnis zu behalten und ohne Einsicht in die
Personalunterlagen hierauf spontan Rede und Antwort zu stehen.
51
Dass die Beklagte zu 1) ihre Produktion endgültig stillgelegt hat, haben die
weiteren Zeugen bestätigt. Der ehemalige Fertigungsleiter R5xxxxx hat in seiner
52
schriftlichen Zeugenaussage vom 20.09.2005 ausgeführt, seine
Betriebszugehörigkeit zur Beklagten zu 1) sei zum 31.10.2004 mittels
Aufhebungsvertrages beendet worden, zumal mit beendeter Ausproduktion die
Funktion des Fertigungsleiters nicht mehr benötigt worden sei. Zuvor sei er
verpflichtet gewesen, die Vorproduktion zu steuern. Schließlich seien
entsprechend seinen Wahrnehmungen Maschinen abgebaut und abtransportiert
worden. Mit der Beendigung seiner Tätigkeit bei der Beklagten zu 1) habe auch
deren Produktion geendet. Dieser Bewertung widerspricht der Zeuge D8 V3xxxx in
seiner schriftlichen Zeugenaussage vom 20.09.2005 nur indirekt. Er meint zwar,
eine Vorproduktion sei aufgrund großer Rückstände gar nicht möglich gewesen.
Artikel, die unter dem Namen "Auslaufartikel" gelaufen seien, seien kontinuierlich
verlagert worden. Hierfür habe er tschechische Mitarbeiter in der Programmierung
und Bedienung von Schweißrobotern geschult. Damit habe er die Verlagerung
eines Teils der Schweißanlagen vorbereitet. Er könne aus eigener Wahrnehmung
neben der Demontage und dem Transport auch den Wideraufbau der Anlagen in
Tschechien bestätigen. Die Beklagte zu 1) habe mit eingeschränkter
Personaldecke mit den verbliebenen Maschinen reduziert produziert.
Als ehemaliger Vertriebsleiter der Beklagten zu 1) hat der Zeuge P3xxxxxx in
seiner schriftlichen Zeugenaussage vom 07.11.2005 bestätigt, dass die Beklagte
zu 1) nach September 2004 nicht mehr produziert habe. Er bekräftigt zudem die
Feststellung des Zeugen R5xxxxx bzgl. der dargestellten Vorproduktion. Diese sei
erforderlich gewesen, um die Versorgung der Kunden sicherzustellen.
53
Damit steht zur Überzeugung der erkennenden Berufungskammer fest, dass mit In-
Kraft-Treten der zwischen den Beklagten getroffenen
Maschinennutzungsvereinbarung ab Oktober 2004 die Produktion der Beklagten
aufgelöst und endgültig stillgelegt war. Dies hat zur Konsequenz, dass für die
Klägerin im Betrieb der Beklagten zu 1) kein Bedarf mehr als Maschinenbedienerin
bestand. Unter Berücksichtigung ihrer Kündigungsfrist war die Beklagte zu 1)
berechtigt, entsprechend ihrer Planung im Juli 2004 das Arbeitsverhältnis zur
Klägerin vorzeitig unter Wahrung der Kündigungsfrist zu Ende August zu beenden.
Dieser Bewertung steht nicht entgegen, dass der Zeuge P4xxxxxxx mit seiner
subjektiven Einschätzung zum Ausdruck bringt, eine endgültige Stilllegung der
Beklagten könne erst nach Auslaufen des letzten Liefervertrages festgestellt
werden. Dies begründet er mit der mangelnden Zertifizierung der Beklagten zu 2)
und der D2xx C2. Mit dieser Einschätzung – die erkennende Berufungskammer
sieht die Beklagte zu 1) seit Oktober 2004 aufgrund der Produktionsschließung als
reines Handelsunternehmen – verwehrt der Zeuge P3xxxxxx der Beklagten zu 1)
jedoch nicht den betriebsbedingten Kündigungsgrund. Denn die Klägerin war in
die Produktion eingebunden. Für ihre Arbeitskraft fehlt dauerhaft jeglicher Bedarf.
Entgegen den Andeutungen der Klägerin hatte die Beklagte zu 1) ihre Produktion
auch nicht wieder aufgenommen. Dass der Kontakt zu den früheren Lieferanten,
erst recht zu den früheren Hauptkunden weiter fortbesteht, steht dieser Bewertung
nicht entgegen. Die vor der erkennenden Berufungskammer durchgeführten
Beweisaufnahmen haben herausgearbeitet, dass auch im Geschäftsjahr 2005 am
Standort N2xxxxxxx ausschließlich die Beklagte zu 2) produziert. Die Beklagte zu
1) erfüllt lediglich ihre Lieferverpflichtungen gegenüber den Altkunden, zumal die
Umschreibung der Rahmenverträge auf die Beklagte zu 2), die D2xx C2 und die
D2xx U3, gescheitert ist. Hierauf weist der Zeuge P3xxxxxx ausdrücklich hin.
54
2. Entgegen den Andeutungen der Klägerin ist die Stilllegungsabsicht der
Beklagten zu 1) nicht dadurch entfallen, weil sie von Anfang an beabsichtigte ihren
Betrieb zu veräußern. Zwar ist die Veräußerung des Betriebes, wie sich aus der
Wertung des § 613 a BGB ergibt, keine Stilllegung, weil die Identität des Betriebes
gewahrt bleibt und lediglich ein Betriebsinhaberwechsel stattfindet.
Betriebsveräußerung und Betriebsstilllegung schließen sich nämlich systematisch
aus. Dabei kommt es auf das tatsächliche Vorliegen des Kündigungsgrundes und
nicht auf die vom Arbeitgeber gegebene Begründung an. Eine vom Arbeitgeber mit
einer Stilllegungsabsicht begründete Kündigung ist nur dann sozial gerechtfertigt,
wenn die geplante Maßnahme sich als Betriebsstilllegung und nicht als
Betriebsveräußerung darstellt, weil die für die Fortführung des Betriebs
wesentlichen Gegenstände einem Dritten überlassen werden sollten, der
Veräußerer diesen Vorgang aber rechtlich unzutreffend als Betriebsstilllegung
bewertet (BAG, Urteil vom 16.05.2002 – 8 AZR 319/01 – AP Nr. 237 zu § 613 a
BGB).
55
Eine derartige Absicht ist nicht erkennbar. Zwar wurde am 06.08.2004, folglich
zeitnah zum Stilllegungsentschluss, die Beklagte zu 2) gegründet. Diese hat in den
Räumen der Beklagten ihre Produktion Anfang Oktober 2004 aufgenommen. Sie
beschäftigte zu Beginn in etwa 13 Arbeitnehmer der Beklagten zu 1) und produziert
mit mindestens neun CNC-Pressen und –Bieger und fünf Schweißmaschinen der
56
Beklagten zu 1). Darin liegt jedoch keine Veräußerung ihres Betriebes i. S. des §
613 a Abs. 1 BGB. Letztere war zumindest nicht beabsichtigt, d. h. nicht vom
Entschluss des Gesellschafter/Geschäftsführers erfasst. Hierzu hat der Zeuge
H1xxxxx ausgeführt, dass sich der Gesellschafter/Geschäftsführer R3xx D2xx der
Beklagten zu 1) nicht an den Überlegungen beteiligt hat, in N2xxxxxxx ein zur
K3xxxxxxxxxxx A3xxxx vergleichbares Unternehmen zu gründen, um auf dieser
Grundlage mit der Automobilindustrie weiterhin zusammenarbeiten zu können. Ein
möglicher Betriebsübergang hätte für die Klägerin auch keinerlei Rechtsfolgen. Ihr
Arbeitsverhältnis wurde zum 31.08.2004 beendet. Die Beklagte zu 2) hat nach dem
Ergebnis der
57
Beweisaufnahme die Produktion Anfang Oktober 2004 aufgenommen. Erst zu
diesem Zeitpunkt hat sie die Nutzungsrechte an den CNC- und Biegemaschinen
sowie Schweißautomaten erhalten.
58
3. Die erkennende Berufungskammer war berechtigt, ihrer Beurteilung sowohl die
in vorausgehenden Berufungsverfahren protokollierten Zeugenaussagen als auch
die schriftlich erstatteten Zeugenaussagen (§ 377 Abs. 3 ZPO) zugrunde zu legen.
Für die Verwertung der Zeugenaussage des früheren Vertriebsleiters P3xxxxxx ist
§ 377 Abs. 3 ZPO unmittelbar maßgeblich. Trotz des zu beachtenden Grundsatzes
der Beweisunmittelbarkeit war die Einholung dieser, auch der früheren
Zeugenaussagen des ehemaligen Fertigungsleiters Reineke sowie des
ehemaligen Leiters der Schweißerei D8 V3xxxx gerechtfertigt. Alle drei Zeugen
waren von ihrer Funktion her dazu geeignet, sich den schriftlich formulierten
Fragen zu stellen. Zudem war die Beweisfrage zur schriftlichen Beantwortung
geeignet. Sie wurde jeweils in einem ordnungsgemäßen Beweisbeschluss gem. §
359 Abs. 1 ZPO dargestellt. Die Zeugen wurden zudem ausreichend gesetzlich
belehrt.
59
Zur Überzeugung der erkennenden Berufungskammer wurde das Fragerecht der
Klägerin nicht unzulässig beschnitten. Der Beweisbeschluss verschweigt streitigen
Sachvortrag der Parteien nicht.
60
Die bislang vorliegenden Zeugenaussagen wurden zulässig als Urkundenbeweis
in die Berufungsverhandlung eingeführt. Durch Verlesen der Urkunden war deren
Inhalt Gegenstand der Berufungsverhandlung.
61
II.
62
Die Kündigung ist auch nicht aus anderen Gründen rechtsunwirksam (§ 13 Abs. 3
KSchG).
63
1. Die Beklagte zu 1) hat die Kündigung nicht wegen eines Betriebs- oder
Betriebsteilübergangs erklärt (§ 613 a Abs. 1 und 4 BGB). Die erkennende
Berufungskammer hatte zuvor dargestellt, dass nicht einmal eine
Betriebsteilveräußerung Inhalt des Entschlusses vom 22.07.2004 war. Im Übrigen
sieht die erkennende Berufungskammer die Voraussetzungen des § 613 a Abs. 1
BGB nicht als erfüllt an.
64
2. Die Kündigung ist auch nicht wegen verspätet eingereichter
Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit rechtsunwirksam (§§ 17, 18
KSchG i. V. m. § 134 BGB).
65
a) Zwar hat die Beklagte zu 1) zur Überzeugung der erkennenden
Berufungskammer die Kündigungserklärungen vor erstatteter
Massenentlassungsanzeige abgegeben. Mit der Unterzeichnung durch ihren
Prokuristen U2xxxx H1xxxxx am 26.07.2004 und dem nachfolgenden
einkuvertieren aller Kündigungen hat die Beklagte zu 1) ihren
rechtsgeschäftlichen Willen erkennbar so geäußert, dass an der Endgültigkeit
der Kündigung kein Zweifel möglich war. Die Kündigungen waren auch mit
ihrem Willen in den Verkehr gebracht worden. Die kaufmännische
Mitarbeiterin der Beklagten war mit allen Kündigungen am 26.07.2004 auf der
Post erschienen. Dass die Kündigungen entgegen den Vorstellungen der
Beklagten zu 1) nicht schon an diesem Tage in den weiteren Postlauf
gelangten, entsprach nicht ihrem Willen. Dies wurde ausschließlich von der
Sachbearbeiterin der Post beeinflusst. Diese sah sich wegen des
Schützenfestes nicht in der Lage, diese große Anzahl an Einschreiben
entgegen zu nehmen. Dass die Kündigungen dementsprechend erst nach
erfolgter Massenentlassungsanzeige endgültig in den Postlauf ge-langt sind
hat nicht zur Rechtsfolge, dass die Beklagte zu 1) die Kündigungserklärungen
erst am 27.07.2004 und nicht schon am 26.07.2004 abgegeben hat (BGH,
Urteil vom 18.12.2002 – VI ZR 39/05 – NJW RR 2003, 384: Bei
empfangsbedürftigen Willenserklärungen muss die Erklärung mit Willen des
Erklärenden in den Verkehr gebracht sein; Palandt/Heinrichs, § 130 Rdnr. 2
BGB).
66
b) Dieser zeitliche Ablauf bewirkt jedoch nicht die Rechtsunwirksamkeit der
Kündigung.
67
(1) Gem. § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 KSchG war die Beklagte zu 1) verpflichtet,
68
der Agentur für Arbeit Anzeige zu erstatten, da sie mehr als 10 % der in
ihrem Betrieb regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer innerhalb von 30
Kalendertagen entlassen wollte. Die Anzeige musste vor der Entlassung
der für ihren Betrieb zuständigen Agentur für Arbeit erstattet werden.
Dieser Verpflichtung ist die Beklagte zu 1) gerecht geworden. Ausgehend
von der ständigen Rechtsprechung des BAG (BAG, Urt. v. 18.09.2003 – 2
AZR 79/02 – NZA 2004, 375 ff.) ist unter Entlassung i. S. der §§ 17, 18
KSchG nicht schon der Ausspruch der Kündigung, sondern die damit
beabsichtigte tatsächliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses gemeint.
Danach kommt es nicht darauf an, dass die Beklagte unter dem Datum
des 26.07.2004 eine entsprechende Anzahl an Kündigungen
ausgesprochen hat. Maßgeblich ist vielmehr der Zeitpunkt, zudem die
betroffenen Arbeitsverhältnisse tatsächlich beendet werden sollten.
(2) An dieser Beurteilung ändert sich zur Überzeugung der erkennenden
Berufungskammer durch das Urteil des EuGH vom 27.01.2005 (C 188/03:
Irmtraud Jung ./. Wolfgang Kühnel, NZA 2005, 213) nichts. In diesem
Urteil hat der EuGH auf Vorlage des Arbeitsgerichts Berlin vom
30.04.2003 entschieden, dass als Entlassung i. S. der Richtlinie 98/59/EG
die Kündigungserklärung zu verstehen ist. Dieses Urteil betrifft unmittelbar
nur die Richtlinie 98/59/EG, die im Verhältnis zwischen Privaten keine
unmittelbare Wirkung entfaltet. Für die Frage, welche Auswirkungen
dieses Urteil auf die streitgegenständliche Kündigung hat, ist
entscheidend, ob die Regelungen der §§ 17 ff. KSchG richtlinienkonform
ausgelegt werden können und – bei Bejahung - ob die Einbeziehung von
"Altfällen" mit den Grundsätzen des Vertrauensschutzes vereinbar ist.
Beides ist zu verneinen.
69
(3) Die Vorschriften der §§ 17 ff. KSchG lassen die von der Klägerin
erhoffte Auslegung nicht zu. Ein nationales Gericht, bei dem ein
Rechtsstreit ausschließlich zwischen Privaten anhängig ist, muss bei der
Anwendung der Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts, die zur
Umsetzung der in einer Richtlinie vorgesehenen Verpflichtungen erlassen
worden sind, das gesamte nationale Recht berücksichtigen und es soweit
wie möglich anhand des Wortlauts und des Zweckes der Richtlinie
auslegen, um zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem von der
Richtlinie verfolgten Ziel vereinbar ist (EuGH, Urteil vom 05.10.2004 – Rs
C 379/01 – Pfeiffer, AP Nr. 12 zu EWG-Richtlinie Nr. 93/104; EuGH,
Schlussanträge des Generalanwalts vom 30.06.2005 – C-144/04 –
Mangold ./. Rüdiger Helm, EzA Schnelldienst, Heft 14/05 vom
08.07.2005). Lassen Wortlaut, Entstehungsgeschichte,
Gesamtzusammenhang oder Sinn und Zweck des Gesetzes mehrere
Deutungen zu, von denen jedenfalls eine zu einem
Gemeinschaftsrechtskonformen Ergebnis führt, so ist die Auslegung
geboten, die mit dem Gemeinschaftsrecht in Einklang steht. Die
gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung darf aber nicht im Widerspruch
zum Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers stehen
(BAG, Beschluss vom 18.02.2003 – 1 ABR 2/02 -; BAG, Urteil vom
18.09.2003 – 2 AZR 79/02 -; a. A., K. Riesenhuber/R. Domröse,
richtlinienkonforme Auslegung der §§ 17, 18 KSchG und Rechtsfolgen
fehlerhafter Massenentlassungen, NZA 2005, 568 ff.: für deutsche
70
Gerichte bedeutet dies, dass sie nationales Recht grundsätzlich auch
contra legem fortbilden müssen). Von diesen Grundsätzen ausgehend ist
zur Überzeugung der erkennenden Berufungskammer eine
richtlinienkonforme Auslegung der §§ 17 ff. KSchG nicht möglich. Zwar
kann bei isolierter Betrachtung das Wort "Entlassung" sowohl im Sinne
von "Ausspruch der Kündigung" wie auch im Sinne von "Zeitpunkt der
tatsächlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses" verstanden werden.
Hätte der Gesetzgeber ein Verständnis im erstgenannten Sinne gewollt,
so hätte es nahe gelegen, in §§ 17 ff. KSchG wie in den vorangehenden
§§ 1 – 16 KSchG den Begriff der Kündigung zu verwenden. Durch den
abweichenden Begriff "Entlassung" wird jedoch bewusst ein anderes Wort
verwandt. Hieraus lässt sich ableiten, dass nicht nur optisch, sondern
auch inhaltlich etwas anderes als mit dem Wort "Kündigung" in den §§ 1 –
16 KSchG gemeint sein soll. Dies legt eine Auslegung i. S. des bisherigen
Verständnisses nahe, dass mit Entlassung die tatsächliche Beendigung
des Arbeitsverhältnisses gemeint ist (so auch: Bauer/Krieger/Powietzka,
Der Betrieb 2005, 445 ff.; a. A., Riesenhuber/Domröse, a. a. O.; ArbG
Bochum, Urteil vom 17.03.2005 – 3 Ca 307/04). Die bewusste
Verwendung eines anderen Begriffes deutet weiter darauf hin, dass der
Gesetzgeber mit den Vorschriften in den §§ 17 ff. KSchG ein bestimmtes
Regelungskonzept verfolgte, in das mit einer Auslegung dieser
Vorschriften i. S. des Urteils des EuGH vom 27.01.2005 erheblich
eingegriffen würde. Dafür, dass der Gesetzgeber den Begriff "Entlassung"
in §§ 17 ff. KSchG als tatsächliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses
verstanden haben wollte, spricht schließlich, dass diese Regelungen –
trotz der häufigen Änderungen im Kündigungsschutzgesetz, Kenntnis der
Rechtsprechung des BAG und Kenntnis der Richtlinien – in diesem Punkt
nie geändert worden sind.
(4) Die sofortige Umsetzung des Urteils des EuGH vom 27.01.2005 auch
auf "Altfälle" ist mit den Grundsätzen des rechtsstaatlichen Prinzips des
Vertrauensschutzes nicht vereinbar. Zwar hat der EuGH von der
Möglichkeit, die Rückwirkung seiner Entscheidung selbst auszuschließen,
im Urteil vom 27.01.2005 keinen Gebrauch gemacht. Zu Berücksichtigen
ist aber erneut, dass diese Entscheidung sich unmittelbar nur auf die
Richtlinie 1998/59/EG bezieht. Wollte man aus dem Urteil vom 27.01.2005
das Gebot einer richtlinienkonformen Auslegung der §§ 17 ff. KSchG auch
für die Vergangenheit ableiten, so wäre dies mit den Grundsätzen des
Vertrauensschutzes nicht vereinbar (Bauer/Krieger/ Powietzka, Der
Betrieb 2005, §§ 445 ff.; LAG Köln, Urteil vom 25.02.2005 – 11 Sa 767/04
-; LAG Berlin, Urteil vom 27.04.2005 – 17 Sa 2646/04 -; a. A., ArbG
Bochum, a. a. O.; ArbG Berlin, Urteil vom 01.03.2005 – 36 Ca 19726/02 -;
Riesenhuber/ Domröse, a. a. O.). Es handelte sich um eine unechte
Rückwirkung, da die Parteien über die Frage der Wirksamkeit der
Kündigung gerade streiten. Eine solche unechte Rückwirkung ist
grundsätzlich zulässig. Schranken ergeben sich jedoch aus dem
rechtsstaatlichen Prinzip der Rechtssicherheit. Durfte die betroffene Partei
mit der Fortgeltung der bisherigen Rechtslage rechnen und ist dieses
Vertrauen bei einer Abwägung der Interessen des Einzelnen mit
denjenigen der Allgemeinheit schutzwürdig, ist die unechte Rückwirkung
unzulässig. Dieser Schutz ist nicht etwa deshalb eingeschränkt, weil jeder
71
Arbeitgeber mit einer möglichen Änderung in der Rechtsprechung
rechnen muss. Schließlich ist eine veränderte Rechtsanwendung
aufgrund neuer Rechtserkenntnisse nicht ohne Weiteres mit einer
Änderung der objektiven Rechtslage durch ein neues Gesetz und der
hierbei zu beachtenden Beschränkung echter Rückwirkung
gleichzusetzen. Allerdings gewinnt der sich aus dem Rechtsstaatsprinzip
ergebene Vertrauensschutz um so größere Bedeutung, je mehr die
Rechtsprechung sich der Rechtsetzung nähert. Trotz des
Vorlagebeschlusses des ArbG Berlin vom 30.04.2003 durfte die Beklagte
mit der Fortgeltung der bisherigen Rechtslage in einem derartigen Maß
rechnen, dass ihr diesbezügliches Vertrauen bei einer Abwägung mit den
Belangen der anderen Partei und dem Anliegen der Allgemeinheit den
Vorzug verdient. Sowohl die langjährige gefestigte Rechtsprechung des
BAG (vgl. BAG, Urteil vom 18.09.2003 – 2 AZR 79/02 –, NZA 2004, 375
ff.) als auch der Hinweis in den Merkblättern sowie in den Formularen zur
Erstattung von Massenentlassungsanzeigen der Bundesagentur für Arbeit
gingen ausdrücklich davon aus, dass es für die Erstattung der
Massenentlassungsanzeige nicht auf den Zeitpunkt des Ausspruchs der
Kündigung, sondern auf den der Beendigung des Arbeitsverhältnisses
durch Ablauf der Kündigungsfrist ankomme. Dieses Vertrauen des in
Unkenntnis der durch die Entscheidung des EuGH vom 27.01.2005
geänderten Rechtsprechung kündigenden Arbeitgebers ist schützenswert
(so ausdrücklich: LAG Köln, Urteil vom 25.02.2005 – 11 Sa 767/04 – und
LAG Berlin, Urteil vom 27.04.2005 – 17 Sa 2646/04 –).
(5) Ein weiterer Vertrauenstatbestand ist für die Beklagte zu 1) dadurch
eingetreten, dass die Bundesagentur für Arbeit sowohl mit Bescheid vom
10.08.2004 als auch mit Bescheid vom 20.11.2004 die am 27.07.2004 und
am 28.10.2004 erstatteten Anzeigen unter Berücksichtigung der damals
hinlänglich bekannten Auslegungskriterien für rechtswirksam erachtet hat.
Entgegen der vom Arbeitsgericht Bochum vertretenen Rechtsauffassung
erfahren die Verwaltungsakte der Bundesagentur für Arbeit im Rahmen
der §§ 17, 18 KSchG Tatbestandswirkung für das arbeitsgerichtliche
Kündigungsschutzverfahren. Die Massenentlassungsanzeige hat
ausschließlich arbeitsmarktpolitische Qualität. Der Bundesagentur für
Arbeit soll die Möglichkeit eingeräumt werden, einer durch diese
unternehmerische Entscheidung auf die Agentur hinzukommende
ungewöhnlich hohe Vermittlungspflicht gerecht zu werden. Sie soll
rechtzeitig alle erforderlichen Maßnahmen treffen können, um eine
Weitervermittlung zu ermöglichen. Bestätigt dann die Bundesagentur für
Arbeit der Beklagten zu 1) ihre ordnungsgemäße Beteiligung, so ist es der
Arbeitsgerichtsbarkeit verwehrt, nachträglich deren Rechtswidrigkeit zu
überprüfen, um hieraus mögliche individualrechtliche negative
Rechtsfolgen für das Kündigungsschutzverfahren abzuleiten. Im Übrigen
teilt die erkennende Berufungskammer die vom BAG konsequent
vertretende Rechtsauffassung (beispielhaft: BAG, Urteil vom 18.09.2003 –
2 AZR 403/02 –), dass Fehler in der Anzeigepflicht nicht zur
Rechtsunwirksamkeit der Kündigung führen. Das
Kündigungsschutzgesetz sanktioniert Fehler des Arbeitgebers nicht mit
der individualrechtlichen Unwirksamkeit der Kündigung. Die §§ 17, 18
KSchG sind auch nicht Verbotsgesetz i. S. des § 134 BGB.
72
c) Die Beklagte zu 1) ist den Anforderungen ihrer Anzeigepflicht gem. den §§
17, 18 KSchG gerecht geworden. Mit ihren Anzeigen vom 27.07.2004 und
28.10.2004 hat sie die für den Zeitraum 30.09.2004 bis 31.12.2004
festzustellenden Massenentlassungen ordnungsgemäß vorbereitet.
73
B.
74
Das Hilfsbegehren der Klägerin dürfte auch unter Beachtung des gem. § 256 ZPO
erforderlichen Feststellungsinteresses zulässig sein. Es ist jedoch nicht begründet. Da
ein möglicher Betriebsübergang entgegen der eigenen zeitlichen Einordnung der
Klägerin frühestens Anfang Oktober 2004 vollzogen wurde, ist eine nachträgliche
Gestaltung des am 31.08.2004 beendeten Arbeitsverhältnisses ausgeschlossen.
75
C.
76
Aus den zuvor beschriebenen Gründen konnten die Feststellungs- und
Beschäftigungsklage von Anfang an keinen Erfolg haben. Der an sich statthaften
Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn war der
gewünschte Erfolg zu versagen; sie war mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO
zurückzuweisen. Angesichts der ungeklärten Rechtslage zur Massenentlassung hat die
erkennende Berufungskammer die Revision ausdrücklich zugelassen.
77
Schulte
Wende
Hermanns
78