Urteil des LAG Hamm vom 18.06.2003

LArbG Hamm: betriebsrat, schutzwürdiges interesse, arbeitsgericht, rechtsschutzinteresse, beschwerdekammer, wahlberechtigung, wiederwahl, streichung, anfechtung, anfechtbarkeit

Landesarbeitsgericht Hamm, 10 TaBV 15/03
Datum:
18.06.2003
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
10. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
10 TaBV 15/03
Tenor:
hat die 10. Kammer des Landesarbeitsgerichts Hamm
aufgrund der mündlichen Anhörung vom 18.06.2003
durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Schierbaum
sowie die ehrenamtlichen Richter Luther und Mantwill
beschlossen:
Auf die Beschwerde des Betriebsrats und der Arbeitgeber wird der
Beschluss des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen vom 27.11.2002 - 1 BV
15/02 - teilweise abgeändert.
Der Antrag der Antragsteller wird als unzulässig abgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.) A
1
Die Beteiligten streiten um die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl.
2
Seit dem 01.09.1990 war der Mitarbeiter L1xxx, der Antragsteller zu 1), im Betrieb der
Firma O1xxxx S1xxxxx GmbH &Co. KG, der Beteiligten zu 6), als technischer
Angestellter beschäftigt. Der Antragsteller zu 1) war Mitglied des im Betrieb der
Beteiligten zu 6) gewählten Betriebsrates und gleichzeitig Vertrauensmann der
Schwerbehinderten.
3
Am 31.01.2002 schlossen der Antragsteller zu 1) und die Beteiligte zu 6) unter
Beteiligung des Integrationsamtes einen Aufhebungsvertrag (Bl. 46 f.d.A.) , wonach das
Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 8.000,00 EUR zum
31.12.2002 beendet wurde. Der Antragsteller zu 1) wurde unter Fortzahlung seiner
Bezüge bis zum 31.12.2002 von der Arbeit unwiderruflich freigestellt.
4
Gleichzeitig gab der Antragsteller zu 1) am 31.01.2002 folgende "Erklärung" (Bl. 14 d.A.)
ab:
5
Ich, B2xxx P. L1xxx, wohnhaft U1xxxxxx 41, 42xxx B1xxxxx erkläre hiermit
verbindlich, daß ich mit Wirkung zum 01.02.2002 meine Mandate als Mitglied
des Betriebsrates und als Vertrauensmann der Schwerbehinderten der Firma
O1xxxx S1xxxxx GmbH &Co. KG i.L. und O. S. S2xxxxx + M1xxxxx GmbH i.L.
niederlege.
6
Die Beteiligte zu 6) und die Beteiligte zu 7) befanden sich zum Zeitpunkt der
Aufhebungsvereinbarung vom 31.01.2002 bereits in Liquidation.
7
Im Frühjahr 2002 fand in den Betrieben der Beteiligten zu 6) und der Beteiligten zu 7)
turnusmäßig eine gemeinsame Betriebsratswahl statt. Auf das Wahlausschreiben vom
02.04.2002 (Bl. 4 d.A.) wird Bezug genommen. Hiernach sollte ein dreiköpfiger
Betriebsrat gewählt werden. Die Wahlberechtigten wurden aufgefordert, bis zum
16.04.2002, 15.00 Uhr, Kandidatenvorschläge beim Wahlvorstand sowie eine
schriftliche Zustimmung der Bewerber einzureichen.
8
Innerhalb dieser Frist ging beim Wahlvorstand eine Vorschlagsliste mit neun
Wahlbewerbern, u.a. dem Antragsteller zu 1), einschließlich einer Liste mit 25
Stützunterschriften (Bl. 40, 41 d.A.) ein.
9
Mit Schreiben vom 11.04.2002 (Bl. 10 d.A.) teilte der Antragsteller zu 1) dem
Wahlvorstand mit, dass er bei der Betriebsratswahl erneut kandidiere. Gleichzeitig
erklärte er seine Zustimmung zur Bewerbung als Betriebsratskandidat. Das Schreiben
des Antragstellers zu 1) vom 11.04.2002 ging am 12.04.2002 beim Wahlvorstand ein.
10
Mit Aushang vom 23.04.2002 gab der Wahlvorstand bekannt, dass nur eine gültige
Vorschlagsliste eingereicht wurde und sich acht Bewerber zur Wahl stellen würden (Bl.
8 d.A.). Der Name des Antragstellers zu 1) befand sich nicht auf der Bewerberliste in der
am 23.04.2003 ausgehängten Bekanntmachung.
11
Mit Schreiben vom 23.04.2002 (Bl. 11 d.A.) teilte der Wahlvorstand dem Antragsteller zu
1) mit, dass er beschlossen habe, ihn von der Vorschlagsliste zu streichen, da er bei den
Gesprächen zum Aufhebungsvertrag am 31.01.2002 konkludent auf die Übernahme
eines Mandats bis zum 31.12.2002 verzichtet habe. Trotz eines Widerspruchs des
Antragstellers zu 1) vom 24.04.2002 (Bl. 12 d.A.) blieb der Wahlvorstand bei seiner
Entscheidung, den Antragsteller zu 1) von der Bewerberliste zu streichen und teilte dies
dem Antragsteller zu 1) mit Schreiben vom 25.04.2002 (Bl. 13 d.A.) mit.
12
Ein vom Antragsteller zu 1) am 16.05.2002 beim Arbeitsgericht Gelsenkirchen - 5 BVGa
9/02 - eingeleitetes einstweiliges Verfügungsverfahren, mit dem der Antragsteller zu 1)
seine Aufnahme in die Wählerliste als Wahlbewerber für die am 17.05.2002 anstehende
Betriebsratswahl zu erreichen suchte, hatte keinen Erfolg. Der Antrag des Antragstellers
zu 1) wurde durch Beschluss des Arbeitsgerichts vom 16.05.2002 zurückgewiesen.
13
Die Wahl des Betriebsrates wurde daraufhin am 17.05.2002 durchgeführt. Aus ihr ging
ein dreiköpfiger Betriebsrat, der Beteiligte zu 5), hervor. Das Wahlergebnis wurde am
21.05.2002 bekannt gegeben.
14
Mit dem am 22.05.2002 beim Arbeitsgericht eingeleiteten Beschlussverfahren machte
der Antragsteller zu 1) die Nichtigkeit sowie die Anfechtbarkeit der Betriebsratswahl vom
17.05.2002 geltend. Mit dem am 28.05.2002 beim Arbeitsgericht eingegangenen
Schriftsatz verlangten neben dem Antragsteller zu 1) auch die Antragsteller zu 2) bis 4),
die Betriebsratswahl vom 17.05.2002 für unwirksam zu erklären.
15
Die Antragsteller haben die Auffassung vertreten, die Betriebsratswahl vom 17.05.2002
sei nichtig, mindestens anfechtbar, es bedeute einen eklatanten Verstoß gegen die
Wahlvorschriften, wenn jemand nachträglich von einer Vorschlagsliste gestrichen
werde. Der Antragsteller zu 1) habe zu keinem Zeitpunkt eine Erklärung abgegeben,
generell auf seine Wiederwahl in den Betriebsrat zu verzichten. Dass er von seiner
Arbeitsleistung freigestellt sei, hindere seine Wiederwahl nicht.
16
Die Antragsteller haben beantragt,
17
die bei den Beteiligten zu 6) und 7) am 17.05.2002 durchgeführte Wahl des
Betriebsrates für nichtig zu erklären,
18
hilfsweise
19
festzustellen, dass die durchgeführte Betriebsratswahl rechtsungültig ist.
20
Der Betriebsrat und die Arbeitgeber haben beantragt,
21
die Anträge zurückzuweisen.
22
Sie haben die Auffassung vertreten, der Beschluss des Wahlvorstandes zur Streichung
des Antragstellers zu 1) von der Vorschlagsliste sei zu Recht erfolgt, da er zum
Wahlzeitpunkt nicht mehr über das aktive oder passive Wahlrecht verfügt habe. Mit der
Aufhebungsvereinbarung vom 31.01.2002 sei die unwiderrufliche Freistellung des
Antragstellers zu 1) bis zum 31.12.2002 verbunden gewesen. Ebenso wie ein
Arbeitnehmer, der sich in Altersteilzeit befinde, in der Freistellungsphase nicht mehr
wählbar sei, sei auch die Wählbarkeit des Antragstellers zu 1) nicht mehr gegeben
gewesen. Der Antragsteller zu 1) sei seit dem 31.01.2002 nicht mehr in die betrieblichen
Arbeitsabläufe eingegliedert gewesen. Bereits seit dem 31.01.2002 habe unabänderbar
festgestanden, dass der Antragsteller zu 1) nicht mehr in den Betrieb zurückkehren
werde. Bei Abschluss der Vereinbarung vom 31.01.2002 sei unwiderruflich klar
gewesen, dass der Antragsteller zu 1) das Haus der beteiligten Firmen nicht mehr habe
betreten sollen, lediglich nur noch ein einziges Mal, um seine persönlichen Sachen
abzuholen.
23
Während des erstinstanzlichen Verfahrens schied der Antragsteller zu 3) zum
31.05.2002 aus dem Arbeitsverhältnis zu der Beteiligten zu 7) aus. Zum 31.07.2002
schied der Antragsteller zu 2) aus dem Arbeitsverhältnis mit der Beteiligten zu 6) aus.
24
Durch Beschluss vom 27.11.2002 hat das Arbeitsgericht unter Zurückweisung des
Antrages im Übrigen die am 17.05.2002 durchgeführte Betriebsratswahl für unwirksam
erklärt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Betriebsratswahl sei zwar nicht nichtig,
aber anfechtbar. Der Antrag sei auch nicht unzulässig geworden, weil zum Zeitpunkt der
Entscheidung noch zwei Antragsteller im Arbeitsverhältnis zu den beteiligten
Arbeitgebern gestanden hätten. Die Anfechtbarkeit der Betriebsratswahl ergebe sich
25
daraus, dass durch die Streichung des Antragstellers von der Bewerberliste gegen
wesentliche Wahlvorschriften, nämlich § 9 Wahlordnung, verstoßen worden sei.
Gegen den dem Betriebsrat am 02.01.2003 zugestellten Beschluss des Arbeitsgerichts,
auf dessen Gründe ergänzend Bezug genommen wird, hat der Betriebsrat am
27.01.2003 Beschwerde zum Landesarbeitsgericht eingelegt und diese nach
Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bis zum 20.03.2003 mit dem am
20.03.2003 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet. Ebenso
haben auch die beteiligten Arbeitgeber, denen der Beschluss des Arbeitsgerichts am
31.12.2002 zugestellt worden ist, am 31.01.2003 Beschwerde zum Landesarbeitsgericht
eingelegt und diese nach Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bis zum
14.03.2003 mit dem am 12.03.2003 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen
Schriftsatz begründet.
26
Nachdem der Antragsteller zu 1) aufgrund der Aufhebungsvereinbarung vom
31.01.2002 während des laufenden Beschwerdeverfahrens zum 31.12.2002 aus dem
Arbeitsverhältnis ausgeschieden ist, schied inzwischen auch der Antragsteller zu 4)
aufgrund eines arbeitsgerichtlichen Vergleichs vom 09.04.2003 (Bl. 163 f.d.A.) zum
31.05.2003 aus dem Arbeitsverhältnis mit der Beteiligten zu 6) aus.
27
Der Betriebsrat und die beteiligten Arbeitgeber sind der Auffassung, für das vorliegende
Verfahren bestehe kein Rechtsschutzbedürfnis mehr. Alle Antragsteller seien
inzwischen aus dem Arbeitsverhältnis zu den beteiligten Arbeitgebern ausgeschieden.
28
Ferner würden die Betriebe der beteiligten Arbeitnehmer ohnehin zum 31.12.2003
endgültig stillgelegt. Auch die Betriebsratsmitglieder seien inzwischen zum 31.12.2003
gekündigt worden.
29
Im Übrigen habe der Wahlvorstand den Antragsteller zu 1) zu Recht von der
Bewerberliste gestrichen. Der Aufhebungsvereinbarung vom 31.01.2002 sowie der vom
Antragsteller zu 1) am gleichen Tage abgegebenen Erklärung seien zahlreiche
arbeitsgerichtliche Verfahren, insgesamt 22 Rechtsstreitigkeiten vorangegangen.
Erklärtes und für alle Seiten als selbstverständlich vorausgesetztes Ziel der
Aufhebungsvereinbarung und der Erklärung vom 31.01.2002 sei es gewesen, den
Antragsteller zu 1) endgültig aus den beteiligten Betrieben fernzuhalten. Hierüber seien
sich alle Beteiligten, einschließlich des Integrationsamtes und der damaligen
Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers zu 1), völlig einig gewesen. Mindestens
unter Berücksichtigung des Grundsatzes des widersprüchlichen Verhaltens sei es dem
Antragsteller zu 1) nunmehr verwehrt, im Nachhinein die Betriebsratswahl anzufechten.
30
Der Betriebsrat und die beteiligten Arbeitgeber beantragen,
31
den Beschluss des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen vom 27.11.2002 - 1 BV 15/02
- abzuändern und den Antrag der Antragsteller zurückzuweisen.
32
Die Antragsteller beantragen,
33
die Beschwerden zurückzuweisen.
34
Die Antragsteller zu 1) und zu 4) verteidigen den angefochtenen Beschluss und sind der
Auffassung, das Arbeitsgericht habe völlig zutreffend die Unwirksamkeit der
35
Betriebsratswahl ausgesprochen. Der Wahlvorstand sei nicht berechtigt, den
Antragsteller zu 1) von sich aus aus der Vorschlagsliste zu entfernen.
Dem Anfechtungsantrag fehle es auch nicht an dem erforderlichen
Rechtsschutzinteresse. Auch nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts
bestehe jedenfalls bis zum 31.05.2003 noch ein Rechtsschutzbedürfnis für den
Anfechtungsantrag. Es könne nicht von der zufälligen Terminierung durch die
Arbeitsgerichte abhängen, ob das Rechtsschutzbedürfnis entfalle oder nicht.
36
Die Beschwerdekammer hat die Akten des Verfahrens 5 BVGa 9/02 Arbeitsgericht
Gelsenkirchen informationshalber beigezogen. Auf den Inhalt dieser Akten wird ebenso
Bezug genommen wie auf den weiteren Inhalt der von den Beteiligten gewechselten
Schriftsätze.
37
B
38
Die zulässigen Beschwerden des Betriebsrates und der beteiligten Arbeitgeber sind
begründet.
39
Die Beschwerdekammer konnte die Unwirksamkeit der Betriebsratswahl vom
17.05.2002 nicht feststellen.
40
Ob die Betriebsratswahl vom 17.05.2002 nichtig ist, hatte die Beschwerdekammer nicht
mehr zu prüfen, nachdem die Entscheidung des Arbeitsgerichts, die den Antrag der
Antragsteller insoweit abgewiesen hat, rechtskräftig geworden ist.
41
Für die Durchführung des Anfechtungsverfahrens nach § 19 BetrVG fehlt es den
Antragstellern inzwischen an dem erforderlichen Rechtsschutzinteresse.
42
I
43
1. Das Beschlussverfahren ist zwar für den Anfechtungsantrag die zutreffende
Verfahrensart, §§ 2 a, 80 Abs. 1, 81 ArbGG. Zwischen den Beteiligten ist eine
betriebsverfassungsrechtliche Angelegenheit streitig, nämlich die Wirksamkeit der am
17.05.2002 durchgeführten Betriebsratswahl, § 19 BetrVG.
44
2. Die Antrags- und Beteiligungsbefugnis der Verfahrensbeteiligten ergibt sich aus den
§§ 10, 83 Abs. 3 ArbGG i.V.m. § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG.
45
Die Antragsteller gehörten zu den wahlberechtigten Arbeitnehmern der Betriebe der
beteiligten Arbeitgeber. Sie waren nach §§ 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG antragsberechtigt
und damit neben dem gewählten Betriebsrat als Antragsgegner Beteiligte des
vorliegenden Verfahrens.
46
Zu Recht hat das Arbeitsgericht auch die Arbeitgeber am vorliegenden Verfahren
beteiligt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist Beteiligter
in einem arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren, wer von der zu erwartenden
Entscheidung in seinem betriebsverfassungsrechtlichen Recht oder Rechtsverhältnis
unmittelbar betroffen und berührt wird (BAG, Beschluss vom 27.05.1982 - AP Nr. 3 zu §
80 ArbGG 1979; BAG, Beschluss vom 19.09.1985 - AP Nr. 12 zu § 19 BetrVG 1972;
BAG, Beschluss vom 30.10.1986 - AP Nr. 6 zu § 47 BetrVG 1972). Diese
47
Voraussetzungen sind auch beim Arbeitgeber im Wahlanfechtungsverfahren gegeben.
Damit wird nämlich entschieden, ob das zwischen ihm und dem gewählten Betriebsrat
bestehende betriebsverfassungsrechtliche Rechtsverhältnis aufgelöst wird oder nicht
(BAG, Beschluss vom 12.02.1985 - AP Nr. 27 zu § 76 BetrVG; BAG, Beschluss vom
04.12.1986 - AP Nr. 13 zu § 19 BetrVG 1972; BAG, Beschluss vom 14.09.1988 - 7 ABR
79/87 - n.v.; Fitting/Kaiser/Heither/Engels/Schmidt, BetrVG, 21. Aufl., § 19 Rz. 52;
Däubler/Kittner/Klebe/Schneider, BetrVG, 8. Aufl., § 19 Rz. 25; Kreutz, GK-BetrVG, 7.
Aufl., § 19 Rz. 97; Eisemann, ErfK, 3. Aufl., § 19 BetrVG Rz. 14 und § 83 ArbGG Rz. 7
und 9; Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, ArbGG, 4. Aufl., § 83 Rz. 28 und 41
m.w.N.).
II
48
Für die Durchführung des Wahlanfechtungsverfahrens fehlt es den Antragstellern
jedoch an dem erforderlichen Rechtsschutzinteresse. Der Antrag der die
Betriebsratswahl vom 17.05.2002 anfechtenden Antragsteller ist unzulässig geworden,
weil inzwischen alle vier Antragsteller im Einvernehmen mit den beteiligten
Arbeitgebern aus ihren Arbeitsverhältnissen ausgeschieden sind. Damit ist das
Rechtsschutzinteresse für die Wahlanfechtung, das als Zuständigkeitsvoraussetzung
einer Sachentscheidung auch noch in der Beschwerdeinstanz vorliegen und von Amts
wegen geprüft werden muss, entfallen.
49
Nach § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG sind zur Anfechtung einer Betriebsratswahl
"mindestens drei Wahlberechtigte" befugt.
50
Zum Zeitpunkt der Antragstellung am 28.05.2002 standen alle vier Antragsteller in
einem Arbeitsverhältnis zu den beteiligten Arbeitgebern und waren damit grundsätzlich
wahlberechtigt.
51
Diese Wahlberechtigung und damit die Betriebszugehörigkeit von mindestens drei der
die Wahl anfechtenden Arbeitnehmer musste nach der früheren Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts auch während der gesamten Dauer des Beschlussverfahrens
gegeben sein (BAG, Beschluss vom 14.02.1978 - AP Nr. 7 zu § 19 BetrVG 1972; BAG,
Beschluss vom 10.06.1983 - AP Nr. 10 zu § 19 BetrVG 1972).
52
Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, die der Rechtsprechung
des Bundesverwaltungsgerichts zur Anfechtung von Personalratswahlen (BVerwGE 67,
145; BVerwG, Beschluss vom 29.11.1983 - PersV 1986, 26) gefolgt ist, muss die
Wahlberechtigung des die Wahl anfechtenden Arbeitnehmers nur zum Zeitpunkt der
Wahl gegeben sein, ein späterer Wegfall der Wahlberechtigung durch Ausscheiden aus
dem Betrieb nimmt dem Arbeitnehmer die Anfechtungsbefugnis grundsätzlich nicht,
auch bei einem Ausscheiden aus dem Betrieb können ursprünglich
anfechtungsberechtigte Arbeitnehmer das Anfechtungsverfahren weiterbetreiben (BAG,
Beschluss vom 04.12.1986 - AP Nr. 13 zu § 19 BetrVG 1972; BAG, Beschluss vom
15.02.1989 - AP Nr. 17 zu § 19 BetrVG 1972). Nur dann, wenn eine Betriebsratswahl
nur von wahlberechtigten Arbeitnehmern angefochten wird und alle Wahlanfechtenden
während des Beschlussverfahrens aus ihren Arbeitsverhältnissen endgültig
ausscheiden, führt dies zum Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses und damit zur
Unzulässigkeit des Wahlanfechtungsverfahrens (BAG, Beschluss vom 15.02.1989 - AP
Nr. 17 zu § 19 BetrVG 1972). Dieser Rechtsprechung ist die weitaus überwiegende
Mehrheit der arbeitsgerichtlichen Literatur gefolgt (Fitting, a.a.O., § 19 Rz. 22; Kreutz,
53
a.a.O., § 19 Rz. 68; Däubler/Kittner/Klebe/Schneider, a.a.O., § 19 Rz. 22;
Richardi/Tüsing, BetrVG, 8. Aufl., § 19 Rz. 38; vgl. auch: Weth, Anm. zu BAG, Beschluss
vom 15.02.1989, SAE 1990, 289, 291).
Dieser ganz herrschenden Auffassung folgt auch die erkennende Beschwerdekammer.
Da zum Zeitpunkt der Anhörung der Beteiligten vor der Beschwerdekammer und der
Entscheidung der Beschwerdekammer keiner der Antragsteller mehr wahlberechtigt war
und jeder Antragsteller seine Betriebszugehörigkeit zu den beteiligten Arbeitgebern
durch Ausscheiden aus dem Betrieb verloren hatte, ist ein Rechtsschutzbedürfnis nicht
mehr gegeben. Sämtliche Antragsteller sind unzweifelhaft aus ihren
Arbeitsverhältnissen und damit auch aus den beteiligten Betrieben endgültig
ausgeschieden. Keiner von ihnen hat deshalb noch ein eigenes schutzwürdiges
Interesse an der erstrebten Unwirksamkeitserklärung der Betriebsratswahl. Damit ist das
Rechtsschutzbedürfnis für die Wahlanfechtung entfallen mit der Folge, dass der Antrag
der Antragsteller unzulässig geworden ist.
54
Hiergegen kann auch nicht eingewandt werden, dass es von der Terminierung des
jeweiligen Arbeitsgerichts abhänge, ob das Rechtsschutzbedürfnis entfalle oder nicht. §
19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG verlangt nämlich für die Anfechtungsberechtigung "mindestens
drei Wahlberechtigte". Nach der früheren, strengeren Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts (s.o.) war das Rechtsschutzinteresse bereits zum Zeitpunkt der
arbeitsgerichtlichen Entscheidung vom 27.11.2002 nicht mehr gegeben. Zu diesem
Zeitpunkt waren nämlich bereits zwei der Antragsteller aus dem Arbeitsverhältnis mit
den beteiligten Arbeitgebern ausgeschieden. Darüber hinaus verkennen die
Antragsteller den allgemeinen Rechtsgrundsatz, wonach im Zeitpunkt der Entscheidung
durch ein Gericht sämtliche Zulässigkeitsvoraussetzungen vorliegen müssen (BGH,
Urteil vom 08.07.1955 - BGHZ 18, 98, 106 = NJW 1955, 1513; BGH, Urteil vom
08.03.1979 - NJW 1980, 520; BAG, Urteil vom 24.09.1997 - AP Nr. 1 zu § 1 TVG
Tarifverträge: Reichsbund; Thomas/Putzo, ZPO, 23. Aufl., Vorbem. § 253 Rz. 11;
Zöller/Greger, ZPO, 23. Aufl., § 256 Rz. 7 c m.w.N.). Fällt das Rechtsschutzinteresse
während des laufenden Verfahrens weg, wird die Klage unzulässig. So liegt der
vorliegende Fall.
55
Nach alledem kam es auf die Frage, ob ein Anfechtungsgrund nach § 19 Abs. 1 BetrVG
vorgelegen hat, nicht mehr an.
56
III
57
Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht bestand keine
Veranlassung, §§ 92 Abs. 1, 72 Abs. 2 ArbGG.
58
gez.
59
Schierbaum Luther Mantwill
60
/N.
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