Urteil des LAG Hamm vom 19.10.2007
LArbG Hamm: betriebsrat, gespräch, arbeitsgericht, mitbestimmungsrecht, ärztliche behandlung, betriebsstätte, betriebsleiter, billigkeit, bestimmtheit, zulage
Landesarbeitsgericht Hamm, 10 TaBV 67/07
Datum:
19.10.2007
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
10. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
10 TaBV 67/07
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Dortmund, 7 BV 299/06
Schlagworte:
Unterlassungsanspruch des Betriebsrats; Unbegründetheit eines
Globalantrags; Anwesenheit des Betriebsrats bei Mitarbeitergesprächen;
Aufsuchen des Betriebsrats durch Mitarbeiter; Überwachungsrecht des
Betriebsrats bei arbeitsvertraglichen Klauseln in Formulararbeitsver-
trägen; Grundsätze von Recht und Billigkeit; Mitbestimmung bei
Einführung neuer Entlohnungsgrundsätze; Zuständigkeit des
Gesamtbetriebsrats; Tarifvorrang;
Normen:
§§ 10, 81, 83 Abs. 3 ArbGG, § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, §§ 23 Abs. 3, 39,
50 Abs. 1, 75 Abs. 1, 80 Abs. 1 S. 1, 82 Abs. 2, 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG,
§ 307 Abs. 1 S. 2 BGB
Tenor:
Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des
Arbeitsgerichts Dortmund vom 24.04.2007 - 7 BV 299/06 - wird
zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe:
1
A
2
Die Beteiligten streiten um die Anwesenheit von Betriebsratsmitgliedern bei
Mitarbeitergesprächen. Der Betriebsrat macht gegenüber der Arbeitgeberin ferner
weitere Unterlassungsansprüche geltend.
3
Die Arbeitgeberin betreibt in D3 einen Lager- und Logistikbetrieb, der zum 01.01.2006
im Rahmen eines Betriebsüberganges auf die jetzige Arbeitgeberin übergegangen war.
Dem D4 Betrieb der Arbeitgeberin gehören mehr als 200 Arbeitnehmer an. Zu den
Hauptaufgaben des Betriebes gehört die deutschlandweite Belieferung aller Märkte des
M1 Konzerns im In- und Ausland mit den dort angebotenen Waren.
4
Antragsteller des vorliegenden Verfahrens ist der Betriebsrat des D4 Betriebes. Im
5
Unternehmen der Arbeitgeberin ist ferner ein Gesamtbetriebsrat gebildet.
Am 24.11.2006 wurde eine Arbeitnehmerin des Betriebes, Frau K1, Betriebsratsmitglied,
die zuvor von ihrem Abteilungsleiter angewiesen worden war, Reportübersichten zu
erstellen, dies aber noch nicht erledigt hatte, aufgefordert, mit ihm zu dem Betriebsleiter,
Herrn B3, zu kommen. Frau K1 teilte zunächst dem Abteilungsleiter mit, sie wolle den
Betriebsratsvorsitzenden bei dem Gespräch mit Herrn B3 dabei haben. Der
Abteilungsleiter erwiderte, sie solle erst einmal mitkommen. Der Betriebsleiter, Herr B3,
erklärte auf die wiederholte Bitte der Frau K1, den Betriebsratsvorsitzenden bei dem
Gespräch dabeihaben zu wollen, dies sei nicht nötig. Sodann wies der Betriebsleiter
Frau K1 an, die Reportübersichten unverzüglich zu erstellen; Frau K1 sei gut beraten,
wenn sie in kürzester Zeit diese Anweisung befolgen würde. Der weitere
Gesprächsinhalt ist zwischen den Beteiligten streitig.
6
Am 27.11.2006 hing der Betriebsrat "aus gegebenem Anlass" eine Information aus, auf
deren Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 25 d.A.).
7
Am 01.12.2006 wandte sich der Arbeitnehmer K2-H2 S5, Vertrauensperson der
Schwerbehinderten, an den Betriebsratsvorsitzenden und sprach ihn auf ein sein
Arbeitsverhältnis betreffendes Problem an. Der Betriebsratsvorsitzende wandte sich zur
Klärung an die Personalabteilung der Arbeitgeberin. Kurze Zeit später rief der
Betriebsleiter, Herr B3, Herrn S5 zu sich und erklärte ihm, wenn er Probleme in seinem
Arbeitsverhältnis habe, könne er diese auch mit seinem Vorgesetzten besprechen. Der
weitere Inhalt des Gesprächs ist zwischen den Beteiligten streitig.
8
Im Laufe des Jahres 2006 entwarf die Arbeitgeberin für ihre Gruppenleiter, Schichtleiter
und Lagerleiter einen neuen Arbeitsvertrag, der in Ziffer 13 eine Bestimmung folgenden
Inhalts enthält:
9
"Mit der unter Ziffer 3 dieses Anstellungsvertrages vereinbarten übertariflichen
Zulage sind alle anfallenden Mehrarbeitsstunden, Zuschläge aller Art, tarifliches
Urlaubsgeld, tarifliches und betriebliches Weihnachtsgeld und
Sonderzahlungen abgegolten. Die Auszahlung erfolgt in 12 gleichen
Monatsbeträgen."
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Wegen dieser Bestimmung beabsichtigte die Unternehmensleitung der Arbeitgeberin in
Verhandlungen mit dem bei ihr gebildeten Gesamtbetriebsrat einzutreten.
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In dem am 27.12.2006 beim Arbeitsgericht eingeleiteten Beschlussverfahren hat der
Betriebsrat die Auffassung vertreten, die Arbeitgeberin verstoße in grober Weise gegen
ihre betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten. Insoweit könne der Betriebsrat verlangen,
dass die Arbeitgeberin ein entsprechendes Verhalten künftig unterlasse.
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Zunächst sei die Arbeitgeberin verpflichtet, die Anwesenheit eines Betriebsratsmitglieds
in Personalgesprächen über die Beurteilung der Leistungen der Arbeitnehmer zu
dulden. Dieser Anspruch ergebe sich aus § 82 Abs. 2 Satz 1 BetrVG. In dem Gespräch
vom 24.11.2006, so hat der Betriebsrat behauptet, habe der Betriebsleiter, Herr B3, der
Mitarbeiterin K1 erklärt, wenn sie nicht unverzüglich die Reporte erstelle, handele es
sich um einen Fall der Arbeitsverweigerung, der weitere arbeitsrechtliche Maßnahmen
nach sich ziehen werde. Darüber hinaus habe er Frau K1 weitere angebliche
Arbeitsvertragsverstöße vorgehalten und ihr im Wiederholungsfalle eine Abmahnung
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angedroht. Das Gespräch mit Frau K1 habe ca. 15 Minuten gedauert. Die
Vorgehensweise der Betriebsleitung habe sich negativ auf die Psyche von Frau K1
ausgewirkt, was zur Folge gehabt habe, dass sie sich am 27.11.2006 in ärztliche
Behandlung habe begeben müssen, ihre Arbeitsunfähigkeit habe bis zum 15.03.2007
angedauert.
Bei diesem Gespräch vom 24.11.2006 habe es sich um ein ernst zu nehmendes
Personalgespräch im Sinne des § 82 Abs. 2 Satz 1 BetrVG gehandelt. Entsprechend
dem Wunsch von Frau K1 habe ein Betriebsratsmitglied hinzugezogen werden müssen.
Dadurch, dass Frau K1 der Beistand eines Betriebsratsmitglieds verwehrt worden sei,
habe die Arbeitgeberin eine grobe Pflichtverletzung im Sinne des § 23 Abs. 3 BetrVG
begangen.
14
Auch in dem Gespräch mit dem Mitarbeiter S5 habe die Arbeitgeberin in grober Weise
gegen ihre Verpflichtungen aus den §§ 39 Abs. 1, 2 Abs. 1 BetrVG verstoßen. Hiernach
seien alle Arbeitnehmer berechtigt, den Betriebsrat in Angelegenheiten aufzusuchen,
die mit ihrer Stellung als Arbeitnehmer des Betriebes zusammenhingen. In dem
Gespräch mit Herrn S5 habe der Betriebsleiter B3, so hat der Betriebsrat behauptet,
diesen mit den Worten empfangen:"…wieso sind Sie in dieser Angelegenheit zum
Betriebsrat gegangen? Der richtige Weg wäre gewesen, mit Ihrem Vorgesetzten zu
reden …." Da er, Herr S5, aber lieber zum Betriebsrat gegangen sei, wisse die
Betriebsleitung nun, wie sie ihn künftig einzuschätzen habe. Eine derartige
Vorgehensweise könne vom Betriebsrat nicht toleriert werden.
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Der Betriebsrat hat schließlich die Auffassung vertreten, er könne von der Arbeitgeberin
auch die Unterlassung der Verwendung der Verrechnungsabrede in künftigen
Arbeitsverträgen mit den Gruppenleitern, Lagerleitern und Schichtleitern verlangen.
Diese Verrechnungsabrede sei bereits mangels Bestimmtheit unwirksam. Der
Betriebsrat habe nach § 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG darüber zu wachen, dass alle im
Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt
würden. Der Abschluss von Arbeitsverträgen mit einer zu unbestimmten
Verrechnungsabrede stelle eine grobe Pflichtverletzung im Sinne des § 23 Abs. 3
BetrVG dar. Zudem verletze die Arbeitgeberin insoweit Mitbestimmungsrechte nach § 87
Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Dabei könne offen bleiben, ob das Mitbestimmungsrecht dem
Betriebsrat oder dem Gesamtbetriebsrat zustehe. In jedem Fall liege eine grobe
Pflichtverletzung vor, weil die Arbeitgeberin ihre betriebsverfassungsrechtlichen
Pflichten nicht einhalte.
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Der Betriebsrat hat beantragt,
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1. die Arbeitgeberin zu verpflichten, in ihrer Betriebsstätte E1. 12 in 12345 U1 die
Anwesenheit eines Betriebsratsmitglieds auf Wunsch des jeweiligen Mitarbeiters
bei Gesprächen zu dulden, in denen Arbeitsanweisungen verbunden mit
Abmahnungen ausgesprochen werden,
18
2. der Arbeitgeberin zu untersagen, in der Betriebsstätte E1. 12 in 12345 U1 zu
untersagen, Arbeitnehmern, die in zulässiger Weise den Betriebsrat aufgesucht
haben, um die mit ihrer Stellung als Arbeitnehmer des Betriebs
zusammenhängenden und in den Aufgabenbereich des Betriebsrats fallenden
Probleme zu erörtern, Missbilligung auszusprechen,
19
3. der Arbeitgeberin zu untersagen, die seit Januar 2006 mit den Gruppenleitern,
Lagerleitern und Schichtleitern der Betriebsstätte E1. 12, 12345 U1 vereinbarte,
nachfolgende Verrechnungsabrede (Ziff. 13) geltend zu machen:
20
Ziffer 13: "Mit der unter Ziffer 3 des Anstellungsvertrages vereinbarten
übertariflichen Zulage sind alle anfallenden Mehrarbeitsstunden, Zuschläge aller
Art, tarifliches Urlaubsgeld, tarifliches und betriebliches Weihnachtsgeld und
Sonderzahlungen abgegolten, die Auszahlung erfolgt in 12 gleichen
Monatsbeträgen.",
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4. der Arbeitgeberin zu untersagen, in der Betriebsstätte E1. 12, 12345 U1, bei
dem Abschluss zukünftiger Anstellungsverträge mit den Gruppenleitern,
Lagerleitern oder Schichtleitern die unter Ziffer 3) dargestellte
Verrechnungsabrede zu verwenden.
22
Die Arbeitgeberin hat beantragt,
23
die Anträge zurückzuweisen.
24
Sie hat die Auffassung vertreten, sie weigere sich keineswegs, zu Leistungsgesprächen
im Sinne des § 82 Abs. 2 BetrVG den Betriebsrat hinzuzuziehen, sofern dies von
Arbeitnehmern gewünscht werde. Am 24.11.2006 habe jedoch kein Leistungsgespräch
im Sinne des § 82 Abs. 2 BetrVG mit der Mitarbeiterin K1 stattgefunden. Frau K1 habe
lediglich eine zuvor gegebene Arbeitsanweisung nicht befolgt. In dem Gespräch vom
24.11.2006 sei seitens der Arbeitgeberin gar nicht beabsichtigt gewesen, den
Gesprächsinhalt auszudehnen, um über die Leistungen von Frau K1 zu sprechen. Der
Betriebsleiter Herr B3 habe lediglich die Absicht gehabt, Frau K1 nochmals die
Arbeitsanweisung zu erteilen und ihr nahezulegen, diese auch zu befolgen. Ein
psychischer Druck sei auf Frau K1 nicht ausgeübt worden.
25
Auch in dem Gespräch mit dem Mitarbeiter S5 habe die Arbeitgeberin nicht gegen ihre
betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten verstoßen. Der Betriebsleiter Herr B3 habe
Herrn S5 lediglich erklärt, wenn es Probleme gebe, könne er diese auch mit seinem
Vorgesetzten besprechen; dieser habe dann unter Umständen die Möglichkeit, die
Angelegenheit abteilungsintern aus der Welt zu schaffen. Damit sei das Gespräch
beendet gewesen.
26
Schließlich stehe dem Betriebsrat auch wegen der Verwendung der
Verrechnungsklausel in Arbeitsverträgen kein Unterlassungsanspruch zu. Hinsichtlich
der Ausgestaltung der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen habe der Betriebsrat keine
Antragsbefugnis. Die Rechte des Betriebsrats im Hinblick auf den Inhalt eines
Arbeitsvertrages seien in § 94 Abs. 2 BetrVG geregelt. Im Übrigen stehe dem
antragstellenden Betriebsrat ohnehin kein Unterlassungsanspruch in der fraglichen
Angelegenheit zu. Nach Überprüfung der streitigen Verrechnungsklausel durch die
Unternehmensleitung solle in Verhandlungen mit dem Gesamtbetriebsrat eingetreten
werden; allenfalls der Gesamtbetriebsrat könne insoweit ein Mitbestimmungsrecht für
sich in Anspruch nehmen.
27
Durch Beschluss vom 24.04.2007 hat das Arbeitsgericht die Anträge des Betriebsrats
zurückgewiesen. Auf die Gründe des arbeitsgerichtglichen Beschlusses vom
24.04.2007 wird Bezug genommen.
28
Gegen den dem Betriebsrat am 12.05.2007 zugestellten Beschluss des Arbeitsgerichts
hat der Betriebsrat am 08.06.2007 Beschwerde zum Landesarbeitsgericht eingelegt und
diese mit dem am 02.07.2007 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz
begründet.
29
Unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens ist der Betriebsrat nach wie
vor der Auffassung, die Arbeitgeberin habe in grober Weise gegen ihre
betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten verstoßen.
30
Zunächst habe das Arbeitsgericht den Begriff des Leistungsgesprächs im Sinne des §
82 Abs. 2 Satz 1 BetrVG in unzulässiger Weise eingeschränkt. Inhalt eines
Leistungsgesprächs könnten auch negative Beurteilungen des Arbeitgebers sein. Von
einem Leistungsgespräch sei immer dann auszugehen, wenn Gespräche mit
Arbeitnehmern geführt würden, in denen Arbeitsanweisungen verbunden mit
Abmahnungen ausgesprochen würden. Um ein derartiges Leistungsgespräch habe es
sich bei dem Gespräch mit der Mitarbeiterin K1 gehandelt.
31
Auch die vom Betriebsrat behaupteten Äußerungen des Betriebsleiters B3 gegenüber
dem Mitarbeiter S5 stellten eine grobe Pflichtwidrigkeit im Sinne des § 23 Abs. 3 BetrVG
dar. Diese Äußerungen seien nicht nur unpassend, sondern grob pflichtwidrig gewesen.
Jeder Arbeitnehmer müsse nunmehr nach derartigen Äußerungen des Betriebsleiters
mit Sanktionen rechnen, wenn er den Betriebsrat aufsuche.
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Auch dem Unterlassungsantrag zu 3., der wegen der Verwendung der
Verrechnungsklausel auch bei neun Abteilungsleitern zu erweitern gewesen sei, habe
das Arbeitsgericht stattgeben müssen. Dieser Anspruch ergebe sich aus § 75 Abs. 1
Satz 1 BetrVG, da Ziffer 13 des Formulararbeitsvertrages einer Inhaltskontrolle nicht
standhalte. Regelungen im Arbeitsvertrag, die Mehrarbeit generell mit dem Gehalt als
abgegolten definierten, seien unzulässig und bereits mangels Bestimmtheit unwirksam.
Die Höchstzahl der erfassten abgegoltenen Stunden und der Bemessungszeitraum
müssten vielmehr ausdrücklich vereinbart werden. Der vom Antrag zu 3. erfasste
Personenkreis werde entgegen den Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt.
33
Die Verwendung eines derartigen Formulararbeitsvertrages mit unwirksamen Klauseln
stelle eine grobe gesetzliche Pflichtverletzung im Sinne des § 23 Abs. 3 BetrVG dar.
Darüber hinaus verstoße die Arbeitgeberin insoweit auch gegen das
Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Ob die Zuständigkeit insoweit
beim örtlichen Betriebsrat oder beim Gesamtbetriebsrat liege, könne offen bleiben.
Selbst wenn der Gesamtbetriebsrat in der Mitbestimmung wäre, bliebe es dem örtlichen
Betriebsrat unbenommen, die fehlende Beteiligung des Gesamtbetriebsrats im Rahmen
des § 23 Abs. 3 BetrVG geltend zu machen.
34
Der Betriebsrat beantragt,
35
den Beschluss des Arbeitsgerichts Dortmund vom 24.04.2007 – 7 BV 299/06 –
abzuändern und
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37
1. die Arbeitgeberin zu verpflichten, in ihrer Betriebsstätte E1. 12, 12345 U1 die
38
Anwesenheit eines Betriebsratsmitglieds auf Wunsch des jeweiligen Mitarbeiters
bei Gesprächen zu dulden, in denen Arbeitsanweisungen verbunden mit
Abmahnungen ausgesprochen werden,
2. der Arbeitgeberin in der Betriebsstätte E1. 12, 12345 U1 zu untersagen,
Arbeitnehmern, die in zulässiger Weise den Betriebsrat aufgesucht haben, um die
mit ihrer Stellung als Arbeitnehmer des Betriebs zusammenhängenden und in den
Aufgabenbereich des Betriebsrats fallenden Probleme zu erörtern, Missbilligung
auszusprechen,
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3. der Arbeitgeberin zu untersagen, die seit Januar 2006 mit den Gruppenleitern,
Lagerleitern und Schichtleitern der Betriebsstätte E1. 12, 12345 U1 vereinbarte,
nachfolgende Verrechnungsabrede (Ziff. 13) geltend zu machen:
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Ziffer 13: "Mit der unter Ziffer 3 des Anstellungsvertrages vereinbarten
übertariflichen Zulage sind alle anfallenden Mehrarbeitsstunden, Zuschläge aller
Art, tarifliches Urlaubsgeld, tarifliches und betriebliches Weihnachtsgeld und
Sonderzahlungen abgegolten, die Auszahlung erfolgt in 12 gleichen
Monatsbeträgen.",
41
4. der Arbeitgeberin zu untersagen, in der Betriebsstätte E1. 12, 12345 U1, bei
dem Abschluss zukünftiger Anstellungsverträge mit den Gruppenleitern,
Lagerleitern oder Schichtleitern die unter Ziffer 3) dargestellte
Verrechnungsabrede zu verwenden.
42
Die Arbeitgeberin beantragt,
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44
Die Beschwerde zurückzuweisen.
45
Sie verteidigt den angefochtenen Beschluss und ist nach wie vor der Auffassung, mit der
Mitarbeiterin K1 kein Leistungsgespräch im Sinne des § 82 Abs. 2 BetrVG geführt zu
haben. Bei der bloßen Erteilung von Arbeitsanweisungen und auch bei der Erteilung
von Abmahnungen bestehe kein Recht, den Betriebsrat hinzuzuziehen.
46
Die Arbeitgeberin habe auch zu keinem Zeitpunkt Mitarbeitern untersagt, den
Betriebsrat aufzusuchen. Der Mitarbeiter S5 sei allenfalls gefragt worden, ob ihm wegen
der Unsicherheit im Zusammenhang mit seinem Arbeitsvertrag die aktuelle
Zuständigkeit bekannt sei. Im Übrigen liege, selbst wenn man das Vorbringen des
Betriebsrats als richtig unterstelle, kein besonders schwerwiegender Verstoß gegen
betriebsverfassungsrechtliche Pflichten durch den Arbeitgeber vor.
47
Dem Betriebsrat stehe auch kein Unterlassungsanspruch wegen der Verwendung der
arbeitsvertraglichen Verrechnungsklausel zu. Bei dem beanstandeten Arbeitsvertrag
handele es sich um einen Formulararbeitsvertrag, der seit vielen Jahren unbeanstandet
in den einzelnen Betrieben benutzt werde.
48
Im Übrigen sei die Arbeitgeberin tarifgebunden; in Ziffer 9 des Arbeitsvertrags sei die
Anwendung der gültigen Tarifverträge geregelt. Bei Abschluss des Arbeitsvertrages, der
nach dem Betriebsübergang ab 01.01.2006 mit den betreffenden Führungskräften neu
49
vereinbart worden sei, sei mit jedem Mitarbeiter besprochen worden, welche
Einzelpositionen in welcher Höhe mit der übertariflichen Zulage erfasst seien. Bei den
Mehrarbeitsstunden habe die Arbeitgeberin den Durchschnitt der Überstunden ermittelt,
die in den letzten 2 Jahren von den betroffenen Mitarbeitern geleistet worden seien.
Dieser Wert sei als Entgeltbestandteil eingeflossen. Insoweit sei die Verwendung der
Verrechnungsklausel in Ziffer 13 des Arbeitsvertrages nicht unzulässig.
Im Übrigen ergebe sich aus § 75 Abs. 1 BetrVG kein Unterlassungsanspruch. Die
weiteren Voraussetzungen des § 23 Abs. 3 BetrVG seien ebenso wenig erfüllt.
Schließlich bestehe bei der Verrechnungsklausel auch kein Mitbestimmungsrecht nach
§ 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG.
50
Im Übrigen wird auf den weiteren Inhalt der von den Beteiligten gewechselten
Schriftsätze ergänzend Bezug genommen.
51
B
52
Die zulässige Beschwerde des Betriebsrats ist nicht begründet.
53
Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Arbeitsgericht die Anträge des
Betriebsrats als unbegründet abgewiesen.
54
I.
55
Der Antrag des Betriebsrats, die Arbeitgeberin zu verpflichten, in Mitarbeitergesprächen
die Anwesenheit des Betriebsrats zu dulden, ist zwar zulässig, aber als Globalantrag
unbegründet.
56
1. Der Antrag des Betriebsrats ist zulässig.
57
a) Zwischen den Beteiligten ist eine betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeit nach den
§§ 2 a, 80 ArbGG streitig. Die Beteiligten streiten über einen
betriebsverfassungsrechtlichen Anspruch auf Hinzuziehung eines Betriebsratsmitglieds
zu einem Personalgespräch.
58
b) Die Antrags- und Beteiligungsbefugnis ergibt sich aus den §§ 10, 81, 83 Abs. 3
ArbGG.
59
Der Betriebsrat besitzt die insoweit erforderliche Antragsbefugnis. Er ist befugt, die
streitige, sich aus § 82 Abs. 2 Satz 2 BetrVG ergebende Rechtsposition der
Arbeitnehmer im Verhältnis zur Arbeitgeberin zu erstreiten. Zwar begründet § 82 Abs. 2
Satz 2 BetrVG nur einen Anspruch des einzelnen Arbeitnehmers und räumt dem
Betriebsrat grundsätzlich keine eigene Rechtsposition gegenüber dem Arbeitgeber ein.
Der Betriebsrat ist aber berechtigt, die Rechtsposition der Arbeitnehmer aus § 82 Abs. 2
Satz 2 BetrVG gegenüber der Arbeitgeberin gerichtlich feststellen zu lassen. Hierzu ist
er aufgrund seiner Prozessstandschaft nach § 23 Abs. 3 Satz 1 BetrVG befugt (BAG,
Beschluss vom 16.11.2004 – AP BetrVG 1972 § 82 Nr. 3 – unter B. I. 2. der Gründe;
Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, 23. Aufl., § 82 Rz. 14 m.w.N.).
60
c) Der Antrag zu 1. ist auch hinreichend bestimmt im Sinne des auch im
arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren anwendbaren § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Der
61
Umstand, dass es sich um einen sogenannten Globalantrag, der eine Vielzahl künftig
möglicher Fallgestaltungen erfasst, handelt, steht der Bestimmtheit des Antrages nicht
entgegen (BAG, Beschluss vom 16.11.2004 – a.a.O. – unter B. I. 1. der Gründe m.w.N.).
2. Das Arbeitsgericht hat den Antrag zu 1. jedoch zu Recht als unbegründet
abgewiesen. Der Antrag zu 1. ist nämlich inhaltlich zu weitgehend, er erfasst eine
Vielzahl möglicher Fallgestaltungen, in denen die vom Betriebsrat in Anspruch
genommene Verpflichtung der Arbeitgeberin auf Hinzuziehung eines
Betriebsratsmitglieds zu einem Mitarbeitergespräch nicht besteht. Die Arbeitgeberin ist
nicht verpflichtet, die Anwesenheit eines Betriebsratsmitglieds auf Wunsch des
jeweiligen Mitarbeiters bei Gesprächen zu dulden, in denen Arbeitsanweisungen
verbunden mit Abmahnungen ausgesprochen werden.
62
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist ein sogenannter
Globalantrag, der einschränkungslos eine Vielzahl möglicher Fallgestaltungen erfasst,
grundsätzlich als insgesamt unbegründet abzuweisen, wenn unter ihn zumindest auch
Sachverhalte fallen, in denen sich der Antrag als unbegründet erweist (BAG, Beschluss
vom 03.05.1994 – AP BetrVG 1972 § 23 Nr. 23 – unter A. und C. 1. der Gründe; BAG,
Beschluss vom 03.06.2003 – AP BetrVG 1972 § 89 Nr. 1 – unter B. I. 1. und B. II. 2. a)
der Gründe; BAG, Beschluss vom 16.11.2004 – AP BetrVG 1972 § 82 Nr. 3 – unter B. I.
1. der Gründe). Die vom Betriebsrat behauptete Verpflichtung der Arbeitgeberin besteht
aber nicht in allen erfassten Fallgestaltungen. Der Antrag zu 1. enthält auch keinen
hinreichend abgrenzbaren begründeten Teil.
63
Das Recht des Arbeitnehmers nach § 82 Abs. 2 Satz 2 BetrVG ist begrenzt auf
Gespräche über die in § 82 Abs. 2 Satz 1 BetrVG genannten Gegenstände (BAG, Urteil
vom 24.04.1979 – AP BetrVG 1972 § 82 Nr. 1, BAG, Beschluss vom 16.11.2004 – AP
BetrVG 1972 § 82 Nr. 3; Fitting, a.a.O., § 82 Nr. 12). Das Recht, ein Betriebsratsmitglied
zu Personalgesprächen hinzuzuziehen, ist auf die in Satz 1 des Absatzes 2 des § 82
BetrVG genannten Gegenstände beschränkt. Demgegenüber erfasst der Antrag zu 1.
des Betriebsrats alle Mitarbeitergespräche, in denen Arbeitsanweisungen verbunden mit
Abmahnungen ausgesprochen werden. Nicht jedes Mitarbeitergespräch, in denen
Arbeitsanweisungen verbunden mit Abmahnungen ausgesprochen werden, stellt jedoch
ein Gespräch dar, in dem mit dem Arbeitnehmer die Beurteilung seiner Leistungen
sowie die Möglichkeiten seiner beruflichen Entwicklung im Betrieb erörtert werden.
Weder in Gesprächen, in denen Mitarbeitern Arbeitsanweisungen erteilt werden, noch in
Gesprächen, in denen Abmahnungen erteilt werden, erlaubt der Gesetzgeber in § 82
Abs. 2 Satz 1 BetrVG die Hinzuziehung eines Betriebsratsmitglieds.
64
Entscheidend sind vielmehr die Umstände des Einzelfalles. Bereits das Arbeitsgericht
hat in dem angefochtenen Beschluss zutreffend darauf hingewiesen, dass der
Betriebsrat mit seinem Antrag zu 1. die Verpflichtung der Arbeitgeberin erstrebte, in allen
Fällen, in denen Gespräche über Leistungen der Arbeitnehmer verbunden mit einer
Abmahnung geführt werden, die Hinzuziehung eines Betriebsratsmitglieds zuzulassen.
Eine solche Verpflichtung der Arbeitgeberin besteht jedoch in allen möglichen
Fallgestaltungen nicht.
65
Im Übrigen war aus dem Vorbringen des Betriebsrats ohnehin nicht ersichtlich, dass mit
der Mitarbeiterin K1 ein Gespräch geführt werden sollte, welches in genereller Art die
Leistungen der Mitarbeiterin K1 im Hinblick auf ihre künftige berufliche Entwicklung
erörtern sollte.
66
b) Der Antrag zu 1. kann auch nicht auf eine grobe Pflichtverletzung seitens der
Arbeitgeberin gemäß § 23 Abs. 3 BetrVG gestützt werden. Dass im konkreten Fall ein
grober Verstoß der Arbeitgeberin gegen die ihr obliegenden
betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten vorgelegen hätte, geht aus dem Vorbringen
des Betriebsrats in dem vom Betriebsrat geschilderten Vorfall vom 24.11.2006 nicht
hervor. Soweit der Betriebsrat darauf hinweist, dass auch andere Mitarbeiter und
Vorgesetzte dem Wunsch von bestimmten Arbeitnehmern, den Betriebsrat zu
Personalgesprächen hinzuzuziehen, "permanent" und "kategorisch" widersprechen,
ohne Namen zu nennen und bestimmte Vorfälle zu bezeichnen, kann dieses Vorbringen
wegen fehlender Substantiierung nicht berücksichtigt werden.
67
II.
68
Auch der Antrag zu 2. ist zulässig, aber unbegründet.
69
1. Der Antrag zu 2. ist zulässig.
70
Zu Recht verfolgt der Betriebsrat sein Begehren insoweit im arbeitsgerichtlichen
Beschlussverfahren nach den §§ 2 a, 80 ArbGG. Auch insoweit ist zwischen den
Beteiligten eine betriebsverfassungsrechtliche Angelegenheit streitig.
71
Die Beteiligung des Betriebsrats und der Arbeitgeberin am vorliegenden Verfahren
ergibt sich aus den §§ 10, 83 Abs. 3 ArbGG. Der Betriebsrat ist antragsbefugt, er kann
gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 BetrVG das dem Arbeitnehmer zustehende Recht, den
Betriebsrat aufzusuchen und in Anspruch zu nehmen, in Prozessstandschaft geltend
machen.
72
Der Antrag zu 2. ist auch hinreichend bestimmt nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
73
2. Der Antrag des Betriebsrats, dem Arbeitgeber zu untersagen, Arbeitnehmern, die in
zulässiger Weise den Betriebsrat aufgesucht haben, Missbilligungen auszusprechen, ist
jedoch unbegründet. Auch dies hat das Arbeitsgericht in dem angefochtenen Beschluss
zutreffend ausgeführt. Ein derartiger Anspruch ergibt sich nicht aus § 23 Abs. 3 Satz 1
BetrVG.
74
Ein grober Verstoß im Sinne des § 23 Abs. 3 Satz 1 BetrVG gegen die
betriebsverfassungsrechtlichen Verpflichtungen kann der Arbeitgeberin nicht
vorgeworfen werden.
75
Zwar sind alle Arbeitnehmer eines Betriebes nach § 39 BetrVG berechtigt, die
Sprechstunden des Betriebsrats in allen Angelegenheiten aufzusuchen, die mit ihrer
Stellung als Arbeitnehmer des Betriebes zusammenhängen und in den
Aufgabenbereich des Betriebsrats fallen. Hierzu zählen zum Beispiel auch die
Erhebung und Erörterung von Beschwerden über das Verhalten von Vorgesetzten oder
anderer Arbeitnehmer oder über sonstige betriebliche Angelegenheiten (Fitting, a.a.O., §
39 Rz. 22; GK/Weber, BetrVG, 8. Aufl., § 39 Rz. 8; Richardi/Thüsing, BetrVG, 10. Aufl., §
39 Rz. 2 m.w.N.). Es bleibt dem einzelnen Arbeitnehmer auch unbenommen, soweit
dies erforderlich ist, auch außerhalb der Sprechstunden den Betriebsrat in Anspruch zu
nehmen (Fitting, a.a.O., § 39 Rz. 30; Weber, a.a.O., § 39 Rz. 35; Richardi/Thüsing,
a.a.O., § 39 Rz. 25; ErfK/Eisemann, 7. Aufl., § 39 BetrVG Rz. 2 m.w.N.). Das Aufsuchen
76
eines Betriebsrats und die Einlegung einer Beschwerde ist dem Mitarbeiter auch dann
möglich, wenn er sich nicht vorher beim Arbeitgeber oder bei seinem Vorgesetzten
beschwert hat (Fitting, a.a.O., § 39 Rz. 22; Weber, a.a.O., § 39 Rz. 8; a.A.:
Stege/Weinspach/Schiefer, BetrVG, 9. Aufl., § 39 Rz. 3).
Die grundsätzliche Berechtigung der Arbeitnehmer, den Betriebsrat aufzusuchen, stellt
die Arbeitgeberin im vorliegenden Fall auch nach dem Vorbringen des Betriebsrats nicht
in Abrede. Allein der Vorfall vom 01.12.2006 und die vom Betriebsrat behaupteten
Äußerungen des Betriebsleiters B3 gegenüber dem Mitarbeiter S5 stellen jedoch keine
grobe Pflichtverletzung im Sinne des § 23 Abs. 3 Satz 1 BetrVG dar.
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§ 23 Abs. 3 BetrVG verlangt eine grobe Verletzung der betriebsverfassungsrechtlichen
Pflichten. Auf ein Verschulden des Arbeitgebers kommt es dabei nicht an. Entscheidend
ist allein, ob der Verstoß objektiv so erheblich war, dass unter Berücksichtigung des
Gebotes der vertrauensvollen Zusammenarbeit die Anrufung des Arbeitsgerichts durch
den Betriebsrat gerechtfertigt erscheint. Die Pflichtverletzung muss objektiv erheblich
und offensichtlich schwerwiegend sein. Ein grober Verstoß kann regelmäßig dann
bejaht werden, wenn der Arbeitgeber mehrfach erzwingbare Mitbestimmungsrechte des
Betriebsrats übergangen hat (BAG, Beschluss vom 16.07.1991 – AP BetrVG 1972 § 87
Arbeitszeit Nr. 44 – unter B. II. 2. a) der Gründe; BAG, Beschluss vom 23.06.1992 – AP
BetrVG 1972 § 23 Nr. 22 – unter B. III. 3. a) der Gründe; BAG, Beschluss vom
29.02.2000 – AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 105 – unter B. II. 2. b) der
Gründe; LAG Hamm, Beschluss vom 19.07.2002 – NZA-RR 2002, 642; Fitting, a.a.O., §
23 Rz. 59 ff., 62; GK/Oetker, BetrVG, a.a.O., § 23 Rz. 168 ff.; ErfK/Eisemann, a.a.O., § 23
Rz. 25 m.w.N.). Kein Fall grober Pflichtverletzung ist allerdings dann gegeben, wenn der
Arbeitgeber in einer ungeklärten Rechtsfrage nach einer vertretbaren Rechtsansicht
handelt (BAG, Beschluss vom 08.08.1989 – AP BetrVG 1972 § 95 Nr. 18 – unter B. III.
der Gründe; BAG, Beschluss vom 14.11.1989 – AP BetrVG 1972 § 99 Nr. 76 – unter B.
II. 2. der Gründe; BAG, Beschluss vom 16.07.1991 – AP BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit
Nr. 44 – unter B. II. 2. a) der Gründe; Fitting, a.a.O., § 23 Rz. 63; GK/Oetker, a.a.O., § 23
Rz. 172 m.w.N.).
78
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze konnte ein grober Verstoß der Arbeitgeberin
nicht angenommen werden, auch wenn das Vorbringen des Betriebsrats zum Vorfall
vom 01.12.2006 als zutreffend unterstellt wird. Ein objektiv erheblicher, besonders
schwerwiegender Verstoß gegen die betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten kann in
den vom Betriebsrat behaupteten Äußerungen des Betriebsleiters B3 gegenüber dem
Mitarbeiter S5 nicht gesehen werden. Auch dies hat das Arbeitsgericht in dem
angefochtenen Beschluss zutreffend erkannt und näher begründet. Ein Verbot, den
Betriebsrat aufzusuchen, ist dem Mitarbeiter S5 auch nach dem eigenen Vorbringen des
Betriebsrats nicht ausgesprochen worden. Auch der Hinweis des Betriebsleiters
gegenüber dem Mitarbeiter S5 auf die Zuständigkeit seines Vorgesetzten kann nicht als
grober Pflichtenverstoß angesehen werden. Die Frage, ob ein Arbeitnehmer, bevor er
sich an den Betriebsrat wendet, zunächst sich bei seinem Vorgesetzten oder beim
Arbeitgeber beschweren muss, wird nach den obigen Ausführungen in der
arbeitsrechtlichen Literatur immerhin nicht einheitlich beurteilt. Auch wenn die
behaupteten Äußerungen des Betriebsleiters als Einschüchterungsversuch gegenüber
den Mitarbeitern bewertet würden, handelt es sich insoweit lediglich um ein einmaliges
Versagen des Betriebsleiters, das die Bewertung als besonders schwerwiegender
Pflichtenverstoß nicht rechtfertigt.
79
III.
80
Auch die in der Beschwerdeinstanz gestellten Anträge des Betriebsrats zu 3. und 4. sind
unbegründet.
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1. Die Anträge des Betriebsrats sind auch insoweit zulässig.
82
a) Der Betriebsrat verfolgt sein Begehren zutreffend im Beschlussverfahren nach den §§
2 a, 80 Abs. 1 ArbGG. Zwischen den Beteiligten ist auch insoweit eine
betriebsverfassungsrechtliche Angelegenheit streitig. Immer dann, wenn die durch das
Betriebsverfassungsrecht geregelte Ordnung des Betriebes und die gegenseitigen
Rechte und Pflichten der Betriebspartner als Träger dieser Ordnung im Streit sind, soll
darüber im Beschlussverfahren als der dafür geschaffenen und besonders geeigneten
Verfahrensart entschieden werden. Dies gilt selbst dann, wenn Rechte des Betriebsrats
im Streit sind, die sich nicht direkt aus dem Betriebsverfassungsgesetz selbst ergeben
(BAG, Beschluss vom 16.07.1985 – AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 17 – unter
B. I. 2. der Gründe).
83
b) Die Antrags- und Beteiligungsbefugnis ergeben sich aus den §§ 10, 81, 83 Abs. 3
BetrVG. Auch im Hinblick auf die in der Beschwerdeinstanz gestellten Anträge zu 3. und
4. ist der Betriebsrat antragsbefugt. Das Begehren des Betriebsrats ist dahin zu
verstehen, dass der Betriebsrat eigene Rechte geltend macht, unter anderem das Recht,
vom Arbeitgeber verlangen zu können, es zu unterlassen, gegenüber bestimmten
Mitarbeitern arbeitsvertraglich die streitige Verrechnungsabrede geltend zu machen und
zu verwenden. Damit macht der Betriebsrat unter anderem einen
betriebsverfassungsrechtlichen (Überwachungs-) Anspruch geltend. Ferner stützt er
sein Begehren auf eine Verletzung von Mitbestimmungsrechte nach § 87 Abs. 1 Nr. 10
BetrVG.
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Eine Beteiligung des Gesamtbetriebsrats am vorliegenden Verfahren kam nach
Auffassung der Beschwerdekammer nicht in Betracht. Der Betriebsrat nimmt nämlich
hinsichtlich der Anträge zu 3. und 4. ein eigenes Überwachungs- und
Mitbestimmungsrecht für sich in An-spruch. Dies ergibt sich aus dem erstinstanzlichen
Schriftsatz des Betriebsrats vom 20.03.2006 (Bl. 41 d.A.) sowie aus dem
Beschwerdebegründungsschriftsatz vom 27.06.2007 (Bl. 89 d.A.). Der Betriebsrat führt
in diesen Schriftsätzen ausdrücklich aus, dass er seinen Unterlassungsantrag aus dem
allgemeinen Unterlassungsanspruch gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG unabhängig von
der Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats herleitet.
85
2. Die Anträge zu 3. und 4. sind jedoch unbegründet.
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a) Der vom Betriebsrat geltend gemachte Unterlassungsanspruch ergibt sich nicht aus §
75 Abs. 1 BetrVG.
87
aa) Nach § 75 Abs. 1 BetrVG haben Arbeitgeber und Betriebsrat darüber zu wachen,
dass alle im Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit
behandelt werden, insbesondere, dass jede Benachteiligung und Diskriminierung von
Personen unter-bleibt.
88
In der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte ist anerkannt, dass aus § 75 Abs. 2 BetrVG
kein Anspruch des Betriebsrats folgt, vom Arbeitgeber zu verlangen,
89
persönlichkeitsverletzende Maßnahmen gegenüber den betroffenen Arbeitnehmern zu
unterlassen (BAG, Beschluss vom 28.05.2002 – AP BetrVG 1972 § 87 Ordnung des
Betriebes Nr. 39; BAG, Beschluss vom 27.01.2004 – AP BetrVG 1972 § 87
Überwachung Nr. 40 – unter B. II. 2. der Gründe; GK/Kreutz, a.a.O., § 75 Rz. 92, 126;
a.A.: Fitting, a.a.O., § 75 Rz. 99; Däubler/Kittner/Klebe/Berg, BetrVG, 10. Aufl., Rz. 42).
Ob für § 75 Abs. 1 BetrVG etwas anderes gilt und aus ihm bei Verstößen gegen die
Grundsätze von Recht und Billigkeit ein eigenständiger Unterlassungs- oder
Beseitigungsanspruch gegen den Verletzer erwächst (so Fitting, a.a.O., § 75 Rz. 14;
GK/Kreutz, a.a.O., § 75 Rz. 26 f., 136; ErfK/Kania, a.a.O., § 75 Rz. 12), konnte die
Beschwerdekammer offen lassen, weil ein Verstoß gegen die Grundsätze von Recht
und Billigkeit durch die Verwendung der streitigen Verrechnungsklausel in
Arbeitsverträgen mit Mitarbeitern der Arbeitgeberin nicht angenommen werden kann.
90
bb) Ein Unterlassungsanspruch aus § 75 Abs. 1 BetrVG ist nicht gegeben, weil
Mitbestimmungsrechte des antragstellenden Betriebsrats nicht verletzt worden sind.
Insoweit kann ein Verstoß gegen die Grundsätze von Recht und Billigkeit im Sinne des
§ 75 Abs. 1 BetrVG nicht angenommen werden.
91
Bei der Geltendmachung und Verwendung der Verrechnungsklausel in Ziffer 13 der
Arbeitsverträge mit Gruppenleitern, Lagerleitern, Abteilungsleitern und Schichtleitern
steht dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG nicht zu.
92
Mitbestimmungsrechte nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG kommen bereits wegen des
Tarifvorranges des § 87 Abs. 1 BetrVG nicht in Betracht. Hiernach besteht ein
Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nur, soweit eine gesetzliche oder tarifliche
Regelung nicht besteht. Entscheidend ist, ob der Tarifvertrag eine Frage so
abschließend regelt, dass keine weitere Regelungsmöglichkeit besteht, oder ob der
Tarifvertrag einer Ergänzung bedürftig und fähig ist. Nur wenn der Tarifvertrag
ausfüllungsbedürftig ist, bleibt das Mitbestimmungsrecht bestehen (BAG, Urteil vom
10.11.1992 – AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 58; BAG, Beschluss vom
14.12.1993 – AP BetrVG 1992 Lohngestaltung Nr. 87; Fitting, a.a.O., § 87 Rz. 46;
DKK/Klebe, a.a.O., § 87 Rz. 25 m.w.N.). Fragen der Mehrarbeit, der Zahlung von
Zuschlägen, des Urlaubsgeldes und des Weihnachtsgeldes sind jedoch sämtlich
tariflich geregelt. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass im Betrieb der
Arbeitgeberin die Bestimmungen des Manteltarifvertrags für Arbeitnehmer im Groß- und
Außenhandel NRW zur Anwendung gelangen. Die Arbeitgeberin ist unstreitig
tarifgebunden. In ihren Arbeitsverträgen wird auf die Bestimmungen dieses
Manteltarifvertrags Bezug genommen. In § 4 MTV sind Mehr-, Sonn-, Feiertags-, Nacht-
und Schichtarbeit ausführlich und abschließend geregelt. Gemäß § 4 Nr. 8 MTV kann für
Mehr-, Sonn-, Feiertags-, und Nachtarbeit eine Pauschalabgeltung entsprechend dem
geschätzten durchschnittlichen Umfang der zu leistenden zuschlagpflichtigen Arbeit
vereinbart werden. Eine entsprechende Vereinbarung hat schriftlich zu erfolgen.
Darüber hinaus enthalten die im Groß- und Außenhandel NRW abgeschlossenen
Tarifverträge über Sonderzahlungen sowie das Urlaubsgeldabkommen abschließende
tarifliche Regelungen. Für eine betriebliche Regelung bleibt insoweit kein Raum.
93
Darüber hinaus ist die Beschwerdekammer der Auffassung, dass selbst dann, wenn
Raum für weitergehende betriebliche Regelungen bestünde, die Zuständigkeit des
antragstellenden Betriebsrats nicht gegeben wäre. Zuständig für die etwaige
Mitbestimmung bei der Verwendung von Verrechnungsklauseln der streitigen Art wäre
94
nämlich der Gesamtbetriebsrat. Nach § 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der
Gesamtbetriebsrat zuständig für die Behandlung von Angelegenheiten, die das
Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe betreffen und nicht durch die einzelnen
Betriebsräte innerhalb ihrer Betriebe geregelt werden können. Die Einführung neuer
Verrechnungsklauseln ist eine Angelegenheit, die das Gesamtunternehmen der
Arbeitgeberin betrifft. Entsprechend befindet sich die Arbeitgeberin in Verhandlungen
über die Verwendung der Formulararbeitsverträge mit dem Gesamtbetriebsrat. Die
Verwendung von Formulararbeitsverträgen betrifft sämtliche Betriebe der Arbeitgeberin,
nicht nur den D4 Betrieb der Arbeitgeberin.
Schließlich besteht auch insoweit kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nach §
87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG, als der Betriebsrat die fehlende Bestimmtheit in Ziffer 13 des
Formulararbeitsvertrages nach den gesetzlichen Bestimmungen der §§ 305 ff. BGB rügt.
Selbst wenn angenommen würde, dass es der streitigen Verrechnungsklausel an der
notwendigen Bestimmtheit fehlt, führt die Arbeitgeberin insoweit keine neuen
Entlohnungsgrundsätze in ihrem Betrieb ein, es liegt lediglich insoweit eine falsche
Rechtsanwendung durch die Arbeitgeberin vor. Nicht jede Pauschalierungsabrede, die
keine konkrete Bezifferung enthält, ist wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot
des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam. Zwar wäre es der Arbeitgeberin möglich und
zumutbar gewesen, die Verrechnungsklausel der Ziffer 13 klarer zu fassen; man hätte
den Anteil des Monatsverdienstes, mit dem Mehrarbeit pauschal abgegolten werden
sollte, auch beziffern können. Damit wäre die Klausel bei abstrakt-genereller
Betrachtung verständlicher gewesen. Dies führt jedoch nicht zur Unwirksamkeit der
Verrechnungsklausel (vgl. BAG, Urteil vom 31.08.2005 – AP ArbZG § 6 Nr. 8 – unter 2.
4. b) der Gründe). Die Arbeitgeberin hat in der Beschwerdeinstanz unwidersprochen
vorgetragen, wie sie die übertarifliche Zulage für die betroffenen Mitarbeiter errechnet
hat. Bei den Mehrarbeitsstunden hat sie den Durchschnitt der Überstunden ermittelt, die
in den letzten zwei Jahren von den betroffenen Arbeitnehmern geleistet worden sind,
dieser Wert ist als Entgeltbestandteil in die übertarifliche Vergütung eingeflossen.
Hiergegen sind vom Betriebsrat keine konkreten Einwendungen erhoben worden.
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Darüber hinaus sind Anrechnungsklauseln dann mitbestimmungsfrei, wenn eine
Tariferhöhung im Rahmen des rechtlich und tatsächlich möglichen vollständig und
gleichmäßig auf die übertarifliche Vergütung sämtlicher Arbeitnehmer angerechnet wird
(vgl. BAG, Urteil vom 01.03.2006 – AP BGB § 308 Nr. 3).
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b) In der Geltendmachung und Verwendung der streitigen Verrechnungsklausel durch
die Arbeitgeberin liegt auch kein grober Verstoß gegen die der Arbeitgeberin
obliegenden betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten, § 23 Abs. 3 BetrVG. Dies ergibt
sich bereits aus den vorangegangenen Ausführungen. Selbst wenn Ziffer 13 des
Formulararbeitsvertrags einer Inhaltskontrolle nach den §§ 305 ff. BGB nicht standhalten
würde, läge ein grober Verstoß gegen betriebsverfassungsrechtliche Verpflichtungen
durch die Arbeitgeberin nicht vor. In der Verwendung der Verrechnungsklausel ist keine
Einführung neuer Entlohnungsgrundsätze enthalten. Der Arbeitgeberin könnte allenfalls
ein Verstoß gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB vorgehalten
werden. Eine besonders schwerwiegende, grobe Missachtung
betriebsverfassungsrechtlicher Pflichten liegt hierin jedoch nicht.
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c) Der Betriebsrat kann die Unterlassungsanträge zu 3. und 4. schließlich nicht auf § 80
Abs. 1 Satz 1 BetrVG stützen.
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Zwar hat der Betriebsrat nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG unter anderem auch die
allgemeine Aufgabe, darüber zu wachen, dass die zu Gunsten der Arbeitnehmer
geltenden Gesetze, Verordnungen, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen
durchgeführt werden. Aus dieser allgemeinen Überwachungsaufgabe folgt jedoch kein
eigener Anspruch des Betriebsrats darauf, dass der Arbeitgeber eine gesetzliche oder
tarifvertragliche Vorschrift gegenüber seinen Arbeitnehmern auch einhält und richtig
durchführt. Aus dem Überwachungsrecht des Betriebsrats folgt kein Anspruch des
Betriebsrats auf Unterlassung der beanstandeten Maßnahme des Arbeitgebers.
Verstößt der Arbeitgeber gegen Vorschriften, aus denen sich individual-rechtliche
Ansprüche einzelner Arbeitnehmer ergeben, begründet dieser Verstoß keine
betriebsverfassungswidrige Lage im Verhältnis zum Betriebsrat. Der Betriebsrat kann
insoweit nicht für die Arbeitnehmer auf Unterlassung gegenüber dem Arbeitgeber
klagen. Er ist vielmehr darauf beschränkt, eine Nichtbeachtung oder fehlerhafte
Durchführung von gesetzlichen oder tariflichen Vorschriften beim Arbeitgeber zu
beanstanden und auf Abhilfe zu drängen. Dies entspricht der ganz herrschenden
Meinung in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung und der arbeitsrechtlichen Literatur
(BAG, Beschluss vom 16.07.1975 – AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 17; BAG,
Beschluss vom 10.06.1986 – AP BetrVG 1972 § 80 Nr. 26; BAG, Beschluss vom
24.02.1987 – AP BetrVG 1972 § 80 Nr. 28; BAG, Beschluss vom 28.05.2002 – AP
BetrVG 1972 § 87 Ordnung des Betriebes Nr. 39 – unter B. I. 6. der Gründe; BAG,
Beschluss vom 27.01.2004 – AP BetrVG 1972 § 87 Überwachung Nr. 40 – unter B. II. 3.
der Gründe; BAG, Beschluss vom 16.11.2005 – AP BetrVG 1972 § 80 Nr. 64 – unter B.
II. 1. d) der Gründe m.w.N.).
99
IV.
100
Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht bestand keine
Veranlassung, §§ 92 Abs. 1, 72 Abs. 2 ArbGG.
101
Schierbaum Beeking Hermanns
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/N.
103