Urteil des LAG Hamm vom 06.08.2009

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Landesarbeitsgericht Hamm, 8 Sa 292/09
Datum:
06.08.2009
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
8. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
8 Sa 292/09
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Dortmund, 5 Ca 5505/08
Schlagworte:
Streikbruchprämie/tarifliche
Maßregelungsklausel/Auslegung/unterschiedliche Prämienge-währung
an betriebszugehörige und betriebsfremde Streikbrecher
Normen:
GG Art. 9
Tenor:
Unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen wird auf die Berufung der
Klägerin das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 11.02.2009 – 5
Ca 5505/08 – teilweise abgeändert.
1. Auf den Hilfsantrag der Klägerin wird festgestellt, dass die Beklagte
verpflichtet ist, der Klägerin eine „Warentüte" mit Lebensmitteln im Wert
von 25,-- € zu übereignen.
2. Hinsichtlich der Kosten des ersten Rechtszuges bleibt es bei der
arbeitsgerichtlichen Entscheidung, von den Kosten des zweiten
Rechtszuges trägt die Klägerin 3/4, die Beklagte 1/4.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin nach Ende eines gewerkschaftlich geführten
Arbeitskampfes unter Hinweis auf eine tariflich vereinbarte Maßregelungsklausel die
Gewährung einer sog. Streikbruchprämie, wie sie die Beklagte denjenigen
Arbeitnehmern gewährt hat, welche sich nicht am Arbeitskampf beteiligt haben. Das
Arbeitsgericht hat den verfolgten Zahlungsantrag u.a. mit der Begründung abgewiesen,
den begehrten Betrag von 80 € könne die Klägerin schon deshalb nicht beanspruchen,
da eine Zahlung allein an solche Kräfte erfolgt sei, welche aus Filialen anderer
konzernverbundener Unternehmen zur Arbeit herangezogen worden seien,
demgegenüber hätten die – wie die Klägerin - in der bestreikten Filiale selbst
beschäftigten Kräfte allein eine Warentüte mit Lebensmitteln erhalten. Im
Berufungsrechtszuge hat die Klägerin die Klage um einen entsprechenden Hilfsantrag
erweitert und beantragt zuletzt
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erweitert und beantragt zuletzt
das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 11.02.2009 – 5 Ca 5505/08 –
abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, 80,-- € netto zu zahlen nebst Zinsen in
Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.03.2008,
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hilfsweise festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin eine
"Warentüte" mit Lebensmitteln im Wert von 25,-- € zu übereignen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Von der weiteren Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG
abgesehen.
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Entscheidungsgründe
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Die Berufung der Klägerin bleibt ohne Erfolg, soweit es den in erster Linie verfolgten
Zahlungsantrag betrifft. Demgegenüber erweist sich der zweitinstanzlich erhobene
Hilfsantrag – betreffend die Verpflichtung zur Übereignung einer "Warentüte" mit
Lebensmitteln - als zulässig und begründet.
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I
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In Übereinstimmung mit dem arbeitsgerichtlichen Urteil steht der Klägerin die begehrte
Prämienzahlung schon deshalb nicht zu, weil die Beklagte den mit der Klägerin
vergleichbaren Kräften ebenfalls keine Prämie von 80,-- € gezahlt hat.
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1. Die zwischen den Tarifparteien vereinbarte Maßregelungsklausel sieht vor, dass den
Arbeitnehmern aus ihrer Streikteilnahme – mit Ausnahme des Vergütungsausfalls für die
Dauer der Streikteilnahme – keinerlei Nachteile entstehen dürfen. Nach dem Wortlaut
der Klausel schließt dies ausdrücklich für die am Streik Beteiligten die Gewährung
arbeitskampfveranlasster Geldleistungen ein, wie die Beteiligten erhalten, die sich nicht
an Arbeitskampfmaßnahmen beteiligt haben.
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2. Die begehrte Prämienzahlung hätte die Klägerin indessen auch dann nicht erhalten,
wenn sie sich nicht am Streik beteiligt, sondern ihre reguläre Arbeitsleistung erbracht
hätte.
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Die Streikbruchprämie von 80,-- € hat die Beklagte unstreitig allein betriebsfremden
Arbeitnehmern gewährt, welche anstelle der streikenden Belegschaftsmitglieder in der
bestreikten Filiale der Beklagten in B1 gearbeitet haben. Die aus den genannten
fremden Filialen als "Streikbrecher" herangezogenen Arbeitskräfte sind auch nicht bei
der Beklagten selbst, sondern bei einem konzernverbundenen anderen Unternehmen
der K6 beschäftigt. Die mit der Klägerin unmittelbar vergleichbaren, bei der Beklagten
selbst, und zwar in der bestreikten Filiale B1 beschäftigten Arbeitnehmer haben, soweit
sie sich nicht am Streik beteiligt haben, lediglich eine Warentüte mit Lebensmitteln
erhalten. Nach der tariflichen Maßregelungsklausel erhalten die Streikbeteiligten jedoch
nur solche Leistungen w i e die Streikbrecher selbst.
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3. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Überlegung, die als Streikbrecher
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eingesetzten Kräfte seien im Wege der Versetzung zu Beschäftigten der Filiale B1
geworden. Unabhängig von der Beurteilung der betriebsverfassungsrechtlichen und
individualrechtlichen Rechtslage vermag auch dieser Umstand nichts daran zu ändern,
dass die Beklagte nicht an sämtliche in der bestreikten Filiale eingesetzten Kräfte eine
gleichartige Streikbrecherprämie gezahlt hat, sondern bei der Art der
Leistungsgewährung zwischen Stammkräften der Filiale und anderen Kräften
unterschieden hat, welche nur für die Dauer des Streiks in die Filiale B1 "versetzt"
worden sind. Aus welchem Grunde eine derartige Differenzierung bei der Ausgestaltung
einer Streikbrecherprämie unzulässig sein soll, ist nicht ersichtlich und wird von der
Klägerin auch selbst nicht vorgetragen. Dann hat es jedoch bei dem Grundsatz zu
verbleiben, dass die tarifliche Maßregelungsklausel allein eine Gleichstellung unter
Berücksichtigung der jeweiligen Vergleichsgruppenbildung verlangen kann. Ein
Anspruch auf Prämienzahlung steht der Klägerin nach alledem nicht zu.
II
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Demgegenüber erweist sich der im zweiten Rechtszuge klageerweiternd geltend
gemachte Feststellungsantrag als zulässig und begründet.
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1. Entgegen der Auffassung der Beklagten bestehen gegen die Zulässigkeit der
Klageänderung im zweiten Rechtszuge keine Bedenken. Unabhängig davon, ob der
verfolgte Hilfsantrag als lediglich quantitative Änderung des Klagebegehrens und damit
als privilegierte Klageänderung im Sinne des § 264 ZPO anzusehen ist, liegen
jedenfalls auch die für die reguläre Klageänderung verschärften Anforderungen des §
533 ZPO vor. Unter dem Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit erscheint die
Klageänderung in jedem Falle als sachdienlich, zugleich ist die weitere Voraussetzung
des § 533 Ziff. 2 ZPO erfüllt, dass der verfolgte Hilfsantrag auf Tatsachen gestützt wird,
welche das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung
ohnehin zugrunde zu legen hat.
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2. Für den verfolgten Feststellungsantrag steht der Klägerin auch ein hinreichendes
Interesse an alsbaldiger Feststellung im Sinne des § 256 ZPO zur Verfügung. In
Anbetracht der Tatsache, dass der verfolgte Anspruch allein dem Grunde nach streitig
ist, nicht hingegen über den konkreten Inhalt der Verpflichtung – etwa über einen
bestimmten Inhalt der Warentüte – Streit besteht, kann davon ausgegangen werden,
dass die Beklagte bereits aufgrund eines Feststellungsurteils ihren Verpflichtungen aus
dem tariflichen Maßregelungsverbot nachkommt.
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3. In der Sache kann die Klägerin wie diejenigen Stammkräfte der Filiale, die sich nicht
am Streik beteiligt haben und aus diesem Grunde eine Warentüte als Streikbruchprämie
erhalten haben, auf der Grundlage des tariflichen Maßregelungsverbots eine gleiche
Leistung verlangen. Der Wortlaut der tariflichen Regelung spricht zwar allein von
"Geldleistungen", geldwerte Sachleistungen sind nicht ausdrücklich erwähnt. Nach Sinn
und Zweck der tariflichen Maßregelungsklausel stehen indessen geldwerte
Sachleistungen den ausdrücklich erwähnten Geldleistungen gleich. Eine
unterschiedliche Beurteilung von Geld- und geldwerten Sachleistungen wäre mit Sinn
und Zweck der Maßregelungsklausel wie auch mit dem Obersatz der Klausel nicht
vereinbar, dass den Streikteilnehmern "keinerlei Nachteil" entstehen soll. Die
Auslegung der Maßregelungsklausel ergibt nach alledem, dass die Beklagte verpflichtet
ist, der Klägerin die begehrte Warentüte mit Lebensmitteln im Wert von 25,-- € zu
übereignen.
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III
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Hinsichtlich der Kosten des ersten Rechtszuges verbleibt es bei der arbeitsgerichtlichen
Entscheidung, die Entscheidung über die Kosten des zweiten Rechtszuges
berücksichtigt das anteilige Obsiegen und Unterliegen der Parteien.
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IV
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Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 72 ArbGG liegen nicht
vor.
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