Urteil des LAG Hamm vom 08.01.2009

LArbG Hamm: betriebsrat, unwirksamkeit der kündigung, alleinerziehende mutter, schutz des arbeitnehmers, begründung der kündigung, anhörung, ordentliche kündigung, arbeitsgericht, sozialplan

Landesarbeitsgericht Hamm, 10 Sa 1095/09
Datum:
08.01.2009
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
10. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 Sa 1095/09
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Detmold, 2 Ca 224/09
Schlagworte:
Betriebsbedingte Kündigung; Sozialauswahl; Interessenausgleich;
Namensliste; Auswahlrichtlinien; Betriebsratsanhörung; Umfang der
Mitteilungspflicht des Arbeitgebers gegenüber dem Betriebsrat
Normen:
§ 1 Abs. 2 und 3 KSchG, § 102 BetrVG
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts
Detmold vom 24.07.2009 – 2 Ca 224/09 – wird auf Kosten der Beklagten
zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung.
2
Die am 25.09.1959 geborene, getrennt lebende Klägerin ist seit dem 01.10.2004 bei der
Beklagten, die ca. 260 Arbeitnehmer beschäftigt, als Reinigungskraft zu einem
monatlichen Bruttoverdienst von 1.700,00 € bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40
Stunden beschäftigt.
3
Am 13.09.2008 kündigte die Beklagte das mit der Klägerin bestehende Arbeitsverhältnis
aus verhaltensbedingten Gründen. Der von der Klägerin hiergegen erhobenen
Kündigungsschutzklage wurde vom Arbeitsgericht Detmold durch Urteil vom 18.02.2009
- 2 Ca 1227/08 - rechtskräftig stattgegeben.
4
Aufgrund eines Sanierungskonzepts "Konsolidierung Stand 04.12.2008" schloss die
Beklagte mit dem in ihrem Betrieb gewählten Betriebsrat am 26.10.2009 einen
Interessenausgleich (Bl. 25 ff. d. A.) ab, wonach vor dem Hintergrund der
nachlassenden Konjunktur und der zu erwartenden Rezession vorgesehen war, die
Belegschaft um bis zu 61 Arbeitnehmer zu reduzieren. Die Einzelheiten der Umsetzung
der Personalanpassung sind in § 3 des Interessenausgleichs vom 26.01.2009
niedergelegt. Darauf wird Bezug genommen. § 4 des Interessenausgleichs vom
5
26.01.2009 lautet wie folgt:
§ 4
6
Beteiligungsrechte des Betriebsrates
7
"1. Die Geschäftsleitung hat den Betriebsrat am 26.11.2008 schriftlich gem. § 17
Abs. 2 KSchG über die beabsichtigte Massenentlassung unterrichtet. Der
Betriebsrat hat seine schriftliche Stellungnahme gem. § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG
am 15.12.2008 gegenüber der Agentur für Arbeit abgegeben.
8
2. Die Beteiligungsrechte des Betriebsrates gem. § 102 BetrVG bleiben unberührt.
9
3. Die Betriebsparteien stimmen darin überein, dass die in der Anlage 1 zu
diesem Interessenausgleich namentlich aufgeführten 51 Mitarbeitern eine
betriebsbedingte Kündigung im Rahmen der hier beschlossenen
Betriebsänderung erhalten.
10
4. Bei weiteren namentlich nicht genannten 10 Arbeitnehmern erklärt der
Betriebsrat, dass er eine gesonderte Stellungnahme nach § 102 BetrVG abgibt."
11
Gleichzeitig schlossen die Betriebsbeteiligten am 26.01.2009 einen Sozialplan mit einer
Vereinbarung über eine Transfermaßnahme im Sinne des § 216 b SGB III (Bl. 20 ff. d.
A.) ab.
12
Dem Interessenausgleich und dem Sozialplan war eine Namensliste mit 51 Mitarbeitern
der Beklagten beigefügt (Bl. 24 d. A.).
13
In dieser Namensliste war die Klägerin nicht aufgeführt. Die Klägerin gehörte unstreitig
zu den in § 4 Nr. 4 des Interessenausgleichs genannten weiteren 10 Arbeitnehmern.
14
Mit einer "Sammelanhörung" vom 26.01.2009 (Bl. 28 ff. d.A.) hörte die Beklagte den
Betriebsrat zu der beabsichtigten Kündigung der Klägerin an. In der Sammelanhörung
vom 26.01.2009 ist u.a. ausgeführt:
15
"….
16
Bereich Reinigung:
17
Im Bereich Reinigung sind alle Mitarbeiter aufgelistet, die in dem Bereich tätig sind.
18
Dies vorausgeschickt hören wir Sie hiermit zu den von uns im Rahmen der
demzufolge erforderliche 1 Entlassung beabsichtigte betriebsbedingte, ordentliche
Kündigung an.
19
Im Einzelnen handelt es sich um die nachfolgend aufgeführten Arbeitnehmer:
20
Name
Vorname
Straße
Plz
Ort
M2
C2
S9 23
23456
B2
21
Die für die Anhörung erforderlichen Personaldaten können Sie der beigefügten
Anlagen entnehmen.
22
Vor dem Hintergrund des Personalabbaus, sind weniger Reinigungsarbeiten
durchzuführen, da auch Teilbereiche des Betriebes nicht mehr genutzt werden und
somit auch sanitäre Anlagen und Büroräume nicht mehr genutzt werden. Aus
diesem Grund fällt im Bereich Reinigung 1 Ganztagsarbeitsplatz weg. Bei der
Sozialauswahl haben wir berücksichtigt, dass Frau M2 nur anhand ihres Alters 8
Punkte mehr aufweist und beide Arbeitnehmer die gleiche Beschäftigungsdauer
haben, Frau S7 gegenüber Frau M2 sogar 0,7 Jahre mehr. Bei Frau S7 ist zu
berücksichtigen, dass diese alleinerziehend mit 1 Kind ist und somit aus unserer
Sicht sozialschutzwürdiger ist. Frau M2 hat keine unterhaltspflichtigen Kinder und ist
somit aus unserer Sicht zu kündigen.
23
…."
24
Im Übrigen wird auf den Inhalt der Sammelanhörung vom 26.01.2009 sowie auf die
Mitarbeiterliste des Bereichs Reinigung (Bl. 34 d. A.) Bezug genommen.
25
Mit Schreiben vom 28.01.2009 (Bl. 35 d. A.) widersprach der Betriebsrat der
beabsichtigten Kündigung der Klägerin mit folgender Begründung:
26
"Die Kollegin M2 ist im Bereich der Reinigungskräfte ausgewählt worden.
27
Bei der Kollegin M2 ist die Sozialauswahl falsch, 1 Kollegin von der Liste
Reinigungskräfte hat weniger Punkte als Frau M2.
28
Außerdem ist der Status "verheiratet" übersehen worden, von daher sind 8 Punkte
nicht zur Anrechnung gekommen.
29
Eine Reduzierung der Reinigungskräfte kommt für den Betriebsrat ohnehin nicht in
Frage, da sich der Reinigungsaufwand definitiv nicht verringern wird!
30
Zu dem ist noch eine Kündigungsschutzklage wegen einer verhaltensbedingten
Kündigung anhängig."
31
Daraufhin kündigte die Beklagte das mit der Klägerin bestehende Arbeitsverhältnis mit
Schreiben vom 29.01.2009 (Bl. 4 d. A.), der Klägerin zugegangen am 30.01.2009, zum
28.02.2009.
32
Hiergegen erhob die Klägerin am 18.02.2009 Kündigungsschutzklage zum
Arbeitsgericht.
33
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei sozialwidrig. Ihr
Arbeitsplatz sei nicht weggefallen. Der Reinigungsaufwand habe sich nicht verringert.
Bei der Beklagten sei nur eine Toilette geschlossen worden, und zwar allein aus
sanitären Gründen. Auch sei der Reinigungszyklus für nichtsanitäre Anlagen nicht
vergrößert worden.
34
Auch die Sozialauswahl sei fehlerhaft. Die von der Beklagten weiterbeschäftigte
Mitarbeiterin im Reinigungsbereich, Frau S7, sei weniger sozial schutzwürdig als sie,
die Klägerin. Nach den von der Beklagten mit dem Betriebsrat vereinbarten
Auswahlrichtlinien, wie sie in § 3 des Interessenausgleichs und in Ziffer 7 des
Sozialplans vom 26.01.2009 festgelegt worden seien, habe die Mitarbeiterin S7 eine
geringere Punktzahl, nämlich 45,1 Punkte, als sie, die Klägerin, die auf 53,6 Punkte
komme. Im Übrigen sei die Klägerin zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung noch
verheiratet gewesen. Nach den sozialen Auswahlkriterien hätte sie noch 8 Punkte mehr
bekommen müssen.
35
Darüber hinaus sei in den Auswahlrichtlinien das Alter im Verhältnis zur
Betriebszugehörigkeit viel zu hoch bewertet worden.
36
Auf die fehlerhafte Sozialauswahl habe bereits der Betriebsrat hingewiesen. Die
Beklagte verhalte sich selbst nicht nach den mit dem Betriebsrat ausgehandelten
Auswahlrichtlinien.
37
Die Klägerin hat beantragt,
38
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der
Beklagten vom 29.01.2009, zugegangen am 30.01.2009, zum 28.02.2009 nicht
aufgelöst worden ist.
39
Die Beklagte hat beantragt,
40
die Klage abzuweisen.
41
Sie hat die Auffassung vertreten, die ausgesprochene betriebsbedingte Kündigung sei
wirksam. Bei einer bisherigen Belegschaftsstärke von ca. 260 Mitarbeitern habe man
sich aufgrund des Interessenausgleichs und Sozialplan von insgesamt 61
Arbeitnehmern trennen müssen. Die Umstrukturierung im Produktionsbereich habe zur
Folge gehabt, dass auch weniger Reinigungsarbeiten anfielen. So seien die
Toilettenräume im Bereich des Werkes I zum Teil geschlossen worden, sodass eine
Reinigung hier nicht mehr erforderlich sei. Darüber hinaus sei der Reinigungszyklus für
die nichtsanitären Anlagen vergrößert worden, sodass Büro- und Aufenthaltsräume nicht
mehr in dem bisherigen Rhythmus gereinigt werden müssten. Die Verwaltung habe
darüber hinaus die Anweisung erhalten, die Papierkörbe selbst zu entleeren. Auch
hierdurch verringere sich der Reinigungsbedarf, sodass ein Arbeitsplatz im Bereich der
Reinigung weggefallen sei.
42
In der Sozialauswahl habe es dann die Klägerin treffen müssen.
43
Durch Urteil vom 24.07.2009 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben und zur
Begründung ausgeführt, die Kündigung vom 29.01.2009 sei sozialwidrig, weil die
Beklagte nicht substantiiert dargelegt habe, dass für einen weiteren Einsatz der Klägerin
kein Reinigungsbedarf mehr bestehe und die Einsatzmöglichkeiten der Klägerin
vollständig entfallen seien.
44
Gegen das der Beklagten am 29.07.2009 zugestellte Urteil, auf dessen Gründe
ergänzend Bezug genommen wird, hat die Beklagte am 19.08.2009 Berufung zum
45
Landesarbeitsgericht eingelegt und diese mit dem am 10.09.2009 beim
Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.
Die Beklagte ist nach wie vor der Auffassung, die ausgesprochene Kündigung sei sozial
gerechtfertigt. Hierzu behauptet sie, aufgrund der Umstrukturierung im Betrieb der
Beklagten habe sich auch der Reinigungsumfang verringert. Von der bisherigen Fläche
von 606,03 qm im sanitären Bereich seien insgesamt 318,03 qm außer Betrieb gesetzt
worden, sodass lediglich noch eine zu reinigende Fläche von 288 qm übrig bleibe. Dies
ergebe sich aus der Aufstellung "Reinigung sanitäre Anlagen und Flächenbereiche" (Bl.
73 d. A.).
46
Darüber hinaus habe die Beklagte entschieden, den Zyklus der Reinigungsarbeiten
aufgrund des verringerten Personalaufkommens zu verändern. Während früher Flure
und Treppen täglich gewischt, gefegt oder gesaugt worden seien, sei dieser Zyklus in
den meisten Bereichen auf einmal wöchentlich reduziert worden. Aus einer Aufstellung
der Beklagten vom 20.08.2009 (Bl. 74 f. d. A.) ergebe sich, dass eine Gesamtfläche von
1.397,15 qm nicht mehr täglich, sondern nur noch einmal in der Woche gewischt,
gesaugt oder gefegt werden müsse. Das Arbeitsaufkommen habe sich insoweit um 80
% verringert.
47
Insgesamt folge hieraus, dass im Bereich der Reinigungskräfte der
Beschäftigungsbedarf für eine Ganztagskraft entfallen sei. Die Klägerin könne sich auch
nicht darauf berufen, dass die verbleibenden Reinigungskräfte objektiv nicht mehr in der
Lage seien, in ihrer Arbeitszeit die geforderte regelmäßige Reinigungsleistung zu
erbringen. Dass die Hygiene auf den Toiletten zurzeit so schlecht sei, dass der
Betriebsarzt eine Mängelrüge erteilt habe, werde bestritten.
48
Die Pforte und die Kantine seien im Zuge der vorliegenden
Personalanpassungsmaßnahme geschlossen worden, sie müssten seither nicht mehr
gereinigt werden. Für die Reinigung der Hausmessen sei die Klägerin nicht zuständig
gewesen, bei Hausmessen würden externe Reinigungskräfte beschäftigt.
49
Auch die von der Beklagten getroffene Sozialauswahl sei zutreffend. Neben der
vollzeitbeschäftigten Klägerin seien bei der Beklagten im Reinigungsbereich Frau S7 in
Vollzeit und Frau S8 in Teilzeit beschäftigt worden. Zwar habe die Klägerin nach den
Auswahlrichtlinien mehr Punkte als die Mitarbeiterin S7 erreicht, jedoch habe die
Beklagte bei der erforderlichen nochmaligen Überprüfung sich zu Gunsten von Frau S7
ausgesprochen, weil diese neben der etwas längeren Beschäftigungsdauer
alleinerziehende Mutter sei und vor diesem Hintergrund durch Arbeitslosigkeit sozial
mehr betroffen gewesen sei als die Klägerin.
50
Schließlich sei auch die Anhörung des Betriebsrats ordnungsgemäß gewesen.
51
Die Beklagte beantragt,
52
das Urteil des Arbeitsgerichts Detmold vom 24.07.2009 – 2 Ca 224/09 –
abzuändern und die Klage abzuweisen.
53
Die Klägerin beantragt,
54
die Berufung zurückzuweisen.
55
Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und ist der Auffassung, die Beklagte habe
gegen die Prozessförderungspflicht verstoßen, indem sie erst in der Berufungsinstanz
zur Begründung der Kündigung vom 29.01.2009 trotz der arbeitsgerichtlichen Auflage
näher vorgetragen habe.
56
Dass die Reinigungsflächen sich verringert hätten, müsse nach wie vor bestritten
werden. Es seien weder 318,03 qm Sanitär-Flächen außer Betrieb gesetzt noch
sonstige Räume stillgelegt worden. Die Pforte und die Kantine seien bereits gut ein Jahr
vor der Kündigung der Klägerin geschlossen worden, diese Flächen hätten bereits seit
über einem Jahr nicht zur Reinigung angestanden. Insoweit behauptet die Klägerin,
weder zu Anfang des Jahres 2009 noch derzeit sei eine allgemeine Anweisung der
Beklagten an die Reinigungskräfte ergangen, die von der Beklagten nunmehr
vorgetragenen sanitären Anlagen und Flächenbereiche nicht mehr zu putzen. Die Flure
und Treppen täglich zu wischen, zu fegen und zu saugen, sei schon vor Ausspruch der
Kündigung nicht mehr möglich gewesen. Der Zyklus der Reinigungsarbeiten sei nicht
verringert worden. Angebliche Organisationsänderungen gebe es nicht. Die
Auflistungen Bl. 73 und 74 der Akten seien offenbar lediglich für das Berufungsverfahren
gefertigt worden. Entsprechende Anweisungen an die Reinigungskräfte gebe es nicht.
57
Die Klägerin behauptet ferner, es gebe bereits Beschwerden über unzumutbare
unhygienische Zustände im Betrieb, vor allem im Bereich der Sanitäranlagen. Der
Betriebsarzt Dr. v3 O1 habe bereits bei einem Betriebsrundgang am 22.09.2009
erhebliche Mängel bei der Hygiene festgestellt.
58
Die Beklagte habe auch völlig unberücksichtigt gelassen, dass bei den zahlreichen
Hausmessen der Beklagten Reinigungsarbeiten anfielen, die von den drei
Mitarbeiterinnen im Reinigungsbereich hätten erledigt werden müssen.
59
Unklar bleibe auch, wer denn nach einem etwaigen Ausscheiden der Klägerin die
umfangreichen Reinigungsarbeiten im Betrieb der Beklagten durchführen solle. Neben
der Vollzeitkraft Frau S7 sei lediglich die Teilzeitkraft Frau S8, die geringfügig
beschäftigt sei und deren Arbeitszeit nur wenige Stunden pro Woche betrage, tätig.
Diese beiden Mitarbeiterinnen seien nicht in der Lage, die geforderten regelmäßigen
Reinigungsleistungen im gesamten Betrieb der Beklagten zu erbringen. Dies gelte
insbesondere in der Urlaubszeit.
60
Schließlich fehle es auch an einer ordentlichen Anhörung des Betriebsrats zur
Kündigung der Klägerin. Dass es Organisationsveränderungen im Reinigungsbereich
gegeben habe und der Reinigungszyklus geändert worden sei, sei dem Betriebsrat nicht
vorgetragen worden. Wie bei den übrigen zu kündigenden Arbeitnehmern habe sich die
Beklagte bei der Darstellung der Kündigungsgründe in der "Sammelanhörung"
gegenüber dem Betriebsrat lediglich auf die schlechte wirtschaftliche Lage des
Unternehmens bezogen. Eine ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats zur
Kündigung gerade der Klägerin liege nicht vor.
61
Im Übrigen wird auf den weiteren Inhalt der von den Parteien gewechselten Schriftsätze
nebst deren Anlagen ergänzend Bezug genommen.
62
Entscheidungsgründe:
63
Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet.
64
Die gegen die Kündigung vom 29.01.2009 gerichtete Kündigungsschutzklage der
Klägerin ist begründet.
65
Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis ist durch die Kündigung der
Beklagten vom 29.01.2009 nicht wirksam zum 28.02.2009 aufgelöst worden. Dies hat
das Arbeitsgericht in dem angefochtenen Urteil zutreffend festgestellt.
66
I.
67
Die Unwirksamkeit der Kündigung vom 29.01.2009 ergibt sich schon aus § 102 Abs. 1
Satz 3 BetrVG. Die Kündigung vom 29.01.2009 ist wegen fehlerhafter
Betriebsratsanhörung unwirksam.
68
1. Nach § 102 Abs. 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung unter Mitteilung der
Gründe zu hören. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist
unwirksam, § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG. Die Unwirksamkeit der Kündigung tritt dabei
nicht nur dann ein, wenn der Arbeitgeber den Betriebsrat vor der Kündigung überhaupt
nicht angehört hat, sondern auch dann, wenn er ihn nicht richtig beteiligt hat,
insbesondere, wenn er seiner Unterrichtungspflicht nicht ausführlich genug
nachgekommen ist (BAG 22.09.1994 – 2 AZR 31/94 – AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 68;
BAG 17.02.2000 – 2 AZR 913/98 – AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 113; BAG 06.10.2005 – 2
AZR 316/04 – AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 150).
69
Bei der Einleitung des Anhörungsverfahrens hat der Arbeitgeber dem Betriebsrat
grundsätzlich zunächst die Personalien des zu kündigenden Arbeitnehmers, die
Kündigungsart sowie die Kündigungsgründe mitzuteilen. Zu den mitzuteilenden
Sozialdaten gehören auch grundsätzlich die Beschäftigungsdauer des zu kündigenden
Arbeitnehmers sowie die Art der Kündigung und grundsätzlich auch die Kündigungsfrist
sowie der Zeitpunkt, zu dem gekündigt werden soll (vgl. statt aller: KR/Etzel, 9. Aufl., §
102 BetrVG Rn. 58 ff.; Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im
Arbeitsverhältnis, 9. Aufl., Rn. 396, 398 f. m.w.N.).
70
Darüber hinaus muss der Betriebsrat über die Gründe für die Kündigung in
ausreichender Weise unterrichtet werden. Das Anhörungsverfahren hat den Sinn, dem
Betriebsrat Gelegenheit zu geben, seine Überlegungen zur Kündigungsabsicht dem
Arbeitgeber zur Kenntnis zu bringen. Die Anhörung soll in geeigneten Fällen dazu
beitragen, dass es erst gar nicht zum Ausspruch einer Kündigung kommt. Aus diesem
Sinn und Zweck der Anhörung folgt für den Arbeitgeber die Verpflichtung, die Gründe für
seine Kündigungsabsicht derart mitzuteilen, dass er dem Betriebsrat eine nähere
Umschreibung des für die Kündigung maßgeblichen Sachverhalts gibt. Die
Kennzeichnung des Sachverhalts muss so umfassend sein, dass der Betriebsrat ohne
eigene Nachforschungen in der Lage ist, selbst die Stichhaltigkeit der
Kündigungsgründe zu prüfen und sich ein Bild zu machen. Der Arbeitgeber genügt
daher der ihm obliegenden Mitteilungspflicht nicht, wenn er den Kündigungssachverhalt
nur pauschal, schlag- oder stichwortartig umschreibt oder lediglich ein Werturteil abgibt,
ohne die für seine Bewertung maßgebenden Tatsachen mitzuteilen (BAG 02.11.1983 –
7 AZR 65/82 – AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 29; BAG 05.12.2002 – 2 AZR 697/01 – AP
KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 60; BAG 06.10.2005 – 2 AZR 316/04 – AP
BetrVG 1972 § 102 Nr. 150; KR/Etzel, a.a.O., § 102 BetrVG Rn. 62 ff.;
71
Stahlhacke/Preis/Vossen, a.a.O., Rn. 403; APS/Koch, Kündigungsrecht, 3. Aufl., § 102
BetrVG Rn. 104; WPK/Preis, BetrVG, 4. Aufl., § 102 Rn. 50; ErfK/Kania, 10. Aufl., § 102
BetrVG Rn. 9 m.w.N.).
2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze erweist sich die Kündigung vom
29.01.2009 bereits wegen unzureichender Anhörung des Betriebsrats als unwirksam.
72
a) Dem Betriebsrat sind zwar die Personalien der zu kündigenden Klägerin und ihre
grundlegenden Sozialdaten bekannt gewesen. Der "Sammelanhörung" vom 26.01.2009
hatte die Beklagte eine Liste der beschäftigten Mitarbeiterinnen aus dem Bereich
Reinigung (Bl. 34 d. A.) beigefügt. Aus dieser Aufstellung ergibt sich sowohl der
Familienstand, die Anzahl der zu betreuenden Kinder, das Geburtsdatum und die
Betriebszugehörigkeit der Klägerin sowie der weiteren im Reinigungsbereich
betroffenen Mitarbeiterinnen.
73
b) Die Wirksamkeit der Anhörung des Betriebsrates scheitert jedoch an der
unzureichenden Mitteilung der Kündigungsgründe gerade der Klägerin.
74
In der "Sammelanhörung" vom 26.01.2009 ist gegenüber dem Betriebsrat zur
Begründung der betriebsbedingten Kündigung der Klägerin lediglich vorgetragen
worden, dass "vor dem Hintergrund des Personalabbaus … weniger
Reinigungsarbeiten durchzuführen seien, da auch Teilbereiche des Betriebes nicht
mehr genutzt werden und somit auch sanitäre Anlagen und Büroräume nicht mehr
genutzt werden." Aus diesem Grunde falle im Bereich Reinigung ein
Ganztagsarbeitsplatz weg. Diese Begründung ist unzureichend. Auch bei einer
betriebsbedingten Kündigung muss dem Betriebsrat im Einzelnen mitgeteilt werden,
inwiefern und aus welchen Gründen der Arbeitsplatz des zu kündigenden
Arbeitnehmers wegfällt; pauschale Hinweise auf Auftragsmangel, Arbeitsmangel oder
Rationalisierungsmaßnahmen genügen nicht. Selbst bei Vorliegen eines
Interessenausgleichs mit Namensliste nach § 1 Abs. 5 KSchG unterliegt die
Betriebsratsanhörung gemäß § 102 BetrVG grundsätzlich keinen erleichternden
Anforderungen (BAG 28.08.2003 – 2 AZR 377/02 – AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 134;
BAG 23.10.2008 – 2 AZR 163/07 – AP KSchG 1969 § 1 Namensliste Nr. 18; WPK/Preis,
a.a.O., § 102 Rn. 54). Auch der bloße Hinweis auf eine getroffene Unternehmer-
entscheidung oder die Mitteilung bloßer wirtschaftlicher Motive reichen grundsätzlich
nicht aus (LAG Hamm 30.09.1999 – 16 Sa 2598/98 – LAGE BetrVG § 102 Nr. 73).
75
Unter Beachtung dieser Grundsätze sind in der Sammelanhörung vom 26.01.2009 die
dem Betriebsrat angegebenen Kündigungsgründe nur unzureichend dargestellt worden.
Für den vorliegenden Fall besteht schon die Besonderheit, dass bei der
"Sammelanhörung" für 51 Mitarbeiter eine Namensliste bestand und dennoch 61
Arbeitnehmer entlassen werden sollten, wobei die Klägerin nicht auf der Namensliste
enthalten war. Gerade im Hinblick auf die personelle Verringerung des
Reinigungsbereichs, der auch nicht in § 3 Nr. 3 des Interessenausgleichs vom
26.01.2009 ausdrücklich benannt worden ist, und der daraus folgenden beabsichtigten
Kündigung der Klägerin fehlt es an näheren Darlegungen gegenüber dem Betriebsrat,
inwieweit und aus welchen Gründen aufgrund der Personalanpassungsmaßnahme
weniger Reinigungsarbeiten erforderlich sind und von den bisherigen Arbeitsplätzen im
Reinigungsbereich ein Ganztagsarbeitsplatz wegfallen soll. Allein der Hinweis darauf,
dass "Teilbereiche des Betriebes" und "somit auch sanitäre Anlagen und Büroräume"
nicht mehr genutzt würden, ist unzureichend. Auch gegenüber dem Betriebsrat hätte die
76
Beklagte die Auswirkungen der innen- oder außerbetrieblichen Gründe auf den
Arbeitsplatz des zu kündigenden Arbeitnehmers darstellen müssen. Allein daraus, dass
die in § 3 Nr. 3 des Interessenausgleichs angesprochenen Bereiche von
Personalmaßnahmen betroffen waren, ergibt sich nicht automatisch, dass auch
Reinigungsarbeiten zukünftig nicht mehr im bisherigen Umfang weiter anfielen. Die
Beklagte hätte insoweit gegenüber dem Betriebsrat näher darstellen müssen, inwieweit
es im Reinigungsbereich Veränderungen des Arbeitsablaufs und/oder eine gewisse
Leistungsverdichtung geben würde. Insbesondere wenn ein Arbeitgeber eine
beabsichtigte Kündigung auf innerbetriebliche Gründe stützen will und er eine
sogenannte gestaltende Unternehmerentscheidung getroffen hat, sind dem Betriebsrat
der zukünftige Arbeitsablauf und dessen Auswirkungen auf die Arbeitsplätze
darzustellen. Dies gilt insbesondere in den Fällen der Leistungsverdichtung und
Veränderungen des Arbeitsablaufs aufgrund Rationalisierungsmaßnahmen. Die Art der
getroffenen Unternehmerentscheidung und der geänderte tatsächliche Betriebsablauf
müssen für den Betriebsrat erkennbar werden (APS/Koch, a.a.O., § 102 Rn. 109 a).
Ferner gehört im Fall einer umstrukturierenden Unternehmerentscheidung zu einer
ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats die Mitteilung, weshalb oder zumindest
dass deren Umsetzung ohne überobligatorische Leistungen der verbleibenden
Arbeitnehmer möglich ist (BAG 23.11.2000 – 2 AZR 617/99 – AP KSchG 1969 § 2 Nr.
63; HaKo/Nägele, Kündigungsschutzrecht, 3. Aufl., § 102 BetrVG Rn. 105). Auch
insoweit enthält die Sammelanhörung der Beklagten gegenüber dem Betriebsrat vom
26.01.2009 keine Angaben. Die Beklagte hat gegenüber dem Betriebsrat insbesondere
nicht näher dargelegt, in welchen Bereichen zukünftig eine Reinigung nicht mehr
erforderlich ist. Ferner hat sie gegenüber dem Betriebsrat nicht dargestellt, dass und in
welcher Form der Reinigungszyklus demnächst verändert werden sollte und dass
weitere Maßnahmen getroffen worden seien – Wegfall der Papierkorbleerung -, durch
den sich die Arbeiten im Reinigungsbereich verringerten.
Dass die Angaben gegenüber dem Betriebsrat im Rahmen der Sammelanhörung vom
26.01.2009 unzureichend gewesen sind, wird schon durch den Widerspruch des
Betriebsrats vom 28.01.2009 bestätigt. Der Betriebsrat hat im Schreiben vom 28.01.2009
bereits ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich der Reinigungsaufwand ohnehin
nicht verringern werde. Darüber hinaus ist auch auffällig, dass die Beklagte im
gesamten erstinstanzlichen Verfahren zum Ablauf der angeblich geänderten
Reinigungstätigkeit nur höchst unzureichend vorgetragen hat. Erst im
Berufungsverfahren sind hierzu nähere Angaben gemacht worden. Dass sich der
Reinigungszyklus im Betrieb der Beklagten geändert habe, wird erst-malig mit
Schreiben vom 20.08.2009 (Bl. 74 d. A.) näher dargestellt. Die streitige Kündigung
datiert jedoch bereits vom 29.01.2009. Gerade weil die Beklagte die Kündigung
gegenüber der Klägerin auch auf den geänderten Reinigungszyklus stützen will, hätte
sie gegenüber dem Betriebsrat hierzu eingehendere Angaben machen müssen. Die
organisatorischen Maßnahmen der Beklagten, die zum Wegfall des Arbeitsplatzes der
Klägerin führen sollen, hätten bereits gegenüber dem Betriebsrat näher dargestellt und
zumindest in Grundzügen näher erläutert werden müssen. In der Sammelanhörung vom
26.01.2009 sind die Gründe für die Kündigung der Klägerin nur stichwortartig
angesprochen, nicht aber in einer Weise dargestellt, dass der Betriebsrat sich ohne
eigene Nachforschungen ein Bild hiervon machen konnte.
77
2. Ergänzend weist die Berufungskammer darauf hin, dass – unabhängig von der
ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung – auch die Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3
KSchG unzureichend erscheint.
78
Die Beklagte hat mit dem in ihrem Betrieb gewählten Betriebsrat insoweit
Auswahlrichtlinien in § 3 Nr. 5 des Interessenausgleichs vom 26.01.2009, Ziffer 7 des
Sozialplans vom 26.01.2009 gemäß § 1 Abs. 4 KSchG und § 95 Abs. 1 Satz 1 BetrVG
festgelegt. Nach diesen Richtlinien, die im Wesentlichen dem in der Entscheidung des
Bundesarbeitsgerichts vom 09.11.2006 (- 2 AZR 812/05 - AP KSchG 1969 § 1 Soziale
Auswahl Nr. 87) zugrunde liegenden Punktesystem entsprechen, war aber die Klägerin,
die eine Gesamtpunktzahl von 53,6 Punkte erreichte, wesentlich schutzwürdiger als die
Mitarbeiterin S7 mit einer Gesamtpunktzahl von 45,1 Punkte. Hierbei ist der Umstand,
dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Kündigung – wenn auch getrennt lebend mit
Lohnsteuerklasse 1 – verheiratet gewesen ist, bereits nicht berücksichtigt worden.
Hiernach hätte die Beklagte nach den von ihr selbst mit dem Betriebsrat vereinbarten
Auswahlrichtlinien statt der sozial schutzwürdigeren Klägerin die Mitarbeiterin S7
entlassen müssen, wenn tatsächlich ein Arbeitsplatz im Reinigungsbereich weggefallen
wäre.
79
Die von ihr getroffene Sozialauswahl kann die Beklagte auch nicht damit rechtfertigen,
dass man sich bei einer nochmaligen Einzelfallüberprüfung zu Gunsten der Mitarbeiterin
S7 ausgesprochen habe, weil diese neben einer etwas längeren Beschäftigungsdauer
alleinerziehende Mutter sei. Verwendet ein Arbeitgeber im Rahmen der Sozialauswahl
ein mit dem Betriebsrat festgelegtes Punktesystem, ist insoweit eine abschließende
Einzelfallbetrachtung und individuelle Abschlussprüfung nicht mehr erforderlich (BAG
09.11.2006 – 2 AZR 812/05 – AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 87). Durch die
mit dem Betriebsrat vereinbarten Auswahlrichtlinien tritt für den Arbeitgeber eine
Selbstbindung ein, von der er zum Schutz des Arbeitnehmers nicht willkürlich
abweichen darf (KR/Griebeling, a.a.O., § 1 KSchG Rn. 678 k; HaKo/Gallner, a.a.O., § 1
KSchG Rn. 782). Die um neun Monate längere Betriebszugehörigkeit der Mitarbeiterin
S7 gegenüber der Klägerin und deren Unterhaltsverpflichtung für ein Kind sind im
vorliegenden Fall aber bereits bei der Ermittlung der Gesamtpunktzahl berücksichtigt
worden. Aufgrund der von der Beklagten vorgenommenen nochmaligen
Einzelfallüberprüfung hat die Beklagte die – nur geringfügige – längere
Betriebszugehörigkeit der Mitarbeiterin S7 und deren Unterhaltsverpflichtung für ein
Kind entgegen den Auswahlrichtlinien zu Lasten der Klägerin doppelt berücksichtigt.
80
Auf die Frage, ob sich das Arbeitsaufkommen im Reinigungsbereich im Betrieb der
Beklagten erheblich verringert hat, wie die Beklagte im Berufungsverfahren behauptet,
und hierdurch ein Arbeitsplatz im Reinigungsbereich entfallen ist, kam es nach alledem
nicht mehr an.
81
III.
82
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Beklagte hat die Kosten
des erfolglos gebliebenen Berufungsverfahrens zu tragen. Der Streitwert hat sich in der
Berufungsinstanz nicht geändert, § 63 GKG.
83
Für die Zulassung der Revision zum Bundesarbeitsgericht bestand nach § 72 Abs. 2
ArbGG keine Veranlassung.
84