Urteil des LAG Hamm vom 19.09.2007

LArbG Hamm (firma, kündigung, betriebsrat, kläger, arbeitsverhältnis, betriebsübergang, anhörung, garten, arbeitnehmer, mitarbeiter)

Landesarbeitsgericht Hamm, 2 Sa 1844/06
Datum:
19.09.2007
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 Sa 1844/06
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Paderborn, 1 Ca 925/06
Normen:
§§ 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG, 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 128 Abs. 2 InsO, 613
a Abs. 1 Satz 1 BGB
Leitsätze:
Der Insolvenzverwalter muss die tatbestandlichen Voraussetzungen für
das Eingreifen der Vermutungswirkung gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
InsO, nämlich das Vorliegen einer Betriebsänderung i.S.v. § 111 Satz 3
BetrVG, darlegen und beweisen. Die
Vermutungswirkung tritt nicht ein, wenn ein Interessenausgleich mit
Namensliste wegen vollständiger Stilllegung des Betriebes geschlossen
worden ist, die betrieblichen Aktivitäten aber tatsächlich zumindest
teilweise von einer "Auffanggesellschaft" fortgesetzt worden sind.
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts
Paderborn vom 12.10.2006 - 1 Ca 925/06 - abgeändert.
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die
Kündigung des Beklagten vom 26. Juni 2006 zum 30. September 2006
nicht aufgelöst worden ist.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten darum, ob das Arbeitsverhältnis durch die betriebsbedingte
Kündigung des Beklagten vom 26.06.2006 fristgemäß zum 30.09.2006 beendet worden
ist.
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Der am 21.09.1947 geborene Kläger, der verheiratet ist und zwei Kinder hat, war seit
1988 bei der in H2 ansässigen Firma R2 N1 L1- und S2 GmbH, die etwa 70
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Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigte, als LKW-Fahrer gegen eine monatliche
Vergütung von 2.300,00 € brutto tätig.
Die R2 N1 L1- und S2 GmbH beantragte am 26.04.2006 die Eröffnung des
Insolvenzverfahrens und kündigte am selben Tag ohne Anhörung des Betriebsrats und
ohne Erstattung einer Massenentlassungsanzeige die Arbeitsverhältnisse aller
Beschäftigten. Am 27.04.2006 wurde der Beklagte als vorläufiger Insolvenzverwalter
eingesetzt und am 01.06.2006 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum
Insolvenzverwalter bestellt. Dieser schloss mit dem Betriebsrat am 21.06.2006 einen
Interessenausgleich mit einer beigefügten Namensliste der zu kündigenden
Arbeitnehmer. Darin heißt es, der Geschäftsbetrieb des schuldnerischen Unternehmens
sei im Vorfeld der Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwalter durch die
Geschäftsführung am 26.04.2006 endgültig und vollständig eingestellt worden. Unter
gleichzeitiger Freistellung von der Verpflichtung ihrer Arbeitsleistung seien die
Arbeitsverhältnisse sämtlicher Arbeitnehmer von der Insolvenzschuldnerin gekündigt
worden. Da Aussichten zur Fortführung des schuldnerischen Unternehmens nicht
bestünden, jedoch die Anhörung des Betriebsrats vor den von der Geschäftsführung
ausgesprochenen Kündigungen unterblieben sei, sei der Beklagte gehalten, die
Kündigung sämtlicher Arbeitsverhältnisse auszusprechen.
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Bezüglich der Anhörung des Betriebsrats heißt es unter II des Interessenausgleichs:
5
"Der Betriebsrat bestätigt, dass er im betriebsverfassungsrechtlichen
Anhörungsverfahren, welches mit Übergabe des Anhörungsschreibens vom
09.06.2006 eingeleitet wurde, hinsichtlich der auszusprechenden Kündigungen
ordnungsgemäß angehört worden ist.
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Dem Betriebsrat wurde im Rahmen der Anhörung durch den Insolvenzverwalter
ausführlich dargestellt, dass eine Fortführung des Unternehmens nicht mehr
möglich und deshalb für die in der
Anlage
Kündigung auszusprechen ist."
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Der Betriebsratsvorsitzende hat den Erhalt der gesonderten Anhörungsschreiben vom
09.06.2006 und 21.06.2006 bestätigt.
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Der Kläger bestreitet die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats und macht
geltend, das Unternehmer der Insolvenzschuldnerin sei keineswegs stillgelegt worden,
sondern werde an gleicher Stelle von einer neu gegründeten Firma N1 und L3 GmbH in
den bisherigen Räumlichkeiten und mit den bisherigen Kunden fortgeführt. Die Firma
N1 und L3 GmbH habe einen wesentlichen Teil der Arbeitnehmer, Fahrzeuge und
Arbeitsgeräte der Insolvenzschuldnerin übernommen. Die Firma N1 und L3 GmbH sei
nach Darstellung in der örtlichen Presse ausdrücklich als Auffanggesellschaft gegründet
worden, um die wesentlichen Aktivitäten der Insolvenzschuldnerin fortzuführen. Die
Firma N1 und L3 werbe als Nachfolgerin der Firma R2 N1 L1- und S2 GmbH mit "Neuer
Name – alt bewährte Qualität". Bezeichnenderweise sei das Pressefoto unter dem alten
Firmenschild aufgenommen worden.
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Der Gesellschaftsvertrag über die Gründung der Firma N1 und L3 GmbH ist am
24.04.2006 geschlossen worden. Geschäftsgegenstand ist danach die Ausführung von
Arbeiten des Garten- und Landschaftsbaus sowie sonstiger Arbeiten im Bereich Garten-
und Landschaftspflege. Die Firma N1 und L3 GmbH nahm ihre Geschäftstätigkeit nach
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dem Pressebericht vom 19.07.2006 (Bl. 92 d.A.) im Mai 2006 mit dreizehn Mitarbeitern
und sieben Auszubildenden auf, die vormals bei der Insolvenzschuldnerin tätig waren.
Sie beschäftige Ende 2006 insgesamt 30 ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
der Insolvenzschuldnerin.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie der im ersten
Rechtszuge gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils
Bezug genommen.
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Das Arbeitsgericht hat die Klage durch Urteil vom 12.10.2006 abgewiesen und zur
Begründung ausgeführt, die Kündigung sei gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sozial
gerechtfertigt. Aufgrund des Interessenausgleichs mit Namensliste sei die
Betriebsbedingtheit der Kündigung zu vermuten. Die Vermutungswirkung erstrecke sich
auch darauf, dass die Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht wegen einer
Betriebsübergangs erfolgt sei. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für das Eingreifen
der Vermutungswirkung gemäß § 125 Abs.1 InsO habe der Beklagte hinreichend
dargelegt. Dem Kläger sei es nicht gelungen, dies zu widerlegen. Den von ihm
behaupteten Betriebsübergang habe er nicht hinreichend konkret dargelegt und unter
Beweis gestellt. Der Betriebsrat sei ordnungsgemäß angehört und die
Massenentlassungsanzeige vor Ausspruch der Kündigung erstattet worden. Wegen der
weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts Bezug
genommen.
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Der Kläger will mit seiner Berufung die Unwirksamkeit der angegriffenen Kündigung
feststellen lassen. Er hat inzwischen die angebliche Betriebserwerberin, die Firma N1
und L3 GmbH, auf Weiterbeschäftigung in Anspruch genommen. In dem deswegen
beim Arbeitsgericht Paderborn anhängigen Verfahren 3 Ca 859/06 ist beschlossen
worden, neuen Termin auf Antrag einer Partei zu bestimmen, um zunächst den Ausgang
des vorliegenden Verfahrens abzuwarten.
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Der Kläger trägt zur Begründung seines Rechtsmittels vor, der Beklagte könne sich nicht
auf die Vermutungswirkung des § 125 InsO berufen, denn die Betriebsänderung sei
schon vor Abschluss des Interessenausgleichs am 26.04.2006 mit den Kündigungen
und Freistellungen aller Mitarbeiter vollzogen worden. Er bestreite, dass eine
Namensliste überhaupt vorgelegen habe und diese mit dem Interessenausgleich fest
verbunden gewesen sei. Er bestreite das Vorliegen eines Betriebsratsbeschlusses über
den Abschluss eines Interessenausgleichs. Der Betriebsrat sei nicht ordnungsgemäß
angehört worden, denn dieser sei über die Gründung und die Aktivitäten der Firma N1
und L3 GmbH nicht hinreichend unterrichtet worden. Da der Beklagte das
Anhörungsschreiben vom 09.06.2006 nicht vorgelegt habe, bestreite er dessen
Existenz. Aus dem vorgelegten Protokoll über die Anhörung des Betriebsrats ergebe
sich nicht dessen abschließende Äußerung. Deshalb sei die Kündigung unwirksam,
weil sie vor Ablauf der Wochenfrist ausgesprochen worden sei. Anders als vom
Arbeitsgericht angenommen habe er genügend konkrete Tatsachen für einen
Betriebsübergang auf die Firma N1 und L3 GmbH vorgetragen, deren Geschäftsführer
bereits bei der Insolvenzschuldnerin in verantwortlicher Position tätig gewesen seien.
Die Firma N1 und L3 GmbH sei in den gleichen Geschäftsbereichen tätig wie die
Insolvenzschuldnerin. Mit der Einstellung der Geschäfte der Insolvenzschuldnerin sei
gleichzeitig ein neues, inhaltlich gleichartiges Unternehmen gegründet worden, welches
die bisherige Tätigkeit der Insolvenzschuldnerin identisch fortführe. Die Firma N1 und
L3 GmbH sei in den Räumen der Insolvenzschuldnerin tätig, nutze deren
14
Betriebsgelände und deren Arbeitsgeräte sowie die Bürotechnik. Sie habe auch
Aufträge der Insolvenzschuldnerin fortgeführt, nämlich die Bebauung eines großen
Parkplatzes der Firma P2 in B4, die A1-Parkplätze in K2, W1 und D3 sowie Bauarbeiten
in H2 am T2. Sie habe den Kundenstamm der Insolvenzschuldnerin übernommen und
werbe nach außen hin als deren Nachfolgerin.
Der Kläger beantragt,
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unter Abänderung des am 12.10.2006 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts
Paderborn – 1 Ca 925/06 – festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des
Klägers durch die Kündigung des Beklagten vom 26.06.2006 zum 30.09.2006
nicht aufgelöst worden ist.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
18
Der Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil und tritt dem Vorbringen des Klägers
entgegen. Er trägt ergänzend vor, der Betriebsrat sei über die Kündigungsgründe
ordnungsgemäß unterrichtet worden. Er habe dem Betriebsrat am 21.06.2006 mitgeteilt,
dass die Geschäftstätigkeit der Insolvenzschuldnerin nach der Stilllegung des Betriebes
durch die Geschäftsführung am 26.04.2006 nicht in Betracht gekommen sei, weil die
kommunalen Auftraggeber von ihrem Sonderkündigungsrecht gemäß § 8 Nr. 2 VOB/B
Gebrauch gemacht hätten. Die Neugründung der Firma N1 und L3 sei dem Betriebsrat
bekannt gewesen. Die Geschäftsgegenstände der Insolvenzschuldnerin und der Firma
N1 und L3 seien nicht identisch, denn die Insolvenzschuldnerin habe sich neben der
Garten- und Landschaftspflege sowie dem Sportstättenbau schwerpunktmäßig mit
Straßen- und Tiefbau befasst. Die Immobilien, Betriebsmittel und Fahrzeuge seien von
der Einzelfirma des Geschäftsführers der Insolvenzschuldnerin angemietet worden.
Inwieweit diese Betriebsmittel von der Firma N1 und L3 genutzt würden, entziehe sich
seiner Kenntnis. Sollte Baustellen von der Firma N1 und L3 fortgesetzt worden sein, sei
dies ebenfalls ohne seine Kenntnis geschehen. Der Betriebsrat habe den Kündigungen
am 21.06.2006 zugestimmt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
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Die zulässige Berufung ist begründet. Der Klage ist stattzugeben.
22
I
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Die Kündigung des Beklagten vom 26.06.2006 ist gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG
sozialwidrig, denn sie ist nicht durch dringende betriebliche Gründe, die einer
Weiterbeschäftigung des Klägers entgegenstehen, bedingt. Die tatbestandlichen
Voraussetzungen für das Eingreifen der Vermutungswirkung gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 InsO liegen nicht vor.
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II
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1. Die Betriebsbedingtheit der Kündigung ist gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 InsO zu
vermuten, wenn eine Betriebsänderung i.S.v. § 111 BetrVG geplant ist und deswegen
zwischen Betriebsrat und Insolvenzverwalter ein Interessenausgleich mit Namensliste
zustande kommt. Die Vermutungswirkung tritt nicht bereits durch den Abschluss des
Interessenausgleichs ein, sondern erst dann, wenn die objektiven Voraussetzungen
einer Betriebsänderung gemäß § 111 BetrVG vorliegen. Handelt es sich nicht um eine
Betriebsänderung, sondern in Wahrheit um einen Betriebsübergang, greift § 125 InsO
nicht ein (BAG vom 28.08.2003 – 2 AZR 377/02, ZIP 2004, 525 = DB 2004, 937; LAG
Düsseldorf vom 23.01.2003 – 11 (12) Sa 1057/02, ZinsO 2004, 1271 sowie BAG vom
29.09.2005 – 8 AZR 647/04, NZA 2006, 720). Der Insolvenzverwalter muss im Streitfall
beweisen, dass Anlass für den Interessenausgleich eine Betriebsänderung i.S.v. § 111
Satz 3 Nrn. 1 bis 5 BetrVG war. Der Insolvenzverwalter kann die gesetzliche
Vermutungswirkung daher nicht in Anspruch nehmen, wenn die von ihm behauptete
Betriebsänderung tatsächlich nicht vorliegt (Uhlenbruch/Berscheid, InsO, 12. Aufl., § 125
Rdnr. 17; MünchKommInsO-Löwisch/Caspers, 2. Aufl., § 125 Rdnr. 65; Gottwald-
Heinze/Bertram, Insolvenzrechts-Handbuch, 3. Aufl., § 107 Rdnr. 87). Die
Betriebsänderung muss nicht zwingend auf Planungen des Insolvenzverwalters
zurückgehen, sondern der Insolvenzverwalter kann den Interessenausgleich auch
bezüglich einer von der Insolvenzschuldnerin geplanten oder durchgeführten
Betriebsänderung abschließen (MünchKommInsO-Löwisch-Caspers, 2. Aufl., § 125
Rdnr. 66).
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2. Vorliegend ist der Betrieb der Insolvenzschuldnerin tatsächlich nicht stillgelegt
worden, sondern er wird zumindest teilweise von der Firma N1 und L3 GmbH fortgeführt.
Die erforderliche Auflösung der Betriebsgemeinschaft und der Betriebsorganisation hat
nicht stattgefunden, denn die betriebliche Aktivitäten werden an gleicher Stelle von der
als Auffanggesellschaft gegründeten Firma N1 und L3 GmbH fortgesetzt. Der im
Interessenausgleich genannte Grund, nämlich die endgültige und vollständige
Einstellung des Geschäftsbetriebes durch die Geschäftsführung der
Insolvenzschuldnerin am 26.04.2006 liegt nicht vor. Es ist nämlich unwidersprochen
geblieben, dass die bereits am 24.04.2006 gegründete Firma N1 und L3 nach außen hin
als Nachfolgerin der Insolvenzschuldnerin auftritt, einen Teil der vormals bei der
Insolvenzschuldnerin tätigen Mitarbeiter beschäftigt, deren Räumlichkeiten, Fahrzeuge
und Arbeitsgeräte nutzt und in ähnlicher Form wie es die Insolvenzschuldnerin getan hat
sich mit Garten- und Landschaftsbau befasst. Ob ein Betriebsübergang gemäß § 613 a
Abs. 1 Satz 1 BGB gegeben ist, wofür einiges spricht, kann im vorliegenden Verfahren
offenbleiben. Fest steht jedenfalls, dass der Betrieb der Insolvenzschuldnerin nicht
komplett aufgelöst worden ist, sondern in ähnlicher Form und mit reduzierter
Personalstärke fortgeführt wird. Die vom Kläger dazu vorgelegten
Presseveröffentlichungen sprechen eine deutliche Sprache. Danach hat die Firma N1
und L3 als Garten- und Landschaftsbau ihre Aktivitäten bereits Anfang Mai begonnen
und die Anzahl der beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Laufe des
Jahres 2006 auf mindestens dreißig Mitarbeiter und sechs Auszubildende aufgestockt
(s. den Presseartikel vom 19.07.2006 Bl. 92 d.A.). Dabei war es das Ziel der neu
gegründeten GmbH, das Vertrauen der Kunden in die Marke "N1" zur
Auffanggesellschaft hinüberzuretten. Vor diesem Hintergrund ist es allenfalls zu einer
Betriebseinschränkung i.S.v. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG gekommen, nicht aber wie es im
Interessenausgleich steht zu einer kompletten Auflösung und Stilllegung des Betriebes
der Insolvenzschuldnerin. Bei Abschluss des Interessenausgleichs am 21.06.2006 und
Ausspruch der Kündigung am 26.06.2006 fehlte es jedenfalls an einem endgültigen
Entschluss zur Betriebsstilllegung, denn zu diesem Zeitpunkt gab es bereits den Plan
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zur Gründung einer Auffanggesellschaft, um die geschäftlichen Aktivitäten der
Insolvenzschuldnerin unter neuer Trägerschaft fortzusetzen. Die Einschränkung oder
Reduzierung des Betriebes im Wege einer sanierenden Übertragung hätte eine soziale
Auswahl gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG erforderlich gemacht, die hier aber nicht
stattgefunden hat. Kann von dem behaupteten Kündigungsgrund, nämlich der
Stilllegung des Betriebes, keine Rede sein, sind die tatbestandlichen Voraussetzungen
für das Eingreifen der Vermutungswirkung nicht erfüllt.
3. Der Beklagte hat auch nicht unabhängig vom Eingreifen der Vermutungswirkung
gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO dargelegt, dass die Kündigung gemäß § 1 Abs. 2
Satz 1 KSchG aus dringenden betrieblichen Erfordernissen, die einer
Weiterbeschäftigung des Klägers entgegenstehen, bedingt ist (§ 1 Abs. 2 Satz 4
KSchG).
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Es sind nämlich keine Maßnahmen zur endgültigen Auflösung des Betriebes und
Zerschlagung seiner betrieblichen Organisation ergriffen worden. Der Beklagte räumt
ein, dass die Immobilie, die Betriebsmittel und die Fahrzeuge weiterhin von der Firma
N1 und L3 GmbH genutzt werden. Ob das Anlagevermögen und die Betriebsmittel in
fremdem Eigentum standen und von der Insolvenzschuldnerin nur angemietet waren, ist
unerheblich. Die Räumlichkeiten, das Betriebsgelände, die Fahrzeuge und
Arbeitsgeräte werden jedenfalls in ähnlicher Weise genutzt wie es die
Insolvenzschuldnerin getan hat. Der Kläger hat darüber hinaus fünf Baustellen der
Insolvenzschuldnerin benannt, die von der Firma N1 und L3 weiterbearbeitet worden
sind. Nach dem Presseartikel im W2-Blatt vom 19.07.2006 werden acht Kolonnen im
Bereich des Garten- und Landschaftsbaus eingesetzt, so dass von einem wesentlich
geänderten Betriebszweck nicht gesprochen werden kann. Da die Aktivitäten der neu
gegründeten Auffanggesellschaft bereits im Mai 2006 begonnen haben, kann von einer
im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung geplanten oder bereits erfolgten
endgültigen Stilllegung des Betriebes keine Rede sein. Ob die Insolvenzschuldnerin bei
Stellung des Insolvenzantrages am 26.04.2006 ursprünglich den Plan hatte, den Betrieb
komplett einzustellen, kann offenbleiben. Jedenfalls waren diese Planungen bei
Ausspruch der Kündigung hinfällig geworden, denn es gab zu diesem Zeitpunkt bereits
wieder geschäftliche Aktivitäten, die der behaupteten Betriebsstilllegung widersprechen.
29
III
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Die vom Kläger erhobene Kündigungsschutzklage scheitert nicht daran, dass
möglicherweise ein Betriebsübergang gemäß § 613 a Abs. 1 Satz 1 KSchG auf die
Firma N1 und L3 GmbH stattgefunden hat. Allerdings könnte nicht mehr im Sinne des
Klägers festgestellt werden, dass das zwischen ihm und dem Beklagten bestandene
Arbeitsverhältnis durch die angegriffene Kündigung nicht aufgelöst worden ist, wenn
das Arbeitsverhältnis bereits vor Ausspruch der Kündigung auf die Firma N1 und L3
GmbH übergegangen wäre (BAG vom 18.04.2002 – 8 AZR 346/01, NZA 2002, 1207).
Ein Erfolg im Kündigungsschutzprozess setzt nämlich nach der punktuellen
Streitgegenstandstheorie voraus, dass zum Zeitpunkt der Kündigung überhaupt noch
ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien besteht. Ist dies nicht der Fall, weil das
Arbeitsverhältnis bereits vorher auf einen Betriebserwerber übergegangen ist, führt dies
zur Unschlüssigkeit der Klage, auch wenn der bisherige Betriebsveräußerer vom
Weiterbestehen eines Arbeitsverhältnisses mit ihm ausgeht und insoweit
Kündigungsbefugnis für sich reklamiert (vgl. dazu BAG vom 18.04.2002 – 8 AZR 346/01
unter I 2. a) und b) der Gründe, NZA 2002, 1207). Vorliegend gehen aber beide Parteien
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übereinstimmend davon aus, dass zwischen ihnen bei Ausspruch der Kündigung noch
ein Arbeitsverhältnis bestand. Der Beklagte ist der Auffassung des Klägers, es liege
eine Betriebsübergang i.S.d. § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB auf die Firma N1 und L3 GmbH
vor, entgegengetreten. Andererseits kann dem Vortrag des Klägers nicht mit Sicherheit
entnommen werden, dass bei Ausspruch der Kündigung der von ihm behauptete
Betriebsübergang bereits vollzogen worden war. Der Kläger spricht lediglich ohne
zeitliche Festlegung von der Weiterführung betrieblicher Aktivitäten, der Übernahme von
Kunden und Baustellen, der Nutzung von Fahrzeugen und Arbeitsgeräten, der Werbung
als Nachfolgegesellschaft und der Beschäftigung von ehemaligen Arbeitnehmern der
Insolvenzschuldnerin. Der Kläger stützt seine Kündigungsschutzklage nicht allein auf
die Behauptung, der Betrieb sei bereits vor der Kündigung auf die angebliche
Betriebserwerberin, die Firma N1 und L3 GmbH, übergegangen (vgl. dazu BAG vom
15.12.2005 – 8 AZR 202/05, NZA 2006, 597 unter BI1b aa der Gründe). Ein bereits vor
Ausspruch der Kündigung am 26.06.2006 erfolgter Betriebsübergang gemäß § 613 a
Abs. 1 Satz 1 BGB kann dem Vortrag des Klägers nicht schlüssig entnommen werden.
Ob der Betriebsrat vor Ausspruch der angegriffenen Kündigung ordnungsgemäß gemäß
§ 102 BetrVG angehört worden ist, kann nach alledem offenbleiben.
32
IV
33
Der Beklagte hat gemäß § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
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Für die Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung.
35
Bertram
Hilpert
Himmelmann
36
/Fou.
37