Urteil des LAG Hamm vom 12.08.2005
LArbG Hamm: wirtschaftliche einheit, unechte rückwirkung, unwirksamkeit der kündigung, eugh, anfang, gemeinschaftsrechtskonforme auslegung, gesellschafter, tschechien, massenentlassung
Landesarbeitsgericht Hamm, 7 Sa 720/05
Datum:
12.08.2005
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 Sa 720/05
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Iserlohn, 5 Ca 2623/04
Nachinstanz:
Bundesarbeitsgericht, 2 AZR 723/05 Revision zurückgewiesen
12.07.2007
Schlagworte:
Massenentlassung, Anzeigepflicht, Kündigung, Vertrauensschutz,
Teilbetriebsübergang
Normen:
§§ 17, 18, 1 Abs. 2 KSchG, § 613 a Abs. 1 u. 4 BGB
Leitsätze:
Parallelsache zu 7 Sa 623/05 vom 11.07.2005
Rechtskraft:
Die Revision wird zugelassen
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn
vom 08.02.2005 - 5 Ca 2623/04 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d
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Die Parteien streiten darüber, ob das seit dem 09.09.1996 zur Beklagten zu 1)
bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund ordentlicher betriebsbedingter Kündigung der
Beklagten zu 1) vom 26.07.2004 mit dem 30.06.2004 beendet worden ist oder darüber
hinaus fortbesteht und ob die Beklagte zu 2) verpflichtet ist, die Klägerin als angelernte
Maschinenbedienerin/Schweißerin zu beschäftigen.
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Die Beklagte zu 1) war Zulieferer der Automobilindustrie. Ihre Kunden waren u. a. die
VW AG, Daimler-Chrysler, BOS, Fanrecea, Zauner, Lemförder etc.. Die Beklagte zu 1)
war für die Automobilindustrie zertifiziert. Sie belieferte diese Kunden weltweit. Von der
Automobilindustrie bzw. von Zulieferern der Automobilindustrie war sie eingebunden in
die Großserienproduktion von 100.000 bis 800.000 Stück pro Kalenderjahr. Produziert
wurden u. a. Schaltgestänge, Schalthebel und Halterungen für Auspuffanlagen.
Zulieferer der Automobilindustrie waren ebenfalls die D1xx C2 und die D1xx U3. Beide
Unternehmungen waren jedoch nicht zertifiziert. In 2002 hat in A3xxxx die D1xx
K2xxxxxxxxxxxxx GmbH eine eigenständige Produktion auf diesem besonderen
Fachgebiet aufgenommen. Die K2xxxxxxxxxxxxx beliefert u. a. die Fa. B2xxx mit
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hochwertigen Schrauben. Gesellschafter dieser GmbH sind neben U2xxxx H1xxxxx und
A4xxxxxx S2xxx der Sohn des Gesellschafters/Geschäftsführers der Beklagten,
M1xxxxxx D1xx, der zugleich Mitgeschäftsführer der Beklagten zu 1) war.
Geschäftsführer dieser Gesellschaft sind U2xxxx H1xxxxx, zugleich Prokurist der
Beklagten zu 1) und A4xxxxxx S2xxx.
Die Beklagte zu 1) produzierte in acht Hallen. In einer Halle – der Halle 7 – betrieb sie
ein Hochregallager. Für ihre kaufmännischen Aufgaben nutzte sie ein mehrstöckiges
Bürogebäude. Sie beschäftigte zeitweise bis zu 180 Mitarbeiter. Bedingt durch die
Absatzprobleme der Automobilindustrie verringerte sich ihre Belegschaft bis Mitte 2004
auf nahezu 100 Arbeitnehmer. Da in 2004 ein weiterer Umsatzrückgang von nahezu 20
% festgestellt wurde - verursacht durch die weiter fortbestehenden Absatzprobleme in
der Automobilindustrie, die Rückholung von Fremdvergaben in die Produktionsstätten
der Automobilindustrie und den Verlust von Aufträgen aufgrund technischer Probleme –
entschloss sich der Gesellschafter/Geschäftsführer R2xx D1xx zur Stilllegung der
Produktion der Beklagten zu 1). Diesen Beschluss formulierte er schriftlich am
22.07.2004. Nach seinen Vorstellungen sollte die Produktion endgültig zum 31.03.2005
eingestellt sein. Zugleich beauftragte er die Geschäftsführung, den Arbeitnehmern
zeitnah unter Beachtung der unterschiedlichen Kündigungsfristen zu kündigen und alle
darüber hinaus notwendigen Maßnahmen zu treffen. Aus diesem Anlass fertigte die
Beklagte zu 1) am 26.07.2004 nahezu 100 Kündigungsschreiben. Hiervon war auch die
Klägerin betroffen. Am 27.07.2004 reichte der Prokurist U2xxxx H1xxxxx die erste
Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit I1xxxxxx, Büro W1xxxxx, ein.
Eine weitere Anzeige erfolgte am 28.10.2004.
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Nach Zugang der Kündigung wurde am 06.08.2004 die A1x W3xxxxxxxxxxxxx GmbH,
N2xxxxxxx, die Beklagte zu 2) gegründet. Geschäftsgegenstand dieser Gesellschaft ist
die Konstruktion und Entwicklung von Einzelteilen (Prototypen) und die Fertigung von
Kleinserien. Gesellschafter sind zu gleichen Teilen die D1xx K2xxxxxxxxxxxxx GmbH
A3xxxx und M1xxxxxx D1xx. Zu Geschäftsführern wurden A4xxxxxx S2xxx und U2xxxx
H1xxxxx bestellt. Die A1x hat ihre Tätigkeit Anfang Oktober 2004 aufgenommen. Sie
setzt neun CNC-Pressen und –Biegemaschinen und fünf Schweißanlagen aus dem
früheren Maschinenpark der Beklagten zu 1) ein.
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Mit der beim Arbeitsgericht Iserlohn am 11.08.2004 erhobenen Klage wehrt sich die 34-
jährige und seit dem 09.09.1996 bei der Beklagten zu 1) als Maschinenbedienerin zum
monatlichen Bruttoentgelt von 1.748,34 € tätige Klägerin gegen die ihr am 28.07.2004
als Einwurfeinschreiben zugegangene Kündigung. Zur Begründung hat sie die
Auffassung vertreten, diese Kündigung sei nicht geeignet, das zur Beklagten zu 1)
bestehende Arbeitsverhältnis zum 30.09.2004 zu beenden. Die Kündigung sei nämlich
sozialwidrig im Sinne des § 1 Abs. 1 KSchG. Entgegen der Ankündigung sei die
Beklagte zu 1) nicht in der Lage, betriebsbedingte Gründe vorzutragen. In den Hallen
der Beklagten zu 1) befänden sich weiterhin Mehrstufenpressen und
Schweißautomaten, an denen auch gearbeitet werde. Dass die Beklagte zu 1) mit
diesen Maschinen produziere mache sie darüber deutlich, dass sie um die Zertifizierung
als A-Lieferant für N2xxxxxxx nachgesucht habe. Aus diesem Anlass sei im Oktober
2004 ein Zertifizierungsaudit durchgeführt worden. Ihre Lieferbeziehungen zur
Automobilindustrie setze sie folglich am Standort N2xxxxxxx fort. Aus diesem Grunde
müsse sie bezweifeln, dass "angeblich" alle Arbeitnehmer entlassen würden. Mit der
Beklagten zu 2) habe sie nicht eine Firma für Werkzeugtechnik gegründet. Mit dieser
Firmenneugründung verfolge sie vielmehr das Ziel, ihre Produktion fortzusetzen, ihre
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Aufträge zu erledigen. Aus diesem Grunde bezweifle sie, dass die Beklagte zu 1) keine
weiteren Aufträge annehme. Dem stehe ihrer Meinung nach entgegen, dass die
Beklagte zu 2) frühere Arbeitnehmer der Beklagten zu 1) an deren Maschinen arbeiten
lasse. Dass die Beklagte zu 2) eine zusätzliche Schweißanlage mit der Kennzeichnung
B 997 einsetze, widerspreche dieser Annahme nicht. Darüber hinaus beanstande sie
die getroffene Sozialauswahl. Von den gekündigten Arbeitnehmern seien 60 – 70
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein neuer Vertrag angeboten worden für eine
automatisierte Fertigung am Standort N2xxxxxxx und für andere D1xx Betriebe. Die
Beklagte zu 1) habe ihr einen Arbeitsplatz im Versand der K2xxxxxxxxxxxxx A3xxxx
anbieten müssen.
Mit Klageerweiterung vom 14.12.2004 begehrt sie zusätzlich die Feststellung, dass ihr
Arbeitsverhältnis zu den früheren Bedingungen über den Ablauf der Kündigungsfrist mit
der Beklagten zu 2) fortbesteht und diese verpflichtet ist, sie als Maschinenbedienerin zu
beschäftigen. Hierzu hat sie die Auffassung vertreten, zwischen den Beklagten sei zum
01.10.2004 ein Betriebsübergang vollzogen worden. Die Beklagte zu 2) nutze alle in
N2xxxxxxx verbliebenen Pressen, Biege- und Schweißautomaten und produziere die
gleichen Artikel wie die Beklagte zu 1) für deren Kunden. Dass die Beklagte zu 2) die
Aufträge der Beklagten zu 1) erfülle, habe deren Geschäftsführer S2xxx in einer
Betriebsversammlung bestätigt. Es sei zumindest von einem Teilbetriebsübergang
auszugehen. Die Beklagte zu 1) habe drei Produktionsabteilungen und zwar manuelles
Biegen, automatisches Biegen und Schweißen vorgehalten. In der Abteilung
Schweißen sei sie als Maschinenbedienerin eingesetzt worden. Die Abteilung
Schweißen bestehe aus mindestens vier Schweißautomaten, drei Pressen und sechs
Biegeautomaten der Beklagten zu 1). Diesen Maschinenpark habe die Beklagte zu 2)
um zusätzliche Schweißautomaten ergänzt. Aufgrund dieses Geschehensablaufs
müsse sie die dargestellte Stilllegungsabsicht bezweifeln. Ihrer Meinung nach sei eher
von einer Umstrukturierung auszugehen. Diese erfordere eine soziale Auswahl, die die
Beklagte zu 1) bewusst unterlassen habe. Die Beklagte zu 2) setze auch die frühere
Tätigkeit der Beklagten zu 1) fort. Dies erfolge zwar nicht mehr aufgrund der
Rahmenverträge mit hohen Stückzahlen. Die Beklagte zu 2) erfülle jedoch die
Verpflichtungen der Beklagten zu 1) im Rahmen der sog. kleinen Gebinde, die
zwischenzeitlich eine Stückzahl alter Größe erreichten. Dass die Beklagte zur
Sozialauswahl verpflichtet gewesen sei lasse sich auch damit begründen, dass die
Beklagten einen einheitlichen Betrieb führen. So produziere die Beklagte zu 2) am
Standort der Beklagten zu 1). Letztere erstelle die Lohnabrechnungen für die
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Beklagten zu 2). Letztere bestelle Rohprodukte zur
Weiterverarbeitung durch die Beklagte zu 2) und liefere unter ihrem Namen die Produkte
aus. Die Klägerin vertritt zudem die Auffassung, dass die Kündigung wegen
Nichteinhaltung der Anzeigepflicht bei Massenentlassungen (§§ 17, 18 KSchG)
rechtsunwirksam sei.
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Die Klägerin hat beantragt,
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1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht
durch die Kündigung der Beklagten zu 1) vom 26.07.2004, zugegangen am
28.07.2004, aufgelöst worden ist;
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2. die Beklagte zu 2) zu verurteilen, sie zu unveränderten
Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen.
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Die Beklagten haben beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte zu 1) bewertet die Klage als unbegründet. Hierzu hat sie behauptet, in
ihrer Gesellschaft bestehe für die Klägerin kein Beschäftigungsbedarf mehr. Sie habe
den Stilllegungsbeschluss vom 22.07.2004 unverzüglich umgesetzt, indem sie die
kündbaren Arbeitsverhältnisse am 26.07.2004 aufgekündigt, eine Massenentlassung
am 27.07.2004 angezeigt, ihre Kunden über den Beschluss vom 22.07.2004 in Kenntnis
gesetzt und keine neuen Aufträge (Kunden) angenommen habe. Sie habe zugleich
damit begonnen, die Verlagerung von Doppeldruckpressen, Pressen, Biegemaschinen
und Schweißanlagen nach Tschechien und Großbritannien vorzubereiten. Im Rahmen
der bestehenden Aufträge habe sie vorproduziert und diese Produktion im
Hochregallager zwischengelagert. Die für die Produktion nicht mehr benötigten
Schweißanlagen (BT01/B11/B13/B17/B18) sowie Bieger und Pressen (P1/P11/P25)
habe sie nach Ausspruch der Kündigungen stillgelegt. Mit dem Abtransport von
Maschinen habe sie Ende September (28., 29. und 30.09.2004) begonnen. Ihre
Kundenbeziehungen sollten nach Einstellung der Produktion vor Ort über die D1xx C2,
die eine Zertifizierung im Automotiv-Bereich anstrebe, und über die D1xx U3 fortgesetzt
werden. Zu diesem Zweck seien nach Tschechien insgesamt acht Pressen und Bieger
und fünf Schweißanlagen sowie nach Großbritannien eine Schweißanlage und drei
Pressen bzw. Bieger sowie eine Großanlage OMCD verlagert worden. Zwei Maschinen
(D4 und P21) seien zur K2xxxxxxxxxxxxx GmbH, A3xxxx, transportiert worden. Eine
Maschine (P15) werde zum Hersteller zurückgebracht. Zusätzlich seien zwei Maschinen
verschrottet und drei Maschinen "endgültig" außer Betrieb gesetzt worden. Die zu
verlagernden Maschinen habe sie nach der Vorproduktion demontieren und umfassend
reinigen lassen. Diese Maßnahmen hätten es ihr ermöglicht, schon im September 22
Mitarbeiter während der noch laufenden Kündigungsfristen frei zu stellen. Parallel zu
den Kündigungen und zur Massenentlassungsanzeige habe sie beim Integrationsamt
um Zustimmung zur Entlassung von drei beschäftigten schwerbehinderten Menschen
nachgesucht. Nach erteilter Zustimmung habe sie auch diesen Mitarbeitern gekündigt.
Die befristeten Arbeitsverhältnisse habe sie auslaufen lassen. Entgegen früherer
Handhabung habe sie keine neuen Ausbildungsverhältnisse begründet. Ihre Produktion
habe sie endgültig eingestellt. Mit Ausnahme ihres Prokuristen und der im ruhenden
Arbeitsverhältnis befindlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftige sie keine
Arbeitnehmer mehr.
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Beide Beklagten haben die Auffassung vertreten, die Beklagte zu 2) sei nicht ihre
Rechtsnachfolgerin i. S. des § 613 a Abs. 1 BGB. Letztere führe weder den Betrieb der
Beklagten zu 1) fort. Sie habe auch keinen Betriebsteil, dem die Klägerin zuzuordnen
sei, übernommen. Hierzu haben sie behauptet, die Beklagte zu 2) nutze ausschließlich
die in N2xxxxxxx verbliebenen und nicht ergänzend verschrotteten bzw. endgültig
stillgelegten Maschinen der Beklagten zu 1) für ihre eigenen betrieblichen Zwecke.
Diese unterschieden sich erheblich von denjenigen der Beklagten zu 1). Ihr
Schwerpunkt liege auf dem Bereich der Konstruktion und Entwicklung. Daneben
produziere sie Kleinserien für die Automobilindustrie. Die Beklagte zu 1) sei in die
Massenproduktion eingebunden gewesen. Die Kleinserienfertigung sei für sie lediglich
ein Nebenprodukt gewesen. Die Beklagte zu 2) habe auch nicht deren betriebliche
Organisation übernommen. Bei der Beklagten zu 1) habe die sog. Inselfertigung
vorgeherrscht. Die Beklagte zu 2) habe eine Linienproduktion aufgebaut. Um dieses Ziel
zu erreichen habe sie Roboter hinzugekauft, die den Transport übernehmen. Während
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die Beklagte zu 1) auf Lager produziert habe benötige die Beklagte zu 2) das
Hochregallager nicht. Während die Beklagte zu 1) einen hohen Anteil an ungelernten
bzw. angelernten Mitarbeitern beschäftigt habe, benötige die Beklagte zu 2) zur
Überwachung und Umrüstung der Maschinen ausschließlich qualifizierte Mitarbeiter.
Aufgrund der geringen Belegschaft benötige die Beklagte zu 2) auch nicht das
mehrstöckige Bürogebäude der Beklagten zu 1). Die Beklagte zu 2) habe auch keinen
Betriebsteil "Schweißen" übernommen. Einen solchen Betriebsteil habe die Beklagte zu
1) gar nicht vorgehalten. Ihr Betrieb sei vielmehr einheitlich strukturiert gewesen und
habe einem Gesamtbetriebsleiter unterstanden. Abteilungsleiter habe sie aufgrund des
erforderlichen Personalabbaus in der Vergangenheit weit vor dem
Stilllegungsbeschluss nicht mehr beschäftigt.
Mit Urteil vom 08.02.2005 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Zur
Begründung hat es u. a. ausgeführt, die Kündigung sei durch dringende betriebliche
Erfordernisse bedingt. Hierfür genüge der Entschluss vom 22.07.2004, die Produktion
befristet auslaufen zu lassen um sie sodann endgültig einzustellen, zumal dieser
Entschluss durch die Beklagte tatsächlich umgesetzt worden sei. Hierfür sprächen die
nachfolgenden Umstände: Keine Annahme von Neuaufträgen, Kündigung aller
Arbeitnehmer zum nächst möglichen Termin, Anzeige einer Massenentlassung, Einsatz
eigener Arbeitnehmer zur Abproduktion, Bekanntgabe der Stilllegungsabsicht nach
außen, Einholung der Zustimmung des Integrationsamtes zur Entlassung
schwerbehinderter Arbeitnehmer, Freistellung von Arbeitnehmern während der
Kündigungsfrist sowie die Verlagerung erheblicher Teile des Maschinenparks nach
Tschechien, Großbritannien und an ein in N2xxxxxxx ansässiges Unternehmen. Die
umfassende Umsetzung dieses Stilllegungsentschlusses sei u. a. deshalb zu
unterstellen, zumal die Klägerin das Vorbringen der Beklagten nicht substantiiert
bestritten habe. Die Kündigung sei auch nicht aus anderen Gründen sozial
ungerechtfertigt bzw. rechtsunwirksam. Aufgrund endgültiger Produktionseinstellung
und Entlassung aller Arbeitnehmer könne eine Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten
nicht verlangt werden. Eine Verletzung der Bestimmungen zur Massenentlassung sei
nicht erkennbar; ebenso wenig eine Rechtsunwirksamkeit der Kündigung aus den
Gründen des § 613 a Abs. 1 und 4 BGB. Die Übertragung von Betriebsteilen sei weder
in Bezug auf die D1xx C2 und die D1xx U3 noch in Bezug auf die A1x
W3xxxxxxxxxxxxx, N2xxxxxxx, zu erkennen. Die Verlagerung jeweils eines Teils des
früheren Maschinenparks bewirke nicht die Wahrung der Identität des vorausgehenden
Produktionsbetriebes. Hieraus folge konsequent, dass eine Weiterbeschäftigung nicht
durchgesetzt werden könne.
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Gegen dieses, ihr am 17.03.2005 zugestellte, vorgetragene und wegen der sonstigen
Einzelheiten in Bezug genommene Urteil hat die Klägerin am 13.04.2005 Berufung
eingelegt, die am 15.06.2005 – nach vorausgehender Verlängerung der
Begründungsfrist bis zum 17.06.2005 – begründet worden ist. Die Klägerin greift das
angefochtene Urteil in vollem Umfang an. Zur Begründung vertritt sie die Auffassung,
die Kündigung sei nicht nur sozial ungerechtfertigt sondern auch wegen Nichteinhaltung
der Anzeigepflicht vor Ausspruch der Kündigung rechtsunwirksam. Zudem verkenne
das angefochtene Urteil, dass ihr Arbeitsverhältnis auf die Beklagte zu 2) übergegangen
sei. Hierzu trägt sie vor, die Beklagte habe nicht erkannt, dass nach Überzeugung des
EuGH die Anzeige vor der Kündigungserklärung zu erfolgen habe und dass die
Nichtbeachtung dieses Grundsatzes zur individual-rechtlichen Rechtsunwirksamkeit der
Kündigung führe. Entgegen der Bewertung im angefochtenen Urteil sei auch
festzuhalten, dass ihr Arbeitsplatz nicht weggefallen sei. Das angefochtene Urteil habe
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zu Unrecht den Stilllegungsbeschluss und dessen Umsetzung unterstellt. Dies müsse
sie weiterhin bestreiten zumal Ausführungen zur Immobilienverwertung, zur
Kundeninformation, zur Aufkündigung von Lieferverträgen fehlten. Letzterem stehe die
Fortsetzung der Kundenbeziehungen seitens der Beklagten zu 2) entgegen. Auch
müsse sie bezweifeln, dass nach den Behauptungen der Beklagten zu 1) alle
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entlassen worden seien. Nach ihren Informationen
seien von der Entlassung nicht betroffen: D. P5xxxxxxxx, S. L6xxxx, A. L7xxxxxx – alle
zuzuordnen dem Schweißen –. Aus dem früheren Bereich Schweißen beschäftigte die
Beklagte zu 2) sechs Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Beklagte zu 2) pflege auch
die Kundenbeziehungen zu den früheren Kunden der Beklagten zu 1) w2x z1. B5. V1
AG, Daimler Chrysler, ET 3, Gillet etc. Die Beklagte zu 2) werde auch von den früheren
Zulieferern der Beklagten zu 1), nämlich den Firmen A7xxx S4xxxxx, M5xxx, D7xxx etc.
beliefert. Da die Beklagte zu 2) in den Bereichen manuelles Biegen und Schweißen die
wesentlichen Betriebsmittel der Beklagten zu 1) übernommen habe, sei ihr
Arbeitsverhältnis auf diese übergegangen. Ihrer Meinung nach führe die Beklagte zu 2)
die gesamte Produktion der Beklagten zu 1) in deren früheren Räumen weiter. Sie
unterhalte zur Aufrechterhaltung der Produktion die Bereiche Ein- und Verkauf,
Verwaltung, Versand und Qualitätssicherung. Sie bestelle auch dem Briefkopf der
Beklagten zu 1) bei deren früheren Zulieferern. Sie beschäftige zwischenzeitlich weit
mehr über 50 % - mindestens 33 Mitarbeiter - der früheren Mitarbeiterschaft der
Beklagten zu 1). Dass sich die Beklagte zu 1) nicht aus der Produktion zurückgezogen
habe beweise das Organisationspapier vom 21.09.2004. Hieraus gehe hervor, dass die
Beklagte zu 1) im Verbund einer Gesamtproduktion vorhalte. Produzenten seien neben
der Beklagten zu 2) die D1xx K2xxxxxxxxxxxxx A3xxxx, die D1xx C2 und die D1xx U3.
Die Beklagte zu 1) beliefere mit Hilfe der Beklagten zu 2) ihre früheren Kunden. Hieraus
folge, dass die Beklagte zu 2) Rechtsnachfolgerin der Beklagten zu 1) sei. Diese führe
den früheren Betrieb der Beklagten zu 1) mit nahezu unveränderter
Betriebsorganisation, gleichen Zulieferern, gleichen Kunden fort. Die Beklagte zu 2)
habe auch die Aktiva der Beklagten zu 1) für den Einkauf – einschließlich Hard- und
Software – übernommen.
Die Klägerin beantragt,
17
1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien des Rechtsstreit
bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten zu
1) vom 26.07.2004, zugegangen am 28.07.2004 aufgelöst worden ist und
über den Ablauf der Kündigungsfrist zum 30.09.2004 hinaus zu den
bisherigen Bedingungen weiter unverändert fortbesteht;
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2. die Beklagte zu 2) zu verurteilen, die Klägerin zu unveränderten
Arbeitsbedingungen als gewerbliche Arbeitnehmerin zu einem
monatlichen Bruttoeinkommen von € 1.748,34 weiterzubeschäftigen.
19
Die Beklagten beantragen,
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die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
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Sie bewerten weiterhin die Kündigung als rechtswirksam. Zur Begründung führen sie
aus, mit der Auslegung: "Kündigung = Entlassung" wende sich der EuGH an den
nationalen Gesetzgeber und nicht an den privaten Arbeitgeber. Der Gesetzgeber sei
deshalb gehalten, die Bestimmungen zur Massenentlassung entsprechend anzupassen,
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zumal eine richtlinienkonforme Auslegung mit dem Gesetz nicht in Einklang zu bringen
sei. Die Beklagte zu 1) genieße Vertrauensschutz. Sie habe in Anwendung der
gefestigten Rechtsprechung des BAG (trotz Kenntnis des Vorlagebeschlusses des
Arbeitsgerichts Berlin vom 30.04.2003) nach Gesetz gehandelt. Letztlich dürfte eine evtl.
Nichteinhaltung dieser Bestimmungen nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung führen.
Auch diesbezüglich berufe sie sich auf die gefestigte Rechtsprechung des BAG. Sie
bekräftigen zudem die Ausführungen des angefochtenen Urteils zur
Produktionseinstellung und tragen hierzu vor, die Beklagte zu 1) habe ihre Produktion
spätestens Ende Dezember 2004 beendet. Sie vertreten hierzu die Auffassung, der
Betrieb der Beklagten zu 1) sei nicht von der Beklagten zu 2) übernommen worden. Die
Beklagte zu 1) habe vielmehr ihren Maschinenpark aufgelöst, die Beklagte zu 2)
produziere lediglich in einer Halle, nutze weder das Hochregallager noch das
Bürogebäude. Die Beklagte zu 2) sehe ihr Schwergewicht der unternehmerischen
Tätigkeit auf dem Gebiet der Entwicklung und Konstruktion und produziere Auspuffhalter
bzw. Schaltgestänge lediglich in Kleinserien. Die Beklagte zu 2) unterscheide sich
insofern von ihrer Unternehmensform, zumal sie überwiegend im Rahmen von
Großserien beteiligt worden sei. Diese Großserien habe sie in der Form der
Inselfertigung abgearbeitet. Für die Kleinserienfertigung habe die A1x eine
automatische Linienfertigung aufgebaut. Kleinserien hätten ein Volumen von 150 bis
200 Stück. Dies erfordere ein ständiges Umrüsten der Maschinen. Für die
Linienfertigung habe die A1x zum Teil neue Maschinen, u. a. einen Cloosroboter
(Schweißmaschine B997) und einen Roboter mit TCP Vermessungseinheit, Drehtisch
und Werkzeugaufspannvorrichtung (Schweißanlage B19) beschafft. Diese Technik
habe die Beklagte zu keiner Zeit vorgehalten. Zur Überwachung dieser automatischen
Maschinen benötige sie Fachpersonal. Ihrer Meinung nach habe die Beklagte zu 2)
auch keinen Betriebsteil aus ihrem Unternehmen übernommen. Ein solcher sei auch für
den Bereich Schweißen nicht vorgehalten worden. Die Beklagte zu 2) beschäftige
einschließlich der Fremdeinstellungen erheblich weniger Mitarbeiter als von der
Klägerin angegeben. Entgegen den Andeutungen der Klägerin produziere sie nicht
mittels der Beklagten zu 2). Das von der Klägerin angesprochene Organisationspapier
halte lediglich ein Gedankenmodell fest. Eine Holding existiere tatsächlich nicht. Eine
gesellschaftsrechtliche Verflechtung mit beherrschender Leitung der Beklagten zu 1)
bestünde unter den angesprochenen Gesellschaften nicht. Die Beklagte zu 1) wickle nur
bestehende Verträge ab. Dies u. a. über die Beklagte zu 2) und die D1xx C2 bzw. D1xx
U3. Neugeschäfte sei sie nicht eingegangen.
Die Beklagte zu 1) wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen, alle Arbeitnehmer
entlassen zu haben und keinen Arbeitnehmer mit Ausnahme ihres Prokuristen zu
beschäftigen. Auch die von der Klägerin im Einzelnen angeführten Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer seien am 26.07. bzw. 28.07.2004 entlassen worden. Im Übrigen habe
sie befristete Arbeitsverhältnisse auslaufen lassen. Zu den gekündigten Arbeitnehmern
gehöre auch M6. R4xx, der zum 30.09.2004 ausgeschieden sei. In ihrem Betrieb habe
die Beklagte zu 1) keine Abteilungen vorgehalten. Dem Mitarbeiter B6xxxxxxxx habe sie
zwar für den Werkzeugbau Vorgesetztenfunktionen übertragen. Dieser sei persönlich
dem Produktionsleiter direkt unterstellt gewesen. Die mechanischen Pressen, seien
überwiegend nach Tschechien verlagert worden. Lediglich drei (von sieben) Pressen
setze die Beklagte zu 2) ein. Die Beklagte zu 1) habe zur Erfüllung der bestehenden
Rahmenverträge (sog. Jahresverträge) für das zweite Halbjahr 2004 vorproduziert. Bei
den Großserien sei die Beklagte zu 1) aufgrund qualitativer Mängel und
Zuliefererprobleme mit Nachfolgeaufträgen nicht mehr bedacht worden. Alle
Großaufträge seien in 2004 ausgelaufen. Über ihre Entscheidung, die Produktion
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einzustellen seien ihre Großkunden durch die Mitarbeiter P4xxxxxx und L4xxxxxxx
informiert worden. Da die Beklagte zu 2) noch nicht zertifiziert sei, trete die Beklagte zu
1) bei den Kleinserienaufträgen weiterhin als Lieferant auf. Die Beklagte zu 2) sei in
diesem Rahmen ihre Subunternehmerin. Diese Form habe sie gewählt, um
Schadenersatzansprüchen erfolgreich entgegentreten zu können. Die Beklagte zu 2)
habe nur einen geringen Anteil ihrer früheren Belegschaft eingestellt. Qualifiziertes
Personal habe sie zudem auf dem freien Arbeitsmarkt angeworben. Aufgrund des
geringen Personalbestandes benötige sie keine eigenständige Finanz- und
Lohnbuchhaltung. Die Beklagte zu 2) führe auch nicht den bei der Beklagten zu 1)
benötigten Einkauf, Vertrieb und Versand fort.
Wegen der sonstigen Einzelheiten im Vorbringen der Parteien wird auf den Inhalt der
gewechselten Schriftsätze verwiesen.
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Das Berufungsgericht hat im Berufungsverfahren 7 Sa 685/05 Beweis erhoben durch
uneidliche Vernehmung des 51-jährigen Betriebswirts und Prokuristen U2xxxx H1xxxxx
sowie des 32-jährigen Industriemechanikers M3xx L5xxx als Zeugen. Die Parteien
haben das Ergebnis dieser Beweisaufnahme zum Gegenstand ihres
Berufungsverfahrens gemacht. Das Berufungsgericht hat diese Beweisaufnahme
ergänzt durch neuerliche Vernehmung des 51-jährigen Betriebswirts und Prokuristen
H1xxxxx als Zeugen. Bezüglich des Ergebnisses dieser ergänzenden Beweisaufnahme
wird auf den Inhalt des Sitzungsprotokolls vom 12.08.2005 (Bl. 132 – 134 der Akten)
verwiesen.
25
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
26
Die nach der Beschwer (§ 64 Abs. 2 ArbGG) statthafte, form- sowie fristgerecht
eingelegte und begründete Berufung der Klägerin (§§ 66 Abs. 1 S. 1 und 2, 64 Abs. 6
ArbGG, §§ 519, 520 Abs. 3 ZPO) hat keinen Erfolg.
27
A.
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Die gem. § 256 ZPO allgemein zulässige und in der Frist des § 4 KSchG erhobene
Feststellungsklage der Klägerin ist nicht begründet. Die Kündigung der Beklagten zu 1)
vom 26.07.2004 ist nicht sozial ungerechtfertigt; sie ist vielmehr durch dringende
betriebliche Erfordernisse bedingt, die einer Weiterbeschäftigung der Klägerin auf Dauer
entgegenstehen (§ 1 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 KSchG (I)). Die Kündigung ist auch nicht aus
sonstigen Gründen wie z. B. wegen Verstoßes gegen § 613 a Abs. 1 und 4 BGB oder
wegen Nichtbeachtung der §§ 17, 18 KSchG rechtsunwirksam (II).
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I.
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Die Kündigung vom 26.07.2004 ist nicht sozial ungerechtfertigt i. S. des § 1 Abs. 1
KSchG. Sie ist vielmehr durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt, die der
Weiterbeschäftigung der Klägerin auf Dauer entgegenstehen (§ 1 Abs. 2 S. 1 KSchG).
Dringende betriebliche Erfordernisse können sich aus innerbetrieblichen Umständen
wie z. B. der Umstellung der Produktion oder Schließung einer Abteilung oder durch
außerbetriebliche Umstände wie z. B. Umsatzrückgänge ergeben. Dringend sind
betriebliche Erfordernisse dann, wenn sie eine Kündigung im Interesse des Betriebes
notwendig machen. Auftragsmangel kann eine betriebsbedingte Kündigung dann
rechtfertigen, wenn durch ihn die anfallende Arbeit soweit zurückgeht, dass für einen
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rechtfertigen, wenn durch ihn die anfallende Arbeit soweit zurückgeht, dass für einen
oder mehrere Arbeitnehmer das Bedürfnis zur Weiterbeschäftigung entfällt und die
Kündigung nicht durch innerbetriebliche Maßnahmen vermieden werden kann. Das
Arbeitsgericht ist hierbei gehalten zu überprüfen, ob eine unternehmerische
Entscheidung vorliegt, die den endgültigen Verlust des Arbeitsplatzes bewirkt und ob
diese Entscheidung offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist. Auf ihre
sachliche Rechtfertigung oder Zweckmäßigkeit kann eine Unternehmerentscheidung
nicht überprüft werden (BAG, Urteil vom 17.06.1999 – 2 AZR 522/98 –).
Zu den dringenden betrieblichen Erfordernissen gehört die Stilllegung des gesamten
Betriebes durch den Arbeitgeber. Die bloße Einstellung der Produktion bedeutet
allerdings noch keine Betriebsstilllegung. Unter Betriebsstilllegung ist vielmehr die
Auflösung der zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehenden Betriebs- und
Produktionsgemeinschaft zu verstehen, die ihre Veranlassung und zugleich ihren
unmittelbaren Ausdruck darin findet, dass der Unternehmer die bisherige wirtschaftliche
Betätigung in der ernstlichen Absicht einstellt, die Verfolgung des bisherigen
Betriebszwecks dauernd oder für eine ihrer Dauer nach unbestimmte, wirtschaftlich nicht
unerhebliche Zeitspanne nicht weiter zu verfolgen. Der Arbeitgeber muss endgültig
entschlossen sein, den Betrieb stillzulegen. Demgemäß ist von einer Stilllegung
auszugehen, wenn der Arbeitgeber seine Stilllegungsabsicht unmissverständlich
äußert, allen Arbeitnehmern kündigt, etwaige Mietverträge zum nächst möglichen
Zeitpunkt auflöst, die Betriebsmittel, über die er verfügen kann, veräußert und die
Betriebstätigkeit vollständig einstellt. Abgeschlossen ist die Stilllegung erst dann, wenn
die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer beendet sind (ständige Rechtsprechung des
BAG, vgl. hierzu z. B. Urteil vom 16.05.2002 – 8 AZR 319/01 – AP Nr. 237 zu § 613 a
BGB; Urteil vom 24.02.2005 – 2 AZR 214/04 –). Der Arbeitgeber ist allerdings nicht
gehalten, eine Kündigung erst nach Durchführung der Stilllegung auszusprechen. Es
kommt auch eine Kündigung wegen beabsichtigter Stilllegung in Betracht. Wird die
Kündigung auf die künftige Entwicklung der betrieblichen Verhältnisse gestützt, so kann
sie ausgesprochen werden, wenn die betreffenden betrieblichen Umstände greifbare
Formen angenommen haben. Solche greifbaren Formen liegen vor, wenn im Zeitpunkt
des Ausspruchs der Kündigung aufgrund einer vernünftigen, betriebswirtschaftlichen
Betrachtung davon auszugehen ist, zum Zeitpunkt des Kündigungstermins sei mit
einiger Sicherheit der Eintritt eines die Entlassung erforderlich machenden betrieblichen
Grundes gegeben (BAG, a. a. O., mit weiteren Hinweisen auf die ständige
Rechtsprechung des BAG).
32
1. Der Beklagten zu 1) ist es gelungen, diese Voraussetzungen nachzuweisen. Die
Beklagte zu 1) hat durch ihren Gesellschafter/Geschäftsführer letztendlich am
22.07.2004 den zuvor gereiften Entschluss formal fixiert, den Betrieb zum
31.03.2005 stillzulegen. Zugleich hat er mit diesem Beschluss die
Geschäftsführung beauftragt, alles Erforderliche zu veranlassen, um diesen
Entschluss so zeitnah als möglich umzusetzen. Die Arbeitsverhältnisse sollten
unter Berücksichtigung der Kündigungsfrist und unter Beachtung von
produktionstechnischen Gegebenheiten beendet werden. Dass dieser Beschluss
so gefasst wurde, hat der Prokurist der Beklagten, U2xxxx H1xxxxx, als Zeuge
bestätigt. Er war nach seiner Einlassung bei der Unterzeichnung zugegen. Er hat
die auszuführenden Hinweise entgegengenommen.
33
Dieser Entschluss wurde auch entsprechend den Vorstellungen des
Gesellschafter/Geschäftsführers zeitnah realisiert. Die Arbeitsverhältnisse der
kündbaren Arbeitnehmer wurden am 26.07.2004 aufgekündigt. Am 27.07.2004
34
wurde bei der Agentur für Arbeit I1xxxxxx, Büro W1xxxxx, die erste
Massenentlassungsanzeige eingereicht. Zeitgleich hat die Beklagte zu 1) bei dem
Integrationsamt um Zustimmung zur Entlassung der drei schwerbehinderten
Arbeitnehmer gebeten. Auch ihnen wurde nach erteilter Zustimmung gekündigt.
Diesen personellen Vollzug des Entschlusses hat der Zeuge H1xxxxx ebenfalls
aus eigener Kenntnis bestätigt. Als Personalleiter habe er die Kündigungen
unterschrieben und veranlasst, dass diese zur Post gegeben wurden. Persönlich
habe er am 27.07.2004 gegen 10 Uhr die Massenentlassungsanzeige bei der
Agentur für Arbeit eingereicht. Danach hätten in den Räumen der Beklagten
ausführliche Unterredungen zwischen Mitarbeitern der Agentur und den
betroffenen Arbeitnehmern stattgefunden. Er hat zudem bestätigt, dass das
Integrationsamt zur beabsichtigten Kündigung der Schwerbehinderten beteiligt
wurde. Dessen Zustimmung lag am 10.08.2004 vor.
Zur weiteren Ausführung dieses Beschlusses wurde die sog. Ausproduktion
eingeleitet. Die Beklagte zu 1) hat im Rahmen der bestehenden Verträge
vorproduziert, um Schweißmaschinen, Doppeldruckpressen, Pressen und Bieger
zur Verlagerung nach Tschechien, Großbritannien und A3xxxx demontieren und
reinigen zu können. Zeitgleich wurde von Fremdfirmen die hierfür notwendig
werdende Logistik vorbereitet. Maschinen wurden ab Ende September fortlaufend
abtransportiert. Auch diese Angaben hat der Zeuge H1xxxxx bestätigt. Er hat
ausgeführt, die Verlagerung der Maschinen und die damit verbundene
Vorproduktion sei Bestandteil des Entschlusses vom 22.07.2004 gewesen. Der
Maschinentransport habe der Erweiterung der in Tschechien und Großbritannien
vorhandenen Kapazität gedient. D1xx C2 habe, wie zur Akte gelangt, weitere
Flächen angemietet, um diese Maschinen in den bisherigen Maschinenpark
eingliedern zu können. Der Abtransport sei wie geplant erfolgt. Hierzu gehöre auch
die V2xxxxxxxxx von zwei Maschinen zur K2xxxxxxxxxxxxx GmbH, A3xxxx. Nach
seinen weiteren Begründungen habe diese Maßnahme dazu geführt, dass im
September 2004 insgesamt 22 Mitarbeiter hätten freigestellt werden können.
35
Diesen Entschluss unterstützend hat die Beklagte zu 1) alle befristeten Verträge
auslaufen lassen. Die Beklagte zu 1) hat darüber hinaus keine neuen Aufträge
angenommen. Sie hat sich darum bemüht, für den Auszubildenden einen anderen
Ausbildungsplatz zu finden. Entgegen ihrer früheren Handhabung hat sie im
Sommer 2004 kein neues Ausbildungsverhältnis begründet. Sie hat darüber
hinaus keinen neuen Auftrag angenommen. Dies alles ist entweder unstreitig oder
vom Zeugen H1xxxxx bestätigt worden. Hinzu kommt, dass die Beklagte zu 1)
ihren Entschluss u. a. durch den Zeugen H1xxxxx sowie den Mitarbeiter P4xxxxxx
und L4xxxxxxx den Kunden gegenüber bekannt gegeben hat.
36
Die Beklagte zu 1) beschäftigt – mit wenigen Ausnahmen – keine Arbeitnehmer
mehr. Der Zeuge H1xxxxx hat in diesem Zusammenhang in seiner
Zeugenaussage darauf hingewiesen, dass die Belegschaft entweder durch
auslaufende Befristung, durch Kündigung der Beklagten zu 1), durch
Aufhebungsvertrag oder durch Eigenkündigung der Arbeitnehmer ausgeschieden
seien. Auch dieser Teil der Aussage ist zur Überzeugung der erkennenden
Berufungskammer glaubhaft. Dieser Einschätzung steht nicht entgegen, dass der
Zeuge nicht in der Lage war, die Beendigungsart und den Beendigungszeitpunkt
derjenigen, von der Klägerin aus einer Liste benannten drei bis vier Arbeitnehmer
konkret darzustellen. Diese Zurückhaltung ist nachzuvollziehen. Der Zeuge
37
H1xxxxx hat diesen Prozess begleitet. Er ist verständlicherweise nicht in der Lage,
alle Einzelheiten im Gedächtnis zu behalten und ohne Einsicht in die
Personalunterlagen hierauf spontan Rede und Antwort zu stehen.
2. Entgegen den Andeutungen der Klägerin ist die Stilllegungsabsicht der
Beklagten zu 1) nicht dadurch entfallen, weil sie von Anfang an beabsichtigte ihren
Betrieb zu veräußern. Zwar ist die Veräußerung des Betriebes, wie sich aus der
Wertung des § 613 a BGB ergibt, keine Stilllegung, weil die Identität des Betriebes
gewahrt bleibt und lediglich ein Betriebsinhaberwechsel stattfindet.
Betriebsveräußerung und Betriebsstilllegung schließen sich nämlich systematisch
aus. Dabei kommt es auf das tatsächliche Vorliegen des Kündigungsgrundes und
nicht auf die vom Arbeitgeber gegebene Begründung an. Eine vom Arbeitgeber mit
einer Stilllegungsabsicht begründete Kündigung ist nur dann sozial gerechtfertigt,
wenn die geplante Maßnahme sich als Betriebsstilllegung und nicht als
Betriebsveräußerung darstellt, weil die für die Fortführung des Betriebs
wesentlichen Gegenstände einem Dritten überlassen werden sollten, der
Veräußerer diesen Vorgang aber rechtlich unzutreffend als Betriebsstilllegung
bewertet (BAG, Urteil vom 16.05.2002 – 8 AZR 319/01 – AP Nr. 237 zu § 613 a
BGB).
38
Eine derartige Absicht ist nicht erkennbar. Zwar wurde am 06.08.2004, folglich
zeitnah zum Stilllegungsentschluss, die Beklagte zu 2) gegründet. Diese hat in den
Räumen der Beklagten ihre Produktion Anfang Oktober 2004 aufgenommen. Sie
beschäftigte zu Beginn in etwa 20 Arbeitnehmer der Beklagten zu 1) und produziert
mit mindestens neun CNC-Pressen und –Bieger und fünf Schweißmaschinen der
Beklagten zu 1). Darin liegt jedoch keine Veräußerung ihres Betriebes i. S. des §
613 a Abs. 1 BGB. Letztere war zumindest nicht beabsichtigt, d. h. nicht vom
Entschluss des Gesellschafter/Geschäftsführers erfasst.
39
a) Ein Betriebsübergang i. S. des § 613 a BGB liegt vor, wenn ein neuer
Rechtsträger die wirtschaftliche Einheit unter Wahrung von deren Identität
fortführt. Ob ein im Wesentlichen unveränderter Fortbestand der organisierten
Gesamtheit "Betrieb" bei dem neuen Inhaber anzunehmen ist, richtet sich
nach den Umständen des konkreten Falles. Zu den maßgeblichen Tatsachen
hierfür zählen insbesondere die Art des betreffenden Betriebes, der Übergang
der materiellen Betriebsmittel wie Gebäude und bewegliche Güter sowie
deren Wert und Bedeutung, die Übernahme der immateriellen Betriebsmittel
und der vorhandenen Organisation, der Grad der Ähnlichkeit mit der
Betriebstätigkeit des bisherigen Inhabers, die Weiterbeschäftigung der
Hauptbelegschaft, der Übergang von Kundschaft und
Lieferantenbeziehungen und die Dauer einer evtl. Unterbrechung der
Betriebstätigkeit (ständige Rechtsprechung des BAG im Anschluss an EuGH
vom 11.03.1997 – RsC –13/05 – AP Nr. 14 zu EWG-Richtlinie Nr. 77/187;
BAG, Urteile vom 16.05.2002 – 8 AZR 319/01 – AP Nr. 237 zu § 613 a BGB
und vom 22.07.2004 – 8 AZR 394/03). Die Beklagte zu 2) ist nicht
Rechtsnachfolgerin der Beklagten zu 1). Sie führt nicht deren wirtschaftliche
Einheit unter Wahrung deren Identität fort. Die A1x hat lediglich einen Teil des
Maschinenparks übernommen und beschäftigt auch nur 1/5 bis 1/4 der
früheren Belegschaft der Beklagten zu 1). Entscheidend ist allerdings der
unterschiedliche Geschäftsgegenstand und die veränderte betriebliche
Organisation. Die Beklagte zu 2) ist angelehnt an die D1xx K2xxxxxxxxxxxxx.
40
Sie bietet der Automobilindustrie andersartige Produkte an, als dies die
Beklagte zu 1) getan hat. Parallel zur D1xx K2xxxxxxxxxxxxx liegt ihr
Schwerpunkt in der Hartmetallbearbeitung. In diesem Sachgebiet befasst sie
sich mit dem Musterbau, Prototypenbau, mit der Konstruktion und
Entwicklung. Darüber hinaus ist sie im Gegensatz zur Beklagten zu 1) nicht in
die Großserienfertigung eingebunden. Sie beteiligt sich lediglich an
Kleinserien. Schließlich ist die Beklagte zu 2) anders organisiert. Während die
Beklagte zu 1) eine für die Massenproduktion typische Inselfertigung mit
Puffer und Zwischenlagerungen im Hochregallager vorsah, hat die Beklagte
zu 2) von Anfang an eine Linienfertigung mit kontinuierlichem Materialverlauf
eingerichtet. Um dies zu bewerkstelligen hat sie Roboter – u. a. einen Cloos-
Roboter – hinzukaufen müssen, um den Transport zwischen den Maschinen
zu gewährleisten. Hinzu kommt, dass die Beklagte zu 2) nur etwas mehr als
eine Halle ohne Hochregallager und ohne Bürogebäude nutzt. Mit diesem,
vom Zeugen H1xxxxx bestätigten Sachverhalt, wird die Beklagte zu 1) nicht
fortgeführt; deren Einheit wurde vielmehr durch Verteilung der Maschinen auf
mehrere Unternehmen aufgelöst (vgl. hierzu auch: BAG, Urteil vom
17.06.2003 – 2 AZR 134/02 – AP Nr. 260 zu § 613 a BGB).
Diesen Ausführungen des Zeugen H1xxxxx stehen die Erläuterungen des
Zeugen L5xxx nicht entgegen. Er hat diese veränderte Betriebsorganisation
zwar nicht in dieser Klarheit bestätigt. Dennoch hat er etwas zurückhaltend
gemeint, die Beklagte zu 2) unterhalte gegenüber früher eine einheitliche
Produktionslinie bis zur endgültigen Fertigstellung des Produktes. Vorher,
also bei der Beklagten zu 1) seien die Maschinen verstreuter aufgestellt
gewesen; bei der Beklagten zu 1) sei mehr zwischengelagert worden.
Nunmehr sei alles enger beieinander und im Ablauf besser angepasst.
Außerdem fertige die Beklagte zu 2) Einzelaufträge während die Beklagte zu
1) mit der Großteilfertigung befasst gewesen sei.
41
b) Der Stilllegungsabsicht steht auch nicht entgegen, dass die Beklagte zu 1)
an die Beklagte zu 2) einen Betriebsteil "Schweißen" übertragen hat. Nach
dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der erkennenden
Berufungskammer fest, dass die Beklagte zu 1) einen entsprechenden
Betriebsteil, der der Klägerin zuzuordnen wäre, nicht vorgehalten hat.
42
Der Übergang eines Betriebsteils steht für dessen Arbeitnehmer dem
Betriebsübergang gleich. Auch bei dem Erwerb eines Betriebsteils ist es
erforderlich, dass die wirtschaftliche Einheit ihre Identität bewahrt.
Betriebsteile sind Teileinheiten = Teilorganisationen des Betriebs. Es muss
sich um eine selbständige, abtrennbare organisatorische Einheit handeln, die
innerhalb des betrieblichen Gesamtzwecks einen Teilzweck erfüllt. Das
Merkmal des Teilzwecks dient dabei zur Abgrenzung der organisatorischen
Einheit. Im Teilbetrieb müssen nicht andersartige Zwecke als im übrigen
Betrieb verfolgt werden. Bei den übertragenen sächlichen und immateriellen
Betriebsmitteln muss es sich um eine organisatorische Untergliederung
handeln, mit der innerhalb des betrieblichen Gesamtzwecks ein Teilzweck
verfolgt wird, auch wenn es sich nur um eine untergeordnete Hilfsfunktion
handelt. § 613 a BGB setzt für den Teilbetriebsübergang voraus, dass die
übernommenen Betriebsmittel bereits bei dem früheren Betriebsinhaber die
Qualität eines Betriebsteils hatten (BAG, Urteile vom 16.05.2002 – 8 AZR
43
319/01 – AP Nr. 237 zu § 613 a BGB, vom 17.04.2003 – 8 AZR 253/02 – AP
Nr. 253 zu § 613 a BGB; vom 25.01.2005 – 9 AZR 258/04).
In dieser Form wurde von der Beklagten zu 1) ein Betriebsteil "Schweißen"
nicht vorgehalten. Entgegen seiner früheren Einlassung hat der Zeuge
H1xxxxx mit seiner ergänzenden Zeugenaussage zwar eingeräumt, dass die
Beklagte früher Abteilungen mit maßgeblichen Führungskräften unterhalten
habe. Als Abteilungsleiter "Schweißen" habe sie den Mitarbeiter D6 V9
beschäftigt. Seiner Abteilung seien zwischen 35 und 36 Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter zugeordnet gewesen. Der Arbeitnehmer D6 V9 sei zu Ende 2004
ausgeschieden. Mit der durch den Stilllegungsbeschluss veranlassten
Ausproduktion und dem damit verbundenen Personalabbau habe er faktisch
im Sommer 2004 seine Funktion als Abteilungsleiter verloren und sei nur
noch als Einrichter tätig gewesen. Neben den übrigen Abteilungen sei auch
diese sukzessive abgebaut worden.
44
Durch diese Klarstellung hat der Zeuge H1xxxxx nicht bestätigt, dass die
Beklagte zu 1) zuvor einen Betriebsteil "Schweißen" vorgehalten hat. Das
Gegenteil ist weiterhin der Fall. Die erkennende Berufungskammer hat über
die weitere Zeugenaussage – vergleichbar zu den vorausgegangenen
Erörterungen – die Überzeugung gewonnen, dass trotz der Bestellung eines
Abteilungsleiters in einem zertifizierten Unternehmen ein eigenständiger
Betriebsteil "Schweißen" im rechtlichen Sinne nicht vorgehalten wurde. Zum
einen ist festzuhalten, dass eine Betriebsabteilung nicht mit einem
selbständigen Betriebsteil gleichzusetzen ist. Hinzu kommt, dass es sich bei
den angesprochenen Personen nicht um einen eng begrenzten
Personenkreis gehandelt hat, der nur der Abteilung "Schweißen" zugeordnet
war. Diese haben auch andere Tätigkeiten verrichtet. Zusätzlich verbleibt es
bei der früheren Erkenntnis, dass die Abteilung "Schweißen" keine vom
übrigen Betrieb abgetrennte selbständige organisatorische Einheit gebildet
hat. Die Schweißmaschinen waren nicht zusammengefasst. Sie waren
vielmehr – betriebshistorisch gewachsen – auf alle Hallen verteilt. Die frühere,
seit Gründung vorherrschende Werkstattfertigung mit getrennt vorgehaltenen
Abteilungen, wurde im Verlauf der Firmengeschichte dezentralisiert.
Zusätzlich ist zu erwägen, dass die von der Beklagten zu 1) vorgehaltenen
Schweißmaschinen nicht als Einheit der Beklagten zu 2) zur Nutzung zur
Verfügung gestellt wurden. Im Übrigen widerspricht einem
Teilbetriebsübergang der geänderte Betriebszweck. Während der Beklagten
zu 1) die Großserienproduktion das Gepräge gab, befasst sich die Beklagte zu
2) von Anfang an mit der Fertigung von Prototypen und der Produktion von
Kleinserien, die die Beklagte zu 1) "nur unter wirtschaftlichem Druck"
übernommen hat. Hierüber ist ein von Anfang an beabsichtigter geänderter
Betriebszweck erkennbar, der einem Teilbetriebsübergang entgegensteht
(BAG, Urteil vom 13.05.2004 – 8 AZR 331/03 – AP Nr. 273 zu § 613 a BGB).
45
Dem steht nicht entgegen, dass die Beklagte zu 2) mangels eigener
Zertifizierung lediglich als Subunternehmerin der Beklagten zu 1) fungiert und
frühere für die Qualität verantwortliche Mitarbeiter der Beklagten zu 1) als
Arbeitnehmer der Beklagten zu 2) den Qualitätsstandard der
Automobilindustrie gewährleisten. Diese Personen vermitteln zwar ein
besonderes, zur Aufgabenbewältigung erforderliches Know-how. Allein
46
hierüber kann jedoch die Identität des früheren Bereichs "Schweißen" oder
des "Produktionsteils Kleinserien" nicht gewahrt werden.
c) Schließlich fehlt die Absicht, den Betrieb der Beklagte zu 1) bzw. einen
Betriebsteil zu veräußern. Der Gesellschafter/Geschäftsführer R2xx D1xx
hatte zwar den Entschluss gefasst, den Maschinenpark aufzuteilen. Die
Gründung der Beklagten zu 2) war jedoch nicht Bestandteil dieses
Entschlusses. Dies hat der Zeuge H1xxxxx glaubhaft dargestellt. Auch nach
seiner Einschätzung hatte die Umformtechnik keine Zukunft mehr; deren
Produkte waren in Zukunft nicht mehr absetzbar. Deshalb habe er mit dem
Mitarbeiter des C3xxxxxxxxx, B7xxx, überlegt, in N2xxxxxxx etwas
vergleichbares zu A3xxxx auf dem Gebiet der Kaltformtechnik aufzubauen.
Diese Überlegungen seien dem Gesellschafter/Geschäftsführer R2xx D1xx in
einem Gespräch nach dem Stilllegungsentschluss vorgetragen worden. Ohne
seine Beteiligung und Unterstützung sei dann mit dem Engagement seines
Sohnes, M1xxxxxx D1xx, die Beklagte zu 2) gegründet worden. Sie habe
schließlich den bekannten Teil des früheren Maschinenparks der Beklagten
zu 1) übernommen und für ihre betriebliche Organisation um weitere
Maschinen - wie z. B. den Cloos-Roboter und den MIG Löten - ergänzt.
47
3. Für die Kündigung sind auch nicht nachträglich die aufgezeigten dringenden
betrieblichen Erfordernisse entfallen. Entgegen den weiteren Einwendungen der
Klägerin scheitert die Betriebsstilllegung nicht daran, dass die Beklagte zu 1)
weiterhin gegenüber der Automobilindustrie zuvor eingegangene
Lieferverpflichtungen erfüllt. Dies führt zumindest nicht zu der Annahme, dass die
Beklagte zu 1) auch jetzt noch produziert und deshalb Bedarf an
Produktionsmitarbeitern hat. Zum einen hat sich die erkennende Berufungskammer
auch durch das Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugen lassen, dass die
Beklagte zu 1) allenfalls handelt, aber nicht produziert. Da die Beklagte zu 1) als
zertifizierter Zulieferer nicht in der Lage war – ohne sich
Schadenersatzverpflichtungen auszusetzen -, die übernommenen Aufträge ohne
weiteres aufzukündigen, hat sie die Beklagte zu 2) für Kleinserien und die D1xx
Tschechien sowie die D1xx U3 für Großserien als Subunternehmer eingebunden.
Dass die Beklagte zu 2) nur die Kleinserien auftragsgemäß erfüllt, hat der Zeuge
H1xxxxx in seiner zeugenschaftlichen Vernehmung erhärtet. Hierin wurde er durch
den Zeugen L5xxx bestärkt. Dadurch kehrt die Beklagte zu 1) jedoch nicht wieder
zum Produktionsbetrieb zurück. Dass der Beklagten zu 1) dieser Produktionsanteil
nicht als Eigenproduktion zuzuordnen ist, ist damit zu begründen, dass beide
Gesellschaften keinen gemeinschaftlichen Betrieb führen. Es fehlt sowohl an der
einheitlichen Leitungsmacht als auch am gemeinsamen Betriebszweck. Im Übrigen
ist festzuhalten, dass eine nachträgliche, zuvor nicht erkennbare Entwicklung
keinerlei Auswirkungen auf den Kündigungsgrund hat. Die soziale Rechtfertigung
ist für den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung zu überprüfen (vgl. hierzu auch:
BAG, Urteil vom 16.05.2002 – a. a. O., zu B III 2 der Gründe).
48
II.
49
Die Kündigung ist auch nicht aus anderen Gründen rechtsunwirksam (§ 13 Abs. 3
KSchG).
50
1. Die Beklagte zu 1) hat die Kündigung nicht wegen eines Betriebs- oder
51
Betriebsteilübergangs erklärt (§ 613 a Abs. 1 und 4 BGB). Die erkennende
Berufungskammer hatte zuvor dargestellt, dass nicht einmal eine
Betriebsteilveräußerung Inhalt des Entschlusses vom 22.07.2004 war. Im Übrigen
sieht die erkennende Berufungskammer die Voraussetzungen des § 613 a Abs. 1
BGB nicht als erfüllt an.
2. Die Kündigung ist auch nicht wegen verspätet eingereichter
Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit rechtsunwirksam (§§ 17, 18
KSchG i. V. m. § 134 BGB).
52
a) Zwar hat die Beklagte zu 1) zur Überzeugung der erkennenden
Berufungskammer die Kündigungserklärungen vor erstatteter
Massenentlassungsanzeige abgegeben. Mit der Unterzeichnung durch ihren
Prokuristen U2xxxx H1xxxxx am 26.07.2004 und dem nachfolgenden
einkuvertieren aller Kündigungen hat die Beklagte zu 1) ihren
rechtsgeschäftlichen Willen erkennbar so geäußert, dass an der Endgültigkeit
der Kündigung kein Zweifel möglich war. Die Kündigungen waren auch mit
ihrem Willen in den Verkehr gebracht worden. Die kaufmännische
Mitarbeiterin der Beklagten war mit allen Kündigungen am 26.07.2004 auf der
Post erschienen. Dass die Kündigungen entgegen den Vorstellungen der
Beklagten zu 1) nicht schon an diesem Tage in den weiteren Postlauf
gelangten, entsprach nicht ihrem Willen. Dies wurde ausschließlich von der
Sachbearbeiterin der Post beeinflusst. Diese sah sich wegen des
Schützenfestes nicht in der Lage, diese große Anzahl an Einschreiben
entgegen zu nehmen. Dass die Kündigungen dementsprechend erst nach
erfolgter Massenentlassungsanzeige endgültig in den Postlauf gelangt sind
hat nicht zur Rechtsfolge, dass die Beklagte zu 1) die Kündigungserklärungen
erst am 27.07.2004 und nicht schon am 26.07.2004 abgegeben hat (BGH,
Urteil vom 18.12.2002 – VI ZR 39/05 – NJW RR 2003, 384: Bei
empfangsbedürftigen Willenserklärungen muss die Erklärung mit Willen des
Erklärenden in den Verkehr gebracht sein; Palandt/Heinrichs, § 130 Rdnr. 2
BGB).
53
b) Dieser zeitliche Ablauf bewirkt jedoch nicht die Rechtsunwirksamkeit der
Kündigung.
54
(1) Gem. § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 KSchG war die Beklagte zu 1) verpflichtet,
der Agentur für Arbeit Anzeige zu erstatten, da sie mehr als 10 % der in
ihrem Betrieb regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer innerhalb von 30
Kalendertagen entlassen wollte. Die Anzeige musste vor der Entlassung
der für ihren Betrieb zuständigen Agentur für Arbeit erstattet werden.
Dieser Verpflichtung ist die Beklagte zu 1) gerecht geworden. Ausgehend
von der ständigen Rechtsprechung des BAG (BAG, Urt. v. 18.09.2003 – 2
AZR 79/02 – NZA 2004, 375 ff.) ist unter Entlassung i. S. der §§ 17, 18
KSchG nicht schon der Ausspruch der Kündigung, sondern die damit
beabsichtigte tatsächliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses gemeint.
Danach kommt es nicht darauf an, dass die Beklagte unter dem Datum
des 26.07.2004 eine entsprechende Anzahl an Kündigungen
ausgesprochen hat. Maßgeblich ist vielmehr der Zeitpunkt, zudem die
betroffenen Arbeitsverhältnisse tatsächlich beendet werden sollten.
55
(2) An dieser Beurteilung ändert sich zur Überzeugung der erkennenden
Berufungskammer durch das Urteil des EuGH vom 27.01.2005 (C 188/03:
Irmtraud Jung ./. Wolfgang Kühnel, NZA 2005, 213) nichts. In diesem
Urteil hat der EuGH auf Vorlage des Arbeitsgerichts Berlin vom
30.04.2003 entschieden, dass als Entlassung i. S. der Richtlinie 98/59/EG
die Kündigungserklärung zu verstehen ist. Dieses Urteil betrifft unmittelbar
nur die Richtlinie 98/59/EG, die im Verhältnis zwischen Privaten keine
unmittelbare Wirkung entfaltet. Für die Frage, welche Auswirkungen
dieses Urteil auf die streitgegenständliche Kündigung hat, ist
entscheidend, ob die Regelungen der §§ 17 ff. KSchG richtlinienkonform
ausgelegt werden können und – bei Bejahung - ob die Einbeziehung von
"Altfällen" mit den Grundsätzen des Vertrauensschutzes vereinbar ist.
Beides ist zu verneinen.
56
(3) Die Vorschriften der §§ 17 ff. KSchG lassen die von der Klägerin
erhoffte Auslegung nicht zu. Ein nationales Gericht, bei dem ein
Rechtsstreit ausschließlich zwischen Privaten anhängig ist, muss bei der
Anwendung der Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts, die zur
Umsetzung der in einer Richtlinie vorgesehenen Verpflichtungen erlassen
worden sind, das gesamte nationale Recht berücksichtigen und es soweit
wie möglich anhand des Wortlauts und des Zweckes der Richtlinie
auslegen, um zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem von der
Richtlinie verfolgten Ziel vereinbar ist (EuGH, Urteil vom 05.10.2004 – Rs
C 379/01 – Pfeiffer, AP Nr. 12 zu EWG-Richtlinie Nr. 93/104; EuGH,
Schlussanträge des Generalanwalts vom 30.06.2005 – C-144/04 –
Mangold ./. Rüdiger Helm, EzA Schnelldienst, Heft 14/05 vom
08.07.2005). Lassen Wortlaut, Entstehungsgeschichte,
Gesamtzusammenhang oder Sinn und Zweck des Gesetzes mehrere
Deutungen zu, von denen jedenfalls eine zu einem
Gemeinschaftsrechtskonformen Ergebnis führt, so ist die Auslegung
geboten, die mit dem Gemeinschaftsrecht in Einklang steht. Die
gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung darf aber nicht im Widerspruch
zum Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers stehen
(BAG, Beschluss vom 18.02.2003 – 1 ABR 2/02 -; BAG, Urteil vom
18.09.2003 – 2 AZR 79/02 -; a. A., K. Riesenhuber/R. Domröse,
richtlinienkonforme Auslegung der §§ 17, 18 KSchG und Rechtsfolgen
fehlerhafter Massenentlassungen, NZA 2005, 568 ff.: für deutsche
Gerichte bedeutet dies, dass sie nationales Recht grundsätzlich auch
contra legem fortbilden müssen). Von diesen Grundsätzen ausgehend ist
zur Überzeugung der erkennenden Berufungskammer eine
richtlinienkonforme Auslegung der §§ 17 ff. KSchG nicht möglich. Zwar
kann bei isolierter Betrachtung das Wort "Entlassung" sowohl im Sinne
von "Ausspruch der Kündigung" wie auch im Sinne von "Zeitpunkt der
tatsächlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses" verstanden werden.
Hätte der Gesetzgeber ein Verständnis im erstgenannten Sinne gewollt,
so hätte es nahe gelegen, in §§ 17 ff. KSchG wie in den vorangehenden
§§ 1 – 16 KSchG den Begriff der Kündigung zu verwenden. Durch den
abweichenden Begriff "Entlassung" wird jedoch bewusst ein anderes Wort
verwandt. Hieraus lässt sich ableiten, dass nicht nur optisch, sondern
auch inhaltlich etwas anderes als mit dem Wort "Kündigung" in den §§ 1 –
16 KSchG gemeint sein soll. Dies legt eine Auslegung i. S. des bisherigen
57
Verständnisses nahe, dass mit Entlassung die tatsächliche Beendigung
des Arbeitsverhältnisses gemeint ist (so auch: Bauer/Krieger/Powietzka,
Der Betrieb 2005, 445 ff.; a. A., Riesenhuber/Domröse, a. a. O.; ArbG
Bochum, Urteil vom 17.03.2005 – 3 Ca 307/04). Die bewusste
Verwendung eines anderen Begriffes deutet weiter darauf hin, dass der
Gesetzgeber mit den Vorschriften in den §§ 17 ff. KSchG ein bestimmtes
Regelungskonzept verfolgte, in das mit einer Auslegung dieser
Vorschriften i. S. des Urteils des EuGH vom 27.01.2005 erheblich
eingegriffen würde. Dafür, dass der Gesetzgeber den Begriff "Entlassung"
in §§ 17 ff. KSchG als tatsächliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses
verstanden haben wollte, spricht schließlich, dass diese Regelungen –
trotz der häufigen Änderungen im Kündigungsschutzgesetz, Kenntnis der
Rechtsprechung des BAG und Kenntnis der Richtlinien – in diesem Punkt
nie geändert worden sind.
(4) Die sofortige Umsetzung des Urteils des EuGH vom 27.01.2005 auch
auf "Altfälle" ist mit den Grundsätzen des rechtsstaatlichen Prinzips des
Vertrauensschutzes nicht vereinbar. Zwar hat der EuGH von der
Möglichkeit, die Rückwirkung seiner Entscheidung selbst auszuschließen,
im Urteil vom 27.01.2005 keinen Gebrauch gemacht. Zu Berücksichtigen
ist aber erneut, dass diese Entscheidung sich unmittelbar nur auf die
Richtlinie 1998/59/EG bezieht. Wollte man aus dem Urteil vom 27.01.2005
das Gebot einer richtlinienkonformen Auslegung der §§ 17 ff. KSchG auch
für die Vergangenheit ableiten, so wäre dies mit den Grundsätzen des
Vertrauensschutzes nicht vereinbar (Bauer/Krieger/ Powietzka, Der
Betrieb 2005, §§ 445 ff.; LAG Köln, Urteil vom 25.02.2005 – 11 Sa 767/04
-; LAG Berlin, Urteil vom 27.04.2005 – 17 Sa 2646/04 -; a. A., ArbG
Bochum, a. a. O.; ArbG Berlin, Urteil vom 01.03.2005 – 36 Ca 19726/02 -;
Riesenhuber/ Domröse, a. a. O.). Es handelte sich um eine unechte
Rückwirkung, da die Parteien über die Frage der Wirksamkeit der
Kündigung gerade streiten. Eine solche unechte Rückwirkung ist
grundsätzlich zulässig. Schranken ergeben sich jedoch aus dem
rechtsstaatlichen Prinzip der Rechtssicherheit. Durfte die betroffene Partei
mit der Fortgeltung der bisherigen Rechtslage rechnen und ist dieses
Vertrauen bei einer Abwägung der Interessen des Einzelnen mit
denjenigen der Allgemeinheit schutzwürdig, ist die unechte Rückwirkung
unzulässig. Dieser Schutz ist nicht etwa deshalb eingeschränkt, weil jeder
Arbeitgeber mit einer möglichen Änderung in der Rechtsprechung
rechnen muss. Schließlich ist eine veränderte Rechtsanwendung
aufgrund neuer Rechtserkenntnisse nicht ohne Weiteres mit einer
Änderung der objektiven Rechtslage durch ein neues Gesetz und der
hierbei zu beachtenden Beschränkung echter Rückwirkung
gleichzusetzen. Allerdings gewinnt der sich aus dem Rechtsstaatsprinzip
ergebene Vertrauensschutz um so größere Bedeutung, je mehr die
Rechtsprechung sich der Rechtsetzung nähert. Trotz des
Vorlagebeschlusses des ArbG Berlin vom 30.04.2003 durfte die Beklagte
mit der Fortgeltung der bisherigen Rechtslage in einem derartigen Maß
rechnen, dass ihr diesbezügliches Vertrauen bei einer Abwägung mit den
Belangen der anderen Partei und dem Anliegen der Allgemeinheit den
Vorzug verdient. Sowohl die langjährige gefestigte Rechtsprechung des
BAG (vgl. BAG, Urteil vom 18.09.2003 – 2 AZR 79/02 –, NZA 2004, 375
58
ff.) als auch der Hinweis in den Merkblättern sowie in den Formularen zur
Erstattung von Massenentlassungsanzeigen der Bundesagentur für Arbeit
gingen ausdrücklich davon aus, dass es für die Erstattung der
Massenentlassungsanzeige nicht auf den Zeitpunkt des Ausspruchs der
Kündigung, sondern auf den der Beendigung des Arbeitsverhältnisses
durch Ablauf der Kündigungsfrist ankomme. Dieses Vertrauen des in
Unkenntnis der durch die Entscheidung des EuGH vom 27.01.2005
geänderten Rechtsprechung kündigenden Arbeitgebers ist schützenswert
(so ausdrücklich: LAG Köln, Urteil vom 25.02.2005 – 11 Sa 767/04 – und
LAG Berlin, Urteil vom 27.04.2005 – 17 Sa 2646/04 –).
(5) Ein weiterer Vertrauenstatbestand ist für die Beklagte zu 1) dadurch
eingetreten, dass die Bundesagentur für Arbeit sowohl mit Bescheid vom
10.08.2004 als auch mit Bescheid vom 20.11.2004 die am 27.07.2004 und
am 28.10.2004 erstatteten Anzeigen unter Berücksichtigung der damals
hinlänglich bekannten Auslegungskriterien für rechtswirksam erachtet hat.
Entgegen der vom Arbeitsgericht Bochum vertretenen Rechtsauffassung
erfahren die Verwaltungsakte der Bundesagentur für Arbeit im Rahmen
der §§ 17, 18 KSchG Tatbestandswirkung für das arbeitsgerichtliche
Kündigungsschutzverfahren. Die Massenentlassungsanzeige hat
ausschließlich arbeitsmarktpolitische Qualität. Der Bundesagentur für
Arbeit soll die Möglichkeit eingeräumt werden, einer durch diese
unternehmerische Entscheidung auf die Agentur hinzukommende
ungewöhnlich hohe Vermittlungspflicht gerecht zu werden. Sie soll
rechtzeitig alle erforderlichen Maßnahmen treffen können, um eine
Weitervermittlung zu ermöglichen. Bestätigt dann die Bundesagentur für
Arbeit der Beklagten zu 1) ihre ordnungsgemäße Beteiligung, so ist es der
Arbeitsgerichtsbarkeit verwehrt, nachträglich deren Rechtswidrigkeit zu
überprüfen, um hieraus mögliche individualrechtliche negative
Rechtsfolgen für das Kündigungsschutzverfahren abzuleiten. Im Übrigen
teilt die erkennende Berufungskammer die vom BAG konsequent
vertretende Rechtsauffassung (beispielhaft: BAG, Urteil vom 18.09.2003 –
2 AZR 403/02 –), dass Fehler in der Anzeigepflicht nicht zur
Rechtsunwirksamkeit der Kündigung führen. Das
Kündigungsschutzgesetz sanktioniert Fehler des Arbeitgebers nicht mit
der individualrechtlichen Unwirksamkeit der Kündigung. Die §§ 17, 18
KSchG sind auch nicht Verbotsgesetz i. S. des § 134 BGB.
59
c) Die Beklagte zu 1) ist den Anforderungen ihrer Anzeigepflicht gem. den §§
17, 18 KSchG gerecht geworden. Mit ihren Anzeigen vom 27.07.2004 und
28.10.2004 hat sie die für den Zeitraum 30.09.2004 bis 31.12.2004
festzustellenden Massenentlassungen ordnungsgemäß vorbereitet.
60
B.
61
Der gegen die Beklagte zu 2) gerichtete Antrag auf Beschäftigung zu unveränderten
Bedingungen ist weder zulässig (I) noch begründet (II).
62
I.
63
Die Klage ist unzulässig.
64
1. In der Rechtsprechung ist zwar anerkannt, dass gem. § 256 Abs. 1 ZPO Klage
erhoben werden kann auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines
Rechtsverhältnisses, wenn die Klägerin ein rechtliches Interesse daran hat, dass
das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde.
Als feststellbares Rechtsverhältnis i. S. des § 256 Abs. 1 ZPO kommt auch das
Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zwischen der Klägerin und der Beklagten zu
2) in Folge eines Betriebsübergangs in Betracht. Eine Klage gegen den
Betriebserwerber ist dementsprechend darauf zu richten, dass festgestellt wird, das
Arbeitsverhältnis bestehe – zu unveränderten Arbeitsbedingungen – mit dem
Betriebserwerber fort (BAG, Urteil vom 22.07.2004 – 8 AZR 394/03 –). Für eine
solche Feststellungsklage wäre das notwendige Feststellungsinteresse zu
unterstellen, zumal die Beklagte zu 2) sowohl das Vorliegen eines
Betriebsübergangs oder Betriebsteilübergangs, damit den Fortbestand des
Arbeitsverhältnisses der Klägerin mit ihr als Arbeitgeberin in Abrede stellt.
65
Eine solche Feststellungsklage hat die Klägerin jedoch nicht erhoben. Sie ist trotz
Protokollerklärung auch nicht im Antrag auf Verurteilung zur vertragsgemäßen
Beschäftigung enthalten. Diese Feststellungsklage ist zur Überzeugung der
erkennenden Berufungskammer zwingend geboten. Denn nur hierüber kann beim
Streit über das Bestehen eines Rechtsverhältnisses zwischen den Parteien mit
Rechtskraft geklärt werden, ob ein Arbeitsverhältnis kraft Gesetzes begründet
worden ist oder nicht. Da ausschließlich aus diesem Feststellungsurteil ein
Beschäftigungsanspruch abgeleitet werden kann – § 611 BGB i. V. m. Art. 1 und 2
GG – ist die Klärung eines solchen Rechtsverhältnisses mittels Feststellungsklage
i. S. des § 256 ZPO i. V. m. § 613 a Abs. 1 BGB zwingend geboten. Es ist nicht
ausreichend, dass das Bestehen eines Rechtsverhältnisses als Vorfrage einer
Beschäftigungspflicht überprüft werden müsste. Diese rechtliche Wertung kann
nicht in Rechtskraft erwachsen, zumal bei einer tenorierten Beschäftigungspflicht
der Übergang eines Arbeitsverhältnisses nicht Streitgegenstand dieses
Beschäftigungsurteils ist. Die Rechtskraftwirkung bei der Leistungsklage bezieht
sich nur auf die Entscheidung über den prozessualen Anspruch, nicht jedoch auf
die den Leistungsbefehl tragenden Feststellungen. § 256 Abs. 2 ZPO ermöglicht
deshalb die Ausdehnung auf das der Leistungsklage vorgreifliche Rechtsverhältnis
einschließlich der tragenden Entscheidungsgründe (BAG, Urteile vom 20.09.2003
– 8 AZR 446/02 – und vom 13.05.2004 – 8 AZR 198/03).
66
2. Die Erläuterung im Termin zur Berufungsverhandlung führt nicht zur Zulässigkeit
des Klagebegehrens. Die Klägerin meint zwar, von Anfang an ein
Feststellungsbegehren bzgl. des Arbeitgeberwechsels von der Beklagten zu 1) auf
die Beklagte zu 2) angesprochen zu haben. Dies mag im Sachvortrag des ersten
Rechtszuges durchaus Unterstützung gefunden haben. Dennoch ist zu
berücksichtigen, dass dieses Vorbringen nicht in einen sachdienlichen
Klageantrag transformiert wurde. Die Klägerin hatte vielmehr das zunächst gegen
die Beklagte zu 1) gerichtete Feststellungsbegehren auch gegenüber der
Beklagten zu 2) wiederholt und im weiteren Verlauf des ersten Rechtszuges diese
Klageerweiterung auf eine Beschäftigungspflicht reduziert. Dies bewirkt, dass
dieser Antrag trotz protokollierter Erläuterung einer entsprechenden Auslegung
nicht zugänglich ist.
67
II.
68
Eine zulässige Klage wäre auch nicht begründet. Zwischen der Klägerin und der
Beklagten zu 2) ist ein Arbeitsverhältnis nicht begründet worden. Die Beklagte zu 2) ist
nicht Rechtsnachfolgerin der Beklagten zu 1). Sie hat weder deren Betrieb noch einen
der Klägerin zuzuordnenden Betriebsteil durch Rechtsgeschäft (§ 613 a Abs. 1 S. 1
BGB) übernommen. Entgegen den Vorstellungen der Klägerin führt die Beklagte zu 2)
nicht die wirtschaftliche Einheit der Beklagten zu 1) fort; sie wahrt nicht deren Identität.
69
Zur Überzeugung der erkennenden Berufungskammer unterscheidet sich die Beklagte
zu 2) in wesentlichen Bereichen von der Beklagten zu 1). Während die Beklagte zu 1)
an der Großserienproduktion (100.000 bis 800.000 Stück) für die Automobilindustrie
beteiligt war, liegt das Produktionsziel der Beklagten zu 2) in der Kleinserienfertigung
(150 bis 200 Stück). Diese ist mit einem hohen Umrüstungsaufwand verbunden. Ein
weiterer Schwerpunkt der Beklagten zu 2) ist der Muster- und Prototypenbau, die
Konstruktion und Entwicklung auf dem Gebiet der Hartmetallverarbeitung. Mit dieser
Aufgabenstellung hat sich die Beklagte zu 1) zu keiner Zeit befasst. Die Beklagten zu 1)
und zu 2) unterscheiden sich auch in ihren Betriebsmethoden und in ihrer
Arbeitsorganisation. War für die Großserienproduktion der Beklagten zu 1) die
Insellösung mit Zwischenlagerung im Hochregallager typisch, so produziert die
Beklagte zu 2) in einer geschlossenen Linie. Sie benötigt für die Kleinserien, für den
Muster- und Prototypenbau kein Zwischenlager. Festzustellen ist außerdem, dass die
Beklagte zu 2) nicht ausschließlich mit einem Teil der von der Beklagten zu 1)
eingesetzten Maschinen (im wesentlichen CNC-Maschinen) arbeitet. Für ihre
betriebliche Organisation, d. h. für ihre Linienproduktion benötigte sie zusätzlich
Roboter, die den Transport zwischen den Pressen und Biegemaschinen sowie
Schweißautomaten bewältigen. Sie hat außerdem ein Lötverfahren einbezogen, das bei
der Beklagten zu 1) nicht bekannt war. Schließlich benötigt die Beklagte zu 2) nur einen
geringen Teilbereich der früheren Liegenschaften der Beklagten zu 1). Sie arbeitet in
nahezu nur einer von früher acht Hallen, sie benötigt nicht das Hochregallager, sie hat
keinen Bedarf für das mehrstöckige Bürogebäude der Beklagten zu 1), sondern kommt
mit einem Büroraum aus. Sie hält nicht den Einkauf, Vertrieb, Versand, die Finanz- und
Lohnbuchhaltung im bei der Beklagten zu 1) gewohnten Umfang vor. Die Beklagte zu 1)
beschäftigt schließlich nur einen Bruchteil der für die Betriebsgröße der Beklagten zu 1)
typischen Belegschaftsstärke.
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Die Beklagte zu 2) hat auch keinen Betriebsteil "Schweißen" übernommen. Einen
solchen Betriebsteil hielt die Beklagte zu 1) nicht vor. Um einen selbständigen
übertragungsfähigen Betriebsteil i. S. des § 613 a Abs. 1 BGB annehmen zu können ist
es erforderlich, dass bei der Beklagten zu 1) für diesen Teilbereich eine
organisatorische Selbständigkeit vorhanden war. Diese Selbständigkeit verlangt eine
nach Außen hin erkennbare deutliche räumliche und organisatorische Abgrenzung von
dem übrigen betrieblichen Spektrum sowie einen besonders ausgeprägten
arbeitstechnischen Zweck (BAG, Urteil v. 17.04.2003 – 8 AZR 253/02 – AP Nr. 253 zu §
613 a BGB; Urteil v. 22.07.2004 – 8 AZR 394/03 –; Urteil v. 25.01.2005 – 9 AZR 258/04
–).
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Diese organisatorische Abgrenzung war früher nicht bekannt. Aus diesem Grunde ist die
Beklagte zu 2) auch nicht verpflichtet, die Klägerin als Maschinenbedienerin eines
Schweißautomaten zu beschäftigen.
72
Die dieser möglicherweise widersprechenden, in der Berufungsverhandlung
73
vorgelegten umfassenden Unterlagen, erfüllen den Tatbestand des verspäteten
Vorbringens. Zum einen ist festzuhalten, dass ein Großteil dieser Unterlagen dem
Prozessbevollmächtigten der Klägerin seit dem 12.07.2005, d. h. einen Monat vor dem
Termin zur Berufungsverhandlung vorlagen und deren Inhalt bekannt waren. Ein
weiterer Teil dieser Unterlagen stand ihm erst seit dem 01. bzw. 08.08. zur Verfügung.
Da mit diesen Unterlagen das Vorbringen des ersten Rechtszuges, die kleinen Gebinde
erreichten inzwischen die Größenordnung der Großserienproduktion der Beklagten zu
1) belegt werden sollte, war die Klägerin aus den Gründen des rechtlichen Gehörs
gehalten, diese Unterlagen vorab den Prozessbevollmächtigten der Beklagten zur
Verfügung zu stellen. Im Übrigen ist die Klägerin darauf hinzuweisen, dass dieses
Vorbringen auch gem. § 67 Abs. 4 ArbGG verspätet ist. Dem wesentlichen Teil der
Unterlagen ist zu entnehmen, dass hierüber Sachverhalte vorgetragen werden sollen,
die sich innerhalb der Berufungsbegründungsfrist ereignet haben. Da sich die Klägerin
persönlich nicht um diese Informationen bemüht hat sondern darauf wartet, dass ihr ein
Mitarbeiter eines fremden Unternehmens prozessdienliche Informationen unterbreitet
macht sie deutlich, dass sie sich zumindest fahrlässig nicht um eine schnellere
Aufklärung dieses Sachverhaltes bemüht hat. Aus diesem Grunde ist das nachträgliche
Vorbringen außerhalb der Berufungsbegründungsfrist ausgeschlossen.
C.
74
Aus den zuvor beschriebenen Gründen konnten die Feststellungs- und
Beschäftigungsklage von Anfang an keinen Erfolg haben. Der an sich statthaften
Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn war der
gewünschte Erfolg zu versagen; sie war mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO
zurückzuweisen. Angesichts der ungeklärten Rechtslage zur Massenentlassung hat die
erkennende Berufungskammer die Revision ausdrücklich zugelassen.
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Schulte
Möllers
Tölle
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