Urteil des LAG Hamm vom 07.11.2002

LArbG Hamm: bereitschaftsdienst, ruhezeit, kirchliche stiftung, begriff, europarechtskonforme auslegung, sicherheit, eugh, aufnehmen, arbeitsgericht, dienstanweisung

Landesarbeitsgericht Hamm, 16 Sa 271/02
Datum:
07.11.2002
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
16. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
16 Sa 271/02
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Herne, 2 Ca 4373/00
Nachinstanz:
Bundesarbeitsgericht, 9 AZR 93/03
Leitsätze:
1. Die in der SIMAP-Entscheidung des EuGH vom 03.10.2000 (Rs.L
303/98 -) aufgrund der Richtlinie 93/104/EG vorgenommene Einordnung
von Bereitschaftsdiensten, bei denen Ärzte in der
Gesundheitseinrichtung anwesend sein müssen, als Arbeitszeit, ist nicht
durch Besonderheiten des spanischen Ausgangsfalls geprägt, sondern
auch für die Bereitschaftsdienste in deutschen Krankenhäusern
maßgeblich, bei denen Ärzte im Krankenhaus anwesend sein müssen,
um bei Bedarf ihre Tätigkeit sofort aufnehmen zu können.
2. Aufgrund europarechtskonformer Auslegung des Begriffs der
Arbeitszeit in § 2 Abs. 1 ArbZG kommt diese Rechtsprechung
unmittelbar auch in der Bundesrepublik Deutschland zur Anwendung,
ohne dass es hierzu einer ausdrücklichen Gesetzes-änderung bedarf.
Rechtskraft:
Die Revision wird zugelassen
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Schlussurteil des Arbeitsgerichts
Herne vom 11.12.2001 - 2 Ca 4373/00 - wird kostenpflichtig
zurückgewiesen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um die Einordnung des von der Klägerin abzuleistenden
Bereitschaftsdienstes als Arbeitszeit.
2
Die Klägerin ist seit dem 07.08.1989 mit einer kurzen Unterbrechung als Ärztin im S3.
M1xxxxxxxxxxxx, einem Katholischen Krankenhaus, beschäftigt. Sie war zunächst als
Ärztin im Praktikum tätig und ist seit dem 01.09.1994 Assistenzärztin in der
kinderchirurgischen Abteilung. Die Vergütung wird in Anlehnung an den BAT bezahlt
und richtet seit Februar 2000 nach der Vergütungsgruppe I b BAT. Es belief sich nach
den letzten dem Gericht vorliegenden Abrechnungen auf der Grundlage der
Vergütungsgruppe BAT II a auf etwa 8.500,-- DM, worin etwa 2.200,-- DM als Bezahlung
von Bereitschaftsdienst enthalten waren.
3
Das Arbeitsverhältnis der Parteien richtet sich nach dem schriftlichen Arbeitsvertrag vom
18.10.1994 (Bl. 11 - 12 d.A.). In § 2 haben die Parteien vereinbart, dass es sich nach
dem Hausvertrag und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Verträgen
in der für den Arbeitgeber geltenden Fassung bestimmt.
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Trägerin des S3. M7xxxxxxxxxxxxx ist die Beklagte, eine kirchliche Stiftung gemäß § 29
Stiftungsgesetz NRW. Sie gehört weder dem Caritasverband für das Erzbistum M5xxxxx
an, noch ist sie Mitglied einer Kommission im Sinne der KODA-Ordnung, noch hat sie
eine Ausnahmegenehmigung beantragt. Im M1xxxxxxxxxxxx ist eine
Mitarbeitervertretung gebildet. Mit dieser ist der arbeitsvertraglich in Bezug genommene
Hausvertrag, der am 01.01.1989 in Kraft getreten ist, abgeschlossen worden. Er ist dem
BAT vergleichbar und
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enthält Nebenbestimmungen zur Eingruppierung, Vergütung, Urlaub, Beendigung des
Arbeitsverhältnisses sowie in den §§ 15 - 17 umfangreiche Regelungen zur Arbeitszeit.
So ist in § 15 Abs. 2 die Verlängerung der Arbeitszeit bei Arbeitsbereitschaft
vorgesehen. Außerdem ist nach § 2 des Hausvertrages u.a. die Sonderregelung SR 2 c
des BAT, in der Bestimmungen zur Arbeitszeit von Ärzten und Zahnärzten an Anstalten
und Heimen enthalten sind, Bestandteil des Hausvertrages. Zu den weiteren
Einzelheiten des Hausvertrages wird auf das von der Beklagten im Schriftsatz vom
26.02.2001 zur Gerichtsakte überreichte Exemplar Bezug genommen. Er ist mit
Schreiben vom 09.10.1996 gekündigt worden, zwischen der Beklagten und der
Mitarbeitervertretung ist jedoch die Nachwirkung des Hausvertrages vereinbart worden
(Bl. 51 d.A.).
6
Aufgrund der am 01.03.1997 in Kraft getretenen Dienstanweisung der Beklagten (Bl. 16
d.A.) gelten in der Kinderchirurgie die folgenden Arbeitszeiten:
7
"Regelarbeitszeit gültig für Mitarbeiter der Klinik
8
Regelarbeitszeit von 7.00 Uhr - 15.30 Uhr von montags bis freitags
9
Diensthabender im Bereitschaftsdienst
10
Montag - Donnerstag
11
Regelarbeitszeit von 7.00 Uhr - 15.30 Uhr
12
Arbeitsbereitschaft von 15.30 Uhr - 17.45 Uhr
13
Bereitschaftsdienst von 17.45 Uhr - 7.00 Uhr
14
Folgetag
15
Regelarbeitszeit von 7.00 Uhr - 10.00 Uhr
16
Arbeitsbereitschaft von 10.00 Uhr - 13.00 Uhr
17
Freizeitausgleich von 13.00 Uhr - 15.30 Uhr
18
(2,5 Std. inkl. 0,5 Std. Pause)
19
Freitag/Samstag
20
Regelarbeitszeit von 7.00 Uhr - 15.30 Uhr
21
Bereitschaftsdienst von 15.30 Uhr - 9.30 Uhr
22
Samstag/Sonntag
23
Bereitschaftsdienst von 9.30 Uhr - 9.30 Uhr
24
Sonntag/Montag
25
Bereitschaftsdienst von 9.30 Uhr - 7.00 Uhr
26
Dienst an Feiertagen
27
wie Sonntag/Montag
28
Dienst vor Feiertagen
29
wie Freitag/Samstag"
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Einem exemplarisch von der Beklagten zur Gerichtsakte eingereichten Dienstplan für
März 2002 ist zu entnehmen, dass die Klägerin in diesem Monat fünf Mal zum
Bereitschaftsdienst eingeteilt war. Während des Bereitschaftsdienstes und der
dienstplanmäßig vorgesehenen Arbeitsbereitschaft muss sich die Klägerin zwingend in
der Klinik der Beklagten aufhalten, um jederzeit ihre Tätigkeit bei Bedarf aufnehmen zu
können. Vergütungsmäßig wird der Bereitschaftsdienst in die Stufe D eingeordnet.
Diese ist in der Sonderregelung SR c zum BAT definiert als Bereitschaftsdienst, in dem
erfahrungsgemäß durchschnittlich Arbeitsleistungen in Höhe von mehr als 40 % bis 49
% anfallen.
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Mit ihrer am 27.12.2000 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage hat die Klägerin u.a.
geltend gemacht, dass die Heranziehung zum Bereitschaftsdienst auf der Grundlage der
Dienstanweisung nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom
03.10.2000 (- Rs. C 303/98 - SIMAP) unzulässig sei, aber auch die Voraussetzungen
des Arbeitszeitgesetzes hierfür nicht erfüllt seien. Ihrem insoweit zuletzt gestellten
Antrag, die Beklagte zu verpflichten, bei den für sie dienstplanmäßig angeordneten
Diensten Bereitschaftsdienstzeiten als Arbeitszeiten im Sinne des § 2 ArbZG zu
berücksichtigen, hat das Arbeitsgericht durch Schlussurteil vom 11.12.2001
entsprochen. Zur Begründung hat es angeführt, dass die von der Klägerin
abzuleistenden Bereitschaftsdienste Arbeitszeiten im Sinne des § 2 ArbZG seien. Die
hierzu in der Vergangenheit in Literatur und Rechtsprechung vertretene Auffassung,
diese seien ohne Berücksichtigung der tatsächlichen Inanspruchnahme ohne weiteres
als Ruhezeiten zu bewerten, sei bei richtlinienkonformer Auslegung der Richtlinie
93/104/EG der EU nicht haltbar. Das Arbeitszeitgesetz, das eine Umsetzung der
Richtlinie 93/104/EG in nationales Recht darstelle, müsse sich an der Definition der
Arbeitszeit in dieser Richtlinie messen lassen. Der von der Klägerin zu leistende
Bereitschaftsdienst erfülle die vom Europäischen Gerichtshof zur Definition der
32
Arbeitszeit herangezogenen Kriterien. Dem Gesetzgeber könne nicht unterstellt werden,
dass er bei einem Gesetz, das ausdrücklich als Umsetzung der Richtlinie 93/104/EG
bezeichnet worden sei, den Begriff der Arbeitszeit so habe definieren wollen, dass er
sich letztlich als richtlinienwidrig herausstelle. Dem Arbeitszeitgesetz sei auch nicht zu
entnehmen, dass er von der Ausnahmevorschrift des Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie
93/104/EG habe Gebrauch machen wollen. Schließlich bedürfe es keiner Vorlage
gemäß Art. 234 EG-Vertrag. Die vorgenommene Auslegung entspreche dem
Arbeitszeitbegriff des Europäischen Gerichtshofs, so dass eine erneute Anrufung des
Europäischen Gerichtshofs entbehrlich sei. Sie stehe auch nicht im Widerspruch mit
dem Wortlaut der Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes, das gerade keine Definition
des Begriffs der Arbeitszeit enthalte. Auch würden weder der Begriff der Ruhezeit noch
der Begriff Bereitschaftsdienst im Arbeitszeitgesetz eigenständig definiert. Soweit im § 5
Abs. 3 ArbZG der Begriff Bereitschaftsdienst verwendet würde, könne es nicht auf die
gewählte Bezeichnung unabhängig von der tatsächlichen Ausgestaltung und
Inanspruchnahme während dieser Zeit ankommen.
Auf dieses Urteil des Arbeitsgerichts, das der Beklagten am 21.01.2002 zugestellt
worden ist, wird wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und
Streitstandes verwiesen. Hiergegen hat die Beklagte am 18.02.2002 Berufung eingelegt
und diese am 11.03.2002 begründet.
33
Die Beklagte ist der Ansicht, dass der Bereitschaftsdienst in seiner Ausgestaltung
tarifgemäß sei und dem Arbeitszeitgesetz entspreche. Der Bereitschaftsdienst leistende
Arzt könne seine Freizeit in dem ihm zur Verfügung stehenden Ruheräumen nach
eigenem Ermessen gestalten. Während des Bereitschaftsdienstes überwöge die Zeit
ohne Arbeitsleistung erheblich. Die Richtlinie 93/104/EG könne nicht greifen, da
Ruhezeiten während des Bereitschaftsdienstes nicht mitzurechnen seien und damit die
wöchentliche Arbeitszeit der Klägerin nicht die gesetzlichen Grenzen überschritte.
Außerdem entfalte diese Richtlinie keine innerstaatliche Wirkung, das SIMAP-Urteil des
Europäischen Gerichtshofs für den vorliegenden Rechtsstreit keinerlei
Rechtswirkungen, da es nur die Beteiligten des nationalen Rechtsstreits binde. Die
Richtlinie gebe zudem den Begriff der Arbeitszeit nicht starr vor, dieser richte sich
entsprechend Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie nach den jeweiligen nationalen
Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten. In Deutschland sei der Begriff des
Bereitschaftsdienstes keiner Auslegung zugänglich und nach dem Arbeitszeitgesetz
und dem BAT eindeutig als Ruhezeit definiert. Im Übrigen habe der Europäische
Gerichtshof keine allgemein gültige Auslegung des Arbeitszeitbegriffs, sondern eine
Subsumtion des Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie unter spanische Verhältnisse vorgenommen.
In Spanien sei es möglich gewesen, dass Arbeitnehmer innerhalb des
Bereitschaftsdienstes zu 100 % Arbeitsleistung hätten erbringen müssen. Eine
Beschränkung der maximalen Zeitspanne, die es erlaubt hätte, den Bereitschaftsdienst
der Ruhezeit zuzuordnen, habe in Spanien nicht existiert.
34
Selbst wenn ein Verstoß gegen die Richtlinie vorliege, sei diese auf sie, die Beklagte,
als einer Stiftung des privaten Rechts nicht unmittelbar anzuwenden, sondern bedürfe
der Umsetzung. Außerdem sei es nach Art. 17 der Richtlinie durchaus zulässig, im
Wege von Tarifverträgen hiervon abzuweichen, was auch in § 7 Abs. 2 Nr. 1 ArbZG
vorgesehen sei.
35
Die Beklagte beantragt,
36
unter Abänderung des am 11.12.2001 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts
Herne - 2 Ca 4373/00 - die Klage abzuweisen.
37
Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
39
Sie ist der Ansicht, die auf den Hausvertrag gestützte Regelung des
Bereitschaftsdienstes erfülle schon die Voraussetzungen des Arbeitszeitgesetzes nicht.
Die Dienstanweisung vom 01.03.1997 sei als einseitige Regelung auch deshalb
unzulässig, weil sie gemäß § 36 Abs. 1 Ziff. 1 MAVO der Zustimmung der
Mitarbeitervertretung bedürfe. Des weiteren vertritt sie den Standpunkt, dass sich das
Arbeitszeitgesetz ohne weiteres richtlinienkonform im Sinne der EuGH-Rechtsprechung
auslegen lasse. Selbst wenn das nicht der Fall sei, käme man zu keinem anderen
Ergebnis. Nach bisher vorherrschender Auffassung zählten nämlich die Zeiten innerhalb
eines Bereitschaftsdienstes, in denen der Arbeitnehmer tatsächlich in Anspruch
genommen werde, zur gesetzlichen Arbeitszeit im Sinne des § 2 ArbZG. Danach sei die
Anordnung von Bereitschaftsdienst bereits in dem Moment unzulässig, in dem ein
Arbeitnehmer einschließlich einer vorhergehenden Arbeitszeit innerhalb eines 24-
Stunden-Wechsels länger als 10 Stunden zu Tätigkeiten herangezogen werde. Damit
stelle aber die Ableistung von Bereitschaftsdiensten im Anschluss an die reguläre
Arbeitszeit bereits nach den Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes eine eher theoretische
Möglichkeit dar.
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Mit Schriftsatz vom 08.08.2002 hat die Klägerin der Bundesrepublik Deutschland den
Streit verkündet und dies damit begründet, dass für den Fall, dass eine
richtlinienkonforme Auslegung des Arbeitszeitgesetzes nicht möglich sei, die
Bundesrepublik gegen Art. 18 der Richtlinie 93/104/EG verstoßen hätte und ihr
Schadensersatzansprüche zustehen könnten. Die Bundesrepublik Deutschland ist dem
Rechtsstreit nicht beigetreten.
41
Zum weiteren Sachvortrag der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die zwischen
ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
42
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
43
Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.
44
Das Arbeitsgericht hat der Beklagten zu Recht aufgegeben, bei der Erstellung von
Dienstplänen Bereitschaftsdienstzeiten, in denen die Klägerin sich im Krankenhaus
aufhalten muss, um ihre Tätigkeit bei Bedarf jederzeit aufnehmen zu können, als
Arbeitszeiten zu berücksichtigen. Auf der Grundlage der Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofs sind solche Zeiten nicht als Ruhezeiten, sondern als
Arbeitszeit im Sinne des § 2 ArbZG anzusehen. Dieses Ergebnis wird durch eine
richtlinienkonforme Auslegung des Arbeitszeitgesetzes gewonnen.
45
I
46
Der mit der Klage verfolgte Antrag der Klägerin ist zulässig.
47
Es handelt sich um einen Leistungsantrag, der den Bestimmtheitserfordernissen des §
48
253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO genügt. Nach dieser Vorschrift muss die Klage die bestimmte
Angabe des Gegenstands und des Grundes des erhobenen Anspruchs enthalten. Fehlt
es an diesen Voraussetzungen, ist sie unzulässig.
Für die Bestimmtheit eines Leistungsantrages ist allein entscheidend, ob ein dem
Antrag stattgebendes Urteil so genau bezeichnet ist, dass der Schuldner ohne weiteres
erkennen kann, durch welche Verhaltensweisen er dem Urteilsspruch nachkommen
kann und dass das Urteil insoweit vollstreckungsfähig ist. Wenn es - wie vorliegend - um
die Verurteilung zu einer unvertretbaren Handlung geht, lässt sich die Grenze zwischen
bestimmtem und unbestimmtem Klageantrag nur von Fall zu Fall ziehen, wobei dem
Gesichtspunkt der Vollstreckungsfähigkeit besondere Bedeutung zukommt (BAG vom
29.04.1992 - 4 AZR 432/91 - EzA § 1 TVG Durchführungspflicht Nr. 2). Im Streitfall ist
das mit dem Antrag verfolgte Begehren der Klägerin eindeutig genug. Es ist klar, dass
die Dienste, die in der Dienstanweisung vom 01.03.1997 als Bereitschaftsdienst
aufgeführt sind, den Arbeitszeiten nach § 2 Abs. 1 ArbZG zugeordnet werden sollen,
woraus sich die im Arbeitszeitgesetz geregelten Rechtsfolgen ergeben. Was
Bereitschaftsdienst ist, ist sowohl aufgrund der in der Rechtsprechung und Literatur
verwandten Begriffsbestimmung als auch nach der in der Sonderregelung SR c zum
BAT vorgenommenen Definition, auf die sich die Beklagte selbst bezieht, eindeutig. Es
geht, woran für die Parteien kein Zweifel besteht, um die Zeiten, die die Klägerin als
Ärztin im K2xxxxxxxxx anwesend zu sein hat, um dann ihre Arbeit aufnehmen zu
können, wenn dies erforderlich wird. Das Verlangen der Klägerin bedeutet für die
Beklagte, dass bei der Erstellung der Dienstpläne die bisherigen Zeiten des
Bereitschaftsdienstes wie Arbeitszeit zu behandeln und deshalb die Höchstgrenzen, die
das Arbeitszeitgesetz zieht, sowie die Bestimmungen zu Ruhezeiten zu beachten sind.
49
II
50
Der von der Klägerin im Krankenhaus der Beklagten zu leistende Bereitschaftsdienst ist
Arbeitszeit im Sinne des § 2 Abs. 1 ArbZG. Dies ergibt eine europarechtskonforme
Auslegung dieser gesetzlichen Bestimmung. Auf die Frage, ob die Anordnung von
Bereitschaftsdienst, so wie sie im Krankenhaus der Beklagten vorgenommen wird, aus
sonstigen Gründen gegen nationale Rechtsvorschriften verstößt, kommt es damit nicht
an.
51
1.
52
Die Einordnung von Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit entspricht allerdings nicht
überkommener deutscher Rechtsauffassung. Diese - nicht aber die durch die Richtlinie
93/104/EG aufgrund der Auslegung, die sie durch die Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofs gewonnen hat - vorgegebene Definition der Arbeitszeit, liegt
der gesetzgeberischen Konzeption des Arbeitszeitgesetzes zugrunde. Danach ist der
Bereitschaftsdienst die Zeit, in der sich der Arbeitnehmer für Zwecke des Betriebes an
einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle innerhalb oder außerhalb des Betriebes
aufhalten muss, um seine volle Arbeitstätigkeit aufnehmen zu können, wenn es
erforderlich wird (vgl. zuletzt BAG vom 29.02.2000 - 1 ABR 15/99 - NZA 2000, 1245;
vom 24.10.2000 - 9 AZR 634/99 - NZA 2001, 449 jeweils m.w.N.). Arbeitszeitrechtlich
wird er als Ruhezeit eingeordnet. Soweit während des Bereitschaftsdienstes Arbeit zu
verrichten ist, ist diese auch arbeitszeitrechtlich als Vollarbeit anzusehen.
53
2.
54
Demgegenüber hat der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 03.10.2000 (Rs.
C 303/98 - SIMAP - NZA 2000, 1227) einen Bereitschaftsdienst, den Ärzte der Teams
zur medizinischen Grundversorgung in Form persönlicher Anwesenheit in der
Gesundheitseinrichtung leisten, insgesamt als Arbeitszeit im Sinne der Richtlinie
93/104/EG angesehen. Dieses Urteil ist zwar aufgrund eines Vorlagebeschlusses eines
spanischen Gerichts ergangen und bindet unmittelbar nur die Parteien dieses
Rechtsstreits. Es hat jedoch über dieses Verfahren hinaus Auswirkungen auf das Recht
in allen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft. Nach Art. 177 Abs. 1 = Neu 234 Abs. 1 EGV
entscheidet der Europäische Gerichtshof autoritativ über die Auslegung des EG-Rechts.
Auch wenn der Europäische Gerichtshof anlässlich eines konkreten Rechtsstreits durch
ein nationales Gericht angerufen wird und seine Entscheidung unmittelbare rechtliche
Bindungswirkung nur zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens entfaltet, so liegt
seine Aufgabe andererseits doch darin, einen abstrakten Obersatz herauszuarbeiten,
wenngleich unter Berücksichtigung der Merkmale des Vorlageverfahrens (Oppermann,
Europarecht, 2. Aufl., RdNR. 766). An die in diesem Obersatz durch den Europäischen
Gerichtshof gefundene Auslegung des Gemeinschaftsrechts sind die nationalen
Gerichte aller Mitgliedstaaten gebunden. Sie sind, auch wenn sie einen Rechtsstreit
nicht abschließend entscheiden, zur Vorlage an den Europäischen Gerichtshof
verpflichtet, wenn sie von dessen Rechtsprechung abweichen wollen (Oppermann,
aaO., RdNr. 762; s. auch Wank, Anm. zum EuGH-Urteil; Oetker/Preis, EAS, Teil C, RL
93/104/EWG Art. 2 Nr. 1, S. 54) .
55
3.
56
Die für den vorliegenden Fall ausschlaggebende Rechtsfrage hat der Europäische
Gerichtshof im SIMAP-Urteil bereits entschieden und in der Rechtssache C 241/99
durch Beschluss vom 03.07.2001 bestätigt. Danach ist Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie
93/104/EG, in der der Begriff Arbeitszeit definiert ist, dahingehend auszulegen, dass ein
Bereitschaftsdienst, den Ärzte in Form persönlicher Anwesenheit in der
Gesundheitseinrichtung leisten, insgesamt als Arbeitszeit anzusehen ist. Anders ist es
bei den Formen eines Bereitschaftsdienstes, bei denen die Ärzte zwar ständig
erreichbar sind, nicht jedoch im Krankenhaus selbst anwesend sein müssen und die
nach deutschem Verständnis als Rufbereitschaft angesehen wird.
57
Da die Klägerin bei Bereitschaftsdiensten im M1xxxxxxxxxxxx unabhängig davon, ob
sie Leistungen zu erbringen hat, anwesend sein muss, sind die Voraussetzungen für die
Einord-
58
nung des Bereitschaftsdienstes als Arbeitszeit auf der Grundlage des SIMAP-Urteils
erfüllt. Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist nicht ersichtlich, dass diese
Definition durch Merkmale des spanischen Ausgangsfalls in einer Weise bestimmt
worden ist, die für Bereitschaftsdienste, wie sie in deutschen Krankenhäusern üblich
sind, zu einer anderen Definition nötigt. Der Europäische Gerichtshof hat maßgeblich
auf die Verpflichtung zur Anwesenheit abgestellt und ausschließlich anhand dieses
Kriteriums die Abgrenzung des Gegensatzpaares "Arbeitszeit" und "Ruhezeit"
vorgenommen. Es kam ihm nicht darauf an, in welchem Umfang bei einer Pflicht zur
Anwesenheit tatsächlich Arbeit zu leisten ist. Es ist also ohne Bedeutung, ob, wie die
Beklagte vorträgt, spanische Ärzte in den Teams zur medizinischen Grundversorgung
gegebenenfalls zu einer 100 %igen Arbeitsleistung verpflichtet sind, wohingegen bei
den von der Klägerin abzuleistenden Bereitschaftsdiensten von einem Arbeitsanfall im
59
Umfang von höchstens 49 % auszugehen ist.
4.
60
Allerdings enthält Art. 2 Nr. 1 Richtlinie 93/104/EG bei der Definition des Begriffs der
Arbeitszeit eine Verweisung auf die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder
Gepflogenheiten. Hierauf beruft sich auch die Beklagte des vorliegenden Rechtsstreits,
die daraus ableitet, dass das Rechtsverständnis und die Praxis, wie sie für den
Bereitschaftsdienst in Deutschland tradiert sind, trotz der Richtlinie 93/104/EG weiterhin
maßgeblich ist (so auch LAG Schleswig-Holstein vom 18.12.2001 - 1 Sa 116 b/01 - DB
2002, 693; Litschen, ZTR 2002, 54). Dem ist jedoch nicht zu folgen. Die Richtlinie
93/104/EG dient dem Ziel, die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer
bei der Arbeit zu verbessern (EuGH vom 03.10.2000, aaO.). Sie ist auf der Grundlage
des Art. 118 a (jetzt Art. 137) EGV erlassen worden. Diese Ermächtigungsgrundlage
beauftragt den Rat, Mindestvorschriften zu erlassen, die schrittweise anzuwenden sind
und zum Ziel haben, die Sicherheit und die Gesundheit der Arbeitnehmer zu schützen.
Erreicht werden soll dieses Ziel durch die Harmonisierung der im Bereich der
Arbeitsumwelt bestehenden Bedingungen (EuGH, Urteil vom 12.11.1996 - Rs. C 84/94 -
DB 1997, 175). Die bezweckte Harmonisierung wäre im Bereich des Arbeitszeitrechts
unmöglich, wenn Art. 2 Ziff. 2 Richtlinie 93/104/EG jedem Staat die Definition der
Arbeitszeit überließe. Diese Bestimmung erlaubt daher keine Abweichung von der
gemeinschaftsweiten Definition der Arbeitszeit in Art. 2 Ziff. 1 Richtlinie 93/104/EG.
61
Die Formulierung "gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder
Gepflogenheiten" bezieht sich vielmehr nur auf das erste der drei Begriffsmerkmale der
Definition der Arbeitszeit in Art. 2 Ziff. 1 der Richtlinie 93/104/EG, also auf die
Zeitspanne, während der der Arbeitnehmer "arbeitet". Die Definition von "Arbeit" ist
Sache des nationalen Rechts, der nationale Gesetzgeber kann die Modalitäten
festlegen, mit denen die Arbeitsleistung erbracht wird. Dies gilt jedoch nicht für den
Begriff der "Arbeitszeit" (s. Schlussantrag des Generalanwalts S4xxxx, RdNr. 38,
Oetker/Preis, EAS, Teil C, RL 93/104/EWG Nr. 1, S. 32; Wank, aaO., S. 44). So ist auch
die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu verstehen, wenn dieser ausführt,
dass die zwei ersten Kriterien der Richtlinie, nämlich "arbeitet" und "dem Arbeitgeber
zur Verfügung steht" unstreitig erfüllt seien. Dieses Verständnis ist zwar der deutschen
Richtliniendefinition nicht ohne weiteres zu entnehmen. Hierbei dürfte es sich jedoch um
eine Ungenauigkeit in der Übersetzung handeln, worauf Ebener/Schmalz (DB 2001,
813, 815) hinweisen, die den französischen Wortlaut mit "toute période durant laquelle
le travailleur est au travail" zitieren (vgl. auch LAG Niedersachsen vom 17.05.2002 - 10
TaBV 22/02 - AP Nr. 5 zu § 611 BGB Bereitschaftsdienst).
62
Da die Klägerin bei Bereitschaftsdiensten im M1xxxxxxxxxxxx unabhängig davon, ob
sie Leistungen zu erbringen hat, anwesend sein muss, sind die Voraussetzungen für die
Einordnung des Bereitschaftsdienstes als Arbeitszeit erfüllt. Für eine erneute Anrufung
des Europäischen Gerichtshofs besteht nach Auffassung des Gerichts keine
Veranlassung. Der vom Europäischen Gerichtshof zur Auslegung der
Arbeitszeitrichtlinie herausgearbeitete abstrakte Obersatz ist auf den vorliegenden Fall
anwendbar. An die vom Europäischen Gerichtshof vorgenommene Auslegung ist das
erkennende Gericht gebunden.
63
III
64
Allerdings entspricht diese Auslegung der Richtlinie nicht den Vorstellungen des
deutschen Gesetzgebers, wie sie im Arbeitszeitgesetz ihren Niederschlag gefunden
haben. Dieser hat in Anknüpfung an die deutsche Rechtstradition einen
Bereitschaftsdienst, bei dem die persönliche Anwesenheit des Arbeitnehmers gefordert
wird, dann nicht als Arbeitszeit, sondern als Ruhezeit angesehen, wenn
Inanspruchnahmen während des Bereitschaftsdienstes nicht mehr als die Hälfte der Zeit
betragen (vgl. § 5 Abs. 3 ArbZG). Auch § 7 Abs. 2 Nr. 1 ArbZG ist diese Auffassung des
deutschen Gesetzgebers zu entnehmen. Wäre dieser Wille des historischen
Gesetzgebers maßgeblich, so wäre auf der Grundlage des Arbeitszeitgesetzes der
Bereitschaftsdienst der Klägerin nicht als Arbeitszeit zu werten, die Klägerin könnte mit
ihrem Antrag nicht durchdringen. Auf den darin liegenden Verstoß gegen das
Gemeinschaftsrecht könnte sich die Klägerin nicht berufen.
65
1.
66
Die Richtlinie 93/104/EG richtet sich ihrer Rechtsqualität nach (Art. 189 Abs. 3 = 249
Abs. 3 neu EGV) in der Weise an die Mitgliedstaaten, dass das angestrebte Ziel für
diese verbindlich ist, die Wahl der Form und Mittel diesen jedoch überlassen wird. Damit
kommt dieser Richtlinie keine unmittelbare Rechtswirkung zwischen Privaten wie der
Klägerin im Verhältnis zur Beklagten zu, die Richtlinie bedarf der Umsetzung in
nationales Recht (vgl. Oppermann, aaO.; RdNr. 547). Ist eine solche Umsetzung nicht
vorgenommen worden, so verstößt der Mitgliedsstaat zwar gegen seine Verpflichtungen
aus dem EG-Vertrag. Als Rechtsfolge ist hierfür in Art. 169 = 226 neu EGV das
Vertragsverletzungsverfahren, das von der Kommission der Europäischen
Gemeinschaften eingeleitet wird, vorgesehen. Als weitere Konsequenz einer Verletzung
des Gemeinschaftsrechts können geschädigten Bürgern des betroffenen Staates
Entschädigungsansprüche gegen diesen Staat zustehen (Oppermann, aaO., RdNr.
561). Vor diesem Hintergrund hat die Klägerin der Bundesrepublik Deutschland auch
den Streit verkündet.
67
2.
68
Andererseits obliegt es den Trägern öffentlicher Gewalt in einem Mitgliedstaat, damit
auch den nationalen Gerichten, dem Gemeinschaftsrecht Geltung zu verschaffen. Die
Gerichte sind daher bei der Anwendung nationalen Rechts verpflichtet, ein zur
Durchführung einer Richtlinie erlassenes Gesetz unter voller Ausschöpfung des
Beurteilungsspielraums, den das nationale Recht einräumt, in Übereinstimmung mit den
Anforderungen des Gemeinschaftsrechts auszulegen und anzuwenden (EuGH vom
10.04.1984 - 79/83 und 14/83 - von Colson und Kamann - DB 1984, 1042). Der auch
vom Bundesverfassungsgericht (Solange II-Entscheidung vom 22.10.1986, BVerfGE 73,
339, 387) anerkannte Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor nationalem Recht findet
seine Grenzen allerdings dort, wo eine Auslegung des nationalen Gesetzes nicht mehr
möglich ist, sondern Rechtsschöpfung oder Rechtsfortbildung einsetzt. Das Gericht ist
durch Art. 249 Abs. 3 EGV nur berechtigt und verpflichtet, sich innerhalb des Rahmens,
den ihm die nationale Rechtsordnung lässt, bei der Rechtsanwendung an den
Vorgaben der Richtlinie zu orientieren und ihren inhaltlichen Anforderungen zu
entsprechen.
69
a) Mit der Mehrzahl der bislang vorliegenden instanzgerichtlichen Entscheidungen (LAG
Niedersachsen, aaO.; LAG Hamburg, Beschluss vom 13.02.2002 - 8 TaBV 10/01 - DB
2002, 691; ArbG Kiel vom 08.11.2001 - 1 Ca 2113 d/01 - NZA 2002, 150; ArbG Gotha
70
vom
03.04.2001 - 3 BV 1/01 - DB 2001, 1254) und der vorherrschenden Meinung in der
Literatur (Trägner, NZA 2002, 127; Hergenröder, RdA 2001, 346; Bertelsmann/Becker,
PersR. 2002, 187; Heinze, ZTR 2002, 102; Ebener/Schmalz, DB 2001, 813,
Neumann/Biebl, ArbZG, 13. Aufl., § 7 RdNr. 10) ist das erkennende Gericht der Ansicht,
dass das Arbeitszeitgesetz im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofs richtlinienkonform auszulegen ist (a.A. LAG Schleswig-Holstein vom
18.12.2001, aaO.; ArbG Kiel vom 03.06.2002 - 2 Ca 2501 e/01 - NZA 2002, 981,
Breezmann, NZA 2002, 946; Litschen, aaO). Insoweit kommen die allgemeinen
Auslegungsregeln zum Zuge. Danach ist nicht nur der Wortlaut einer Vorschrift
maßgebend. Lassen Sinn und Zweck des Gesetzes erkennen, dass der Gesetzgeber
nicht alle Konsequenzen der gewählten Gesetzesfassung bedacht hat, muss eine
auslegungsfähige Regelung einschränkend oder ergänzend in dem Sinne verstanden
werden, den der Gesetzgeber bei voller Kenntnis der Probleme normiert hätte. Die
Auslegung darf jedoch den erkennbaren Willen des Gesetzgebers nicht verändern (vgl.
BAG vom 05.03.1996 - 1 AZR 590/92 - EzA Nr. 52 zu Art. 3 GG m.w.N.).
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b) Der Arbeitszeitbegriff in § 2 ArbZG ist weit. Es wird lediglich festgelegt, dass
Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes die Zeit von Beginn bis zum Ende der
Arbeit ohne die Ruhepausen ist. Das Arbeitszeitgesetz enthält keine Legaldefinition des
Bereitschaftsdienstes, sondern ist insoweit offen. Aus den verschiedentlichen
Erwähnungen dieses Begriffs im Gesetz geht jedoch hervor, dass der Gesetzgeber die
besondere Problematik von Bereitschaftsdiensten, die er in § 5 Abs. 3 und 7 Abs. 2 der
Rufbereitschaft gleichgestellt hat, nicht erkannt hat. Dies berechtigt dazu, in einer am
Sinn und Zweck des Arbeitszeitgesetzes orientierten Auslegung unter Beachtung des
Gebots der effizienten Richtlinienumsetzung zu einem richtlinienkonformen Ergebnis zu
erlangen. Denn der Gesetzgeber ist mit dem Arbeitszeitgesetz zugleich der
Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland nachgekommen, die Richtlinie
93/104/EG, die am 02.01.1994 in Kraft getreten ist, in nationales Recht umzusetzen, was
ebenfalls der erklärte Wille des Gesetzgebers war (BTDs 12/5888, S. 19; Antwort der
Bundesregierung auf die Große Anfrage zum Stand der Arbeitszeitflexibilisierung in
Deutschland, BTDs 13/2871 Ziff. 7). Die Auslegung der Richtlinie durch den
Europäischen Gerichtshof hat zwar zur Folge, dass die Vorstellung, die der deutsche
Gesetzgeber zum Bereitschaftsdienst hatte, korrigiert werden muss, mit einer dieser
Begriffsbestimmung folgenden Auslegung des Begriffs der Arbeitszeit in § 2 Abs. 1
ArbZG seine gleichzeitig bestehende Absicht, die Richtlinie umzusetzen, jedoch zur
Geltung gebracht wird.
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Der Zweck des Arbeitszeitgesetzes ist, soweit vorliegend von Interesse, die
Gewährleistung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der
Arbeitszeitgestaltung (§ 1 Ziff. 1 1. Alternative ArbZG). Dieser Zweck ist identisch mit
dem in Art. 1 Abs. 1 Richtlinie 93/104/EG niedergelegten Ziel, Mindestvorschriften für
die Sicherheit und den Gesundheitsschutz bei der Arbeitszeitgestaltung zu erlassen.
Der deutsche Gesetzgeber hat damit bei der Definition des Regelungszweckes des
Arbeitszeitgesetzes auf die Richtlinie zurückgegriffen. Was unter "Sicherheit" und
"Gesundheitsschutz" zu verstehen ist, ergibt sich daher aus der Richtlinie 93/104/EG,
die sich wiederum auf Art. 118 a = Neu 137 EGV stützt, der zum Erlass von Richtlinien
zum Schutz der Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer ermächtigt. Wenn der
durch die Richtlinie konkretisierte Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer die Einordnung
des in Form persönlicher Anwesenheit im Betrieb geleisteten Bereitschaftsdienstes als
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Arbeitszeit erfordert, der Gesetzgeber jedoch in Verkennung dieser Vorgabe für einen
Teilbereich Regelungen trifft, die mit dem kongruenten Ziel von Richtlinie und Gesetz
nicht in Einklang stehen, so ist es zulässig, eine Auslegung des Gesetzes
vorzunehmen, mit der das Ziel der Richtlinie erreicht werden kann und damit der
Umsetzungswille des Gesetzgebers zum Tragen kommt. Die in den §§ 5 Abs. 3, 7 Abs.
2 Nr. 1 ArbZG dagegen lediglich zum Ausdruck kommende Vorstellung des
Gesetzgebers, der Bereitschaftsdienst sei der Ruhezeit zuzuordnen, tritt hinter der
gesetzgeberischen Zielsetzung, mit dem Arbeitszeitgesetz die Richtlinie 93/104/EG in
deutsches Recht umzusetzen, zurück.
c) Einer solchen europarechtskonformen Auslegung steht nicht entgegen, dass die
Richtlinie dem nationalen Gesetzgeber Spielräume einräumt, die über das
hinausgehen, was der deutsche Gesetzgeber verwirklicht hat, wenn man den
Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit einordnet (s. hierzu Breezmann, NZA 2002, 946).
Sollte der Gesetzgeber Möglichkeiten der Arbeitszeitgestaltung durch das nationale
Recht deshalb nicht genutzt haben, weil er die Grenzen der bindenden Vorgaben
verkannt und seine Regelung deshalb für die nationalen Bedürfnisse als ausreichend
angesehen hat, so bleibt es ihm unbenommen, durch eine Änderung des
Arbeitszeitgesetzes die verbleibenden Möglichkeiten auszuschöpfen. Geht der
Gesetzgeber über den Schutzstandard einer Richtlinie hinaus, so verstößt er nicht
gegen seine europarechtlichen Verpflichtungen. Er ist nicht gehindert, diesen
Schutzstandard zurückzunehmen.
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IV
75
Die in der Richtlinie 93/104/EG in Art. 17 den Mitgliedstaaten eingeräumte Möglichkeit,
für bestimmte Tätigkeiten bzw. unter bestimmten Voraussetzungen von der Richtlinie
abzuweichen, führt zu keinem anderen Ergebnis.
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Art. 17 lässt keine Ausnahmen von den in Art. 2 getroffenen Begriffsbestimmungen zu.
Hierum geht es aber gerade bei der Frage, ob Bereitschaftsdienste, bei denen sich der
Arbeitnehmer persönlich am Arbeitsplatz aufhalten muss, der Arbeitszeit oder der
Ruhezeit zuzuordnen sind. Auf einer Verkennung dieser Einordnung beruhen aber die
nach dem deutschen Arbeitszeitgesetz bislang für zulässig gehaltenen
Bereitschaftsdienste, wie sie auch im Krankenhaus der Beklagten praktiziert werden. Mit
ihrer Klage strebt die Klägerin an, diese Bereitschaftsdienste als Arbeitszeit zu
bewerten. Für dieses Begehren sind die in Art. 17 ermöglichten Abweichungen nicht
von Bedeutung. Wird der von der Klägerin zu erbringende Bereitschaftsdienst als
Arbeitszeit gewertet, so kommen hinsichtlich der Ruhepausen und Ruhezeiten die §§ 4
und 5 ArbZG ohne die in § 5 Abs. 3 ArbZG enthaltene Regelung zum
Bereitschaftsdienst zur Anwendung. Sollten diese mit den Vorgaben der Richtlinien
nicht in Einklang stehen, so ist zu prüfen, ob sie als Abweichungen unter den
Voraussetzungen des Art. 17 zulässig sind
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Mit den zugelassenen Abweichungen ist auch nicht denknotwendig die Zulassung einer
abweichenden Regelung der Arbeitszeit verbunden. Dafür geben die
Abweichungsmöglich-keiten nichts her. Sie müssen sich vielmehr in dem Rahmen
halten, der durch die Begriffsbestimmung in Art 2 Richtlinie 93/104/EG vorgegeben ist.
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V
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Die Kammer hat die Revision nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG wegen grundsätzlicher
Bedeutung zugelassen. Die entschiedene Rechtsfrage ist zum Einen von großer
praktischer Bedeutung, zum Anderen ist sie wie divergierende Entscheidungen der
Instanzgerichte und
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die unterschiedlichen in der Literatur vertretenen Meinungen hierzu zeigen, sehr
umstritten und bedarf einer abschließenden Klärung.
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gez. Hackmann
Vogt
Hülsmann
83
Bg.
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