Urteil des LAG Hamm vom 06.09.2005
LArbG Hamm: treu und glauben, unwirksamkeit der kündigung, kündigung zur unzeit, einweisung, wartezeit, arbeitsunfall, ordentliche kündigung, arbeitsunfähigkeit, arbeitsgericht, beweislast
Landesarbeitsgericht Hamm, 19 Sa 1045/05
Datum:
06.09.2005
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
19. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
19 Sa 1045/05
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Dortmund, 5 Ca 7025/04
Schlagworte:
Kündigung wegen unfallbedingter Arbeitsunfähigkeit während der
Wartezeit des § 1 KSchG, Maßregelungsverbot des § 612 a,
Darlegungs- und Beweislast für unzulässige Maßregelung beim
Arbeitnehmer
Rechtskraft:
Die Revision wird nicht zugelassen
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts
Dortmund vom 30.03.2005 - 5 Ca 7025/04 - wird zurückgewie-sen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger aufer-legt.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 10.800,-- €
festgesetzt.
T a t b e s t a n d
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Die Parteien streiten um den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses.
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Der verheiratete Kläger war seit dem 15.07.2004 bei der Beklagten als Kraftfahrer zu
einem monatlichen Bruttoverdienst von 1.800,-- € auf der Grundlage des schriftlichen
Arbeitsvertrages vom 14.07.2004 beschäftigt. Wegen der Einzelheiten des
Arbeitsvertrages wird auf Bl. 4 bis 7 d. GA. Bezug genommen.
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Am 28.09.2004 erlitt der Kläger während eines Ladevorganges bei der Bedienung eines
Krans der Beklagten einen Arbeitsunfall, bei dem der Daumen der linken Hand
gequetscht wurde, so dass das erste Daumenglied entfernt werden musste. Aufgrund
dieses Unfalls war der Kläger in der Zeit vom 28.09. bis zum 29.11.2004 arbeitsunfähig
erkrankt. Nach Wiederaufnahme seiner Tätigkeit am 30.11.2004 lehnte der Kläger die
Bedienung des Krans ab, wobei die Einzelheiten dazu zwischen den Parteien streitig
sind. Sodann war der Kläger er-neut arbeitsunfähig krank und reichte für die Zeit vom
02.12. bis zum 10.12.2004 Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ein.
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Mit Schreiben vom 06.12.2004 (Bl. 6 d.A.) kündigte die Beklagte das zwischen den
Parteien bestehende Arbeitsverhältnis zum 15.12.2004, ersatzweise zum nächst
möglichen Termin. Mit weiterem Schreiben vom 13.12.2004 erklärte die Beklagte
vorsorglich eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 15.01.2005 bzw. zum nächst
möglichen Termin. Gegen beide
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Kündigungen wehrt sich der Kläger mit der am 10.12.2004 beim Arbeitsgericht
eingegangenen Kündigungsschutzklage bzw. der am 22.12.2004 eingegangenen
Klageerweiterung.
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Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt und
deswegen unwirksam. Das Kündigungsschutzgesetz sei anwendbar, weil für die
Erfüllung der sechsmonatigen Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG nicht der Zeitpunkt des
Kündigungszugangs, sondern der beabsichtigte Beendigungszeitpunkt maßgeblich sei.
Zumindest sei aber die Kündigung wegen Verstoßes gegen Art. 1 Abs. 1 Satz 1 und Art.
2 Abs. 1 GG unwirksam, weil eine Kündigung während einer verletzungsbedingten
Krankheit nicht zulässig sei. Dies gelte insbesondere deswegen, weil der Arbeitsunfall
ausschließlich darauf zurückzuführen sei, dass er nicht ordnungsgemäß in die
Bedienung des Krans eingewiesen worden sei.
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Der Kläger hat beantragt,
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1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende
Arbeitsverhältnis weder durch die Kündigung vom 06.12.2004 noch durch die
Kündigung vom 13.12.2004 aufgelöst worden ist,
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2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss
des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen
Bedingungen weiter zu beschäftigen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, dass auf das Arbeitsverhältnis zwischen den
Parteien das Kündigungsschutzgesetz wegen der Nichterfüllung der sechsmonatigen
Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG nicht anwendbar sei. Auf eine Unwirksamkeit der
Kündigung vom 06.12.2004 aus sonstigen Gründen könne sich der Kläger schon
deswegen nicht berufen, weil er in die Bedienung des Kranes von dem Zeugen
W5xxxxxx ordnungsgemäß eingewiesen worden sei. Darüber hinaus sei der Unfall nicht
auf einen Bedienungsfehler zurückzuführen, weil der Kläger den Kran zum
Unfallzeitpunkt bereits zwei Monate lang bedient habe. Außerdem habe der Kläger bei
seiner Arbeitsaufnahme nach Beendigung der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit
erklärt, dass er zwar wieder arbeitsfähig sei, den Kran aber nicht mehr bedienen werde.
Das Arbeitsverhältnis sei jedenfalls aufgrund der zweiten Kündigung vom 13.12.2004
beendet worden, zumal der Kläger mit der Zeugin H2xxxxxxx nach Erhalt der
Kündigung vereinbart habe, dass er bis zum Ablauf der Kündigungsfrist seinen
Erholungsurlaub nehmen werde und nach dem 10.12.2004 auch keine
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen mehr eingereicht habe.
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Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen
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aus-geführt, dass das Kündigungsschutzgesetz auf das Arbeitsverhältnis zwischen den
Parteien nicht anwendbar sei, weil der Kläger in dem maßgeblichen Zeitpunkt des
Kündigungszugangs nicht länger als sechs Monate beschäftigt gewesen sei. Eine
Erkrankung stehe der Wirksamkeit einer Kündigung nicht entgegen, was schon aus der
Regelung des § 8 EFZG folge. Eine Treuwidrigkeit der Kündigung scheitere schon
daran, dass der Kläger die Tatsachen nicht ausreichend dargelegt habe, die eine
Treuwidrigkeit der Kündigung begründen könnten. Die Kündigung vom 06.12.2004
habe allerdings das Arbeitsverhältnis entsprechend der gesetzlichen Kündigungsfrist
des § 622 Abs. 1 BGB erst zum 15.01.2005 beendet, weil die einzelvertragliche
Vereinbarung einer Kündigungsfrist von sechs Werktagen unwirksam sei. Soweit der
Kläger auch die Unwirksamkeit der Kündigung vom 13.12.2004 zum 15.01.2005
angegriffen habe, fehle der Klage das Rechtsschutzbedürfnis. Denn das
Arbeitsverhältnis sei bereits durch die Kündigung vom 06.12.2004 zum gleichen
Zeitpunkt aufgelöst worden.
Gegen das am 25.04.2005 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat der Kläger am
20.05.2005 Berufung eingelegt und diese am 16.06.2005 begründet.
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Der Kläger vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen und vertritt die Ansicht, dass die
Kündigung seines Arbeitsverhältnisses treuwidrig sei, weil die Beklagte sich damit zu
ihrem eigenen Verhalten in Widerspruch setze. Denn dadurch, dass sie ihn zur
Bedienung des Kranes ohne die erforderliche Einweisung aufgefordert habe, habe sie
einen Vertrauenstatbestand dahingehend geschaffen, dass er im Falle eines
Schadenseintritts ihren Schutz genießen werde. Diesen Schutz habe sie ihm nicht
gewährt. Vielmehr habe sie in grober Missachtung jeglicher Verpflichtung zur sozialen
Rücksichtsnahme das Arbeitsverhältnis trotz seiner un-fallbedingten Verletzung
gekündigt. Gestützt werde die Treuwidrigkeit des Verhaltens der Beklagten auch
dadurch, dass er noch während der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit von Herrn
W3xxxxx, der stets als "Chef" aufgetreten sei, dazu aufgefordert worden sei, zumindest
als Fahrer tätig zu sein, was unversteuert bezahlt werden würde.
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Nachdem der Kläger in der Berufungsbegründung zunächst angekündigt hat, den
Antrag zu 1) in folgender Fassung zu stellen:
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"festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis
durch die Kündigung vom 06.12.2004 nicht aufgelöst worden ist, sondern
fortbesteht"
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beantragt er nunmehr,
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1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende
Arbeitsverhältnis weder durch die Kündigung der Beklagten vom 06.12.2004
noch durch die Kündigung vom 13.12.2004 aufgelöst worden ist,
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2. die Beklagte zu verurteilen, ihn zu unveränderten arbeits-vertraglichen
Bedingungen weiter zu beschäftigen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen
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Die Beklagte verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts unter Vertiefung ihres
erstinstanzlichen Vorbringens. Ergänzend trägt sie vor, sie habe dem Kläger mehrfach
erklärt, dass sie für ihn einen Aushilfsfahrer eingestellt habe, so dass er die Arbeit erst
nach vollständiger Genesung wieder aufnehmen solle. Gleichwohl habe sich der Kläger
auf eigenen Wunsch wieder gesund schreiben lassen und bei Wiederaufnahme der
Arbeitstätigkeit die Bedienung des Kranes ohne Angabe von Gründen verweigert.
Nachdem der Kläger nach zwei halben Tagen erklärt habe, dass er wegen der noch
nicht vollständig verheilten Wunde doch noch nicht arbeiten könne und eine weitere
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eingereicht habe, habe sie nur mit einem großen
Aufwand die terminierten Lieferungen durchführen lassen können, weil sie nach der
angekündigten Gesundschreibung des Klägers das Arbeitsverhältnis mit dem
Aushilfsfahrer gekündigt habe.
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Wegen des Vorbringens der Parteien im Übrigen wird auf den vorgetragenen Inhalt der
Schriftsätze nebst Anlage Bezug genommen.
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Nachdem der Kläger in der Berufungsverhandlung darauf hingewiesen worden ist, dass
er die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen trägt, aus denen sich die
Treuwidrigkeit der Kündigung ergeben soll, hat sein Prozessbevollmächtigter die
Gewährung einer Schriftsatzfrist beantragt. Wegen der Einzelheiten dieses Antrags, den
der Prozessbevollmächtigte des Klägers selbst formuliert hat, wird auf die
Sitzungsniederschrift der Berufungsverhandlung (Bl. 75 d. GA) Bezug genommen.
26
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
27
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
28
I.
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Die Berufung ist zulässig. Sie ist gemäß § 64 Abs. 1, Abs. 2 c ArbGG statthaft. Sie wurde
auch form- und fristgerecht eingelegt sowie ordnungsgemäß begründet, §§ 66 Abs. 1, 64
Abs. 1 S. 1 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO.
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II.
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Die Berufung hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht
festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der
Beklagten vom 06.12.2004 zum 15.01.2005 beendet worden ist.
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1. Dem Arbeitsgericht ist darin zu folgen, dass auf das Arbeitsverhältnis zwischen den
Parteien das Kündigungsschutzgesetz wegen Nichterfüllung der sechsmonatigen
Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG keine Anwendung findet, so dass die Kündigung vom
06.12.2004 keiner sozialen Rechtfertigung bedarf. Denn entscheidend für die
Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes nach § 1 Abs. 1 KSchG ist entgegen der
Ansicht des Klägers nicht der Zeitpunkt des Ablaufs der Kündigungsfrist, sondern der
Zeitpunkt des Kündigungszugangs (BAG, Urteil vom 16.09.2004 – 2 AZR 447/03, Juris;
Urteil vom 05.02.2004 – 8 AZR 639/02, NZA 2004, 845; Kittner in
Kittner/Däubler/Zwanziger, Kommentar zum Kündigungsschutz-recht, 6. Aufl., § 1
KSchG Rdnr. 17 m.w.N.).
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2. Die von der Beklagten mit Schreiben vom 06.12.2005 erklärte ordentliche Kündigung
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des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger ist entgegen der Rechtsansicht des Klägers
nicht wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben nach § 242 BGB unwirksam.
a. Das Arbeitsgericht hat zunächst zu Recht unter Hinweis auf den Umkehrschluss aus
§ 8 EFZG festgestellt, dass die Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger
nicht bereits deshalb unwirksam ist, weil sie während einer krankheitsbedingten
Arbeitsunfähigkeit des Klägers erklärt worden ist. Denn § 8 EFZG, der die Fortzahlung
der Vergütung bei einer aus Anlass der Krankheit erklärten Kündigung für die Dauer von
6 Wochen anordnet, setzt gerade die Wirksamkeit einer aus Anlass der Erkrankung
erklärten Kündigung des Arbeitsverhältnisses voraus. Wäre eine aus Anlass einer
Erkrankung erklärte Kündigung generell unwirksam, stünde dem Arbeitnehmer der
Entgeltfortzahlungsanspruch bereits nach § 611 BGB in Verbindung mit § 3 EFZG zu, so
dass für § 8 EFZG kein praktisches Bedürfnis bestünde.
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b. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses ist auch nicht wegen Verstoßes gegen das
Maßregelungsverbot des § 612 a BGB unwirksam.
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aa. Nach § 612 a BGB darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer bei einer Vereinbarung
oder einer Maßnahme nicht benachteiligen, weil der Arbeitnehmer in zulässiger Weise
seine Rechte ausübt. Ein Arbeitnehmer, der arbeitsunfähig ist und deswegen nicht
arbeitet, übt jedoch kein Recht aus. Vielmehr ist bei einer bestehenden
Arbeitsunfähigkeit die Arbeitsleistung- unmöglich mit der Folge, dass der Arbeitnehmer
nach § 275 BGB von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung befreit ist (BAG, Urteil vom
26.10.1994 – 10 AZR 482/93, NZA 1995, 226; LAG Sachsen-Anhalt, Urteil vom
27.07.1999 - 8 Sa 1066/98, BB 2001, 205).
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bb. Eine Unwirksamkeit der Kündigung wegen Verstoßes gegen das
Maßregelungsverbot des § 612 a BGB kann auch nicht im Hinblick auf die Behauptung
des Klägers angenommen werden, dass sein "Chef" W3xxxxx von ihm am 29.09.2004,
also einen Tag nach dem Arbeitsunfall verlangt habe, dass er zumindest "unversteuert"
als Fahrer tätig sein sollte.
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Die Kündigung, die wegen der Ablehnung der Erbringung der Arbeitsleistung während
der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit erklärt wird, kann zwar wegen des
Verstoßes gegen das Maßregelungsverbot des § 612 a BGB unwirksam sein (vgl. LAG
Sachsen-Anhalt a.a.O.). Der Kläger trägt aber insoweit selbst nicht vor, dass sein
Arbeitsverhältnis gerade deshalb gekündigt wurde, weil er die Erbringung der
Schwarzarbeit während der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit abgelehnt hat.
Außerdem hat die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger noch mehr als zwei
Monate nach der behaupteten Aufforderung zur Schwarzarbeit fortgesetzt, so dass
aufgrund des Zeitablaufs jedenfalls nicht ohne besondere Anhaltspunkte angenommen
werden kann, dass dies der Grund für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem
Kläger war. Solche besonderen Umstände trägt der Kläger nicht vor.
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cc. Die Kündigung vom 06.12.2004 ist auch nicht aufgrund eines Verstoßes gegen das
Maßregelungsverbot des § 612 a BGB unwirksam, weil der Kläger behauptet hat, dass
die Kündigung ausgesprochen worden sei, nachdem er sich geweigert habe, den Kran
ohne ordnungsgemäße Einweisung zu bedienen. Denn der Kläger hat für diese
bestrittene Behauptung entgegen der ihm obliegenden Beweislast keinen Beweis
angetreten, so dass zu seinem Nachteil davon auszugehen war, dass die Kündigung
nicht als Reaktion auf das Verlangen einer ordnungsgemäßen Einweisung in die
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Bedienung des Kranes erfolgt war.
Die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen, die eine unzulässige Maßregelung
nach § 612 a BGB begründen sollen, trägt nach allgemeiner Ansicht der Arbeitnehmer
(BAG, Urteil vom 16.09.2004 – 2 AZR 511/03, BAGReport 2005, 41; Urteil vom
22.05.2003 – 2 AZR 426/02, SAE 2004, 46; LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom
25.07.1989 – 1 (3) Sa 557/88, LAGE § 612 a BGB Nr. 4; Gemeinschaftskommentar zum
Kündigungsschutzrecht, 7. Aufl. = KR-Pfeiffer § 612 a BGB Rdnr. 12; jeweils m.w.N.).
Dem Arbeitnehmer können zwar im Rahmen des § 612 a BGB Beweiserleichterungen
nach den Grundsätzen des sog. Anscheinsbeweises zugute kommen. Voraussetzung
für das Eingreifen der Grundsätze über den Anscheinsbeweis ist aber, dass ein
Sachverhalt vorliegt, der nach der Lebenserfahrung auf einen bestimmten
Geschehensablauf hinweist, so dass zunächst von dem regelmäßigen Sachverhalt
auszugehen ist. (LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 25.07.1989, a.a.O.; LAG Hamm,
Urteil vom 15.01.1985 – 7 (5) Sa 1430/84, LAGE § 20 BetrVG 1972 Nr. 5). Ein solcher,
nach der Lebenserfahrung auf einen bestimmten Geschehensablauf hinweisender
Sachverhalt ist von dem Kläger nicht vorgetragen worden. Vielmehr beschränkt sich
sein Vorbringen auf die bestrittene Behauptung, dass die Kündigung als Reaktion auf
die Ablehnung der Bedienung des Kranes bis zu einer ordnungsgemäßen Einweisung
erfolgt ist, für die er keinen Beweis angetreten hat, obwohl die Beklagte unter Berufung
auf das Zeugnis der Arbeitnehmerin H2xxxxxxx vorgetragen hat, dass der Kläger die
Bedienung des Kranes bei Wiederaufnahme der Tätigkeit ohne Angabe von Gründen
verweigert hat. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob er entsprechend der unter
Beweis gestellten Behauptungen der Beklagten ordnungsgemäß in die Bedienung des
Kranes eingewiesen wurde.
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c. Schließlich ist die Kündigung vom 06.12.2004 entgegen der Rechtsansicht des
Klägers auch nicht wegen Verstoßes gegen den Grundsatz von Treu und Glauben nach
§ 242 BGB unwirksam.
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aa. Die Vorschrift des § 242 BGB ist auf Kündigungen neben § 1 KSchG allerdings nur
in beschränktem Umfang anwendbar. Das Kündigungsschutzgesetz hat die
Voraussetzungen und Wirkungen des Grundsatzes von Treu und Glauben konkretisiert
und abschließend geregelt, soweit es um den Bestandsschutz und das Interesse des
Arbeitnehmers an der Erhal-tung seines Arbeitsplatzes geht. Umstände, die im Rahmen
des § 1 KSchG zu würdigen sind und die Kündigung als sozial ungerechtfertigt
erscheinen lassen können, kommen als Verstöße gegen Treu und Glauben nicht in
Betracht. Eine Kündigung verstößt vielmehr nur dann gegen § 242 BGB und ist nichtig,
wenn sie aus Gründen, die von § 1 KSchG nicht erfasst sind, Treu und Glauben verletzt.
Dies gilt jedenfalls für eine Kündigung, auf die – wie hier - das Kündigungsschutzgesetz
wegen Nichterfüllung der sechsmonatigen Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG keine
Anwendung findet, weil sonst für diese Fälle über § 242 BGB der kraft Gesetzes
ausgeschlossene Kündigungsschutz doch gewährt werden und außerdem die
Möglichkeit des Arbeitgebers eingeschränkt würde, die Eignung des Arbeitnehmers für
die geschuldete Tätigkeit in seinem Betrieb während der gesetzlichen Probezeit zu
überprüfen. Da somit der Arbeitgeber während der sechsmonatigen Wartezeit des § 1
Abs. 1 KSchG das Arbeitsverhältnis ohne einen Kündigungsgrund wirksam kündigen
kann, kommt die Treuwidrigkeit und damit die Unwirksamkeit einer während der
Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG aus-gesprochenen Kündigung nur in besonderen
Ausnahmefällen in Betracht. Ein typischer Tatbestand der treuwidrigen Kündigung ist
neben einem widersprüchlichen Verhalten des Arbeitgebers, dem Ausspruch der
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Kündigung in verletzender Form und einer den Arbeitnehmer etwa wegen seines
Sexualverhaltens diskriminierenden Kündigung der Ausspruch einer Kündigung zur
Unzeit. Welche Anforderungen sich aus Treu und Glauben ergeben, lässt sich letztlich
nur unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles entscheiden, wobei der
Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen trägt, aus denen sich
ausnahmsweise die Treuwidrigkeit einer während der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG
aus-gesprochenen Kündigung ergeben soll (BAG, Urteil vom 05.02.2004 – 8 AZR
639/92, NZA 2004, 845; Urteil vom 22.05.2003 – 2 AZR 426/02, SAE 2004, 46; Urteil
vom 01.07.1999 –2 AZR 926/98, PersR 1999, 507; KR-Friedrich § 13 KSchG Rdnr. 257
f m.w.N.). Solche Tatsachen hat der Kläger nicht substantiiert vorgetragen und unter
Beweis gestellt.
bb. Die Kündigung vom 06.12.2004 ist entgegen der Rechtsansicht des Klägers nicht
wegen treuwidrigen, insbesondere widersprüchlichen Verhaltens der Beklagten
unwirksam.
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(1) Der Kläger macht zwar geltend, die Beklagte setze sich mit der Kündigung in
Widerspruch zum eigenen Verhalten, weil sie durch die Unterlassung der
ordnungsgemäßen Einweisung in die Bedienung des Kranes einen
Vertrauenstatbestand dahingehend geschaffen habe, dass er bei einer unfallbedingten
Verletzung ihren Schutz genießen, insbesondere nicht gekündigt werde. Dieses
Vorbringen des Klägers allein reicht jedoch nach Berücksichtigung der
Gesamtumstände und des Vortrags der Beklagten für die Annahme der Treuwidrigkeit
einer während der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG ausgesprochenen Kündigung nicht
aus.
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(2) Ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen das Verschulden des
Arbeitgebers an einem Arbeitsunfall die Treuwidrigkeit einer während der Wartezeit des
§ 1 Abs. 1 KSchG ausgesprochenen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des verletzten
Arbeitnehmers begründen kann, kann offen bleiben. Denn das Vorbringen des Klägers
beschränkt sich nur auf die pauschale Behauptung, dass für die unfallbedingte
Verletzung die fehlende Einweisung in die Bedienung des Kranes ursächlich gewesen
sei. Konkretes Vorbringen dazu, dass das behauptete Unterlassen der Einweisung in
die Bedienung des Kranes und nicht etwa eigene Unachtsamkeit für den Arbeitsunfall
ursächlich war, war vorliegend umso mehr erforderlich, als der Kläger den Arbeitsunfall
erst ca. 2,5 Monate nach Aufnahme der Tätigkeit für die Beklagte erlitten und er bis zu
diesem Zeitpunkt eine Vielzahl von zumindest vergleichbaren Ladevorgängen
durchgeführt hat. Hinzukommt, dass der Kläger in der Unfallanzeige an die
Berufsgenossenschaft angeben hat, dass er versucht habe, "die etwas schaukelnde
Balkonplatte mit der Hand zu justieren und dabei mit dem linken Daumen zwischen die
Ladekante des LKW und der Balkonplatte geraten sei", so dass nicht ersichtlich ist,
weshalb eine fehlende Einweisung in die Bedienung des Kranes für den bedauerlichen
Arbeitsunfall ursächlich gewesen sein soll. Es kann deshalb offen bleiben, ob der
Mitarbeiter W3xxxxx den Kläger in die Bedienung des Kranes entsprechend der
Behauptung der Beklagten ordnungsgemäß eingewiesen hat.
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Soweit der Kläger in der Berufungsverhandlung die Einräumung einer Schriftsatzfrist
zum Beweis der Tastsache beantragt hat, dass die Einweisung in die ordnungsgemäße
Bedienung des Kranes "anhand einer ihm vorzulegenden und von ihm zu
unterzeichnenden schriftlichen Einweisung" hätte erfolgen müssen, war dem
Beweisantrag schon deswegen nicht nachzugehen, weil das Fehlen eines schriftlichen
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Einweisungsnachweises jedenfalls keinen Rückschluss darauf zulässt, dass die
fehlende Einweisung ursächlich für den Arbeitsunfall gewesen ist.
Aus alldem folgt, dass das Arbeitsgericht zu Recht festgestellt hat, dass das
Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom
06.12.2004 zum 15.01.2005 aufgelöst worden ist, so dass die Berufung zurückzuweisen
war. Es kann deshalb offen bleiben, ob der Kläger in der Berufungsinstanz Ob der
Kläger auch die Unwirksamkeit der Kündigung der Beklagten vom 13.12.2004
rechtzeitig geltend gemacht hat, die er ausdrücklich erst in dem in der
Berufungsverhandlung gestellten Klageantrag erwähnt hat.
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III.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.
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Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG
nicht vorliegen.
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Marschollek
Vogel
Hering
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