Urteil des LAG Hamm vom 02.09.2004
LArbG Hamm: bedürftige partei, beendigung, wichtiger grund, vorweggenommene beweiswürdigung, arbeitsgericht, urlaub, datum, freizeit, bewilligungsverfahren, surrogat
Landesarbeitsgericht Hamm, 4 Ta 445/04
Datum:
02.09.2004
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
4. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
4 Ta 445/04
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Münster, 4 Ca 865/04
Schlagworte:
Begründungserfordernis für eine Nichtabhilfeentscheidung des
Arbeitsgerichts nach Be-schwerdeeinlegung - vorweggenommene
Beweiswürdigung im PKH-Bewilligungsverfahren
Normen:
§ 572 ZPO i.V.m. § 538 Abs. 1 ZPO und § 68 ArbGG ZPO; § 114 ZPO; §
7 Abs. 3 und Abs. 4 BUrlG
Leitsätze:
1. Hat die bedürftige Partei gegen die Versagung von
Prozesskostenhilfe Beschwerde eingelegt, gehört es zur Pflicht des
Arbeitsgerichts, die in der Beschwerdebegründung angeführten, auch
neuen Tatsachen zur Kenntnis zu nehmen, die angefochtene
Entscheidung daraufhin zu überprüfen und erforderlichenfalls Abhilfe zu
schaffen. Lässt sich der Nichtabhilfeentscheidung entnehmen, dass das
Arbeitsgericht in dieser Weise verfahren ist, unter-liegt der PKH-
Ablehnungsbeschluss zwar der Zurückverweisung, jedoch kann das Be-
schwerdegericht insbesondere dann analog § 538 Abs. 1 ZPO selbst
entscheiden, wenn das PKH-Gesuch bewilligungsreif ist.
2. Ist die Arbeitnehmerin zum Zeitpunkt der Beendigung des
Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig erkrankt, so entsteht der
Urlaubsabgeltungsanspruch nicht sofort, sondern wird erst dann fällig,
wenn sie bis zum Ablauf der Übertragungszeitraums (§ 7 Abs. 3 BUrlG)
– bezo-gen auf die vertragsgemäß geschuldete Arbeitsleistung - wieder
arbeitsfähig wird. Ob dies der Fall gewesen ist, weil die bis dahin
arbeitsunfähige Arbeitnehmerin nach der Beendigung des alten sofort
ein neues Arbeitsverhältnis angetreten und dort gearbeitet hat, wird ggf.
nach Einholung eines ärztlichen Sachverständigengutachtens zu
entscheiden sein. Die Antwort hierauf kann nicht im PKH-
Bewilligungsverfahren vorweggenommen werden
Rechtskraft:
Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben
Tenor:
Auf die als sofortige auszudeutende Beschwerde wird der nicht
unterzeichnete PKH-Ablehnungsbeschluß des Arbeitsgerichts vom
28.05.2004 - 4 Ca 865/04 - aufgehoben:
wird für den ersten Rechtszug mit Wirkung vom 10.05. 2004
Prozesskostenhilfe bewilligt und zur Wahrnehmung Rechte in diesem
Rechtszug R2xx B1xxxx aus M1xxxxx mit der Maßgabe bewilligt, dass
vorerst aus Einkommen keinen eigenen Beitrag zu den Kosten der
Prozessführung zu leisten hat, mithin einstweilen ratenfrei bleibt.
G r ü n d e
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I. Mit einem dem Prozessbevollmächtigten am 08.06.2004 zugestellten (zwar
ausgefertigten, aber von der Richterin nicht unterzeichneten) Beschluss des
Arbeitsgericht mit Datum des 28.05.2004 –4 Ca 865/04 – ist das PKH-Gesuch mangels
Erfolgsaussichten zurückgewiesen worden. Hiergegen hat mit vom 14.06.2004, bei dem
Arbeitsgericht am 16.06.2004 Beschwerde eingelegt, der ohne Begründung nicht
abgeholfen worden ist.
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II. Die nach §§ 46 Abs. 2 Satz 3 ArbGG, 127 Abs. 2 ZPO zulässige, form und fristgerecht
eingelegte und als sofortige auszudeutende Beschwerde ist begründet.
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1. Ein von der Richterin nicht unterzeichneter, der bedürftigen Partei aber förmlich
zugestellter und mit Rechtsmittelbelehrung versehener PKH-Ablehnungsbeschluss des
Arbeitsgerichts ist mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar. Er unterliegt zwar der
Zurückverweisung, da § 68 ArbGG insoweit nicht gilt, jedoch kann das
Beschwerdegericht analog § 538 Abs.1 ZPO in der Sache selbst entscheiden. Gleiches
gilt, wenn die Nichtabhilfeentscheidung bzw. Nichtabhilfeverfügung keinerlei
Begründung enthält. Hat die bedürftige Partei gegen die Versagung von
Prozesskostenhilfe Beschwerde eingelegt, muss die Nichtabhilfeentscheidung des
Erstgerichts nämlich unter Würdigung des Beschwerdevortrags begründet werden. Es
gehört zur Pflicht des Erstgerichts, die in der Beschwerdebegründung angeführten, auch
neuen Tatsachen zur Kenntnis zu nehmen, die angefochtene Entscheidung daraufhin
zu überprüfen und erforderlichenfalls Abhilfe zu schaffen. Der Nichtabhilfe- und
Vorlageverfügung muss sich entnehmen lassen, dass das Erstgericht in dieser Weise
verfahren ist (OLG Köln, Bes. v. 05.07.2001 – 25 WF 92/01, FamRZ 2002, 893 = OLGR
Köln 2002, 52). Es ist nicht ausreichend, die Nichtabhilfe mit dem einfachen
formelhaften (oder gar formularmäßigen) Hinweis auf die Gründe der angefochtenen
Entscheidung zu begründen (OLG Naumburg, Bes. v. 27.07.2000 – 8 WF 136/00, juris
KORE419962000; OLG Naumburg, Bes. v. 21.01.2002 – 8 WF 13/02). § 572 ZPO n.F.
(= § 571 ZPO a.F.) stellt den Begründungszwang zwar nicht ausdrücklich klar, es ist
dies aber selbstverständlich. Die Pflicht zur Begründung ergibt sich aus der Rechtsnatur
der Entscheidung und aus dem Zweck des § 572 ZPO n.F. (= § 571 ZPO a.F.). Auch die
Entscheidung über die Frage der Abhilfe ist eine gerichtliche Entscheidung. Solche
Entscheidungen bedürfen der Begründung, jedenfalls dann, wenn ein Rechtsmittel
statthaft ist. Nur so kann etwa geprüft werden, ob das rechtliche Gehör gewahrt ist.
Außerdem ist es Zweck des § 572 ZPO n.F. (= § 571 ZPO a.F.), begründete
Beschwerden auf einem möglichst einfachen Weg zu erledigen. Die Vorlage einer
Beschwerde durch das Erstgericht setzt dem gemäß eine Entscheidung voraus, in der
auf das Beschwerdevorbringen gezielt und inhaltlich erschöpfend eingegangen wird.
Sie muss sich konkret mit der Gegenargumentation der Beschwerdebegründung
befassen und nachvollziehbar darstellen, weshalb nicht abzuhelfen ist (OLG München,
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Bes. v. 12.09.2003 – 21 W 2186/03, MDR 2004, 291, 292 = OLGR München 2003, 435 =
Rpfleger 2004, 167, 168). Der angefochtene PKH-Ablehnungsbeschluss des
Arbeitsgerichts unterliegt zwar auch insoweit der Zurückverweisung, denn der
Nichtabhilfevermerk vom 19.06.2004 setzt sich nicht mit der Beschwerdebegründung
auseinander, jedoch kann das Beschwerdegericht auch in diesem Falle analog § 538
Abs.1 ZPO in der Sache selbst entscheiden.
2. Gemäß §§ 114, 119 Satz 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder
nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte
Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Insoweit ist es erforderlich, aber auch ausreichend, dass bei summarischer Prüfung eine
gewisse Wahrscheinlichkeit für ein Obsiegen der bedürftigen Partei besteht und das
PKH-Gesuch den gesetzlichen Mindestanforderungen genügt. § 117 Abs. 4 ZPO
schreibt für die Abgabe der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen
Verhältnisse die Benutzung des amtlichen Vordrucks vor, nach § 117 Abs. 2 ZPO
müssen alle Angaben durch Vorlage "entsprechender Belege" glaubhaft gemacht
werden. Vollständig ist die PKH-Antragstellung, wenn die Erklärung über die
persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf dem amtlichen Vordruck abgegeben
worden ist und alle "entsprechenden Belege" eingereicht worden sind, was vorliegend
der Fall ist.
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2.1. Das Arbeitsgericht hat die PKH-Bewilligung mit der Begründung versagt, ein
Anspruch auf Urlaubsabgeltung könne der Klägerin aus keinem rechtlichen
Gesichtspunkt zustehen. Ein solcher stehe einem Arbeitnehmer nur dann zu, wenn der
Urlaub wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr in natura gewährt
werden könne. Diese Voraussetzung sei nicht erfüllt. Sei die Klägerin am 24.11.2003
wieder arbeitsfähig, so hätte sie den Urlaub in natura nehmen können. Eine Kündigung
hätte die Klägerin nur zum 31.12.2003 aussprechen dürfen, so dass der Urlaub in natura
hätte genommen werden können. Anhaltspunkte dafür, dass ihr der Urlaub seitens der
Beklagten im Fall einer Beantragung nicht gewährt worden wäre, lägen nicht vor. Das
Arbeitsverhältnis sei seitens der Klägerin auch nicht mit sofortiger Wirkung gekündigt
worden. Unabhängig von der Frage, inwieweit der Klägerin eine wichtiger Grund
zugestanden habe, habe sie in dem Kündigungsschreiben nicht zum Ausdruck
gebracht, das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung beenden zu wollen. Sei die
Klägerin demgegenüber aus gesundheitlichen Gründen bis zum heutigen Datum, wie im
Gütetermin ausgeführt, nicht mehr in der Lage, die Tätigkeit im Betrieb der Beklagten zu
erbringen, so seien die Voraussetzungen des § 7 BUrlG ebenfalls nicht erfüllt.
Schließlich sei der geltendgemachte Anspruch auch der Höhe nach nicht
nachvollziehbar.
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2.2. Diesen Ausführungen vermag das Beschwerdegericht nicht zu folgen. Der Urlaub
ist gem. § 7 Abs. 4 BUrlG immer dann, aber auch nur dann abzugelten, wenn er "wegen"
der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr gewährt werden kann (Griese, in
Berscheid/Kunz/Brand [Hrsg.], Praxis des Arbeitsrechts, Teil 3 Rn. 1159). Der
Abgeltungsanspruch ist Surrogat zum Urlaubsanspruch (GK-BUrlG/Bachmann, § 7 Rn.
141; BKB-Griese, PraxisArbR, Teil 3 Rn. 1178; a.A. Kohte, BB 1984, 604, 622; Natzel, §
7 BUrlG Rn. 157, die lediglich einen Ausgleichsanspruch annehmen). Mit der
Beendigung eines Arbeitsverhältnisses wandelt sich nach § 7 Abs.4 BUrlG ein bis dahin
noch nicht verfallener oder erfüllter Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers in einen
Abgeltungsanspruch um, ohne dass es weiterer Handlungen des Arbeitgebers oder des
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Arbeitnehmers bedarf (BAG, Urt. v. 21.09.1999 – 9 AZR 705/98, BB 2000, 881 = DB
2000, 2611). Der Abgeltungsanspruch soll den Arbeitnehmer in die Lage versetzen, die
Freizeit zur Erholung ohne Rücksicht auf wirtschaftliche Gesichtspunkte zu nehmen,
und ist deshalb an die gleichen Voraussetzungen geknüpft wie der Urlaubsanspruch; er
ist unabhängig vom Grund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (GK-
BUrlG/Bachmann, § 7 Rn. 142, 146), besteht also bei Kündigungen,
Aufhebungsverträgen, Beendigung infolge einer Befristungsabrede, Erreichens der
Altersgrenze und Erwerbsunfähigkeit (BKB-Griese, PraxisArbR, Teil 3 Rn. 1178).
Voraussetzungen für die Urlaubsabgeltung nach § 7 Abs. 4 BUrlG sind ein noch
bestehender Urlaubsanspruch zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses
(BAG, Urt. v. 07.03.1985 – 6 AZR 334/82, BB 1985, 1197 = DB 1985, 1598; BAG, Urt. v.
10.02.1987 – 8 AZR 529/84, BB 1987, 1955 = DB 1987, 1693) sowie kumulativ die
fiktive Möglichkeit des Arbeitnehmers, den Urlaub in Freizeit zu nehmen, wäre er nicht
aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden (BAG v. 05.12.1995 – 9 AZR 871/94, BB
1996, 1559 = DB 1996, 1087). Mit anderen Worten, Urlaubsabgeltung wird nur dann
geschuldet, wenn der Arbeitnehmer bei Fortdauer des Arbeitsverhältnisses seine
vertraglich geschuldete Arbeitsleistung hätte erbringen können (BAG, Urt. v. 14.05.1986
– 8 AZR 604/84, BB 1986, 2338 = DB 1986, 2685; BAG, Urt. v. 24.11.1987 – 8 AZR
140/87, DB 1988, 447). Ist der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Beendigung des
Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig erkrankt, so entsteht der Abgeltungsanspruch nicht
sofort, sondern wird erst dann fällig, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ablauf der
Übertragungszeitraums (§ 7 Abs. 3 BUrlG) – bezogen auf die vertragsgemäß
geschuldete Arbeitsleistung – wieder arbeitsfähig wird (BKB-Griese, PraxisArbR, Teil 3
Rn. 1179). Ob wieder arbeitsfähig gewesen ist, weil ab diesem Zeitpunkt ein neues
Arbeitsverhältnis angetreten und dort gearbeitet hat unter Berücksichtigung des
Sachvortrags vom Arbeitsgericht ggf. nach Einholung eines ärztlichen
Sachverständigengutachtens zu entscheiden sein. Die Antwort hierauf kann nicht im
PKH-Verfahren vorweggenommen werden. Dass während des (möglicherweise)
rechtlichen Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses durch das Eingehen eines neuen
Arbeitsverhältnisses gegen § 8 BUrlG verstoßen hat, begründet weder ein Recht des
Arbeitgebers, die Urlaubsvergütung zu kürzen, noch entfällt damit der Anspruch auf
Urlaubsvergütung (BAG, Urt. v. 25.02.1988 – 8 AZR 596/85, ARST 1988, 138 = MDR
1988, 889) und somit auch nicht der Abgeltungsanspruch.
3. Da die Hilfsbedürftigkeit hinreichend geklärt ist, hat das Beschwerdegericht über das
PKH-Gesuch entscheiden können, so dass mit Wirkung des Tages der Einreichung der
Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Belegen
(10.05.2004) Prozesskostenhilfe zu bewilligen und der Anwalt Wahl nach § 121 Abs. 2
ZPO n.F. beizuordnen war. Nach den Berechnungen des Rechtspflegers schließt das
einzusetzende Einkommen mit 15,00 € ab. Da somit der Mindestbetrag der Tabelle des
§ 115 Abs. 1 Satz 3 ZPO nicht überschritten wird, bleibt einstweilen ratenfrei.
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Berscheid
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/Woi.
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