Urteil des LAG Hamm vom 22.09.2006
LArbG Hamm: eintritt des versicherungsfalles, bezugsrecht, eintritt des versicherungsfalls, firma, direktversicherung, vertrag zugunsten dritter, versicherungsnehmer, aussonderungsrecht, insolvenz
Landesarbeitsgericht Hamm, 4 Sa 629/06
Datum:
22.09.2006
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
4. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 Sa 629/06
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Dortmund, 9 Ca 2269/05
Nachinstanz:
Bundesarbeitsgericht, 3 AZR 985/06
Schlagworte:
Betriebliche Altersversorgung, Eingeschränkt unwiderrufliches
Bezugsrecht, Direktversiche-rung
Leitsätze:
Hat ein Arbeitnehmer ein eingeschränkt unwiderrufliches Bezugsrecht
an einer
Direktversicherung zur betrieblichen Altersversorgung, dann steht ihm in
der Insolvenz des Arbeitgebers ein Aussonderungsrecht i.S.v. § 47 InsO
hinsichtlich des Rückkaufswertes der zu seinen Gunsten
abgeschlossenen Lebensversicherung zu (wie BGH, Urteil vom
08.06.2005
- IV ZR 30/04).
Rechtskraft:
4. Die Revision wird zugelassen
Tenor:
1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts
Dortmund vom 16.11.2005 - AZ: 9 Ca 2269/05 - abgeändert.
2. Die Klage wird abgewiesen.
3. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über die Freigabe eines hinterlegten Geldbetrags aus einer
Lebensversicherung.
2
Die Klägerin ist Insolvenzverwalterin über das Vermögen der Firma C1xxxxxxxxx
T1xxxxxxxxxx AG (Insolvenzschuldnerin), über deren Vermögen am 30.04.2004 das
3
Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Der am 01.07.1954 geborene Beklagte war seit dem
01.05.1999 bei der Insolvenzschuldnerin als "Direktor Technologie und
Produktplanung" beschäftigt. Rechtsgrundlage dafür war ein schriftlicher Arbeitsvertrag
vom 07.05.1999 zwischen der Firma S3xx C2xxxxxxxxxxxx AG, der Rechtsvorgängerin
der Insolvenzschuldnerin, und dem Beklagten. Darin heißt es u.a.:
"§ 8 Nebenleistungen
4
8.1 …
5
8. 2 S3xx C2xxxxxxxxxxxx schließt für Herrn S1xxxxxxx eine verrentenbare
Direkt-Lebensversicherung in Höhe von DM 3.408 jährlich ab. Die
Versicherungsprämien werden als halb- oder ganzjährige Sonderzahlungen
geleistet. Der Anspruch auf die Leistungen aus dieser Versicherung ist nach
5-jähriger Betriebszugehörigkeit unverfallbar.
6
Einzelheiten regelt ein spezielles mit Herrn S1xxxxxxx abzuschließendes
Versicherungsabkommen, das seine individuellen Lebensdaten
berücksichtigt."
7
Noch am Tag der Insolvenzeröffnung am 30.04.2004 veräußerte die Klägerin den
Betrieb der Gemeinschuldnerin an die Firma S3xx S4xxxxxxx GmbH, bei der der
Beklagte seit dem beschäftigt ist. In dem notariell beurkundeten Kaufvertrag ist als
Datum der Übernahme der Leitungsmacht der 04.05.2004 vereinbart.
8
Zugunsten des Beklagten besteht bereits seit dem 01.01.1993 bei der Victoria
Lebensversicherung AG (Victoria) unter der Versicherungsschein-Nr. T 7378006.3 eine
von seinem damaligen Arbeitgeber, der Firma I2x Institut für Telekommunikation GmbH
& Co. KG, als betriebliche Altersversorgung abgeschlossene Direktversicherung i.S.v. §
1b Abs. 2 Satz 1 BetrAVG. In den Bestimmungen des Versicherungsvertrags vom
23.12.1992 heißt es dazu u.a.:
9
"Scheidet der Versicherte aus dem Arbeitsverhältnis aus und ist sein
Bezugsrecht unwiderruflich, so überlässt der Versicherungsnehmer dem
Versicherten die Rechtsstellung des Versicherungsnehmers. Damit erwirbt
dieser das Recht zur Fortsetzung der Versicherung mit eigenen Beiträgen. …
Dem Versicherten wird auf die Leistung aus der auf sein Leben
abgeschlossenen Versicherung sowohl für den Todes- als auch für den
Erlebensfall ein nicht übertragbares und nicht beleihbares unwiderrufliches
Bezugsrecht unter dem nachstehenden Vorbehalt eingeräumt:
10
Dem Versicherungsnehmer bleibt das Recht vorbehalten, alle
Versicherungsleistungen für sich in Anspruch zu nehmen, wenn das
Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versicherungsfalles endet, es sei denn, der
Versicherte hat die Voraussetzungen für die Unverfallbarkeit nach dem Gesetz
zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung erfüllt."
11
Am 20.02.1998 schloss die Firma I2x Telekommunikation AG (I2x), die
Rechtsnachfolgerin der Firma I2x Institut für Telekommunikation GmbH & Co. KG, mit
der Victoria rückwirkend ab dem 1.12.1997 einen Gruppenversicherungsvertrag, in den
u.a. die zugunsten des Beklagten abgeschlossene Einzelversicherung eingebracht
12
wurde. Der Gruppenversicherungsvertrag enthält u.a. die nachfolgenden
Bestimmungen:
"§ 7 Bezugsberechtigung
13
1. Der versicherten Person wird auf die Leistung aus der auf ihr Leben
abgeschlossenen Versicherung sowohl für den Todes- als auch für den
Erlebensfall ein nicht übertragbares und nicht beleihbares unwiderrufliches
Bezugsrecht eingeräumt. …
14
§ 8 Ausscheiden von versicherten Personen / vorgezogene
Versicherungsleistung
15
1. Scheidet eine versicherte Person vor Eintritt des Versicherungsfalls aus
dem Gruppenversicherungsvertrag aus, so meldet der Vertragspartner
unverzüglich die auf das Leben dieser Person abgeschlossene
Versicherung ab. Zu dem in der Abmeldung genannten Zeitpunkt,
frühestens aber zum Ende der bei der Abmeldung laufenden
Beitragszahlungsperiode wandelt sich die Versicherung in eine
beitragsfreie um, sofern nach den Versicherungsbedingungen die
Voraussetzungen für eine solche Umwandlung gegeben sind; anderenfalls
erlischt die Versicherung.
16
2. Der Versicherungsnehmer überläßt der versicherten Person die
Rechtsstellung des Versicherungsnehmers. Diese kann bis zum Ende der
laufenden Beitragszahlungsperiode, mindestens aber bis zum Ablauf von
drei Monaten ab dem in der Abmeldung genannten Zeitpunkt die
Versicherung ohne Gesundheitsprüfung als Einzelversicherung nach den
hierfür maßgeblichen tariflichen Bestimmungen der VICTORIA fortsetzen.
Bereits abgelaufene Wartezeiten werden angerechnet. Voraussetzung für
die Fortsetzung als Einzelversicherung ist, daß die nach den tariflichen
Bestimmungen vorgesehenen Mindestbeträge erreicht werden.
17
Hat die versicherte Person beim Ausscheiden keine unverfallbare
Anwartschaft nach den Vorschriften des Gesetzes zur Verbesserung der
betrieblichen Altersversorgung und wird die einzelne Versicherung nicht
weitergeführt, sondern gekündigt, so wird der Zeitwert der Versicherung
gemäß § 176 Versicherungsvertragsgesetz gezahlt.
18
3. Hat die versicherte Person beim Ausscheiden eine unverfallbare
Anwartschaft nach den Vorschriften des Gesetzes zur Verbesserung der
betrieblichen Altersversorgung, so macht der Versicherungsnehmer von der
Möglichkeit des § 2 Absatz 2 Satz 2 dieses Gesetzes Gebrauch. Danach
sind beim etwaigen Ausscheiden die Ansprüche der versicherten Person
auf die Leistungen begrenzt, die sich aus der übertragenen Versicherung
ergeben."
19
Das Arbeitsverhältnis zwischen dem Beklagten und der Firma I2x endete zum
31.03.1999.
20
Mit Zustimmung seines bisherigen Arbeitgebers trat die Firma S3xx C2xxxxxxxxxxxx AG
21
Mit Zustimmung seines bisherigen Arbeitgebers trat die Firma S3xx C2xxxxxxxxxxxx AG
in die bei der Victoria zugunsten des Beklagten geschlossene Lebensversicherung am
12.07.1999 ein. In diesem Zusammenhang gaben die Firma S3xx C2xxxxxxxxxxxx AG
sowie der Beklagte gegenüber der Victoria am 30.06.1999 u.a. die nachfolgende
"Ergänzende Erklärung des Antragstellers/Versicherungsnehmers" ab:
21
"Die Lebensversicherung soll als betriebliche Direktversicherung zur
Altersversorgung des Arbeitnehmers dienen. Im Hinblick auf das Gesetz zur
Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung vom 19.12.1984 soll das
Vertragsverhältnis so gestaltet werden,
22
· daß es den arbeits- und steuerrechtlichen Vorschriften des Gesetzes
entspricht und insbesondere die Voraussetzungen für die Pauschalierung
der Lohnsteuer gemäß § 40 b EStG erfüllt,
23
· daß die Zahlung eines Umlagebeitrages an den Pensions-Sicherungs-
Verein für die Insolvenzsicherung vermieden wird, solange die Versicherung
weder abgetreten noch beliehen ist,
24
· daß wir beim vorzeitigen Ausscheiden des Arbeitnehmers aus unseren
Diensten vor Eintritt der Unverfallbarkeit (außer bei Direktversicherungen, die
unter Verwendung von Barlohn des Arbeitnehmers abgeschlossen werden)
frei über die Versicherungsansprüche verfügen können,
25
· daß sich bei vorzeitiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach
Erfüllung der Voraussetzungen für die Unverfallbarkeit der Anspruch des
Arbeitnehmers auf die Versicherungsleistung beschränkt. Diese Wirkung tritt
jedoch nur ein, wenn spätestens nach 3 Monaten ab Ausscheiden des
Arbeitnehmers das Bezugsrecht unwiderruflich ist, eine Abtretung oder
Beleihung des Rechts aus dem Versicherungsvertrag durch den Arbeitgeber
nicht vorliegt und keine Beitragsrückstände bestehen,
26
· daß – bei Kapitalversicherungen – kein Rentenwahlrecht besteht
27
…
28
wird die Direktversicherung unter Verwendung von
29
des Arbeitnehmers abgeschlossen?
30
31
ja nein
32
In den "Ergänzenden Bestimmungen zum Versicherungsschein" heißt es u. a.:
33
"4. Scheidet der Versicherte aus dem Arbeitsverhältnis aus und ist sein
Bezugsrecht unwiderruflich, so überläßt der Versicherungsnehmer der
versicherten Person die Rechtsstellung des Versicherungsnehmers. Damit
erwirbt dieser das Recht zur Fortsetzung der Versicherung mit eigenen
Beträgen. Die VICTORIA verzichtet auf eine Gesundheitsprüfung, wenn die
versicherte Person innerhalb von 3 Monaten nach dem Ausscheiden von
34
dem Fortsetzungsrecht Gebrauch macht.
Sind beim Ausscheiden der versicherten Person die Voraussetzungen für
die Unverfallbarkeit nach dem Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen
Altersversorgung erfüllt, so darf sie die unverfallbaren Ansprüche aus der
Versicherung in Höhe des auf die Beitragszahlung des
Versicherungsnehmers entfallenden Anteils am Zeitwert der Versicherung
weder abtreten noch beleihen. In dieser Höhe kann aufgrund einer
Kündigung der Versicherung der Rückkaufswert nicht in Anspruch
genommen werden; im Falle einer Kündigung wandelt sich die
Versicherung insoweit in eine herabgesetzte beitragsfreie um.
35
6. Der versicherten Person wird auf die Leistung aus der auf ihr Leben
abgeschlossenen Versicherung sowohl für den Todes- als auch für den
Erlebensfall ein nicht übertragbares und nicht beleihbares unwiderrufliches
Bezugsrecht
36
untere nachstehendem Vorbehalt
37
eingeräumt:
38
Dem Versicherungsnehmer bleibt das Recht vorbehalten, alle
Versicherungsleistungen für sich in Anspruch zu nehmen, wenn das Arbeitsverhältnis
vor Eintritt des Versicherungsfalles endet, es sei denn, die versicherte Person hat die
Voraussetzungen für die Unverfallbarkeit nach dem Gesetz zur Verbesserung der
betrieblichen Altersversorgung erfüllt.
39
…"
40
Unter dem Datum vom 25.04.2003 unterzeichneten die Firma S3xx C2xxxxxxxxxxxx AG
und der Beklagte die nachfolgende Erklärung:
41
"Ergänzung des Arbeitsvertrages vom 7.5.1999 zwischen Herrn U1x
S1xxxxxxx und S3xx C2xxxxxxxxxxxx AG
42
Sehr geehrter Herr S1xxxxxxx,
43
aufgrund von möglicherweise missverständlichen oder ggf. unzureichenden
Regelungen Ihrer Direktversicherung(en) betreffend möchte die S3xx
C2xxxxxxxxxxxx AG – nachfolgend S3xx C2xxxxxxxxxxxx genannt –, folgende
Vereinbarung mit Ihnen (nachfolgend Arbeitnehmer genannt), treffen:
44
1. die für Sie als Arbeitnehmer von S3xx C2xxxxxxxxxxxx
abgeschlossene/übernommene Direktversicherungen dient als zusätzliche
Altersversorgung – entsprechend der im Gesetz zur Verbesserung der
45
betrieblichen Altersversorgung (BetrAVG) vorgesehenen Möglichkeit.
2. Die in § 8.2 Ihres Arbeitsvertrages benannte Sonderzahlung stellt eine
Umwandlung von Barlohn (Bruttobezug) in einen Anspruch auf Verschaffung
von Versicherungsschutz dar, wodurch Ihr Anspruch auf Barauszahlung der
Sonderzahlung in der genannten Höhe endgültig untergeht, da Ihnen der
Gegenwert in Form von Versorgungsleistungen zufließt.
46
3. S3xx C2xxxxxxxxxxxx verpflichtet sich, in Höhe des in § 8.2 Ihres
Arbeitsvertrages genannten, umgewandelten Betrages Beiträge zu der/den
nachfolgend genannten abgeschlossenen/übernommenen
Direktversicherung(en) zu zahlen:
47
Victoria Versicherungs AG, Vers. Nr. T7378006.3-00774-3912
48
Allianz Versicherungen, Vers. Nr. 204956024
49
Allianz Versicherungen, Vers. Nr. 204956032
50
4. …
51
5. Der Arbeitnehmer ist unwiderruflich bezugsberechtigt sowohl im Erlebens-
als auch im Todesfall.
52
6. bis 9. …
53
10. Im Übrigen regeln sich die Rechtsbeziehungen nach dem Inhalt des bei
Abschluss der Direktversicherung(en) ausgefertigten
Versicherungsscheins/e. Eine Durchschrift des Versicherungsscheines
wurde dem Arbeitnehmer jeweils zur Aufbewahrung übergeben.
54
11. …
55
12. Alle vorstehenden Regelungen 1-12 gelten rückwirkend ab Abschluss-
oder Übernahmedatum des jeweiligen Direktversicherungsvertrages."
56
Die Klägerin forderte nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zuletzt durch Schreiben
vom 12.08.2004 die Victoria auf, den Rückkaufswert der zugunsten des Beklagten
abgeschlossenen Lebensversicherung an sie auszuzahlen. Diese vertrat den
Standpunkt, dass auch der Beklagte als Empfangsberechtigter in Betracht komme und
hat am 01.10.2004 den Rückkaufswert in Höhe von 16.817,56 € beim Amtsgericht
Dortmund (AZ: 4 HL 252/04) hinterlegt. Die Klägerin forderte daraufhin den Beklagten
mit Schreiben vom 08.03.2005 unter Fristsetzung zum 16.03.2005 zur Abgabe einer
Freigabeerklärung hinsichtlich des hinterlegten Geldbetrages auf. Nachdem der
Beklagte sich dazu nicht äußerte, erhob die Klägerin beim Landgericht Dortmund,
eingehend am 18.03.2005, die vorliegende Klage. Durch Beschluss vom 21.04.2005
erklärte sich das Landgericht Dortmund für sachlich unzuständig und verwies den
Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Dortmund.
57
Die Klägerin hat vorgetragen, dem Beklagten stehe ein Aussonderungsrecht hinsichtlich
des hinterlegten Geldbetrages nicht zu. Auf das Valutaverhältnis zwischen dem
58
des hinterlegten Geldbetrages nicht zu. Auf das Valutaverhältnis zwischen dem
Schuldner und dem Bezugsberechtigten komme es nicht an, selbst wenn dieses
arbeitsrechtlicher Natur sei und der Arbeitgeber schuldrechtlich verpflichtet sei, das
Bezugsrecht nicht mehr zu widerrufen. Beschäftigungszeiten aus vorhergehenden
Arbeitsverhältnissen könnten den Eintritt der gesetzlichen Unverfallbarkeit nicht
beeinflussen. Als zwischen der Firma S3xx C2xxxxxxxxxxxx AG und dem Beklagten am
07.05.1999 der Arbeitsvertrag zustande gekommen sei, sei ein Versorgungsbesitzstand
nicht mehr vorhanden gewesen. Nach den Bestimmungen dieses Arbeitsvertrages habe
ein unverfallbarer Anspruch auf die Versicherungsleistung erst nach 5jähriger
Betriebszugehörigkeit, mithin am 07.05.2004, eintreten sollen und damit nach Eröffnung
des Insolvenzverfahrens. Die neue Entscheidung des BGH vom 08.06.2005 überzeuge
nicht. Das Insolvenzereignis als solches könne nicht eine Sicherung des Gläubigers
herbeiführen und die Voraussetzungen für ein Aussonderungsrecht schaffen.
Dem gegenüber hat der Beklagte geltend gemacht, er sei zur Abgabe einer
Freigabeerklärung nicht verpflichtet, weil ihm an der hinterlegten Geldsumme ein
Aussonderungsrecht zustehe. Der streitgegenständliche Versicherungsvertrag vom
01.01.1993 habe zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits seit über
elf Jahren Bestand gehabt. Die gesetzlichen Voraussetzungen für den Eintritt der
Unverfallbarkeit seien somit eingetreten. Im Übrigen sei ihm schon im Jahr 1997 bei der
Einbringung der zu seinen Gunsten abgeschlossenen Einzelversicherung in den
Gruppenversicherungsvertrag ein unwiderrufliches Bezugsrecht eingeräumt worden.
Der Lebensversicherungsvertrag sei im Jahr 1999 einvernehmlich auf die
Insolvenzschuldnerin als neue Arbeitgeberin übertragen worden. Dabei seien sich alle
Beteiligten, seine alte und seine neue Arbeitgeberin sowie er selbst, darüber einig
gewesen, dass die Versorgungszusage des alten Arbeitgebers vom Neuen
übernommen werde und dieser sich auf die kurzfristige Unterbrechung seines
Beschäftigungsverhältnisses nicht berufen werde.
59
Das Arbeitsgericht Dortmund hat durch Urteil vom 16.11.2005 den Beklagten
antragsgemäß dazu verurteilt, die Freigabe des bei dem Amtsgericht Dortmund, AZ: 4 Hl
252/04 hinterlegten Betrages in Höhe von 16.817,56 € nebst Zinsen in Höhe von eins
vom Tausend monatlich seit dem 01.10.2004 an die Klägerin zu bewilligen und hat
außerdem festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin den darüber
hinausgehenden Zinsschaden, der ihr aus der Hinterlegung der Klageforderung
entstanden ist, zu ersetzen. Es hat angenommen, der Beklagte habe zu Unrecht auf
Kosten der Klägerin einen Vermögensvorteil, nämlich die Sperrstellung gemäß § 13
Abs. 2 Ziffer 1 HinterlO, erlangt und sei daher nach § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB zur Abgabe
einer Freigabeerklärung verpflichtet. Der Anspruch auf Auszahlung des
Rückkaufswertes der Kapitallebensversicherung T 7378006.3 zähle zur
Insolvenzmasse. Dies folge aus § 168 VVG. Der Beklagte habe das Recht auf die
Leistung des Versicherers nicht erworben, denn ihm stehe kein unwiderrufliches
Bezugsrecht zu. Dabei könne offen bleiben, ob der Gruppenversicherungsvertrag vom
20.02.1998 unter § 7 Ziffer 1 dem Beklagten ein unwiderrufliches Bezugsrecht auch für
den Fall eingeräumt habe, dass die Unverfallbarkeitsvoraussetzungen nach dem Gesetz
zur Verbesserung der betrieblichen Altersvorsorge nicht erfüllt seien. Die
Insolvenzschuldnerin sei jedenfalls nicht Vertragspartnerin des
Gruppenversicherungsvertrages. Dieser sei nicht Gegenstand des Änderungsantrages.
Nach dem Wortlaut der ergänzenden Bestimmungen zum Versicherungsschein sei dem
Beklagten das Bezugsrecht im Hinblick auf Leistungen aus der Versicherung nur unter
Vorbehalt eingeräumt worden. Als das Arbeitsverhältnis zwischen dem Beklagten und
der Insolvenzschuldnerin aufgrund des Betriebsübergangs geendet habe, habe sei
60
Unverfallbarkeit noch nicht eingetreten gewesen, denn die Versorgungszusage der
Insolvenzschuldnerin habe noch keine zehn Jahre bestanden. Die vorangegangene
Versorgungszusage der Firma I2x sei mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum
31.03.1999 erloschen. Nach dem Wortlaut des Arbeitsvertrages vom 07.05.1999 sei die
Insolvenzschuldnerin nicht zur Fortführung dieser Versorgungszusage verpflichtet. Nach
§ 1b BetrAVG sei eine Zusammenrechnung von Beschäftigungszeiten nicht
vorgesehen. Der vorgesehene Vorbehalt, der hinsichtlich des Bezugsrechts zugunsten
der Insolvenzschuldnerin als Versicherungsnehmerin bestanden habe, gelte entgegen
der Auffassung des BGH auch im Insolvenzfall. Der zwischen der Schuldnerin und der
Victoria vereinbarte Vorbehalt sei so formuliert, dass er stets eingreifen solle, wenn das
Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versicherungsfalles ende und die Voraussetzungen für
die Unverfallbarkeit nach dem Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen
Altersversorgung nicht erfüllt seien. Eine abweichende Regelung bei Eröffnung des
Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Versicherungsnehmers hätte in der
Formulierung des Vorbehaltes zum Ausdruck kommen müssen. Auch der
Vertragszweck des Versicherungsvertrages spreche nicht dafür, eine Ausnahme für den
Insolvenzfall hineinzulesen. Auch in anderen Fällen, beispielsweise nach einer
Entlassung wegen krankheitsbedingter Fehlzeiten oder infolge einer unternehmerischen
Entscheidung aus betrieblichen Gründen, liege eine vergleichbare Schutzbedürftigkeit
des Arbeitnehmers vor, ohne dass dieser die Entlassungsgründe zu vertreten habe.
Maßgeblich sei eine an den Interessen der Vertragsparteien ausgerichtete Auslegung
des Versicherungsvertrages. Diese geböten es, den zugunsten des
Versicherungsnehmers bestehenden Vorbehalt auch im Insolvenzfall aufrecht zu
erhalten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des
arbeitsgerichtlichen Urteils (Aktenblatt 256-265) Bezug genommen.
Gegen das ihm am 08.03.2006 zugestellte Urteil hat der Beklagte mit am 07.04.2006
eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit am 08.05.2006
eingegangenem Schriftsatz begründet. Zur Begründung seiner Berufung trägt der
Beklagte vor, das Arbeitsgericht Dortmund habe verkannt, dass ihm bereits nach dem
unter dem 20.02.1998 geschlossenen Gruppenversicherungsvertrag ein
unwiderrufliches und uneingeschränktes Bezugsrecht eingeräumt gewesen sei. Nicht
nachvollziehbar sei die Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts, der
Gruppenversicherungsvertrag sei nicht Bestandteil des Änderungsvertrages vom
12.07.1999 geworden. Der Gruppenversicherungsvertrag sei zu diesem Zeitpunkt der
einzige Vertrag gewesen, der überhaupt noch existiert habe. Sofern sich dieser durch
den Änderungsvertrag vom 12.07.1999 wieder in einen Einzelvertrag gewandelt habe,
so doch mit dem Inhalt des Gruppenversicherungsvertrages vom 20.02.1998. Im
Übrigen sei zu berücksichtigen, dass ein Betriebsübergang nach § 613a BGB
stattgefunden habe mit der Folge, dass sein Arbeitsverhältnis inklusive bestehender
Versorgungsanwartschaften auf den Betriebserwerber übergegangen sei. Aufgrund des
Arbeitsvertrages vom 07.05.1999 habe der Anspruch auf die Leistungen aus der
Versicherung nach 5jähriger Betriebszugehörigkeit unverfallbar werden sollen. Diese
Bedingung sei am 07.05.2004 erfüllt gewesen, wobei es keine Rolle spiele, dass
zwischenzeitlich der Betriebsübergang stattgefunden habe. Außerdem habe das
erstinstanzliche Gericht rechtsfehlerhaft die höchstrichterliche Entscheidung des vierten
Zivilsenats des BGH außer Acht gelassen.
61
Der Beklagte beantragt,
62
das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 16.11.2005 (AZ: 9 Ca 2269/05)
63
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
64
die Berufung zurückzuweisen.
65
Die Klägerin verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund unter Bezugnahme auf
ihr erstinstanzliches Vorbringen. Ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass der
Insolvenzverwalter nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens an Verpflichtungen aus
einer Versorgungszusage nicht gebunden sei. Die stärkste Rechtsstellung, die ein
Arbeitnehmer im Valutaverhältnis erlangen könne, sei die Unverfallbarkeit nach den
Vorschriften des BetrAVG. Selbst die Unverfallbarkeit würde jedoch allenfalls ein
gesetzliches Verfügungsverbot i.S.v. § 135 BGB begründen, welches im
Insolvenzverfahren nach § 80 Abs. 2 Satz 1 InsO keine Wirkung entfalte. Umso weniger
sei derjenige Bezugsberechtigte geschützt, bei dem die arbeitsrechtlichen
Unverfallbarkeitsvoraussetzungen noch nicht einmal eingetreten seien.
66
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrags der Parteien wird auf den Inhalt der
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
67
Entscheidungsgründe
68
Die Berufung des Beklagten ist zulässig. Sie ist nach § 64 Abs. 2 ArbGG statthaft und
wurde form- und fristgerecht eingelegt und begründet.
69
Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg. Da dem Beklagten hinsichtlich des
Rückkaufswerts der zu seinen Gunsten abgeschlossenen Direktversicherung bei der
Victoria Lebensversicherung AG gegenüber der Klägerin ein Aussonderungsrecht i.S.v.
§ 47 InsO zusteht, ist er weder verpflichtet, wegen des hinterlegten Geldbetrages
gegenüber der Klägerin eine Freigabeerklärung abzugeben, noch muss er ihr einen
etwa wegen der Hinterlegung entstandenen Zinsschaden ersetzen. Die Kammer folgt
dabei der neueren Rechtsprechung des BGH. Sie hat im Einzelnen die nachfolgenden
Erwägungen angestellt:
70
1.
Zugehörigkeit einer Forderung auf Versicherungsleistungen aus einem
Lebensversicherungsvertrag die versicherungsrechtliche Ausgestaltung des Anspruchs.
Der Versicherungsvertrag wird zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer
abgeschlossen. Versicherungsnehmer ist der Arbeitgeber. Er kann einem Dritten ein
Bezugsrecht an den Versicherungsleistungen einräumen. Aufgrund dieses
Bezugsrechts erhält der Begünstigte, hier der Arbeitnehmer, einen unmittelbaren
Anspruch gegen den Versicherer auf die Versicherungsleistungen. Das Bezugsrecht
kann verschieden ausgestaltet werden. Nach § 166 Abs. 1 VVG hat der
Versicherungsnehmer im Zweifel die Befugnis, an die Stelle des bezugsberechtigten
Dritten einen anderen zu setzen. Bezugsberechtigungen dieser Art sind widerrufliche
Bezugsrechte. Der Begünstigte erwirbt, soweit der Versicherungsnehmer (Arbeitgeber)
nichts Abweichendes bestimmt hat, das Recht auf die Versicherungsleistungen nach §
166 Abs. 2 VVG erst mit dem Eintritt des Versicherungsfalls (BAG, Urteil vom
26.06.1990 – 3 AZR 2/89 = BAG AP Nr. 12 zu § 1 BetrAVG Lebensversicherung).
Gewährt der Arbeitgeber demgegenüber dem Arbeitnehmer ein unwiderrufliches
Bezugsrecht, erwirbt der Arbeitnehmer sofort den Anspruch auf die
71
Bezugsrecht, erwirbt der Arbeitnehmer sofort den Anspruch auf die
Versicherungsleistungen. Ist die Bezugsberechtigung nicht mehr abänderbar und
erwirbt der Bezugsberechtigte sofort den Anspruch auf die Versicherungsleistungen, so
unterliegt dieser Anspruch nicht mehr dem Zugriff der Gläubiger des
Versicherungsnehmers. Er gehört zum Vermögen des Begünstigten und begründet im
Insolvenzfall ein Aussonderungsrecht zugunsten des Arbeitnehmers (BAG, Urteil vom
26.06.1990 – 3 AZR 651/88 = NZA 1991, 60 ff. zur Konkursordnung). Der Arbeitgeber
kann schließlich ein unwiderrufliches Bezugsrecht mit Vorbehalten verbinden. Er kann
sich insbesondere vorbehalten, bei einem Ausscheiden des Arbeitnehmers vor Eintritt
der gesetzlichen Unverfallbarkeit die Versorgungsanwartschaft für sich in Anspruch zu
nehmen. Dieses sogenannte eingeschränkt unwiderrufliche Bezugsrecht steht rechtlich
und wirtschaftlich dem uneingeschränkt unwiderruflichen Bezugsrecht näher als dem
widerruflichen Bezugsrecht. Wenn die Voraussetzungen der Vorbehalte nicht erfüllt
sind, hat der eingeschränkt unwiderruflich Bezugsberechtigte im Konkurs des
Arbeitgebers die gleiche Rechtsstellung wie ein uneingeschränkt unwiderruflich
Bezugsberechtigter. Auch in diesem Fall gehört der Anspruch auf die
Versicherungsleistungen zum Vermögen des Arbeitnehmers (BAG a. a. O.).
Arbeitsrechtliche Vereinbarungen und Abreden im Versicherungsvertrag stimmen zwar
in der Regel überein, zwingend ist diese Annahme jedoch nicht. Zu unterscheiden ist
zwischen dem Versicherungsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Versicherer
(Deckungsverhältnis), dem sich aus dem Versicherungsvertrag als Vertrag zugunsten
Dritter (§ 328 BGB) ergebenden Rechtsverhältnis zwischen Arbeitnehmer und
Versicherer und dem Versorgungsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer.
Das Versorgungsverhältnis liegt dem Versicherungsverhältnis als arbeitsrechtliches
Valutaverhältnis zugrunde. Das im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Versicherer
vereinbarte Widerrufsrecht gibt dem Arbeitgeber nur im Verhältnis zum Versicherer die
Möglichkeit zum Widerruf der Bezugsrechte. Aus dem Arbeitsverhältnis kann sich
allerdings ergeben, dass der Arbeitgeber von dem ihm versicherungsrechtlich
eingeräumten Widerrufsrecht keinen Gebrauch machen darf. Arbeitsrechtlich unzulässig
ist der Widerruf vor allem nach Eintritt der Unverfallbarkeitsvoraussetzungen nach den
Bestimmungen des BetrAVG. Der Widerruf kann ferner arbeitsrechtlich unzulässig sein,
wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer von vornherein eine unverfallbare
Versorgungsanwartschaft vereinbart haben (BAG, Urteil vom 08.06.1993 – 3 AZR
670/92 = NZA 1994, 507 ff.). Auch bei einer Gehaltsumwandlung dürfen
Versorgungsverhältnis und Versicherungsverhältnis nicht miteinander vermengt werden
(BAG, Urteil vom 17.10.1995 – 3 AZR 622/94 = AP Nr. 23 zu § 1 BetrAVG
Lebensversicherung; BAG, Urteil vom 08.06.1999 – 3 AZR 136/98 = NZA 1999, 1103
ff.).
72
Ist der Arbeitgeber im Valutaverhältnis verpflichtet, von dem ihm im
Versicherungsverhältnis eingeräumten Widerrufsrecht keinen Gebrauch zu machen,
macht er sich schadensersatzpflichtig, wenn er hiergegen verstößt. Gleichwohl ist der
Widerruf versicherungsrechtlich wirksam. Dies gilt auch für den Insolvenzverwalter. In
diesem Fall ist die Schadensersatzverpflichtung keine Masseschuld, sondern bloße
Insolvenzforderung (BAG, Urteil vom 26.02.1991 – 3 AZR 213/90 = NZA 1991, 845 ff.;
BAG, Urteil vom 08.06.1999, a.a.O.).
73
Auf Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des BAG wäre die Klage der
Insolvenzverwalterin begründet, wie das Arbeitsgericht Dortmund in der sehr sorgfältig
begründeten Entscheidung erkannt hat.
74
Maßgeblich für das zwischen der Insolvenzschuldnerin und der Victoria
Lebensversicherung AG begründete Versicherungsverhältnis ist u.a. die "Ergänzende
Erklärung des Antragstellers/Versicherungsnehmers" vom 30.06.1999. Darin wurde
ausdrücklich vereinbart, dass das Vertragsverhältnis so gestaltet werden soll, dass die
Insolvenzschuldnerin bei vorzeitigem Ausscheiden des Beklagten vor Eintritt der
Unverfallbarkeit frei über die Versicherungsansprüche verfügen kann. Dies sollte zwar
erklärtermaßen nicht gelten bei Direktversicherungen unter Verwendung von Barlohn
des Arbeitnehmers. In dem dafür vorgesehenen Formularfeld wurde jedoch zugleich
angekreuzt, dass die Direktversicherung nicht unter Verwendung von Barlohn
abgeschlossen wird. Auch in den "Ergänzenden Bestimmungen zum
Versicherungsschein" wurde ausdrücklich das zugunsten des Beklagten begründete
unwiderrufliche Bezugsrecht mit dem Vorbehalt eingeschränkt: "Dem
Versicherungsnehmer bleibt das Recht vorbehalten, alle Versicherungsleistungen für
sich in Anspruch zu nehmen, wenn das Arbeitsverhältnis vor Eintritt des
Versicherungsfalles endet, es sei denn, die versicherte Person hat die Voraussetzungen
für die Unverfallbarkeit nach dem Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen
Altersversorgung erfüllt." Diese Erklärung, die sogar vom Beklagten als begünstigte
versicherte Person mitunterzeichnet wurde, bildete die Grundlage für das
Versicherungsverhältnis zwischen der Insolvenzschuldnerin und der Victoria. Sie löste
damit zugleich die zuvor gültigen Vertragsbestimmungen im Verhältnis des bisherigen
Arbeitgebers des Beklagten und zur Victoria ab. Wie das Arbeitsgericht Dortmund zu
Recht erkannt hat, kommt es deshalb nicht darauf an, ob der Beklagte seinerzeit ein
unbeschränkt unwiderrufliches Bezugsrecht erworben hatte.
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Die gesetzlichen Voraussetzungen für den Eintritt der Unverfallbarkeit nach den
Bestimmungen des BetrAVG waren zum Zeitpunkt der Beendigung des
Arbeitsverhältnisses zwischen der Insolvenzschuldnerin und dem Beklagten nicht erfüllt.
Da es um Leistungen einer vor dem 01.01.2001 zugesagten betrieblichen
Altersversorgung geht, ist hierfür § 30 f BetrAVG maßgeblich, wonach eine Anwartschaft
auf eine betriebliche Altersversorgung unverfallbar wird, wenn das Arbeitsverhältnis
nach Vollendung des 35. Lebensjahres endet und die Versorgungszusage zu diesem
Zeitpunkt mindestens zehn Jahre bestanden hat oder bei mindestens 12jähriger
Betriebszugehörigkeit mindestens drei Jahre bestanden hat.
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Das Arbeitsverhältnis des Beklagten zur Insolvenzschuldnerin endete durch
Betriebsübergang i.S.v. § 613a BGB aufgrund des Erwerbs des Betriebs der
Insolvenzschuldnerin durch die Firma S3xx S4xxxxxxx GmbH mit notariellem
Kaufvertrag vom 30.04.2004. Rechtsfolge nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB ist der
Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den Betriebserwerber und damit zugleich die
Auflösung des bisherigen Arbeitsverhältnisses mit dem Betriebsveräußerer.
Maßgeblicher Zeitpunkt ist der Wechsel in der Person des Inhabers des Betriebs; der
bisherige Inhaber muss seine wirtschaftliche Betätigung in dem Betrieb einstellen.
Wesentliches Kriterium ist die tatsächliche Weiterführung oder Wiederaufnahme der
Geschäftstätigkeit. Die zusätzliche Übertragung der Leitungsmacht ist wegen des
Merkmals der Fortführung des Betriebs nicht erforderlich (ständige Rechtsprechung des
BAG, etwa: BAG, Urteil vom 04.05.2006 – 8 AZR 299/05 = ZIP 2006, 1545 ff.). Im
vorliegenden Fall hat aber spätestens mit der ausdrücklich vereinbarten Übertragung
der Leitungsmacht zum 04.05.2004 der Betriebsübergang stattgefunden und spätestens
zu diesem Zeitpunkt endete dadurch das Arbeitsverhältnis des Beklagten zur
Gemeinschuldnerin. Zu diesem Zeitpunkt waren die Voraussetzungen des § 30 f
BetrAVG nicht erfüllt. Insbesondere bestand entgegen der Rechtsauffassung des
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Beklagten die Versorgungszusage noch keine zehn Jahre. Die bei der Firma I2x
zurückgelegten Zeiten waren nicht hinzuzurechnen. Zwar bestand der fragliche
Versicherungsvertrag zugunsten des Beklagten seit dem 01.01.1993. Davon zu
unterscheiden sind aber die Versorgungszusagen. Die Versorgungszusage der Firma
I2x bestand nur in der Zeit vom 1.01.1993 bis zum 31.03.1999. Die Insolvenzschuldnerin
hat ab dem 01.05.1999 eine neue Versorgungszusage begründet. Nach Aufnahme
eines neuen Arbeitsverhältnisses sind die gesetzlichen Unverfallbarkeitsfristen
unterbrochen (BAG, Urteil vom 21.01.2003 – 3 AZR 121/02 = NZA 2004, 152 ff.). Etwas
anderes folgt auch nicht aus § 1b Abs. 1 Satz 3 BetrAVG, weil nämlich die
Insolvenzschuldnerin nur das Vertragsverhältnis mit dem Lebensversicherer, nicht aber
die Versorgungszusage als solche übernommen hat. Soweit der Beklagte behauptet,
alle beteiligten Personen seien sich darin einig gewesen, dass die Insolvenzschuldnerin
die von der Fa. I2x zugunsten des Beklagten begründete Versorgungszusage
übernehme, ist dies jedenfalls im Versicherungsvertrag mit der Victoria nicht zum
Ausdruck gekommen und konnte deshalb nur auf arbeitsvertraglicher Ebene die
Insolvenzschuldnerin binden.
Dass die Insolvenzschuldnerin im Rechtsverhältnis zum Beklagten aufgrund der
Ergänzung des Arbeitsvertrages vom 25.04.2003, Ziffer 5., nicht mehr berechtigt war,
von ihrem versicherungsvertraglich vereinbarten Vorbehalt Gebrauch zu machen und im
Übrigen vieles dafür spricht, dass der Betriebsübergang zwischen der
Insolvenzschuldnerin und der Firma S3xx S4xxxxxxx GmbH nicht mehr am 30.04.2004,
sondern erst am 04.05.2004 und damit nach Erfüllung einer fünfjährigen
Betriebszugehörigkeit stattgefunden hat, wodurch auch nach § 8 Ziffer 2 Satz 3 des
Arbeitsvertrages vom 07.05.1999 Unverfallbarkeit eingetreten wäre, begründete nach
der oben dargestellten Rechtsprechung des BAG lediglich Schadensersatzansprüche,
aber nicht ein Aussonderungsrecht zugunsten des Beklagten. Nach dem eindeutigen
Wortlaut der "Ergänzenden Bestimmungen zum Versicherungsschein" vom 30.06.1999
bezog sich der von der Insolvenzschuldnerin erklärte Vorbehalt auf die gesetzlichen und
nicht auf die kürzeren arbeitsvertraglich vereinbarten Unverfallbarkeitsfristen.
78
2.
Insolvenzfall der Versicherungsvertrag bei einem eingeschränkt unwiderruflichen
Bezugsrecht regelmäßig dahingehend auszulegen ist, dass der Vorbehalt, unter den
das Bezugsrecht gestellt worden ist, nicht auch für den Fall einer insolvenzbedingten
Beendigung des Arbeitsverhältnisses gilt, so dass dem nach dem Versicherungsvertrag
begünstigten Arbeitnehmer ein Aussonderungsrecht zusteht. Der BGH folgert dies
daraus, dass das eingeschränkt unwiderrufliche Bezugsrecht in wirtschaftlicher und
rechtlicher Hinsicht dem uneingeschränkt unwiderruflichen Bezugsrecht grundsätzlich
gleichsteht und deshalb in der Insolvenz des Arbeitgebers zum Vermögen des
Bezugsberechtigten gehört. Dies gelte erst recht, wenn der Zweck des Vorbehalts
endgültig entfallen sei und seine Voraussetzungen auch künftig nicht mehr eintreten
könnten. Der seitens des Arbeitgebers gemachte Vorbehalt vermöge dann die Rechte
des Arbeitnehmers nicht mehr zu beeinträchtigen. Dem Arbeitnehmer sei daran
gelegen, schon zum Zeitpunkt des Abschlusses der Versicherung sich vor künftigen
negativen Entwicklungen in den wirtschaftlichen Verhältnissen seines Arbeitgebers zu
schützen. Dem werde durch die Vereinbarung eines dem Grunde nach unwiderruflich
gestalteten Bezugsrechts Rechnung getragen. Es werde ein sofortiger Rechtserwerb
des begünstigten Arbeitnehmers bewirkt und zum Ausdruck gebracht, dass der
Arbeitgeber den durch den Versicherungsvertrag verkörperten Wert dem Vermögen des
Arbeitnehmers zukommen lassen will. Ein Vorbehalt, der einen Widerruf des
79
Bezugsrechts bei Insolvenz des Arbeitgebers zuließe, würde das mit dem Abschluss der
Direktversicherung angestrebte Ziel einer betrieblichen Altersversorgung unterlaufen.
Den Interessen des Versicherungsnehmers entspräche es, sich den Zugriff auf die
Versicherungsleistung zu erhalten, sollte der Arbeitnehmer aus eigenem Antrieb aus
dem Betrieb ausscheiden oder sonst eine personen- oder verhaltensbedingte
Kündigung veranlassen. Dagegen rechtfertigten die Interessen eines redlichen
vertragstreuen Arbeitgebers es nicht, im Falle seiner Insolvenz dem versicherten
Arbeitnehmer sein Bezugsrecht allein deshalb zu entziehen, um die
Zugriffsmöglichkeiten der Insolvenzgläubiger erweitern zu können (BGH, Urteil vom
08.06.2005 – IV ZR 30/04 = VersR 2005, 1134 ff.; BGH, Urteil vom 03.05.2006 – IV ZR
134/05 = DB 2006, 1488 ff.; BGH, Beschluss vom 22.09.2005 – IX ZR 85/04 = ZIP 2005,
1836 f.; zuvor schon OLG Karlsruhe, Urteil vom 15.03.2001 – 12 U 299/00 = VersR
2001, 1501 f.; OLG Düsseldorf, Urteil vom 30.01.2001 – 4 U 93/00 = VersR 2002, 86 ff.;
ablehnend LAG Hamm, Urteil vom 15.02.2006 – 3 Sa 2064/05, JURIS; OLG Hamm,
Urteil vom 24.01.2006 – 27 U 159/05 = VersR 2006, 915 f.; Hinkel, ZInsO 2005, 796,
797; Dziesiaty, jurisPr-InsR 17/2005, Anm. 3).
3.
ist der Auffassung, dass die besseren Gründe für die Rechtsauffassung des BGH
sprechen.
80
Neben den vom BGH angeführten Argumenten spricht dafür zunächst, dass es zwar
dogmatisch geboten ist, den Versicherungsvertrag und die arbeitsvertragliche
Versorgungszusage getrennt zu betrachten. Dennoch stehen die beiden
Rechtsverhältnisse nicht zusammenhanglos nebeneinander. Die bisherige
Rechtsprechung des BAG stellt den Zusammenhang dadurch her, dass der Arbeitgeber
sich schadensersatzpflichtig macht, wenn er von seiner ihm versicherungsrechtlich
eingeräumten Möglichkeit, den Rückkaufswert aus der Lebensversicherung für sich zu
beanspruchen, Gebrauch macht. Gleiches soll im Insolvenzfall bei einer Kündigung des
Versicherungsvertrages durch den Insolvenzverwalter gelten. Der
Schadensersatzanspruch soll in diesem Fall bloße Insolvenzforderung sein. Es ergibt
sich indes ein Wertungswiderspruch, wenn einerseits angenommen wird, der
Insolvenzverwalter komme in einem derartigen Fall seinen Amtspflichten nach, indem er
alle Vermögensgegenstände, an denen kein Aus- oder Absonderungsrecht besteht, zur
Insolvenzmasse ziehe (so das BAG, Urteil vom 08.06.1999, a.a.O.), mache sich aber
zugleich andererseits schadensersatzpflichtig. Schadensersatzansprüche wegen der
Verletzung der auch vom Insolvenzverwalter zu beachtenden arbeitsrechtlichen
Bindungen setzen nach §§ 280 Abs. 1, 276 Abs. 1 BGB rechtswidriges und schuldhaftes
Verhalten voraus. Es leuchtet nicht ein, wie ein rechtswidriges und schuldhaftes
Verhalten Schadensersatzpflichten auslösen kann, während es zugleich im Interesse
der Insolvenzmasse sogar ausdrücklich geboten sein soll. Wenn der Insolvenzverwalter
wegen arbeitsvertraglicher Bindungen verpflichtet ist, Ansprüche aus einer
Direktversicherung dem begünstigten Arbeitnehmer zu überlassen, dann erscheint es
überzeugender, ihn zu verpflichten, diese Rechtsposition anzuerkennen. Dies schließt
es aus, ihm aufzuerlegen, den Rückkaufswert einer solchen Versicherung zur Masse zu
ziehen und legt es nahe, dem Arbeitnehmer ein Aussonderungsrecht zuzubilligen, wenn
dies dennoch geschieht.
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Dessen ungeachtet sprechen auch Gründe der besonderen Schutzbedürftigkeit des
Arbeitnehmers dafür, in den Fällen eines beschränkt unwiderruflichen Bezugsrechts in
der Insolvenz des Arbeitgebers ihnen ein Aussonderungsrecht hinsichtlich des
82
Rückkaufswerts einer zum Zwecke der betrieblichen Altersversorgung ihnen
zugewandten Lebensversicherung anzuerkennen. Anders als andere
Insolvenzgläubiger, die jedenfalls grundsätzlich in der Lage sind, sich gegen
Insolvenzrisiken abzusichern, etwa durch Vereinbarung eines Eigentumsvorbehalts,
einer Sicherungsübereignung, eines Pfandrechts oder einer Belieferung nur gegen
Barzahlung, stehen dem Arbeitnehmer derartige Sicherungsmöglichkeiten nicht zur
Verfügung. Gegen die Insolvenz des Arbeitgebers ist er nur durch die Gewährung von
Insolvenzgeld seitens der Arbeitsverwaltung für die Dauer von drei Monaten geschützt.
Dem gegenüber läuft er hinsichtlich der seiner Altersversorgung dienenden
Anwartschaften auf Zahlung einer Betriebsrente Gefahr, diese trotz einer u.U.
langjährigen Betriebstreue vollständig zu verlieren, solange nicht die
Insolvenzsicherung nach § 7 BetrAVG greift. Bedenkt man, dass auch der Aufbau einer
betrieblichen Altersversorgung Gegenleistung für die erbrachte Arbeitsleistung ist, dann
wird durchaus deutlich, dass der Arbeitnehmer in besonderem Maße hinsichtlich der
Sicherung seiner Anwartschaft schutzbedürftig erscheint.
Vorliegend kommt hinzu, dass der Beklagte den Versicherungsvertrag mit in das
Arbeitsverhältnis zur Insolvenzschuldnerin eingebracht hat. Der vorherige Arbeitgeber
des Beklagten hatte bereits sechs Jahre zugunsten des Beklagten in die zu dessen
Gunsten abgeschlossene Direktversicherung eingezahlt. Auch diese Zahlungen waren
Gegenleistung für die vom Beklagten geschuldete Arbeitsleistung, die dieser jedoch
nicht für die Insolvenzschuldnerin, sondern zugunsten seines früheren Arbeitgebers
erbracht hat. Gerade in einem solchen Fall kann es nach keiner Betrachtungsweise
einleuchten, weshalb hieran die Gemeinschaft der anderen Insolvenzgläubiger
partizipieren soll. Dies wäre aber der Fall, wenn man der Klägerin gestattete, den
Rückkaufswert aus dem Versicherungsvertrag zur Insolvenzmasse zu ziehen und dem
Beklagten lediglich eine Aussicht auf einen Ausgleich in Höhe der Insolvenzquote
eröffnete.
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Nach alledem folgt die erkennende Kammer der neueren Rechtsprechung des BGH zur
Behandlung von eingeschränkt unwiderruflichen Bezugsrechten aus einer betrieblichen
Altersversorgung in Form der Direktversicherung in der Insolvenz. Dies führt dazu, dass
die Klage abzuweisen war.
84
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
85
Da die Kammer sowohl von der zitierten Rechtsprechung des BAG als auch von der
Rechtsprechung der anderen Fachkammer des LAG Hamm abweicht, war nach § 72
Abs. 2 Nr. 2 ArbGG die Revision zuzulassen.
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Deventer
Pohlmeyer
Meyer, G.
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/Der.
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