Urteil des LAG Hamm vom 07.05.2009

LArbG Hamm: treu und glauben, beitrag, nachzahlung, unverzüglich, aktiven, tarifvertrag, arbeitsgericht, stundung, rechtsgrundlage, abweisung

Landesarbeitsgericht Hamm, 8 Sa 427/09
Datum:
07.05.2009
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
8. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
8 Sa 427/09
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Gelsenkirchen, 4 Ca 1981/08
Schlagworte:
Tarifliches Weihnachtsgeld / Kürzungstarifvertrag / tariflicher Anspruch
auf Nachgewährung / keine Geltung für ausgeschiedene Arbeitnehmer
Normen:
TVG § 4
Leitsätze:
Wird durch Änderungstarifvertrag die Höhe des tariflichen
Weihnachtsgeldes abgesenkt und für den Fall der Besserung der
wirtschaftlichen Lage ein Anspruch auf nachträgliche Gewährung des
Unterschiedsbetrages begründet, so setzt, sofern der Tarifvertrag nichts
anderes regelt, der Anspruch auf Nachgewährung den Bestand des
Arbeitsverhältnisses im Zahlungszeitpunkt voraus.
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts
Gelsenkirchen vom 28.01.2009 – 4 Ca 1981/08 – abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten um einen tariflichen Anspruch auf Nachgewährung restlichen
Weihnachtsgeldes für das Jahr 1999 gemäß dem einschlägigen Änderungstarifvertrag
vom 30.09.1999 (Bl. 6 d.A.). Diesen Anspruch leitet der Kläger, welcher seit dem Jahre
1997 im Betrieb der Beklagten zu tariflichen Arbeitsbedingungen tätig war und im Laufe
des Jahres 2005 ausgeschieden ist, aus folgendem Sachverhalt her:
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Durch den genannten Änderungstarifvertrag wurde die in § 23 des seinerzeit gültigen
Manteltarifvertrages vorgesehene Zahlung von Weihnachtsgeld in Höhe einer vollen
monatlichen Grundvergütung wie folgt abgeändert:
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"…
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Es besteht Einigkeit, dass das gemäß § 23 Abs. 3 des o.g. MTV an die
Arbeitnehmer/-innen der Gesellschaft zu zahlende Weihnachtsgeld im
Kalenderjahr 1999 40% der monatlichen Grundvergütung der Vorschrift beträgt.
Es besteht weiter Einigkeit zwischen den Tarifvertragsparteien, dass das
Unternehmen für den F2, dass in zukünftigen Geschäftsjahren ein
handelsrechtlicher Jahresüberschuss erzielt wird, der Anspruch auf die
Gewährung des Differenzbetrages zu 100% der monatlichen Grundvergütung
des Monates November 1999 nachträglich gewährt wird, maximal jedoch in
Höhe des im jeweiligen Geschäftsjahr erwirtschafteten Jahresüberschusses.
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…"
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Nachdem es im Jahre 2006 zu einer Besserung der wirtschaftlichen Lage der Beklagten
gekommen war, gewährte die Beklagte im Februar 2007 den zu diesem Zeitpunkt noch
beschäftigten Arbeitnehmern, nicht hingegen den zuvor ausgeschiedenen
Arbeitnehmern – dies betrifft auch den im Jahre 2005 ausgeschiedenen Kläger – die
tariflich vorgesehene Differenzzahlung. Mit Schreiben vom 04.08.2008 machte der
Kläger, nachdem er zwischenzeitlich Kenntnis von der Nachzahlung erhalten hatte, den
hier verfolgten Anspruch geltend.
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Durch Urteil vom 28.01.2009 (Bl. 47 ff. d.A.), auf welches wegen des weiteren
Sachverhalts und der Fassung der Anträge Bezug genommen wird, hat das
Arbeitsgericht die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung des begehrten Differenzbetrages
von 1.212,70 € brutto nebst Zinsen verurteilt. Zur Begründung ist im Wesentlichen
ausgeführt worden, nach dem Tarifvertrag stehe dem Kläger der verfolgte Anspruch
nach Besserung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens ohne weiteres zu. Bei der
betreffenden Regelung handele es sich auch nicht etwa um einen erst nach
Ausscheiden des Klägers neu entstandenen Anspruch, vielmehr sei nach der
Formulierung des Änderungstarifvertrages der nachzuzahlende Differenzbetrag der
ursprüngliche, allein in der Fälligkeit verschobene Anspruch aus dem Jahre 1999.
Nachdem die Beklagte sodann im Wege jährlicher Rückstellungen den erforderlichen
Betrag angespart habe, sei der Anspruch auf nachträgliche Gewährung des
Restanspruchs für das Jahr 1999 im Februar 2007 fällig geworden. Abweichend vom
Standpunkt der Beklagten sei der Anspruch auch keineswegs infolge tariflichen Verfalls
erloschen. Wie die Auslegung der Vorschrift des § 31 MTV ergebe, werde die hier
vorliegende Fallgestaltung nicht von der tariflichen Ausschlussklausel erfasst. Aus der
Formulierung,
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"Beschwerden wegen unrichtiger Ermittlung oder Errechnung oder Zahlung von
Entgelt sind von dem Arbeitnehmer unverzüglich vorzubringen"
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ergebe sich zweifelsfrei, dass von der Ausschlussklausel keineswegs umfassend
sämtliche Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis erfasst würden. Die vollständige
Nichtzahlung von Entgelt ohne vorangehende – ggfls. unrichtige - Abrechnung könne
den tariflich geregelten Fällen nicht gleichgestellt werden. Allein in den Fällen der
unrichtig ermittelten, unrichtig berechneten oder unrichtig gezahlten Vergütung habe der
Arbeitnehmer Anlass, unverzüglich eine Beschwerde vorzubringen. Ansprüche, wegen
derer weder Zahlungen erfolgt oder Abrechnungen erteilt seien, kenne der Arbeitnehmer
nicht und könne deshalb auch keine Beschwerden vorbringen. Da die tarifliche
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Ausschlussklausel nach alledem nicht einschlägig sei, könne offenbleiben, ob sich die
Beklagte ohne Verstoß gegen Treu und Glauben auf den Gesichtspunkt des Verfalls
berufen könne.
Mit ihrer rechtzeitig eingelegten und begründeten Berufung tritt die Beklagte dem
Standpunkt des arbeitsgerichtlichen Urteils mit Rechtsausführungen entgegen und
beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen vom 07.01.2009 – 2 Ca
1717/08 –, der Beklagten zugestellt am 16.01.2009, abzuändern und die
Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Entscheidungsgründe
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Die Berufung der Beklagten ist begründet. Sie führt unter Abänderung des
arbeitsgerichtlichen Urteils zur Abweisung des Klagebegehrens.
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I
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Dem Kläger steht der verfolgte Zahlungsanspruch nicht zu.
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Als Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Nachgewährung des restlichen
Weihnachtsgeldes für das Jahr 1999 kommt ersichtlich allein die im
Änderungstarifvertrag getroffene Regelung in Betracht. Unstreitig ist es zu der tariflich
vorausgesetzten Besserung der wirtschaftlichen Lage gekommen, allerdings war zu
diesem Zeitpunkt das Arbeitsverhältnis der Parteien bereits beendet.
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1. Bei der fraglichen Tarifvorschrift handelt es sich um eine Inhaltsnorm im Sinne des §
4TVG, welche den Inhalt des Arbeitsverhältnisses gestaltet und damit im Grundsatz –
vorbehaltlich einer abweichenden Regelung – an den Bestand des Arbeitsverhältnisses
an-knüpft.
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2. Während des bestehenden Arbeitsverhältnisses – also bis spätestens 2005 – ist es
zu der tariflich vorausgesetzten Besserung der wirtschaftlichen Lage nicht gekommen.
Erst nach Ausscheiden des Klägers sind die Voraussetzungen für den tariflichen
Anspruch auf Nachgewähr des Differenzbetrages zum vollen Weihnachtsgeld erfüllt
worden.
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a) Wie der Änderungstarifvertrag vom 30.09.1999 ausdrücklich regelt, stand dem Kläger
für das Jahr 1999 allein ein Anspruch auf Weihnachtsgeld in Höhe von 40% zu.
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Abweichend vom Standpunkt des arbeitsgerichtlichen Urteils war damit hinsichtlich der
Differenz von 60% zum früheren vollen Weihnachtsgeldanspruch nicht etwa eine
Stundung einer an sich bereits im Jahre 1999 verdienten Leistung vereinbart, vielmehr
entstand ein Anspruch auf "nachträgliche Gewährung" des Differenzbetrages von 60%
nur und erst unter der Voraussetzung einer Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse.
Die Bezeichnung als "nachträgliche Gewährung" bedeutet allein, dass mit dem
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gezahlten Betrag eine Leistung für das Bezugsjahr 1999 erbracht werden soll, ändert
aber nichts an der gewählten rechtlichen Konstruktion, dass der Tarifanspruch für das
Jahr 1999 definitiv reduziert wird und die Frage, ob es zu einem späteren Zeitpunkt zu
einer ergänzenden Zahlung kommt, von künftigen ungewissen Ereignissen abhängen
soll.
Erst mit Eintritt der tariflich vorgesehenen Bedingung – der Besserung der
wirtschaftlichen Lage im Jahre 2006 – ist damit der hier streitige Anspruch entstanden.
Zu diesem Zeitpunkt war das Arbeitsverhältnis der Parteien jedoch bereits beendet.
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b) Richtig ist zwar, dass die Tarifparteien durchaus berechtigt gewesen wären, die hier
vorgesehene Nachgewährung des restlichen Weihnachtsgeldes 1999 unbegrenzt oder
mit zeitlichen Beschränkungen auch für bereits ausgeschiedene Arbeitnehmer
vorzusehen. Von dieser Möglichkeit haben die Tarifparteien jedoch ersichtlich keinen
Gebrauch gemacht. Von welchen subjektiven Überlegungen sich die am
Tarifvertragsabschluss beteiligten Personen haben leiten lassen und bewusst oder
unbewusst anstelle einer Stundungsregelung einen Anspruch auf Nachgewährung des
Kürzungsbetrages vorgesehen haben, ist in Anbetracht des klaren Tarifwortlauts und
fehlender Anhaltspunkte für ein abweichendes Begriffsverständnis der Tarifparteien für
die Auslegung des Tarifvertrages, welche den Regeln der Gesetzesauslegung folgt,
ohne Belang.
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3. Gegen die Wirksamkeit der tariflichen Regelung, welche im Ergebnis allein den noch
aktiven Arbeitnehmern einen Anspruch auf Nachgewährung des restlichen
Weihnachtsgeldes vermittelt, bestehen auch unter Berücksichtigung des
Gleichheitsgrundsatzes (Art. 3 Abs.1GG) keine Bedenken. Wenn im Jahre 1999 die
wirtschaftliche Lage eine Weihnachtsgeldzahlung allein in reduzierter Höhe zuließ und
ein Anspruch auf nachträgliche Gewährung des Kürzungsbetrages nach Besserung der
wirtschaftlichen Lage allein für die dann noch aktiven Beschäftigten entstehen sollte, so
erklärt sich die unterschiedliche rechtliche Behandlung der begünstigten und der nicht
begünstigten Personengruppen ersichtlich aus der nicht zu beanstandenden
Einschätzung der Tarifparteien, dass zur Besserung der wirtschaftlichen Lage auch der
Einsatz der weiterhin tätigen Arbeitnehmer beigetragen hat. Demgegenüber haben
diejenigen Arbeitnehmer, welche zeitnah zum Kürzungszeitpunkt (1999) ausgeschieden
sind, keinen Beitrag und die in den nachfolgenden Jahren ausgeschiedenen
Arbeitnehmer jedenfalls noch keinen erfolgreichen Beitrag zur Besserung der
wirtschaftlichen Lage geleistet. Erst mit Erreichen des tariflich vorgesehenen
Ereignisses – der Erzielung eines handelsrechtlichen Jahresüberschusses – erweist
sich der Beitrag der zu diesem Zeitpunkt noch tätigen Arbeitnehmer als erfolgreich.
Unter diesen Umständen stellt es keinen rechtlichen Mangel der tariflichen Regelung
dar, wenn allein die bei Eintritt der wirtschaftlichen Besserung noch im Betrieb tätigen
Arbeitnehmer in den Genuss der Nachzahlung gelangen. Hierzu gehört der Kläger nicht.
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II
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Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen, da er unterlegen ist.
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III
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Die Kammer hat die Revision gegen das Urteil gemäß § 72 ArbGG zugelassen.
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