Urteil des LAG Hamm vom 08.02.2006

LArbG Hamm: ordentliche kündigung, arbeitsunfähigkeit, schlüssiges verhalten, betriebsrat, beweiswert, geschäftsführer, arbeitsgericht, krankheitsfall, maurer, abmahnung

Landesarbeitsgericht Hamm, 18 Sa 1664/05
Datum:
08.02.2006
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
18. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
18 Sa 1664/05
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Bochum, 5 Ca 2790/04
Schlagworte:
Verhaltensbedingte Kündigung, Arbeitsverweigerung, Zuweisung einer
anderen Tätigkeiten für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit, Direktionsrecht,
Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Erschütterung des Beweiswertes
einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
Normen:
§ 1 Abs. 1 und 2 KSchG, §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1, 5 Abs. 1 EFZG, § 106
GewO, § 315 Abs. 3 BGB, § 7 Nr. 1 BRTV-Bau
Rechtskraft:
Die Revision wird nicht zugelassen
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts
Bochum vom 29.06.2005 - 5 Ca 2790/04 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung werden der Beklagten auferlegt.
T a t b e s t a n d
1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen verhaltensbedingten
Kündigung der Beklagten sowie um Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.
2
Der am 18.03.1944 geborene, ledige Kläger ist seit dem 15.04.1986 als Maurer zu
einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt von ca. 2.600,-- € im Betrieb der Beklagten
in B2xxxx tätig. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der
Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe (BRTV-Bau) Anwendung. Der Kläger ist
als Spezialbaufacharbeiter in die Lohngruppe 4 des Bundesrahmentarifvertrags
eingruppiert. Er erbringt Maurerarbeiten im Rahmen der Errichtung neuer Bauvorhaben
und bei Abbrucharbeiten und Reparaturarbeiten.
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Die Beklagte beschäftigt in ihrem Betrieb ca. 60 Arbeitnehmer. Sie ist im Baugewerbe,
im Dachdeckergewerbe und im Immobilienverwaltungsgewerbe tätig. In ihrem
Baubetrieb beschäftigt sie ca. 20 Arbeitnehmer.
4
Im Juli und August 2004 litt der Kläger an einem Tennisarm und einer
Knochenhautentzündung an beiden Armen, hauptsächlich am linken Arm. Er begab sich
zunächst in medizinische Behandlung bei dem Facharzt für Allgemeinmedizin S5xxxx.
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Dieser stellte am 23.07.2004 für den Zeitraum vom 23.07. bis 28.07.2004 eine
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aus. In der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (Bl. 81
d.A.) ist als Diagnose aufgeführt: "Epicondilitis rechts". Anschließend war der Kläger bei
dem Facharzt für Orthopädie, Dr. med. R2xxxxxxxx, in Behandlung. Dieser stellte am
28.07.2004 für den Zeitraum 28.07. bis zum 04.08.2004 eine weitere
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aus. In der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (Bl. 85
d. A.) ist als Diagnose aufgeführt: "M51.3G". Dieses Kürzel steht für "Rücken-
Bandscheiben-Degeneration G = gesichert". Eine dritte
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, ebenfalls ausgestellt von Dr. med. R2xxxxxxxx,
attestiert ein Arbeitsunfähigkeit bis zum 18.08.2004. Sämtliche
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen reichte der Kläger bei der Beklagten ein.
Am 04.08.2004 erschien der Kläger bei der Beklagten. Er sprach mit dem
Geschäftsführer der Beklagten über die Übernahme einer anderen Tätigkeit für den
Zeitraum seiner Arbeitsunfähigkeit. Der genaue Inhalt dieses Gesprächs ist zwischen
den Parteien streitig. In dem Zeitraum 05.08.2004 bis 11.08.2004 arbeitete der Kläger im
Lager der Beklagten. Welche Tätigkeiten der Kläger in diesem Zeitraum konkret
durchführte, ist zwischen den Parteien streitig. Auf dem Arbeitsplatz im Lager beschäftigt
die Beklagte üblicherweise einen Platzmeister, der gelernter Dachdecker und
Facharbeiter ist. Der Platzmeister war im streitigen Zeitraum urlaubsabwesend.
6
Am 11.08.2004 suchte der Kläger Dr. med. R2xxxxxxxx auf. Er teilte ihm mit, dass er
wieder arbeiten würde. Dr. med. R2xxxxxxxx erklärte dem Kläger, dass er aus
medizinischen Gründen nicht arbeiten dürfe. Der Kläger teilte dies dem Geschäftsführer
der Beklagten mit. Dieser führte ein Telefonat mit Dr. med. R2xxxxxxxx. Eine Klärung,
ob und wenn ja mit welchen Aufgaben der Kläger beschäftigt werden dürfe, erfolgte in
diesem Rahmen nicht.
7
Mit Schreiben vom 12.08.2004 (Bl. 23 d.A.) teilte die Prozessbevollmächtigte des
Klägers der Beklagten mit, dass der Kläger aufgrund der ärztlich bescheinigten
Arbeitsunfähigkeit weder in der Lage, noch verpflichtet sei, Arbeiten in welcher Form
auch immer auszuführen. Er sei bereits aus versicherungstechnischen Gründen
verpflichtet, der Arbeit fernzubleiben, andernfalls verlöre er den Versicherungsschutz.
Der Kläger werde die Aufnahme von Arbeiten jeglicher Art verweigern.
8
Mit Schreiben vom 13.08.2004 (Bl. 58 d.A.) teilte die Beklagte der
Prozessbevollmächtigten des Klägers mit, dass sie das Fernbleiben des Klägers ab
Donnerstag, den 12.08.2004 als Arbeitsverweigerung auffasse. Hierfür spreche sie
ausdrücklich eine Abmahnung aus. Im Wiederholungsfall werde das Arbeitsverhältnis
gekündigt.
9
Mit Schreiben vom 16.08.2004 (Blatt 57 d. A.) sprach die Beklagte gegenüber der
Prozessbevollmächtigten des Klägers eine weitere Abmahnung aus, da der Kläger auch
am 16.08.2004 seine Arbeit nicht aufgenommen habe. Sie forderte den Kläger unter
Kündigungsandrohung zur umgehenden Arbeitsaufnahme auf.
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Die Beklagte leistete für den Zeitraum vom 12.08.2004 bis 18.08.2004 keine
Entgeltfortzahlung an den Kläger.
11
Am 19.08.2004 nahm der Kläger seine Arbeit bei der Beklagten auf einer Baustelle als
Maurer wieder auf.
12
Mit Schreiben vom 19.08.2004 hörte die Beklagte den Betriebsrat zur beabsichtigten
ordentlichen Kündigung des Klägers an. In dem Schreiben heißt es unter anderem:
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"Sehr geehrte Herren,
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anliegend überreichen wir Ihnen die Kopien der Schreiben an Herrn K1xx, an
die Anwälte des Herrn K1xx und die Schreiben der Anwälte.
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Aus den vorgenannten Briefen ist ersichtlich, dass wir Herrn K1xx mehrfach
zur Arbeitsaufnahme am Lager (Leichtarbeitsplatz) aufgefordert haben und
diesbezüglich Herrn K1xx auch mehrfach abgemahnt haben mit Androhung
einer Kündigung."
16
Mit Schreiben vom 25.08.2004 (Blatt 28 d. A.) teilte der Betriebsrat der Beklagten mit, er
habe beschlossen, der beabsichtigten Kündigung zu widersprechen.
17
Mit Schreiben vom 15.09.2004 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem
Kläger zum 31.03.2005.
18
Gegen die Kündigung hat sich der Kläger mit der vorliegenden, am 27.09.2004
erhobenen Kündigungsschutzklage gewehrt.
19
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Er
sei nicht verpflichtet gewesen, während seiner Arbeitsunfähigkeit als Platzmeister zu
arbeiten. Er behauptet, der Geschäftsführer der Beklagten habe ihm diese Tätigkeit
einseitig zugewiesen. Hierzu sei er nicht berechtigt. Er habe während seiner Tätigkeit im
Lager zwei Anrufe entgegengenommen, 15 Stunden Materialzählungen durchgeführt
und im Übrigen ohne Beschäftigung herumgesessen. Die Übernahme der Tätigkeit für
einen Zeitraum von 4 Tagen ändere die arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit nicht.
20
Der Kläger bestreitet weiter eine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung. Der
Betriebsrat sei in dem Schreiben vom 19.08.2004 nicht darauf hingewiesen worden,
dass er in dem fraglichen Zeitraum arbeitsunfähig gewesen sei. Dem Betriebsrat seien
nicht sämtliche Unterlagen und der Schriftwechsel zwischen den Parteien zur
Verfügung gestellt worden.
21
Die Beklagte schulde Entgeltfortzahlung für den Zeitraum 12.08.2004 bis 18.08.2004.
22
Der Kläger hat beantragt
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1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch
die Kündigung vom 15.09.2004 zum 31.03.2005 nicht beendet worden ist
und
24
2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 591,20 € zu zahlen.
25
Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
27
Die Beklagte hat behauptet, der Kläger habe mit ihrem Geschäftsführer am 04.08.2004
ausdrücklich vereinbart, dass er ab 05.08.2004 als Platz- und Lagermeister arbeiten soll.
Der Kläger sei nach dem 04.08.2004 nicht arbeitsunfähig krank gewesen. Der
Betriebsrat sei ordnungsgemäß vor Ausspruch der Kündigung angehört worden.
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Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei sozial gerechtfertigt. Der
Kläger sei trotz mehrfacher Abmahnungen unentschuldigt nicht zur Arbeit erschienen.
Sie sei befugt gewesen, dem Kläger die Tätigkeiten auf dem Lager auch im Rahmen
ihres Weisungsrechtes zuzuweisen. Auf dieser Position könne nur ein Facharbeiter
eingesetzt werden. Nur dieser kenne sich mit den Begrifflichkeiten des Gewerbes aus.
Nur ein Arbeitnehmer mit Fachkenntnissen könne den Anfragen der Baustellen
unverzüglich nachkommen, Kommissionierungen und Inventarisierungen vornehmen
und Anlieferungen entgegennehmen. Nach § 7 Ziffer 1 BRTV könne der Arbeitnehmer
ohnehin auf allen Bau- oder sonstigen Arbeitsstellen des Betriebes eingesetzt werden.
Die Gesundheit des Klägers und der Heilungsprozess seien auf dem zugewiesenen
Arbeitsplatz nicht gefährdet gewesen.
29
Durch Urteil vom 29.06.2005 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben und die
Kosten des Rechtsstreits der Beklagten auferlegt. Den Streitwert hat es auf 8.391,20 €
festgesetzt.
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In den Entscheidungsgründen hat das Arbeitsgericht ausgeführt, der Kläger habe keine
Arbeitsverweigerung begangen. Die Zuweisung der Lagertätigkeiten sei nicht durch das
Direktionsrecht der Beklagten gedeckt gewesen. Der Kläger habe nach der attestierten
Arbeitsunfähigkeit davon ausgehen dürfen, nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet zu sein.
Im Übrigen sei der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört worden. Der Kläger habe
das Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit in der Zeit vom 12.08. bis 18.08.2004 durch die
ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Dr. R2xxxxxxxx nachgewiesen.
31
Gegen dieses ihm am 29.07.2005 zugestellte und wegen der sonstigen Einzelheiten
hiermit in Bezug genommene Urteil hat die Beklagte am 22.08.2005 Berufung eingelegt
und diese am 29.09.2005 begründet.
32
Die Beklagte greift das arbeitsgerichtliche Urteil insgesamt an. Sie stützt sich im
Wesentlichen auch weiterhin auf ihren erstinstanzlichen Vortrag.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 29.06.2005 - 5 Ca 2790/04 –
abzuändern und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum
vom 29.06.2005 – 5 Ca 2790/04 – zurückzuweisen.
37
Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen
den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen verwiesen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
40
A Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet.
41
I Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist durch die ordentliche Kündigung der
Beklagten vom 15.09.2004 nicht aufgelöst worden, wie das Arbeitsgericht zutreffend
erkannt hat.
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Die Kündigung vom 15.09.2004 ist nicht sozial gerechtfertigt (§ 1 Abs. 1 und 2 KSchG).
43
1. Das Kündigungsschutzgesetz kommt auf das Arbeitsverhältnis der Parteien zur
Anwendung (§§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 KSchG). Nach § 1 Abs. 2 KSchG ist die Kündigung
sozial ungerechtfertigt, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem
Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse,
die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen,
bedingt ist.
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2. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist
die Kündigung vom1 5.09.2004 nicht durch das Verhalten des Klägers bedingt.
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a) In der Regel ist eine nachhaltige, rechtswidrige und schuldhafte Arbeitsverweigerung
an sich als Grund für eine außerordentliche oder für eine ordentliche Kündigung
geeignet.
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aa) Aufgrund seines Weisungsrechtes nach § 106 GewO kann der Arbeitgeber einem
Arbeitnehmer einseitig bestimmte Arbeiten unter Beachtung billigem Ermessens gemäß
§ 315 Abs. 3 BGB zuweisen, soweit das Weisungsrecht nicht durch Gesetz, Tarifvertrag,
Betriebsvereinbarung oder Einzelarbeitsvertrag eingeschränkt ist (vgl. BAG, Urteil vom
11.10.1995 – 5 AZR 1009/94 – NZA 1997, 623; BAG, Urteil vom 21.11.1996 – 2 AZR
357/95 – NZA 1997, 487; BAG, Urteil vom 11.02.1998 – 5 AZR 472/97 – NZA 1998,
647; BAG, Urteil vom 05.04.2001 – 2 AZR 580/99 – NZA 2001, 893).
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Weigert sich der Arbeitnehmer, die ihm im Rahmen einer rechtmäßigen Ausübung des
Weisungsrechts zugewiesene Tätigkeit auszuführen, so kann dies im Falle der
sogenannten beharrlichen Arbeitsverweigerung den Ausspruch einer außerordentlichen
Kündigung rechtfertigen. Danach setzt die beharrliche Arbeitsverweigerung in der
Person des Arbeitnehmers Nachhaltigkeit im Willen voraus; der Arbeitnehmer muss die
ihm übertragene Arbeit bewusst und nachhaltig nicht leisten wollen, wobei es nicht
genügt, dass er eine Weisung des Arbeitgebers nicht befolgt, vielmehr muss eine
intensive Weigerung vorliegen. Das Moment der Beharrlichkeit kann allerdings schon
darin zu sehen sein, dass der Arbeitgeber in einem einmaligen Fall eine Anweisung
nicht befolgt. Das muss dann aber z. B. durch eine vorhergehende erfolglose
Abmahnung verdeutlicht werden.
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bb) Eine ordentliche Kündigung anstelle einer fristlosen Kündigung kommt im Rahmen
der Arbeitsverweigerung insbesondere dann in Betracht, wenn es an der für eine
sogenannte beharrliche Arbeitsverweigerung typische Nachhaltigkeit im Willen des
Arbeitnehmers fehlt. Hiervon ist etwa dann auszugehen, wenn dieser trotz eines
gegenteiligen Hinweises des Arbeitgebers rechtsirrtümlich davon ausgeht, zu einer
bestimmten Arbeit nicht verpflichtet zu sein, oder wenn er sich über die
Voraussetzungen eines Zurückbehaltungsrechtes irrt (vgl. z.B. LAG Niedersachsen,
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Urteil vom 08.12.2003 – 5 Sa 1071/03 – MDR 2004, 759).
cc) Im Falle des Vorliegens einer Arbeitsunfähigkeit kann der Arbeitnehmer die
vertraglich geschuldete Tätigkeit verweigern. Eine Arbeitsunfähigkeit liegt vor, wenn der
Arbeitnehmer wegen der Schwere der Erkrankung seiner Tätigkeit objektiv nicht oder
nur auf die Gefahr hin nachgehen kann, dass sich sein Gesundheitszustand
verschlechtert. Für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit kommt es entscheidend auf
die vertraglich geschuldete Tätigkeit an (vgl. BAG, Urteil vom 25.06.1981 – 6 AZR
940/78 – BB 1982, 805; BAG, Urteil vom 29.01.1992, AP SGB V, § 74 Nr. 1; Reinecke,
DB 1998, 130, 133; Stückmann, NZS 1994, 529).
50
Kann der Arbeitnehmer krankheitsbedingt die vertraglich geschuldete Leistung nicht
erbringen, wohl aber noch andere Tätigkeiten, darf ihn der Arbeitgeber grundsätzlich die
anderen leidensgerechten Tätigkeiten zuweisen, sofern dies durch sein Direktionsrecht
gedeckt ist. Ist es dem Arbeitnehmer nicht möglich, die vertraglich geschuldete Tätigkeit
wegen einer Erkrankung auszuüben, so können die Parteien des Arbeitsvertrages für
die Dauer der ärztlich bescheinigten Arbeitsunfähigkeit eine andere leidensgerechte
Tätigkeit vereinbaren (vgl. LAG Hamm, Urteil vom 20.07.1988 – 1 Sa 729/88 – LAGE Nr.
21 zu § 1 LohnFG).
51
b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze durfte der Beklagte dem Kläger ab
05.08.2004 nicht die im Lager auszuübenden Tätigkeiten einseitig zuweisen.
52
Der Kläger war nach den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen der Parteien nicht
verpflichtet, während seiner Arbeitsunfähigkeit die anderen zugewiesenen Tätigkeiten
auszuüben. Er hat keine Arbeitsverweigerung begangen.
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aa) Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass es dem Kläger aufgrund der Erkrankung
nicht möglich war, die vertraglich geschuldete Tätigkeit als Maurer auszuüben.
54
bb) Die Zuweisung der Tätigkeiten im Lager waren nicht durch das Direktionsrecht der
Beklagten gedeckt. Nach der vertraglichen Vereinbarung zwischen den Parteien war die
geschuldete Tätigkeit des Klägers als Spezialfacharbeiter Maurertätigkeiten auszuüben.
Diese Tätigkeit hat der Kläger auch in der Vergangenheit durchgeführt.
55
Bei den ihm zugewiesenen Lagertätigkeiten handelte es sich um andere Tätigkeiten als
die vertraglich vereinbarte Tätigkeit. Die einseitige Zuweisung dieser Tätigkeiten war
nach dem Arbeitsvertrag nicht möglich. Es handelt sich bei dieser Tätigkeit um keine
Maurertätigkeit, auch wenn die Beklagte für diese Tätigkeiten regelmäßig
Spezialfacharbeiter einsetzt. Es kommt auf die Art der geschuldeten Tätigkeit an. Dass
die Tätigkeiten derselben tariflichen Vergütungsgruppe zuzuordnen sind, rechtfertigt
keine Zuweisung der Tätigkeiten im Rahmen des Direktionsrechtes. Eine Zuweisung ist
nur dann möglich, wenn eine entsprechende vertragliche Abänderungsvereinbarung
getroffen worden ist bzw. nach Ausspruch einer Änderungskündigung.
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cc) Die Befugnis der Beklagten, dem Kläger vorübergehend eine andere als die
vertraglich geschuldete Tätigkeit zuweisen zu können, ergibt sich auch nicht aus § 7
BRTV-Bau.
57
Nach § 7 Nr. 1 BRTV-Bau kann der Arbeitnehmer auf allen Bau- oder sonstigen
Arbeitsstellen des Betriebes eingesetzt werden, auch auf solche, die er von seiner
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Wohnung aus nicht an jedem Arbeitstag erreichen kann. Aus § 7 BRTV-Bau folgt
lediglich eine Erweiterung des Direktionsrechtes in Bezug auf den Ort der
Arbeitsleistung, nicht aber auf den geschuldeten Inhalt der Arbeitsleistung (vgl.
Karthaus/Müller, BRTV-Bau, 5. Aufl., § 7 Anm. Nr. 1).
c) Soweit die Beklagte behauptet, die Parteien hätten sich am 04.08.2004 darauf
geeinigt, dass der Kläger für den Zeitraum seiner Arbeitsunfähigkeit die Tätigkeiten des
Platz- oder Lagermeisters ausüben solle, so hat die Beklagte auch in der
Berufungsinstanz für diese Behauptung keinen Beweis angetreten.
59
d) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist eine solche Vereinbarung nicht durch
schlüssiges Verhalten zustande gekommen.
60
Allein die Tatsache, dass der Kläger in der Zeit vom 05. bis 11.08.2004 die Tätigkeiten
im Lager ausgeübt hat, lässt sich nicht schließen, dass er auch mit der Änderung der
Arbeitsbedingungen einverstanden war. Aus der Sicht des Empfängers konnte die
Beklagte dieses Verhalten nur so auslegen, dass der Kläger ihrer Anweisung folgte.
61
e) Andere Kündigungsgründe liegen nicht vor. Tatsachen dafür, dass der Kläger eine
Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht hat, sind nicht ersichtlich.
62
3. Da die Kündigung vom 15.09.2004 sozialwidrig ist, kann dahingestellt bleiben, ob der
Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG
angehört worden ist, insbesondere auch vollständig über die Kündigungsgründe
informiert worden ist.
63
II. Dem Kläger steht weiter gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 4 Abs. 1 EFZG
der begehrte Anspruch auf Entgeltfortzahlung für die Zeit vom 12.08.2004 bis zum
18.08.2004 zu.
64
Nach § 3 Abs. 1 EFZG hat der Arbeitnehmer ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im
Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer
von sechs Wochen, wenn er durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner
Arbeitsleistung verhindert ist, ohne dass ihn ein Verschulden trifft. Diese
Voraussetzungen sind nachgewiesen.
65
1. Der Arbeitnehmer hat die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit nachzuweisen (vgl.
z.B. BAG, Urteil vom 01.11.1997 – 5 AZR 726/96 – NZA 1998, 370; BAG, Urteil vom
19.02.1997 - 5 AZR 83/96 – NZA 1997, 652).
66
a) In der Regel führt der Arbeitnehmer diesen Nachweis gegenüber dem Arbeitgeber,
wie auch vor dem Gericht, durch die Vorlage einer förmlichen ärztlichen
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG. Die
ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist der gesetzlich
ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweis für das Vorliegen der
krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit. Einer solchen Bescheinigung kommt ein hoher
Beweiswert zu. Dies ergibt sich aus der Lebenserfahrung. Der Tatrichter kann
normalerweise den Beweis, dass eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vorliegt,
als erwiesen ansehen, wenn der Arbeitnehmer im Rechtsstreit eine solche ärztliche
Bescheinigung vorlegt (BAG, Urteil vom 19.02.1997, aaO.).
67
b) Bestreitet der Arbeitgeber trotz der vorgelegten ordnungsgemäß erteilten ärztlichen
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers, so muss er
den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern.
68
Eine Erschütterung liegt dann vor, wenn ernsthafte Zweifel am Bestehen der
Arbeitsunfähigkeit dargelegt werden. Der Beweiswert der ärztlichen
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann erschüttert werden durch Umstände im
Zusammenhang mit der Bescheinigung selbst, durch das Verhalten des Arbeitnehmers
vor der Erkrankung und durch das Verhalten des Arbeitnehmers während der
bescheinigten Dauer der Arbeitsunfähigkeit.
69
2. Nach diesen Grundsätzen hat der Kläger den Anspruch auf Entgeltfortzahlung im
Krankheitsfalle durch die Vorlage der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des
Arztes Dr. R2xxxxxxxx nachgewiesen.
70
Für den streitgegenständlichen Zeitraum vom 12.08. bis 18.08.2004 hat die Beklagte
schon keine Tatsachen vorgetragen, die den Beweiswert der von dem Arzt Dr.
R2xxxxxxxx ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erschüttern könnten. Um
Wiederholungen zu vermeiden, wird insoweit auf die zutreffenden Ausführungen des
Arbeitsgerichts verwiesen.
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B. Nach alledem hat das Rechtsmittel keinen Erfolg.
72
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
73
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
74
Knipp
Schreiber
Kretzschmar
75
/Gr.
76