Urteil des LAG Hamm vom 10.10.2007
LArbG Hamm: treu und glauben, anschrift, abfindung, arbeitsgericht, sozialplan, unterliegen, rückzahlung, fälligkeit, rückforderung, niedersachsen
Landesarbeitsgericht Hamm, 2 Sa 429/07
Datum:
10.10.2007
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 Sa 429/07
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Minden, 1 Ca 1332/06
Schlagworte:
Die Rückforderung einer Sozialplanabfindung gemäß § 123 InsO
unterliegt den tariflichen Verfallfristen (hier schriftliche Geltendmachung
innerhalb von drei Monaten)
Normen:
§ 812 BGB, § 123 InsO
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Minden
vom 13.02.2007 - 1 Ca 1332/06 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 2.911,50 €
festgesetzt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Rückzahlung einer Sozialplanabfindung in
Anspruch.
2
Die Beklagte war seit dem 01.08.1999 als Verkäuferin bei der Firma M1 M2 GmbH tätig.
Gemäß § 1 Nr. 3 des Arbeitsvertrages finden auf das Arbeitsverhältnis die Tarifverträge
für die Beschäftigten im Einzelhandel des Landes Niedersachsen in ihrer jeweils
geltenden Fassung Anwendung. Gemäß § 14 Nr. 2 des einschlägigen
Manteltarifvertrages für den Einzelhandel in Niedersachsen sind gegenseitige
Ansprüche aller Art aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb einer Ausschlussfrist von drei
Monaten seit Fälligkeit schriftlich geltend zu machen.
3
Über das Vermögen der Firma M1 M2 GmbH wurde am 01.02.2003 das
Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.
4
Da der Betrieb stillgelegt werden musste, vereinbarte der Kläger mit dem Betriebsrat der
Insolvenzschuldnerin unter dem 10.02.2003 einen Sozialplan gemäß den §§ 112
BetrVG, 123 InsO, wegen dessen Inhalts im Einzelnen auf Bl. 7 ff d.A. verwiesen wird.
5
BetrVG, 123 InsO, wegen dessen Inhalts im Einzelnen auf Bl. 7 ff d.A. verwiesen wird.
Danach betrug das Sozialplanvolumen unter Berücksichtigung der 2,5-fachen
Lohn/Gehaltssumme 199.234,95 €. Die Abfindungsansprüche der Arbeitnehmer im
Einzelnen errechnen sich nach einem Punktsystem. Danach steht der Beklagten eine
Abfindung in Höhe von 891,00 € zu. Tatsächlich zahlte der Kläger ihr jedoch 3.802,50 €,
d.h. 2.911,50 € zu viel aus, weil eine Mitarbeiterin seines Büros irrtümlich – wie auch bei
allen anderen Arbeitnehmern der Insolvenzschuldnerin – den in der letzten Spalte der
handschriftlichen Aufstellungen ausgewiesenen Betrag des 2,5-fachen Gehalts als
Abfindungsauszahlungsbetrag übernahm und die Anweisung dieses Betrages an die
Beklagte veranlasste, der am 06.01.2006 auf dem Konto der Beklagten bei der
Volksbank L1 L2 eG einging. Die Klägerin war am 01.12.2003 von ihrem bisherigen
Wohnsitz in B5 E1 nach P2.-O2/G2 umgezogen. Ende 2005 hatte eine Mitarbeiterin des
Klägers telefonisch die neue Bankverbindung der Beklagten erfragt.
Die Beklagte hatte sich vor ihrem Umzug ordnungsgemäß im November 2003 bei der
Gemeinde B5 E1 ab- und bei der Gemeinde P2.-O2 angemeldet und für sechs Monate
einen Nachsendeauftrag bei der Post gestellt. Erstmals mit Schreiben vom 13.01.2006,
welches an die frühere Anschrift der Beklagten in B5 E1 gerichtet war, verlangte der
Kläger die Rückzahlung der zu viel geleisteten 2.911,50 €. Gemäß postalischer
Rückantwort vom 17.01.2006 erfuhr der Kläger, dass die Beklagte unter der
angegebenen Anschrift in B5 E1 nicht zu ermitteln war. Nach mehreren vergeblichen
Bemühungen, die neue Anschrift der Beklagten ausfindig zu machen, wurde ihm am
23./04.08.2006 von dem Einwohnermeldeamt B5 E1 die neue Anschrift der Beklagten
mitgeteilt.
6
Mit Schreiben vom 01.09.2006 forderte der Kläger die Beklagte vergeblich auf, an ihn
2.006,97 € zurückzuzahlen. Diesen Betrag hatte der Kläger anhand der
Gehaltsabrechnung für die Monate Februar und März 2003 errechnet, die mit einem
Nettoverdienst der Beklagten von 1.982,16 € abschließt. Davon hat der Kläger
Arbeitslosengeld für den Zeitraum 09.02. bis 31.03.2003 sowie die überzahlte
Abfindung in Höhe von 2.911,50 € abgezogen.
7
Der Kläger vertritt die Auffassung, ihm stehe ein bereicherungsrechtlicher
Rückforderungsanspruch wegen der rechtsgrundlos erfolgten Überzahlung der
Sozialplanabfindung zu. Er meint, die Regelungen der Insolvenzordnung gingen
eventuell eingreifenden tarifvertraglichen Ausschlussfristen vor, die ohnehin auf seinen
Rückforderungsanspruch keine Anwendung fänden; jedenfalls sei es der Beklagten
nach Treu und Glauben verwehrt, sich auf die tariflichen Ausschlussfristen zu berufen,
weil sie verpflichtet gewesen wäre, ihm ihre aktuelle Anschrift mitzuteilen.
8
Die Beklagte vertritt den Standpunkt, der Rückforderungsanspruch des Klägers sei
gemäß § 814 BGB ausgeschlossen, weil dieser gewusst habe, dass er zur Zahlung
einer Abfindung in dieser Höhe nicht verpflichtet gewesen sei.
9
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie der im ersten
Rechtszug gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug
genommen.
10
Das Arbeitsgericht hat die Klage durch Urteil vom 13.02.2007 abgewiesen und den
Kläger auf die Widerklage der Beklagten zur Zahlung von 904,53 € netto nebst Zinsen
verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Anspruch des Klägers auf
Rückzahlung der zu viel gezahlten Abfindung sei verfallen. Der geltend gemachte
11
Rückzahlungsanspruch unterliege den tariflichen Verfallfristen. Der
Rückzahlungsanspruch sei am 06.01., spätestens aber am 13.01.2006 fällig gewesen.
Die schriftliche Geltendmachung durch den Kläger mit Schreiben vom 01.09.2006 habe
die Beklagte aber erst nach Ablauf der dreimonatigen Verfallfrist erreicht. Es sei der
Beklagten nicht verwehrt, sich auf die tarifliche Verfallfrist zu berufen, denn sie habe es
dem Kläger keineswegs unmöglich gemacht, die Forderung innerhalb von drei Monaten
nach Fälligkeit schriftlich geltend zu machen. Der Kläger habe weder nach
Bekanntwerden der neuen Bankverbindung der Beklagten noch nach der Rückantwort
der Post am 17.01.2006 die erforderlichen Maßnahmen ergriffen, um die neue Anschrift
der Beklagten zu erfahren. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die
Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts Bezug genommen.
Mit seiner Berufung wendet sich der Kläger nur gegen die abgewiesene Zahlungsklage.
Zur Begründung des Rechtsmittels trägt er vor, die Rückforderung der
Sozialplanabfindung unterliege nicht der tariflichen Ausschlussfrist. Das Arbeitsgericht
habe die insolvenzrechtlichen Besonderheiten nicht berücksichtigt. Da § 123 Abs. 3
InsO lediglich Abschlagszahlungen anordne, aber keine Zwangsvollstreckung zulasse,
seien die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hinreichend und
abschließend geschützt. Für die Geltung tarifvertraglicher Verfallfristen sei daneben kein
Raum.
12
Der Kläger beantragt,
13
das Urteil des Arbeitsgerichts Minden vom 13.02.2007 – 1 Ca 1332/06 –
abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag in
Höhe von 2.911,50 € nebst Zinsen in Höhe von jeweils 5 Prozentpunkten über
dem Basiszinssatz seit dem 16.09.2005 zu zahlen.
14
Die Beklagte beantragt,
15
die Berufung zurückzuweisen.
16
Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil und tritt der Auffassung des Klägers
entgegen.
17
Entscheidungsgründe
18
Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Der Rückforderungsanspruch
ist gemäß § 14 Nr. 2 MTV Einzelhandel für das Land Niedersachsen verfallen. Auf die
zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts, denen das Berufungsgericht folgt, wird
gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen. Die dagegen gerichteten Angriffe der
Berufung bleiben erfolglos.
19
I
20
1. Sozialplanansprüche unterliegen nach der ständigen Rechtsprechung des BAG den
tariflichen Verfallfristen, weil es sich dabei um Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis
handelt (BAG vom 27.03.1996 – 10 AZR 668/95, DB 1997, 234 und vom 30.11.1994 –
10 AZR 79/94, DB 1995, 781 = NZA 1995, 643).
21
Tarifliche Ausschlussfristen finden in der Insolvenz grundsätzlich uneingeschränkt
22
Anwendung (vgl. BAG vom 18.12.1984 – 1 AZR 588/82 und vom 23.08.1988 – 1 AZR
276/87). Der Insolvenzverwalter tritt gemäß § 80 InsO in die Arbeitgeberstellung ein und
bleibt an die für die Insolvenzschuldnerin geltenden Tarifverträge gebunden (BAG vom
20.11.1997 – 2 AZR 52/97, NZA 1998, 334). Nur die aufgrund eines Urteils
ausgezahlten Beträge unterliegen bezüglich der Erstattung nicht den tariflichen
Verfallfristen (BAG vom 19.03.2003 – 10 AZR 597/01, ZTR 2003, 567). Um diesen
Sonderfall handelt es sich hier nicht. Es bleibt daher vorliegend bei dem Grundsatz,
dass die Tarifbindung des Betriebes durch die Insolvenzeröffnung ebenso wenig entfällt
wie die Geltung der Tarifverträge kraft einzelvertraglicher Vereinbarung. § 123 InsO
enthält keine gegenteilige Aussage. Die Verbindlichkeiten aus einem nach Eröffnung
des Insolvenzverfahrens geschlossenen Sozialplan sind gemäß § 123 Abs. 2 Satz 1
InsO Masseverbindlichkeiten. Masseforderungen unterliegen den tariflichen
Verfallfristen (vgl. BAG vom 15.02.2005 – 9 AZR 78/04, NZA 2005, 1124). Nur bei
Insolvenzforderungen können neben den tariflichen Ausschlussfristen die gesetzlichen
Vorschriften über die Anmeldung dieser Forderungen gemäß den §§ 174 ff InsO zu
beachten sein (dazu im Einzelnen BAG vom 18.12.1984 – 1 AZR 588/82, NZA 1985,
396). Die insolvenzrechtlichen Vorschriften über die Anmeldung von
Insolvenzforderungen werden durch tarifliche Ausschlussfristen, die dem
Insolvenzgläubiger weitere Rechtshandlungen vorschreiben, nicht außer Kraft gesetzt.
Vorliegend geht es aber um die Rückforderung einer in dieser Höhe zu Unrecht
geleisteten Sozialplanabfindung. Das Vollstreckungsverbot gemäß § 123 Abs. 3 Satz 2
InsO und die Verpflichtung des Insolvenzverwalters zur Leistung von
Abschlagszahlungen gemäß § 123 Abs. 3 Satz 1 InsO dienen dazu, die Befriedigung
anderer Gläubiger nicht zu gefährden und die Einhaltung der relativen Obergrenze
gemäß § 123 Abs. 2 Satz 2 InsO sicherzustellen (Oetker/Friese, Der Sozialplan in der
Insolvenz, DZWIR 2001, 272, 273).
Tarifliche Verfallfristen dienen nicht wie der Kläger meint allein dem
Arbeitnehmerschutz, sondern können beiden Seiten zugute kommen. Tarifliche
Verfallfristen verfolgen den Zweck, im Zusammenhang mit der Erhebung von
Ansprüchen der Arbeitsvertragsparteien eine möglichst große Sicherheit und
schnellstmögliche Klarheit zu schaffen (Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 12. Aufl., § 205
Rdnr. 5). Die Besonderheiten des Insolvenzverfahrens stehen diesem Zweck nicht
entgegen und rechtfertigen es nicht, den Insolvenzverwalter von seiner bestehenden
Bindung an die tariflichen Ausschlussfristen zu befreien. Deshalb hätte der
Rückforderungsanspruch innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend
gemacht werden müssen.
23
2. Dem Arbeitsgericht ist auch darin zu folgen, dass es der Beklagten nicht verwehrt ist,
sich auf die tarifliche Ausschlussfrist zu berufen. Da die Berufung sich insoweit nicht mit
den Entscheidungsgründen des Arbeitsgerichts auseinandersetzt, kann auf seine
Begründung Bezug genommen werden.
24
II
25
Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seines erfolglos gebliebenen
Rechtsmittels zu tragen.
26
Der Streitwert hat sich in der Berufungsinstanz geändert und ist daher neu festgesetzt
worden.
27
Für die Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung, da Rechtsfragen von
grundsätzlicher Bedeutung nicht zu klären waren.
28
Bertram
Heinze
Keßler
29
/Fou.
30