Urteil des LAG Hamm vom 20.01.2009

LArbG Hamm: oberarzt, tarifvertrag, klinik, konkludentes verhalten, vergütung, arbeitsgericht, psychiatrie, begriff, erfüllung, bezahlung

Landesarbeitsgericht Hamm, 12 Sa 1163/08
Datum:
20.01.2009
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
12. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
12 Sa 1163/08
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Dortmund, 4 Ca 6584/07
Nachinstanz:
Bundesarbeitsgericht, 4 AZR 376/09
Schlagworte:
Eingruppierung einer Oberärztin nach dem TV-Ärzte/VKA
Normen:
§ 16 c) TV-Ärzte/VKA
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts
Dortmund vom 05.06.2008 - 4 Ca 6584/07 - wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird zugelassen
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um die zutreffende Eingruppierung der Klägerin.
2
Die am 30.09.1950 geborene, schwerbehinderte Klägerin, die Mitglied der Gewerkschaft
ver.di ist, steht seit dem 01.07.1993 bei dem beklagten Landschaftsverband als Ärztin in
einem Arbeitsverhältnis. Sie ist Fachärztin für Psychiatrie mit der Berechtigung zur
Führung der Bezeichnung Psychotherapie. In den LWL-Kliniken in D1, in denen die
Klägerin beschäftigt ist, sind 5 Abteilungen gebildet. Der Abteilung "Allgemeine
Psychiatrie I" steht der Chefarzt D2. D2. S2 vor. Zu dieser Abteilung gehören 6
Stationen, eine Ambulanz, eine Tagesklinik und die Aufnahmeeinheit.
3
Seit dem 01.01.1996 führt die Klägerin den Titel Oberarzt. Nachdem sie zunächst in
einigen anderen Bereichen tätig war, wurde sie ab dem 01.07.2004 auf der Station 41/3,
einer Akutstation, eingesetzt, die zu einer der 6 Stationen gehört. Dort war ihr eine
Assistenzärztin zugeteilt. Ab Mai 2006 wurde sie dann aufgrund einer Vereinbarung
zwischen der Westfälischen Klinik D1 und dem Diakonischen Werk mit einer halben
Stelle beim F2-F3-Haus bis zum 31.03.2007 tätig. Seit dem 01.04.2007 arbeitet sie
wieder auf der Station 41/3. Für diese Station und für 2 weitere Stationen ist ein
leitender Oberarzt bestellt.
4
Das Arbeitsverhältnis der Parteien bestimmt sich gemäß dem Arbeitsvertrag der
Klägerin nach den von dem Beklagten abgeschlossenen Tarifverträgen in der jeweils
gültigen Fassung.
5
Mit Wirkung vom 01.08.2006 wendet der Beklagte den Tarifvertrag für Ärztinnen und
Ärzte an kommunalen Krankenhäusern im Bereich der Vereinigung der kommunalen
Arbeitgeber (TV-Ärzte/VKA) sowie den Tarifvertrag zur Überleitung der Beschäftigen der
kommunalen Arbeitgeber in den TV-Ärzte/VKA, die einerseits vom Marburger Bund und
andererseits von der Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände abgeschlossen
worden sind. In einzelnen Fällen, in denen die Beschäftigten des Beklagten
ausdrücklich auf die weitere Anwendung des TVöD bestanden haben und eine
Mitgliedschaft in der Gewerkschaft ver.di oder der dbb-Tarifunion nachweisen konnten,
gelten weiterhin die Bestimmungen des TVöD. Die Klägerin hat mit Schreiben vom
13.04.2007 mitgeteilt, dass sie die Eingruppierung nach dem Tarifvertrag mit dem
Marburger Bund zunächst akzeptiere und als langjähriges Gewerkschaftsmitglied ab
dem 01.07.2008 die Bezahlung nach dem Tarifvertrag von ver.di beantrage.
6
Nach der Überleitung wurde die Klägerin der Entgeltgruppe II Stufe 4 zugeordnet.
7
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihr stehe vom 01.08.2006 an eine Vergütung
nach der Entgeltgruppe III des TV-Ärzte/VKA zu. Denn ihre Tätigkeit sei als die einer
Oberärztin zu bewerten. Ihr sei nur ein leitender Oberarzt übergeordnet, der aus
zeitlichen Gründen nicht eingreife. Ob ein Arzt medizinische Verantwortung trage, habe
nichts mit der hierarchischen Stellung zu tun. Auch auf die Einteilung des Arbeitgebers
könne es nicht ankommen, da ansonsten willkürlich die Zahl der Oberärzte manipuliert
werden könne. Der Arbeitgeber, der einem Arzt in einem selbständigen
Funktionsbereich Verantwortung übernehmen lasse, könne sich nicht darauf berufen,
dass eine Übertragung nicht ausdrücklich erfolgt sei. Bemerkenswert sei, dass von den
32 Oberärzten, die es vor der Tarifänderung gegeben habe, 28 Oberärzte in die
Entgeltgruppe III TV-Ärzte/VKA übernommen worden seien. Ausgenommen seien
ausschließlich Schwerbehinderte und Frauen, die älter als 50 seien. Dies stelle einen
Verstoß gegen das AGG dar.
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Die Klägerin hat beantragt,
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festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihr ab dem 01.08.2006 eine
Vergütung nach der Entgeltgruppe III des TV-Ärzte/VKA zu zahlen.
10
Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
12
Er hat die Auffassung vertreten, die Klägerin habe die tarifvertraglichen
Voraussetzungen nicht darzulegen vermocht. Ihr sei nicht die medizinische
Verantwortung für einen selbstständigen Teil- oder Funktionsbereich der Klinik bzw.
Abteilung ausdrücklich übertragen worden. Ein Verstoß gegen das allgemeine
Gleichbehandlungsgesetz liege deswegen auch nicht vor. Jedenfalls seien die
Ansprüche für die Monate August 2006 bis Mai 2007 nach dem TV-Ärzte/VKA verfallen.
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Mit Urteil vom 05.06.2008 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Es hat
angenommen, dem Vorbringen der darlegungs- und beweispflichtigen Klägerin sei nicht
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zu entnehmen, dass sie entsprechend den tariflichen Vorschriften mindestens zur Hälfte
Tätigkeiten eines Oberarztes durchführe. Es sei nicht ersichtlich, dass ihr die
medizinische Verantwortung für einen selbständigen Teil- oder Funktionsbereich
übertragen worden sei. Da die Klägerin die tariflichen Voraussetzungen nicht erfülle, sei
ein Verstoß gegen das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz nicht erkennbar.
Gegen das ihr am 26.06.2008 zugestellte Urteil und wegen der weiteren Einzelheiten in
Bezug genommene Urteil hat die Klägerin am 25.07.2008 Berufung eingelegt und nach
Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 29.09.2008 an diesem Tage
begründet.
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Sie hält dem Urteil entgegen, im Hinblick auf das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz
sei die Beweislast verkannt worden. Wenn von 28 Titularoberärzten nur 4 nicht als
Tarifoberärzte anerkannt werden und es sich dabei darüber hinaus nur um Frauen und
um Schwerbehinderte die älter als 50 Jahre sind handelt, habe sich der Beklagte hierzu
zu erklären. Aus dem Urteil werde auch nicht deutlich, was genau zur Abweisung der
Klage geführt habe. Mitentscheidend dürfte die Annahme gewesen sein, dass eine wie
auch immer geartete medizinische Verantwortung nicht ausdrücklich übertragen worden
ist. Aus dem Rechtsgedanken des § 162 BGB folge aber, dass der Mangel der
ausdrücklichen Übertragung nicht willkürlich eine gerechtfertigte Höhergruppierung
vereiteln könne. Schaffe der Arbeitgeber die Voraussetzungen für die Einstufung in die
Tarifgruppe III, so müsse er sich auch ohne ausdrückliche Übertragung so behandeln
lassen, als habe er diese ausdrückliche Übertragung tatsächlich vorgenommen.
Andernfalls würde dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet. Deswegen habe der Beklagte
konkret vortragen müssen, warum er meint, dass seine Eingruppierung in die eine und
nicht in die andere Tarifgruppe zutreffend sei. Dies gelte zumindest dann, wie hier, wenn
die Arbeitnehmerin seit 15 Jahren als - zumindest Titularoberärztin - tätig ist und
zahlreiche Tätigkeiten ausübt, die von der Beklagten als Tätigkeiten eines
Tarifoberarztes betrachtet würden. Die Auffassung, es könne nur darauf ankommen,
welche Tätigkeiten die Klägerin heute ausübe und nicht, welche Tätigkeiten die
Klägerin gegebenenfalls unter der Geltung des BAT ausgeübt habe, sei nicht zutreffend.
Denn Veränderungen dürfe die Klägerin im Rahmen des Arbeitsverhältnisses nur unter
Berücksichtigung des Weisungsrechtes vornehmen. Da die Klägerin früher
Oberarzttätigkeiten ausgeführt hat, sei jede Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz
tarifrechtlich nur dann wirksam, wenn eine Änderungskündigung ausgesprochen werde.
Im Übrigen hätten die früheren Tätigkeiten der Klägerin als Oberärztin Indizwirkung für
die Bewertung der heutigen Tätigkeit. Die Klägerin sei auch in einem selbständigen
Teil- oder Funktionsbereich tätig. Dabei sei zu berücksichtigen, dass diese
Voraussetzungen für die Oberarzttätigkeit im Tarifvertrag lediglich eine
Protokollerklärung darstelle, die zudem der Auslegung zugänglich sei und allgemeine
Grundsätze des Arbeitsrechts nicht aushebeln könne. Der Ansatz des Arbeitsgerichts,
es müsse erkennbar sein, dass es sich bei der Station um einen organisatorisch
abgegrenzten selbständigen Teil- oder Funktionsbereich handele, sei falsch.
Andernfalls könne der Arbeitgeber willkürlich und nach eigenem Gutdünken die
Grenzen ziehen. Da die Beklagte der Station 41/3 eine eigene Bezeichnung gegeben
und Zuständigkeiten geregelt habe, sei von dem Beklagten die mangelnde
Selbständigkeit darzulegen. Aus der Organisationsstruktur der Beklagten ergebe sich
die organisatorische Eigenständigkeit der Stationen.
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Sie beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 05.06.2008 aufzuheben und
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin vom 01.08.2006 an eine
Vergütung nach der Entgeltgruppe III Entwicklungsstufe 2 des TV-Ärzte/VKA zu
zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er verteidigt das angefochtene Urteil unter Berufung und Vertiefung des
erstinstanzlichen Vorbringens.
21
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten und des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
22
Entscheidungsgründe
23
Die gemäß § 64 Abs. 1 ArbGG an sich statthafte und nach dem Wert des
Beschwerdegegenstandes gemäß § 64 Abs. 2 ArbGG zulässige sowie in gesetzlicher
Form und Frist nach den §§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519 ZPO
eingelegte und innerhalb der durch § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG bestimmten Frist
ordnungsgemäß nach den §§ 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG in Verbindung mit § 520 Abs. 3
ZPO begründete Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.
24
Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
25
I.
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Die Klage ist zulässig. Es handelt sich um eine im öffentlichen Dienst übliche
Eingruppierungsfeststellungsklage, gegen deren Zulässigkeit nach ständiger
arbeitsgerichtlicher Rechtsprechung keine Bedenken bestehen (vgl. nur BAG Urt. v.
11.10.2006, 4 AZR 534/05, AP Nr. 9 zu § 20 BMTG II; Urt. v. 31.07.2002, 4 AZR 163/01
AP Nr. 292 zu §§ 22, 23 BAT 1975, Urt. v. 29.11.2001, 4 AZR 736/00, AP Nr. 288 zu §§
22, 23 BAT 1975; Urt. v. 10.12.1997, 4 AZR 291/96 AP Nr. 237 zu §§ 22, 23 BAT 1975).
27
II.
28
Die Klage ist unbegründet. Der Klägerin steht ein Anspruch auf die begehrte
Feststellung zu.
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1. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Tarifvertrag für die Ärztinnen und Ärzte an
kommunalen Krankenhäusern im Bereich der Vereinigung der kommunalen
Arbeitgeberverbände (TV-Ärzte/VKA) der von der Vereinigung der kommunalen
Arbeitgeberverbände und dem Marburger Bund abgeschlossen worden ist
aufgrund jedenfalls einzelvertraglicher Vereinbarungen Anwendung. Der
tarifgebundene Beklagte wendet diesen Tarifvertrag an und hat die Klägerin auch
in diesen Tarifvertrag übergeleitet. Mit Schreiben vom 13.04.2007 hat die Klägerin
mitgeteilt, dass sie die Eingruppierung nach dem Tarifvertrag mit dem Marburger
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Bund akzeptiere, jedoch ab dem 01.07.2008 als ver.di Mitglied die Bezahlung
nach dem von ver.di abgeschlossenen Tarifvertrag beantragt.
31
Der Anwendbarkeit des TV-Ärzte/VKA steht nicht entgegen, dass gemäß § 4 Abs. 1
TVG ein anderer Tarifvertrag, nämlich der TVöD für das Arbeitsverhältnis unmittelbar
und zwingend gilt. Denn die Regelung wäre jedenfalls gemäß § 4 Abs. 3 TVG als
günstigere abweichende Abmachung anzusehen, da die Vergütung für Ärzte
jedenfalls in Bezug auf die Klägerin als günstigere abweichende Abmachung
anzusehen ist.
32
Ob das Begehren der Klägerin nicht von vornherein ab dem 01.07.2008 unbegründet
ist, da nach dem Willen der Klägerin jedenfalls ab diesem Zeitpunkt wieder der TVöD
Anwendung finden sollte, kann hier im Ergebnis dahinstehen, da der Klägerin im
gesamten geltend gemachten Zeitraum keine Vergütung nach der Entgeltgruppe III
zusteht.
33
2. Nach § 15 Abs. 2 TV-Ärzte/VKA ist die Ärztin/der Arzt in der Entgeltgruppe
eingruppiert, deren Tätigkeitsmerkmalen der gesamte von ihr/ihm nicht nur
vorübergehend auszuübende Tätigkeit entspricht. Die gesamte auszuübende
Tätigkeit entspricht dem Tätigkeitsmerkmal einer Entgeltgruppe, wenn zeitlich
mindestens zur Hälfte Arbeitsvorgänge anfallen, die für sich genommen die
Anforderungen eines Tätigkeitsmerkmals oder mehrerer Tätigkeitsmerkmale
dieser Entgeltgruppe erfüllen. Dabei sind die Arbeitsvorgänge für die Feststellung,
ob die Anforderungen erfüllt sind, zusammen zu beurteilen, wenn die Erfüllung der
Anforderungen in der Regel erst bei der Betrachtung mehrerer Arbeitsvorgänge
festgestellt werden kann.
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35
Nach der Protokollerklärung zu § 15 Abs. 2 sind Arbeitsvorgänge Arbeitsleistungen,
einschließlich der Zusammenhangsarbeiten, die bezogen auf den Aufgabenkreis der
Ärztin/des Arztes, zu einem bei natürlicher Betrachtung abgrenzbaren
Arbeitsergebnis führen. Jeder einzelne Arbeitsvorgang ist als solcher zu bewerten
und darf dabei hinsichtlich der Anforderungen zeitlich nicht aufgespalten werden.
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Die Voraussetzungen der Eingruppierung sind in § 16 TV- rzte/VKA geregelt.
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Danach sind Ärztinnen und Ärzte wie folgt eingruppiert:
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a. Entgeltgruppe I:
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Ärztin/Arzt mit entsprechender Tätigkeit
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b. Entgeltgruppe II:
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Fachärztin/Facharzt mit entsprechender Tätigkeit
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Protokollerklärung zu b):
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Fachärztin/Facharzt ist diejenige Ärztin/derjenige Arzt, die/der aufgrund
abgeschlossener Facharztweiterbildung in ihrem/seinem Fachgebiet tätig ist.
46
c. Entgeltgruppe III:
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Oberärztin/Oberarzt
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Protokollerklärung zu c):
50
Oberärztin/Oberarzt diejenige Ärztin/derjenige Arzt, der/dem die medizinische
Verantwortung für selbständige Teil- oder Funktionsbereiche der Klinik bzw.
Abteilung vom Arbeitgeber ausdrücklich übertragen worden sind.
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d. Entgeltgruppe IV:
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leiterende Oberärztin/leitender Oberarzt, ist diejenige Ärztin/derjenige Arzt, der/dem
die ständige Vertretung der leitenden Ärztin/des leitenden Arztes
(Chefärztin/Chefarzt) vom Arbeitgeber ausdrücklich übertragen worden ist.
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Protokollerklärung zu d):
55
Leiterende Oberärztin/leitender Oberarzt ist nur diejenige Ärztin/derjenige Arzt,
die/der die leitende Ärztin/den leitenden Arzt in der Gesamtheit ihrer/seiner
Dienstaufgaben vertritt. Das Tätigkeitsmerkmal kann daher innerhalb einer Klinik in
der Regel nur von einer Ärztin/einem Arzt erfüllt werden.
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a) Der Anspruch der Klägerin erfolgt zunächst nicht aus der Tatsache, dass die Klägerin
bereits vor in Kraft treten des Tarifvertrages in Bezeichnung "Oberarzt" geführt hat.
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Denn in der Niederschriftserklärung zu § 6 Abs. 2 TVÜ-Ärtze/VKA heißt es:
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"Die Tarifvertragsparteien gehen davon aus, dass Ärzte, die am 31. Juli 2006
die Bezeichnung "Oberärztin/Oberarzt" führen, ohne die Voraussetzung für eine
Eingruppierung als Oberärztin/Oberarzt nach § 16 TV-Ärzte/VKA zu erfüllen, die
Berechtigung zu Führung ihrer bisherigen Bezeichnung nicht verlieren. Eine
Eingruppierung in die Entgeltgruppe III ist hiermit nicht verbunden".
59
Dies zeigt deutlich, dass auch bei denjenigen Oberärztinnen und Oberärzten, die diesen
Titel führen durften, die Voraussetzungen des § 16 TV-Ärzte/VKA vorliegen müssen.
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Entgegen der Ansicht der Klägerin, trifft sie die Darlegungs- und Beweislast für das
Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der Entgeltgruppe III. Dies folgt schon
daraus, dass im Zivilprozess jeder die für ihn günstigen Tatsachen vorzutragen hat. Bei
der Eingruppierungsklage müssen die Einzelheiten der Tätigkeit sowie darüber hinaus
diejenigen Tatsachen detailliert vorgetragen werden, die das Gericht kennen muss, um
daraus rechtlich folgern zu können, welche Arbeitsgänge zu erbringen sind und dieses
Vorbringen den rechtlichen Schluss der Erfüllung der beanspruchten
Tätigkeitsmerkmale ermöglicht (vgl. nur BAG Urteil vom 24.10.1984 – 4 AZR 519/82 –,
AP Nr. 97 zu § 22 BAT 1975).
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b) Maßgeblich für die Eingruppierung als Oberärztin/Oberarzt nach § 16 c TV-Ärzte/VKA
ist die dortige Protokollerklärung.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts handelt es sich bei
Protokollerklärungen, sofern es, was hier nicht im Streit steht, der Formerfordernis des
Landestarifvertrages entsprechen, um Regelungen des materiellen Tarifrechts (vgl. BAG
Urteil vom 27.11.2008 – 6 AZR 632/08 –).
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Die Eingruppierungsfeststellungsklage der Klägerin kann damit nur Erfolg haben, wenn
sich aus ihrem und dem unstreitigen Vorbringen ergibt, dass sie die Voraussetzungen
der Protokollerklärung erfüllt.
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Der Klägerin ist es aber auch in II. Instanz nicht gelungen, darzulegen, dass sie die
medizinische Verantwortung für einen selbständigen Teil- oder Funktionsbereich von
der Arbeitgeberin ausdrücklich übertragen worden ist.
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Unter Verantwortung im allgemeinen Sprachgebrauch versteht man die mit einer
bestimmten Stellung oder Aufgabe verbundene Verpflichtung, in der jeweiligen Stellung
oder Aufgabe entsprechend dafür zu sorgen, dass innerhalb eines bestimmten
Rahmens oder Lebensbereiches alles einen guten, sachgerechten und geordneten
Verlauf nimmt, was beispielsweise mit der entsprechenden Verantwortung von Eltern,
Lehrern aber auch Ingenieuren, Ärzten und Redakteuren erläutert wird (vgl. Meyers
Enzyklopädie Lexikon). Die Protokollerklärung knüpft hier nicht an die allgemeine
Verantwortung, sondern an die medizinische Verantwortung des Arztes an. Damit soll
deutlich werden, dass entscheidend für die Eingruppierung als Oberarzt nicht die
Verantwortung im administrativen Bereich maßgeblich ist, sondern allein die
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medizinische Verantwortung, nämlich das die Klägerin als Ärztin tätig wird (vgl. auch
BAG Urteil vom 29.01.1986 – 4 AZR 465/84 –, AP BAT 1975, § 22 Nr. 115; Urteil vom
16.04.1986 – 5 AZR 595/84 –, AP BAT 1975, § 22 Nr. 120).
Geht man vom allgemeinen Sprachgebrauch aus und versteht man die Erweiterung
"medizinisch" als Abgrenzung zu den Ärzten, die im Wesentlichen
Verwaltungsaufgaben wahrnehmen, so wird aus dem Kontext deutlich, dass mit der in
der Protokollerklärung für Oberärzte gemeinten "medizinischen Verantwortung", mehr
gemeint sein muss, als die Verantwortung, die ein Arzt ohnehin trägt. Denn auch die in
den Entgeltgruppen I und II genannten Ärzte bzw. Fachärzte tragen für ihr eigenes
Handeln die medizinische Verantwortung. Da die Eingruppierungsnorm im TV-
Ärzte/VKA eine hierarchische Steigerung beinhalten, muss die ärztliche Verantwortung
des Oberarztes über die diejenige hinaus gehen, die Ärzte im allgemeinen treffen. Mit
der höheren Vergütung des Oberarztes wird damit auch das höhere Maß der
Verantwortung honoriert (vgl. Wahlers, PersV 2008, Seite 204, 206; vgl. auch LAG
Düsseldorf, Urteil vom 24.04.2008 – 13 Sa 1910/07 –, LAG Mecklenburg-Vorpommern,
Urteil vom 18.07.2008 – 3 Sa 77/08 –, BeckRS 2008, 57007).
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Aus dem Vorbringen der Klägerin ergibt sich nicht, dass sie die medizinische
Verantwortung für die Station 41/3 trägt. Dass sie allein verantwortlich ist für die
Diagnose und Verantwortung der Therapiemaßnahmen bedeutet nicht, dass sie auch
die medizinische Verantwortung für die Station trägt. Die von der Klägerin angeführten
eigenen Entscheidungen in Bezug auf nicht unwesentliche Behandlungsschritte,
belegen nicht, dass die Klägerin auch medizinische Verantwortung für das Handeln
anderer trägt. Unerheblich ist entgegen der Ansicht der Klägerin wer für Fehler
zivilrechtlich haftet oder strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann. Selbst
wenn die Klägerin den oder die Assistenzärzte auf der Station, auf der sie tätig ist, zu
überwachen hat, folgt daraus nicht zwingend, dass sie auch die medizinische
Verantwortung für deren Arbeit trägt.
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Weiter hat die Klägerin auch nicht darzulegen vermocht, dass es sich bei der Station
41/3 um einen selbständigen Teil- und Funktionsbereich der Klinik bzw. der Abteilung
handelt. Für die Frage wann ein Funktionsbereich vorliegt, liegt es nahe auf bereits
tarifrechtliches Bekanntes zurückzugreifen. Bereits in der Protokollnotiz Nr. 5 zu den
Vergütungsgruppen I a Fallgruppe 7 und I b Fallgruppe 10 BAT wurde dieser Begriff
definiert. Dabei handelte es sich um ein "wissenschaftlich anerkanntes Spezialgebiet
innerhalb eine ärztlichen Fachgebietes, z. B. Nephrologie, Handchirurgie,
Neuroradiologie, Elektroencephalographie, Herzkathedarisierung". Es sind keine
Gründe erkennbar warum der Begriff des Funktionsbereiches im TV-Ärzte/VKA anders
zu verstehen sein sollte, als dies zum Vorläufertarifvertrag zum BAT der Fall war (vgl.
Wahlers, PersV 2008, Seite 204, 206). Gegenüber dem BAT ist allerdings die so
beschriebene organisatorische Einheit durch den Begriff "Teilbereich" erweitert worden.
Anders als dort, wo Abgrenzungskriterium allein das Fachgebiet war, ist nun
tarifrechtlich bedeutsam das medizinische Verantwortung für einen Bereich getragen
wird, die kein wissenschaftlich anerkanntes Spezialgebiet darstellen, jedoch vom
Arbeitgeber als eigenständiger Bereich organisiert und definiert worden ist. Die
Selbständigkeit zeigt dabei an der organisatorischen Abgrenzung. Sie wird erkennbar
an der personellen und räumlichen Eigenständigkeit. Dass diese Voraussetzungen
erfüllt sind, ergibt sich aus dem Vorbringen der Klägerin nicht. Die Klinik des Beklagten
in D1 ist in 5 Abteilungen gegliedert. Die Station 41/3, auf der die Klägerin tätig ist,
gehört zur Abteilung allgemeine Psychiatrie I, zu der weitere 5 Stationen, eine
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Ambulanz, eine Tagesklinik und die Aufnahmeeinheit gehören. Allein aus der
Bezeichnung folgt dabei die Selbständigkeit des Teil- oder Funktionsbereichs noch
nicht. Festzustellen ist viel mehr, dass es sich um eine abgrenzbare organisatorische
Einheit innerhalb einer Abteilung oder Klinik handelt, der eigenständige Ziele
zugewiesen sind und die sie im Rahmen eigener Organisiertheit, also mit eigenem
Personal und räumlich eigenständig, erfüllt. Bei der Station 41/3 handelt es sich um eine
offene Aufnahmestation, in der Therapieschwerpunkt die Akutbehandlung von
Persönlichkeitsstörungen liegt. Wie die Station organisiert ist und warum sich ein
selbständiger Teil- oder Funktionsbereich darstellt, hat die Klägerin nicht vorgetragen,
obwohl bereits das Arbeitsgericht das Fehlen einen entsprechenden Vortrages im Urteil
moniert hat.
Schließlich fehlt es auch an der tarifrechtlich erforderlichen ausdrücklichen Übertragung
einer medizinischen Verantwortung.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts setzt die Übertragung einer
Tätigkeit durch ausdrückliche Anordnung grundsätzlich voraus, dass diese durch das
zuständige Organ des Arbeitgebers erfolgt. Denn die Anordnung bewirkt eine Änderung
des Arbeitsvertrages nach zivilrechtlichen Grundsätzen bezüglich des Inhalts der
Arbeitspflicht und führt wie auch hier zu einem höheren Vergütungsanspruch (vgl. BAG
Urteilt vom 25.10.1995 – 4 AZR 479/94 –, NZA 1996, Seite 710, 712; Urteil vom
11.11.1987 – 4 AZR 336/87 –, AP BAT 1975, § 22 Nr. 140). Die ausdrückliche
Anordnung kann dabei schriftlich oder mündlich erklärt werden aber auch in
Dienstanweisungen, Verwaltungsführungen und Geschäftsverteilungsplänen enthalten
sein. Nicht für ausreichend gehalten hat das BAG konkludentes Verhalten oder die
lediglich faktische Herstellung entsprechender Organisationsform in der Verwaltung
oder die Benachrichtigung lediglich unterstellter Angestellter.
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Aus dem Vorbringen der Klägerin ergibt sich dies nicht. Sie hat nicht dargelegt, dass
das dafür zuständige Organ des Beklagten ihr eine Befugnis ausdrücklich übertragen
hätte.
72
Die Klägerin kann die Eingruppierung nach der Entgeltgruppe III TV-Ärzte/VKA auch
nicht mit Erfolg darauf stützen, dass sie unter der Geltung des BAT in Funktionen
eingesetzt war, die heute von Ärzten ausgeübt wird, die als Oberärzte im tarifrechtlichen
Sinne angesehen werden. Denn maßgeblich für die Eingruppierung ist gemäß § 16 TV-
Ärzte/VKA die ausgeübte Tätigkeit, zumal die Klägerin Ansprüche für den Zeitraum
geltend macht, in der sie auf der Station 41/3 tätig geworden ist.
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Ein Anspruch auf die Vergütung ergibt sich auch nicht aus dem Arbeitsvertrag. Die
Klägerin vertritt die Auffassung, dass sie als Oberärztin im tarifrechtlichen Sinne
beschäftigt werden müsse, weil sie zuvor eine solche Tätigkeit ausgeübt habe. Die
Klägerin kann einen solchen Anspruch nicht mit Erfolg auf § 280 Abs. 2 BGB stützen.
Denn aus dem Vorbringen der Klägerin ergibt sich nicht, dass sie Anspruch darauf hat,
als Überärztin im Tarifsinne beschäftigt zu werden. Ihr Einsatz auf der Station 41/3
erfolgte ab dem 01.07.2004. Zu diesem Zeitpunkt gab es für Oberärzte im öffentlichen
Dienst noch keine tarifrechtliche vorgesehene Eingruppierung. Diese wurde erst zum
01.08.2006 geschaffen.
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Auf die Verletzung des AGG (§ 15 Abs. 1 i. V. m. § 2 Abs. 1 Ziffer 1, § 1 AGG) stützt die
Klägerin die Klage ausdrücklich nicht. Nach der Klageschrift hatte die Klägerin sich
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lediglich Schadenersatzansprüche vorbehalten. In erster Linie geht sie davon aus, dass
die nach ihrer Auffassung vorliegende Benachteiligung zu einer Beweislastumkehr
führen muss.
Im Übrigen ist es aber auch zweifelhaft, ob überhaupt eine zum Schadenersatz
verpflichtende Benachteiligung von der Klägerin hinreichend deutlich dargelegt worden
ist. Weil die Klägerin selbst die tariflichen Voraussetzungen für eine Eingruppierung in
die Entgeltgruppe III TV-Ärzte/VKA nicht erfüllt, konnte ein Anspruch daraus resultieren,
dass andere Ärzte jedoch so eingruppiert sind, obwohl sie die Voraussetzungen nicht
erfüllen. Das hat die Klägerin selbst nicht vorgetragen.
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Daher könnte unter Berücksichtigung der tariflichen Voraussetzungen eine
Benachteiligung nur darin liegen, dass die Beklagte die Arbeitsbereiche so
zugeschnitten hat, dass die Klägerin die Voraussetzungen für eine Eingruppierung als
Oberärztin nach dem TV-Ärzte/VKA nicht erfüllt. Auch das ergibt sich aber aus dem
Vortrag der Klägerin nicht. Insbesondere fehlt jegliche Angabe zur Vergleichsgruppe.
Schließlich liegt das Organisationsrecht beim Dienstherrn, der bestimmen kann, welche
Organisationsstruktur er seine Klinik oder Abteilung betreiben will.
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III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, da die Klägerin die Kosten ihres
erfolglosen Rechtsmittels zu tragen hat.
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Die Revisionszulassung folgt aus § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.
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