Urteil des LAG Hamm vom 31.01.2008

LArbG Hamm: aufzählung, arbeitgeberverband, arbeitsgericht, gratifikation, begriff, tarifvertrag, lohnfortzahlung, unterliegen, entstehungsgeschichte, auflage

Landesarbeitsgericht Hamm, 15 Sa 1694/07
Datum:
31.01.2008
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
15. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
15 Sa 1694/07
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Bochum, 4 Ca 2649/06
Nachinstanz:
Bundesarbeitsgericht, 10 AZR 216/08
Schlagworte:
Zulässigkeit der Anrechnung von Anwesenheitsprämien auf die
Jahressonderzahlung nach § 10 des Manteltarifvertrages für die
gewerblichen Arbeitnehmer der Spedition-, Logistik- und
Transportwirtschaft Nordrhein-Westfalen vom 26.04.2005
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts
Bochum vom 03.05.2007 - 4 Ca 264/06 - abgeändert und die Klage
abgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um die Zahlung von Weihnachtsgeld bzw. einer
Jahressonderzahlung für das Jahr 2006.
2
Der Kläger ist seit dem 10.08.1998 bei der Beklagten als Schlepperfahrer beschäftigt.
Wegen des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 12.08.1998 wird auf Bl. 27 ff. d. A. Bezug
genommen. Die monatliche Vergütung des Klägers betrug zuletzt 1.684,-- € brutto.
Entsprechend einer Vereinbarung der Parteien erhielt der Kläger Anwesenheitsprämien,
die im Jahre 2006 einen Betrag von insgesamt 1.900,82 € ausmachten. Wegen des
Inhalts des Schreibens vom 11.06.2001, mit dem die Beklagte dem Kläger die Zahlung
der Anwesenheitsprämie zugesagt hat, wird auf das Protokoll der Sitzung vom
03.05.2007 (Bl. 43 d. A.) verwiesen.
3
Zum 01.09.2006 begründete die Beklagte eine Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband
des Verkehrsgewerbes Westfalen-Lippe. Mit Schreiben vom 04.10.2006 teilte sie dem
Kläger folgendes mit:
4
"Sehr geehrter Herr K1,
5
wie Ihnen bekannt ist, ist die E1 GmbH mit Wirkung zum 1.September 2006 in
den für die Logistik zuständigen Arbeitgeberverband eingetreten und ist
dementsprechend an die Tarifverträge der Logistikwirtschaft NRW gebunden.
Dies bedeutet, dass Ihr Arbeitsverhältnis ab sofort der Tarifgruppe 3 unterliegt.
Ihr neues tarifliches Entgelt beträgt bei einer Arbeitszeit von 39 Stunden
dementsprechend 1.718,73 € mit Wirkung zum 1.September 2006.
6
Nach § 10 Abs. II Nr. 1 des Manteltarifvertrages rechnen wir betriebliche
Leistungen auf die tarifliche Sonderzahlung an.
7
Die Nachzahlung für den Monat September 2006 erfolgt mit der Lohn-
/Gehaltsabrechnung für Monat Oktober 2006."
8
Für das Jahr 2006 zahlte die Beklagte weder Weihnachtsgeld gem. Ziff. 9 des
Arbeitsvertrages vom 12.08.1998 noch die Jahressonderzahlung gem. § 10 des
Manteltarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Speditions-, Logistik- und
Transportwirtschaft Nordrhein-Westfalen vom 26.04.2005 (im Folgenden MTV). Mit
vorliegender Klage, die am 19.12.2006 beim Arbeitsgericht Bochum einging, nimmt der
Kläger die Beklagte deswegen auf Zahlung von 449,12 € brutto in Anspruch. Wegen der
Berechnung des vom Kläger geltend gemachten Betrages wird auf Bl. 1 f. d. A.
verwiesen.
9
Zur Begründung seiner Klage hat der Kläger vorgetragen, er habe ausweislich Ziff. 9
des schriftlichen Arbeitsvertrages Anspruch auf Zahlung eines Weihnachtsgeldes in
Höhe von 20 % des zuletzt erzielten Monatsbruttolohns, das mit der
Novemberabrechnung fällig sei. Seit dem Beitritt der Beklagten zum Arbeitgeberverband
für das Verkehrsgewerbe Westfalen-Lippe e.V. seien die Regelungen des genannten
MTV anwendbar. Danach betrage die Jahressonderzahlung bei mehr als 6-jähriger
ununterbrochener Betriebszugehörigkeit 40 % des zuletzt gezahlten tariflichen
Monatsverdienstes. Ausgehend hiervon errechne sich zu seinen Gunsten ein
Gesamtbetrag von 449,12 €, den die Beklagte als Weihnachtsgeld bzw.
Jahressonderzahlung zu leisten habe.
10
Der Kläger hat beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 449,12 € brutto nebst 5 % Punkten
über dem Basiszinssatz seit dem 01.12.2006 zu zahlen.
12
Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
14
Sie hat vorgetragen, der Kläger habe keinen Anspruch auf Zahlung eines
Weihnachtsgeldes gem. Ziff. 9 des Arbeitsvertrages. Diese Leistung stehe unter einem
ausdrücklichen Freiwilligkeitsvorbehalt. Sie, die Beklagte, habe im Jahre 2006 von
diesem Vorbehalt Gebrauch gemacht und dementsprechend an alle Mitarbeiter kein
Weihnachtsgeld gezahlt.
15
Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf die Jahressonderzahlung gem. § 10 des
MTV. Sie, die Beklagte, habe die an den Kläger gezahlten Anwesenheitsprämien gem.
§ 10 II Ziff. 1 des MTV auf die tarifliche Jahressonderzahlung angerechnet.
16
Durch Urteil vom 03.05.2007 hat das Arbeitsgericht die Beklagte antragsgemäß
verurteilt, der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auferlegt, den Streitwert auf
449,12 € festgesetzt und die Berufung zugelassen. Gegen diese Entscheidung, die der
Beklagten am 29.08.2007 zugestellt worden ist, richtet sich die Berufung der Beklagten,
die am 24.09.2007 beim Landesarbeitsgericht eingegangen und – nach Verlängerung
der Berufungsbegründungsfrist bis zum 29.11.2007 – am 29.11.2007 begründet worden
ist.
17
Die Beklagte vertritt weiter die Auffassung, der Kläger habe keinen Anspruch auf die
tarifvertragliche Jahressonderzahlung. Nach Beitritt zu dem für die Logistik zuständigen
Arbeitgeberverband mit Wirkung vom 01.09.2006 habe sie allen Arbeitnehmern und
auch dem Kläger durch interne Mitteilung vom 16.11.2006 bekanntgegeben, dass sie
die tarifliche Jahressonderzahlung auch an die nicht tarifgebundenen Mitarbeiter
auszahlen werde, obwohl sie hierzu nicht verpflichtet sei. Die Höhe der Auszahlung
werde aber anteilig auf 4/12 der vollen Jahressonderzahlung reduziert, da der
Tarifvertrag erst ab dem Monat September 2006 Anwendung finde. Zudem werde die
Anwesenheitsprämie bei jedem Mitarbeiter auf die – anteilige – Jahressonderzahlung
angerechnet. Der Kläger habe im Jahre 2006 Anwesenheitsprämien in einer
Gesamthöhe von 1.900,82 € erhalten. Auf die Monate September bis Dezember 2006
sei davon ein Betrag in Höhe von insgesamt 462,29 € entfallen. Da die anteilige
tarifliche Jahressonderzahlung von 4/12 der Jahressumme einen Betrag von 224,56 €
ausmache, habe der Kläger wegen der vollständigen Verrechnung dieses Betrages mit
den gezahlten Anwesenheitsprämien keinen Anspruch auf die geltend gemachte
Jahressonderzahlung. Auch wenn dem Kläger eine Jahressonderzahlung für 2006 in
voller Höhe von 673,60 € zustehe, sei dieser Anspruch wegen der gezahlten
Anwesenheitsprämien von insgesamt 1.900,82 € erloschen.
18
Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts sei die Anrechnung der
Anwesenheitsprämien auf die tarifliche Jahressonderzahlung zulässig. § 10 II Ziff. 1 des
MTV gebe dem Arbeitgeber die Möglichkeit, "alle betrieblichen Leistungen" auf die
Jahressonderzahlung anzurechnen. Die Aufzählung unterschiedlicher betrieblicher
Leistungen im Tarifvertrag sei nur beispielhaft. Zudem werde die Reihe der
anrechenbaren Leistungen dadurch erweitert, dass auch "ähnliche Leistungen"
angerechnet werden könnten. Die Aufzählung sei damit ausdrücklich nicht
abschließend, sondern biete den Arbeitgebern die Jahressonderzahlung sämtliche
betrieblichen Leistungen anzurechnen. Dass es sich bei der Anwesenheitsprämie um
eine "betriebliche Leistung" handele, könne nicht zweifelhaft sein. Hätten die
Tarifvertragsparteien gewollt, dass nur bei einer auf Betriebsvereinbarung beruhenden
Zahlung eine Anrechnung möglich sei, so hätten sie dies geregelt bzw. regeln müssen.
§ 10 I Ziff. 8 des MTV stehe der Anrechenbarkeit der Anwesenheitsprämie nicht
entgegen.
19
Ein Anspruch auf Zahlung eines Weihnachtsgeldes gem. Ziff. 9 des Arbeitsvertrages
vom 12.08.1998 sei wegen des ausdrücklichen ausgeübten Freiwilligkeitsvorbehaltes
nicht gegeben.
20
Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 03.05.2007 – 4 Ca 2649/06 –
abzuändern und die Klage abzuweisen.
22
Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher
Hinsicht. Der Anspruch auf Jahressonderzahlung sei nicht infolge Anrechnung der
Anwesenheitsprämien erloschen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den
vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
26
Entscheidungsgründe
27
I.
28
Die Berufung der Beklagten ist angesichts der ausdrücklichen Zulassung der Berufung
durch das Arbeitsgericht an sich statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und
begründet worden.
29
II.
30
Der Sache nach hat die Berufung Erfolg. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, an den
Kläger 449, 12 € brutto nebst Zinsen zu zahlen.
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1. Ein Anspruch des Klägers auf Zahlung von 449,12 € brutto ergibt sich nicht aus den
arbeitsvertraglichen Vereinbarungen der Parteien. Ziffer 9 des Arbeitsvertrages vom
12.08.1998 begründet keinen Rechtsanspruch des Klägers auf Zahlung von
Weihnachtsgeld für das Jahr 2006, sondern bestimmt lediglich, dass der Kläger für das
Kalenderjahr 1998 ein Weihnachtsgeld in Höhe von 20 % einer
Monatsgrundlohnvergütung erhält. Im Übrigen hat die Beklagte sich das Recht
vorbehalten, über die Gewährung eines Weihnachtsgeldes und dessen Höhe jährlich
neu zu entscheiden. Die Zahlung von Weihnachtsgeld in den auf das Jahr 1998
folgenden Jahren ist damit ausdrücklich unter einen sogenannten
Freiwilligkeitsvorbehalt gestellt. Hierdurch ist ein Rechtsanspruch auf Zahlung eines
Weihnachtsgeldes für die Zukunft wirksam ausgeschlossen worden. In diesem Fall
erwirbt ein Arbeitnehmer einen vertraglichen Anspruch auf Zahlung von Weihnachtsgeld
nur für das bestimmte Jahr, in welchem der Arbeitgeber diese Leistung verbindlich
angekündigt hat, oder mit tatsächlicher Zahlung. Bis zu diesem Zeitpunkt entsteht auch
kein im Laufe des Jahres anwachsender Anspruch auf eine ggf. anteilige Zahlung. Der
erklärte Freiwilligkeitsvorbehalt hindert das Entstehen eines dahingehenden Anspruchs
und lässt dem Arbeitgeber die Freiheit, in jedem Jahr neu zu entscheiden, ob und ggf.
unter welchen Voraussetzungen er die fragliche Leistung gewähren will (vgl. BAG, Urt.
v. 08.03.1995, AP Nr. 184 zu § 611 BGB Gratifikation; Urt. v. 06.12.1995, AP Nr. 197 zu
§ 611 BGB Gratifikation; Urt. v. 05.06.1996, AP Nr. 193 zu § 611 BGB Gratifikation).
32
2. Ein Anspruch des Klägers auf Zahlung von 449,12 € brutto ergibt sich auch nicht aus
§ 10 des genannten MTV.
33
a) Nicht streitig zwischen den Parteien ist, dass dem Kläger grundsätzlich ein Anspruch
auf die Jahressonderzahlung nach § 10 des MTV zusteht. Zwar ist der Kläger nicht
Mitglied der Gewerkschaft, die den genannten MTV u.a. mit dem Arbeitgeberverband für
das Verkehrsgewerbe Westfalen-Lippe e.V. abgeschlossen hat, dem die Beklagte mit
Wirkung zum 01.09.2006 beigetreten ist. Angesichts der Regelungen in Ziff. 11 des
Arbeitsvertrages vom 12.08.1998 und der Mitteilung der Beklagten vom 16.11.2006 an
ihre Mitarbeiter steht dem Kläger jedoch eine Jahressonderzahlung nach § 10 des MTV
dem Grunde nach zu.
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b) Dahinstehen kann, ob der Kläger eine anteilige Jahressonderzahlung von 4/12 in
Höhe von 224,56 € oder die volle Jahressonderzahlung in Höhe von 673,60 € für 2006
beanspruchen konnte. Denn der anteilige oder volle Anspruch des Klägers auf diese
tarifliche Leistung ist durch Anrechnung der gezahlten Anwesenheitsprämien erloschen.
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aa) Die Beklagte hat von der in § 10 II Ziff. 1 MTV vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch
gemacht und die an den Kläger für 2006 gezahlten Anwesenheitsprämien in einer
Gesamthöhe von 1.900,82 €, von denen 462,29 € auf den Zeitraum von September bis
Dezember 2006 entfielen, angerechnet. Unabhängig davon, ob dem Kläger die
Jahressonderzahlung anteilig oder in vollem Umfang zustand, ist der Anspruch des
Klägers auf diese tarifliche Leistung damit erloschen. Denn die 2006 gezahlte
Anwesenheitsprämie war höher als die volle tarifliche Jahressonderzahlung.
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bb) Entgegen der Auffassung des Klägers handelt es sich bei den von der Beklagten
gezahlten Anwesenheitsprämien um betriebliche Leistungen, die der Anrechnung gem.
§ 10 Abs. 2 Ziff. 1 MTV unterliegen. Dies ergibt die Auslegung der tarifvertraglichen
Regelungen.
37
(1) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach ständiger
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen
geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der
maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei
nicht eindeutigem Wortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu
berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat.
Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser
Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn
und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Lässt dies zweifelsfreie
Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne
Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des
Tarifvertrages, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die
Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel
gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen,
sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. BAG,
Urt. v. 30.05.2001 – 4 AZR 269/00, BAGE 98,35; 07.07.2004 – 4 AZR 433/03, AP Nr. 10
zu § 1 TVG Tarifverträge Verkehrsgewerbe jeweils m. w. N.).
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(2) Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung, der die erkennende Kammer sich
anschließt, ist davon auszugehen, dass die von der Beklagten gezahlten
Anwesenheitsprämien anrechenbare Leistungen im Sinne des § 10 II Ziff. 1 des MTV
sind.
39
(a) Bei der Anwesenheitsprämie handelt es sich um eine betriebliche Leistung im Sinne
von § 10 II Ziff. 1 des MTV. Dass diese Leistung nicht auf der Grundlage einer
Betriebsvereinbarung an die Arbeitnehmer der Beklagten gezahlt wird, kann hieran
nichts ändern. Soweit der Wortlaut eines Tarifvertrages infrage steht, ist zwar
grundsätzlich vom allgemeinen Sprachgebrauch auszugehen, wie er sich aus
Wörterbüchern und Lexika ergibt. Der allgemeine Sprachgebrauch wird jedoch dann
verdrängt, wenn die Tarifvertragsparteien einen Rechtsbegriff verwenden; in diesen
Fällen ist anzunehmen, dass die Tarifvertragsparteien den Rechtsbegriff in seiner
rechtlichen Bedeutung verwenden (vgl. Schaub, Arbeitsrechtshandbuch 11. Auflage §
198 Rdn. 22 ff. m. w. N.). Die Tarifvertragsparteien haben in § 10 II Ziff. 1 des MTV den
Begriff der "betrieblichen" Leistungen verwendet und nicht von Leistungen auf der
Grundlage einer "Betriebsvereinbarung" bzw. "betriebsverfassungsrechtlicher" Art
gesprochen. Anhaltspunkte dafür, dass die Tarifvertragsparteien den Begriff der
"betrieblichen Leistungen" im zuletzt genannten engeren Sinne verstanden haben, sind
weder vorgetragen noch ersichtlich. Ein eventueller dahingehender Wille hat zudem im
Wortlaut des Tarifvertrages keinen – wenn auch nur unvollkommenen – Niederschlag
gefunden. Dementsprechend ist davon auszugehen, dass der Begriff der "betrieblichen
Leistungen" alle Leistungen beschreibt, welche die Beklagte den in ihrem Betrieb
beschäftigten Arbeitnehmern gewährt. Hierzu zählen auch Anwesenheitsprämien,
welche die Beklagte grundsätzlich an alle in ihrem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmern
zahlt.
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(b) Handelt es sich bei den von der Beklagten gezahlten Anwesenheitsprämien um
betriebliche Leistungen im Sinne des § 10 II 1 des MTV, so können sie auch auf die
tarifliche Jahressonderzahlung angerechnet werden. Nach dem Wortlaut der genannten
Tarifbestimmung unterliegen "alle" betrieblichen Leistungen der Anrechnung. Hieran
kann die Aufzählung bestimmter Leistungen in § 10 II Ziff. 1 des MTV, die ausdrücklich
als anrechenbar bezeichnet werden, nichts ändern. Nach dem Wortlaut der
Tarifbestimmung handelt es sich hierbei nicht um eine abschließende Aufzählung. Dies
zeigt die Verwendung des Begriffes "wie zum Beispiel" im Zusammenhang mit den
genannten anrechenbaren Leistungen. Wenn die Tarifvertragsparteien in § 10 II 1 des
MTV zunächst "alle betrieblichen Leistungen" als anrechenbar bezeichnen und sodann
in einer beispielhaften Aufzählung einzelne Leistungen benennen, die angerechnet
werden können, so haben sie offensichtlich an dem Grundsatz nichts ändern wollen,
dass "sämtliche" betrieblichen Leistungen ohne Ausnahme anrechenbar sind. Auch die
Verwendung des Begriffs der "ähnlichen Leistung" in der beispielhaften Aufzählung
lässt keinen Schluss darauf zu, dass die Tarifvertragsparteien den Kreis der
anrechenbaren betrieblichen Leistungen einschränken wollten. Angesichts dessen ist
davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien betriebliche Leistungen des
Arbeitgebers ohne Einschränkungen der Anrechnung unterwerfen wollten. Ein eventuell
hiervon abweichender Wille dahingehend, dass nur bestimmte betriebliche Leistungen
angerechnet werden können, hat im Wortlaut des MTV keinen – wenn auch nur
unvollkommenen – Niederschlag gefunden.
41
(c) Auch die Regelung in § 10 I Ziff. 8 des MTV lässt keinen Schluss darauf zu, dass die
Anrechnung der Anwesenheitsprämie auf die tarifliche Jahressonderzahlung unzulässig
ist. Zwar mindert sich gemäß § 10 I Ziff. 8 MTV der Anspruch auf die
Jahressonderzahlung um 1/12 für den Kalendermonat, in dem der Arbeitnehmer nicht für
mindestens 14 Kalendertage Anspruch auf Lohn oder Lohnfortzahlung hat. Diese
Regelung bezieht sich allerdings ausschließlich auf die tarifliche Jahressonderzahlung
und nicht auf die von der Beklagten gezahlte Anwesenheitsprämie, die völlig anderen
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Minderungsbestimmungen unterliegt. Tarifliche Jahressonderzahlung und
Anwesenheitsprämie sind Leistungen, die unterschiedlichen Voraussetzungen
hinsichtlich der Anspruchsbegründung und ggf. ihrer Minderung unterfallen. Ob und ggf.
in welcher Höhe ein Anspruch auf die tarifliche Jahressonderzahlung bzw. auf Zahlung
von Anwesenheitsprämien gegeben ist, unterliegt jeweils einer gesonderten Prüfung.
Hierbei können die jeweiligen Fehlzeiten des Arbeitnehmers in unterschiedlicher Weise
von Bedeutung sein. Während sich Fehlzeiten bei der Anwesenheitsprämie jeweils
unmittelbar anspruchskürzend auswirken, mindert sich der Anspruch auf die
Jahressonderzahlung gem. § 10 I Ziff. 8 des MTV lediglich um 1/12 für jeden
Kalendermonat, in dem der Arbeitnehmer nicht für mindestens 14 Kalendertage
Anspruch auf Lohn oder Lohnfortzahlung hat.
Dementsprechend kann einem Arbeitnehmer ein Anspruch auf die tarifliche
Jahressonderzahlung in voller Höhe zustehen, während sein Anspruch auf Zahlung von
Anwesenheitsprämien in Folge von Fehlzeiten gemindert ist, die für Höhe der tariflichen
Jahressonderzahlung ohne Bedeutung sind. Anhaltspunkte dafür, dass die Berechnung
der Anwesenheitsprämie auf die tarifliche Jahressonderzahlung ausgeschlossen ist,
weil bei beiden Leistungen Fehlzeiten des Arbeitnehmers – wenn auch in
unterschiedlicher Weise – von Bedeutung sind, lassen sich dem MTV nicht entnehmen.
43
III.
44
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
45
Die Kammer hat die Revision gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen.
46
Dr. Wendling
Pohlmeyer
Pradel
47
/R
48
Landesarbeitsgericht Hamm
49
Beschluss
50
In Sachen
51
wird das Urteil vom 31.01.2008 im Wege der Berichtigung dahingehend ergänzt, dass
die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger auferlegt werden.
52
G r ü n d e
53
Durch Urteil vom 31.01.2008 hat die erkennende Kammer das Urteil des Arbeitsgerichts
Bochum vom 03.05.2007 – 4 Ca 2469/06 – auf die Berufung der Beklagten abgeändert
und die Klage abgewiesen. Dementsprechend ist der Kläger verpflichtet, als
unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Bei der Niederschrift der
Entscheidung vom 31.01.2008 ist es versehentlich unterblieben, diesen
Kostenausspruch in den Urteilstenor aufzunehmen. Gemäß § 319 ZPO war das Urteil
deshalb von Amts wegen im Wege der Ergänzung zu berichtigen.
54
Hamm, den 07.04.2008
55
Das Landesarbeitsgericht
56
Der Vorsitzende der 15. Kammer
57
Dr. Wendling Pohlmeyer Pradel
58
Vorsitzender Richter
59
am Landesarbeitsgericht /WR.
60