Urteil des LAG Hamm vom 07.04.2006

LArbG Hamm: Schlagworte: Schulung, Erforderlichkeit, Spezialwissen, Schichtplangestaltung, Aufgabenver-teilung, schichtarbeit, test, stellvertreter, arbeitsgericht

Landesarbeitsgericht Hamm, 13 TaBV 208705
Datum:
07.04.2006
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
13. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 TaBV 208705
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Bochum, 3 BV 68/05
Schlagworte:
Schulung; Erforderlichkeit; Spezialwissen; Schichtplan;
Schichtplangestaltung; Aufgabenver-teilung; Betriebsrat
Normen:
§ 37 Abs. 6 S. 1 BetrVG, § 40 Abs. 1 BetrVG
Rechtskraft:
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen
Tenor:
Die Beschwerde des Betriebsratsmitglieds H1xxxxx gegen den
Beschluss des Arbeitsgerichts Bochum vom 03.11.2005 - 3 BV 68/05 -
wird zurückgewiesen.
G r ü n d e
1
_
2
I.
3
Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Kosten für die Teilnahme an einer
Schulungsveranstaltung zur Schichtplangestaltung.
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Die Antragstellerin ist seit dem Jahre 2000 Mitglied des 21köpfigen Betriebsrates im
Betrieb der Arbeitgeberin.
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Im Jahre 2002 wurden in einer Arbeitsgruppe, bestehend aus der
Betriebsratsvorsitzenden A1xxxxxxx, ihrem Stellvertreter G4xxxxx und den
Betriebsratsmitgliedern G5xx, S3xxxxxx, S4xxxxx, W3xxx und P1xxxxxx, diverse
Aspekte der Schichtarbeit und eine mögliche Änderung der Schichtmodelle diskutiert.
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Im Jahre 2003 kam es für den Bereich "Supply Operations" zur Verabschiedung eines
Schichtmodells. Dabei waren die Betriebsratsmitglieder A3xxxxxxx, G4xxxxx, S3xxxxxx,
G5xx, S4xxxxx, K4xxx und K3xxxx Verhandlungsführer für den Betriebsrat.
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Ab Anfang 2004 nahmen der Betriebsrat und die Arbeitgeberin Gespräche über
Änderungen des Schichtmodels im Bereich "ENO" auf. Zunächst wurde eine aus
Vertretern beider Seiten bestehende Projektgruppe gebildet, in der der Betriebsrat durch
seine Mitglieder G5xx und J1xxxx repräsentiert war. Aufgabe diese Gremiums war es,
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die Vielzahl denkbarer Schichtmodelle nach zuvor mit der Geschäftsleitung vereinbarten
Kriterien zu bewerten.
Am 14.09.2004 reichte dann die Arbeitgeberin beim Betriebsrat einen Antrag auf
Pilotierung eines neuen Schichtmodells ein. Die anschließenden Verhandlungen führte
für den Betriebsrat der Betriebsausschuss, bestehend aus den Mitgliedern A3xxxxxxx,
G4xxxxx, G5xx, S3xxxxxx, S4xxxxx, K4xxx und K3xxxx.
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Am 08.12.2004 einigte man sich auf ein (Test-) Schichtmodell, das ab dem 01.01.2005
im Rahmen eines Pilotprojekts auf drei Fertigungslinien im Bereich "ENO" erprobt
wurde. Zur Begleitung und Auswertung dieses Projekts wurde eine Arbeitsgruppe
konstituiert, in der der Betriebsrat durch seine Mitglieder A3xxxxxxx, G4xxxxx und
H6xxxxxx (Antragstellerin im vorliegenden Verfahren) vertreten war.
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Am 02.08.2005 schloss der Betriebsrat mit der Arbeitgeberin eine ab dem 01.09.2005
geltende Betriebsvereinbarung über das neuen Schichtmodell im Bereich "ENO".
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Zuvor hatte der Betriebsrat anlässlich seiner Sitzung am 08.12.2004 die Entscheidung
getroffen, dass die Antragstellerin – neben den Betriebsratsmitgliedern E1xxxxxxxx und
P1xxxxxx – an einer Veranstaltung des Bildungszentrum Sprockhövel der IG Metall vom
27.02. bis 04.03.2005 zum Thema "Schichtplangestaltung" teilnehmen sollte.
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Der Themenplan der Schulung lautet auszugsweise wie folgt:
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- Schichtarbeit als Element unternehmerischer Arbeitsplatzpolitik
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- Gesundheitliche Auswirkungen von Schichtarbeit
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- soziale und familiäre Auswirkung von Schichtarbeit
16
- beschäftigungspolitische Auswirkungen von Schichtarbeit
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- einkommenspolitische Auswirkungen von Schichtarbeit
18
- gesetzliche und tarifliche Bestimmungen bezüglich Schichtarbeit
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- Möglichkeiten der Gestaltung von Schichtplänen im Zwei- und Dreischicht-Betrieb
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- computergestützte Schichtplangestaltung
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- Maßnahmen zur Reduzierung von Belastungen infolge Schichtarbeit
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- Entwicklung betrieblicher Vorgehensweise zu Gestaltung von Schichtarbeit
(Fallbeispiele)
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- gewerkschaftspolitische und tarifpolitische Perspektiven bezüglich Schichtarbeit
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Nach der Teilnahme stellte der Veranstalter der Antragstellerin als Seminarkosten,
Übernachtung und Verpflegungspauschale insgesamt 1.022,00 Euro sowie für
Reisekosten 6,60 Euro in Rechnung (Bl. 103 f. d. A.).
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Die Antragstellerin hat die Auffassung vertreten, die Arbeitgeberin müsse für den Ersatz
dieser Kosten eintreten. Die Teilnahme an der Schulungsveranstaltung sei erforderlich
gewesen. Das dort vermittelte Spezialwissen sei notwendig gewesen, weil der
Betriebsrat mit entsprechenden Angelegenheiten ständig konfrontiert gewesen sei. Im
Zeitpunkt der Beschlussfassung habe es noch keine sichere Erkenntnis gegeben, dass
die Verhandlungen über ein neues Schichtmodell erfolgreich hätten abgeschlossen
werden können. Nach der Teilnahme an einem ersten Seminar sei es erforderlich
gewesen, weitere und genauere Erkenntnisse über eine andere Arbeitszeitgestaltung zu
erlangen.
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Die Antragstellerin hat beantragt,
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die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Antragstellerin von dem Anspruch der
IG Metall, Bildungszentrum Sprockhövel, gemäß deren Rechnung vom
17.03.2005 in Höhe von 1.022,00 Euro netto freizustellen und an die
Antragstellerin einen Betrag von 6,60 Euro netto zu zahlen.
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Die Arbeitgeberin hat beantragt,
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den Antrag abzuweisen.
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Sie hat die Meinung vertreten, die Teilnahme der Antragstellerin an der besagten
Schulung sei nicht erforderlich gewesen. So habe diese selbst seit ihrem Eintritt in den
Betriebsrat an verschiedenen Seminaren teilgenommen, zum Beispiel im Oktober 2002
an einer zweitägigen Firmenveranstaltung zum Thema "Gestaltung der Schichtarbeit bei
N3xxx" und im November 2004 an einem Seminar mit dem Thema "Menschengerechte
Arbeitszeit und Arbeitsplatzgestaltung".
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Abgesehen davon hätten andere Mitglieder des Betriebsrates an Schulungen speziell
zu Fragen der Arbeitszeitgestaltung teilgenommen.
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Insoweit ist unstreitig, dass Betriebsratsmitglieder in der Vergangenheit an folgenden
einschlägigen Schulungsveranstaltungen teilgenommen haben:
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- Schichtplangestaltung für Profis, Februar 2005
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R3xxxx G5xx, M6xxxxxx J1xxxx
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- Menschengerechte Arbeitszeiten und Arbeitsplatzgestaltung, November 2004
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Antragstellerin, W1xxxxxx E1xxxxxxxx, R3xxxxx P1xxxxxx
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- Flexible Arbeitszeiten, Arbeitszeitkonten und Beschäftigungssicherung, Juni 2004
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S5xxxxx B5xxxx, R3xxxxx P1xxxxxx, C4xxxxxxx L1xxx, N3xxxxx H7xxx-K5xx,
M6xxxxxx J1xxxx
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- Flexible Arbeitszeiten, Oktober 2003
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R4xxxx G5xx, M6xxxxxx J1xxxx
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- Arbeitszeitregelungen im Betrieb, Mai 2003
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R3xxxxx P1xxxxxx
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- Einführung in die Mitbestimmung zum Arbeits- und Gesundheitsschutz, Oktober
2002
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Antragstellerin, R3xxxxx P1xxxxxx, S5xxxxx B5xxxx, N3xxxxx H7xxx-K5xx
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Angesichts dieser bereits durchgeführten Schulungsmaßnahmen und des Umstandes,
dass die Antragstellerin lediglich Mitglied der begleitenden Arbeitsgruppe gewesen sei,
müsse die Erforderlichkeit verneint werden.
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Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 03.11.2005 den Antrag abgewiesen. Zur
Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Betriebsrat habe in Person
mehrerer zuvor bereits geschulter, in den zuständigen Gremien zum Einsatz
gekommener Mitglieder über hinreichenden Sachverstand für die Wahrnehmung der
Aufgaben im Bereich der Schichtarbeit verfügt. Für die Mitwirkung der Antragstellerin in
der projektbegleitenden Arbeitsgruppe habe es des fraglichen Seminarinhalts nicht
(mehr) bedurft. Denn für Folgerungen aus den Ergebnissen der Arbeitsgruppe,
namentlich für Verhandlungen über eventuelle Modifikationen, sei der
Betriebsausschuss zuständig gewesen.
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Gegen diesen ihr am 24.11.2005 zugestellten Beschuss hat die Antragstellerin am
19.12.2005 Beschwerde eingelegt und diese am 23.01.2006 begründet.
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Sie weist darauf hin, dass nach der Berufung in die Arbeitsgruppe ihr erst die
Seminarteilnahme ermöglicht habe, mit "geschärftem Blick" die Auswirkungen des
Pilotprojekts in ihrer Schicht zu erkennen und ggfls. gezielt Problempunkte ansprechen
zu können. Andere Schulungen, an denen sie zuvor teilgenommen habe, hätten sich
nicht auf die einschlägige Schichtarbeitsproblematik bezogen.
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Die Antragstellerin beantragt,
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den Beschluss des Arbeitsgerichts Bochum vom 03.11.2005 – 3 BV 68/05 –
abzuändern und die Arbeitgeberin zu verpflichten, die Antragstellerin von dem
Anspruch der IG Metall, Bildungszentrum Sprockhövel, gemäß deren
Rechnung vom 17.03.2005, Rechnungs-Nummer: 1200476, in Höhe von
1.022,00 € netto und von der Rechnung vom gleichen Datum, Rechnungs-
Nummer: 1200479, in Höhe von 6,60 € netto freizustellen.
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Die Arbeitgeberin beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Sie hebt unter anderem hervor, dass der Arbeitsgruppe keine maßgeblichen Aufgaben
bei der Ausgestaltung des neuen Schichtmodells zugekommen seien. Vielmehr habe
sie nur die Erfahrungen aus dem Pilotmodell auszuwerten gehabt. Im Übrigen hätte
dieser Arbeitsgruppe die Betriebsratsmitglieder A1xxxxxxx und G4xxxxx mit
Spezialkenntnissen zum Themenbereich Schichtplangestaltung angehört.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der gewechselten
Schriftsätze nebst deren Anlagen ergänzend Bezug genommen.
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II.
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Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
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Die Antragstellerin hat gegenüber der Arbeitgeberin keinen aus § 40 Abs. 1 BetrVG
ableitbaren Anspruch auf Übernahme der geltend gemachten Kosten für die Teilnahme
an der einwöchigen Schulungsveranstaltung "Schichtplangestaltung" vom 27.02. bis
04.03.2005 in Sprockhövel. Die Voraussetzungen des § 37 Abs. 6 S. 1 BetrVG liegen
nämlich nicht vor.
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Nach der zutreffenden ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (z.B. AP
BetrVG 1972 § 37 Nr. 136, 106, 67) ist die Vermittlung von Fähigkeiten und Kenntnissen
nur dann im Sinne des § 37 Abs. 6 S. 1 BetrVG erforderlich, wenn sie unter
Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse im Betrieb und im Betriebsrat notwendig
sind, damit letzterer seine derzeitigen und demnächst anfallenden Aufgaben
ordnungsgemäß erledigen kann. Für die Frage, ob eine sachgerechte Wahrnehmung
der Aufgaben gerade die Schulung des entsandten Betriebsratsmitglieds erforderlich
macht, ist entscheidend auf den Wissensstand des Betriebsrates insgesamt und die
innerhalb dieses Gremiums vorgenommene Aufgabenverteilung abzustellen (vgl. BAG
AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 106).
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Nach diesen Grundsätzen durfte hier der Betriebsrat im Rahmen des ihm zustehenden
Beurteilungsspielraums bei der Beschlussfassung am 08.12.2004 die Schulung der
Antragstellerin nicht für erforderlich halten.
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Dagegen spricht, dass die Antragstellerin nach dem vom Betriebsrat gefassten
Beschlüssen nicht zum Kreis der Amtsträger gehörte, die für die Arbeitnehmervertretung
die gesetzlichen Aufgaben in Zusammenhang mit der Einführung eines neuen
Schichtmodells im Bereich "ENO" wahrnehmen sollten.
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Hierzu waren in erster Linie die sieben Mitglieder des Betriebsausschusses berufen, die
ab Mitte September 2004 die Verhandlungen über die Einführung eines Test-
Schichtmodells führten und auch zum Abschluss brachten. Dazu gehörten namentlich
auch die Betriebsratsvorsitzende A1xxxxxxx und ihr Stellvertreter G4xxxxx, die dann
Anfang Dezember – zusammen mit der Antragstellerin – ebenfalls zu Mitgliedern der
projektbegleitenden Arbeitsgruppe bestellt wurden.
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An diese Organisationsentscheidung muss sich der Betriebsrat im Rahmen des § 37
Abs. 6 S. 1 BetrVG festhalten lassen, wenn es darum geht, festzulegen, für welche
Betriebsratsmitglieder in dieser Situation noch eine einwöchige Spezialschulung zu
Fragen der Schichtarbeit erforderlich war.
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Hier ist nichts dafür ersichtlich, dass es am 08.12.2004, als sich die Betriebspartner auf
die Durchführung eines Test-Schichtmodells ab 01.01.2005 geeinigt hatten, für die
Aufrechterhaltung einer kompetenten Betriebsratsarbeit in diesem Bereich noch
erforderlich war, weitere Mitglieder des insgesamt 21 Personen umfassenden
Betriebsrates zu Fragen der Schichtplangestaltung schulen zu lassen. Denn es gab
namentlich auch in der Arbeitsgruppe ausreichend durch vorangegangene Schulungen
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und praktische Arbeiten sachkundig gewordene Mitglieder, namentlich die
Betriebsratsvorsitzende und ihr Stellvertreter, die die noch anfallenden Aufgaben bis
zum Abschluss der Betriebsvereinbarung am 02.08.2005 erledigen konnten.
Gegebenenfalls hätte sich deshalb die Antragstellerin, wenn sie bei der Kontrolle der
Auswirkungen des Pilotprojekts in ihrer Schicht Problempunkte ausgemacht hätte, an
die beiden mit der entsprechenden Sachkunde ausgestatteten Betriebsrats-Kollegen
wenden können. Offensichtlich hat ja auch das vorhandene Wissen in den ersten drei
Monaten seit der Konstituierung der Arbeitsgruppe am 08.12.2004 bis zum Abschluss
der Schulungsmaßnahme am 04.03.2005 ausgereicht, um die angefallenen Aufgaben
sachgerecht erledigen zu können.
Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde sind nicht gegeben.
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Dr. Müller
Schreckenberg
Heer
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