Urteil des LAG Hamm vom 18.12.2008

LArbG Hamm: treu und glauben, schutz des arbeitnehmers, verbot der diskriminierung, behinderung, beachtliche gründe, geschäftsführender gesellschafter, buchhaltung, familienbetrieb, arbeitsgericht

Landesarbeitsgericht Hamm, 15 Sa 838/08
Datum:
18.12.2008
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
15. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
15 Sa 838/08
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Herne, 2 Ca 3150/07
Schlagworte:
Treuwidrige Kündigung
Normen:
§ 242 BGB
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Herne
vom 08.04.2008 - 2 Ca 3150/07 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten um die Wirksamkeit zweier betriebsbedingter Kündigungen und um
Weiterbeschäftigung.
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Die am 13.11.1951 geborene Klägerin war seit dem 01.02.1988 als Bürokauffrau bei der
Beklagten beschäftigt. Ihr durchschnittliches Monatsgehalt betrug zuletzt 2.209,16 EUR
brutto. Mit Bescheid vom 31.07.2007 wurde bei der Klägerin ein Grad der Behinderung
von 30 festgestellt. Sowohl ein am 09.08.2007 durch die Klägerin gestellter
Gleichstellungsantrag als auch ein am 08.09.2007 gestellter Verschlimmerungsantrag
sind inzwischen bestandskräftig abgewiesen worden.
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Die Beklagte beschäftigt regelmäßig weniger als 5 Arbeitnehmer. Ein Betriebsrat ist
nicht gewählt.
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Mit Schreiben vom 30.11.2007, das der Klägerin am selben Tage zuging, erklärte die
Beklagte die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.05.2008. Hiergegen richtet
sich die am 05.12.2007 beim Arbeitsgericht Herne eingegangene Feststellungsklage.
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Auf Antrag der Beklagten stellte das Integrationsamt Westfalen mit Bescheid vom
19.12.2007 fest, dass der besondere Kündigungsschutz nach dem Sozialgesetzbuch IV
im Falle der Klägerin nicht greift. Nachdem der Beklagten dieses sogenannte Negativ-
Attest zugestellt worden war, erklärte sie mit Schreiben vom 21.12.2007, das der
Klägerin am 24.12.2007 zuging, vorsorglich eine weitere Kündigung zum 30.06.2008.
Hiergegen richtet sich die am 03.01.2008 klageerweiternd erhobene Feststellungsklage
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der Klägerin.
Die Klägerin hat zur Begründung ihrer Klage vorgetragen, zu ihren wesentlichen
Tätigkeiten habe die interne Buchführung einschließlich der Überwachung der
Debitoren, Kreditoren und der Banken gehört. Sie habe die komplette Buchführung für
den Steuerberater vorbereitet. Außerdem habe sie Lohnabrechnungen einschließlich
der Meldungen an die Krankenkassen, die Lohnsteueranmeldung für das Finanzamt
und alle sonstigen anfallenden Arbeiten der Personalabteilung erledigt.
Lohnabrechnungen habe sie wöchentlich anhand von Wochenzetteln erstellt, um so
kurzfristig Nachtragskalkulationen zu ermöglichen. Innerhalb der Auftrags- und
Projektbearbeitung habe sie mit einer branchenspezifischen Software Angebote,
Lieferscheine und Rechnungen erstellt. Der gesamte Schriftverkehr der Beklagten sei
selbständig von ihr, der Klägerin, erledigt worden. Daneben habe sie alle allgemeinen
Büroarbeiten wie Kassenführung, Einkauf von Büromaterial, Bedienen der
Telefonanlage und die gesamte Ablage erledigt. Soweit die Beklagte behaupte, die
Lohnbuchhaltung sei ausgelagert worden, mache dies nur einen Teil ihrer Arbeit aus.
Die anderen Tätigkeiten seien jedoch so spezifisch, dass sie nicht auswärtig erledigt
werden könnten. Tatsächlich sei es so, dass der Sohn des Geschäftsführers der
Beklagten ihren Arbeitsplatz übernehmen solle. Dabei handele es sich um den 25-
jährigen, unverheirateten und kinderlosen T2 B3, der sich in einem ungekündigten
Arbeitsverhältnis bei der Firma R4 befinde. Herr T2 B3 werde bereits seit Juli 2007 auf
der Basis eines 400-Euro-Vertrages eingearbeitet, um ihren Arbeitsplatz zu
übernehmen. Bei dem Vortrag der Beklagten, ihr Arbeitsplatz sei weggefallen bzw.
werde ausgelagert, handele es sich um einen vorgeschobenen Kündigungsgrund. In
Wahrheit solle sie, die Klägerin, gegen den Sohn des Geschäftsführers ausgetauscht
werden.
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Ein sachlicher Grund für diese Maßnahme der Beklagten sei nicht gegeben. Mit
Nichtwissen werde bestritten, dass ihr Arbeitsplatz weggefallen sei. Auch wenn das
Kündigungsschutzgesetz nicht anwendbar sei, sei im Rahmen der zivilrechtlichen
Generalklauseln (§§ 242, 138 BGB) zum Schutz der Arbeitnehmer vor einer sitten- und
treuwidrigen Ausübung des Kündigungsrechts des Arbeitgebers auch der objektive
Gehalt der Grundrechte zu beachten, so dass der verfassungsrechtlich gebotene
Mindestschutz des Arbeitsplatzes vor Verlust durch private Disposition in jedem Fall
gesichert sei. Vorliegend habe die Beklagte keinen einleuchtenden Grund für ihre
Kündigung dargelegt. Mit Nichtwissen werde bestritten, dass ihr Arbeitsplatz
weggefallen sei. Zu berücksichtigte sei das in 20-jähriger Betriebszugehörigkeit erdiente
Vertrauen in den Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses. Dieses Vertrauen wiege umso
schwerer, als sie, die Klägerin, mit 57 Jahren in die Arbeitslosigkeit entlassen werde.
Aufgrund ihres Alters und ihrer Behinderung werde sie keinen neuen Arbeitsplatz mehr
finden. Vor diesem Hintergrund müsse die Beklagte sich den Vorwurf willkürlicher,
sachfremder und diskriminierender Ausübung des Kündigungsrechts gefallen lassen.
Es widerspreche dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden, eine erprobte
und bewährte Arbeitnehmerin nach Jahrzehnten der Betriebszugehörigkeit in die
Arbeitslosigkeit und die absehbare staatliche Fürsorge zu entlassen, um im Gegenzug
ohne Not einen Jüngeren einzustellen. Die Kündigung verstoße deshalb auch gegen
das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters und der Behinderung.
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Hintergrund der Kündigung sei nicht die Ausgliederung der Buchhaltung und der
Lohnbuchhaltung an einen externen Dienstleister, die mit Nichtwissen bestritten werde
und auch nur etwa 30 % ihrer Tätigkeit umfasst habe. Die übrigen Tätigkeiten sollten
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ohnehin unstreitig nicht ausgelagert werden. Im Gegenzug kämen nach dem
Sachvortrag der Beklagten neue Aufgaben hinzu, die von ihr, der Klägerin, im Rahmen
des bestehenden Arbeitsverhältnisses hätten übernommen werden können.
Ob und inwieweit eine angeblich geplante Betriebsnachfolge im Hinblick auf den Sohn
des Geschäftsführers T2 B3 ihr Ausscheiden erforderlich gemacht habe, sei nicht
ersichtlich. Es bleibe dabei, dass auf demselben Arbeitsplatz ohne sachlichen Grund
sie, die Klägerin, gegen den Sohn des Geschäftsführers der Beklagten ausgetauscht
werden solle, mit dem sie vergleichbar sei. Sie und der Sohn des Geschäftsführers
seien von ihrer Ausbildung her Bürokaufleute. Das Aufgabengebiet sei jeweils der
Verwaltungsbereich bei der Beklagten. Der Sohn des Geschäftsführers verfüge über
keine Kenntnisse und Fertigkeiten, die sie, die Klägerin, nicht auch besitze bzw. sich
kurzfristig aneignen könne.
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Von einer völligen Umstrukturierung im Betrieb der Beklagten könne nicht ausgegangen
werden. Soweit es sich hierbei um die angebliche Auslagerung der Buchhaltung und
Lohnbuchhaltung, die Einführung eines Internet-Shops sowie die Umstellung der
Lagerhaltung auf IT-Systeme handeln solle, stelle sich lediglich die Frage der
Ausgestaltung ihres Arbeitsplatzes. Hierbei handele es sich um Aufgaben, die sie
aufgrund ihrer jahrzehntelangen Berufserfahrung problemlos erledigen könne. Von
einem Wegfall des Arbeitsplatzes könne also keine Rede sein.
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Die Klägerin hat beantragt,
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1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die
arbeitgeberseitige Kündigung vom 30.11.2007, zugegangen am 30.11.2007,
nicht aufgelöst werden wird,
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2. die beklagte Partei zu verurteilen, sie zu den bisherigen Bedingungen als
Bürokauffrau über den 31.05.2008 hinaus zu beschäftigen,
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3. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch
die weitere arbeitgeberseitige Kündigung vom 21.12.2007, zugegangen am
24.12.2007, aufgelöst werden wird,
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4. die Beklagte zu verurteilen, sie zu den bisherigen Bedingungen als
Bürokauffrau über den 30.06.2008 hinaus zu beschäftigen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat vorgetragen, sie unterhalte einen Familienbetrieb. Die Planung sei ursprünglich
dahingegangen, den Sohn des Geschäftsführers C2 B3 in den Betrieb aufzunehmen.
Dieser habe den technischen Bereich des Betriebes übernehmen sollen. Des Weiteren
sei beabsichtigt gewesen, auch den zweiten Sohn T2 B3 in den Betrieb aufzunehmen,
um mittelfristig auf beide das Familienunternehmen zu übertragen. Diese Planung habe
sich im Februar 2007 zerschlagen. Ihr, der Beklagten, Geschäftsführer habe sich im
Frühjahr 2007 mit der Zukunft seines Betriebes auseinandergesetzt und entschieden,
sich zukünftig gemäß seiner Ausbildung, seinen Fähigkeiten und seiner
Berufserfahrung wieder schwerpunktmäßig mit den Bereich Akquisition und
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Betriebstechnik zu befassen. Soweit er sich in der Vergangenheit auch um
administrative Dinge gekümmert habe, sollten diese zukünftig vom Sohn T2 B3 erledigt
werden, der nach Ausscheiden der Klägerin in den Betrieb eintreten werde. T2 B3
werde den Betrieb übernehmen und sich aufgrund seiner Ausbildung als Bürokaufmann
und einer Fortbildung als Betriebswirt des Handwerks um die Verwaltung des
Unternehmens kümmern. Richtig sei, dass er in diesem Zusammenhang Teile der
Arbeiten, die bisher von der Klägerin wahrgenommen worden seien, übernehmen
werde. Hierbei handele es sich aber nicht um den Schwerpunkt seiner Tätigkeit, weil die
Buchhaltung und die Lohnbuchhaltung an externe Dienstleister ausgelagert würden. T2
B3 solle sich zukünftig ergänzend insbesondere um einen beabsichtigten Internet-Shop
kümmern. Ferner sei beabsichtigt, die Lagerverwaltung auf IT-Systeme umzustellen.
Unabhängig davon, ob und inwieweit ihr, der Beklagten, geschäftsführender
Gesellschafter bereits an sich berechtigt sei, eine solche Nachfolgeentscheidung zu
treffen und Aufgaben an seinen Sohn zu übertragen, sei die Klägerin auch nicht in der
Lage, die vorgenannten zusätzlichen Arbeiten zu erfüllen.
Entgegen der Auffassung der Klägerin seien die Kündigungen, auf die das
Kündigungsschutzgesetz nicht anzuwenden sei, nicht aus anderen Gründen als
rechtsunwirksam anzusehen. Ein Unternehmer habe ein verfassungsrechtlich
geschütztes Interesse daran, im Rahmen eines Kleinbetriebes in einem besonderen
Vertrauensverhältnis zu ihm stehende, einzelne Mitarbeiter selbst zu bestimmen. Infolge
dessen könnten Kündigungen in Kleinbetrieben lediglich daraufhin überprüft werden, ob
diese auf willkürlichen oder sachfremden Motiven beruhten. Davon könne vorliegend
nicht ausgegangen werden. In der Beschäftigung des Sohnes ihres Geschäftsführers
liege keine Willkür; denn es sei eine Betriebsübernahme durch den Sohn des
Geschäftsführers beabsichtigt. Die Unternehmensnachfolge solle langfristig geplant
werden und werde auch umgesetzt. Sie diene der Firmenfortführung und damit der
Sicherung der übrigen Arbeitsplätze. Eine Diskriminierung der Klägerin sei hierin nicht
zu sehen.
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Durch Urteil vom 08.04.2008 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Gegen diese
Entscheidung, die der Klägerin am 29.04.2008 zugestellt worden ist, richtet sich die
Berufung der Klägerin, die am 28.05.2008 beim Landesarbeitsgericht eingegangen und
– nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 30.07.2008 – am
30.07.2008 begründet worden ist.
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Die Klägerin vertritt unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen
Vorbringens weiterhin die Auffassung, die Kündigungen der Beklagten seien als
rechtsunwirksam anzusehen. Soweit die Beklagte geltend mache, die Buchführung
solle ausgelagert werden, betreffe dies lediglich 20 – 30 % ihrer Tätigkeit. Die übrigen
Aufgaben im Bereich der allgemeinen Büroarbeit sowie die Auftrags- und
Projektbearbeitung blieben unstreitig bestehen. Die angeblich beabsichtigte "völlige
Umstrukturierung" des Betriebes der Beklagten stehe ihrer Weiterbeschäftigung nicht im
Wege. Sie sei aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung als IT-Anwenderin sehr wohl in der
Lage, nach entsprechender Einweisung einen Internet-Shop zu pflegen und zu
betreiben. Sie könne ebenfalls eine IT-gestützte Lagerhaltung realisieren.
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Soweit die Beklagte vortrage, sie wolle den Sohn ihres Geschäftsführers T2 B3 in ihren
Betrieb holen, fehle jeder Vortrag, warum hierdurch ihr Arbeitsplatz entfalle. Die
Beklagte habe keinen "irgendwie einleuchtenden Grund" für die Kündigungen
vorgetragen. Richtig sei zwar, dass es grundsätzlich dem Arbeitnehmer obliege,
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darzulegen und zu beweisen, dass eine Kündigung nach § 242 BGB treuwidrig sei.
Allerdings werde der verfassungsrechtlich gebotene Schutz des Arbeitnehmers
außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes dadurch gewährleistet, dass die Grundsätze
der abgestuften Darlegungs- und Beweislast anzuwenden seien. Sie, die Klägerin, habe
unbestritten vorgetragen, dass der 25-jährige unverheiratete und kinderlose Sohn T2
B3, der sich zum Zeitpunkt der Kündigungen in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis
bei der Firma R4 befunden habe, bereits seit dem 01.07.2007 auf 400-Euro-Basis auf
ihrem Arbeitsplatz eingearbeitet werde, um diesen später zu übernehmen. Die Beklagte
wolle also den sozial stärkeren Sohn T2 B3 gegen sie, die Klägerin, austauschen.
Soweit die zusätzlichen und neuen Aufgaben in Frage stünden, die der Sohn T2 B3
übernehmen solle, habe sie dargelegt, dass sie diese ebenso gut ausführen könne. Die
Beklagte habe nicht dargelegt, warum der angebliche Einstieg des Sohnes T2 B3 ihre
Beschäftigung ausschließe.
Sie, die Klägerin, habe bereits erstinstanzlich vorgetragen, dass der wahre
Kündigungsgrund in ihren behinderungs- und krankheitsbedingten Fehlzeiten liege. Vor
diesem Hintergrund stellten sich die Kündigungen als Verstoß gegen das
Diskriminierungsverbot wegen Alters und Behinderung dar.
24
Die Klägerin beantragt,
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unter Abänderung des am 08.04.2008 verkündeten Urteils des
Arbeitsgerichts Herne – 2 Ca 3150/07 –
26
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die
arbeitgeberseitige Kündigung vom 30.11.2007, zugegangen am 30.11.2007,
nicht aufgelöst worden ist,
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die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin zu den bisherigen Bedingungen als
Bürokauffrau über den 31.05.2008 hinaus zu beschäftigen,
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festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch
die weitere arbeitgeberseitige Kündigung vom 21.12.2007, zugegangen am
24.12.2007, aufgelöst worden ist.
29
Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
31
Sie verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil und trägt vor, sie habe ihr Kündigungsrecht
nicht willkürlich, sachfremd oder diskriminierend ausgeübt. Denn sie habe hierfür einen
einleuchtenden Grund gehabt. Die Entscheidung, den Sohn ihres Geschäftsführers in
den Familienbetrieb zu holen und ihm entsprechend Aufgaben zu übertragen, sei eine
gerade in einem Familienbetrieb nachvollziehbare unternehmerische Entscheidung. Die
Ausführungen der Klägerin, die Kündigungen seien wegen krankheitsbedingter
Fehlzeiten erfolgt, beruhten auf Spekulationen und könnten nicht mit der nötigen
Evidenz darlegen, dass sie, die Beklagte, das erforderliche Mindestmaß an sozialer
Rücksichtnahme außer Acht gelassen habe. Kündigungsgrund sei allein der Wegfall
des Arbeitsplatzes der Klägerin gewesen, da die Buchhaltung an das Steuerbüro
ausgelagert und die übrigen Tätigkeiten vom Sohn ihres Geschäftsführers übernommen
werden sollten.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den
vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
33
Entscheidungsgründe
34
I
35
Die Berufung der Klägerin ist an sich statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und
begründet worden.
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II
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Der Sache nach hat die Berufung keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu
Recht abgewiesen. Denn das Arbeitsverhältnis ist durch die Kündigung der Beklagten
vom 30.11.2007 mit Ablauf des 31.05.2008 aufgelöst worden.
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1. Die Kündigung vom 30.11.2007 bedurfte zu ihrer Wirksamkeit nicht gemäß § 85 SGB
IX der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Denn die Klägerin hat keinen
Grad der Behinderung von mindestens 50 und ist auch einem schwerbehinderten
Menschen nicht gleichgestellt. Sie hat im Termin vom 18.12.2008 vor der erkennenden
Kammer erklärt, sowohl ihr Antrag auf Gleichstellung gemäß § 68 SGB IX vom
09.08.2007 als auch ihr Verschlimmerungsantrag vom 08.09.2007 seien
zwischenzeitlich bestandskräftig zurückgewiesen worden.
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2. Die Kündigung vom 30.11.2007 ist nicht aus Gründen außerhalb des
Kündigungsschutzgesetzes, das streitlos auf das Arbeitsverhältnis keine Anwendung
findet, als unwirksam anzusehen.
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a) Die auch außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes gebotene Berücksichtigung des
durch langjährige Beschäftigung entstandenen Vertrauens erfordert, dass der Grund für
Kündigungen gegenüber langjährig beschäftigten Arbeitnehmern auch angesichts der
Betriebszugehörigkeit "einleuchten" muss (so BAG, Urteil vom 28.08.2003 – 2 AZR
333/02 -, AP Nr. 17 zu § 242 BGB Kündigung). Insbesondere bei
Auswahlentscheidungen hat auch der Arbeitgeber im Kleinbetrieb, für den der erste
Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes nicht gilt, das gebotene Mindestmaß an
sozialer Rücksichtnahme zu wahren. Eine Kündigung, die diesen Anforderungen nicht
entspricht, verstößt gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) und ist deshalb unwirksam.
Ist bei einem Vergleich der grundsätzlich von dem gekündigten Arbeitnehmer
vorzutragenden Sozialdaten evident, dass dieser erheblich schutzbedürftiger als ein
vergleichbarer weiterbeschäftigter Arbeitnehmer ist, so spricht dies zunächst dafür, dass
der Arbeitgeber das gebotene Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme außer Acht
gelassen hat Setzt der Arbeitgeber dem schlüssigen Sachvortrag des Arbeitnehmers
weitere (betriebliche, persönliche etc.) Gründe entgegen, die ihn zu der getroffenen
Auswahl bewogen haben, so hat unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben eine
Abwägung zu erfolgen. Dabei ist zu prüfen, ob auch unter Einbeziehung der vom
Arbeitgeber geltend gemachten Gründe die Kündigung die sozialen Belange des
betroffenen Arbeitnehmers in treuwidriger Weise unberücksichtigt lässt. Der
unternehmerischen Freiheit des Arbeitgebers im Kleinbetrieb kommt bei dieser
Abwägung ein erhebliches Gewicht zu (vgl. BAG, Urteil vom 21.02.2001 – 2 AZR 15/00
– NZA 2001, 833 m.w.N.; Urteil vom 06.02.2003 – 2 AZR 672/01, NZA 2003, 717).
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Den Arbeitnehmern in Kleinbetrieben ist danach das größere rechtliche Risiko eines
Arbeitsplatzverlustes angesichts der schwerwiegenden und grundrechtlich geschützten
Belange der Arbeitgeber zuzumuten. Allerdings sind sie nicht völlig schutzlos gestellt.
Im Rahmen der zivilrechtlichen Generalklauseln ist der objektive Gehalt der
Grundrechte, hier vor allem aus Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz, zu beachten. Wie weit der
Schutz des Arbeitnehmers in einem Kleinbetrieb reicht, ist von den Arbeitsgerichten zu
entscheiden. Ausgangspunkt einer solchen Würdigung muss der Respekt vor der
gesetzgeberischen Eingrenzung des gesetzlichen Kündigungsschutzes in § 23 Abs. 1
KSchG sein. Der durch die Generalklauseln vermittelte Schutz darf nicht dazu führen,
dass dem Kleinunternehmer praktisch die im Kündigungsschutzgesetz vorgegebenen
Maßstäbe der Sozialwidrigkeit auferlegt werden. Darüber hinaus wirkt der Schutz dieser
Generalklauseln umso schwächer, je stärker die mit der Kleinbetriebsklausel
geschützten Grundrechtspositionen des Arbeitgebers im Einzelfall betroffen sind. In
sachlicher Hinsicht geht es darum, Arbeitnehmer vor willkürlichen oder auf sachfremden
Motiven beruhenden Kündigungen zu schützen, zum Beispiel vor Diskriminierungen im
Sinne von Art. 3 Grundgesetz (so BAG, Urteil vom 21.02.2001 – 2 AZR 15/00 – NZA
2001, 833 ff. m.w.N.).
42
b) Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
sowie des Bundesarbeitsgerichts, der die erkennende Kammer sich anschließt, kann
die Kündigung vom 30.11.2007 nicht als unwirksam angesehen werden. Denn sie
verstößt nicht gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB).
43
aa) Soweit die Beklagte geltend macht, sie habe Teile der Tätigkeiten, die die Klägerin
bisher ausgeübt habe, ihrem Steuerberatungsbüro als externem Dienstleister
übertragen, könnte diese unternehmerische Entscheidung selbst bei Geltung des
Kündigungsschutzgesetzes grundsätzlich nicht beanstandet werden. Solche
Maßnahmen können allenfalls dann in Frage gestellt werden, wenn sie offenbar
unsachlich, unvernünftig oder willkürlich sind (sogenannte Mißbrauchskontrolle; vergl.
KR-Griebeling, 8. Aufl., § 1 KSchG Rdnr. 522 m.w.N.). Dahingehende Anhaltspunkte
sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
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bb) Soweit die Beklagte die weiteren Tätigkeiten, welche die Klägerin in der
Vergangenheit im Betrieb der Beklagten ausgeführt hat, dem Sohn ihres
Geschäftsführers T2 B3 übertragen hat, so dass hierdurch das Bedürfnis zur
Beschäftigung der Klägerin entfallen ist, kann auch diese Maßnahme nicht beanstandet
werden.
45
(1) Zwar ist die Klägerin 57 Jahre alt und seit dem 01.02.1988 bei der Beklagten
beschäftigt. Darüber hinaus hat sie einen Grad der Behinderung von 30. Demgegenüber
ist der Sohn des Geschäftsführers der Beklagten T2 B3 erst 25 Jahre alt, unverheiratet,
kinderlos und befand sich zuletzt in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis bei der
Firma R4. Bei einem Vergleich dieser Sozialdaten ist evident, dass die Klägerin sozial
erheblich schutzbedürftiger ist als der Sohn des Geschäftsführers der Beklagten T2 B3.
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(2) Die Beklagte hat aber weitere beachtliche Gründe dargelegt, die sie bei der Auswahl
bewogen haben, die in ihrem Betrieb weiterhin anfallenden kaufmännischen Tätigkeiten
in Zukunft nicht durch die Klägerin, sondern durch den Sohn ihres Geschäftsführers T2
B3 ausführen zu lassen.
47
(a) Die Beklagte hat unter Darlegung der Planungen zur Fortführung ihres
Familienbetriebes vorgetragen, sie habe mit dieser Entscheidung das Ziel verfolgt, den
Sohn ihres Geschäftsführers in den Betrieb zu holen und ihm entsprechende Aufgaben
zu übertragen, da dieser den Betrieb fortführen und übernehmen solle. Die Beklagte
weist zutreffend darauf hin, dass hierin eine nachvollziehbare, jedenfalls nicht
treuwidrige unternehmerische Entscheidung zu sehen ist.
48
(b) Da dem Arbeitnehmer die Beweislast für die von ihm geltend gemachte
Treuwidrigkeit der Kündigung trifft, muss er, wenn der Arbeitgeber Tatsachen vorträgt,
die die Treuwidrigkeit ausschließen, Gegentatsachen vortragen oder zumindest die vom
Arbeitgeber behaupteten Tatsachen substantiiert bestreiten und für die Gegentatsachen
sowie für sein Bestreiten selbst Beweis anbieten (vgl. BAG, Urteil vom 28.08.2003 – 2
AZR 333/02 -, AP Nr. 17 zu § 242 BGB Kündigung unter Ziff. 4 der Orientierungssätze).
Diesen Anforderungen wird das Vorbringen der Klägerin nicht gerecht. Insbesondere
fehlt es an jedem Beweisantritt, soweit die Klägerin bestreiten will, dass der Sohn des
Geschäftsführers der Beklagten T2 B3 den Familienbetrieb übernehmen und fortführen
soll.
49
(c) Angesichts dessen musste die Kammer davon ausgehen, dass die
Auswahlentscheidung zwischen der Klägerin und dem Sohn des Geschäftsführers der
Beklagten T2 B3 von der Absicht getragen war, die Fortführung des Familienbetriebes
mit derzeit vier Beschäftigten zu sichern. Unter Einbeziehung dieser besonderen
persönlichen Gründe, welche die Beklagte bewogen haben, nicht die Klägerin, sondern
den Sohn des Geschäftsführers der Beklagten T2 B3 weiter zu beschäftigen, kann in der
Kündigung vom 30.11.2007 kein Verstoß gegen Treu und Glauben gesehen werden.
Der Kammer ist dabei bewusst, dass diese Entscheidung die Klägerin angesichts ihres
Alters und ihrer Behinderung sowie der Situation auf dem Arbeitsmarkt hart trifft.
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Andererseits gilt es zu bedenken, dass die Planungen der Beklagten hinsichtlich der
Übernahme und Fortführung ihres Familienunternehmens durch den Sohn ihres
Geschäftsführers T2 B3 in Frage gestellt würden, falls sie gezwungen wäre, die Klägerin
weiter zu beschäftigen. Da der verfassungsrechtlich gebotene Mindestschutz vor Verlust
des Arbeitsplatzes durch private Dispositionen auch außerhalb der Geltung des
Kündigungsschutzgesetzes umso schwächer wird, je stärker die mit der
Kleinbetriebsklausel geschützten Grundrechtspositionen des Arbeitgebers im Einzelfall
betroffen sind, muss die Klägerin unter den hier gegebenen Umständen die in der
Kündigung vom 30.11.2007 zum Ausdruck kommende unternehmerische Maßnahme
zur Sicherung der Weiterführung des Familienbetriebes der Beklagten hinnehmen.
51
3. Die Kündigung vom 30.11.2007 verstößt auch nicht gegen §§ 7, 1 AGG. Wie oben
ausgeführt wurde, ist unter Berücksichtigung der Verteilung der Darlegungs- und
Beweislast davon auszugehen, dass die Kündigung der Klägerin ausgesprochen
worden ist, damit der Sohn des Geschäftsführers der Beklagten T2 B3 zur Sicherung der
Nachfolge und Fortführung des Familienunternehmens statt der Klägerin
weiterbeschäftigt werden kann. In dieser Entscheidung der Beklagten ist keine
Benachteiligung der Klägerin wegen ihres Alters oder ihrer Behinderung zu sehen.
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Soweit die Klägerin auf ihre krankheitsbedingten Fehlzeiten in der Vergangenheit
verweist, kann dies keine andere Beurteilung rechtfertigen. Auch unter der Geltung des
Kündigungsschutzgesetzes wäre die Klägerin nicht vor einer krankheitsbedingten
Kündigung geschützt gewesen, falls die Beklagte eine solche hätte aussprechen
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wollen. Eine Benachteiligung wegen des Alters der Klägerin oder ihrer Behinderung
wäre hierin grundsätzlich nicht zu sehen.
Angesichts eines Grades der Behinderung von 30 wäre eine solche Kündigung auch
nicht nach Maßgabe des SGB IX als unwirksam anzusehen. Außerhalb des
Geltungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes kann nichts anderes gelten.
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4. Ist das Arbeitsverhältnis bereits durch die Kündigung vom 30.11.2007 mit Ablauf des
31.05.2008 aufgelöst worden, so kommt es auf die Wirksamkeit der vorsorglich
ausgesprochenen Kündigung vom 21.12.2007 nicht an.
55
5. Wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Ablauf des 31.05.2008 hat die
Klägerin auch keinen Anspruch auf Weiterbeschäftigung über diesen Zeitpunkt hinaus.
56
III
57
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
58
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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