Urteil des LAG Hamm vom 21.07.2006

LArbG Hamm (gewerkschaft, arbeitsgericht, anwaltliche vertretung, bag, betrieb, treu und glauben, höhe, betriebsrat, verhältnis zwischen, arbeitgeber)

Landesarbeitsgericht Hamm, 10 TaBV 11/06
Datum:
21.07.2006
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
10. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
10 TaBV 11/06
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Herford, 1 BV 11/05
Nachinstanz:
Bundesarbeitsgericht, 9 ABR 59/06 Beschwerde zurückgewiesen
02.10.2007
Schlagworte:
Anspruch der Gewerkschaft auf Erstattung von Anwaltskosten zur
Durchsetzung des Zugangsrechts materiellrechtlicher
Kostenerstattungsanspruch
Normen:
§§ 2 Abs. 1 und 2, 40 BetrVG, §§ 280, 286 BGB, §§ 2 a, 12 a Abs. 1, 80
ArbGG
Leitsätze:
Einer Gewerkschaft kann nach Durchführung eines arbeitsgerichtlichen
Beschlussverfahrens zur Durchsetzung des Zugangsrechts nach § 2
Abs. 2 BetrVG gegenüber dem Arbeitgeber ein
Schadensersatzanspruch in Höhe der entstandenen
Rechtsanwaltskosten zustehen.
Zwischen der Gewerkschaft, die ein Zugangsrecht geltend macht, und
dem Arbeitgeber besteht insoweit ein gesetzliches Schuldverhältnis,
mindestens eine vertragsähnliche Sonderverbindung im Sinne des §
280 Abs. 1 BGB (a.A.: LAG München, Beschluss vom 28.03.2001 - NZA-
RR 2001, 662).
Ein derartiger Schadensersatzanspruch ist nicht durch § 12 a Abs. 1
ArbGG ausgeschlossen.
Rechtskraft:
Die Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht wird zugelassen
Tenor:
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des
Arbeitsgerichts Herford vom 07.12.2005 - 1 BV 11/05 - abgeändert.
Der Arbeitgeberin wird aufgegeben, an die Antragstellerin 1.307,32 €
zuzüglich einer Verzinsung in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 21.04.2006 zu zahlen.
Die Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht wird zugelassen.
G r ü n d e:
1
A
2
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Erstattung der Anwaltskosten für zwei
geführte Beschlussverfahren.
3
Die Arbeitgeberin beschäftigt in ihrem Betrieb der Metallindustrie über 200 Mitarbeiter. In
ihrem Betrieb ist ein neunköpfiger Betriebsrat gewählt.
4
Die IG Metall, die Antragstellerin des vorliegenden Verfahrens, ist mit Mitgliedern im
Betrieb der Arbeitgeberin vertreten.
5
Im Jahre 2003 gab es Streit zwischen den Beteiligten über das Zugangsrechts eines
Gewerkschaftssekretärs der Antragstellerin zum Betrieb. Der Gewerkschaftssekretär
K3xxxx, bei der IG Metall zuständig für den Betrieb der Arbeitgeberin, erhielt am
23.07.2003 ein Hausverbot, nachdem er zuvor - ohne nach Auffassung der
Arbeitgeberin sich ordnungsgemäß anzumelden - den Betrieb zwecks Besprechung mit
dem Betriebsrat aufgesucht hatte. Die Antragstellerin, vertreten durch Rechtsanwalt
P2xxx und Partner, leitete daraufhin am 24.07.2003 ein Beschlussverfahren beim
Arbeitsgericht Herford - 4 BV 20/03 - ein. Dem Antrag wurde mit Beschluss vom
10.10.2003, der Arbeitgeberin zugestellt am 20.10.2003, stattgegeben. Der Beschluss
vom 10.10.2003 wurde rechtskräftig.
6
Wegen Teilnahme an einer Betriebsratssitzung vom 22.10.2003 durch den
Gewerkschaftssekretär K3xxxx gab es erneut Streit zwischen den Beteiligten. Die
Arbeitgeberin verwehrte dem Gewerkschaftssekretär K3xxxx erneut den Zutritt zum
Betrieb. Im Wege der einstweiligen Verfügung machte die Antragstellerin daraufhin mit
Antrag vom 15.10.2003 beim Arbeitsgericht Herford - 4 BVGa 4/03 - wiederum das
Zugangsrecht zum Betrieb geltend, wobei sie sich erneut durch Rechtsanwalt P2xxx
vertreten ließ. Nach Gewährung des Zutritts und übereinstimmender
Erledigungserklärung wurde das Verfahren 4 BVGa 4/03 Arbeitsgericht Herford
eingestellt.
7
Der Gegenstandswert für das Verfahren 4 BV 20/03 wurde vom Arbeitsgericht auf
9.000,00 €, für das Verfahren 4 BVGa 4/03 auf 2.700,00 € festgesetzt.
8
Mit Schreiben vom 02.12.2003 (Bl. 7,8 d.A.) übermittelten die
Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin daraufhin ihre Kostenrechnungen über
1.064,88 € bzw. 242,44 € der Arbeitgeberin. Die Arbeitgeberin lehnte eine Ausgleichung
ab.
9
Mit dem am 14.07.2005 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag begehrte die
Antragstellerin daraufhin die Freistellung von den Kosten der vorbezeichneten
Verfahren in entsprechender Höhe der Kostennoten nach vergeblicher vorgerichtlicher
schriftlicher Geltendmachung.
10
Die Antragstellerin hat die Auffassung vertreten, der Freistellungsanspruch ergebe sich
11
aus § 280 Abs. 1 BGB. Im Hinblick auf das der Gewerkschaft zustehende Zugangsrecht
nach § 2 Abs. 2 BetrVG bestehe zwischen den Beteiligten eine Sonderverbindung im
Sinne des § 280 BGB. Die Arbeitgeberin habe das Zugangsrecht verletzt. Deshalb sei
die Prozessführung durch die Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin kausal
verursacht worden und der Antragstellerin ein Schaden in Höhe der
Rechtsanwaltsgebühren entstanden.
Die Antragstellerin sei auch berechtigt gewesen, statt einen Gewerkschaftssekretär
Rechtsanwälte zu beauftragen. Insoweit könne nichts anderes gelten als für
Rechtsstreitigkeiten zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber. Auch der Betriebsrat könne
trotz des Gebotes, auf die finanziellen Belange des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen,
nicht auf gewerkschaftlichen Rechtsschutz verwiesen werden; er habe das Recht, zur
ordnungsgemäßen Prozessführung einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen.
12
Die IG Metall hat beantragt,
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1. der Arbeitgeberin aufzugeben, die Antragstellerin durch Zahlung in Höhe von
242,44 € an Rechtsanwalt K4xxx P2xxx von den Kosten für die anwaltliche
Vertretung in dem Beschlussverfahren 4 BVGa 4/03 vor dem Arbeitsgericht
Herford freizustellen,
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2. der Arbeitgeberin aufzugeben, die Antragstellerin durch Zahlung in Höhe von
1.064,88 € an Rechtsanwalt K4xxx P2xxx von den Kosten für die anwaltliche
Vertretung in dem Beschlussverfahren 4 BV 20/03 vor dem Arbeitsgericht Herford
freizustellen.
15
Die Arbeitgeberin hat beantragt,
16
die Anträge abzuweisen.
17
Sie hat die Auffassung vertreten, ein Kostenerstattungsanspruch bestehe unter keinem
rechtlichen Gesichtspunkt. Insbesondere ergebe sich ein derartiger Anspruch nicht aus
§ 280 BGB. Zwischen den Beteiligten bestehe kein Schuldverhältnis und auch keine
vertragsähnliche Sonderverbindung, die Voraussetzung für einen
Schadensersatzanspruch sei. Die Arbeitgeberin habe eine Verbindung zur
Gewerkschaft ja gerade verhindern wollen.
18
Auch der Grundsatz, dass jeder im arbeitsgerichtlichen Verfahren gemäß § 12 a ArbGG
seine Kosten selbst zu tragen habe, schließe einen Erstattungsanspruch aus. Ein
materiellrechtlicher Kostenerstattungsanspruch sei lediglich in § 40 BetrVG vorhanden.
Für den vorliegenden Fall gebe es gerade keine gesetzliche Kostenerstattungspflicht.
19
Schließlich sei sie auch deshalb nicht zur Tragung der Prozesskosten verpflichtet, weil
unnötigerweise Anwaltskosten verursacht worden seien. Die IG Metall könne und
müsse sich auch durch eigene Rechtssekretäre kostenfrei vertreten lassen.
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Durch Beschluss vom 07.12.2005 hat das Arbeitsgericht die Anträge abgewiesen und
zur Begründung ausgeführt, zwischen den Beteiligten bestehe kein gesetzliches
Schuldverhältnis im Sinne des § 280 BGB, auch keine vertragsähnliche
Sonderverbindung von gewisser Dau-er. Das Zugangsrecht der Gewerkschaft diene
lediglich der Herstellung des Kontakts zwischen der Gewerkschaft und ihren
21
Mitgliedern. § 12 a ArbGG schließe einen Kostenerstat-tungsanspruch, soweit nichts
anderes ausdrücklich angeordnet sei, auch über seinen Wortlaut hinaus für
Beschlussverfahren aus. Schließlich müsse sich die IG Metall auf kostenlosen
Rechtsschutz durch eigene Gewerkschaftssekretäre verweisen lassen.
Gegen den der Antragstellerin am 02.01.2006 zugestellten Beschluss, auf dessen
Gründe ergänzend Bezug genommen wird, hat die Antragstellerin am 27.01.2006
Beschwerde zum Landesarbeitsgericht eingelegt und dese mit dem am 24.02.2006
beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.
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Die Antragstellerin ist nach wie vor der Auffassung, dass zwischen den Beteiligten
aufgrund der Regelung in § 2 Abs. 2 BetrVG ein gesetzliches Schuldverhältnis im Sinne
des § 280 Abs. 1 BGB bestehe. Für Fälle rechtswidriger Streiks sei dies anerkannt. Der
Gesetzgeber habe der Gewerkschaft auch im Betriebsverfassungsrecht bestimmte
Aufgaben im Betrieb eines Arbeitgebers zugeordnet. Mindestens liege insoweit eine
vertragsähnliche Sonderverbindung vor, hierfür genüge jeder qualifizierte Kontakt. In der
Rechtsprechung der Arbeitsgerichte sei darüber hinaus anerkannt, dass die
Gewerkschaft ihr Zugangsrecht aus § 2 Abs. 2 BetrVG ausnahmsweise dann verlieren
könne, wenn ein Fall unzulässiger Rechtsausübung vorliege. Voraussetzung für die
Annahme einer unzulässigen Rechtsausübung sei aber immer das Bestehen eines
gesetzlichen Schuldverhältnisses oder einer vertragsähnlichen Sonderverbindung.
23
Dem Arbeitsgericht könne auch nicht darin gefolgt werden, dass der Grundgedanke des
§ 12 a ArbGG auch für den vorliegenden Fall eine Kostenerstattung ausschließe. § 12 a
Abs. 1 ArbGG gelte lediglich für das Urteilsverfahren. Eine entsprechende Anwendung
des § 12 a ArbGG auch im Beschlussverfahren scheide aus.
24
Schließlich könne die Antragstellerin sich auch nicht auf den Rechtsschutz durch
Rechtssekretäre der Gewerkschaft verweisen lassen. Bei der Beauftragung eines
Rechtsanwalts durch die Gewerkschaft könne nichts anderes gelten als für die
Beauftragung eines Rechtsanwaltes durch den Betriebsrat. Jedenfalls sei die
Beauftragung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin in den zugrunde
liegenden Beschlussverfahren nicht mutwillig oder gar rechtsmissbräuchlich gewesen.
25
Nachdem die Antragstellerin die Kostennoten ihrer Verfahrensbevollmächtigten (Bl. 76,
77 d.A.) ausgeglichen hat, ist die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren von dem
ursprünglichen Freistellungsantrag zu einem Zahlungsantrag übergegangen.
26
Die Antragstellerin beantragt,
27
den Beschluss des Arbeitsgerichts Herford vom 07.12.2005 - 1 BV 11/05 -
abzuändern und der Arbeitgeberin aufzugeben, an die Antragstellerin 1.307,32 €
zuzüglich einer Verzinsung in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
seit dem 21.04.2006 zu zahlen.
28
Die Arbeitgeberin beantragt,
29
die Beschwerde zurückzuweisen.
30
Unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vortrags ist die Arbeitgeberin weiter der
Auffassung, dass ein Kostenerstattungsanspruch mangels Anspruchsgrundlage nicht
31
bestehe. Ein gesetzliches Schuldverhältnis im Sinne des § 280 Abs. 1 BGB bestehe
zwischen den Beteiligten nicht. Darüber hinaus sei mindestens der Grundgedanke des
§ 12 a ArbGG auch für das vorliegende Verfahren mindestens entsprechend
anzuwenden. Schließlich hätte sich die Antragstellerin auch durch ihre eigenen
fachkundigen Mitarbeiter vertreten lassen können.
Die Beschwerdekammer hat die Akten 4 BV 20/03 und 4 BVGa 4/03 Arbeitsgericht
Herford informationshalber beigezogen. Auf den Inhalt dieser Akten wird ebenso Bezug
genommen wie auf den weiteren Inhalt der von den Beteiligten gewechselten
Schriftsätze.
32
B
33
Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist begründet.
34
Der Antragstellerin steht ein Anspruch auf Ersatz derjenigen Kosten zu, die durch die
Beschlussverfahren auf Gewährung des Zutritts zu den Betriebsräumen der
Arbeitgeberin gemäß § 2 Abs. 2 BetrVG entstanden sind.
35
I.
36
Der im Beschwerdeverfahren verfolgte Zahlungsantrag der Antragstellerin ist zulässig.
37
1. Zu Recht verfolgt die Antragstellerin den geltend gemachten Anspruch im
arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren, §§ 2 a, 80 ArbGG. Rechtsanwaltskosten, die
aufgrund eines arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens entstanden sind, sind als
Durchsetzungskosten ebenfalls im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren geltend zu
machen (BAG, Beschluss vom 27.06.1989 - AP ArbGG 1979 § 2 a Nr. 4 - unter II. 1. der
Gründe; BAG, Beschluss vom 27.07.1994 - AP BetrVG 1972 § 76 a Nr. 4 - unter B. I. 1.
der Gründe). Das gilt für den vorliegenden Fall umso mehr, als das Zutrittsrecht der
Gewerkschaft in den zugrunde liegenden Beschlussverfahren 4 BV 20/03 sowie BVGa
4/03 Arbeitsgericht Herford gerade zur Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher
Aufgaben der Gewerkschaft nach § 2 Abs. 2 BetrVG in Anspruch genommen wurde (vgl.
Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, ArbGG, 5. Aufl., § 2 a Rz. 47).
38
2. Die Antragsbefugnis der Antragstellerin und die Beteiligung der Arbeitgeberin am
vorliegenden Verfahren ergeben sich aus den §§ 10, 83 Abs. 3 ArbGG.
39
3. Für den im Beschwerderechtszug gestellten Zahlungsantrag, zu dem die
Antragstellerin nach Ausgleichung der Kostennoten ihrer Verfahrensbevollmächtigten
ohne Widerspruch der Arbeitgeberin nach § 267 ZPO zu Recht übergegangen ist, § 264
ZPO (vgl. BGH, Urteil vom 16.05.2001 - NJW-RR 2002, 283), besteht auch ein
Rechtsschutzinteresse. Ein prozessualer Kostenerstattungsanspruch, der auf dem
einfacheren Wege des Kostenfestsetzungsverfahrens durchzusetzen wäre und das
Rechtsschutzinteresse für das gerichtliche Geltendmachen eines materiellrechtlichen
Kostenerstattungsanspruchs auschließen könnte, besteht nämlich nicht. Im
arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren gibt es keine prozessuale
Kostentragungspflicht und dementsprechend auch keine Kostenentscheidung (st.
Rechtspr. des BAG, vgl. zuletzt BAG, Beschluss vom 27.07.1994 - AP BetrVG 1972 § 76
a Nr. 4 - unter B. I. 2. der Gründe; BAG, Beschluss vom 20.04.1999 - AP ArbGG 1979 §
81 Nr. 43 - unter II. der Gründe; BAG, Beschluss vom 13.03.2001 - AP ArbGG 1979 § 2 a
40
Nr. 17 - unter C. I. 2. d) der Gründe; Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, a.a.O.,
§ 12 a Rz. 34 m.w.N.).
II.
41
Der Zahlungsantrag der Antragstellerin ist begründet.
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Die Antragstellerin hat einen Anspruch auf Erstattung der Rechtsanwaltskosten, die ihr
durch die Beschlussverfahren 4 BV 20/03 sowie 4 BVGa 4/03 Arbeitsgericht Herford
entstanden sind. Aufgrund der Kostennoten der Verfahrensbevollmächtigten der
Antragstellerin vom 31.03.2006 (Bl. 76, 77 d.A.), die die Antragstellerin ausgeglichen
hat, ergibt sich insoweit ein Zahlungsanspruch in der unstreitigen Höhe von 1.307,32 €.
43
1. Der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch folgt zwar nicht aus Bestimmungen
des Betriebsverfassungsgesetzes. Das Betriebsverfassungsgesetz enthält für Fälle der
vorliegenden Art keinen materiellrechtlichen Kostenerstattungsanspruch. Derartige
Kostenerstattungsansprüche sind zwar in den §§ 20 Abs. 3, 40, 76 a Abs. 1 BetrVG
geregelt. Für den Fall der Geltendmachung eines Zugangsrechts durch die
Gewerkschaft gemäß § 2 Abs. 2 BetrVG ist jedoch ein materiellrechtlicher
Kostenerstattungsanspruch gerade nicht angeordnet worden. Auf § 40 BetrVG kann die
Antragstellerin den geltend gemachten Anspruch nicht stützen, da die Kosten, die das
Zugangsrecht der Gewerkschaft durchsetzen sollen, keine durch die Tätigkeit des
Betriebsrats entstehenden Kosten darstellen. Auch eine analoge Anwendung des § 40
BetrVG auf den vorliegenden Fall scheidet aus (so auch: LAG München, Beschluss vom
28.03.2001 - NZA-RR 2001, 662).
44
2. Entgegen der vom Arbeitsgericht vertretenen Auffassung ergibt sich der geltend
gemachte Kostenerstattungsanspruch jedoch aus § 280 Abs. 1 BGB.
45
Nach § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Gläubiger Schadensersatz verlangen, wenn
der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis verletzt.
46
§ 280 Abs. 1 BGB enthält insoweit einen materiellrechtlichen
Kostenerstattungsanspruch.
47
a) Die Anwendbarkeit des § 280 Abs. 1 BGB auf Fälle der vorliegenden Art ist nicht
durch § 12 a Abs. 1 ArbGG ausgeschlossen.
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Gemäß § 12 a Abs. 1 Satz 1 ArbGG besteht in Urteilsverfahren des ersten Rechtszuges
kein Anspruch der obsiegenden Partei auf Entschädigung wegen Zeitversäumnis und
auf Erstattung der Kosten für die Zuziehung eines Prozessbevollmächtigten oder
Beistandes.
49
§ 12 a Abs. 1 Satz 1 ArbGG schränkt zwar nicht nur den prozessualen
Kostenerstattungsanspruch ein, sondern schließt auch einen entsprechenden
materiellrechtlichen Schadensersatzanspruch aus (vgl. statt aller: BAG, Urteil vom
30.04.1992 - AP ArbGG 1979 § 12 a Nr. 6; BAG, Beschluss vom 30.06.1993 - AP ArbGG
1979 § 12 a Nr. 8; BAG, Beschluss vom 27.07.1994 - AP BetrVG 1972 § 76 a Nr. 4
m.w.N.). § 12 a Abs. 1 Satz 1 ArbGG ist aber für den durch die Antragstellerin geltend
gemachten materiellrechtlichen Kostenerstattungsanspruch ohne Bedeutung, weil diese
Vorschrift auf Beschlussverfahren nicht anwendbar ist. § 12 a Abs. 1 Satz 1 ArbGG gilt
50
nach seinem eindeutigen Wortlaut nur für das Urteilsverfahren. Auf das
Beschlussverfahren ist § 12 a Abs. 1 Satz 1 ArbGG weder unmittelbar noch analog
anwendbar. Der Anwendungsbereich des § 12 a Abs. 1 Satz 1 ArbGG ist ausdrücklich
auf das Urteilsverfahren beschränkt. Dies hat das Bundesarbeitsgericht in dem
genannten Beschluss vom 27.07.1994 (a.a.O.) im Einzelnen eingehend begründet.
Dieser Begründung schließt sich die erkennende Beschwerdekammer ausdrücklich zur
Vermeidung von Wiederholungen an. Hiernach können die im Beschlussverfahren
entstehenden Anwaltskosten auch als Verzugsschaden anzusehen sein. § 12 a Abs. 1
Satz 1 ArbGG schränkt insoweit den materiellrechtlichen Kostenerstattungsanspruch
nicht ein.
b) Die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1 BGB
sind erfüllt.
51
aa) Mit der Antragstellerin ist die erkennende Beschwerdekammer der Auffassung, dass
zwischen der Antragstellerin und der Arbeitgeberin aufgrund des Zugangsrechtes nach
§ 2 Abs. 2 BetrVG, so wie es von der Antragstellerin in den zugrunde liegenden
Beschlussverfahren 4 BV 20/03 und 4 BVGa 4/03 Arbeitsgericht Herford geltend
gemacht worden ist, ein gesetzliches Schuldverhältnis, mindestens eine
vertragsähnliche Sonderverbindung im Sinne des § 280 Abs. 1 BGB (vgl.
Palandt/Heinrichs, BGB, 65. Aufl., § 280 Rz. 8 ff.; Roth, MünchKomm, BGB, 4. Aufl., §
242 Rz. 72 ff.; Soergel/Teichmann, BGB, 12. Aufl., § 242 Rz. 33 m.w.N.) bestand (a.A.:
LAG München, Beschluss vom 28.03.2001 - NZA-RR 2001, 662).
52
Richtig ist zwar, dass die betriebsverfassungsrechtlichen Rechte und Pflichten der
Verbände im Betriebsverfassungsgesetz im Einzelnen aufgezählt sind (vgl. die
Aufstellung bei Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, 23. Aufl., § 2 Rz.
65). Auch der Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit nach § 2 Abs. 1 BetrVG
gilt nicht für die Zusammenarbeit zwischen Gewerkschaft und Betriebsrat bzw.
Arbeitgeber, sondern zunächst nur für den Arbeitgeber und den Betriebsrat. Eine
betriebsverfassungsrechtliche Pflicht der Gewerkschaft zur Zusammenarbeit mit dem
Betriebsrat besteht grundsätzlich nicht. Sie wird auch durch § 2 Abs. 2 BetrVG nicht
begründet (BAG, Beschluss vom 14.01.1983 - AP BetrVG 1972 § 76 Nr. 12; Fitting,
a.a.O., § 2 Rz. 54 und § 40 Rz. 26; Däubler/Kittner/Klebe/Berg, BetrVG, 10. Aufl., § 2 Rz.
24; Kraft/Franzen, GK-BetrVG, 8. Aufl., § 2 Rz. 22, 23; ErfK/Eisemann, 6. Aufl., § 2
BetrVG Rz. 4; Däubler, Gewerkschaftsrechte im Betrieb, 10. Aufl., Rz. 168).
53
Andererseits gelten die Grundsätze des § 2 BetrVG, insbesondere der Grundsatz der
vertrauensvollen Zusammenarbeit nach § 2 Abs. 1 BetrVG auch für die Gewerkschaften
und die übrigen Verbände, sie schaffen auch bestimmte Verhaltens- und Nebenpflichten
der Gewerkschaft bei der Ausübung ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Befugnisse.
Soweit Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände Aufgaben und Befugnisse im
Rahmen der Betriebsverfassung wahrnehmen, sind sie ebenfalls an den Grundsatz der
vertrauensvollen Zusammenarbeit gebunden (BAG, Beschluss vom 14.02.1967 - AP
BetrVG § 45 Nr. 2; Fitting, a.a.O., § 2 Rz. 12, 18, 23; Kraft/Franzen, a.a.O., § 2 Rz. 10;
Richardi, BetrVG, 10. Aufl., § 2 Rz. 11; ErfK/Eisemann, a.a.O., § 2 BetrVG Rz. 1 a.E.
m.w.N.). Gerade durch die Inanspruchnahme des Zugangsrechts, so wie es von der
Antragstellerin in den zugrunde liegenden Beschlussverfahren 4 BV 20/03 und 4 BVGa
4/03 Arbeitsgericht Herford gegenüber der Arbeitgeberin geltend gemacht worden ist,
hat das Verhältnis zwischen der Gewerkschaft und der Arbeitgeberin eine
Konkretisierung erfahren, die zur gegenseitigen Rücksichtnahme und Loyalität
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verpflichtet. Durch die Inanspruchnahme des Zugangsrechts durch die antragstellende
Gewerkschaft wurde zwischen den Beteiligten mindestens eine Sonderbeziehung
eigener Art begründet, deren Inhalt wegen der im Regelfall gegebenen
Interessenüberschneidungen im besonderen Maße durch Treu und Glauben bestimmt
und geeignet war, Rechtspflichten zu begründen. Wenn bereits die bloße
Inanspruchnahme eines Störers auf Unterlassung durch einen Wettbewerber (BGH,
Urteil vom 19.10.1989 - NJW 1990, 1905) oder die Rechtsbeziehung zwischen einem
Geschädigten und einem unzuständigen Haftpflichtversicherer, bei dem jener seinen
Anspruch angemeldet hat (BGH, Urteil vom 11.06.1996 - NJW 1996, 2724), zu einer
vertragsähnlichen Sonderverbindung und damit zu einem gesetzlichen Schuldverhältnis
führt, muss das erst recht gelten, wenn eine Gewerkschaft das ihr gesetzlich
eingeräumte Zugangsrecht nach § 2 Abs. 2 BetrVG zur Wahrnehmung
betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben geltend macht. Die Antragstellerin verweist in
diesem Zusammenhang auch zu Recht darauf, dass in der Rechtsprechung der
Arbeitsgerichte anerkannt ist, dass die Gewerkschaft ihr Zugangsrecht nach § 2 Abs. 2
BetrVG ausnahmsweise dann verlieren kann, wenn ein Fall unzulässiger
Rechtsausübung gemäß § 242 BGB vorliegt (BAG, Beschluss vom 18.03.1964 - AP
BetrVG § 45 Nr. 1; BAG, Beschluss vom 14.02.1967 - AP BetrVG § 45 Nr. 2; LAG
Hamm, Beschluss vom 17.11.2000 - 10 TaBV 55/00 - AiB 2201, 723). Voraussetzung für
die Annahme einer unzulässigen Rechtsausübung ist aber zunächst überhaupt das
Bestehen einer Sonderverbindung (Palandt/Heinrichs, a.a.O., § 242 Rz. 6 und 38). Ohne
Bestehen eines gesetzlichen Schuldverhältnisses im Sinne der §§ 242, 280 BGB
könnte der Arbeitgeber der Gewerkschaft das Zugangsrecht nach § 2 Abs. 2 BetrVG gar
nicht verweigern.
bb) Durch die Verweigerung des Zugangsrechtes hat die Arbeitgeberin seinerzeit die ihr
gegenüber der Gewerkschaft obliegenden Pflichten verletzt, § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB.
Unstreitig ist zwischen den Beteiligten, dass die Arbeitgeberin seinerzeit durch das
unberechtigte Hausverbot gegenüber dem Gewerkschaftssekretär K3xxxx und durch die
Verwehrung des Zutrittsrechts am 23.07.2003 das der Antragstellerin zustehende
Zugangsrecht nach § 2 Abs. 2 BetrVG verletzt hat. Die Einzelheiten ergeben sich aus
dem rechtskräftigen Beschluss des Arbeitsgerichts Herford vom 10.10.2003 - 4 BV 20/03
-. Ebenso ist der Gewerkschaft zu Unrecht am 13.10.2003 der Zutritt zum Betrieb der
Arbeitgeberin verweigert worden; die Gewerkschaft war aus diesem Grund genötigt, das
Zutrittsrecht im Wege der einstweiligen Verfügung - 4 BVGa 4/03 Arbeitsgericht Herford
- geltend zu machen.
55
cc) Durch die Verweigerung des Zugangsrechts durch die Arbeitgeberin, die diese nach
§ 280 Abs. 1 Satz 2 BGB zu vertreten hat, ist der Antragstellerin auch ein Schaden
entstanden, der auf Ersatz der zur Durchsetzung des Zutrittsrechts entstandenen
Rechtsanwaltskosten gerichtet ist.
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Ein Schadensersatzanspruch nach § 280 BGB erstreckt sich auf alle unmittelbar und
mittelbaren Nachteile des schädigenden Verhaltens und erfasst nicht nur Prozesskosten
(OLG Düsseldorf, Urteil vom 09.06.1995- NJW-RR 1996, 729), sondern auch
Rechtsanwaltskosten (BGH, Urteil vom 30.04.1986 - NJW 1986, 2244 = AP BGB § 249
Nr. 28; Palandt/Heinrichs, a.a.O., § 280 Rz. 32), soweit diese zur Durchsetzung des
Zutrittsrechts vernünftig und zweckmäßig gewesen sind. Die Arbeitgeberin hat durch die
pflichtwidrige Verweigerung des Zutrittsrechts gegenüber dem Gewerkschaftssekretär
K3xxxx die Einleitung der zugrunde liegenden Beschlussverfahren 4 BV 20/03 und 4
BVGa 4/03 Arbeitsgericht Herford verursacht. Für die Arbeitgeberin war es auch nicht
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unvorhersehbar, dass die Gewerkschaft zur Einleitung der vorgenannten Verfahren
Rechtsanwälte einschalten würde. Die Einschaltung von Rechtsanwälten zur
Durchsetzung eines Zugangsrechts der Gewerkschaft nach § 2 Abs. 2 BetrVG kann
jedenfalls nach der Lebenserfahrung nicht als unvernünftig und unzweckmäßig
angesehen werden. Da die Arbeitgeberin nicht bereit war, die geschuldete Leistung zu
erbringen und dem Gewerkschaftssekretär K3xxxx das Zutrittsrecht zu ihrem Betrieb zu
gewähren, konnte die Antragstellerin mit der Durchsetzung ihrer Rechte auch einen
Rechtsanwalt beauftragen.
Entgegen der Rechtsauffassung der Arbeitgeberin war sie auch nicht verpflichtet, zur
Durchsetzung ihrer Rechte auf den eigenen Rechtsschutz zurückzugreifen. Abgesehen
davon, dass die einzelnen Gewerkschaften heutzutage regelmäßig über eigenen
Rechtsschutz schon nicht mehr verfügen und aus diesem Grunde dazu übergegangen
sind, gerade in Beschlussverfahren Rechtsanwälte zu beauftragen, war die
Antragstellerin nicht verpflichtet, in den einzuleitenden Beschlussverfahren 4 BV 20/03
sowie 4 BVGa 4/03 Arbeitsgericht Herford auf den eigenen Rechtsschutz
zurückzugreifen und sich selbst zu vertreten. Der zulässigen Beauftragung von
Rechtsanwalt P2xxx steht nicht entgegen, dass nach § 11 ArbGG auch eine Vertretung
durch einen Gewerkschaftsvertreter möglich gewesen wäre. Rechtsanwaltskosten sind
nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu § 40 BetrVG auch dann
erstattungsfähig, wenn ein Betriebsrat oder ein Wahlvorstand die Möglichkeit gehabt
hätte, sich durch die Gewerkschaft vertreten zu lassen. Es besteht keine Pflicht des
Betriebsrats oder des Wahlvorstandes gegenüber dem Arbeitgeber, in einem
Beschlussverfahren, in dem der Arbeitgeber Beteiligter ist, sich durch einen Vertreter der
Gewerkschaft vertreten zu lassen oder zu versuchen, Rechtsschutz durch eine
Gewerkschaft zu erlangen (BAG, Beschluss vom 03.10.1978 - AP BetrVG 1972 § 40 Nr.
14; BAG, Beschluss vom 04.12.1979 - AP BetrVG 1972 § 40 Nr. 18; LAG Düsseldorf,
Beschluss vom 29.10.1985 - NZA 1986, 578; LAG Hamm, Beschluss vom 04.12.1985 -
DB 1986, 488; Fitting, a.a.O., § 40 Rz. 26; Weber, GK-BetrVG, a.a.O., § 40 Rz. 105;
DKK/Wedde, a.a.O., § 40 Rz. 22; ErfK/Eisemann, a.a.O., § 40 BetrVG Rz. 4 m.w.N.).
Dies gilt auch für den vorliegenden Fall. Die antragstellende Gewerkschaft durfte
denjenigen Verfahrensbevollmächtigten auswählen, zu dem sie das meiste Vertrauen
hatte.
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dd) Der Höhe nach ist der geltend gemachte Schadensersatzanspruch unstreitig. Die
Kostenrechnungen von Rechtsanwalt P2xxx vom 02.12.2003 bzw. 31.03.2006 sind der
Höhe nach nicht beanstandet worden. Rechtsanwalt P2xxx hat sein Honorar zutreffend
nach den Vorschriften der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung abgerechnet.
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3. Der geltend gemachte Zinsanspruch ergibt sich aus den §§ 286, 288 Abs. 1 und 2
BGB.
60
III.
61
Wegen der besonderen Bedeutung der Rechtssache hat die Beschwerdekammer die
Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht nach den §§ 92 Abs. 1 Satz 2, 72 Abs. 2
ArbGG zugelassen.
62
Schierbaum
Witt
Eichler
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/N.
64