Urteil des LAG Hamm vom 18.10.2010

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Landesarbeitsgericht Hamm, 8 Sa 483/10
Datum:
18.10.2010
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
8. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
8 Sa 483/10
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Bielefeld, 2 Ca 1852/09
Nachinstanz:
Bundesarbeitsgericht, 2 AZR 741/10
Schlagworte:
Betriebsbedingte Änderungskündigung/ tarifliche Unkündbarkeit/
wichtiger Grund/ Fremdvergabe von Reinigungstätigkeit/ / ultima ratio/
Personalgestellung als milderes Mittel
Normen:
BGB § 626
Leitsätze:
Tarifliche Unkündbarkeit: Weiterbeschäftigung im Wege der
Personalgestellung als milderes Mittel bei Fremdvergabe von Aufgaben
Der Grundsatz der "freien Unternehmerentscheidung" ist auch im
Verhältnis zum tariflich unkündbaren Arbeitnehmer nicht durch eine
Zweckmäßigkeits- oder Angemessenheitskontrolle beschränkt (im
Anschluss an BAG, 06.10.2005, 2 AZR 372/04, AP Nr. 8 zu § 53 BAT).
Im Falle der Auslagerung der bislang vom "unkündbaren" Arbeitnehmer
erledigten Tätigkeit trifft den Arbeitgeber jedoch die Verpflichtung, im
Zuge der Auftragsvergabe an das Fremdunternehmen für eine
Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers im Wege der
Personalgestellung zu sorgen, auch wenn hiermit erhöhte
Personalkosten verbunden sind.
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts
Bielefeld vom 25.03.2010 – 2 Ca 1852/09 – wird auf Kosten der
Beklagten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
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Mit ihrer Klage wendet sich die tariflich nur noch aus wichtigem Grund kündbare
Klägerin gegen die Änderung ihrer Arbeitsbedingungen durch außerordentliche
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betriebsbedingte Änderungskündigung vom 26.05.2009 mit sozialer Auslauffrist zum
31.12.2009.
Die am 24.03.1956 geborene, verheiratete Klägerin ist seit dem 01.05.1990 bei dem
beklagten Unternehmen zu einem monatlichen Bruttoentgelt von zuletzt ca. 1.800,--
Euro bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Stunden beschäftigt. Sie ist durch
Bescheid der Agentur für Arbeit B1 vom 26.04.2007 einem schwerbehinderten
Menschen gleichgestellt. Die Beklagte betreibt u.a. das L1 in H1. In der Vergangenheit
war die Klägerin hier laut Arbeitsplatzbeschreibung vom 10.12.1996 (Bl. 3 d. A.) im
Bereich der Kasse und als Reinigungskraft beschäftigt und zuletzt in Entgeltgruppe 4
TV-V eingruppiert. Gemäß § 22 Abs. 7 TV-V ist das Arbeitsverhältnis der Klägerin nur
noch aus wichtigem Grund kündbar.
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Mit Schreiben vom 26.05.2009 (Bl. 5 d.A.) sprach die Beklagte gegenüber der Klägerin
die hier angegriffene Änderungskündigung vom 26.05.2009 mit Wirkung zum
31.12.2009 aus. Zugleich bot die Beklagte der Klägerin eine Änderung der
Arbeitsbedingungen mit dem Inhalt an, künftig als Reinigungskraft mit einer
wöchentlichen Arbeitszeit von 15 Stunden unter gleichzeitiger Herabgruppierung in
Entgeltgruppe 1 TV-V nebst tariflicher Vergütungssicherung gemäß § 6 RatSchTV tätig
zu werden. Die Klägerin hat die ihr angebotene Änderung der Arbeitsbedingungen mit
Schreiben vom 03.06.2009 unter Vorbehalt angenommen.
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Zur Begründung der angegriffenen Änderungskündigung hat die Beklagte vorgetragen,
bereits im April 2007 sei die unternehmerische Entscheidung getroffen worden, ab dem
31.12.2007 die Teil-Aufgaben der Klägerin und ihrer Kolleginnen im Bereich von Kasse
und Kundenbetreuung mit der Aufstellung eines Kassenautomaten und der
Neuorganisation von Kassen- und Saunadienst entfallen zu lassen. Die ursprüngliche
Absicht der Beklagten, die Klägerin und ihre Kolleginnen sodann mit
Reinigungsaufgaben bei der Tagesunterhaltsreinigung im L1 einzusetzen, sei an deren
fehlender Bereitschaft gescheitert, eine entsprechende Vertragsänderung zu
akzeptieren. Hierauf sei zunächst ein abgewandeltes Konzept mit dem Inhalt
beschlossen worden, die Tagesunterhaltsreinigung vollständig auf ein
Reinigungsunternehmen zu übertragen und die Arbeitsverhältnisse mit der Klägerin und
ihren Kolleginnen zu beenden. Nach Scheitern der diesbezüglichen
Beendigungskündigungen vom 20.06.2007 und 26.11.2007 (ArbG Bielefeld 6 Ca
1637/07 und 2 Ca 3322/07) sei schließlich die Entscheidung getroffen worden, der
Klägerin im Wege der Änderungskündigung einen Teil der Tagesunterhaltsreinigung im
Umfang von 10 Std/Woche bei Eingruppierung in Entgeltgruppe 1 zuzuweisen.
Nachdem auch diese Änderungskündigung vom 30.05.2008 der gerichtlichen Prüfung
nicht standgehalten habe (ArbG Bielefeld 5 Ca 1580/08; das unter dem Az. LAG Hamm
17 Sa 193/09 durchgeführte Berufungsverfahren endete durch Berufungsrücknahme),
sei nunmehr den in jenem Verfahren zutage getretenen Bedenken Rechnung getragen
worden, indem der Klägerin ein wirtschaftlich auskömmliches Arbeitsvolumen von 15
Stunden/Woche und eine Vergütungssicherung nach den Regeln des
Rationalisierungstarifvertrages angeboten worden sei. Danach betrage die
Stundenvergütung trotz Herabgruppierung unverändert 13,84 € entsprechend einer
Monatsvergütung von nunmehr 902,44 € brutto. Abweichend vom Standpunkt der
Klägerin könne ihr von dem insgesamt bestehenden Bedarf an Reinigungstätigkeiten in
der Tagesunterhaltsreinigung von 53 Stunden/Woche allein ein Anteil von 15 Stunden
übertragen werden, der übrige Teil der Unterhaltsreinigung müsse demgegenüber durch
das Reinigungsunternehmen der Firma G2 abgedeckt bleiben. Die Übertragung eines
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weiteren Stundenkontingents scheide zum einen aus organisatorischen Gründen aus,
da die Beklagte für diesen Fall die erforderliche Urlaubs- und Krankheitsvertretung nicht
gewährleisten könne. Zum anderen führe die Beschäftigung der Klägerin als
Reinigungskraft selbst bei Eingruppierung in die Entgeltgruppe 1 TV-V im Vergleich
zum Einsatz der Fa. G2 zu einer deutlich höheren Kostenbelastung. Soweit die Klägerin
die Beschäftigung im Bereich der Grundreinigung anspreche, scheide eine solche
schon mit Rücksicht auf den Gesundheitszustand der Klägerin aus. Hierzu verweist die
Beklagte auf das von der Klägerin vorgelegte Attest vom 23.05.2008 (Bl. 109 d.A.), in
welchem es heißt:
..... Aufgrund dieser Erkrankung ist Frau D2 M2 nicht in der Lage, Über-
Kopfarbeiten, schweres Heben und Dauerbelastungen der rechten Schulter
durchzuführen.
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Wie im vorangehenden Berufungsverfahren erörtert, habe sich die Beklagte auf der
Grundlage des § 3 RatSchTV auch um eine anderweitige Unterbringung der Klägerin
bei anderen Arbeitgebern des öffentlichen Dienstes bemüht und schließlich bei der
Bemessung der Vergütung die Vergütungssicherung des § 6 RatSchTV beachtet.
Nachdem auch der Betriebsrat ordnungsgemäß angehört und das Integrationsamt der
beabsichtigten Kündigung zugestimmt habe, könne die Klägerin die Wirksamkeit der
Änderung der Arbeitsbedingungen nicht erfolgreich in Zweifel ziehen.
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Demgegenüber hat die Klägerin geltend gemacht, nicht anders in den vorangehenden
Verfahren - betreffend die Beendigungskündigungen vom 20.06.2007 und 26.11.2007
und die ebenfalls erfolglos gebliebene Änderungskündigung vom 30.05.2008 - müsse
auch dem vorliegenden Versuch zur Verschlechterung der Arbeitsbedingungen der
Erfolg versagt bleiben. Weder sei zu erkennen, dass für die Durchführung der
Unterhaltsreinigung ein Kontingent von 53 Stunden genüge, noch sei nachzuvollziehen,
warum nicht der Klägerin ein größerer Anteil als die angebotenen 15 Stunden
Unterhaltsreinigung angeboten werden könne. Grundsätzlich sei auch der Einsatz im
Bereich der Grund- und Endreinigung nicht ausgeschlossen, wenn auf die bestehenden
gesundheitlichen Einschränkungen der Klägerin Rücksicht genommen werde.
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Durch Urteil vom 25.03.2010 (Bl. 131 ff d.A.), auf welches wegen des weiteren
erstinstanzlichen Parteivorbringens und der Fassung des Klageantrages Bezug
genommen wird, hat das Arbeitsgericht antragsgemäß festgestellt, dass die Änderung
der Arbeitsbedingungen durch die Kündigung der Beklagten vom 26.05.2009
ungerechtfertigt und rechtsunwirksam sei. Zur Begründung ist im Wesentlichen
ausgeführt worden, bei der Prüfung einer außerordentlichen Änderungskündigung aus
betrieblichen Gründen seien strengere Maßstäbe anzusetzen als bei einer ordentlichen
Änderungskündigung. Dementsprechend habe das Gericht zu überprüfen, ob es dem
Arbeitgeber im Einzelfall zumutbar sei, die betrieblichen Abläufe anders zu
organisieren, so dass der Arbeitnehmer zu der bisher vereinbarten Arbeitszeit bzw. mit
einer höheren Anzahl von Arbeitsstunden als angeboten weiterbeschäftigt werden
könne. Andernfalls drohe die Gefahr, dass die tarifliche vorgesehene ordentliche
Unkündbarkeit des Arbeitnehmers praktisch leerlaufe. Aus dem Vortrag der Beklagten
lasse sich nicht erkennen, aus welchem Grund bei einem wöchentlichen
Reinigungskontingent von 53 Stunden für die Klägerin allein ein Anteil von 15 Stunden
verbleiben solle. Nach dem Plan für die Tagesunterhaltsreinigung erfolge am Mittwoch
eine Reinigung von 7 Stunden, am Donnerstag von 13 Stunden, am Freitag ebenfalls
von 7 Stunden und am Samstag von 13 Stunden, wobei die Beklagte die sonntäglichen
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Einsätze nicht substantiiert vorgetragen habe. Welche besonderen organisatorischen
Schwierigkeiten sich bei Urlaub oder Arbeitsunfähigkeit der Klägerin ergäben, wenn die
Klägerin mehr als 15 Stunden/Woche arbeite, sei nicht ersichtlich. Darüber hinaus führe
die Reduzierung auf das hälftige Stundenkontingent zu einer Verdienstabsenkung,
welche die Sicherung des Lebensunterhalts nicht mehr gewährleiste. Allein die
Tatsache, dass der Einsatz der Gebäudereinigungsfirma G2 für die Beklagte
wirtschaftlich vorteilhafter sei, könne trotz der vorgetragenen schlechten wirtschaftlichen
Situation der Beklagten eine derart weitreichende Veränderung der Arbeitsbedingungen
nicht rechtfertigen.
Mit ihrer rechtzeitig eingelegten und begründeten Berufung wiederholt und vertieft die
Beklagte ihren Standpunkt, sowohl aus organisatorischen wie aus wirtschaftlichen
Gründen sei die mit der Änderungskündigung angebotene Herabsetzung von Arbeitszeit
und –vergütung geboten und stelle somit einen "wichtigen Grund" im Sinne des § 626
BGB dar. Anders als nach der ursprünglichen unternehmerischen Konzeption, nach
welcher die vormals vier im Kassenbereich beschäftigten Kräfte gemeinsam die
Aufgabe der Tagesunterhaltsreinigung bewältigen sollten, sei nach Ausscheiden der
übrigen drei rationalisierungsbetroffenen Arbeitnehmer eine Bewältigung der
Tagesunterhalsreinigung durch die Klägerin allein bzw. ein Einsatz der Klägerin in
diesem Bereich im Umfang der vertraglichen Arbeitszeit von 30 Stunden/Woche aus
organisatorischen Gründen nicht möglich. Unter Berücksichtigung von sechs Wochen
Urlaub und durchschnittlichen krankheitsbedingten Fehlzeiten von mehr als sechs
Wochen im Jahr scheide ein vollschichtiger Einsatz der Klägerin in diesem Bereich aus,
da die Beklagte eine entsprechende Vertretung mit eigenen Kräften nicht gewährleisten
könne. Abweichend vom Standpunkt des arbeitsgerichtlichen Urteils ergebe sich schon
aus dem Einsatz der Klägerin im Rahmen von 15 Stunden/Woche eine wirtschaftliche
Mehrbelastung gegenüber dem Einsatz von Fremdpersonal in Höhe von ca. 9.000,--
Euro/Jahr. Bis zum Erreichen des Rentenalters in 12 Jahren entspreche dies einer
Mehrbelastung von 107.000,-- Euro. Damit seien die Grenzen der Zumutbarkeit erreicht.
Demgegenüber führe die von der Klägerin erstrebte Zuweisung zusätzlicher
Reinigungsstunden zu einer weiteren und in Anbetracht der wirtschaftlichen Lage der
Beklagten nicht tragbaren Mehrbelastung. Eben aus diesem Grunde scheide auch die in
der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht angesprochene Möglichkeit
aus, die Klägerin im Wege der Personalgestellung in die Organisation des
Reinigungsdienstes der Firma G2 einzugliedern. Selbst wenn auf diese Weise die
dargestellten Organisations- und Vertretungsprobleme zu verringern seien, welche sich
bei einer Ausweitung des Stundenkontingents zugunsten der Klägerin ergäben,
verbleibe zum einen die dargestellte unzumutbare wirtschaftliche Mehrbelastung der
Beklagten. Zum anderen ergebe sich aus der zwischenzeitlich eingeholten
Stellungnahme der Firma G2 vom 09.09.2010 (Bl. 237 d.A.), dass es dort keinen Bedarf
für die Beschäftigung einer zusätzlichen Reinigungskraft gebe. Anders als nach der
Regelung des § 4 Abs. 3 TVöD sehe der hier einschlägige TV-V die Maßnahme einer
Personalgestellung ohnehin nicht vor. Dann könne aber die Wirksamkeit der
Änderungskündigung nicht von dem Versuch einer Personalgestellung abhängig
gemacht werden.
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Die Beklagte beantragt,
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das am 25.03.2010 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld AZ: 5 Ca
1852/09 abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt die arbeitsgerichtliche Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung
ihres erstinstanzlichen Vorbringens als zutreffend und hält an ihrem Standpunkt fest, die
vorgetragenen organisatorischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkte seien in
Anbetracht der tariflichen Unkündbarkeit der Klägerin nicht geeignet, die
ausgesprochene Änderungskündigung zu rechtfertigen. Wenn die Beklagte den Einsatz
der Klägerin in der Tagesunterhaltsreinigung im Umfang von immerhin fünf Stunden an
drei Tagen für realistisch halte, stelle sich die Frage, warum ihr die sechste und/oder
siebente Stunde oder auch ein Wochenendeinsatz am Samstag und/oder Sonntag
unzumutbar seien. Tatsächlich sei die Grenze von 15 Stunden/Woche völlig willkürlich
gewählt und stehe im erkennbaren Gegensatz zu dem ursprünglich entwickelten
Konzept, der Klägerin nach Wegfall der Aufgaben im Kassenbereich eine
Weiterbeschäftigung in der Unterhaltsreinigung im Umfang von 30 Stunden anzubieten.
Allein weil die Klägerin und ihre damaligen Kolleginnen seinerzeit nicht dazu bereit
gewesen seien, eine Rückstufung von Entgeltgruppe 4 in Entgeltgruppe 1 zu
akzeptieren, versuche die Beklagte nunmehr unter dem Vorwand organisatorischer
Schwierigkeiten, die Arbeitsbedingungen der Klägerin unzumutbar zu verändern.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Akte ArbG Bielefeld 5
Ca 1580/08 verwiesen. Diese war zur Ergänzung des Sachverhalts beigezogen.
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Entscheidungsgründe
17
Die Berufung der Beklagten bleibt ohne Erfolg.
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I
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Die Arbeitsbedingungen der Klägerin sind durch die angegriffene Änderungskündigung
vom 26.05.2009 nicht mit Ablauf des 31.12.2009 geändert worden. Für die erstrebte
Änderung der Arbeitsbedingungen fehlt es an einem "wichtigen Grund" im Sinne des §
626 BGB, da die angebotene Änderung der Arbeitsbedingungen sich nicht auf das zur
Wahrung der beiderseitigen Interessen notwendige Maß beschränkt.
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1. Soweit das Arbeitsgericht seinen Standpunkt, die vorgesehene Herabsetzung der
Arbeitszeit auf 15 Stunden/Woche sei unverhältnismäßig, damit begründet, die Beklagte
habe die Klägerin auch mit einem größeren Stundenkontingent in der
Unterhaltsreinigung einsetzen können, steht dieser Erwägung allerdings der Grundsatz
entgegen, dass auch im Verhältnis zu dem tariflich nur noch aus wichtigem Grund
kündbaren Arbeitnehmer eine gerichtliche Kontrolle der Unternehmerentscheidung
selbst ausscheidet, und zwar unabhängig davon, ob die bislang vom Arbeitnehmer
erledigte Tätigkeit ersatzlos entfällt oder im Wege der Fremdvergabe - etwa aufgrund
Werkvertrages - anderweitig erledigt wird (BAG 06.10.2005, 2 AZR 372/04, AP Nr. 8 zu
§ 53 BAT, juris Rn. 34; s. auch Gaul/Bonani, ArbRB 2007,116, 118).
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Auch eine Modifikation der unternehmerischen Organisationsentscheidung – etwa in
dem Sinne, nur einen Teil der vertraglichen Aufgaben auf ein Fremdunternehmen zu
übertragen und für den tariflich unkündbaren Arbeitnehmer ein zur Weiterbeschäftigung
ausreichendes Kontingent selbst weiterhin vorzuhalten - scheidet nach der genannten
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Entscheidung aus (vgl. BAG a. a. O., juris Rn 34). Der Grundsatz, dass der Arbeitgeber
bei seiner Organisationsentscheidung die Tatsache berücksichtigen muss, dass er im
Verhältnis zum unkündbaren Arbeitnehmer eine vertragliche Bindung eingegangen ist,
wirkt sich danach nicht bei der Überprüfung der Unternehmerentscheidung selbst aus,
sondern betrifft allein die Zumutbarkeit von Überbrückungsmaßnahmen sowie der
Bemühungen, den Arbeitnehmer im Betrieb oder anderenorts zu beschäftigen (BAG a.
a. O. Rn 43). Soweit aus der Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg vom
05.07.2007 (2 Sa 578/07, LAGE § 2 KSchG Nr. 59, juris Rn 22) etwas anderes zu
entnehmen sein sollte, kann dem aus den Gründen der vorstehend zitierten
Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts nicht gefolgt werden. Insbesondere kann auch
gegenüber dem tariflich unkündbaren Arbeitnehmer keine Verpflichtung angenommen
werden, eine beabsichtigte Rationalisierungsmaßnahme nur unter der Voraussetzung
durchzuführen, dass sie sich "als unumgänglich darstellt". Auch soweit die
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vom Arbeitgeber fordert, bereits bei der
Aufstellung seines geänderten Organisationskonzeptes die mit der Unkündbarkeit
übernommenen Garantien und Bindungen zu berücksichtigen (BAG, 02.03.2006, 2 AZR
64/05, AP Nr. 84 zu § 2 KSchG 1969 = NZA 2006, 985), folgt hieraus allein die
Notwendigkeit der Prüfung, ob die angebotene Vertragsänderung die einzige nach dem
unternehmerischen Konzept verbleibende Beschäftigungsmöglichkeit darstellt (BAG a.
.a. O., juris Rn 35). Da nach dem Sachverhalt der Entscheidung vom 02.03.2006 das
Konzept einer "Zentralisierung der telefonischen Kundenberatung" ausweislich des
abgeschlossenen Interessenausgleichs die Möglichkeit einer Beschäftigung in einem
"home-office" nicht ausschloss, gehörte zu den in jenem Verfahren vom Arbeitgeber zu
prüfenden weniger belastenden Maßnahmen auch die Einrichtung eines
Heimarbeitsplatzes. Nicht hingegen war nach der zitierten BAG-Entscheidung die
Zweckmäßigkeit der dort vorgetragenen unternehmerischen Entscheidung zu
überprüfen, die technische Kundenberatung zu zentralisieren.
In Anwendung dieser Grundsätze ist sowohl die Übertragung der Unterhaltsreinigung
auf die Firma G2 als solche wie auch die Beschränkung des für die Klägerin
vorgesehenen Stundenkontingents der gerichtlichen Kontrolle nach
Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten entzogen. Nachdem die ursprüngliche
Aufgabenstellung der Klägerin im Kassenbereich und bei der Kundenbetreuung durch
Einführung von Kassenautomaten und Umverteilung restlicher Betreuungsarbeiten
entfallen war, kam für die Klägerin unter Berücksichtigung der durch ärztliches Attest
belegten gesundheitlichen Einschränkungen allein noch ein Einsatz im Bereich der
Tagesunterhaltsreinigung in Betracht. Die ursprüngliche Planung, die
Unterhaltsreinigung auf die vier ehemaligen Kassenkräfte zu übertragen, war nach
Ausscheiden der drei weiteren Kassenkräfte nicht unverändert zu realisieren. Das
nachfolgend beschlossene Konzept, die Unterhaltsreinigung - mit Ausnahme eines für
die Klägerin vorgesehen Zeitanteils – auf ein Reinigungsunternehmen zu übertragen,
umfasst sowohl die Bestimmung des erforderlichen Reinigungsbedarfs von 53
Stunden/Woche als auch die auf wirtschaftliche und organisatorische Gründe gestützte
Festlegung, in welchem zeitlichen Umfang das externe Reinigungsunternehmen
beauftragt werden soll. Die vom Arbeitsgericht vorgenommene Überprüfung, inwiefern
die Klägerin auch mit einem höheren Zeitanteil in der Unterhaltsreinigung eingesetzt
werden könnte, läuft damit – schon wegen der Notwendigkeit einer Regelung für
Urlaubs- und Krankheitszeiten – auf eine Änderung des Organisationskonzepts hinaus
und beschränkt sich nicht auf die Prüfung, ob das beschlossene Konzept auch mit
weniger einschneidenden Mitteln umzusetzen ist. Allein der Umstand, dass die Beklagte
einen Einsatz der Klägerin im Bereich der Unterhaltsreinigung mit zunächst 10 und
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später mit 15 Stunden vorgesehen hat, lässt nicht den Schluss zu, für das
Organisationskonzept der Beklagten sei der zeitliche Anteil der Klägerin an der
Unterhaltsreinigung ohne Belang, entscheidend sei allein, dass die für erforderlich
gehaltene Unterhaltsreinigung im Umfang von 53 Stunden/Woche – gleich von fremden
oder eigenen Kräften – ordentlich erledigt werde. Gegenstand der
Organisationsentscheidung ist vielmehr auch die eigenständige, auf
betriebsorganisatorische Erwägungen gestützte Festlegung des zahlenmäßigen
Verhältnisses der Einsatzstunden von eigenem Personal und von Fremdpersonal.
2. Wie sich aus der zitierten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 06.10.2005
ergibt, gehört zu den Bemühungen des Arbeitgebers bei Fehlen eigener
Beschäftigungsmöglichkeiten grundsätzlich auch die Unterbringung bei einem anderen
Arbeitgeber im Wege der Personalgestellung, wobei etwaige Vergütungsdifferenzen
vom Arbeitgeber zu tragen sind (BAG a. a. O., juris Rn 43 m. w. N.). Der hiermit
verbundene Kostennachteil, welcher sich daraus ergibt, dass die vom Arbeitgeber zu
leistende tarifliche Vergütung - auch wenn sich diese an der geänderten
Reinigungstätigkeit orientiert - den Arbeitgeber mehr belastet als die Bezahlung externer
Reinigungskräfte, muss im Hinblick auf die eingegangene vertragliche Bindung und
Zusage der tariflichen Unkündbarkeit hingenommen werden. Der Arbeitgeber hat dem
Arbeitnehmer mit der tariflichen Unkündbarkeit eine vertragliche Beschäftigungsgarantie
gegeben und muss daher alles irgendwie Mögliche tun, um diese Garantie einzuhalten
(BAG a. a. O., juris Rn 45). Die Fremdvergabe von Reinigungstätigkeiten stellt damit im
Verhältnis zum tariflich unkündbaren Arbeitnehmer kein geeignetes Mittel zur
Kostenreduzierung dar. Demgegenüber lässt der Weg der Personalgestellung die
unternehmerische Entscheidung des Arbeitgebers unberührt, die anfallenden
Reinigungstätigkeiten nicht mehr im Rahmen der eigenen – womöglich weniger
leistungsfähigen – Arbeitsorganisation durchzuführen, sondern auf ein
Fremdunternehmen auszulagern, um so insbesondere die Probleme der Urlaubs- und
Krankheitsvertretung zu vermeiden.
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3. Dem Erfordernis, den Arbeitsplatz des tariflich unkündbaren Arbeitnehmers im Wege
der Personalgestellung zu erhalten, kann auch nicht der Einwand entgegen gehalten
werden, nach den Regeln des Tarifvertrages über den Rationalisierungsschutz für
Angestellte sei der Arbeitgeber allein gehalten, den Arbeitnehmer bei einem anderen
Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes i. w .S. unterzubringen. Die genannten tariflichen
Vorschriften gelten indessen für alle – auch die ordentlich kündbaren -
rationalisierungsbetroffenen Beschäftigten und sind damit nicht geeignet, die
Reichweite der zumutbaren Bemühungen des Arbeitgebers zum Arbeitsplatzerhalt
eines tariflich unkündbaren Arbeitnehmers zu bestimmen. Ein Arbeitsplatzerhalt im
Wege der Personalgestellung an ein privatwirtschaftliches Unternehmen ist dem
Öffentlichen Dienst auch keineswegs wesensfremd. Wie die Vorschrift des § 4 TVöD
zeigt, kommt im Geltungsbereich des genannten Tarifvertrages im Fall der
Aufgabenverlagerung eine Beschäftigung des Arbeitnehmers im Wege der
Personalgestellung auch außerhalb des öffentlichen Dienstes - und zwar ohne
Zustimmung des Arbeitnehmers auf der Grundlage des Direktionsrechts - in Betracht.
Auch wenn diese Vorschrift – wie nachfolgend auszuführen ist – hier nicht einschlägig
ist, ist immerhin zu erkennen, dass sich die Reichweite der Verpflichtungen des
Arbeitgebers aus einer "Beschäftigungsgarantie" nicht gleichsam selbstverständlich auf
eine Unterbringung bei einem anderen Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes
beschränkt.
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4. Anders als die Vorschrift des 4 TVöD erwähnt zwar der hier einschlägige TV-V die
Möglichkeit einer Personalgestellung nicht. Hieraus folgt jedoch weder die
Unzulässigkeit der Personalgestellung im Geltungsbereich des TV-V noch eine
Beschränkung derjenigen Maßnahmen, welche der Arbeitgeber im Verhältnis zum
tariflich unkündbaren Arbeitnehmer ergreifen muss, wenn er dessen Tätigkeit auf ein
privates Fremdunternehmen verlagert. Die Vorschrift des § 4 TVöD erlaubt dem
Arbeitgeber unter den genannten Voraussetzungen die Personalgestellung ohne
Änderungskündigung im Wege des Direktionsrechts und stellt sich damit als
Ausweitung der Befugnisse des Arbeitgebers dar. Die Tatsache, dass die Regelung des
TV-V eine entsprechende Ausweitung des Direktionsrechts nicht enthält, bedeutet
dementsprechend allein, dass der Arbeitgeber hier zur Personalgestellung den Weg der
Änderungskündigung beschreiten muss. Abgesehen davon, dass es einer solchen im
vorliegenden Fall schon wegen der Änderung der vertraglichen Arbeitsaufgaben und
der damit einhergehenden Herabgruppierung bedarf, bleibt festzuhalten, dass allein die
erweiterte Ausgestaltung des Direktionsrechts in § 4 TVöD bzw. das Fehlen einer
entsprechenden Regelung im TV-V für die Reichweite der Beschäftigungsgarantie
zugunsten der tariflich nur noch aus wichtigem Grunde kündbaren Arbeitnehmer ohne
Belang ist. Dementsprechend ist festzuhalten, dass zu denjenigen Maßnahmen, welche
die Beklagte mit Rücksicht auf die Unkündbarkeit der Klägerin im Sinne eines milderen
Mittels zu ergreifen hatte, auch das Angebot der Beschäftigung im Wege der "Ausleihe"
an dasjenige Reinigungsunternehmen umfasste, welches künftig die ansonsten für die
Klägerin geeigneten Reinigungstätigkeiten übernehmen sollte.
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Mit einer solche "Ausleihe" der Klägerin an das beauftragte Reinigungsunternehmen
war zugleich das Ziel der Beklagten zu erreichen, die dargestellten organisatorischen
Probleme bei Urlaub und Krankheit der Klägerin zu vermeiden. Anders als die Beklagte,
welche selbst über kein eigenes Vertretungspersonal im Reinigungsbereich vorhält,
führt der urlaubs- oder krankheitsbedingte Ausfall einer einzelnen Reinigungskraft bei
einem Reinigungsunternehmen mit mehreren Beschäftigten nicht dazu, dass die
erforderliche Reinigungstätigkeit ausfällt oder nur unvollständig erledigt werden kann.
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5. Soweit die Beklagte in ihrem nachgelassenen Schriftsatz vom 16.09.2010 darauf
verweist, für eine Personalgestellung in dem hier dargestellten Sinne habe es schon
deshalb an den Voraussetzungen gefehlt, weil die Firma G2 nicht über eine freie
Arbeitsstelle verfügt habe und aus diesem Grunde zur Eingliederung der Klägerin in
ihren Betrieb nicht bereit gewesen sei, führt dies zu keiner anderen Entscheidung.
Vielmehr wäre es Sache der Beklagten, im Zuge der Durchführung der beschlossenen
Rationalisierungsmaßnahmen und der Fremdvergabe der Unterhaltsreinigung die
Verpflichtung des beauftragten Reinigungsunternehmens zur Beschäftigung der
Klägerin (zu den dort üblichen Arbeitsbedingungen) in die Vertragsgestaltung
aufzunehmen. Allein der Umstand, dass sich das vergleichsweise kleine
Reinigungsunternehmen der Firma G2 auf eine solche Vertragsbindung ggfls. nicht
eingelassen hätte, bedeutet nicht, dass damit den erforderlichen Bemühungen, die
Klägerin "unterzubringen", Genüge getan war. Auch auf der Grundlage des
Beklagtenvorbringens kann nicht davon ausgegangen werden, nach den
Marktverhältnissen im Zeitpunkt der Änderungskündigung sei es praktisch
ausgeschlossen gewesen, bei der Vergabe eines Reinigungsauftrages eine
Beschäftigung der Klägerin im Wege der Personalgestellung durchzusetzen.
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6. Im Ergebnis ist damit dem Standpunkt des arbeitsgerichtlichen Urteils zuzustimmen,
dass die Arbeitsbedingungen der Klägerin durch die angegriffene Änderungskündigung
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nicht wirksam geändert worden sind.
II
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Die Kosten der erfolglosen Berufung hat die Beklagte zu tragen.
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III
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Die Kammer hat die Revision gegen das Urteil gemäß § 72 ArbGG zugelassen.
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