Urteil des LAG Hamm vom 16.10.2008

LArbG Hamm (kopftuch, abmahnung, land, schule, neutralität, eltern, schutzwürdiges interesse, bundesrepublik deutschland, freie wahl, religiöses symbol)

Landesarbeitsgericht Hamm, 11 Sa 280/08
Datum:
16.10.2008
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
11. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 Sa 280/08
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Herne, 4 Ca 3415/06
Nachinstanz:
Bundesarbeitsgericht, 2 AZR 56/09
Schlagworte:
Neutralitätsgebot, Kopftuch
Normen:
SchulG NW § 57; GG Art. 4, Art. 6, Art. 7
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Herne
vom 07.03.2007 - 4 Ca 3415/06 - wird auf Kosten der Klägerin
zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
TATBESTAND :
1
Die Parteien streiten, ob das beklagte Land von der Klägerin verlangen kann, ohne
Kopftuch zu unterrichten. Darüber hinaus wendet sich die Klägerin gegen eine in
diesem Zusammenhang ergangene Abmahnung vom 21.11.2006.
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Die am 21.02.1977 geborene Klägerin steht bei dem beklagten Land seit dem
17.09.2001 als Lehrerin in einem Arbeitsverhältnis. Sie verdiente zuletzt 2851,58 €.
Nach § 1 des Arbeitsvertrages ist die Klägerin als Lehrerin für Schulen im Bezirk des
Schulamtes für den Kreis R1 und für den Kreis B5 eingestellt. Mit Zusatzvertrag vom
11.07.2002 ist der Arbeitsvertrag vom 05.09.2001 unter anderem dahingehend geändert
worden, dass die Klägerin als Lehrerin für Schulen im Bereich des Schulamtes für den
Kreis R1 beschäftigt wird. Die Klägerin erteilt an verschiedenen Schulen
muttersprachlichen Unterricht in türkischer Sprache, an dem ausschließlich Schüler
islamischer Religionsrichtung teilnehmen. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden
nach § 2 des Arbeitsvertrages vom 05.09.2001 der BAT und die diesen ergänzenden,
ändernden oder ersetzenden Tarifverträge Anwendung (Bl. 10 - 12 GA). Die Klägerin
unterrichtete sowohl in den Vormittagsstunden wie auch nachmittags (Kopie
Stundenplan vom 18.09. 2006, Bl. 223 GA).
3
Bereits bei ihrer Einstellung und Bewerbung hatte die Klägerin ein Lichtbild eingereicht,
das sie mit Kopftuch zeigte. In der nachfolgenden Zeit verrichtete sie ihren Dienst stets
mit Kopftuch. Nach Inkrafttreten des § 57 SchulG NW in seiner jetzigen Fassung wurde
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die Klägerin im August 2006 vom Schulleiter darüber in Kenntnis gesetzt, dass das
Tragen eines Kopftuch mit der Neufassung des Schulgesetzes NRW nicht mehr
vereinbar sei (§ 57 Abs. 4 des Schulgesetz NRW - SchulG NW -). Die Klägerin nahm
hierzu mit Schreiben vom 23.08.2006 Stellung (Bl. 15 GA). Dort heißt es auszugsweise:
" . . .
5
Ich trage mein Kopftuch seit meinem 12. Lebensjahr. Dieser Entschluss
resultierte rein aus religiöser Überzeugung. Nachdem ich die Grundschule in D2
absolviert habe, wurde ich seitens meiner Eltern in die Türkei auf eine der
türkischen Regierung angehörigen theologischen Gelehrten- bzw.
Predigerschule (Schule für Islamwissenschaften) geschickt. Dort habe ich
fortdauernd mein Kopftuch getragen. Auch während meines Studiums (1996 -
2000) habe ich dies getan. Als ich wieder in Deutschland war, bin ich in meinem
Beruf als Lehrerin als Kopftuchträgerin eingestiegen.
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Ich möchte betonen, dass ich mein Kopftuch ausschließlich aus eigenem
Wunsch und rein aus religiöser Überzeugung trage. Dies ist meine freie Wahl
und Entscheidung.
7
Ich berufe mich daher auf meine Glaubensfreiheit und auf mein Grundrecht auf
freie Religionsausübung.
8
Ich hatte in den letzten fünf Jahren die Freiheit, meinen Beruf auszuüben und
gleichzeitig meine Religionsfreiheit zu verwirklichen, indem ich meinen Kopf
bzw. meine Haare in der Öffentlichkeit - wozu auch die Schule gehört - bedeckt
habe. Ich halte das Kopftuch auf keinen Fall für ein Symbol der Unterdrückung
der Frau. Auch die Nonnen im christlichen Glauben bedecken ihre Haare und
ihren Kopf.
9
Bis heute habe ich an sechs verschiedenen Schulen mit sehr vielen Kollegen
und Vorgesetzten gearbeitet. In dieser Zeit war ich kein einziges Mal mit einem
Problem wegen meines Kopftuches konfrontiert. Ich liebe meinen Beruf und
meine Schüler sehr und bedaure, dass das Kopftuchtragen jetzt zu einem - wie
ich meine - künstlichen Problem gemacht wird.
10
. . . "
11
Das Schulamt hörte die Klägerin unter dem 06.11.2006 zu einer beabsichtigten
Abmahnung an (Kopie Bl. 16 - 18 GA). Der Prozessvertreter der Klägerin nahm hierzu
mit Datum vom 16.11.2006 Stellung (Kopie Bl. 19 - 22 GA). Nach vorheriger
zustimmender Beteiligung des Personalrates erteilte das beklagte Land der Klägerin
durch das Schulamt für den Kreis R1 unter dem 21.11.2006 eine Abmahnung wegen
Verstoßes gegen § 57 Abs.4 SchulG NW, weil die Klägerin sich weigerte, ohne
Kopftuch zu unterrichten. Wegen des Wortlautes der Abmahnung wird auf die zur Akte
gereichte Kopie verwiesen (Bl. 23 - 25 GA).
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Die Klägerin hat Auffassung vertreten, das beklagte Land sei nicht berechtigt, von ihr zu
verlangen, in der Schule kein Kopftuch zu tragen. Das Tragen des Kopftuches sei nicht
geeignet, die Neutralität des Landes zu verletzen oder zu Störungen oder Gefährdungen
des Schulfriedens beizutragen. Es sei an den Schulen zu keinerlei Störungen
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gekommen. § 57 Abs.4 SchulG NW verstoße gegen Art. 4 Abs.1 GG und sei mit § 7
AGG nicht zu vereinbaren. Der Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot nach § 7
AGG sei nicht durch § 8 Abs. 1 AGG zu rechtfertigen Zudem leide die Norm an einem
Vollzugsdefizit, weil Ordenstracht und jüdische Kippa nicht als religiöse Bekundungen
angesehen würden. Eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung finde auch
tatsächlich statt; bei dem beklagten Land unterrichte eine Schwester an der
westfälischen Schule für Blinde und Sehbehinderte in P3 in Ordenstracht.
Die Klägerin hat beantragt,
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1. festzustellen, dass das beklagte Land nicht berechtigt ist, von der
Klägerin zu verlangen, ohne Kopftuch zu unterrichten,
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2. die im Schreiben des Beklagten vom 21.11.2006 (Az.: 40 Ed)
enthaltene Abmahnung aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen,
die Abmahnung aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen.
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Das beklagte Land hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Das beklagte Land hat die Auffassung vertreten, bei der Frage nach der Aussagekraft
eines Kopftuches sei auf einen objektiven Empfängerhorizont abzustellen und nicht auf
die subjektive Motivation der Klägerin. Selbst wenn diese hierin nur eine religiöse
Bekundung sehe, folge aus dem Tragen des Kopftuches eine Störung der Neutralität
des Landes und des Schulfriedens, da insbesondere der Eindruck hervorgerufen
werden könne, dass die Klägerin gegen die Menschenwürde, die Gleichberechtigung
nach Artikel 3 GG, die Freiheitsgrundrechte oder die freiheitlich-demokratische
Grundordnung auftrete. So werde teilweise mit dem Tragen des Kopftuches das
Befürworten einer minderen Stellung der Frau in Gesellschaft, Staat und Familie
verbunden und die Annahme einer fundamentalistischen Einstellung für ein
theokratisches Staatswesen. Insofern bestehe grundsätzlich die Möglichkeit, dass das
Kopftuch innerhalb der Gesellschaft als ein politisches Symbol des islamistischen
Fundamentalismus gesehen werden könne, das den Werten der westlichen
Gesellschaft, wie z. B. der freiheitlichen Selbstbestimmung und Emanzipation der
Frauen, entgegenstehe. Eine Gefährdung des Schulfriedens könne sich aus der
möglichen Besorgnis vor allem der Eltern vor einer ungewollten religiösen
Beeinflussung der Kinder entwickeln. Eine solche Besorgnis könne insbesondere dann
entstehen, wenn das äußere Erscheinungsbild seine Neutralität einbüße. Dass es
tatsächlich nicht zu konkreten Störungen gekommen sei, sei nicht ausschlaggebend. §
57 Abs. 4 SchulG NW verstoße nicht gegen Artikel 3 GG. Ein Vollzugsdefizit liege nicht
vor. Das Tragen eines Ordenshabits sei vor allem beruflich motiviert, da es nur von
denjenigen Christen getragen werde, die sich einem Orden angeschlossen hätten und
damit dokumentierten, dass sie einen Beruf ausübten, der auf den Zusammenschluss
von Menschen gleicher Konfession gerichtet sei. Ferner komme hinzu, dass die
christlich abendländische Kultur und Tradition erkennbar dem Grundgesetz zugrunde
liege und daraus eine Wertewelt hervorgegangen sei, die unabhängig von ihrer
religiösen Fundierung Geltung beanspruche. Dies sei auch in Artikel 7 und Artikel 12
Abs. 6 der Landesverfassung ausgedrückt. Es sei aber auch keine konkrete
Ungleichbehandlung gegeben. Im Bezirk des Schulamtes für den Kreis R1 seien keine
Personen anderer Religionsgemeinschaften in Ordenstracht oder ähnlicher Kleidung für
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das beklagte Land beschäftigt, ebenso nicht im Bezirk des Schulamtes für den Kreis B5.
Außerhalb dieser Schulamtsbezirke sei nur eine Beamtin an einer katholischen
Grundschule in M2 beschäftigt, bei der es sich allerdings um eine Bekenntnisschule
handele. Ferner übe eine Schulleiterin an einer Förderschule in P3 ihre Tätigkeit im
Nonnenhabit aus. Diese sei jedoch aufgrund eines gesonderten Gestellungsvertrages
tätig. Sie unterrichte auch nicht, sondern verrichte überwiegend Verwaltungsarbeit im
Rahmen der Schulleitung und sei im Übrigen lediglich mit einem geringen Anteil mit der
Betreuung und Aufsicht sowie mit speziellen Maßnahmen im förderpädagogischen
Bereich betraut. § 57 Abs. 4 SchulG NW verstoße nicht gegen Artikel 4 GG.
Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 07.03.2007 insgesamt abgewiesen. Der
zulässige Klageantrag zu 1) sei unbegründet. Das beklagte Land könne von der
Klägerin verlangen, ohne Kopftuch zu unterrichten. Das Tragen des Kopftuches
verstoße als religiöse Bekundung gegen § 57 Abs.4 SchulG NW. Durch das Tragen des
Kopftuches im Unterricht gebe die Klägerin eine religiöse Bekundung ab. § 57 Abs. 4
SchulG NW sei als abstrakter Gefährdungstatbestand ausgestaltet. § 57 Abs. 4 SchulG
NW verstoße nicht gegen die Verfassung und nicht gegen § 7 AGG. Die Regelung leide
nicht unter einem Vollzugsdefizit. Neben dem Feststellungsantrag sei auch die Klage
gegen die Abmahnung unbegründet. Da die Klägerin durch das Tragen des Kopftuches
im Unterricht gegen § 57 Abs.4 SchulG verstoßen habe, sei die Abmahnung berechtigt.
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Das Urteil ist der Klägerin am 01.06.2007 zugestellt worden. Die Klägerin hat am
13.06.2007 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Begründungsfrist bis
zum 30.08.2007 am 28.08.2007 begründet.
21
Die Klägerin wendet ein, das Arbeitsgericht sei aufgrund falscher bzw. unvollständiger
Tatsachenfeststellung und falscher Gesetzesauslegung zu dem Ergebnis gelangt, dass
das Land verlangen könne, dass sie ohne Kopftuch unterrichte. Ein Verstoß gegen § 57
SchulG NW liege nicht vor. Das Tragen eines Kopftuches sei keine politische oder
weltanschauliche Bekundung. Zweifelhaft sei, ob das Tragen eines Kopftuchs eine
religiöse Bekundung sei. Allein die äußere religiöse Bekundung erfülle den Tatbestand
des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW nicht. Das Kopftuch könne für sich genommen weder
die Neutralität des Landes noch den Schulfrieden gefährden oder stören. Ohne das
Hinzutreten weiterer Gründe sei es nicht geeignet, die Neutralität des Landes oder den
Schulfrieden zu stören oder zu gefährden. Das Kopftuch könne auch aus traditionellen
Gründen etc. getragen werden. Langjährige Erfahrungen mit Kopftuch tragenden
Lehrerinnen gerade in Nordrhein-Westfalen zeigten, dass das Kopftuch keineswegs zu
Konflikten führen müsse. Selbstverständlich bekenne sie sich zur freiheitlichen-
demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland. In ihren
Leistungsbewertungen während des laufenden Arbeitsverhältnisses mit dem beklagten
Land sei sie durchweg positiv beurteilt worden. Nach dem Arbeitsvertrag unterrichte sie
lediglich muslimische Schüler und Schülerinnen. Weitgehend fänden die
Unterrichtsstunden am Nachmittag statt, wenn nicht-muslimische Kinder gar nicht auf
dem Schulgelände seien. Auch sei ihr Fach kein ordentliches Lehrfach. Die
Schülerinnen und Schüler nähmen freiwillig an diesem Unterricht teil. Weder seitens der
Schüler noch seitens der Eltern habe sie eine negative bzw. distanzierte Haltung
erfahren. Sie sei entsprechend christlichen-abendländischen Bildungs- und
Kulturwerten gebildet und erzogen worden und wolle diese Werte - wie bisher - als
Lehrerin weiter vermitteln. Sie habe sich für ihre Schülerinnen und Schuler stark
engagiert. In ihrer Schule sei sie hoch geschätzt (Beweis: Zeugnis Schuldirektor D3).
Der Schulleiter S7 habe ihr eine Qualität des Unterrichts bescheinigt, wie er sie vorher
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nicht gekannt habe (Beweis: Zeugnis Schulleiter S7; Artikel in WAZ vom 17.11.2005).
Sie habe sich erfolgreich bemüht, türkische Eltern stärker in den Schulablauf und den
schulischen Alltag zu integrieren. So hätten einmal neun türkische Schülerinnen nur an
der Abschlussfahrt ihrer Klasse teilnehmen dürfen, weil sie ebenfalls mitgefahren sei. Ihr
Bemühen um die Integration ihrer Schüler werde durch die Schulleiter hoch geschätzt
und geachtet (Beweis: Zeugnis Schuldirektor/-leiter D3 und S7). Die Anwendung des §
57 SchulG NW setze eine strikte Gleichbehandlung der verschiedenen
Glaubensrichtungen voraus. Werde das Verbot religiöser Bekundungen nur beim
islamischen Kopftuch durchgesetzt, beim Nonnenhabit oder bei der jüdischen Kippa
aber darüber hinweggesehen, handele es sich um eine gleichheitswidrige
Diskriminierung, die das Vorgehen allein gegen die Kopftuchträgerin rechtswidrig
mache. Eine solche strikte Gleichbehandlung sei vom nordrhein-westfälischen
Gesetzgeber nicht einmal gewollt gewesen (Begründung des Gesetzentwurfes der
Fraktion von CDU und FDP vom 31.10.2005 in Landtagsdrucksache 14/569: "Äußere
Symbole und Kleidungsstücke, die dem verfassungsrechtlichen Grundwerten und den
Bildungszielen der verfassungsrechtlichen Grundwerten und den Bildungszielen der
Verfassung einschließlich den christlich-abendländischen Bildungs- und Kulturwerten
entsprechen, etwa die Tracht von Ordensschwestern oder die jüdische Kippa, bleiben
daher zulässig."). Damit sei in der nordrhein-westfälischen Regelung ein Vollzugsdefizit
angelegt, das auf eine europarechtswidrige mittelbare Diskriminierung hinauslaufe.
Äußerliche Bekundungen, die mit anderen Glaubensrichtungen in Verbindung stünden,
habe das beklagte Land unbeanstandet gelassen und beabsichtige auch in Zukunft
nicht, unter dem Gesichtspunkt strikter Gleichbehandlung der verschiedenen
Glaubensrichtungen dagegen vorzugehen. In Nordrhein-Westfalen unterrichte
Schwester M3 A5 K5 an der "Westfälischen Schule für Blinde und Sehbehinderte" in P3
in Ordenstracht. Sie sei sogar Konrektorin und gehöre zur Kongregation der Schwestern
der Christlichen Liebe. Sie sei den Weisungen des beklagten Landes unterworfen. § 57
Abs. 4 SchulG NW verstoße gegen das Benachteiligungsverbot nach § 7 AGG und sei
nicht durch § 8 AGG gerechtfertigt, weil die Frage des Kopftuchtragens keine
wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstelle. § 7 Abs. 1 AGG sei als
bundesrechtliche Regelung vorrangig, Art. 31 GG. § 57 Abs. 4 SchulG NW sei mit dem
Grundgesetz nicht zu vereinbaren. Im Einklang mit der Rechtssprechung des
Bundesverwaltungsgerichtes sei nur eine solche Regelung verfassungsgemäß, die das
Ziel habe und das Ziel erreiche, die durch das äußere Erscheinungsbild einer Lehrkraft
vermittelten religiösen Bezügen von Schülern grundsätzlich, d. h. in allen Fällen,
fernzuhalten. Dieses Ziel habe der nordrhein-westfälische Gesetzgeber mit § 57 Abs. 4
SchulG NW nicht verfolgt. Aufgrund des Vollzuges des Arbeitsverhältnisses vor
Änderung der Gesetzeslage genieße sie Vertrauensschutz. Sie sei bereits 2001
eingestellt worden. Die Gesetzesänderung stamme aus 2006. Nach dem
Rechtsstaatsprinzip und den Regeln des Verbots der Rückwirkung von Gesetzen sei die
neue Vorschrift auf sie nicht anwendbar.
Zur Stützung ihres Rechtsstandpunktes legt die Klägerin ein Gutachten des Prof. Dr. C1
W1 unter Mitarbeit von Wiss. Mitarbeiterin A6 v1 U2-S8 vor. Insoweit wird auf die Kopie
"Gutachten zur Vereinbarkeit der Regelung in § 57 Abs. 4 SchulG NRW mit den
Vorgaben des Grundgesetzes und des Rechts der Europäischen Gemeinschaft sowie
des zu dessen Umsetzung erlassenen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes"
verwiesen (Bl. 259 - 303R GA).
23
Die Klägerin beantragt,
24
unter Abänderung des am 07.03.2007 verkündeten Urteils des
Arbeitsgerichts Herne
25
1. festzustellen, dass das beklagte Land nicht berechtigt ist, von der
Klägerin zu verlangen, ohne Kopftuch zu unterrichten,
26
2. die im Schreiben des Beklagten vom 21.11.2006 (Az.: 40 Ed)
enthaltene Abmahnung aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen,
die Abmahnung aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen.
27
Das beklagte Land beantragt,
28
die Berufung zurückzuweisen.
29
Das beklagte Land verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichtes. Die Klägerin habe durch
das Tragen des Kopftuchs gegen das in § 57 Abs. 4 SchulG NW festgeschriebene
Neutralitätsgebot verstoßen. Das Tragen des Kopftuches sei nach § 57 Abs. 4 SchulG
NW geeignet, die Neutralität des Landes gegenüber Schülerinnen und Schülern und
Eltern sowie den politischen, religiösen oder weltanschaulichen Schulfrieden zu
gefährden oder zu stören. Entgegen der Auffassung der Klägerin fielen nicht erst
Bekundungen, welche die Neutralität oder den Schulfrieden konkret gefährdeten oder
gar störten, unter das Verbot des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW. Das Gesetz wolle
vielmehr schon abstrakten Gefahren vorbeugen, um konkrete Gefahren gar nicht erst
eintreten zu lassen. Die Schule sei der Ort, an dem die unterschiedlichen religiösen
Auffassungen unausweichlich aufeinander träfen und sich das Nebeneinander
besonders empfindlich auswirken könne. Die Entwicklung hin zu einer gewachsenen
religiösen Vielfalt in der Gesellschaft habe zwangsläufig ein vermehrtes Potential
möglicher Konflikte in der Schule mit sich gebracht, die es zu verhindern gelte. Deshalb
spiele es keine Rolle, ob die Klägerin während des laufenden Arbeitsverhältnisses
durchweg positiv beurteilt worden sei oder nicht. Auch sei nicht entscheidend, ob sie
überwiegend oder ausschließlich muslimische/türkische Schüler/innen unterrichte und
ob sie nur nachmittags unterrichte. Zudem habe die Klägerin ausweislich des
Stundenplanes für das Jahr 2006 dienstags, mittwochs, donnerstags und freitags auch
vormittags unterrichtet. Die genannte Schwester A5 K5 stehe in keinem
Anstellungsverhältnis zum beklagten Land. Sie sei lediglich aufgrund eines
Gestellungsvertrages für das Land tätig. § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW stehe im
Einklang mit §§ 7, 8 AGG. Es fehle bereits an einer Benachteiligung im Sinne des § 1
AGG. Unabhängig davon wäre eine etwaig gegebene Benachteiligung gemäß § 8 Abs.
1 AGG gerechtfertigt. Die Klägerin könne sich nicht auf Vertrauensschutzgrundsätze
berufen.
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ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE :
31
Die Berufung der Klägerin ist statthaft und zulässig gemäß §§ 8 Abs.2, 64 Abs. 1, Abs. 2
ArbGG. Die Berufung ist form- und fristgerecht entsprechend den Anforderungen der §§
66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO eingelegt und begründet worden. Die Berufung hat
jedoch in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht hat das Arbeitsgericht den
Feststellungsantrag (I.) und den Antrag gegen die Abmahnung vom 21.11.2006 (II.) als
unbegründet abgewiesen.
32
I.
33
Der Feststellungsantrag zu 1) ist nach § 256 Abs.1 ZPO zulässig. Auch einzelne
Ansprüche oder Verpflichtungen aus einem Rechtsverhältnis oder der Umfang einer
Leistungspflicht können Gegenstand einer Feststellungsklage sein (BAG 29.09.2004
NZA-RR 2005, 501, 502; Schwab/Weth-Zimmerling, ArbGG 2. Aufl. 2008, § 46 ArbGG
Rn. 67 - 70; Germelmann u. a., ArbGG, 6. Aufl. 2008, § 46 ArbGG Rn. 74). Der
Feststellungsantrag ist jedoch, wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat,
unbegründet. Die Klägerin ist entgegen ihrer Rechtsauffassung rechtlich verpflichtet,
ihre Arbeit in der Schule ohne Kopftuch zu verrichten.
34
1.
Bestimmung dürfen Lehrkräfte in der Schule keine politischen, religiösen,
weltanschaulichen oder ähnliche äußere Bekundungen abgeben, die geeignet sind, die
Neutralität des Landes gegenüber Schülerinnen und Schülern sowie Eltern oder den
politischen, religiösen oder weltanschaulichen Schulfrieden zu gefährden oder zu
stören. Mit der übereinstimmenden Auffassung in der Rspr. ist diese Bestimmung als
sog. abstrakter Gefährdungstatbestand aufzufassen, d. h. ein Verstoß gegen das Gebot
liegt bereits dann vor, wenn die Gefahr einer Störung besteht. Das ist nach wiederum
übereinstimmender Auffassung in der Rechtsprechung der Fall, wenn das islamische
Kopftuch während des Schulunterrichtes getragen wird. Die Klägerin trägt das Kopftuch
aus religiösen Gründen. Das Tragen des Kopftuches ist eine religiöse äußere
Bekundung. Die Klägerin gibt damit zu verstehen, dass sie sich zur Religion des Islam
bekennt und sich gehalten sieht, dessen von ihr als verpflichtend empfundene
Bekleidungsvorschriften zu beachten. Hierin liegt eine Bekundung, nämlich die
bewusste an die Außenwelt gerichtete Kundgabe ihrer Überzeugung. So ist das
Auftreten der Klägerin vom maßgeblichen Empfängerhorizont zu verstehen. Die
Kopfbedeckung erweckt bei Dritten den Eindruck, dass es sich dabei um ein religiöses
Symbol handelt und dass sich die Klägerin damit zum Islam bekennt. Die
Kopfbedeckung hat Bekundungscharakter (vgl. BVerwG 24.06.2004 BVerwGE 121,
140, 145 ff; VGH Baden-Württemberg 14.03.2008 - 4 S 516/07 - Rn. 27, 28). Diese
äußere Bekundung ist geeignet, die Neutralität des Landes gegenüber Schülerinnen
und Schülern sowie Eltern oder den politischen, religiösen oder weltanschaulichen
Schulfrieden zu gefährden oder zu stören. Das Gesetz stellt auf die Eignung zur Störung
und nicht auf eine eingetretene Störung ab. Eine Betrachtung der konkreten
Verhältnisse an einzelnen Schulen und gegenüber einzelnen Schülerinnen und
Schülern oder Eltern ist nach dem Gesetzeswortlaut nicht gefordert (ebenso: LAG
Düsseldorf 10.04.2008 - 5 Sa 1836/07 - Rn. 49, 71ff; VGH Baden-Württemberg
14.03.2008 - 4 S 516/07 - Rn. 29 ff zur entsprechenden Regelung in § 38 SchulG BW).
Die Klägerin ist nach Inkrafttreten des § 57 Abs.4 SchulG im Sommer 2006 auf die neu
statuierte gesetzliche Pflicht hingewiesen worden und hat das Gesetzesgebot zu
befolgen.
35
2.
Rechtsgutachten erachtet die Kammer die Regelung des § 57 Abs. 4 SchulG NW für
verfassungsgemäß. Die Klägerin wird durch diese Regelung nicht in
verfassungswidriger Weise in ihrer grundgesetzlich garantierten Glaubens- und
Religionsausübungsfreiheit gemäß Art. 4 GG eingeschränkt. Die Beeinträchtigung, die
die Klägerin insoweit hinzunehmen hat, ist durch den Grundrechtsschutz zugunsten
Dritter gerechtfertigt.
36
Das Grundgesetz verpflichtet den Staat zu religiöser Neutralität. Daraus folgen
37
Verpflichtungen des Staates auch gegenüber den Kindern, die die Schule besuchen,
und gegenüber deren Eltern. Als mit der Glaubensfreiheit der Klägerin in Widerstreit
tretende Verfassungsgüter kommen neben dem staatlichen Erziehungsauftrag (Art. 7
Abs. 1 GG), der unter Wahrung der Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität zu
erfüllen ist, das elterliche Erziehungsrecht (Art. 6 Abs.2 GG) und die negative
Glaubensfreiheit der Schulkinder (Art. 4 Abs. 1 GG) in Betracht (BVerfG 24.09.2003
BVerfGE 108, 282, 299). Dabei ist nach der Entscheidung des BVerfG vom 24.09.2003
von besonderer Bedeutung, dass die genannten Dritten wegen der staatlichen
Schulpflicht ohne Ausweichmöglichkeit der Situation an der Schule ausgesetzt sind (a.
a. O. S. 302). Das Spannungsverhältnis zwischen Glaubensfreiheit der Lehrkraft
einerseits und staatlicher Neutralitätspflicht andererseits hat der demokratisch
legitimierte Gesetzgeber bei der Schulgesetzgebung zu beachten. Der Gesetzgeber hat
einen für alle zumutbaren Kompromiss zu suchen. Es sind dabei verschiedene
verfassungskonforme Regelungen denkbar. Der mit zunehmender religiöser Pluralität
verbundene gesellschaftliche Wandel kann nach den Ausführungen des BVerfG Anlass
sein, verschiedene religiöse Bezüge in der Schule im Sinne eines toleranten
Miteinanders aufzunehmen und als Mittel für die Einübung von Toleranz zu nutzen, um
so einen Beitrag in dem Bemühen um Integration zu leisten. Andererseits ist die
zunehmende religiöse Pluralität auch mit einem größeren Potential möglicher Konflikte
in der Schule verbunden. Deshalb kann es auch gute Gründe dafür geben, der
staatlichen Neutralitätspflicht im schulischen Bereich eine striktere und mehr als bisher
distanzierende Bedeutung beizumessen und demgemäß auch durch das äußere
Erscheinungsbild einer Lehrkraft vermittelte religiöse Bezüge von den Schülern
grundsätzlich fernzuhalten, um Konflikte mit Schülern, Eltern oder anderen Lehrkräften
von vornherein zu vermeiden (BVerfG 24.09.2003, BVerfGE 108, 282, 297 ff). Soll
bereits der abstrakten Gefahr einer Gefährdung der Neutralität und des Schulfriedens
durch religiös motivierte und als Kundgabe einer Glaubensüberzeugung zu
interpretierende Kleidung von Lehrkräften begegnet werden, so setzt dies, weil damit die
Einschränkung des vorbehaltlos gewährten Grundrechts aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG
einhergeht, eine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage voraus (a. a. O. S. 303).
Der nordrheinwestfälische Landesgesetzgeber hat sich mit § 57 Abs. 4 SchulG
innerhalb des eröffneten Gestaltungspielraums gehalten und sich mit seinem Gesetz für
das Modell einer strikteren distanzierenderen Realisierung des Neutralitätsgebotes
entschieden (LAG Düsseldorf 10.04.2008 - 5 Sa 1836/07 - Rn. 54 ff; zur entsprechenden
Regelung in § 38 SchulG BW: BVerwG 24.06.2004 BVerwGE 121, 140, 147 ff u. VGH
Baden-Württemberg 14.03.2008 - 4 S 516/07 - Rn. 46 ff). Die vom nordrhein-
westfälischen Gesetzgeber gewählte gesetzliche Regelung betrifft nach Auffassung der
Kammer in gleicher Weise islamisches Kopftuch wie auch Ordenstracht und jüdische
Kippa, wie bereits das Arbeitsgericht ausgeführt hat. Dies haben auch das LAG
Düsseldorf und der VGH Baden-Württemberg in ihren Urteilen so gesehen (LAG
Düsseldorf 10.04.2008 - 5 Sa 1836/07 - Rn. 54 ff; VGH Baden-Württemberg 14.03.2008 -
4 S 516/07 - Rn. 46 ff). Die gesetzliche Regelung ist deshalb nicht dem Vorwurf
ausgesetzt, ihrerseits das Neutralitätsgebot zu verletzen und christliche
Glaubensrichtungen verfassungswidrig zu bevorzugen. Wenn die Klägerin auf
anderslautende Verlautbarungen im Gesetzgebungsverfahren verweist, so haben
derartige Vorstellungen einer Bevorzugung christlich motivierter äußerer Bekundungen
im Wortlaut des Gesetzes gerade keinen Niederschlag gefunden. Der Wille der
gesetzgebenden Instanzen kann aber für die Gesetzesinterpretation nur insoweit
bedeutsam sein, als er sich auch im Gesetzestext selbst wiederfindet.
38
3.
übergeordnetes Bundesrecht gemäß Art. 31 GG, § 7 AGG und auch nicht gegen das
diesen Regelungen zugrunde liegende europäische Gemeinschaftsrecht (Richtlinie
2000/78/EG). Zwar dürfen nach der bundesrechtlichen Norm des § 7 AGG Beschäftigte
nicht wegen ihrer Religion benachteiligt werden. Nach § 8 AGG ist eine
unterschiedliche Behandlung jedoch zulässig, wenn sie wegen der Art der
auszuübenden Tätigkeit und den Bedingungen ihrer Ausführung eine wesentliche und
entscheidende berufliche Anforderung darstellt. Eine derartige entscheidende berufliche
Anforderung stellt nach Auffassung der Kammer die Befolgung der
verfassungskonformen gesetzlichen Verhaltenspflicht einer Lehrkraft nach § 57 Abs.4
SchulG NW zur Wahrung des staatlichen Neutralitätspflicht dar (LAG Düsseldorf
10.04.2008 - 5 Sa 1836/07 - Rn. 61 ff; 66 ff; VGH Baden-Württemberg 14.03.2008 - 4 S
516/07 - Rn. 54; Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, 2. Aufl. 2008, § 3 AGG Rn. 38
"Kleidervorschriften"; Schleusener/Suckow/Voigt - Schleusener, AGG, 2. Aufl. 2008, § 8
AGG Rn. 48).
39
4.
Gesichtspunkt eines Vollzugsdefizites gegenüber vergleichbaren christlichen
Bekundungen von Lehrkräften entgegen. Dass ein solches Vollzugsdefizit im Land
bestünde, kann nicht festgestellt werden. Die von der Klägerin benannte Lehrkraft an der
Schule für Blinde und Sehbehinderte in P3 ist aufgrund eines Gestellungsvertrages an
der dortigen Schule tätig. Sie ist weder Angestellte noch Beamtin des Landes. Es fehlt
damit an der Vergleichbarkeit zur hier gegeben Situation. Weitere Fälle, aus denen ein
Vollzugsdefizit hergeleitet werden könnte, sind nicht ersichtlich.
40
5.
Ergebnis (Gutachten Bl. 259 ff GA - vgl. auch W1/v2.U2-S8 DÖV 2008, 488 ff
[Verfassungswidrigkeit des nordrhein-westfälischen Kopftuchverbots für Lehrerinnen]
sowie DVBl 2008, 880 ff [Landesrechtliche Kopftuchverbote auf dem Prüfstand des
Antidiskriminierungsrechts]). Wie bereits zuvor das Landesarbeitsgericht Düsseldorf und
das Arbeitsgericht Wuppertal vermag sich auch die hier erkennende Berufungskammer
der Argumentation der Gutachter nicht anzuschließen (LAG Düsseldorf 10.04.2008 - 5
Sa 1836/07 - Rn. 65 ff; ArbG Wuppertal 29.07.2008 - 4 Ca 1077/08 - ). In diesem
Zusammenhang ist insbesondere auf die hiesigen Ausführungen unter 2. und 3. zu
verweisen sowie auf die grundlegenden Ausführungen des BVerfG in seiner
Entscheidung vom 23.09.2003 (BVerfGE 108, 282). Das BVerfG hat dort auch
hervorgehoben, dass ein Verbot des Kopftuchtragens in öffentlichen Schulen als
Element einer gesetzgeberischen Entscheidung über das Verhältnis von Staat und
Religion als zulässige Einschränkung der Religionsfreiheit mit Art. 9 der Europäischen
Menschenrechtskonvention (MRK) vereinbar ist (BVerfG a. a. O. S. 311). Entgegen der
Auffassung des Gutachtens sieht sich die Kammer aus den ausgeführten Gründen
weder zu einer Vorlage an das BVerfG nach Art. 100 GG veranlasst noch zu einer
Vorlage zum EUGH wegen eines Verstoßes gegen Gemeinschaftsrecht.
41
6.
57 Abs.4 SchulG NW nicht entgegen. Die gesetzliche Regelung, wie sie nach dem
Urteil des BVerfG vom 24.09.2003 (a. a. O.) unabdingbare Voraussetzung für die von
dem beklagten Land gewählte Pflichtenkonkretisierung ist, ist erst im Sommer 2006 in
Kraft getreten. Alsbald hat das beklagte Land auch gegenüber der Klägerin die
entsprechenden Verhaltensanforderungen im Gespräch formuliert. Der Abschluss des
42
Arbeitsvertrages im Jahr 2001 schützt die Klägerin nicht davor, dass sie in einer
späteren Phase ihres Arbeitsverhältnisses ihre Arbeitsleistung nach den dann aktuellen
(wirksamen) gesetzlichen Vorgaben des Schulrechts zu erbringen hat.
II.
43
In Konsequenz des Ergebnisses zu 1. erweist sich auch der Klageantrag gegen die
Abmahnung vom 21.11.2006 als unbegründet. Auch insoweit verbleibt es bei der
abweisenden Entscheidung des Arbeitsgerichts.
44
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann der Arbeitnehmer
in entsprechender Anwendung der §§ 242, 1004 BGB die Entfernung einer zu Unrecht
erteilten Abmahnung aus der Personalakte verlangen (BAG 05.08.1992 - 5 AZR 531/91
-, BAG 15.07.1992 - 7 AZR 466/91 -, BAG 14. 09.1994 - 5 AZR 632/93 - AP BGB § 611
Abmahnung Nr. 8, Nr. 9, Nr. 13). Der Arbeitnehmer kann die Beseitigung dieser
Beeinträchtigung verlangen, wenn die Abmahnung formell nicht ordnungsgemäß
zustande gekommen ist, sie unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, der Grundsatz
der Verhältnismäßigkeit verletzt wird oder kein schutzwürdiges Interesse des
Arbeitgebers am Verbleib der Abmahnung in der Personalakte mehr besteht (BAG
11.12.2001 - 9 AZR 464/00 - AP BGB § 611 Nebentätigkeit Nr. 8).
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Das beklagte Land hat die Klägerin zunächst unter Beachtung des § 3 Abs. 6 S. 4 TV-L
zu der beabsichtigten Abmahnung angehört (vgl. zu diesem Erfordernis: Bepler u. a. -
Kutzki, TV-L, Stand 01.09.2008, § 3 TV-L Rn. 65 - 67). Dem Personalrat ist
entsprechend § 74 LPVG NW damals geltender Fassung vor der Abmahnung
Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Wie unter I. begründet ist die Klägerin
durch § 57 Abs. 4 SchulG NW verpflichtet, ihre Tätigkeit in der Schule ohne Kopftuch zu
verrichten. Diese Pflicht hat die Klägerin unstreitig trotz des Gespräches mit der
Schulaufsicht im Oktober 2006 weiterhin verletzt. Die Klägerin hat weiterhin das
islamische Kopftuch in der Schule getragen. Der in der Abmahnung formulierte Vorwurf
ist berechtigt. Die Tatsachen sind in der Abmahnung zutreffend und hinreichend konkret
dargestellt. Die Abmahnung ist nicht unverhältnismäßig. Die Klägerin hat gegen das
gesetzlich normierte Neutralitätsgebot des § 57 Abs.4 SchulG NW verstoßen. Dies ist
ein gewichtiger Pflichtverstoß. Obwohl das Arbeitsverhältnis inzwischen gekündigt ist,
besteht ein hinreichendes Interesse des beklagten Landes am Verbleib der Abmahnung
in der Personalakte. Der Rechtsstreit über die Wirksamkeit der im Februar 2007
ausgesprochenen Kündigung des Arbeitsverhältnisses ist nicht rechtskräftig
abgeschlossen. Die Klägerin kann die Entfernung der berechtigten Abmahnung nicht
beanspruchen. Damit bleibt auch der Berufungsantrag zu 2) ohne Erfolg.
46
III.
47
Die Klägerin hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des insgesamt erfolglos gebliebenen
Berufungsverfahrens zu tragen. Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache hat
die Kammer nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG die Revision zum Bundesarbeitsgericht
zugelassen.
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