Urteil des LAG Hamm vom 21.03.2007

LArbG Hamm: urlaub, vergütung, arbeitsgericht, zeitlohn, stundenlohn, gegenleistung, eingriff, arbeitsausfall, lohnanspruch, tagessatz

Landesarbeitsgericht Hamm, 18 Sa 687/06
Datum:
21.03.2007
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
18. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
18 Sa 687/06
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Bochum, 1 (5) Ca 2955/05
Nachinstanz:
Bundesarbeitsgericht, 9 AZR 479/07; Rücknahme 24.02.2009
Schlagworte:
Urlaubsentgelt, tarifliche Begrenzung des Urlaubsentgelts auf höchstens
48 Stunden wöchentlich
Normen:
§ 611 Abs. 1 BGB, §§ 1, 11 Abs. 1, 13 Abs. 1 BUrlG, § 9 Ziff. 9 Satz 2
MTV vom 26.04.2005 für die gewerblichen Arbeitnehmer in der
Speditions-, Logistik- und Transportwirtschaft NRW
Leitsätze:
Die Begrenzung der Urlaubsentgeltzahlung auf höchstens 48 Stunden
wöchentlich in § 9 Ziffer 9 Satz 2 MTV für gewerbliche Arbeitnehmer in
der Speditions-, Logistik- und
Transportwirtschaft NRW vom 26.04.2005 verstößt, soweit der
gesetzliche Mindesturlaub beschränkt wird, gegen § 1 BUrlG.
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts
Bochum vom 03.03.2006 - 1 (5) Ca 2955/05 - unter Zurückweisung der
Berufung im Übrigen teilweise abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 529,10 € brutto zu zahlen
nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 30.09.2005.
Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger zu 1/11 und der
Beklagten zu 10/11 auferlegt.
Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.
Die Revision wird für den Kläger nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über Resturlaubsvergütung für die Zeit vom 05.09.2005 bis zum
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16.09.2005 und für einen Urlaubstag im August 2005.
Der am 12.07.1950 geborene Kläger ist seit dem 01.08.1980 bei der Beklagten als
Kraftfahrer im Fernverkehr tätig. Die Beklagte betreibt ein Transportunternehmen und
beschäftigt cirka 60 Arbeitnehmer, darunter 38 Kraftfahrer, von denen 25 im Fernverkehr
tätig sind.
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Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft beiderseitiger Tarifbindung die tariflichen
Vorschriften für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Speditions-, Logistik- und
Transportwirtschaft NRW Anwendung, so auch der Manteltarifvertrag vom 26.04.2005
(MTV), in dem u.a. in § 9 Ziffer 9 Folgendes geregelt ist:
4
§ 9
5
Urlaub
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...
7
8
9. Die Urlaubsvergütung ist auf Verlangen bei Antritt des Urlaubs im Voraus zu
zahlen. Das Urlaubsentgelt wird aufgrund der gesetzlichen Regelung, allerdings
höchstens für 48 Stunden wöchentlich berechnet.
9
...
10
Die Beklagte zahlt an die Kraftfahrer im Fernverkehr pro Schicht einen Schichtlohn, der
zum Zeitpunkt der Freistellung zu Urlaubszwecken, die Gegenstand des Rechtsstreits
ist, 149,10 € betrug. Dieser Schichtlohn ist in der Betriebsvereinbarung vom 28.09.2002
festgehalten. Er basiert auf einer Arbeitszeit von 14,88 Stunden, die mit dem Tariflohn
vergütet werden.
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Mit Aushang vom 25.07.2005 teilte die Beklagte ihren Mitarbeitern u.a. Folgendes mit:
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Als wesentliche Neuerung haben die Tarifvertragsparteien geregelt, dass der
Anspruch der Arbeitnehmer auf Entgeltfortzahlung (z.B. im Krankheitsfall) und
das Urlaubsentgelt entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen zu
berechnen ist, allerdings höchstens für 48 Stunden wöchentlich. Dies entspricht
bei fünf Arbeitstagen pro Woche einer maximalen Berechnungsgröße von 9,6
Stunden täglich. Diesen Grenzwert werden wir ab 01.07.2005 entsprechend
anwenden, sofern die Durchschnittsberechnung nicht zu einem niedrigen
Ergebnis führt. Von der Neuregelung sind sowohl die Mitarbeiter, deren
Lohnabrechnungen auf Stundenbasis erfolgt als auch die Schichtlohnfernfahrer
betroffen, da es sich beim Schichtlohn um die Vergütung einer pauschalen
Stundenzahl auf Stundenlohnbasis handelt (15 Stunden bzw. seit der
Kürzungsregelung aufgrund Betriebsvereinbarung vom 28.09.2002 noch 14,88
Stunden täglich.
13
Im Jahre 2005 erteilte die Beklagte dem Kläger insgesamt an folgenden Tagen Urlaub:
14
21.01.2005 01 Tag
15
06.05.2005 01 Tag
16
17.05. – 27.05.2005 08 Tage
17
05.09. – 16.09.2005 10 Tage
18
14.11. – 16.11.2005 03 Tage
19
23.12. – 30.12.2005 05 Tage
20
Die Beklagte rechnete den in der Zeit vom 05.09. bis 16.09.2005 gewährten Urlaub mit
einem Tagessatz von 96,19 € ab.
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Mit der vorliegenden, am 17.12.2005 erhobenen Klage hat der Kläger die
Differenzvergütung für den Urlaub im September 2005 und einen weiteren Tag geltend
gemacht.
22
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, dass er von der tariflichen Begrenzung der
Urlaubsvergütungszahlung auf 48 Stunden wöchentlich nicht betroffen sei, da seine
tägliche Arbeitszeit mit einem pauschalen Schichtlohn von 149,10 € vergütet werde.
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Der Kläger hat beantragt,
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1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 592,10 € brutto zzgl. Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.09.2005 zu zahlen,
2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 52,91 € brutto zzgl. Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.08.2005 zu zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
28
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Vorschrift des § 9 Ziffer 9 MTV komme
auch auf das Arbeitsverhältnis des Klägers zur Anwendung. Die tarifliche Vorschrift
differenziere nicht, ob ein Arbeitnehmer im Stundenlohn oder nach einem pauschalen
Schichtlohn vergütet werde.
29
Durch Urteil vom 03.03.2006 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und die
Kosten des Rechtsstreits dem Kläger auferlegt. Die Berufung ist vom Arbeitsgericht
zugelassen worden. Der Streitwert ist auf 592,10 € festgesetzt worden.
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In den Entscheidungsgründen hat das Arbeitsgericht ausgeführt, dass nach § 9 Ziffer 9
Satz 2 MTV die Urlaubsvergütung auf 48 Stunden beschränkt ist, unanhängig davon, ob
Arbeitnehmer im Zeitlohn oder im Schichtlohn stehen.
31
Gegen dieses ihm am 06.04.2006 zugestellte und wegen der sonstigen Einzelheiten
hiermit in Bezug genommene Urteil hat der Kläger am 19.04.2006 Berufung eingelegt
und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 06.07.2006 am
23.06.2006 begründet.
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Der Kläger greift das arbeitsgerichtliche Urteil insgesamt an. Er stützt die Berufung auch
weiterhin maßgeblich auf seinen erstinstanzlichen Vortrag.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 03.03.2006 – 1 (5) Ca 2955/05 –
abzuändern und
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1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 592,10 € brutto zzgl. Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.09.2005 zu zahlen,
2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 52,91 € brutto zzgl. Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.08.2005 zu zahlen.
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37
Die Beklagte beantragt,
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die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom
03.03.2006 – 1 (5) Ca 2955/05 – zurückzuweisen.
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Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil.
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Das Landesarbeitsgericht hat bei den Tarifvertragsparteien des Manteltarifvertrages vom
26.04.2005 eine Tarifauskunft eingeholt (Bl. 88 d.A.). Wegen des Inhaltes der Auskünfte
der Tarifvertragsparteien wird auf Bl. 100 bis 103 und Bl. 120 f d.A. verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen
den Parteien gewechselten Schriftsätze verwiesen. Wegen des Vortrags der Parteien in
der mündlichen Verhandlung wird Bezug genommen auf die Niederschriften der
mündlichen Verhandlungen.
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Entscheidungsgründe
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A. Die zulässige Berufung ist teilweise begründet.
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I. Dem Kläger steht als Restvergütung für den von der Beklagten in der Zeit vom
05.09.2005 bis 16.09.2005 gewährten Urlaub gemäß § 611 Abs. 1 BGB i.V.m. § 11 Abs.
1 BUrlG der Betrag von 529,10 € (10 Urlaubstage x 52.91 € Vergütungsdifferenz) zu.
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1. Der Anspruch des Klägers ergibt sich aus § 611 Abs. 1 BGB.
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a) Das Urlaubsentgelt ist die Fortzahlung der Arbeitsvergütung für die Urlaubszeit.
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Durch die Anordnung des "bezahlten" Urlaubs in § 1 BUrlG erhält der Arbeitnehmer den
Anspruch auf die Zahlung der vereinbarten Vergütung, auch wenn er wegen der
Freistellung zu Urlaubszwecken die geschuldete Arbeitsleistung nicht leistet.
b) Der Kläger verlangt die Vergütung für den ihm zustehenden gesetzlichen
Mindesturlaub.
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Gewährt ein Arbeitgeber Urlaub, so ist dieser grundsätzlich zunächst auf den
gesetzlichen Mindesturlaub anzurechnen. Demnach gelten die ersten 20 Urlaubstage
des Jahres 2005 im vorliegenden Fall als gesetzliche Urlaubstage. Die Berechnung der
Urlaubsvergütung erfolgt so nach § 11 Abs. 1 BUrlG. Nach der gesetzlichen
Bestimmung in § 11 Abs. 1 BUrlG i.V.m. § 9 Ziffer 9 MTV ist der Berechnung der
Urlaubsvergütung die Arbeitsvergütung zugrunde zu legen, die der Arbeitnehmer im
Referenzzeitraum jeweils als Gegenleistung für seine Tätigkeit in dem maßgeblichen
Abrechnungszeitraum erhalten hat mit Ausnahme des zusätzlich für Überstunden
gezahlten Arbeitsentgelts.
49
c) Der Kläger hat im Referenzzeitraum eine Schichtvergütung von 149,10 € pro Schicht
erzielt. Die Beklagte war so nach § 11 Abs. 1 BUrlG verpflichtet, dem Kläger diese
Vergütung pro Urlaubstag in der Zeit des gewährten Urlaubs vom 05.09. bis 16.09.2005
zu zahlen. Tatsächlich gezahlt hat die Beklagte lediglich 96,19 €, so dass sich ein
Differenzanspruch pro Urlaubstag in Höhe von 52,91 € ergibt.
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2. Entgegen der Auffassung der Beklagten beschränkt sich der gesetzliche
Urlaubsvergütungsanspruch des Klägers nicht gemäß § 9 Ziffer 9 MTV auf die
Vergütung von 48 Stunden. Diese Regelung ist, soweit es sich um gesetzlichen Urlaub
handelt, nach § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG unwirksam.
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a) Nach § 13 Abs. 1 BUrlG können die Tarifvertragsparteien zwar von den
Bestimmungen des Bundesurlaubsgesetzes auch zu Ungunsten des Arbeitnehmers
abweichen.
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Ausgenommen sind aber die §§ 1, 2 und 3 Abs. 1 BUrlG. Dieses Verbot kann auch nicht
durch einen mittelbaren Eingriff in die unabdingbaren Bestimmungen umgangen werden
(vgl. BAG, Urteil vom 22.01.2002 – 9 AZR 611/00 – NZA 2002, 1042; BAG, Urteil vom
10.02.1966 - 5 AZR 408/65 - , BAGE 18, 129; Leinemann/Linck, Urlaubsrecht 2. Aufl., §
13 BUrlG Rz. 57; ErfK/Dörner, 6. Aufl., § 13 BUrlG Rz. 46; Dersch/Neumann, BUrlG, 8.
Aufl., § 13 Rz. 16).
53
b) Durch die Begrenzung des Urlaubsentgelts für höchstens 48 Stunden wöchentlich
auch für den gesetzlichen Urlaub haben die Tarifvertragsparteien die ihnen nach § 13
Abs. 1 Satz 1 BUrlG eingeräumte Befugnis überschritten und gegen § 1 BUrlG
verstoßen.
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§ 1 BUrlG gewährt jedem Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr Anspruch auf einen
bezahlten Erholungsurlaub. "Bezahlt" ist der Erholungsurlaub, wenn der den
Arbeitnehmern zustehende Lohnanspruch trotz Nichtleistung der Arbeit während des
Urlaubs unberührt bleibt. Aus § 1 BUrlG ergibt sich die Verpflichtung, die durch die
Freistellung zu Urlaubszwecken ausfallende Arbeitszeit zu vergüten (vgl. BAG, Urteil
vom 22.01.2001 – 9 AZR 601/00 – NZA 2002, 1042; BAG, Urteil vom 12.01.1989 - 8
AZR 404/87 -, NZA 1989, 758). Diesen Zeitraum legt der sogenannte "Zeitfaktor" im
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Rahmen der Berechnung des Urlaubsvergütungsanspruchs fest. Während nach § 13
Abs. 1 Satz 1 BUrlG der sogenannte Geldfaktor, der die Höhe der Urlaubsvergütung
bestimmt, tarifdispositiv ist, gilt dies nicht für den Zeitfaktor (vgl. auch Friese Rz. 605
m.w.N.).
c) Die Regelung in § 9 Ziffer 9 Satz 2 MTV "das Urlaubsentgelt wird aufgrund der
gesetzlichen Regelung, allerdings höchstens für 48 Stunden wöchentlich berechnet"
beschränkt entsprechend den Zeitfaktor, auch wenn der Wortlaut von Berechnung
spricht.
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Aus dem Wortlaut lässt sich eindeutig entnehmen, dass für einen Arbeitsausfall durch
die Freistellung zu Urlaubszwecken von mehr als 48 Stunden wöchentlich eine
Vergütung nicht gezahlt werden soll, sondern die Vergütung pro Arbeitstag unabhängig
von der tatsächlichen Arbeitszeit auf 9,6 Stunden täglich in der Fünftagewoche
beschränkt sein soll.
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II. Der Anspruch des Klägers auf Restvergütung für einen Urlaubstag im August 2005
steht dem Kläger nicht gemäß § 611 Abs. 1 BGB zu.
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Voraussetzung eines Urlaubsvergütungsanspruchs ist, dass der Arbeitnehmer konkret
vorträgt, für welchen konkreten Zeitraum der Freistellung zu Urlaubszwecken er die
vertragliche Vergütung fordert. Dieser Zeitraum ist dem Vortrag des Klägers nicht zu
entnehmen.
59
B. Nach alledem hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.
61
Die Revision war für die Beklagte gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.
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