Urteil des LAG Hamm vom 29.10.2009

LArbG Hamm (einstweilige verfügung, arbeitsgericht, höhe, kündigung, entgelt, untersuchung, arbeitnehmer, zpo, kontrolle, versicherung)

Landesarbeitsgericht Hamm, 11 SaGa 28/09
Datum:
29.10.2009
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
11. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 SaGa 28/09
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Iserlohn, 2 Ga 22/09
Tenor:
Die Berufung des Verfügungsklägers gegen das Urteil des
Arbeitsgerichts Iserlohn vom 30.07.2009 – 2 Ga 22/09 – wird auf Kosten
des Verfügungsklägers zurückgewiesen.
Die Revision ist nicht zulässig.
T a t b e s t a n d:
1
Der Verfügungskläger begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes
Entgeltzahlung für den Zeitraum ab Monat Juni 2009, im Berufungsrechtszug beschränkt
auf den Zeitraum bis September 2009 einschließlich.
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Der Verfügungskläger ist seit 1994 bei der Verfügungsbeklagten beschäftigt. Er ist
verheiratet und hat zwei minderjährige Kinder. Er ist einem Schwerbehinderten
gleichgestellt. Das Monatsnettoentgelt betrug zuletzt rund 2450,00 € (Lohnabrechnung
06/2008 / Bl. 17 GA: 3.379,20 € brutto / 2.472,31 € netto). Im Jahr 2006 war der
Verfügungskläger an 128 Arbeitstagen und im Jahr 2007 an 260 Arbeitstagen
arbeitsunfähig erkrankt. Im Jahr 2008 war er zunächst bis zum 10.02.2008
arbeitsunfähig. Im Hinblick auf seine angegriffene Gesundheit wurde ihm nun ein
anderweitiger Arbeitsplatz zugewiesen (Abteilung 03 Kleinpresserei Kontrolle). Für den
neuen Arbeitsplatz war der Verfügungskläger ab dem 04.08.2008 durchgehend bis zum
Frühjahr 2009 arbeitsunfähig erkrankt. Am 26.11.2008 wurde der Verfügungskläger auf
Initiative der Verfügungsbeklagten bei dem Arbeitsmedizinischen Zentrum in L1
untersucht. In der ärztlichen Bescheinigung für den Arbeitgeber vom 27.11.2008 finden
sich keine Angaben zum Untersuchungsergebnis vom 26.11.2008. Es heißt dort (Bl. 49
GA):
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"Der Arbeitnehmer hat seinen Termin im AMZ wahrgenommen, auf Anraten
seines Anwalts einer Versendung meiner Stellungnahme an den Betrieb aber
nicht zugestimmt. Diese habe ich an ihn selbst geschickt."
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Die Krankschreibung des Verfügungsklägers währte bis zum 22.04.2008. Der
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Verfügungskläger bezog Krankengeld. Der Anspruch des Verfügungsklägers auf
Krankengeld wäre mit dem 24.04.2009 ausgelaufen (Aussteuerung). Am 23.04.2009 bot
der Verfügungskläger seine Arbeitskraft bei der Verfügungsbeklagten an. Die
Verfügungsbeklagte lehnte die Arbeitsleistung des Verfügungsklägers ab. Am
26.05.2009 erteilte das Integrationsamt der Verfügungsbeklagten die Zustimmung zu
einer ordentlichen Kündigung. Die Verfügungsbeklagte hatte zur Begründung
ausgeführt, wegen der gesundheitlichen Einschränkungen bei dem Verfügungskläger
sei die Beschäftigung des Verfügungsklägers nicht möglich. Im Bescheid findet sich
ausgeführt, dass die Verfügungsbeklagte zu Recht den Einsatz des Verfügungsklägers
auf dem Arbeitsplatz in der Kontrolle ablehne und dass entsprechend der Einschätzung
der Schwerbehindertenvertretung und des Betriebsrates ein freier leidensgerechter
Arbeitsplatz nicht zur Verfügung stehe. Auf die Kopie des Bescheides wird ergänzend
Bezug genommen (Bl. 61 – 65 GA). Die Verfügungsbeklagte kündigte am 05.06.2009
zum 31.12.2009. Diese Kündigung ist Gegenstand des Kündigungsschutzverfahrens
ArbG Iserlohn 2 Ca 2017/09.
Mit der am 15.07.2009 anhängig gewordenen Verfügungsklage hat der
Verfügungskläger zunächst 2.450,00 € netto als Entgelt für den Monat Juni 2009 aus
dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs eingefordert sowie zukünftige monatliche
Zahlungen bis Dezember 2009.
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Mit Bescheid der JobAgentur EN / Stadt W1 vom 19.08.2008 ist dem Verfügungskläger
nachfolgend Arbeitslosengeld II nach dem SGB II bewilligt worden. Für die Zeit vom
03.07.2009 – 31.08.2009 ist ein Betrag von 3.855,94 € zuerkannt und überwiesen
worden. Für die folgenden Monate ergibt sich aus dem Bescheid der monatliche
Leistungsbetrag von 1.858,95 €. Wegen der entsprechenden Abtretungserklärung und
Überleitungsanzeige wird auf die zur Akte gereichten Kopien verwiesen (Bl. 102 – 105
GA).
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Inzwischen ist dem Verfügungskläger am 01.10.2009 mit Zustimmung des
Integrationsamtes fristlos gekündigt worden (Zugang der Kündigung: 05.10.2009).
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Der Verfügungskläger hat vorgetragen, nach Nichtannahme der angebotenen
Arbeitsleitung sei die Verfügungsbeklagte zur Zahlung eines monatlichen Entgelts in
Höhe von 2.450,00 € netto aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges verpflichtet.
Ein Verfügungsgrund liege vor, da er weder vom Arbeitsamt noch von der ARGE Geld
erhalten habe und nur über ein geringfügiges Einkommen von etwa knapp 600,00 € aus
Kindergeld, Arbeit der Ehefrau sowie Versicherungsleistungen verfüge, indes erheblich
höhere Ausgaben habe, insbesondere für verschiedene Kredite wie Auto, Küche und
Haus. Wegen der Einzelheiten des diesbezüglichen Vorbringens des
Verfügungsklägers wird auf S. 10 der Verfügungsklageschrift verwiesen (Bl. 10 GA:
regelmäßige monatliche Ausgaben von deutlich mehr als 2.000,00 €, darunter 1.173,15
€ Hauskredit und 545,00 € Wasser/Gas).
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Der Verfügungskläger hat beantragt,
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1. die Verfügungsbeklagte wird verurteilt, ausstehende Nettovergütung für 06/2009 in
Höhe von 2.450,00 € an den Verfügungskläger auszuzahlen.
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2. Die Verfügungsbeklagte wird verurteilt, künftig fällig werdende monatliche
Nettovergütung in Höhe von 2.450,00 € bis zum 31.12.2009 an den
Verfügungskläger zu zahlen.
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Die Verfügungsbeklagte beantragt,
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die Verfügungsklage abzuweisen.
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Die Verfügungsbeklagte hat vorgetragen, es fehle bereits an einem
Verfügungsanspruch. Sie befinde sich nicht in Annahmeverzug. Der Verfügungskläger
sei aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage die arbeitsvertraglich geschuldete
Arbeit zu erbringen. Dies ergebe sich daraus, dass der Verfügungskläger langfristig
erkrankt und auch nach einem Wechsel auf einen neuen Arbeitsplatz wiederum
langfristig krank gewesen sei. Diese Erkrankung folge nach eigener Einlassung des
Verfügungsklägers daraus, dass dieser psychisch den Anforderungen an den
Arbeitsplatz nicht gewachsen sei. Der Verfügungskläger habe nicht einmal hinreichend
behauptet, geschweige denn durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht,
dass er tatsächlich wieder arbeitsfähig sei. Dass eine Arbeitsfähigkeit nicht vorliege,
ergebe sich indiziell insbesondere auch draus, dass das Integrationsamt einer
krankheitsbedingten Kündigung des schwerbehinderten Klägers zugestimmt habe.
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Wegen der erstinstanzlich vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen wird auf Bl.
13/14, 35 GA Bezug genommen.
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Das Arbeitsgericht hat die Verfügungsklage mit Urteil vom 30.07.2009 abgewiesen. Das
Vorliegen eines Verfügungsanspruches sei nicht feststellbar. Ein Anspruch wegen
Annahmeverzugs setze voraus, dass der Arbeitnehmer arbeitsfähig sei. Dies sei nach
den Umständen des Falls nicht feststellbar.
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Das Urteil ist dem Verfügungskläger am 06.08.2009 zugestellt worden. Der
Verfügungskläger hat am 27.08.2009 Berufung eingelegt und diese zugleich begründet.
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Der Verfügungskläger wendet ein, das Arbeitsgericht habe nicht berücksichtigt, dass er
seine Leistungsfähigkeit behauptet habe. Er habe ausdrücklich auf seine
Wiedergenesung hingewiesen. Angesichts dessen hätte das Arbeitsgericht die
beantragte einstweilige Verfügung erlassen müssen. Die Zahlungen des
Arbeitslosengeld II reichten nicht aus, seine laufenden monatlichen Kosten abzudecken.
Der Verfügungskläger hat in der mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer
versichert, dass er im fraglichen Zeitpunkt durchgehend arbeitsfähig gewesen sei. Er hat
darauf hingewiesen, dass es sich bei der medizinischen Untersuchung am 26.11.2008
nicht darum gehandelt habe, ob er arbeitsfähig für den aktuell innegehabten Arbeitsplatz
gewesen sei. Es sei vielmehr um eine alternative Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz
im Bereich Kontrolle B4 gegangen. Hier sei der Arzt ausweislich seines Schreibens vom
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01.12.2008 zu dem Ergebnis gelangt, dass diese Tätigkeit für ihn nicht leidensgerecht
wäre (wegen der "auftretenden Belastungen beim Anschlagen und Bewegen der zu
kontrollierenden Werkstücke").
Der Verfügungskläger beantragt – unter Abzug des inzwischen bezogenen
Arbeitslosengeldes II -,
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unter Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils mit dem Aktenzeichen 2 Ga
22/09, Arbeitsgericht Iserlohn, die Verfügungsbeklagte zu verurteilen, an ihn
4.436,06 € zu zahlen.
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Die Verfügungsbeklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Verfügungsbeklagte verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts. Der Verfügungskläger
sei aus gesundheitlichen Gründen nach wie vor nicht in der Lage gewesen, seine
Arbeitsleistung zu erbringen. Entgelt könne er deshalb nicht beanspruchen. Nach wie
vor habe der Verfügungskläger das Ergebnis der Untersuchung vom 26.11.2008 nicht
vorgelegt. Der Verfügungskläger sei dauerhaft leitungsunfähig. Auch ein
Verfügungsgrund sei nicht gegeben. Der Verfügungskläger habe Arbeitslosengeld II mit
Wirkung ab dem 03.07.2008 bezogen. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes
könne dem Arbeitnehmer nur das für den Lebensunterhalt Notwendige zugesprochen
werden. Dies habe der Verfügungskläger von der Stadt W1 erhalten. Zu den
Begleitumständen der Untersuchung am 26.11.2009 hat die Verfügungsbeklagte in der
mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer angegeben: Das Schreiben vom
01.12.2008 sei ihr nicht bekannt; ihre Fragestellung an den Arbeitsmedizinischen Dienst
sei dahin gegangen, ob der Verfügungskläger für den innegehabten Arbeitsplatz
arbeitsfähig sei und ggf. für einen Arbeitsplatz im Bereich B 4 Ultraschallprüfung. Von
daher seien die Fragen in dem von dem Verfügungskläger zitierten Schreiben vom
01.12.2008 nicht beantwortet.
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Wegen des weiteren Parteivorbringens wird ergänzend auf die gewechselten
Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.
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Wegen der im Berufungsverfahren vorgelegten eidesstattlichen Versicherung des E3-
R1 K1 wird auf Bl. 136 GA Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die statthafte und zulässige Berufung des Verfügungsklägers bleibt ohne Erfolg. Zu
Recht hat das Arbeitsgericht es abgelehnt, dem Verfügungskläger im Wege des
einstweiligen Rechtsschutzes Arbeitsentgelt aus dem Gesichtspunkt des
Annahmeverzuges zuzuerkennen.
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Zwar kann gemäß §§ 940, 935, 916 ff. ZPO, 62 Abs. 2 ArbGG grundsätzlich auch ein
Anspruch auf Entgelt im Wege der Verfügungsklage verfolgt werden. Voraussetzung für
eine erfolgreiche Verfügungsklage ist jedoch, dass ein Verfügungsanspruch und ein
Verfügungsgrund vorliegen. Da es sich bei der Verfügungsklage auf Zahlung von
Entgelt um eine Leistungsverfügung handelt, die für den Fall der Stattgabe nicht
lediglich eine Sicherung oder vorläufige Regelung sondern eine endgültige Erfüllung
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des Anspruchs bewirkt, sind an die Bejahung von Verfügungsanspruch und
Verfügungsgrund hohe Anforderungen zu stellen. Die Voraussetzungen für das
Bestehen des Entgeltanspruches müssen glaubhaft gemacht werden. Der Arbeitnehmer
muss sich zudem in einer wirtschaftlichen Notlage befinden und auf die sofortige
Zahlung angewiesen sein. Zuzusprechen ist nicht das Arbeitsentgelt in der vollen Höhe
sondern nur ein Notbedarf etwa in Höhe des Sozialhilfesatzes, des unpfändbaren
Arbeitsentgeltes oder des Arbeitslosengeldes (Schwab/Weth-Walker, ArbGG, 2.Aufl.
2007, § 62 ArbGG Rn. 116; Korinth, Einstweiliger Rechtsschutz im
Arbeitsgerichtsverfahren, 2.Aufl. 2007 Rn. 242, 247; Germelmann u.a, ArbGG, 7.Aufl.
2009, § 62 ArbGG Rn. 98, 103, 104).
Diese Voraussetzungen für die Gewährung des beantragten einstweiligen
Rechtsschutzes sind hier nicht erfüllt.
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Bereits das Vorliegen eines Verfügungsanspruchs ist nicht feststellbar. Leitet der
Verfügungskläger seinen Anspruch aus Annahmeverzug des Arbeitgebers her, so muss
er die Anspruchsvoraussetzungen gemäß §§ 615, 293 ff, 297 BGB darstellen und bei
begründeten Zweifeln an der Arbeitsfähigkeit deren Bestehen glaubhaft machen (Hess.
LAG 13.04.1995 LAGE § 935 ZPO Nr. 9; Korinth, a.a.O, Rn. 236). Vorliegend leiten sich
aus den umfangreichen vergangenen Fehlzeiten des Verfügungsklägers, aus den
Feststellungen des Integrationsamtes im Zustimmungsbescheid und auch aus dem
eigenen Hinweis des Verfügungsklägers auf seine psychische Überforderung zu Anfang
2009 (Bl. 30 GA) gravierende Zweifel an der Arbeitsfähigkeit des Verfügungsklägers
her. Hinzu kommt, dass das Arbeitskraftangebot zeitlich mit dem Auslaufen des
Krankengeldanspruchs zusammenfällt. Gleichwohl hat der Verfügungskläger keinerlei
erläuternde Angaben zu seinem Gesundheitszustand gemacht, die über die Tatsache
hinausgehen, dass er sich nach dem 22.04.2009 nicht länger vom Arzt hat
krankschreiben lassen. Der Verfügungskläger beschreibt keine Einzelheiten eines
Genesungsprozesses. Eine ärztliche Bescheinigung zu seinem aktuellen
Gesundheitszustand ab dem 23.04.2009 hat er nicht vorgelegt. Auch den
Gesundheitsbefund der arbeitsmedizinischen Untersuchung vom 26.11.2008 hat der
Verfügungskläger nicht aussagekräftig offen gelegt. Das Bestehen eines
Entgeltanspruches des Verfügungsklägers für den Anspruchszeitraum Juni 2009 bis
September 2009 ist mithin nicht glaubhaft gemacht.
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Darüber hinaus fehlt es auch am Verfügungsgrund. Der Verfügungskläger hat nach dem
Arbeitskraftangebot am 23.04.2009 von seinem Bruder 2.350,00 € geliehen bekommen
und anschließend 1.000,00 € von seiner Schwester. Monatlich fortlaufend fließen der
Bedarfsgemeinschaft 328,00 € Kindergeld, 204,00 € Arbeitsentgelt der Ehefrau und
65,00 € von der Allianz Versicherung zu. Nach dem 19.08.2008 hat der
Verfügungskläger eine Auszahlung von 3.855,94 € Arbeitslosengeld II erhalten und
dann monatlich fortlaufend jeweils 1.858,95 €. Eine außergewöhnliche materielle
Notlage, wie sie nach §§ 935, 940 ZPO Voraussetzung für den Erlass einer
Befriedigungsverfügung auf Entgeltzahlung ist, besteht nicht.
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Der mit seiner Berufung unterlegene Verfügungskläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die
Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Die Revision ist bei Entscheidungen des
einstweiligen Rechtsschutzes nicht zulässig, § 72 Abs.4 ArbGG. Dies hat die Kammer
zur Klarstellung im Tenor ausgewiesen.
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